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JudithWiese über

JudithWiese

Geb. 1971 in Lüdenscheid 1991 Studium Betriebswirtschaft und Personalwesen in Rotterdam,

Münster und Duisburg 2006 Vice President People & Organisation Central

Europe & Africa,

Mars Petcare, Wien 2012 Verschiedene Führungsposten bei Mars in den

Bereichen Organisation,

Entwicklung und Fortbildung, Brüssel 2015 Senior Vice President

People & Organisation

Corporate im Mars-

Hauptsitz, Virginia, USA 2017 Personalchefin beim

Chemie- und Biotech-

Unternehmen DSM in

Heerlen, Niederlande 2020 Mitglied des Vorstands,

Chief People and Sustainability Officer sowie

Arbeitsdirektorin,

Siemens AG

Judith, du bezeichnest dich selbst als „People Person“ – als Mensch, der Menschen mag. Und du bringst mehr als 20 Jahre Erfahrung im Personalwesen mit. Du musst es wissen: Mit welcher Frage lernt man am meisten über jemanden?

Meine Lieblings-Frage ist: Was möchtest du, dass ich von dir weiß?

Also: Was möchtest du, dass ich von dir weiß?

Dass mir Begegnungen wichtig sind. Begegnungen mit anderen Menschen können uns Energie geben – oder rauben. Wo sich Menschen begegnen, passiert ganz viel Tolles, aber auch manchmal Toxisches und alles dazwischen. Organisationen können Atmosphären für gute Begegnungen schaffen, in denen sich Dinge positiv verstärken. Oder solche, die einem die Luft zum Atmen nehmen. Was davon passiert, hat mit Werten zu tun und damit, ob man Menschen erlaubt, so zu sein, wie sie sind. Und weil ich das mitgestalten will, bin ich wohl im richtigen Job gelandet.

Heute stellen auf dem Arbeitsmarkt die Bewerberinnen die Fragen – Stichwort Fachkräftemangel. Welche Forderungen stellen sie an Siemens?

Die Pandemie hat dazu beigetragen, dass sich Menschen überlegen, was sie eigentlich von ihrem Leben wollen und wie ihr Beruf da reinpasst. Ich bin davon überzeugt, dass Menschen drei Dinge möchten: Erstens ist da das Bedürfnis, am Steuer ihres Lebens zu sitzen und selbstbestimmt Entscheidungen zu treffen. Zweitens suchen Menschen Weiterentwicklung. Zum Beispiel in technologischen Berufen, wo die Halbwertszeit des Wissens am kürzesten ist. Da wollen Talente in einer Firma landen, in der sie inspiriert werden; sie wollen voneinander und an ihren Aufgaben lernen. Ein Softwareentwickler, der irgendwo in einer Ecke sitzt und nichts dazulernt, ist fünf Jahre später am Arbeitsmarkt nur noch die Hälfte wert. Wenn man bedenkt, dass wir 45, 50 Jahre lang arbeiten, werden wir uns also rund zehn Mal „neu erfinden“.

Was ist der dritte Punkt, den Menschen suchen?

Eine Mischung aus Wertschätzung und dem Gefühl, zu etwas Größerem beizutragen. In unserer Employer-Branding-Kampagne sprechen wir von „Technology with purpose“: Damit meinen wir, dass wir Technologien entwickeln, die den Menschen dienen. Und dass wir zum Beispiel Produkte in der digitalen, in der virtuellen Welt entwerfen, die im realen Leben, also in Wirtschaft und Gesellschaft, einen Unterschied machen. Das spricht nicht nur die Jungen an, sondern alle Generationen – unterschiedliche Leute mit unterschiedlichen Lebenswegen.

Um Tech-Talente konkurriert Siemens mit den ganz Großen, mit Meta, Google, Amazon. Was habt ihr, was die nicht haben?

Jede Firma durchläuft, wenn sie nicht sehr früh scheitert, eine Reifekurve und kommt dabei an Punkte, an denen es nicht mehr nur bedingungslos aufwärts geht. Das macht etwas mit Unternehmen, die noch relativ jung sind. Und ich glaube, dass wir mit unseren 175 Jahren wissen, wie man innovativ bleibt. Sicher hat auch Siemens in seiner Geschichte nicht immer alles richtig gemacht, aber in Summe doch deutlich mehr richtig als falsch – ansonsten gäbe es uns ja nicht mehr. Einige der großen TechFirmen entmystifizieren sich momentan selbst durch die Art und Weise, wie sie agieren, wenn es schwierig wird.

Du selbst bist nach fast 20 Jahren in der Lebensmittelbranche in den Tech-Sektor gewechselt. Was hat dich überzeugt – Geld?

Also Geld ganz sicher nicht. An das Unterneh-

»Ichkannnichtsotun, alshättenMenschen einenAn-undAusschalter«

Judith Wiese hat es als Siemens-Vorständin für Nachhaltigkeit und Personal gleich mit zwei großen Baustellen unserer Zeit zu tun. Und die passen wunderbar zusammen, findet sie

Von Anne-Nikolin Hagemann (Text) und Ian Ehm (Fotos)

men Mars, in dem ich 19 Jahre lang gearbeitet habe, werde ich immer gute Erinnerungen haben. Aber irgendwann ist meine Lernkurve dort abgeflacht. Ich wollte nie jemand sein, der nur seine Zeit am gleichen Ort bis zur Pension absitzt. Ich habe mich von Mars getrennt, wie ich mir eine Scheidung vorstelle: Etwas hat über viele Jahre unglaublich gut funktioniert und das Herz hängt auch dran. Aber irgendwann merkt man: Auf getrennten Wegen ist man wahrscheinlich besser unterwegs. Keine leichte Entscheidung. Bis ich weggegangen bin hat es zwei, drei Jahre gedauert. Ich bin dann zu DSM gewechselt, einem Science-andTechnology-Unternehmen, das sich stark mit Nachhaltigkeit beschäftigt.

Und dort hat dich Siemens gefunden.

Roland Busch hat mich gefunden. Mir hat gefallen, was er mit Siemens vorhatte. Mich haben immer Unternehmen gereizt, die es schon lange gibt, die wertegetrieben sind und die sich was vorgenommen haben. Es gibt ja Menschen, die sagen, es kommt auf die Aufgabe an und nicht darauf, mit wem man arbeitet. Aber für mich macht es immer einen Unterschied, ob ich mit den Menschen zusammenpasse, mit denen ich arbeite.

Du hast dir selbst große Ziele gesetzt: Mit deiner Arbeit möchtest du dazu beitragen, die größten Probleme der Welt zu lösen. Welche sind das im Moment?

Da gibt es die großen Megatrends, die Demografie-Entwicklung, die Digitalisierung, die Urbanisierung, den Klimawandel. Und auf diesen sich lange anbahnenden strukturellen Wandel obendrauf kommen Krisen, die in den vergangenen zweieinhalb Jahren mit einem „Big Bang“ in unser Leben gekommen sind: die Pandemie, der Ukraine-Krieg, die damit verbundene Energiekrise. Für einige dieser Herausforderungen versuchen wir bei Siemens Lösungen anzubieten. Insgesamt ist es aber eine wahnsinnige Mischung, die Menschen zurzeit verunsichert.

Dich auch?

Ich bin davon überzeugt: Der Menschheit fällt Veränderung durch Krisen leichter als Veränderung, die man strukturiert und geordnet angeht – ob wir das nun mögen oder nicht. Insofern habe ich die Hoffnung, dass – wie so oft – in einer Krise auch eine Chance liegt. Mit der Klimakonferenz COP27 gab es einen ersten Vorstoß, jetzt zumindest die Folgen des Klimawandels gerechter zu verteilen. Aber wir haben leider überhaupt keinen Fortschritt dabei gemacht, wie wir Emissionen konkret reduzieren können. Es sei denn, man bewegt wirklich die großen Emittenten dazu, ebenfalls in den Klima-Fonds einzuzahlen.

Wie entscheidet ihr, welchen Weg Siemens in aktuellen Fragen der Weltpolitik fährt – zum Beispiel, was die Zusammenarbeit mit Ländern wie China angeht?

Bei Mars habe ich den Grundsatz gelernt: „Policy, not politics“. Ich würde nicht in Politik eingreifen wollen, aber ich glaube, dass wir als Unternehmen eine Haltung zu PolicyFragen brauchen. Siemens ist schon seit seiner Gründung in vielen Ländern vertreten. Aus Russland sind wir im Jahr 2022 nach 150 Jahren rausgegangen. In Amerika bestehen wir seit 160 Jahren, auch in China sind wir seit 150 Jahren tätig. Wir sind also den Menschen in diesen Ländern verbunden und verpflichtet. Entscheidungen treffen wir letztendlich durch eine Mischung aus unseren festgeschriebenen Werten, unserem „Code of Conduct“ – und natürlich auch aus geschäftlichen Erwägungen. China ist mit den USA die mit Abstand größte Volkswirtschaft, ein schnell wachsender Markt. Dort sind es auch längst nicht mehr die westlichen, sondern die lokalen Wettbewerber, mit denen wir uns messen müssen. Weil China eben längst nicht mehr nur eine verlängerte Werkbank ist, sondern die vielen, vielen Menschen dort auch die Technologieentwicklung sehr stark vorantreiben.

Ist Nachhaltigkeit ein Wettbewerbsvorteil global gesehen? Oder geht es letztlich immer um Wachstum?

Siemens ist in der wunderbaren Lage, dass das eine das andere nicht ausschließt, ganz im Gegenteil. Unser Geschäft mit Digitalisierung und Elektrifizierung trägt zu mehr Nachhaltigkeit bei. Mehr Digitalisierung bedeutet, dass ich Dinge rein im Virtuellen ansehen und optimieren kann – ob es um Produkte geht oder um Prozesse. Und 80 Prozent des CO2-Fußabdrucks eines Produktes entscheiden sich schon an diesem Punkt, in seinem virtuellen Design. Der positive Effekt der Elektrifizierung von Infrastruktur und Mobilität greift natürlich erst dann wirklich, wenn der Strom dafür auch grün produziert wird. Deshalb sind wir darauf angewiesen, dass in den jeweiligen

DieSiemensAG

wird am 1. Oktober 1847 von Werner Siemens zusammen mit Johann Georg Halske als Telegraphen-BauAnstalt Siemens & Halske in einem Berliner Hinterhof gegründet. Das Geschäft erweitert sich schon bald ins Ausland und auf die Bereiche Energie, Mobilität und Medizintechnik. Kernkompetenzen des Unternehmens sind heute Digitalisierung und Elektrifizierung von Industrie, Infrastruktur und Mobilität. Energie und Medizin sind ausgegliedert in die Tochterfirmen Siemens Energy und Siemens Healthineers. Für Siemens arbeiten mehr als 300.000 Menschen. Im Geschäftsjahr 2021/22 erzielt das Unternehmen in der Industrie nach eigenen Angaben einen Rekordgewinn von 10,3 Milliarden Euro

»BeiderNachhaltigkeitkommenwirjetztvonder ÄraderDeklarationen›Machenwir!‹indieDekadevon ›Wiemachenwiresdennnungenau?‹«

Ländern die EnergieTransition passiert.

Das nachhaltige Image von Siemens wurde 2020 angekratzt, als Klimaschützerinnen gegen eure Zusammenarbeit mit einer Kohlemine in Australien protestiert haben. Könnte so etwas mit dir im Vorstand noch passieren?

Wir als Unternehmen haben daraus gelernt, dass es wichtig ist, alle Aspekte solcher Geschäfte zu bewerten und zu entscheiden. Und das in einem sehr frühen Stadium. Denn: Im schlimmsten Fall bekommen wir Entscheidungen erst mit, wenn es zu spät ist. Also schulen wir unsere Menschen kontinuierlich und geben ihnen Entscheidungshilfen an die Hand, damit sie kritische Situationen frühzeitig einschätzen und bewerten können, vor allem auch hinsichtlich Aspekten der Nachhaltigkeit. Und im Zweifelsfall landet eine schwierige Frage aus dem Vertrieb dann in unserem Nachhaltigkeitsgremium vom Management, dem sogenannten Sustainability Board, in dem wir über die Frage dann letztlich beraten.

Welche Rolle spielt es für Konzerne, dass die Öffentlichkeit heute ganz genau hinschaut, mit wem sie wo zusammenarbeiten?

Natürlich ist die Weltöffentlichkeit heute sensibler und das ist auch gut so. Da gab es gesamtgesellschaftlich ein großes Erwachen. Ich halte jedes System von Kontrollen und Gegenkontrollen für ein gesundes – und die öffentliche Meinung ist darin immer ein wesentlicher Faktor. Wir sprechen heute regelmäßig mit unserem Aufsichtsrat über Nachhaltigkeit, auch in jedem Prüfungsausschuss ist sie ein Thema. Jede Firma muss da ihren eigenen Wertekanon finden. Und in einem so großen Konzern wie dem unseren auch Wege, dessen Einhaltung zu kontrollieren.

Neben der Nachhaltigkeit fällt auch das Personalwesen in deinen Aufgabenbereich. Wären nicht eigentlich beide Themen groß genug für einen eigenen Posten?

Thematisch passt beides doch perfekt zusammen: Bei der Nachhaltigkeit kommen wir jetzt von der Ära der Deklarationen „Machen wir!“ in die Dekade von „Wie machen wir es denn nun genau?“. Wir alle merken, dass es dazu die richtigen Fähigkeiten und Fertigkeiten an den richtigen Stellen braucht. Da lerne auch ich täglich noch dazu. Deswegen ist es gut, dass ich das nicht allein mache, sondern im Team, ohne das ich die Aufgabe gar nicht wuppen könnte.

Gute Teams setzen sich oft aus möglichst verschiedenen Menschen zusammen. Wie kannst du bei euch für Vielfalt sorgen?

Wir agieren in 190 Ländern und in vielen davon seit über 100 Jahren. Die Leute dort wissen natürlich, dass wir ein deutsches Unternehmen sind, nehmen uns aber trotzdem als etwas Lokales wahr, weil wir schon so lange vor Ort sind. Damit ergeben sich für uns ganz automatisch Chancen bei der Diversität, die wir nutzen. In Sachen „Gender“ haben wir uns schon vor längerer Zeit Quoten fürs Topmanagement gesetzt – so wenig ich diese Quoten liebe, so sehr braucht es sie. Aber wir müssen nicht nur nach oben schauen, sondern auch darauf, was in der Breite der Organisation passiert. Die Frage der Geschlechtervielfalt und wie wir da mehr Ausgeglichenheit erreichen ist die einzige, die wir mit einer globalen Strategie vorantreiben – weil sie sich überall auf der Welt stellt. Aber das ist ja nichts, was über Nacht passiert. Das dauert.

Für andere Dimensionen der Diversität braucht es keine Quote?

Ich halte es für die gelungenste Art, auf Diversität zu blicken, wenn man sich gezielt die einzelnen Teams anschaut und fragt: Sind sie für ihre Aufgabe und ihren Kontext richtig zusammengesetzt? Dann kommt man auch viel schneller an Fragen von Diversity of Experience, Diversity of Thought. Alles andere ist immer eine auf nur eine Dimension verkürzte Diskussion. Dann redet man entweder über Männlein und Weiblein oder über deutsch und nicht-deutsch – und übersieht dabei andere Faktoren von Vielfalt, die es aber gleichermaßen braucht, um erfolgreich zu sein.

Du hast deinen Aufgabenbereich umbenannt in „People“. Was ist falsch am Begriff „Human Resources“?

Würdest du dich selbst gerne als Rohstoff bezeichnen wollen?

Also ich sehe da schon Parallelen: theoretisch nachwachsend, mit endlichen Kräften, die besser nicht ausgebeutet werden sollten ...

Natürlich gibt es Parallelen. Aber ich bin grundsätzlich der Meinung, dass Menschen Menschen sind und nicht nur Arbeitnehmer oder Ressourcen. Wir können als Unternehmen doch nicht Leidenschaft, Freude, Energie und Engagement erwarten – und dann so tun, als wäre eine humane Ressource ein rationales Ding, das wir nach seiner Produktivität bemessen. Also ich selbst möchte nicht als Humanressource bezeichnet werden und unsere Leute spiegeln uns auch wider, dass sie den Namen „People & Organization“ deutlich zutreffender und persönlicher finden.

Von Personalerinnen werden aber trotzdem oft Kennzahlen und harte Fakten erwartet.

Richtig. Und ich halte durchaus viel von Kennzahlen. Ich habe daher die Abteilung für „People Analytics“ ganz neu aufgesetzt und gestärkt, weil ich es wichtig finde, dass wir die Daten hinter unseren Funktionen und Aufgaben verstehen. Ich kann zum Beispiel Engagement messen. Ich kann messen, wie viel gelernt wird, wie viele Menschen sich bei uns weiter qualifizieren. Ich kann aber nicht so tun, als wären Menschen binär, als hätten sie einen An- und Ausschalter. Das Wort „Humanressource“ klingt für mich nach einem sehr mechanistischen Menschenbild. Ich glaube, dass Sprache etwas mit uns macht – auch beim Thema Diversität. Was wir in unserer Sprache finden oder eben auch nicht finden, setzt sich in unserem Verhalten fort.

Das Wort „Ressourcen“ taucht auch im Kontext Mental Health oft auf: Da wird geraten, sparsam mit den persönlichen Ressourcen umzugehen, die eigenen Grenzen nicht zu überschreiten. Gab es bei dir Momente, wo das ein Thema war?

Am schwersten habe ich mir das Leben gemacht, als meine Kinder noch sehr klein waren. Mars hat mir damals eine Beförderung aus dem Mutterschutz heraus angeboten. Ich wusste aber nicht, ob ich mir das zutrauen sollte. Dann habe ich es gewagt und habe den Job geliebt. Aber gleichzeitig hatte ich das berühmte schlechte Gewissen und habe auch gemerkt, dass mir einfach physisch die Ressourcen fehlen. Und wenn ich körperlich nicht belastungsfähig bin, bin ich es emotional auch nicht.

Wie bist du da rausgekommen?

Ich habe zunächst ganz viel mit mir selber ausgemacht – und dann gekündigt. Zum Glück hat man mich danach vor mir selbst gerettet. Und ab diesem Zeitpunkt wurde alles besser. Wenn es irgendetwas gibt, das jeder Mensch finden sollte, und vielleicht insbesondere Frauen, ist es das Wissen, was einem selbst guttut und was nicht. Und die Fähigkeit, das zu artikulieren. Häufig reicht das nämlich schon: Einmal laut auszusprechen, was ich eigentlich brauche. Trotzdem ist gerade das die hohe Kunst.

Was brauchst du?

Ich kann mittlerweile meine Grenzen gut einschätzen, ich kenne die Warnzeichen und höre die Alarmsignale. Ich weiß, dass ich lange Zeit mit nur sechs Stunden Schlaf auskomme, aber nur kurze Zeit mit weniger. Ich weiß, dass ich Zeit brauche zum Abschalten. Das hat bei mir auch viel mit Bewegung zu tun, mit Rausgehen. Das erdet mich. Ich habe mir über die Jahre immer irgendetwas anderes gesucht, das mir guttat. Ob das eine Person war, mit der ich Scherze machen konnte oder zum Beispiel Yoga oder Joggen.

Wie kannst du als Chefin deinen Mitarbeitenden helfen, auf sich selbst zu achten?

Jeder Mensch muss für sich verstehen, was die eigenen Trigger-Punkte sind und wo die eigenen Grenzen sind. Deshalb lehne ich generalisierende Aussagen ab, wie zum Beispiel: „Du bist nicht engagiert genug in punkto Gesundheit deiner Mitarbeitenden, wenn du nicht in allen Standorten ein Fitnessstudio anbietest.“ Vielleicht aber möchte gar nicht jeder mit seinen Kolleginnen und Kollegen schwitzen. Mentale Gesundheit bedeutet vielmehr, dass Leute auf eine strukturierte Entdeckungsreise gehen, um zu erkennen, was sie brauchen. Wir müssen ein Umfeld schaffen, in dem jeder den Mut hat, diese Reise für sich anzutreten. Allgemein-Rezepte wie das Fitness-Center lesen sich gut in Broschüren und auf Websites. Aber sie sind nicht die Heilsbringer für alle und alles.

Deine Kinder stehen kurz vorm Eintritt ins Berufsleben. Was ist ihnen wichtig?

Sie sind gerade an dem Punkt im Leben, wo man sich damit beschäftigt, wer und was man sein möchte. Ich wünsche ihnen, dass sie etwas finden, wofür sie morgens gerne aus dem Bett springen. Dass es etwas gibt, an dem sie sich beteiligen möchten, dass sie einen Auftrag für sich selbst finden. Ob sie das Kochlöffel schwingend in einer Suppenküche tun, oder am MIT tolle Sachen erfinden, ist mir gar nicht wichtig. Ich weiß nicht, ob man jeden Tag glücklich sein kann, aber eine Grundzufriedenheit mit dem eigenen Leben – das ist wichtig.

Wenn du an die Zukunft deiner Kinder denkst, an die Welt, in der sie mal leben werden: Spürst du Angst? Hoffnung?

Ich bin grundsätzlich kein ängstlicher Typ, deshalb habe ich nicht per se Lebensängste. Wenn es irgendeine Lehre aus den letzten zwei Jahren gibt, dann mit Sicherheit, dass wir überhaupt nichts mit Sicherheit vorhersagen können. Das Wort Resilienz verstehe ich so, dass wir Vertrauen darauf haben, dass wir Dinge gestalten können und uns gewappnet fühlen für alles, was die Zukunft bringen mag. Ein gewisses Maß an Zuversicht, ein gewisses Maß an „Ich mach was draus“, das brauchen wir. Und das wünsche ich auch meinen Kindern. Und dass sie den Glauben an Menschen und Gemeinschaft behalten. Denn als soziale Wesen können wir eigentlich nur in der Gemeinschaft wirklich gut funktionieren.

»JederMenschmussfürsichverstehen, wodieeigenenGrenzensind«

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