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HenningBeck

HenningBeck teilt sein Wissen im turi2.de/podcast

»JeakuterProblemewerden,desto besserwerdendieLösungen«

Neurowissenschaftler Henning Beck weiß, warum Spielen dem Hirn durch Krisen hilft – und dass gute Ideen oft aus unerwarteter Richtung kommen

Henning, du als Neurologe musst es wissen: Was machen Themen wie Corona, Krieg und Inflation mit unserem Hirn?

Es gibt eine sehr akute Phase, wenn alle Talkshows und Nachrichten voll mit einem Thema sind: Da aktivieren wir vor allem Gehirnregionen im vorderen Bereich, mit denen wir versuchen, Probleme zu lösen. Stress führt nicht dazu, dass man an etwas anderes denkt, sondern, dass man intensiver über das Problem nachdenkt. Diese akuten, heißen Themen kommen und gehen aber auch schnell. Was dann kommt, ist ein chronisches Hintergrund-Schwingen und die Erkenntnis: Wir haben Probleme, die wir so einfach nicht lösen können.

Was tust du persönlich, um da nicht in Negativität zu verfallen?

Das Wichtigste ist, einen Ausgleich zu dem zu haben, was man tagtäglich tut und zwar etwas, das sich davon maximal unterscheidet. Es hilft wenig, einmal im Jahr Urlaub zu machen, um mich aufzuladen – und dann hau ich mir den ganzen Müll des Jahres drauf und danach mache ich wieder Urlaub. Es ist wichtig, regelmäßig unter der Woche immer kleine Auszeiten zu haben, in denen man sich von belastenden Situationen oder Entwicklungen entkoppeln kann. Ich fahre zum Beispiel Fahrrad und treffe dabei Leute.

Wir werden jeden Tag mit Unmengen an Informationen konfrontiert. Füttert das unsere Ängste oder kann das sogar beruhigen?

Man kann nicht permanent in einem Dauerfeuer von negativen Nachrichten überleben, weil wir von einem Alarmismus in den nächsten geschickt werden würden. Deswegen wechseln sich Krisen immer ab. Wir können uns immer nur auf eine Krise oder ein Problem fokussieren. In solchen Phasen brauchen wir unbedingt Situationen oder eine Umgebung, wo wir uns von negativen Nachrichten entkoppeln können. Die können wir nämlich nur dann verdauen, wenn wir Pause machen – wie beim Essen auch.

Hast du einen konkreten Tipp, wie solche Pausen aussehen können?

Fünf Teile Arbeit, ein Teil Pause. Im Laufe des Tages sollte es immer Phasen geben, in denen man bewusst abschaltet. Spiele sind übrigens ein sehr probates Mittel, um solchen Stress zu reduzieren. Die Idee ist, dass ich eine Parallelwelt mit künstlichen Regeln habe. Sobald ich mich auf eine neue Welt einlasse, muss ich die alte Welt und auch die alten Regeln zurücklassen. Dadurch zerstreut man sich für einen gewissen Moment.

Warum leugnen manche Menschen bestimmte Krisen? Die Klimakrise zum Beispiel – oder Corona.

Die Coronakrise zeigt sehr gut, welche Reaktionsmöglichkeiten Menschen haben. Manche lehnen es einfach ab – Leugnung ist ein typisches Verfahren, um mit Krisen klarzukommen. Andere kämpfen dagegen an, und dann gibt es diejenigen, denen ist es komplett egal. Aber in jeder Krise nehmen Menschen einen dieser Modi Operandi ein, um damit umzugehen – das sind klassische psychologische Muster.

Wie entscheidet es sich, in welchen Modus man geht?

Das kommt sehr auf die Betroffenheit an. Je betroffener ich bin, desto eher bin ich bereit, zu protestieren. In unserem Gehirn gibt es Modelle und Hypothesen von allem. Die Ablehnung einer Krise ist am größten, wenn die Wirklichkeit, also die Krise, meinem Modell widerspricht und nur aufgelöst werden kann, indem ich etwa mein Weltbild anpasse – das machen Menschen sehr ungern. Und andersrum: Wenn die konkrete Betroffenheit fehlt, kannst du die Krise besser ignorieren.

Was ist das Gefährliche am „confirmation bias“, also der Tendenz, Infos und Nachrichten so auszuwählen, dass sie die

Foto: Selina Pfruener

HenningBeck

will als Neurowissenschaftler, Autor und Science Slammer Wissenschaft für alle verständlich machen. Nach dem Biochemie-Studium arbeitet er zunächst als freier Berater in der San Francisco Bay Area. Beck schreibt Sachbücher und Kolumnen, unter anderem für „Geo“ und die „Wirtschaftswoche“

eigenen Erwartungen erfüllen?

Das größte Problem ist, dass es ein Geschäftsmodell geworden ist, mit der Aufmerksamkeit und dieser Selbstbestätigungs-Tendenz der Menschen Geld zu verdienen. Dadurch merken wir nicht mehr, wenn wir in unserer Denkweise sehr einfältig werden, weil wir uns nicht mehr hinterfragen. Wenn du früher eine Zeitung gekauft hast, hast du für Nachrichten bezahlt, die sonst nicht zu dir gekommen wären. Menschen geben heute aber kein Geld mehr für etwas aus, das für sie keine direkte Funktion hat. Dadurch fragmentieren sich Debatten sehr stark und es gibt viele zersplitterte Grüppchen, die keine gemeinsame Informationsgrundlage haben, über die man sich austauschen könnte. Das ist langfristig eine schädigende Entwicklung für Demokratien, die zwar pluralistisch aufgestellt sind, aber eine gemeinsame Diskussionsidentität haben, auf die man sich einigen kann. Wenn die zerfällt, zerfällt auch die Möglichkeit, Probleme produktiv zu diskutieren.

Wie kann ich als Individuum etwas dagegen tun?

Ich muss mir immer klar machen, dass die besten Ideen von dort kommen, wo ich sie nicht habe kommen sehen. Häufig sind es die unerwarteten und überraschenden Ereignisse, die am meisten bereichern. Und an die komme ich, indem ich andere Informationsquellen nutze als üblich. Man kann etwa eine Doku anschauen, die einen sonst eher weniger interessiert hätte oder eine Tageszeitung kaufen. Man muss nicht sein gesamtes Informationsleben auf den Kopf stellen, sondern an bestimmten Gebieten würzen und mit anderen Perspektiven auffrischen.

Ist es denn wirklich so, dass unser Gehirn nicht an Vielfalt gewöhnt ist und immer das Gleiche will?

Ja und Nein. Auf der einen Seite gibt es das Phänomen, immer dasselbe zu wählen, wenn man viel Auswahl hat – das nennt sich Overchoice-Effekt. Auf der anderen Seite darf man nie unterschätzen, dass Menschen die Abwechslung lieben. Wenn ich Montag bis Freitag Pizza gegessen habe, schlägt mir der Algorithmus am Samstag Pizza vor, weil ich ja Pizza mag. Aber ich mag keine Pizza, wenn ich fünf Tage lang Pizza gegessen habe. Noch mehr als unser Lieblingsessen lieben wir die Möglichkeit, überrascht zu werden. Gesellschaftlicher Fortschritt ist nur so möglich. Wenn wir wirklich nur das annehmen würden, was wir kennen und lieben, würden wir immer noch in einer Höhle sitzen.

»Wennwir wirklichnur dasannehmen würden,was wirkennen undlieben, würdenwir immernoch ineinerHöhle sitzen«

Der „unconscious bias“ führt dazu, dass wir Menschen aufgrund ihrer Herkunft, Religion oder sexuellen Orientierung verurteilen, ohne uns dessen bewusst zu sein. Was kann man dagegen tun?

Alle diese Stereotypen kommen daher, dass wir es uns im Denken einfach machen. Das ist notwendig, weil wir sonst mit der Welt überfordert wären. Problematisch wird es, wenn andere Menschen dadurch Nachteile haben. Auch hier hilft es, sich selbst in seinen Perspektiven zu bereichern, indem man bewusst in fremde Bereiche geht – zum Beispiel in ein fremdes Land. Reisen sind generell ein sehr probates Mittel, um seine Perspektive zu ändern.

Seit ein paar Jahren bemühen sich viele um Diversität und Achtsamkeit – sei es im Job oder in der geschriebenen und gesprochenen Sprache. Drohen diese Themen in wirtschaftlich schweren Zeiten wieder von der Agenda zu rutschen?

Die Gefahr besteht natürlich, weil all das, was existentiell ist, alles andere schlägt. Wir haben immer Hierarchien in der Dringlichkeit der Probleme. Das sieht man gut an den Nachrichten: Manche Probleme werden gar nicht abgebildet, weil sie vielleicht nicht gut zu verkaufen sind. Vom Artensterben zum Beispiel – einem riesigen Problem – höre ich wenig, weil priorisiert werden muss. Wir können immer nur eine Krise auf einmal verarbeiten.

Medien müssen zwangsläufig Prioritäten setzen. Was wäre die Alternative, wenn wir denn immer nur ein Problem auf einmal verarbeiten können?

Die Grundfrage ist, warum wir immer Probleme zeigen. Das schafft natürlich Bilder und motiviert die Menschen. Es gibt kaum etwas Motiviererendes, als dem Tod oder einer Krise zu entkommen. Es ist dabei jedoch wichtig, Fatalismus zu vermeiden und Möglichkeiten aufzuzeigen. Ein gutes Beispiel ist die Inflation – eine der Urängste der Deutschen. Aber da kannst du selbst etwas tun, nämlich sparen. Und auf einmal gibt es lauter Servicesendungen im Fernsehen, wie man in allen möglichen Bereichen sparen kann – Leute lieben diesen Pragmatismus. Es sollte mehr im Vordergrund stehen, was konkret möglich ist.

Was macht dir mit Blick auf das Jahr 2023 Hoffnung?

Ich bin sehr bescheiden geworden, was Ausblicke angeht nach den letzten drei Jahren. Was mich hoffnungsvoll stimmt, ist, dass Menschen sehr erfindungsreich werden, wenn es darauf ankommt. Niemand hat sich vorstellen können, dass wir innerhalb von anderthalb Jahren eine Impfung erfinden, die das Virus maßgeblich eindämmt oder ihm den Schrecken nimmt. Je akuter Probleme werden, desto besser werden die Lösungen von Menschen.

Interview: Pauline Stahl

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