16 minute read

AlineAbboud über

Hochhinaus:FürsFotoim BerlinerMauerparkhilft derHocker,imTV-Studio reichenAlineAbboud hoheSchuhe

»Wennduweiterkommen willst,musstduauffallen«

Aline Abboud ist schnell zur Moderatorin der „Tagesthemen“ aufgestiegen. Mit turi2 spricht sie über Hasskommentare und Hoffnung – und darüber, wie sie Mattscheibe und mentale Gesundheit managt

Von Tim Gieselmann (Text) und Holger Talinski (Fotos)

»IchbinbeivielenSachenübermich hinausgewachsen,weilichsieeinfachprobierthabe«

Aline, wir spazieren heute gemeinsam durch den Mauerpark. Was bedeutet dir dieser Ort?

Ich komme aus Pankow. Früher bin ich oft durch den Mauerpark bis nach Prenzlauer Berg gefahren, zum Aikido-Training, zur Arbeit meiner Mutter oder zu einer Schulfreundin. Den Mauerweg mag ich sehr gerne, auch wegen der japanischen Kirschblüten, die hier im Frühling blühen. Im Mauerpark habe ich viele Abende verbracht während der Schulzeit, mit Bier in der Hand, als hier noch nicht alles vom Tourismus überfüllt war.

Du bist in Ostdeutschland geboren und hast Wurzeln im Libanon. Wann bist du dir über deinen sogenannten Migrationshintergrund bewusst geworden?

Als ich aufgewachsen bin, in den Neunzigern, gab es dieses Wort noch gar nicht. Du warst Deutsche oder Ausländerin und ich war immer Deutsche. Mein Vater ist aus dem Libanon, ich war in den Sommerferien dort und habe meine Familie besucht. Fertig. Ungefähr 2010 hatte ich ein Erlebnis mit einer Redakteurin, die ich gefragt habe, wie ich einen Einstieg in den Journalismus finden könnte. Sie hat mir einen Link geschickt zu einem Stipendium für junge Journalistinnen mit Migrationsbiographie. Damals dachte ich, sie hätte was falsch verstanden, weil ich „Menschen mit Migrationshintergrund“ immer anders definiert habe. Ich dachte, das wären Geflüchtete oder Menschen, die gerade nach Deutschland gekommen sind. Dass dieser Begriff auch auf nachfolgende Generationen von Einwander*innen ausgeweitet wurde, war mir einfach nicht klar.

Was hat die Erkenntnis mit dir gemacht?

Ich fand das wirklich mühsam und auch nicht plausibel, weil man sich plötzlich so viel mit Identität und Herkunft beschäftigen musste, weil es als Zuweisung von außen kam. Ich dachte: Warum spielt es eine Rolle, ob ich Deutsche, Halb-Libanesin oder Ostdeutsche bin? Besonders im medialen Diskurs hat man gemerkt, dass dieses Thema in Deutschland immer größer wurde. Der positive Aspekt allerdings ist erst sehr spät eingetroffen: Menschen mit vielfältigen Biografien wurden immer angesagter. Man hat erkannt: Ohne Diversität und andere Perspektiven kommen wir nicht weiter. So sehe ich das heute immer noch.

Also redest du gern über das Thema?

Ich habe gelernt, damit umzugehen, weil mir dieser Stempel „Migrationshintergrund“ aufgedrückt wurde. Ich habe persönlich davon profitiert, trotzdem habe ich es eigentlich nicht gewollt. Ich wollte natürlich nicht deswegen eingestellt werden und bin es auch nicht allein deswegen, aber es war auf jeden Fall ein Punkt. Mittlerweile nutze ich diesen Stempel auch bewusst, um auf marginalisierte Gruppen aufmerksam zu machen.

Also siehst du dich als Vorbild?

Ich möchte nicht im engeren Sinne Vorbild sein, denn ich habe ja nicht alles richtig gemacht. Aber ich bekomme immer mehr Feedback von jungen Leuten, die sagen: Du bist die erste, mit der ich mich im deutschen Fernsehen überhaupt identifizieren kann. Das wirkt übertrieben auf mich, aber trotzdem freue ich mich. Als ich mit dem Journalismus anfing, gab es nicht so viele wie mich. Auch die afroamerikanische Disney-Figur Arielle war ja kürzlich zum Beispiel ein Riesen-Thema für all jene Kinder, die sich in ihr gespiegelt und wiedererkannt haben. Ich finde das wichtig, auch wenn es manchen Leuten zu anstrengend ist. Das verlangsamt natürlich den Prozess. Es ist ja beispielsweise immer noch nicht so, dass Redaktionen überschwemmt werden mit Leuten, die einen Migrationshintergrund haben.

Du hast im Bundestag volontiert. Hast du dadurch einen besonderen Bezug zur Politik?

Ich habe viele Interviews geführt, die Prozesse mitbekommen und am Ende ein bisschen Demut verspürt vor Politiker*innen. Ihre Arbeit ist ultrakomplex und extrem zeitintensiv. Sie sind in der Sitzungswoche im Bundestag, wo sie von früh bis abends Kommissions-, Ausschuss- und Plenarsitzungen haben. Dazu kommen etliche weitere Verpflichtungen. In den Nicht-Sitzungswochen müssen sie in ihren Wahlkreis fahren, wo sie nie einfach sie selbst sein dürfen, das geht allenfalls in den eigenen vier Wänden. Ich finde das Dasein als Politiker*in schwer, weil du immer eine Rolle

AlineAbboud

Geb. 1988 in Ost-Berlin 2007 Studium der Arabistik in Leipzig 2014 Volontariat im

Deutschen Bundestag 2016 Social-Media-Redakteurin „ZDFdonnerstalk“,

Wechsel in die „heute“-

Nachrichtenredaktion 2019 Moderation von „Die da oben!“ 2020 Host des „Zenith“-

Podcasts 2021 Moderation der ARD„Tagesthemen“

AlineAbboud

im Videofragebogen turi2.de/koepfe

»Ichhabevon demStempel ›Migrationshintergrund‹ profitiert, trotzdem habeiches eigentlich nichtgewollt«

spielen, an den Wahlkampf denken und deine Wähler*innen zufrieden stellen musst. Mir persönlich wäre das viel zu anstrengend.

War das die große Lebenslektion aus dem Bundestag?

Auch. Genauso haben schlechte Praktika und Erfahrungen mir die Gewissheit vermittelt, etwas nicht zu wollen. Das ist sehr hilfreich. Ich rate jungen Leuten immer, auch schlechte Erfahrungen auszuhalten und zu nutzen. Ich bin ja keinen stringenten Weg gegangen mit dem Arabistik-Studium und dem Bundestags-Volo. Du musst, wenn du weiterkommen willst, ein bisschen auffallen. Ob durch ein Studium, Sprachkenntnisse oder Auslandsaufenthalte. Heutzutage hat man so viele Möglichkeiten, einen vielseitigen Lebenslauf aufzubauen. Ich bin bei vielen Sachen über mich hinausgewachsen, weil ich sie einfach probiert habe – bis heute. Ich lerne noch so viel, jetzt gerade in den „Tagesthemen“. Das Moderieren im Studio kenne ich, aber das ganze Prozedere drumherum – die umfangreiche Redaktionsarbeit, die InterviewVorbereitung – das sind Prozesse, die Routine und Zeit brauchen.

Von der „heute“-Nachrichtenredaktion im ZDF bist du 2021 zur ARD gewechselt. Was unter-

Kaffeeklatsch: AlineAbboudsprichtmit TimGieselmann überihrenKarriereweg

scheidet die beiden Anstalten?

Auf jeden Fall die Stadt. Ich will das sonst gar nicht so vergleichen, weil mir das nicht zusteht und ich das auch ehrlich gesagt nicht möchte. Nur soviel: Bei der ARD bemerkt man die Größe mehr, das ZDF fühlte sich für mich ein bisschen zentralistischer an. Wenn wir aus der ARD-Aktuell-Redaktion Ideen und Themen haben, müssen eben mehrere Rundfunkanstalten einverstanden sein.

Stört das? Ginge das nicht besser?

Das ist ein bisschen wie in der Politik. Man kann sich da gerne mal zu sehr blockieren, schon wenn einer aus der Reihe tanzt. Natürlich sind Abstimmungsprozesse wichtig, aber manchmal muss man sich mehr trauen und Sachen einfach mal machen. Dann kann man immer noch sagen: Hat nicht funktioniert. Ich finde das nicht schlimm. Fehler machen wir alle und man lernt daraus. Sich aktiv auf eine Fehlerkultur einzulassen, könnte ein Zeichen für die ÖffentlichRechtlichen setzen.

ARD und ZDF stehen unter Druck, die ReformDiskussion ist groß. Was würde fehlen, wenn es nur noch einen öffentlich-rechtlichen Anbieter gäbe?

Diese Rufe nach Privatisierung finde ich grundsätzlich problematisch. Dann haben wir Verhältnisse wie in den USA. Uns ist unser Privileg hier in Deutschland gar nicht so bewusst, das wir mit den Öffentlich-Rechtlichen haben. Viele Länder haben so etwas gar nicht, von Diktaturen muss ich jetzt gar nicht sprechen. Das gilt auch für Demokratien. Die schauen sehnsüchtig zu uns und sehen: Da gibt es zwei Sender, die unabhängigen Journalismus liefern. Warum soll ich dann dagegen rudern? Das sage ich nicht, weil ich darin arbeite, sondern weil ich es richtig finde. Meines Erachtens können es auch drei oder vier Sender sein. Ein bisschen Konkurrenz untereinander schadet ja nicht.

Wie verändert sich das Feedback auf deine Arbeit mit der größeren Bühne „Tagesthemen“?

Ich stehe viel mehr im Fokus für Leute, die Nachrichten schauen, die mich aber auch von „Die da oben“ bei Funk kennen. Darüber werde ich lustigerweise mehr erkannt als über die „Tagesthemen“. Das mag daran liegen, dass die jungen Leute dich eher mal ansprechen. Öffentlichkeit ist aber nicht, was ich gesucht hätte. Hass und Hetze werden immer mehr, gerade rechte Hetze. Das gibt mir zu denken, nicht erst jetzt, auch schon vor der Zeit bei der ARD. Da gibt es schon manchmal Gedanken an einen Rückzug.

Aber wäre das nicht schade und ein Einknicken?

Ja, sicher. Aber mir ist mein Leben, meine Familie, meine Privatsphäre auch wichtig. Es ist – und hier wiederhole ich mich – ein bisschen wie in der Politik, nur dass ich keinen Wahlkampf bestreiten muss. Ich will nicht sagen, dass ich das nicht ertrage oder furchtbar finde, aber man sollte sich auch fragen: Muss ich mich diesem Druck mein Leben lang stellen? Andererseits ist klar: Die Position hat gewisse Privilegien und Vorteile. Aber ich bin niemand, die das braucht oder gesucht hat.

Aber man muss schon eine Rampensau sein, um vor der Kamera zu landen. Oder stehen da einfach die besten Journalistinnen?

Nein, nicht jeder, der ein guter Journalist ist, kann auch gut moderieren. Im Fernsehen gibt es auch Leute, die denken, sie können moderieren, weil sie journalistisch gut sind. Aber Moderieren ist ein sehr körperbetonter Job. Gerade bei den „Tagesthemen“ bist du auch sehr spät am Tag live. Das heißt, du musst dich nochmal komplett hochfahren. Im Studio steht man ja nicht einfach nur, schaut in das schwarze Loch und leiert das Gesagte runter, sondern man braucht eine Körperspannung, muss die Stimme lauter machen und anders betonen. Eine Woche „Tagesthemen“ ist schon ein Brett.

Das Studio schlaucht also?

Es spielen viele Sachen eine Rolle. Ich sage immer: Das ist ein Job, für den du eigentlich ein perfektes Leben haben musst. Denn auch wenn es dir schlecht geht – ob nun ein Elternteil stirbt oder der Freund dich verlässt – musst du dich da hinstellen, lächeln, gut drauf sein, präsentieren und so tun, als ob alles in Butter ist. Natürlich schafft man das und auch ich musste es schaffen. Aber diese Härte gegen sich selbst lässt einen eben auch verhärten. Auch damit das negative Feedback einen nicht verletzt, wenn du etwa als „Ausländerin“ bezeichnet wirst. Wenn du eine Frau bist, eine Migrationsbiographie hast und im Öffentlich-Rechtlichen arbeitest, musst du nicht mehr viel machen.

Wie meinst du das?

Frauen im Fernsehen haben auch heute noch geschlechtsspezifische Probleme. Das können sexistische Vorstellungen darüber sein, wie du auszusehen hast. Oder Nachrichten wie: „Hey sexy Hexy, wollen wir uns kennenlernen?“ Sowas kriege ich jeden Tag. Zweitens, Migrationsbiographie: Da kommen Sprüche wie: „Gehen Sie doch dahin, wo Sie herkommen.“ Oder: „Wenn du so viel Werbung über den Libanon machst, warum gehst du denn da nicht hin?“ Und Stichwort Öffentlichrechtlich: „Staatsfunk, Lügenpresse“.

Hast du Strategien entwickelt, wie du damit klarkommst?

Ich halte mich sehr selten auf Twitter auf, poste fast nur noch Hunde-Videos und retweete. Ich schaue auch Kommentare kaum noch an, aber so ganz kommt man da nicht weg. Bei Instagram poste ich vor allem Sachen, die mit meinem Job zu tun haben. Bei privateren Aufnahmen achte ich sehr

»FrauenimFernsehenhaben auchheutenochgeschlechterspezifischeProbleme«

darauf, dass niemand zu sehen ist und nichts Angreifbares dabei ist. Ich arbeite auch seit kurzem mit der Organisation Hate Aid zusammen. Die helfen dir bei Rechtsfragen, können deine Social-Media-Kommentare screenen und Dinge zur Anzeige bringen. Das betrifft auch nicht nur prominente Leute, da kann sich jeder melden. Ich finde es so entlastend, dass es Hate Aid gibt. Ganz aus Social Media raus zu sein finde ich allerdings auch schwierig.

Hat das Digitale zu viele Schattenseiten?

Ich merke im Gespräch mit Leuten aus meiner Generation, dass man diese Zeit vor dem Internet manchmal vermisst. Eigentlich schlimm, dass wir so reden, aber man merkt schon, wie einige jetzt versuchen, die Nutzung zu reduzieren. Sie merken, dass das Internet negative Auswirkungen auf ihre psychische Gesundheit hat.

Wenn du dein InternetFormat „Die da oben“ mit den „Tagesthemen“ vergleichst – sind das zwei unterschiedliche Welten?

Ja, allein wegen der Zuschauergruppe. Die liegt bei den „Tagesthemen“ eher Ü-60. „Die da oben“ bespielt natürlich auch andere Plattformen: YouTube und Instagram, Facebook hingegen kaum noch. Und die Funk-Zielgruppe liegt zwischen 14 und 29, aber wir erreichen auch Menschen über diese Altersgruppe hinaus. Das finde ich spannend, weil ich mitkriege, dass es auch ältere Leute sind, die sich auf diese Weise informieren wollen. Komplexe Themen sind manchmal in jüngerer Umgangssprache verständlicher. Eigentlich habe ich die perfekte Abwechslung. Ich bin vielleicht die einzige Moderatorin, die sagen kann, dass sie mit ihren Jobs fast jede Altersgruppe abdeckt.

Bei „Die da oben“ hast du einen regelmäßigen Meinungs-Teil. Wie viel Meinung hat im Journalismus Platz und wie ist das vereinbar mit deinem Job bei den „Tagesthemen“?

Der Meinungs-Teil ist von Funk-Seite gewünscht und hat sich auch so etabliert. Zumindest bei „Die da oben“ habe ich das Gefühl, dass gerade junge Leute es gut finden, wenn ich als neutrale Journalistin, die Pro und Contra abgewogen hat, dann noch mal eine Zusammenfassung mache. Wir betonen ja auch sehr: „Ich finde das so und das heißt nicht, dass du es so finden musst.“ Ich glaube, der Abschnitt der Videos ist wichtig, damit die Menschen angeregt werden, darüber nachzudenken. Und einen Meinungs-Anteil haben wir bei den „Tagesthemen“ auch mit dem Kommentar.

Die „Bild“-Zeitung hat dir letztens nach einem Meinungs-Statement für Funk eine „Lobeshymne auf Habeck“ vorgeworfen.

Das war schon ein bisschen lächerlich und fing ja auch an mit einem Post, der etwas aus dem Kontext herausgeschnitten hat. Wir haben ein Video gemacht über Habeck, über seinen politischen Kommunikationsstil. Natürlich haben wir da Pro und Contra. Wenn du dir da beliebig Teile rausziehst, dann kannst du das willkürlich verwerten. Das Problem haben wir sehr oft und gerade bei „Die da oben“, weil sich bei YouTube noch mal ganz andere Leute tummeln, für die das ein gefundenes Fressen ist. Wir sind ja bei Funk eh alle links- grün versifft. Das ist die Standard-Parole von denen, die glauben, wir zeigen keine anderen Meinungen, was absoluter Blödsinn ist.

Schaust du noch klassisches Fernsehen?

Ja, mittlerweile wieder viel mehr als während des Studiums. Da hatte ich keinen Fernseher und habe ohnehin andere Dinge gemacht. Da war ich vor allem im Internet. Ich schaue gerade die letzten zwei, drei Jahre viel mehr. Einfach um zu schauen, was die anderen machen und zu vergleichen. Was finde ich vielleicht bei anderen besser? Was finde ich bei uns gut?

Was ist dabei rausgekommen?

Ich habe da keine abschließende Meinung. Grundsätzlich sollte man in unserer Branche nie denken, der Nabel der Welt zu sein. Wir machen unseren Job für die Menschen, um sie zu informieren. Deswegen sollten wir auf sie zugehen und nicht die Haltung haben: „Die müssen jetzt zu uns kommen und unsere Sendung einschalten, weil wir so toll sind.“ Aus diesem Zeitalter sind wir raus, auch wenn das einige nicht sehen. Dafür gibt es einfach zu viel Konkurrenz. Nicht nur das Privatfernsehen,

»IchhabemittlerweileeineTherapeutin. SoeinSafeSpacereichtmanchmalschon«

»Fürmichkönnenesauchdreiodervieröffentlich-rechtliche Sendersein.EinbisschenKonkurrenzschadetjanicht«

auch YouTube, Facebook und Instagram.

Also muss ich dich gar nicht fragen, wie das lineare TV relevant bleibt?

Das ist eine schwierige Frage, denn wir sehen ja, in welche Richtung es geht. Ich mag das lineare Fernsehen. Ich bin da auch etwas oldschool. Über „Wetten, dass..?“ kann man streiten, aber ich bin damit groß geworden und wenn man es wieder sieht, holt das sehr viele positive Erinnerungen hoch. Dieses Gemeinschaftsgefühl vor dem Fernseher. Ich glaube einfach, man sollte nichts ausschließen. Man kann genauso gut mal hinterfragen: Wird es in zehn oder 20 Jahren noch lineares Fernsehen geben oder schauen wir eigentlich alle nur noch Mediathek? Das Szenario sollte man zumindest durchspielen.

Was man auch fragen sollte, ist, wie man den Teil der Gesellschaft erreicht, der sich nur noch über sogenannte alternative Medien informiert.

Ich finde das schwierig, denn du kriegst die Leute definitiv nicht zum Fernsehen oder zum Anschauen der „Tagesthemen“, indem wir jetzt plötzlich deren Inhalte zeigen. Ich habe vor kurzem beim ARD-Dialogtag mitgemacht, wo Menschen sich von überall bundesweit einschalten konnten und Feedback geben durften. So etwas sollten wir öfter machen. Man könnte diese Menschen eher erreichen, indem man selbst als „Tagesthemen“-Moderatorin vor Ort in eine Region geht und versucht, mit den Menschen direkt zu sprechen. Es betrifft ja nicht nur die, die ihre eigenen Blasen haben, sondern auch andere Schichten, andere Milieus. In der arabischen Community gibt es genug Leute, die sagen: „Ich fühle mich nicht angesprochen, weil gar nicht über meine Lebenswelt geredet wird.“

Du warst vor ein paar Jahren mal ziemlich ausgebrannt. Arbeits- oder Freizeit-Stress? Was war los?

Da kam einiges zusammen. Die Arbeit, das viele Pendeln, aber ja, auch viel privater Stress. Jeder, der mal einen Burnout hatte oder etwas ähnliches gespürt oder durchlebt hat, kennt dieses Gefühl, dass man sich darüber hinwegsetzt und einfach weitermacht. Dann kommt irgendwann der Punkt, wo der Körper nicht mehr will. So fühlte ich mich damals. Ich bin aber durch Veränderungen rausgekommen. Dazu war ich selbst noch imstande. Ich musste mir keine Hilfe holen, weil die von meiner Familie, meinem Umfeld kam, als sie mir gesagt haben: Aline, dir geht es nicht gut.

Also brauchst du Familie und Freunde, um es aus so einer Situation zu schaffen?

Das hat auch nicht jeder. Ich habe mittlerweile eine Therapeutin. So ein Safe Space, wo man Banales, aber auch Schwerwiegendes besprechen kann, der reicht manchmal schon.

Wie schaffst du es, dass du nicht wieder in so einen Strudel gerätst?

Schwierig. Man kann immer sagen: Die gemachten Fehler nicht noch mal machen. Ich habe mir früher zu viele Termine auf einen Tag gelegt. Heute mache ich maximal zwei Termine pro Tag und ziehe das auch durch. Das ist zwar nicht immer möglich und eine logistische Frage, aber es ist entlastend. Ein Termin kann auch ein Treffen mit einer Freundin oder ein Arztbesuch sein, denn du darfst nicht vergessen: Jedes Mal, wenn du losgehst, ist das eine Kraft, die du aufwendest. Das klingt jetzt total dramatisch, aber ich glaube, das ist in einer sehr chaotischen Welt gut. Gerade vielleicht in meiner Welt, wo ich sehr im Fokus der Öffentlichkeit stehe, habe ich gemerkt, dass ich meine Ruhezeiten brauche.

Sind Journalistinnen generell gute Kandidatinnen für einen Burnout?

Vielleicht. Gerade wenn du Freiberuflerin bist, arbeitest du ja gefühlt immer und hast keine richtigen Pausen. Natürlich kann man sich Sprechzeiten einstellen. Das ist eigentlich auch etwas, was ich mir mal vorgenommen hatte, was aber schwer realisierbar ist. Es hilft auch, sich einmal die Woche wirklich hinzusetzen, die Woche zu planen, die Tage einzeln anzugucken und zu überlegen: Schaffe ich das? Das ist mein Sonntags-Ritual.

Auf Familienbesuch im Libanon warst du 2006 hautnah dabei, als ein Krieg losging und musstest fliehen. Verblassen vor so einer Erinnerung manche Alltagssorgen?

Ja. Ich war damals 18 und habe vieles verdrängt und vergessen, aber es gibt Erlebnisse, die ich nicht aus dem Kopf kriege. Es gibt aber auch viele Erfahrungen, die ich danach gemacht habe in anderen Ländern. Ich war 2016 in Israel, Palästina und auch in Gaza. Nach den Eindrücken aus Gaza gab es für mich keine privaten Probleme mehr. Das ist jetzt leicht gesagt, denn natürlich gibt es Probleme, aber es bringt einen sehr schnell auf den Boden der Tatsachen zurück.

Was hat der Krieg in Europa mit dir gemacht?

Als der Angriff auf die Ukraine begann, war ich keiner der Menschen, die aufgeschrien oder Angst bekommen haben. Für mich ist es auch nah, wenn der Krieg im Jemen, in Libyen oder in Syrien ist. Das hängt vielleicht mit meiner Lebens-, meinen Auslandserfahrungen und meiner Nähe zu dieser Region zusammen. Ich bin mit Krieg und Krisen groß geworden. Also war es ein Schock, dass der Krieg begann, aber nicht, dass er so nahe ist.

Was macht dir angesichts von Kriegen und Krisen Hoffnung?

Ich sehe sehr viele tolle Sachen im Bereich Klimaschutz. Mir gefällt unsere Jugend und was für Menschen gerade heranwachsen. Hoffnung ist wichtig und Aufgeben ist für mich keine Option. In diesem Job wirst du so vollgepumpt mit Krieg und Krisen, abschalten ist da schwer möglich. Aber gleichzeitig sehe ich durch die Arbeit auch positive Entwicklungen, lerne Menschen kennen, die etwas bewegen wollen und können. Darin liegt Hoffnung.

This article is from: