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JaninaKugel

»DieFortsetzung desVergangenen reichtnichtaus«

Managerin und Aufsichtsrätin Janina Kugel über Altersarmut, Zuwanderungspolitik und den Wert des Wörtchens „Danke“

Frau Kugel, ich bin frisch zurück im Job aus der einjährigen Elternzeit. Jetzt arbeite ich in Teilzeit. Eine schlechte Idee?

Ich kenne Ihre beruflichen Ambitionen nicht. Grundsätzlich bin ich eher eine Freundin der flexiblen Arbeitszeit. Teilzeit wird sehr häufig nur von Frauen wahrgenommen. Das führt zu weniger Gehalt, weniger Rentenbeiträgen und meist auch zu weniger Beförderungen. Altersarmut trifft vor allem Frauen, die Kinder erzogen haben. Deshalb sollten sich Paare bei der Frage, wie sie ihr Leben mit Kind gestalten wollen, nie nur die momentane Situation anschauen, sondern immer mitdenken, wie das Arbeitsleben weitergeht und sich die CareArbeit teilen. Doch leider ist es bei der schlechten Betreuungsinfrastruktur in Deutschland für zwei Menschen in einer Beziehung schwierig geworden, voll zu arbeiten und Kinder großzuziehen. Ich bin froh, dass meine Kinder aus dem Kita-Alter raus sind und fühle mit den Eltern junger Kinder mit.

Bin ich jetzt als Mutter auf dem Arbeitsmarkt weniger wert?

Nein, auf gar keinen Fall. Warum sollten Sie? Es gibt unwahrscheinlich viele Fähigkeiten, die wir außerhalb unserer eigentlichen beruflichen Tätigkeit und gerade bei der Kindererziehung erwerben, dann aber im Job einsetzen können. Ob Sie sich als Trainerin im Sportverein engagieren oder eine Familie managen: Hier lernen Sie viel Neues.

Es kann also von Vorteil sein, in einer Bewerbung zu erwähnen, dass ich ein Kind habe?

Bei mir schon! Bei anderen leider nicht immer. Bei Bewerbungsprozessen in angelsächsischen Ländern wird gar nicht nach dem Geburtsdatum oder dem Familienstand gefragt. Ich kenne Organisationen, die gewisse Informationen im Lebenslauf „schwärzen“, um Personalentscheidungen möglichst ohne Bias zu treffen. Eine große Stiftung in den USA stellte beispielsweise fest, dass sie überproportional viele Absolvent*innen von IvyLeague-Unis einstellte, was für ihre Arbeit nicht optimal war. Als sie den Namen der Uni im Bewerbungsprozess unsichtbar machten, wurden deutlich mehr Nicht-Ivy-League-Talente eingestellt als vorher.

Was macht ein Unternehmen heute zu einem JaninaKugel

Jahrgang 1970, zählt seit ihrer Zeit als Personalvorständin bei Siemens zu den prominentesten Managerinnen Deutschlands. Seit 2020 ist sie Senior Advisor bei der Boston Consulting Group. Kugel ist Mitglied mehrerer Aufsichtsräte. Sie ist verheiratet und Mutter von TeenagerZwillingen

Foto: Picture-Alliance

wertvollen Arbeitgeber?

Eine Studie der Boston Consulting Group zeigt, wichtigste Kriterien für Mitarbeitende sind das gute Verhältnis zu den Kolleg*innen und zu ihren Führungskräften. Work-Life-Balance steht auf Platz drei. Es zeigt sich aber auch, dass nach der Corona-Krise die finanzielle Stabilität des Arbeitgebers und die Bezahlung wichtiger geworden sind. Was immer weit oben ist, aber von vielen nicht gesehen wird: die Wertschätzung der Leistung. Also nicht nur finanziell, sondern auch durch ein „Danke“ oder ein „Gut gemacht“.

Sie bemängeln, dass bei vielen Unternehmen eine Lücke zwischen Klimaversprechen und Wirklichkeit klafft. Was muss sich ändern, damit die Wirtschaft ihren Teil zur Weltrettung beiträgt?

Vage Versprechen wie „30 Prozent weniger bis 2030“ haben vor ein paar Jahren noch funktioniert. Heute immer weniger. Es geht darum, klare und messbare KPIs zu definieren und wissenschaftsbasierte Ziele, sogenannte Science Based Targets, festzulegen. So werden Aussagen vergleichbar. Wenn ich als Investor*in, Mitarbeiter*in oder Bürger*in nachvollziehen kann, wie ein Unternehmen vorgeht, habe ich auch ein größeres Vertrauen. Dazu gehört auch zu erklären, warum man eine gewisse Zeit braucht, um von A nach B zu kommen, und zu definieren, wie man da hinkommen will. Wenn Firmen in ihren Absichtsbekundungen und der Realität, die Mitarbeitende vor Ort erfahren, inkonsistent sind, wird es schwierig.

Können Großkonzerne in dieser Hinsicht etwas vom mittelständischen Sanitär-Fachbetrieb mit 50 Angestellten lernen?

Alle können von allen lernen, egal ob groß oder klein. Wer im Bereich ESG, also Environment, Social and Governance, etwas verändern will, dem sage ich ganz klar: Das sind keine Themen, die man mal eben so mitmachen kann. Dafür braucht es Menschen im Unternehmen, die Expertise haben.

Muss die Politik zu mehr Nachhaltigkeit oder Diversität zwingen? Oder geht es auch freiwillig?

Freiwilligkeit funktioniert nur dann, wenn die Notwendigkeit erkannt wird. Und das ist leider nicht immer der Fall. Ich hätte Ende 2020 nicht mit vielen anderen für die Frauenquote gekämpft, wenn ich geglaubt hätte, dass wir mit Freiwilligkeit allein weiterkommen.

In ganz Deutschland fehlen Pflegerinnen, Busfahrerinnen, IT-Personal. Was hilft gegen den Arbeitskräftemangel?

Zum einen müssen wir diejenigen in Arbeit bringen, die auf Arbeitssuche sind, aber auch diejenigen unterstützen, die mehr arbeiten können. Außerdem brauchen wir dringend mehr Zuwanderung in den Arbeitsmarkt. Schon heute haben wir 1,9 Millionen offene Stellen, was uns rund 85 Milliarden Euro jedes Jahr kostet. Beide Zahlen werden noch steigen, vor allem, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Die Bundesregierung hat ein neues Vor-

»MansollteVeränderungen anstoßen,solangeeseinem nochgutgeht,anstattzu warten,biseinemdieProbleme imNackensitzen«

haben für eine moderne Einwanderungspolitik auf den Weg gebracht, was ich sehr begrüße. Doch die Umsetzung wird nicht einfach. Die Prozesse sind weder digital noch schnell. Das müssen wir in den Griff bekommen, auch weil wir im internationalen Wettbewerb stehen, denn andere Länder stehen vor ähnlichen Herausforderungen. Sich als Einwanderungsland zu definieren, bedeutet auch, als Gesellschaft umzudenken. Wir dürfen nicht sagen: „Die Leute können froh sein, wenn sie zu uns kommen dürfen.“ Die Denke muss sein: „Wir können froh sein, wenn die Menschen zu uns kommen wollen.“ Bisher stammen die meisten Menschen, die in den deutschen Arbeitsmarkt kommen, aus europäischen Ländern. Wir brauchen aber auch neue Netzwerke in außereuropäische Länder mit einem höheren Anteil an jungen und auswanderungswilligen Menschen, die in ihrem eigenen Land keine oder nicht so gute Erwerbsmöglichkeiten sehen.

Was ist der beste Rat, den Sie je einem Unternehmen gegeben haben?

Ruhe dich niemals auf deinen Geschäftserfolgen aus. Die Fortsetzung des Vergangenen reicht nicht aus, um auch in der Zukunft noch erfolgreich zu sein. Man sollte sich ständig hinterfragen und relevante Veränderungen anstoßen, solange es einem noch gut geht, anstatt zu warten, bis einem die Probleme im Nacken sitzen.

Welchen Rat wollen Sie 2023 nicht mehr geben müssen?

Die Antwort auf die Frage: Wie kriege ich das mit der Flexibilität für meine Mitarbeitenden hin? Wir haben in den letzten Jahren gesehen und gelernt, wie viel Flexibilität möglich ist. Übrigens auch für Menschen, die Schichtarbeit leisten.

Welchen Rat müssen Sie selbst unbedingt noch in Ihrem Leben befolgen?

Bleib wachsam und agil, neugierig und mutig.

„Jetzt oder nie“, fordert der Weltklimarat. Ihr Buch heißt „It’s now“. Was sollten alle Arbeitnehmerinnen lieber jetzt als morgen machen?

Sich klar überlegen, wie sie auch in Zukunft noch employable bleiben. Sie kennen den alten Spruch: Du lernst nicht für die Lehrkraft, du lernst für dich selbst. Was Menschen an Fähigkeiten und Wissen erwerben, kann ihnen keiner mehr nehmen.

Und Firmen?

Sie sollten verstehen, dass sich das Unternehmen kontinuierlich weiterentwickeln muss, um den Herausforderungen der Zukunft gerecht zu werden.

Interview: Elisabeth Neuhaus

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