2 minute read

JagodaMarinić

JagodaMarinićist Autorin und Journalistin, hostet den Podcast „Freiheit Deluxe“ und hat eine eigene Kolumne im „stern“

18|Sehnenwirunsnach Nachrichten,Jagoda schlechten Marinić?

Lebst du schon oder doomscrollst du noch? Doomscrolling ist das Wort der Stunde. Es klingt so schön nach Weltuntergang und meint das zwanghafte, mitunter stundenlange Lesen von Nachrichten im Netz, die einem bestätigen, wie schrecklich die Welt ist – obwohl man weiß, das wird weder der Welt, noch dem eigenen Glücksgefühl gerecht.

Es ist, als wären fast alle doomsüchtig geworden: doomthinking, doomtalking, Hauptsache doom doom. In der Nacht, als im Ukraine-Krieg die Rakete in Polen einschlug, dauerte es keine drei Minuten, bis in den sozialen Medien der Dritte Weltkrieg trendete. Die Neurose der Masse ist man ja gewohnt, doch selbst seriöse Medienportale drehten schnell auf und entwarfen die schlimmsten Szenarien. Kurz darauf war der Vorfall besonnen aufgeklärt. Was bleibt, ist das Gefühl, in Zeiten zu leben, in denen die meisten so tun, als stünden wir an einer Klippe und es bräuchte nur einen Windstoß, um alle im Abgrund zu sehen.

Optimismus verbreiten? Das wagt kaum noch jemand. Es ist, als holten alle das Popcorn hervor, sobald es Negatives zu hören gibt. Wir starren wie hypnotisiert in den Abgrund, empören uns in Small Talks, als wären wir süchtig nach Schauermärchen.

Nach der Pandemie herrscht plötzlich Krieg in Europa und viele Menschen suchen nach einem Weg, mit der Krisennormalisierung unserer Zeit zu leben, ohne abzustumpfen. Noch mehr doomscrooling, noch mehr doomsnews werden sie auf Dauer nicht freiwillig konsumieren; wer informieren will, muss sich auch überlegen, was ist wertvoll für jene, die diese Informationen verarbeiten? Man muss hier und da auch von den Lösungen erzählen, von den Geschichten, die Hoffnung machen und die Handlungsoptionen aufzeigen.

Vor allem aber sollte man immer wieder anstreben, der Versuchung zu widerstehen, ein neues Doomsday an die Wand zu malen: Nicht bei jeder Rakete, die auf den Boden fällt, sollte man zwei Tage lang das WorstCase-Szenario durchspielen. Nicht jeder Alarm ist gerechtfertigt, nur weil er Klicks geriert. Die Rezipienten haben sich irgendwann müde und frustriert geklickt, bis sie sich erschöpft von der ewigen Ankündigung der Apokalypse abwenden.

Manchmal scheint es, große Teile der Medien bedenken nicht, dass Nachrichten heute nicht mehr – wie früher – maximal drei Mal täglich konsumiert werden, sondern diese durch die Mobilgeräte meist im Minutentakt in alle erdenklichen Alltagssituationen der Menschen platzen. Diese Dauerpräsenz erfordert neue Konzepte. Die gierige Suche nach hohen Abrufzahlen 24/7 muss mit einem neuen Handwerk einhergehen. Die Welt, die sich in diesen kleinen Geräten abbildet, sollte weit größer, vielfältiger, themen- und impulsreicher sein, als sie es bisher war.

This article is from: