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Feminismus: Chauvinismus 2.0!
findlichen Merkmalsvariante systematisch diskriminiert werden? Würden wir diese Quotenideologie konsequent in allen Bereichen zur Anwendung bringen, dann müssten nicht nur DAX-Unternehmen verpflichtet werden, erst dann wieder Menschen mit XY-Chromosom in den Vorstand zu berufen, wenn „genügend“ Menschen mit XX-Chromosom berufen wurden, sondern erst dann wieder Kindergärtnerinnen oder Krankenschwestern, wenn eine vergleichbare XY-Quote erreicht ist. In beiden genannten und allen anderen vergleichbaren Fällen würden junge Menschen aufgrund ihres eben nicht frei gewählten Geschlechts diskriminiert.
Vor diesem Hintergrund zeigt das Beispiel der Abschaffung der Sklaverei in den USA auch exemplarisch, dass eine staatlich verordnete Gleichberechtigung so lange kein ein besseres Miteinander garantiert, solange die Botschaft nicht in den Köpfen angekommen ist und im beruflichen, gesellschaftlichen und privaten Leben gelebt wird. Das gilt natürlich nicht nur für das Ende der Sklaverei, sondern auch für die Betreuung im Kindergarten oder die Pflege. Und deshalb bringt es mich auch so auf, dass die Politik dabei ist, weitreichende neue Ungerechtigkeiten zu schaffen und eine gesellschaftsspaltende Klientelpolitik damit letztlich zu zementieren. Ich wünsche mir weder eine männlich noch eine weiblich dominierte Welt. Auch keine der Weißen oder Schwarzen, der Jungen oder Alten. Ich wünsche mir, dass Diskriminierung jedweder Merkmale, insbesondere solcher, für die die Merkmalsträger nichts können, die sie weder wählen noch beeinflussen können, eben gerade nicht im Fokus steht, sondern geächtet wird. Empathie, die übrigens eigentlich die Basis unserer Kultur des „christlichen Abendlandes“ ist, gilt es zum hehren Ziel aller Bemühungen zu machen. Das Gesetz wäre so einfach, es ist seit Langem hinlänglich bekannt, die einfache wie geniale Botschaft lautet: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst“ (Quelle: Bibel) bzw. „Handle nur nach derjenigen Maxime, durch die du zugleich wollen kannst, dass sie ein allgemeines Gesetz werde“ (Immanuel Kant). Für mich liegt der Schlüssel in einer Reform der Bildung und Erziehung junger Menschen. Es muss sichergestellt werden, dass Kinder nicht nur das und so viel mitbekom- men, wie in ihrer Familie zufällig prävalent ist (was ja großenteils auch nicht Konsequenz einer informierten Willensentscheidung ist ...).
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Wie wäre es mit einem Menschentag statt einem Frauentag, einem Tag der Bürgerrechte, Tagen der irgendwelchen Partikularinteressen?
Vielleicht fragen Sie sich, was ein solches politisches Statement an dieser Stelle zu suchen hat. Sehr viel! Wir alle, die wir qua Approbation bzw. Facharztanerkennung die „Lizenz zum Helfen und Heilen“ bekommen haben, sind Merkmalsträger dieser Qualifikation. Das Geschlecht des jeweiligen Merkmalsträgers sollte für die kompetente Entscheidung keine Rolle spielen, ebenso wenig wie Hautfarbe und Herkunft (oder auch Glauben und andere persönliche Prioritätensetzungen fürs eigene Leben u.v.m.). Es wäre skandalös, würden wir eine chauvinistische oder feministische oder sonst diskriminierende Patientenversorgung betreiben. Wir sind für alle da. Das schwören wir seit zweieinhalb Tausend Jahren im Hippokratischen Eid. Ich fürchte, das reicht nicht mehr. Mischen wir uns ein, melden wir uns zu Wort, machen wir Druck, dass die Welt menschlicher wird, nicht weniger männlich, weiblich, schwarz oder weiß!
Karl-Ludwig Resch, Nürnberg
Originalarbeit
COVID-19: Frühzeitig einsetzende antivirale Therapie reduziert postakute Folgeerkrankungen, schwere Verläufe und Gesamtletalität 40 Barbara John
Aktuelle Therapiekonzepte F R Die Praxis
Neue Und Bew Hrte Arzneimittel
Zusammenfassung
Postakute Folgeerkrankungen („Long COVID“) betreffen derzeit geschätzte 65 Millionen Menschen, die sich mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert haben. Populationsbasierte Studien und Meta-Analysen untersuchten die Wirksamkeit von Nirmatrelvir/r in der klinischen Routinepraxis. Den Ergebnissen zufolge reduziert dessen frühzeitiger Einsatz unabhängig vom Impfstatus das Risiko für schwere Verläufe, Hospitalisierungen, postakute Folgeerkrankungen und Todesfälle. Die Ergebnisse sind konsistent mit den Daten der Zulassungsstudie EPIC-HR.
Schlüsselwörter: SARS-CoV-2, Coronavirus, COVID-19, postakute Folgeerkrankungen, PostCOVID-19-Syndrom, Long COVID, Nirmatrelvir/Ritonavir
SUMMARY
Post-acute sequelae affect millions of people who contract an infection with the SARS-CoV-2 respiratory coronavirus. A number of large population-based studies and meta-analyses examined the efficacy of nirmatrelvir/r in routine clinical practice. Early use of this specific antiviral agent reduces the risk of severe disease, hospitalization, post-acute sequelae, and death, regardless of the vaccination status. These data are consistent with the results of EPIC-HR, the pivotal trial of nirmatrelvir/r.
Keywords: SARS-CoV-2, coronavirus, COVID-19, post-acute sequelae, post COVID 19 syndrome, long COVID, nirmatrelvir/ritonavir
COVID-19: Frühzeitig einsetzende antivirale
Therapie reduziert postakute Folgeerkrankungen, schwere Verläufe und Gesamtletalität
Barbara John Abteilung für Gastroenterologie, Onkologie und Palliativmedizin, Krankenhaus Leonberg, Klinikverbund Südwest
Postakut auftretende und chronische Folgeerkrankungen einer Infektion mit dem Coronavirus SARS-CoV-21 betreffen Millionen Menschen, die sich mit dem Virus anstecken. Aktuellen Schätzungen zufolge leiden 10 % der bislang mindestens 651 Millionen Menschen, bei denen eine COVID-19-Erkrankung2 dokumentiert wurde, unter lang anhaltenden Symptomen [1]. Der Prävention solcher Infektionsfolgen kommt daher eine herausragende Bedeutung für die Reduktion der mit COVID-19 assoziierten Krankheitslast zu.
Long COVID
Der Begriff Long COVID bezeichnet alle gesundheitlichen Beeinträchtigungen, Erkrankungen und Verschlechterungen vorbestehender Beschwerden im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion, die nach Ende der akuten Krankheitsphase (definitionsge- mäß mindestens 4 Wochen nach Auftreten der ersten Symptome) in Erscheinung treten oder bestehen bleiben [2]. Er umfasst damit alle mit einer SARS-CoV-2-Infektion assoziierten gesundheitlichen Beeinträchtigungen jenseits der akuten Infektion.
Schätzungen des European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC) zufolge entwickelt im Mittel jede zweite an COVID-19 erkrankte Person mindestens eine Form von Post-COVID-Symptomatik, die per definitionem über mindestens 12 Wochen nach der akuten Infektion fortbesteht und nicht anderweitig erklärt werden kann [3]. Das ECDC weist jedoch darauf hin, dass in populationsbasierten Studien ohne nicht infizierte Vergleichspopulation die Häufigkeit von Symptomen, die ursächlich auf eine SARS-CoV2-Infektion zurückzuführen sind, überschätzt werden kann. So ermittelte eine mit Kontrollpopulation durchgeführte prospektive Kohortenstudie aus den Niederlanden für die Allgemeinbevölkerung einen Anteil von 12,7 % mit PostCOVID-Symptomatik [4].
Antivirale Medikamente
Zur ursächlichen Therapie der akuten Coronavirus-Erkrankung (COVID-19) sind in Deutschland derzeit zwei kleinmolekulare Substanzen zugelassen, welche die Replikation von SARS-CoV-2 hemmen: der Proteaseinhibitor Nirmatrelvir/r3 sowie das Nukleosidanalogon Remdesivir. Nirmatrelvir inhibiert die 3CLProtease von SARS-CoV-2 und verhindert damit die Prozessierung des viralen Polyproteinvorläufers in seine funktionsfähigen Untereinheiten. Nirmatrelvir/r ist zugelassen für die Behandlung von COVID-19 bei Erwachsenen, die zwar keine Sauerstoffsubstitution benötigen, jedoch ein erhöhtes Risiko haben, einen schweren COVID-19-Verlauf zu entwickeln [5] (Tab. 1).
Eine Reihe großer populationsbasierter Studien und Meta-Analysen untersuchte die Wirksamkeit von Nirmatrelvir/r in der klinischen Routinepraxis. Damit steht zur Beurteilung der Wirksamkeit und Sicherheit dieser Therapieoption über die Zulassungsstudien hinaus eine breitere Datenbasis zur Verfügung. Die folgende Übersicht stellt repräsentative Studien vor.
US-amerikanische Kohortenstudie zur Therapie mit Nirmatrelvir/r während der akuten Infektion
Eine anhand der medizinischen Datenbank des US-amerikanischen US Department of Veterans Affairs (VA) durchgeführte große retrospektive Kohortenstudie [6] analysierte die längerfristigen Therapieergebnisse bei Patienten,
3 Nirmatrelvir wird mit dem gegen SARSCoV-2 inerten Ritonavir (/r) als pharmakokinetischem Booster angewendet.
Risikofaktoren für einen schweren COVID-19-Verlauf
• Alter >60 Jahre
• Body Mass Index >25 kg/m2
• Raucher oder Exraucher
• Maligne Erkrankung
• Kardiovaskuläre Erkrankung
• Nierenerkrankung
• Lungenerkrankung
• Diabetes mellitus
• Hypertonus
• Immunologische Dysfunktion die im Zeitraum von März bis Juni 2022 im Rahmen der klinischen Routinetherapie während der akuten Phase einer SARS-CoV2-Infektion eine Behandlung mit Nirmatrelvir/r erhalten hatten.
Tabelle 1: In der VA-Studie vordefinierte Risikofaktoren für die Progression der SARS-CoV-2-Infektion zur schwerwiegenden COVID-19-Erkrankung [6].
In die Kohorte eingeschlossen wurden insgesamt 281.793 initial ambulant betreute Patienten mit SARS-CoV-2-Infektion und mindestens einem der vordefinierten Risikofaktoren (Tab. 1) für die Progression zu einer schwerwiegenden COVID-19-Erkrankung. Die Patienten der Nirmatrelvir/rGruppe (n = 35717) begannen binnen 5 Tagen nach dem Datum des ersten positiven PCR-basierten Nachweises von SARS-CoV-2 eine fünftägige ambulante Therapie mit Nirmatrelvir/r in der zugelassenen Dosierung (300/100 mg alle 12 Stunden).
Die Autoren verglichen die Verlaufsdaten dieser mit Nirmatrelvir/r therapierten Gruppe mit denen der kontemporären antiviral unbehandelten Kontrollgruppe von 246.076
Nirmatrelvir/r versus keine antivirale Therapie [* Reduktion statistisch signifikant anhand des 95%-Konfidenzintervalls]
Patienten aus derselben Kohorte. Diese hatten keine Therapie mit antiviralen Substanzen oder Antikörpern gegen SARS-CoV-2 in den ersten 30 Tagen der Infektion erhalten. Die Vergleichbarkeit der beiden Gruppen hinsichtlich ihrer Risikofaktoren wurde mit der Methode des Inverse Probability Weighting gewährleistet.
Analyse der postakuten Folgeerkrankungen und Todesfälle
Das primäre Zielkriterium der Auswertung war das Auftreten von mindestens 1 von insgesamt 13 verschiedenen postakuten Folgeerkrankungen (PAFE) der SARSCoV-2-Infektion im Zeitraum von 30 bis 180 Tagen nach der Infektion (Tab. 2). Bei Analyse der Verlaufsdaten zeigte sich, dass die früh einsetzende Behandlung mit Nirmatrelvir/r das Risiko für eine PAFE signifikant um 26 % reduziert hatte (Hazard Ratio [HR]: 0,74; 95%-Konfidenzintervall [KI]: 0,69 – 0,81). Das Risiko einer postakuten Hospitalisierung war um 24 % vermindert (relatives Risiko [RR]: 0,76; Abb. 1A), das eines letalen Verlaufs um 47 % (RR: 0,53; Abb. 1B).
Für 11 der 13 vor der Analyse definierten postakuten Folgeerkrankungen bzw. Folgesymptome der SARS-CoV-2-Infektion wurde eine signifikante Risikoreduktion beobachtet. Diese war in den Subpopulationen der ungeimpften, geimpften und mehrfach geimpften Patienten gleichermaßen nachweisbar, ebenso bei Patienten mit primärer SARS-CoV-2-Infektion oder Reinfektion.
Das Ausmaß der Risikoreduktion war in moderatem Umfang abhängig von der Art der Grunder-
A. Postakute Hospitalisierung
B. Tod
Abbildung 1: Die Rate postakuter Hospitalisierungen war nach Behandlung mit Nirmatrelvir/r um etwa 30 % niedriger als in der Kontrollgruppe ohne antivirale Therapie (A). Das Risiko für einen postakut letalen Verlauf war um annähernd die Hälfte geringer (B). Halbtransparente Bereiche: 95%-Konfidenzintervall).
krankung und demographischen Merkmalen (Bereich der HR: 0,66 – 0,80). Sie war am stärksten in der Altersgruppe über 70 Jahre (HR = 0,66) und bei Patienten mit chronischen Nierenerkrankungen (HR = 0,65).
Ergebnisse einer großen Kohortenstudie aus Kanada
Schwartz und Kollegen [7] untersuchten eine Kohorte von
177.545 Patienten mit SARSCoV-2-Infektion, davon 8.876 mit Nirmatrelvir/r behandelte Patienten und 168.669 nicht damit therapierte Kontrollpersonen. Die beiden Gruppen waren in Bezug auf demographische und klinische Merkmale nach IPTW-Gewichtung (Inverse Probability of Treatment Weighting) gut ausgeglichen. In der mit Nirmatrelvir/r behandelten Gruppe waren die Raten von stationären Aufnahmen und/ oder Todesfällen innerhalb von 30
Tagen nach Diagnose der Infektion im Vergleich zu der nicht therapierten Gruppe um signifikant 43 % reduziert (2,1 % versus 3,7 %; Odds Ratio [OR]: 0,56; 95%-KI: 0,47 – 0,67). Auch die Gesamtmortalität war um etwa die Hälfte vermindert (1,6 % versus 3,3 %; OR: 0,49; 95%-KI: 0,39 – 0,62).
Die Zahl der Behandlungen mit Nirmatrelvir/r, die den beobachteten Verläufen zufolge erforderlich war, um eine schwere COVID19-Erkrankung (d.h. mit stationärer Aufnahme oder letalem Verlauf) zu verhindern, betrug 62 (95%-KI: 43 – 80). Die entsprechenden Ergebnisse waren in den Subkohorten mit verschiedenem Alter (≥70 bzw. <70 Jahre), Impfstatus (0 vs. 1 – 2 bzw. ≥3 Dosen) und Komorbiditäten (n = 3 bzw. <3) jeweils konsistent [7].
Kohortenstudien aus den USA beobachten Effekt auf die Hospitalisierungsrate
In einer großen Kohortenstudie [8] des Kaiser Permanente Healthcare System (USA) verglichen Lewnard und Kollegen die Erkrankungsverläufe in gematchten Kohorten von SARS-CoV-2-infizierten Personen mit versus ohne Nirmatrelvir/r-Therapie (n = 7.274 bzw. 126.152). Eine bis zu 5 Tage nach Auftreten der ersten Symptome begonnene 5-tägige Therapie mit Nirmatrelvir/r reduzierte die Wahrscheinlichkeit einer Hospitalisierung und/oder des Versterbens binnen 30 Tagen nach dem ersten positiven SARS-CoV-2Test um 79,6 %.
Eine Analyse der Subpopulation, die im Vorfeld ihrer Infektion ≥2 Dosen eines SARS-CoV-2-Impfstoffs erhalten hatte (93,3% der Gesamtkohorte), ergab ähnliche Werte der Risikoreduktion.
Zhou und Mitarbeiter [9] stellten die Interimsanalyse einer laufenden populationsbasierten Kohortenstudie auf Basis von Daten des Optum-Gesundheitsnetzwerks in den USA vor. Die ausgewerteten Daten wurden im Zeitraum von Dezember 2021 bis Juni 2022 erhoben. Hauptkriterien für die Aufnahme in die Kohorte waren ein Alter ≥12 Jahre, ein positiver SARS-CoV-2-Test, eine COVID-19-Diagnose sowie ein hohes Risiko für einen schweren Erkrankungsverlauf auf Basis demographischer und/oder klinischer Merkmale. Imbalancen der Patientenmerkmale zwischen der Gruppe, die Nirmatrelvir/r erhielt (n = 2.808), und der Kontrollpopulation (n = 10.849) wurden mittels Propensity Score Matching abgeglichen.
Primäres Zielkriterium der Analyse war die Rate von infektionsbedingten stationärer Aufnahmen. Diese betrug binnen 30 Tagen nach COVID-19-Diagnose in der Nirmatrelvir/r-Gruppe 1,2 % gegenüber 6,9 % bei den nicht Behandelten, was einer Reduktion des Hospitalisierungsrisikos um 84 % entspricht (HR: 0,16; 95%KI: 0,11 – 0,22).
Ähnliches ergab die Auswertung des Zeitraums bis 15 Tage nach der COVID-19-Diagnose: In der Nirmatrelvir/r-Gruppe wurden 0,8 % stationäre Aufnahmen verzeichnet gegenüber 6,5 % in der Kontrollgruppe, entsprechend einer Risikoreduktion um 89 % (HR: 0,11; 95%-KI: 0,07 – 0,17).
Die relative Risikoreduktion war über alle Altersgruppen hinweg vergleichbar ausgeprägt und bei geimpften wie ungeimpften Patienten ähnlich. Die Effektstärke entsprach den Beobachtungen in der Zulassungsstudie EPIC-HR zu Nirmatrelvir/r (vgl. Insert) [10].
Nirmatrelvir/r bei Patienten mit hohem Risiko für Hospitalisierung und letalen Verlauf einer SARSCov-2-Infektion: Meta-Analyse von 10 Beobachtungsstudien
Mittlerweile wurde eine Reihe methodisch hochwertiger Studien zum Einsatz von Nirmatrelvir/r bei SARS-Cov-2-infizierten Patienten mit hohem Risiko für eine Hospitalisierung und/oder einen letalen Verlauf durchgeführt. Um deren Ergebnisse in der Gesamtschau zu erschließen, erstellten
Ergebnisse der zulassungsrelevanten Studie EPIC-HR
• In der randomisierten Studie [10] mit 2.246 Patienten reduzierte Nirmatrelvir/r (150 mg/100 mg) das Risiko für den Endpunkt „schwerer COVID-19-Verlauf“ versus Placebo um 87,8 %, wenn die Therapie binnen 5 Tagen nach Auftreten erster Symptome begonnen wurde (jeweils p < 0,001).
• Nirmatrelvir/r war in allen untersuchten Subpopulationen signifikant überlegen. Alle dokumentierten Todesfälle traten in der Placebogruppe auf.
• Am deutlichsten war die Risikoreduktion bei Patienten der Altersgruppe ab 65 Jahren (Reduktion um den Faktor 19,2 bzw. 6,6 bei jüngeren Patienten).
• Unter Nirmatrelvir/r war die Viruslast am 5. Behandlungstag um den Faktor 7,4 bzw. 4,9 geringer als in der Placebogruppe (p < 0,001).
Cheema et al. [11] die bislang umfangreichste gemeinsame Meta-Analyse der beiden Zulassungsstudien (EPIC-HR [10] und EPIC-SR [12]) mit 10 beobachtenden Kohortenstudien zur Behandlung mit Nirmatrelvir/r. Insgesamt wurden die Daten von über 360.000 Patienten ausgewertet.
Die primären Zielkriterien waren die Hospitalisierungsrate und die Gesamtmortalität. Für ihre Vergleichsberechnungen verwendeten die Autoren die validierte GRADE-Methodik des Cochrane Network für Meta-Analysen [13]. Den Ergebnissen zufolge verminderte Nirmatrelvir/r in der Gesamtpopulation signifikant sowohl die Gesamtmortalität (relative Reduktion um 76 %) als auch die Hospitalisierungsrate (relative Reduktion um 59 %) im Zusammenhang mit SARS-CoV-2 Infektionen. Die Befunde der eingeschlossenen Beobachtungstudien waren konsistent mit denen der beiden Zulassungsstudien zu Nirmatrelvir/r (EPIC-HR und EPIC-SR). Übereinstimmung bestand auch in den Patientengruppen mit und ohne vorbestehende Immunität und in allen untersuchten Altersgruppen. Es gab keine Hinweise auf einen Publikationsbias [11].
Ergebnisse für die wichtigsten Subpopulationen
Die Reduktion der Hospitalisierungsrate durch die Therapie mit Nirmatrelvir/r war erwartungsgemäß bei Personen mit gesicherter Infektion, aber ohne nachweisbare Antikörper gegen SARS-CoV-2 stärker ausgeprägt als bei Patienten, die bereits eine humorale Immunität gegen das Virus aufgebaut hatten (RR: 0,27 gegenüber 0,45); der Unterschied war jedoch nicht signifikant. Das Alter der Patienten (≥65 versus <65 Jahre) hatte keinen wesentlichen Einfluss auf die Reduktion der Hospitalisierungsrate durch Nirmatrelvir (RR: 0,26 bzw. 0,29). Das Risiko für einen letalen Verlauf hingegen war bei Patienten ab einem Alter von 65 Jahren um die Hälfte reduziert (RR: 0,49). In eine der ausgewerteten Studien waren gezielt Patienten ab 40 Jahren aufgenommen worden – auch hier war die Reduktion des Risikos eines letalen Verlaufs (RR: 0,21) statistisch signifikant (p ≤ 0,05). Hinsichtlich therapieassoziierter unerwünschter Ereignisse (UE) und schwerwiegender UE bestanden keine signifikanten Unterschiede zwischen mit Nirmatrelvir/r behandelten Patienten und der Vergleichspopulation [11].
Empfehlungen des RKI
Große populationsbasierte Studien und Meta-Analysen von Be-
Antivirale Therapie bei Long COVID?
Der Einsatz von Nirmatrelvir/r bei Patienten mit bereits bestehendem Long COVID-Syndrom wird ab Anfang 2023 im Rahmen prospektiver randomisierter Studien untersucht – ausgehend von der Hypothese, dass eine anhaltende virale Antigenämie zu der protrahierten Symptomatik beiträgt [19, 20]. Publizierte Fallberichte legen nahe, dass Patienten mit länger persistierenden Beschwerden von der antiviralen Therapie profitieren können [21, 22].
obachtungsstudien stützen den frühen Einsatz von Nirmatrelvir/r bei Patienten mit SARS-CoV2-Infektion und Risikofaktoren für einen schweren Verlauf der COVID-19-Erkrankung. Den Ergebnissen zufolge ist die Gabe von Nirmatrelvir/r assoziiert mit signifikant reduzierten Risiken für eine
Risikofaktoren für einen schweren Verlauf, die laut STAKOB eine antivirale Frühtherapie begründen
• Alter ab 50 – 60 Jahre
• Immunsuppression (durch Grunderkrankung oder medikamentös bedingt, etwa bei rheumatologischen Erkrankungen, oder nach Stammzell- oder Organtransplantation)
• Aktive Tumorerkrankung
• Chronische Nierenerkrankungen, auch Dialysepflichtigkeit
• Kardiovaskuläre Erkrankungen
• Diabetes mellitus
• Chronische Lungen- und Lebererkrankungen
• Sichelzellanämie oder Thalassämie
• Trisomie 21
• Adipositas mit Body Mass Index >35 postakute Folgeerkrankung sowie für schwerwiegende und letale Verläufe. Übereinstimmend mit den Daten der hier vorgestellten Studien und weiterer populationsbasierter Analysen [14, 15] sowie basierend auf der vorangegangenen prospektiven Zulassungsstudie [10] empfiehlt die Fachgruppe COVRIIN des Robert Koch-Instituts den Einsatz von Nirmatrelvir/r als ein Medikament der ersten Wahl zur antiviralen Frühtherapie bei Patienten mit Risikofaktoren für einen schweren Verlauf (Tab. 3) und Symptombeginn bzw. vermutetem Infektionszeitpunkt von bis zu 5 Tagen [16, 17].
Tabelle 3: Risikofaktoren für einen schweren Verlauf von COVID-19, die unabhängig vom Impfstatus eine Indikation zur antiviralen Therapie mit Nirmatrelvir/r (oder Molnupiravir*) in der Frühphase einer Antigen-positiven SARS-CoV-2 Infektion begründen – nach Angaben der Fachgruppe STAKOB (Ständiger Arbeitskreis der Kompetenz- und Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger) des Robert-Koch Instituts [18].
* Nach Angabe von STAKOB unterlegen im indirekten Vergleich.
Literatur
1 Davis HE, McCorkell L, Vogel JM et al. Long COVID: major findings, mechanisms and recommendations. Nat Rev Microbiol 2023;21:133-146
2 Koczulla AR, Ankermann T, Behrends U et al. AWMF S1-Leitlinie Long/Post-COVID. Robert-Koch-Institut, Stand 17. August 2022
3 European Centre for Disease Prevention and Control (ECDC). Prevalence of post COVID-19 condition symptoms: A systematic review and meta-analysis of cohort study data stratified by recruitment setting. Oktober 2022; https://www.ecdc.europa.eu/sites/default/files/documents/Prevalence-post-COVID-19-condition-symptoms.pdf
4 Anaya JM, Rojas M, Salinas ML et al. Post-COVID syndrome. A case series and comprehensive review. Autoimmun Rev 2021;20:102947
5 Fachinformation Paxlovid® (Nirmatrelvir/ Ritonavir); Stand: Januar 2023
6 Xie Y, Choi T, Al-Aly Z. Association of treatment with nirmatrelvir and the risk of post-COVID-19 condition. JAMA Intern Med 2023; e230743
7 Schwartz KL, Wang J, Tadreous M, et al. Real-world effectiveness of nirmatrelvir/ ritonavir use for COVID-19: a population-based cohort study in Ontario, Canada. Can Med Ass J (CMAJ) 2023; 195: E220-E226.
8 Lewnard JA, McLaughlin JM, Malden D et al. Effectiveness of nirmatrelvir-ritonavir in preventing hospital admissions and deaths in people with COVID-19: a cohort study in a large US health-care system. Lancet Infect Dis 2023;S14733099(23)00118-4
9 Zhou X, Scott PK, Liang C et al. Realworld effectiveness of nirmatrelvir/ritonavir in preventing hospitalization among patients with COVID-19 at high risk for severe disease in the United States: a nationwide population-based cohort study. https://doi.org/10.1101/2022.09.13. 22279908 (preprint)
10 Hammond J, Leister-Tebbe H, Gardner A et al. Oral nirmatrelvir for high-risk, nonhospitalized adults with COVID-19. N Engl J Med 2022;386:1397-1408
11 Cheema HA, Jafar U, Sohail A et al. Nirmatrelvir-ritonavir for the treatment of COVID-19 patients: a systematic review and meta-analysis. J Med Virol 2023; 95:e28471
12 Evaluation of protease inhibition for COVID-19 in standard-risk patients (EPICSR). https://clinicaltrials.gov/ct2/show/ NCT05011513
13 The GRADE working group 2022. https://www.gradeworkinggroup.org; Zugriff 6.2.2023
14 Aggarwal NR, Molina KC, Beaty LE et al. Real-world use of nirmatrelvir/ritonavir in outpatients with COVID-19 during the era of omicron variants including BA.4 and BA.5 in Colorado, USA: a retrospective cohort study. Lancet Infect Dis 2023;S1473-3099(23)00011-7
15 Dryden-Peterson S, Kim A, Kim AY et al. Nirmatrelvir plus ritonavir for early COVID-19 in a large U.S. health system: a population-based cohort study. Ann Intern Med. 2023;176: 77-84
16 Fachgruppe COVRIIN des Robert-KochInstituts. COVID-19: Medikamentöse und nicht-medikamentöse Therapieempfehlungen nach Erkrankungsphase. Orientierungshilfe für Ärztinnen und Ärzte (pdf; Stand 6.12.2022; Zugriff 03.03.2023)
17 Fachgruppe COVRIIN des Robert-KochInstituts. Hinweise zu Therapie und Versorgung bei COVID-19; https://www.rki. de/DE/Content/Kommissionen/COVRIIN/Therapie_Versorgung/FG_COVRIIN_ Therapie_Versorgung_node.html; Zugriff 10.3.2023
18 Ständiger Arbeitskreis der Kompetenzund Behandlungszentren für Krankheiten durch hochpathogene Erreger am RobertKoch-Institut (STAKOB). Hinweise zu Erkennung, Diagnostik und Therapie von Patienten mit COVID-19. Stand: 8.2.2023
19 SARS CoV-2 viral persistence study (PASC) – study of long COVID-19 (PASC); clinicaltrials.gov/ct2/show/NCT 05595369 (Zugriff 6.2.2023)
20 A decentralized phase 2 efficacy and safety study of nirmatrelvir/ritonavir in adult participants with long COVID (PAXLC). https://clinicaltrials.gov/ct2/ show/NCT05668091 (Zugriff 6.2.2023)
21 Peluso MJ, Anglin K, Durstenfeld MS et al. Effect of oral nirmatrelvir on long COVID symptoms: 4 cases and rationale for systematic studies. Pathog Immun 2022;7:95-103
22 Visvabharathy L, Orban ZS, Koralnik IJ. Case report: treatment of long COVID with a SARS-CoV-2 antiviral and IL-6 blockade in a patient with rheumatoid arthritis and SARS-CoV-2 antigen persistence. Front Med (Lausanne) 2022; 9:1003103
Anschrift der Verfasserin:
Dr. med. Barbara John
Geschäftsführende Chefärztin
Abteilung für Gastroenterologie, Onkologie und Palliativmedizin
Krankenhaus Leonberg, Klinikverbund
Südwest
Rutesheimer Straße 50
71229 Leonberg b.john@klinikverbund-suedwest.de
Die Hidradenitis suppurativa (HS, auch Acne inversa genannt) ist eine systemische, chronisch-entzündliche Hauterkrankung, die zu schmerzhaften, potenziell irreversiblen entstellenden Läsionen führen und damit nicht nur die Lebensqualität, sondern auch die psychische Gesundheit der Betroffenen stark beeinträchtigen kann. Kennzeichnend sind wiederkehrende entzündliche Knoten unter der Haut, die sich zu schmerzhaften kutanen bis subkutanen Abszessen mit Eiterbildung und schließlich zu entzündeten Hauttunneln bzw. Fisteln entwickeln, die häufig übelriechende Sekrete abgeben (Abb. 1). Prädilektionsstellen sind die Axilla, die Perinealregion, die Genitalregion und der Kopf [1]. Die Hidradenitis suppurativa tritt in der Regel nach der Pubertät auf und begleitet die Patienten meist über mehrere Jahrzehnte.
In Deutschland sind aktuell etwa 25.000 bis 50.000 Personen von der Erkrankung betroffen, wobei eine hohe Dunkelziffer vermutet wird [2]. Zwischen der Erstmanifestation und der Diagnosestellung vergehen in manchen Fällen bis zu 10 Jahre [3]. Die derzeit verfügbaren medikamentösen Therapieoptionen sind begrenzt und können ergänzend eine weit ausgedehnte chirurgische Exzision mit anschließender Transplantatdeckung der betroffenen Bereiche erfordern. Alternativ kann eine ablative Lasertherapie versucht werden [4]. Um den Betroffenen ein von der Erkrankung möglichst unbeeinträchtigtes Leben zu ermöglichen, bedarf es daher neuer, lang anhaltend wirksamer und verträglicher Therapien.
Vielversprechend ist der Einsatz von Biologika, die durch Hemmung der entzündungsfördernden