STATIUS VON MÜNCHHAUSEN DAS LEBENSBILD EINES FRÜHEN EUROPÄERS IM SPIEGEL SEINER ZEIT

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Grabstein des Statius von Münchhausen in der St. Johanniskirche Bevern

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Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-95954-116-9 © Bernd Krämer Alle Rechte vorbehalten, insbesondere das Recht auf Vervielfältigung und Verbreitung sowie Übersetzung. Kein Teil dieses Buches darf in irgendeiner Form ohne schriftliche Genehmigung des Verlags und des Autors reproduziert oder unter Verwendung elektronischer Systeme verarbeitet, vervielfältigt oder verbreitet werden Holzminden, 2021 · www.mitzkat.de Abbildung Umschlag: halbplastische Darstellung des Stifters Statius von Münchhausen in der St. Johanniskirche Bevern Abbildung Umschlagrückseite: Das Kerbschnittmuster entstand auf der Grundlage des gotischen Vierpasses und galt als das besonders in der Weserrenaissance vorherrschende Schmuckmotiv der Sandsteinquader. Dabei war es ein uraltes Schmuckmotiv schon in den frühen Kulturen Mesopotamiens und des Islam - vgl. die drei Motive oben links. Beim Schloss Bevern kam das Kerbschnittmuster erstmalig und letztmalig zurück auf das Holz der Innenhoflisenen am Obergeschoss, vgl. die vier zentralen Motive.


Bernd Krämer

STATIUS VON MÜNCHHAUSEN DAS LEBENSBILD EINES FRÜHEN EUROPÄERS IM SPIEGEL SEINER ZEIT

Herausgegeben vom Freundeskreis Schloss Bevern e.V. Verlag Jörg Mitzkat Holzminden, 2021


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STATIUS VON MÜNCHHAUSEN

INHALTSVERZEICHNIS VORBEMERKUNGEN

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I. DAS 16. JAHRHUNDERT – EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH DES WELTBILDES

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1. DIE GEOGRAPHISCHEN ENTDECKUNGEN – DIE NEUE WELT/AFRIKA/ASIEN

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2. HERRSCHAFTSSTRUKTUREN IM EUROPA DES 16. JAHRHUNDERTS

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3. NORDDEUTSCHLAND IM 16. JAHRHUNDERT

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4. DER BEGINN DER GELDWIRTSCHAFT IM 16. JAHRHUNDERT

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II. KULTUR ALS IDENTITÄTSFINDUNG UND REPRÄSENTATIONSRITUAL 1. GLAUBE UND MACHT – GLAUBENSKULTUR

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2. WISSENS- UND BILDUNGSKULTUR

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3. KOMMUNIKATIONSKULTUR – MALEREI / PLASTIK / LITERATUR

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4. TAFEL- UND MUSIKKULTUR

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5. BAUKULTUR UND GARTENKULTUR

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III.LEBEN UND WIRKEN DES STATIUS VON MÜNCHHAUSEN

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1. DIE FAMILIE VON MÜNCHHAUSEN

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2. CURRICULUM VITAE DES STATIUS VON MÜNCHHAUSEN

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3. DIE PFAND- UND ERBLEHEN DES STATIUS VON MÜNCHHAUSEN

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4. BAUAKTIVITÄTEN DES STATIUS VON MÜNCHHAUSEN

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IV. EIN RESUMEE 1. STATIUS VON MÜNCHHAUSEN ALS BAUHERR

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2. REZEPTIONSGESCHICHTE SCHLOSS LEITZKAU UND SCHLOSS BEVERN 207 3. SCHLOSS BEVERN – EIN BAUDENKMAL VON NATIONALER BEDEUTUNG

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QUELLEN- UND LITERATURNACHWEIS

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VORBEMERKUNGEN

VORBEMERKUNGEN

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nde 2021 wird der Bund Bildender Künstler BBK Niedersachsen im Schloss Bevern seinen fünften Aktionsort im Rahmen seiner Jubiläums-Landesausstellung ‘d-plaziert‘ mit künstlerischen Aktivitäten organisieren und hat als thematische Ankerfigur Statius von Münchhausen, also den Bauherrn dieses adeligen Hauses 1603-1612, vorgegeben – ob damit eine künstlerische Rehabilitation des in der Vergangenheit so nachhaltig diskreditierten Statius von Münchhausen intendiert ist, wird sich zeigen. Schon im Jahr der Weserrenaissance 1996 gewann das Schloss Bevern landesweite Aufmerksamkeit, konnte als die für die Renaissance bundesweit vorbildlichste Bauanlage ermittelt, aber leider wegen fehlender niedersächsischer Mittel nicht Zentrum der Feierlichkeiten werden – Schloss Brake bei Lemgo wurde zentraler Ausstellungsort dank ausreichender Finanzierungsmöglichkeiten durch die nordrheinwestfälische Landesregierung. Durch ehrenamtliche Initiative wurde der Landkreis Holzminden im Jahr der Weserrenaissance zumindest ein ‘kulinarisches Zentrum‘. Vierundzwanzig Gaststätten des Landkreises aktualisierten einzelne Momente der bürgerlichen Tafelkultur der Renaissance und entwickelten daraus spezielle Angebote. Ganz ohne Kartoffel, denn diese kam mit Johann Georg von Langen erst im 18. Jh. in den braunschweigischen Weserdistrikt. Seit 1984 hatte sich der Landkreis Holzminden bemüht, Schloss Bevern von der Gemeinde Bevern zu übernehmen, ließ eine umfassende ‘Technische Bestandsaufnahme‘ als Bausubstanzuntersuchung anfertigen und gab auf deren Grundlage alternative Nutzungskonzepte und darauf aufbauende Vorentwürfe in Auftrag. Als Impulsnutzung wurde nach einem DEHOGA-Gutachten zu drei Gastronomie-Konzepten bzw. Vorentwürfen im Nordwestbereich ein Schlossrestaurant mit gehobenen Anspruch in der ehemaligen Schloss-Küche entwickelt. Immer jeweils drei alternative Detailvorschläge dienten als breitere Entscheidungsbasis für den Bauherrn und die beratende Denkmalpflege. Der Schlosshof konnte für Konzerte und Veranstaltungen genutzt werden. Er wurde insbesondere für eine jährliche Aufführung der ‘bremer shakespeare-company‘ mit einem Brunnen als Hommage an den Renaissance-Baumeister Schickardt und den italienischen Architekten Carlo Scarpa gestaltet und sollte als zentraler Spielort einer ‘Shakespeare-Bühne‘ nutzbar sein. Die restaurierte Schlosskapelle wurde für Trauungen, Konzerte und Veranstaltungen, auch durch den ‘Freundeskreis Schloss Bevern‘, immer intensiver genutzt. Im Ostflügel fand das Kulturamt und die Archäologie des Landkreises eine neue Heimat. Und im Nordwest-Bereich des Obergeschosses wurden Ausstellungsräume als Provisorium geschaffen, in denen der Kunstkreis Holzminden seine Jahresausstellungen und sieben Grafiktriennalen organisieren konnte. Auch große Themen-Ausstellungen wie ‘Die Ostgoten‘, ‘Die Vandalen‘ u.a. konnten in diesem Ausstellungsbereich realisiert werden. Dies alles wurde durch das kulturelle Engagement des Kreisverwaltungsdirektors Thomas Veil möglich, nach dessen Weggang als Landrat von Halberstadt leider das Engagement der Kreisverwaltung merklich nachließ. Erst mit dem Beitritt des Landkreises zum Kopfprojekt ‘Erlebniswelt Renaissance‘ wurde im Oberge-

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STATIUS VON MÜNCHHAUSEN

schoss des Westflügels eine Ausstellung konzipiert mit dem Titel ‘Geld regiert die Welt – Ist Münchhausen noch zu retten?‘, die die alten örtlichen Ressentiments der Wilhelmsstift-Zeit (‘Bist du nicht artig, kommst du nach Bevern‘) reaktivierte und den Bauherrn dieses Adelssitzes, Statius von Münchhausen, als Bankrotteur diskreditierte. Der frühere Spruch über dem Tor vom Innenhof zum Lustgarten (Palatium pulchrum – nisi emigrandum) wurde, nach zweifelhaften Behauptungen eines örtlichen Chronisten, als Bekenntnis des Statius v.M. zu seinen ‘waghalsigen‘ Finanzaktionen interpretiert. Jede annähernd gründliche Recherche hätte ergeben, dass Statius v.M. des ‘Schreibens wenig kundig‘ war, schon gar kein Latein beherrschte und dieser Spruch nachweislich von Herzog Ferdinand Albrecht I. nach dessen Einzug 1668 in das herzogliche Jagdhaus Bevern appliziert wurde. Mit einer Vielzahl von Sinnsprüchen in allen Räumen des Schlosses Bevern hat Herzog Ferdinand Albrecht I. nicht nur die ‘herzogliche Apanageresidenz Bevern‘ begründet, den ehemaligen Adelssitz zum ‘Schloss‘ gewandelt und sich als fleißiges Mitglied der ‘Fruchtbringenden Gesellschaft‘ im anhaltinischen Köthen ausgewiesen. Den lustigsten Sinnspruch hatte der Herzog an der als Kerker genutzten ehemaligen Pulverkammer anbringen lassen: Böser Belzials Buben Behausung. Zum 400. Jubiläum des Schlosses Bevern 2012 hat dann der Festredner, immerhin Direktor des Staatsarchivs Wolfenbüttel und ‘bester Kenner der Geschichte des Adelsgeschlechtes von Münchhausen‘, dem Bauherrn des Adelssitzes Bevern ‘den ersten Millionenkonkurs in der niedersächsischen Geschichte‘ angedichtet. Spätestens dadurch entstand die Idee, mit einer intensiveren Darstellung der zeitgenössischen Lebensumstände des Statius v.M. seine Lebensleistung herauszuarbeiten und ihn zu rehabilitieren: Statius von Münchhausen – das Lebensbild eines frühen Europäers im Spiegel seiner Zeit. Das Leben des Statius v.M. (1555-1633) war selbstverständlich von den tiefgreifenden politischen, gesellschaftlichen, religiösen, wirtschaftlichen und kulturellen Umbrüchen des 16. Jahrhunderts geprägt. Diese Handlungsebenen müssen in ihren oszilierenden Wechselwirkungen dargestellt werden, um ihre Wirkungen auf den Lebenshintergrund des Statius v.M. herausarbeiten zu können. Mit den Entdeckungen der großen Seefahrer entstand ein völlig neues Bild von der Welt wie vom Menschen, das auch viele Glaubensdoktrinen der Kirche in Frage stellte, was nicht zuletzt zu kritischen Hinterfragungen der kirchlichen Glaubenslehren und am Ende u.a. zu den Reformationsbewegungen führte. Die neue Münzwirtschaft / Geldwirtschaft ermöglichte bisher unbekannte Finanzierungsmöglichkeiten, aber auch den Missbrauch durch Falschgeld und Münzbeschneidung – blühende Konjunkturen wechselten mit gravierenden Rezessionen. Die höfische wie die bürgerliche Welt des Alltags erfuhren bewusste Gestaltungen – diese Kultur des Alltags diente der affirmativen Identitätsfindung und in Szene gesetzter Repräsentationsrituale. Der von Gutenberg erfundene Buchdruck ermöglichte eine ganz neue Kultur der Kommunikation, der Bildung und des Wissens und diese neue Wissenskultur führte auch zur Gründung vieler Universitäten, die neben dem hohen und niederen Adel auch bürgerlichen Schichten offenstanden. Die höfische Tafelkultur förderte auch die sie begleitende Musikkultur und verdeutlicht ihre vordergründige Repräsentationsfunktion. In verschiedenen Familienkreisen des Adels wurden bald auch Mässig-


VORBEMERKUNGEN

keitsvereinbarungen getroffen, um die überbordende Repräsentationslust zu zügeln. Die neue bürgerliche Esskultur dagegen zielte mit den von Apothekern verfassten Kochbüchern eher auf Diät und damit auf gesunde Ernährung. Die Baukultur des hohen und niederen Adels wie auch die bürgerliche Baukultur des 16. Jahrhunderts entwickelte nach dem Beispiel der italienischen Renaissance repräsentative Bauformen mit einem ganzen Kanon manieristischer, auf den Zeitgeschmack ausgerichteter Fassadengliederungen (z.B. nach dem Goldenen Schnitt), und Bauauschmückungen, die das neue Selbstbewusstsein der jeweiligen Bauherren spiegelten. Die fürstlichen wie die adeligen Gartenanlagen verdeutlichen dies in besonders anschaulicher Weise. So soll an jeweils zwei gegensätzlichen oder geographisch unterschiedlichen Beispielen der verschiedenen kulturellen Ebenen, die sich alle wechselseitig beeinflussten, in quasi multiperspektivischer Sicht der Zeitgeist des 16. Jahrhunderts veranschaulicht werden und als Spiegel für den Lebenshintergrund des Statius v.M. dienen. Vor diesem Hintergrund wird der familiäre Hintergrund und das Curriculum vitae des Statius v.M. anhand authentischer Archivalien dargestellt: die Astimation des Hauses Bevern durch Statius v.M. 1617, die Werdierung des Hauses Bevern von 1620, die Leichpredigt des beveraner Pastors Andreas Compertus auf Statius v.M. 1633, das Inventarium des Hauses Bevern von 1652, das Inventarium des Hochadeligen Hauses Leitzkau von 1675 die ‘Geschlechtshistorie des Hochadeligen Hauses der Herren von Münchhausen‘ von Gottlieb Samuel Treuer von 1740 und die intensive Auseinandersetzung mit münchhausischen Archivalien durch Albert Neukirch, Bernhard Niemeyer und Karl Steinacker in ‘Renaissanceschlösser in Niedersachsen‘ von 1939. Albert Neukirch war wahrscheinlich der Letzte, der das Testament des Statius v.M. von 1629 im Landeshauptarchiv Hannover gelesen hat, bevor es am Ende des 2. Weltkrieges durch Löschwasser zerstört wurde. Daraus werden auch die spezifischen Beziehungen des Statius v.M. zu den jeweiligen Landesherrn seiner Erb-und Pfandlehen, den Grafen von Hoya, den wolfenbüttelschen Herzögen Julius, Heinrich Julius, Friedrich Ulrich und August d.J. und den brandenburgischen Kurfürsten erkennbar, die seine infrastrukturellen Entwicklungsmaßnahmen wie auch seine Bauten genehmigen mussten – jeder wasserumgebene Adelshof bedurfte z.B. immer landesherrlicher Genehmigung. Mit einem Resumee kann dann die persönliche Lebensleistung des Statius v.M. und mit der Rezeptionsgeschichte der Schlösser Leitzkau und Bevern deren baugeschichtliche Bedeutung herausgearbeitet werden.

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DAS 16. JAHRHUNDERT – EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH

I. DAS 16. JAHRHUNDERT EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH DES WELTBILDES

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it der Expansion des Osmanischen Reiches und der Einnahme Konstantinopels 1453 durch Sultan Mehmed II. (1451-81) war der Landweg nach China wie auch zu den Gewürzen Indiens und Ostindiens abgeschnitten. Das veranlasste die Seefahrernation Portugal, dann Spanien und später Frankreich, Holland und England Seewege nach Indien zu suchen, wofür zunächst vor allem verlässliches Kartenmaterial notwendig wurde. Die nebenstehende Karte des Paolo dal Pozzo Toscanelli von 1474 zeigt, wie gering die Kenntnis der Welt westlich Gibraltars war. Westlich von Afrika vermutete er nur Cipango ( Japan), Mangi (Süd-China)und Cathay (Nord-China). Die großen Seefahrer bereiteten ihre Reiseprojekte mit dem intensiven Studium aller verfügbaren Karten vor, die auf der Grundlage des geozentrischen Weltbildes des Ptolemäus (um 150 n. Chr.) entstanden, wie z.B. die mittelalterlichen Portolankarten. Jede Navigation auf den Meeren erforderte gute Kenntnisse der Sternenpositionen, die mit Hilfe von Jakobstab und Gunter-Quadrant beobachtet wurden. Die sich dadurch rasant entwickelnde Astronomie ließ bald auch das antike geozentrische Weltbild (die Sterne kreisen um die Erde) durch ein heliozentrisches Weltbild (die Erde wie die Sterne kreisen um die Sonne) ersetzen. Wie sich damit Mathematik, Physik, Astronomie, Medizin, Kunst und Geisteswissenschaften entwickelten, öffnete sich der Blick auf die sichtbare Welt – das neue Weltbild bedeutete einen tiefgreifenden Umbruch des Weltbildes und gleichermaßen des Bildes vom Menschen. Auch frühere Reisebeschreibungen wie die des Marco Polo von China nach Venedig (ersch.1298), des irischen Mönches Brendan über den Atlantik oder das ‘Imago Mundi‘ des Pierre d‘Ailly (1410) wurden intensiv studiert, weil jedes solcher Seefahrt-Projekte argumentativ untermauert werden musste, um finanziert zu werden, und damit unter Erfolgszwang stand. So dokumentierten die Seefahrer jede ihrer Reisen zur Rechtfertigung gegenüber ihren Finanziers und machten ihre Seefahrten praktisch wie theoretisch nachvollziehbar. Die neu entdeckten Inseln und Kontinente veränderten selbstverständlich auch die Herrschaftsstrukturen in Europa – die Kolonisierung dieser neuen Welten wurde zu einer weiteren Variante des Machtzuwachses neben der Heiratspolitik, der Bündnispolitik oder den traditionellen kriegerischen Auseinandersetzungen.


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Abb.1 Karte von Paolo dal Pozzo Toscanelli von 1474

Es sollen nicht nur die jeweiligen Fakten aufgeführt, sondern vor allem auch die damit verbundenen persönlichen Schicksale dargestellt werden, um einen möglichst lebendigen, nachvollziehbaren Zeitspiegel entwickeln zu können. Mit Blick auf den Weserraum wirkten sich die verändernden Herrschaftsstrukturen in Europa über das habsburgische Kaiserreich auch auf die Fürstentümer Norddeutschlands und den gesellschaftlichen Alltag aus. Handel und Gewerbe veränderten sich grundlegend mit dem aufkommenden, neuen Münzwesen, das ganz neue Möglichkeiten des Kredites, des Erwerbs und des Handels mit dem Ziel der Gewinnmaxierung über Zinsen schuf. Es machte gleichermaßen aber auch Betrug durch Falschmünzerei oder Vertrags-Manipulationen möglich.


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DAS 16. JAHRHUNDERT – EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH

I.1 Die geographischen Entdeckungen Astronomie und Kartographie im 16.Jh.

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ie Standortbestimmung eines Schiffes auf See erfolgte über Kompass (Richtungsbestimmung), Jakobsstab (Winkelbestimmung) und Gunterquadrant (Zeitbestimmung/ Azimut der Sonne) – auf diese Weise konnte eine Seereise auch kartiert und damit dokumentiert werden. Die entstehenden Seekarten setzten gute mathematische, geographische und astronomische Kenntnisse voraus, wurden als ‘geheim‘ eingestuft und monopolistisch zentral gesammelt – für Portugal in der Zentralbehörde der überseeischen Territorien in der ‘Casa da India‘ in Lissabon, für Holland bei der Ostindischen Gesellschaft und für Spanien in der ‘Casa de Contratacion‘ in Sevilla. Das mittelalterische geozentrische Weltbild wandelte sich zum frühneuzeitlichen heliozentrischen Weltbild und ließ nunmehr die gesamte Kartographie aufblühen. Interessant ist die Wandlung der Portolankarte von Paolo dal Polo Toscanelli (1397-1482) von 1474 zum Globus von 1492 des Martin Behaim (1457-1507) – die hier erkennbare Insel Sant Brendan muss als Versuch gesehen werden, den Reisebericht (565-573 n.Chr.) des irischen Mönches Brendan mit seinen Entdeckungen zu berücksichtigen. Nach aktueller Interpretation können das aber nur die fünf Inseln der Azoren mit ihren Vulkanen gewesen sein und nicht das später so genannte Amerika. Der Arzt, Mathematiker, Astronom und Kartograph Paolo dal Pozzo Toscanelli (1397-1482) zeichnete 1472 eine Weltkarte, um seine Idee von einem westlichen Seeweg nach Asien zu entwickeln. Er korrespondierte mit Christoph Kolumbus, der auf Porto Santo nordöstlich von Madeira sein Projekt eines westlichen Seeweges nach Indien zu konkretisieren versuchte, und sandte ihm seine Karte (vgl. Abb. 1). Martin Behaim (1459-1507) war ein deutscher Kaufmann

und Kartograph, der in Antwerpen seine kaufmännische Ausbildung erhielt. Er heiratete die Tochter eines flämischen Gouverneurs der Azoren-Insel Fayal und zeichnete dort 1492 die Portolankarte des Toscanelli in einen Globus um (vgl. Abb.2). Der deutsche Kartograf Martin Waldseemüller (14731520) war Professor für Kosmologie in St. Dié /Vogesen. Er beschrieb die Reisen des italienischen Seefahrers Amerigo Vespucci und erstellte die erste Weltkarte, auf der er die Landmassen im Westen nach Amerigo Vespucci, dem Entdecker der Atlantikküste des heutigen Brasiliens, als ‘Amerika‘ bezeichnete (Abb. 3). Der Mathematiker, Astronom, Kosmograph und Kartograph Peter Apian (1495-1552) beobachtete den Halleyschen Kometen 1531 und erkannte, dass der Kometenschweif stets

Abb.2 Globus des Martin Behaim von 1492


ASTRONOMIE UND KARTOGRAPHIE

Abb.4 Mercator-Weltkarte von 1569

Abb.3 Kartenausschnitt der Waldseemüller-Weltkarte

in die der Sonne entgegengesetzte Richtung zeigte – eine der wesentlichen Grundlagen für ein heliozentrisches Weltbild. Der flämische Geograph und Kartograph Gerhard Mercator (1512-1594), der zu seiner Zeit als herausragender Kosmograph, Theologe und Philosoph galt, erlangte mit seiner großen Weltkarte (vgl. Abb. 4) von 1569 Weltruhm – seine theologisch geprägte Weltgeschichte ‘Chronologia‘ kam auf dem Konzil von Trient 1563 konsequent auf den Index der katholischen Kirche. Der Astronom, Arzt, Mathematiker und Kartograph Nikolaus Kopernikus (1473-1543) war auch Domherr und Administrator des Fürstbistums Ermland. Er beschrieb mit seinem Hauptwerk 1543 ein heliozentrisches Weltbild, was die ‘Kopernikanische Wende‘ in den Geschichtswissenschaften bezeichnete und damit den Übergang vom Mittelalter zur Neuzeit markierte. Der protestantische Astronom, Physiker, Mathematiker, Naturphilosoph und zeitweise Astrologe (z.B. für Generalissimus Wallenstein) Johannes Kepler (1571-1630) wurde nach der Zusammenarbeit mit Tycho Brahe (bis 1601) kaiserlicher Mathematiker am Hof Kaiser Rudolf II. in Prag, dann bei Kaiser Matthias und Kaiser Ferdinand II. in Wien – er begründete

mit seinen Erkenntnissen das heliozentrische Weltbild wissenschaftlich. Galileo Galilei (1564-1641) war Philosoph, Mathematiker, Ingenieur, Physiker, Astronom und Kosmologe, also ein typischer Universalgelehrter und Begründer der neuzeitlichen exakten Naturwissenschaften. Er lehrte zunächst in Pisa, dann im venezianischen Padua und wurde schließlich Hofmathematiker des Großherzogs der Toskana, seinem ehemaligen Schüler Cosimo II. de Medici. Einer seiner Förderer in Florenz war der Erzbischof Barberini, der 1623 zum Papst Urban VIII. (1568, 1623-44) gewählt wurde und Galileo Galilei weiterhin ermunterte, das Kopernikanische Weltbild zu vertreten. Seine Auseinandersetzung mit dem geozentrischen Weltbild des Tycho Brahe und dem heliozentrischen Weltbild des Johannes Kepler fand zunächst große Anerkennung, u.a. des toskanischen Großherzogs Ferdinando II. de Medici, brachte ihn aber dann in Konflikt zum aggressiv-gegenreformatorischen Dominikaner-Orden, der ihm den Prozess vor dem Inquisitionsgericht in Rom machte, ihn zum Tode verurteilen und nach seinem Widerruf des kopernikanischen Weltbildes das Todesurteil zu einem zehnjährigen Hausarrest wandeln ließ. Sein ‘gehauchter‘ Ausspruch nach dem Urteil ‘und sie bewegt sich doch‘ soll allerdings eine nachträgliche Erfindung sein. Erst 1992 wurde Galileo Galilei von der römisch-katholischen Kirche voll rehabilitiert.

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Die ,Neue Welt‘ der Spanier

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er Genuese Christoph Kolumbus (1451-1506) war ein italienischer Seefahrer zunächst in französisch-genuesischen, dann in kastilischen Diensten. Sein Grundstudium in Latein und Mathematik an der Universität Padua war die wichtige Voraussetzungh für seine späteren Kenntnisse der Kosmographie und Kartographie. Ab 1477 lebte er in Lissabon, wo sein Bruder Bartolomeo als Kartograph tätig war. Christoph Kolumbus heiratete in Portugal Filipa de Perestrelo, deren Vater Bartolomeo Perestrelo (1395-1458) an der Entdeckung und Besiedlung von Madeira ab 1419 beteiligt und Gouverneur von Porto Santo nordwestlich von Madeira war. Kolumbus lebte eine Zeit lang auf Porto Santo, war dort möglicherweise Vertreter eines Genueser Handelshauses für Zuckerhandel und studierte die Seekarten, Logbücher und Dokumente aus dem Nachlass seines Schwiegervaters. Das Kapinat von Porto Santo hatte zu dieser Zeit Correia da Cunha inne, der mit einer Stiefschwester seiner Frau Filipa verheiratet war. Zu dieser Zeit muss Kolumbus begonnen haben, sich intensiv mit einer westlichen Reise nach Asien zu beschäftigen, korrespondierte mit Toscanelli, der ihm seine Weltkarte (vgl. Abb. 1) sandte und wohl auch die Anregung, sich mit der Reisebeschreibung Marco Polos (‘Il Milione‘) zu beschäftigen. Im Museum von Sevilla ist eine Abschrift des ‘Il Milione‘ mit zahlreichen Anmerkungen von Kolumbus erhalten. Geheime Logbücher potugiesischer Seefahrer aus dem Nachlaß seines Schwiegervaters gaben ihm Aufschluss über Strömungen und Winde des Antlantiks. Er erkannte, dass man die Passatwinde südlich der Kanarischen Inseln Richtung Westen und auf nördlicheren Breiten Richtung Osten nutzen könnte für eine Westreise nach Indien wie zu einer Rückreise nach Europa. Weiter entwickelte Christoph Kolumbus 1490 zusammen mit seinem Bruder Bartolomeo eine eigene Seekarte, in die

wohl alle Erkenntnisse seiner Studien einflossen. Er benötigte diese Seekarte insbesondere als potentielle Argumentationshilfe gegenüber möglichen Unterstützern (vgl. Abb. 5). Nun benötigte Kolumbus nur noch die Unterstützung eines Staates oder Staatsoberhauptes. Um 1484 konnte er seine detailliert ausgearbeiteten Pläne einer Expeditionsfahrt Richtung Westen dem portugiesischen König Johann II. (1455-95) vorstellen, aber dessen Räte zogen seine Entfernungsberechnungen in Zweifel und lehnten ab. Auch eine zweite Begegnung mit König Johann II. führte zu keiner Einigung, weil gerade Bartolomeo Diaz die Südspitze Afrikas umsegelt hatte und damit die Ostroute nach Indien bestätigte. Nun hoffte Kolumbus auf Unterstützung durch das spanische Königspaar, die sich 1486 und 1491 aber noch im Krieg gegen das Emirat von Granada befand. Nach dem Sieg Spaniens über Emir Muhammad XII. begannen im Januar 1492 neue Verhandlungen mit den spanischen Königen – in der Kapitulation von Santa Fé vom April 1492 wurden Kolumbus ‘ein Zehntel der zu erwartenden Einnahmen aus wertvollen Metallen, der erbliche Titel eines ‘Admirals der Meere‘ und die Statthalterschaft über die von ihm entdeckten Gebiete‘, zugesichert. Das von den spanischen Königen zur Verfügung gestellte Kapital über 2.500 Dukaten musste durch genuesische Kaufleute noch auf 2.900 Dukaten aufgestockt werden. Schon am 3. August 1492 stach Kolumbus mit 4 Schiffen in See. Schiffsreparaturen machten einen einmonatigen Aufenthalt auf La Gomera/Kanarische Inseln notwendig und dann begann die Fahrt ins Unbekannte. Am 12. Oktober 1492 erreichten die Schiffe die Neue Welt auf einer Insel der Bahamas. Kolumbus glaubte sich auf einer Insel südlich von Cipango / Japan und wollte auf direktem Weg nach Westen die chinesische Stadt Quinsay / Hangzhou erreichen. Auf der Weiterfahrt entdeckte Kolumbus auch Kuba und Hispaniola, das die erste Kolonie des spanischen Königreichs


DIE ,NEUE WELT‘ DER SPANIER

Abb. 5 – Seekarte der Kolumbus-Brüder von 1490

in der Neuen Welt und Kolumbus ihr Gouverneur und Vizekönig wurde. Am 14. März 1493 erreichte Kolumbus seinen Starthafen in Spanien. Kolumbus wurde mit einem Triumphzug durch Spanien gefeiert und seine Privilegien wurden bestätigt – der BorgiaPapst Alexander VI. bestätigte mit einer Bulle das Anrecht Kastiliens auf alle entdeckten und noch zu entdeckenden Gebiete 100 Seemeilen westlich der Kapverden. Nach dem Versprechen von Kolumbus, er könne den spanischen Majestäten ‘soviel Gold, wie sie brauchen‘ und ‘so viele Sklaven, wie sie nachfragen‘, mitbringen, startete Kolumbus am 25. Sept.1493 mit 17 Schiffen und 1500 Leuten von Cadiz aus zu seiner zweiten Reise nach ‘Westindien‘. Dabei entdeckte Kolumbus die Inseln Domenica, Guadeloupe, Montserrat, An-

tigua und Nevis und nahm diese Inseln der Kleinen Antillen in spanischen Besitz. Auf der Suche nach dem westlich vermuteten chinesischen Festland entdeckte er Jamaica und Puerto Rico. Zurück auf Hispaniola, musste er einen Aufstand der Taino niederschlagen, die zunächst freundlich gesinnt waren, aber von seinen Truppen schikaniert wurden. Er versklavte 1.600 Tainos und verschiffte 550 als Sklaven nach Spanien, wobei die Hälfte der Sklaven starb. Die Überlebenden wurden nach ihrer Ankunft in Spanien auf Betreiben von Königin Isabella freigelassen und in ihre Heimat zurückgebracht, weil die spanischen Majestäten die Versklavung der Ureinwohner schon vor der zweiten Reise verboten hatten. Sie hatten vielmehr auf das versprochene Gold gehofft, das Kolumbus aber bisher trotz des

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Einsatzes von Sklaven nicht finden konnte – wenn ein Sklave kein Gold fand, wurden ihm die Hände abgehackt. Auf seiner dritten Reise 1498-1500 entdeckte Kolumbus die Inseln Trinidad und Tobago, sichtete einen nördlichen Mündungsarm des Orinoco und damit den südamerikanischen Kontinent, den er zunächst im Logbuch als ‘Neue Welt‘ bezeichnete, dann aber doch als zu Asien gehörende Gegend. Sein Bruder Bartolomeo verwaltete währenddessen die Insel Hispaniola, gründete hier Santo Domingo, teilte den spanischen Siedlern Land und Indios als Sklaven zu und intensivierte die Suche nach Gold. Nach Spanien zurückgekehrte Siedler beschuldigten die Brüder Kolumbus, die Verwaltung der Kolonie Hispaniola nicht im Griff zu haben, woraufhin der spanische Hof Kolumbus als Gouverneuer 1499 absetzte und Francisco de Bobadilla zum neuen Gouverneur von Hispaniola ernannte. Nach dessen Ankunft am 23. August 1500 ließ der neue Gouverneur die Kolumbus-Brüder verhaften und in Ketten nach Spanien bringen. Vom Königspaar wurden dann beide begnadigt, Christoph Kolumbus aber nicht wieder in seine Ämter eingesetzt. Möglicherweise war der Grund dafür, dass Vasco da Gama 1498 auf einer Süd-Ost-Route um Afrika herum den ersehnten Seeweg nach Indien entdeckt und dort ein portugiesisches Monopol begründet hatte. Kolumbus ließ sich 1502 eine vierte West-Reise von den spanischen Königen genehmigen und brach schon am 11. Mai 1502 mit seinem Sohn Fernando und seinem Bruder Bartolomeo, vier Schiffen und 125 Männern Richtung Westen auf. Er traf auf das mittelamerikanische Festland westlich Jamaika und suchte dort noch immer eine Passage nach China. Nach Aufgabe des 4. Schiffes, der Vizcaina, bei Portobello 1502 strandete die Expedition auf Jamaika und überlebte nur durch Handel mit den Indigenos – dabei nutzte er auch seine astronomischen Kenntnisse, z.B. einer totalen Mondfinsternis am 29. Januar 1504 , und musste nach Kämpfen mit den Eingeborenen und

einer Meuterei noch ein Jahr in der Festung Jamaika zur Reparatur der lecken Schiffe verweilen. Kurz nach seiner Rückkehr nach Spanien starb seine Gönnerin Königin Isabella von Kastilien am 26. November 1504 – damit sank sein Stern am spanischen Hof. Christoph Kolumbus starb am 20. Mai 1506 in Valladolid. Der italienische Kaufmann, Seefahrer, Navigator und Entdecker Amerigo Vespucci (1454-1512) arbeitete seit 1482 in der Medici-Filiale in Sevilla, beteiligte sich an mehreren Reisen unter spanischer oder portugiesischer Flagge zur Ostküste Südamerikas und berichtete darüber in seinem Reisebericht ‘Monus Novus‘ 1503, mit dem er diese Neue Welt als eigenen Kontinent und nicht als Teil Asiens bezeichnete. Der deutsche Kartograph Waldseemüller zeichnete diese Ostküste Südamerikas in seiner Weltkarte von 1507 und nannte das Hinterland nach Vespucci erstmalig ‘America‘ (vgl. Abb. 3). Die spanische Königin ernannte ihn 1508 zum ‘Piloto Major‘, wodurch er für die jeweilige Aktualisierung des ‘Padron Real‘ verantwortlich wurde, der Landkarte, auf der alle Neuentdeckungen festgehalten wurden. Der portugiesische Seefahrer Ferdinand Magellan (14851521) sollte 1518 im Auftrag des jungen spanischen Königs Carlos I. (1600-1658) eine Westroute zu den Gewürzinseln suchen. 1505-15 nahm Magellan an den portugiesischen Vorstößen in Afrika und Malakka teil – dort befreundete er sich mit Francisco Serrao, der später als erster Europäer auf die ­Molukken ging und von dort brieflich über den Reichtum an Gewürznelken berichtete. 1513 kam Magellan mit einer Gewürzflotte zurück nach Portugal und beteiligte sich danach an einer Strafexpedition des Herzogs Jaime de Braganza gegen die marokkanische Stadt Azemmour, verlor dabei sein Pferd und wurde am Knie verwundet, weshalb er später hinkte. Mit dem Vertrag vom 22. März 1518 erhielten Magellan und sein Partner Rui Faleira von Carlos I. den Auftrag, inner-


DIE ,NEUE WELT‘ DER SPANIER

halb (!) der spanischen Welthälfte ‘Inseln und Festländer zu entdecken, reiche Gewürzvorkommen und andere Dinge‘. Als Lohn für ‘Mühsal und Gefahr‘ sicherte der König ‘ein Fünftel vom Reingewinn zu, die Gouverneurschaft über die neuentdeckten Länder, ein Zwanzigstel aller Steuereinnahmen und jährlich 1000 Dukaten steuerbegünstigt, um Handel treiben zu können‘. Die zu entdeckende Meerenge zum Pazifik sollte 10 Jahre allein von Magellan und Faleiro genutzt werden dürfen. Beide Abb. 6 Die erste Weltumsegelung 1518-22 Partner sollten ein Jahresgehalt von 50.000 Maravedis mit der Bedingung erhalten, am 25. August 1518 in See zu stechen. den Globus umsegelt und den Nachweis erbracht, dass die Erde Nun mussten fünf geeignete Schiffe gefunden, z.T. gegen tatsächlich eine Kugel und keine Scheibe ist. Entschädigung beschlagnahmt, generalüberholt, kalfatert, neu Damit hatte Spanien aber auch den Fuß in portugiesisches getakelt und bewaffnet werden. Erst am 20. September 1518 Interessensgebiet gesetzt, das nach dem Vertrag von Tortesillas stach die Flotte mit 5 Schiffen und 239 Mann in See. Schlech- von 1492 eigentlich tabu für Spanien war. Die spanische Kolotes Wetter, Meutereien und schließlich der Wintereinbruch nisation der ‘Neuen Welt‘ endete in erniedrigender Christianiließen die verbleibenden 3 Schiffe erst am 28. November 1520 sierung, grausamer Ausbeutung und nachhaltiger Zerstörung den Pazifik erreichen, für dessen Überquerung dann weitere indigener Kulturen. vier Monate notwendig wurden. Nach Skorbut und extremem Mangel an Essens- und Wasservorräten war die Flotte gezwungen, zunächst die Insel Homonhon, dann Cebu und schließlich Mactan anzulaufen, wo es am 27. April 1521 zur Katastrophe kam: Bei Auseinandersetzungen mit dem Häuptling Lapu Lapu auf Mactan wurde Ferdinand Magellan getötet. Mit nur noch einem Schiff und 18 Mann erreichte der Boostmann Elcano die spanische Heimat am 6. Sptember 1522, hatte damit

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DAS 16. JAHRHUNDERT – EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH

Afrika und Indien der Portugiesen

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it dem portugiesischen König Johann I. (1357, 1385 – 1433) aus dem Hause Avis konnte der kastilische Anspruch auf Portugal abgewiesen werden, begann die langzeitige Bündnispolitik mit England und sein vierter Sohn Heinrich der Seefahrer (1394-1460), der übrigens nie zur See fuhr, begründete Portrugal als führende Seefahrernation: • 1418 wurde die zu Madeira gehörende Insel Porto Santo (wieder-) entdeckt • ab 1425 wurden Madeira und Porto Santo besiedelt • ab 1431 begann die Besiedlung der Azoren • 1441 wurde in Lagos (heute Nigeria) die erste portugiesische Karavelle gebaut • 1444 wurden am Cabo Verde (heute Senegal) neue Gebiete im Landesinneren entdeckt • 1445 wurde in Lagos eine Handelskompagnie mit Monopolstellung für den Handel mit Afrika gegründet • 1445 wurde auf der Insel Arguim vor Mauretanien ein portugiesischer Handelsposten eröffnet, mit dem Portugal in den Sklavenhandel einstieg • 1460 wurden die Kapverdischen Inseln entdeckt und besiedelt • 1471 eroberten die Portugiesen Tanger von den Mauren • 1482 Gründung der Festung Elmina an der Goldküste und • 1488 erreichte Bartolomeu Diaz das Kap der Guten Hoffnung Waren zunächst christliche Missionsabsichten für die Eroberungen an der afrikanischen Atlantikküste vorherrschend, wichen diese bald vordergründig wirtschaftlichen Interessen, bis hin zum Sklavenhandel. Bis zum Tode Heinrichs wurden mehr als 2000 Seemeilen der westafrikanischen Küstengewässer befahren, kartographiert und im ‘Casa da India‘ monopolistisch

verwaltet. Die christlichen Orden in Portugal gewannen immer mehr Einfluss auf die Politik. Als Entdecker des Seeweges nach Indien galt der Portugiese Vasco da Gama (1469-1524), der das Vertrauen seines Königs Manuel I. (1469, 1495-1521) genoss und den Auftrag erhielt, den noch fehlenden Seeweg vom Kap der Guten Hoffnung nach Indien zu erkunden. Am 8. Juni 1497 verließ da Gama mit vier Schiffen, einem Transportschiff und 170 Mann Besatzung Lissabon, segelte unter Ausnutzung günstigerer Winde einen weit nach Westen ausholenden Kurs nach St. Helena, umrundete das Kap der Guten Hoffnung, folgte der afrikanischen Küste nach Mombasa, wo arabische Kaufleute seine Weiterfahrt zu hindern suchten, und fand im konkurrierenden Malindi die Freundschaft des Sultans, der ihm einen Navigator zur Überfahrt nach Indien zur Verfügung stellte. Am 20. Mai 1498 landete Vasco da Gama nahe Calicut und konnte am 8. Oktober 1498 voll beladen mit Gewürzen die Rückreise nach Portugal antreten. König Manuael I. ehrte da Gama mit dem erblichen Titel ‘Dom‘, einen ‘Admiral des Indischen Meeres‘ und später einem Grafen von Vidigueirei. Im Dezember 1521 starb König Manuel I., sein Nachfolger Johann III. (1502, 1521-1557) ernannte Vasco da Gama zum ‘Vizekönig von Indien‘ und sandte ihn mit seinen Söhnen Estevao und Paulo nach Indien, um die Misswirtschaft und Korruption des dortigen Gouverneurs im ‘Estado do India‘ zu beenden. Drei Monate nach Ankunft in Indien starb Vasco da Gama 1524. Sein ältester Sohn Francisco folgte dem Vater als Graf von Vidigueirei. Estevao wurde königlicher Gouverneuer von Elmina (Goldküste), dann von Malakka und 1540-42 elfter Gouverneur des ‘Estado da India‘ in Goa. Paulo war 1533-34 königlicher Gouverneur von Malakka – sein Bruder Christovoa fand 1542 auf einer Expedition zum sagenumwobenen König Johannes nach Äthiopien den Tod. Bruder Pedro war 1548-52 königlicher Gouverneur von Malakka, ihm folgte der


AFRIKA UND INDIEN DER PORTUGIESEN

jüngste Bruder Alvaro de Ataide 1552-54 in diesem Amt. Die Familie da Gama beherrschte also über ein halbes Jahrhundert den Ostindienhandel Portugals. Um den Gewürzhandel mit Indien und Malakka auszubauen, beauftragte König Manuel I. 1500 den Seefahrer Pedro Alvares Cabral (1465-1520) mit einer 2. Indienexpedition. Am 9. Mai 1500 startete Cabral mit insgesamt 13 Schiffen und 1500 Mann, darunter so berühmten Seeleuten wie Bartolomeo Diaz und Nicolao Coelho, von Lissabon aus zu den Kapverdischen Inseln und dann unter Umgehung der Süd-Nord-Strömungen der westafrikanischen Antlantikküste in einem weiten westlichen Bogen, um die west-östlichen Passatwinde des Südatlantiks zu finden. Dabei erkundeten sie die Westküste Brasiliens bei (heute) Porto Seguro / Bahia, deren Existenz wohl durch frühere Expeditionen schon bekannt war, und nahmen dieses Land für die portugiesische Krone in Besitz – das kleinste Schiff der Flotte schickte Cabral nach Portugal zurück, um dem König Kunde zu geben von der Inbesitznahme für die Krone. Am 29. Mai 1500 setzte Cabral seine Fahrt Richtung Osten fort, verlor beim Kap der Guten Hoffnung vier Schiffe mitsamt ihrer Mannschaften (u.a. Bartolomeo Diaz, den Entdecker dieses Kaps 12 Jahre zuvor) und erreichte am 16. Juli Sofala im

Abb.7 Caprals Indienexpedition 1500, Hinweg rot, Rückweg blau

heutigen Mozambik. Auf der Weiterfahrt an der ostafrikanischen Küste brachte die Flotte einen arabischen Segler auf – an Bord war ein Onkel des omanischen Herrschers von Melinde, der der Flotte zwei arabische Piloten für die Weiterreise nach Indien zur Verfügung stellte. Am 13. September 1500 landete die Flotte in Calicut, wo es bald zu heftigen Auseinandersetzungen mit arabischen Händlern kam, die ihr Gewürzhandelsmonopol in Gefahr sahen. Cabral konnte in Calicut und im südlicheren Cochin portugiesische Faktoreien gründen und trat mit reicher Gewürzfracht am 16. Januar 1501 die Rückfahrt nach Lissabon an. Die portugiesische Kolonisation der indischen Westküste, Malakkas und der Molukken-Inseln ging nunmehr konsequent weiter: • 1505-15 wurde unter Vizekönig Francisco de Almeida (1450-1510) und dem Gouverneur von Indien Alfonso de Albuquerque (1453-1515) der ‘Estado do India‘ mit dem Aufbau befestigter Stützpunkte und Faktoreien fortgeführt und die Gewürzroute bis zu den Molukken entwickelt • 1509 verschaffte die Vernichtung einer arabischen Flotte in der Seeschlacht von Diu den Porugiesen die vollständige Seeherrschaft über den Indischen Ozean • 1510 Alfonso de Albuquerque besetzte Goa • 1511 Eroberung Malakkas • 1513 wurde Timor portugiesisch • 1514 Eroberung weiter Teile Marokkos von den Arabern • 1515 Alfonso de Albuquerque erobert das omanische Hormus • 1557 Portugal erwarb Macau als ersten europäischen Vorposten in China • Unter König Johann III. (1502, 1521-1557) erreichte das portugiesische Kolonialreich seine größte AusdehnungBrasilien wurde besiedelt, die Inseln Sao Tomé e Principe vor der afriknischen Westküste besetzt und der Seehandel zwischen Europa und China sowie Japan erschlossen.

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DAS 16. JAHRHUNDERT – EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH

Norden Wasser Schwarz Schildkröte Winter

Metall Weiß Tiger Herbst

Feuer Rot Vogel Sommer Süden Abb. 9 5 Himmelsrichtungen mit Zuordnungen von Elementen, Farben, Lebewesen und Jahreszeiten

Osten

Erde Goldgelb Mensch Hochsommer

Holz Blaugrün Drache Frühling

Westen

Mitte


DER FERNE OSTEN IM 16. JAHRHUNDERT

Der Ferne Osten im 16. Jahrhundert China – das Reich der Mitte

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eit Konfuzius (Wissen öffnet gesellschaftliche Schranken) und Laotse (der Weg ist das Ziel) wurde die Gesellschaft wie die Kultur in China (Chung hwa = Mitte Reich) von einer konsistenten Gesellschaftstheorie und einem konsequent entwickelten Weltbild geprägt, deren Grundlage zwei Mandalas bildeten: TIEN YÜAN – TI FANG = der Himmel (tien ) und alles Natürliche ist rund (yüan), alles Irdische (ti) ist rechteckig, im Idealfall quadratisch (fang). YIN – YANG = universales Prinzipienpaar, das auch widerstrebende Miteinander zweier Prinzipien, männlich – weiblich, gebend – empfangend, aktiv – passiv, stark schwach, nicht entweder – oder, sondern sowohl – als auch.

Auf diese Weise geordnet, war individuelle Identitätsfindung möglich. Das taoistische duale Prinzip des YIN-YANG spielte eine wichtige Rolle in der chinesischen Philosophie wie der traditionellen Medizin. In Verbindung mit der Feng-Shui (Wind-Wasser) -Methode entstand eine feinsinnige Geo-

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ausreichende Orientierung als innerhalb dieses Weltbildes

Abb. 10 Taijitu, das Symbol für indiviuelles Yin-Yang

Der gesammte Kosmos der Chinesen war durch die Zahl FÜNF geordnet, wobei sich alle Kategorien konsequent aufeinander bezogen: • fünf Himmelsrichtungen: Osten, Süden, Westen, Norden und, wie um die Ordnung noch etwas zu präzisieren, die Mitte • fünf Elemente: Wasser, Holz, Feuer, Metall und Erde • fünf symbolische Farben: schwarz, blaugrau, rot, weiss und goldgelb • fünf symbolische Lebewesen: Schildkröte, Drache, Vogel, Tiger und der Mensch in der Mitte • fünf konstruktiv wichtige Teile des Hauses • fünf lebenswichtige Organe des Menschen • fünf heilige Berge ect. Abb. 11 Ausschnitt des Stadtplanes von Peking 1860


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mantik für alles Bauen: die Landschaftsarchitektur, den Städtebau, die Gärten, das selbstverständlich quadratische Hofhaus, die Tempel und Paläste. Am ehesten lässt sich dies am Kaiserpalast in Peking nachvollziehen (vgl. Abb. 11). Der Kaiserpalast der Ming (Großes Licht) -Dynastie 1368-1644 baute auf den Ruinen früherer Paläste auf – der Chou-Dynastie (221-207 v.Chr.), der Kin-Dynastie (1115-1234) nach Zerstörung 1215 durch Dschingis Khan und der Yüan-Dynastie (1260-1368). Der erste Ming-Kaiser Hungwu (1368-98) ließ von seiner Residenzstadt Nanking aus die Yüan-Palaststadt in Peking niederreißen, Kaiser Yunglo (1405-24) ließ Peking mit der Verbotenen Stadt wieder aufbauen und zog mit seiner Residenz 1421 von Nanking nach Peking. Ein Planungsdetail des Kaiserpalastes in Peking sei unter Bezug auf YIN-YNG / TIEN YÜAN-TI FANG / FÜNFELEMENTE-GEOMANTIK herausgegriffen: Die HOLZBauten der Palastanlage waren selbstverständlich hochgradig FEUER-gefährdet und dies wurde durch das WASSER des Westsees und das mäandrierende Goldflüsschen (über das selbstverständlich FÜNF Brücken in der Süd-Nord-Prozessionsachse führten) kompensiert und den ERD-Hügel im Westsee und einen ERD-Hügel nördlich der Verbotenen Stadt (pragmatischerweise ein Kohlehügel für die Beheizung der Palastbauten) verstärkt. Die absolutistisch regierenden Ming-Kaiser des 16. Jahrhunderts unterschieden sich in ihrer Orientierung an den konkurrierenden Glaubensrichtungen des Konfuzianismus, des Taoismus und des Buddhismus: • Kaiser Hongzhi (1470, 1487-1505) war streng konfuzianisch orientiert • Kaiser Zhangde (1491, 1505-21) mißachtete den strengen Konfuzianismus seines Vaters • Kaiser Jiajing (1507, 1521-67) war ein glühender Verehrer des Taoismus und unterdrückte den Buddhismus

• Kaiser Longqing (1537, 1567-72) war eher liberal eingestellt, verbannte die Taoisten, ließ den Gelben Fluss regulieren und schloss 1570 Frieden mit den Mongolen • Kaiser Wanli (1563, 1572-1620) vollendete die Große Mauer und reformierte die Staatsfinanzen mit den Ersatz­-Abgaben / Steuern durch Silber chinesischer Produktion. Auch durch den Schwarzhandel der Japaner mit chin. Küstenstädten kam viel Silber nach China und später auch durch den Handel mit den Portugiesen über Macau bzw. mit den Spaniern über die Philippinen, die mit ’neuspanischen Silber‘ Seide, Porzellan und Tee kauften und über Acapulco nach Europa brachten. Im Zeitalter des Kaisers Wanli beherrschten 30.000 habgierige Eunuchen die Verbotene Stadt – von geordneten Staatsgeschäften konnte keine Rede mehr sein. Schon bald löste die mongolische Ch‘in-Dynastie die Mingherrschaft ab Die Verbreitung des Christentums in China begann mit dem italienischen Jesuiten Matteo Ricci (1552-1610), der 1578 vom mittlerweile spanisch verwalteten Coimbra aufbrach, um nach einer 18-jährigen Reise die Verbotene Stadt zu erreichen. In Macau lernte er chinesisch und in Nanking musste er sich kastrieren lassen, um im Gewand eines buddhistischen Mönches in Peking arbeiten zu können. Dort wurde er als Botschafter der Europäer anerkannt. Durch seine umfassenden wissenschaftlichen Kenntnisse in Mathematik, Geographie, Kartographie und Uhrentechnik gewann er das Vertrauen des Kaisers, ohne ihm je persönlich begegnet zu sein. Bei seinem Tod gab es in Peking vier christliche Missionsstationen mit 2.500 Konvertiten. Durch die Berichte des Matteo Ricci und seiner Mitbrüder an den Jesuitenorden in Rom kamen augenscheinlich umfangreiche Kenntnise der chinesischen Verhältnisse nach Europa – nicht nur mit den eingehandelten Waren (Seide, Porzellan, Tee). Matteo Ricci galt als Pionier der europäischen Chinakunde.


DER FERNE OSTEN IM 16. JAHRHUNDERT

Abb. 12 Kartenausschnitt Südostasien aus der Mercator-Weltkarte von 1569

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Japan im 16. Jahrhundert

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as 16. Jahrhundert galt in Japan als Sengoku-Zeit (Zeit der gegeneinander kriegführenden Reiche, 1477-1573), das die Herrschaft der Ashikaga ablöste und zum Zerfall Japans in ca. 200 Territorien mit autonomen Herrschern führte. Am Ende setzte sich Oda Nobunaga (1534-82) durch, der ein Bündnis mit Togukawa Ieyasu (1543-1616) einging und die bedeutenden buddhistischen Klöster überfiel, weil deren Mönchssoldaten seine mittlerweile besiegten Gegner unterstützt hatten. Am Ende der Kämpfe setzte sich Toyotomi Hideyoshi (1537-98) als Herrscher über Japan durch und ließ sich vom Kaiser als Regent bestätigen. Tokugama Ieyasu vernichtete das Aufgebot seiner verbliebenen Feinde, begründete die Tokogama-Dynastie und einigte das japanische Reich auf der Grundlage der Verwaltungsreformen seiner Vorgänger für lange Zeit. Die ethnische Ur-Religion der Japaner war der diesseits-bezogene Shintoismus (Shin-do = Weg der Götter) neben den im 6. Jahrhundert aus China kommenden Zen-Buddhismus. Die Kultur des Alltags wurde von beiden, gar nicht zu trennenden Religionen bestimmt: • sho-do: der Weg der Schrift als Grundlage der japanischen Kalligraphie • sa-do: der Weg des Tees der rituellen Teezeremonie • kyo-do: der Weg des (Bambus-) Pfeiles beim zeremoniellen Bogenschiessen • ken-do: der Weg des (Holz-) Schwertes; Schwertkampf nicht nur zur Vervollkommnung der Technik, sondern auch zur geistigen Ausbildung • ju-do: der sanfte / flexible / geschmeidige Weg des japanischen Kampfsports

Die ersten portugiesischen Händler kamen 1534 nach Japan, gefolgt 1549 vom italien. Jesuiten Franz Xavier (1506-52) und 1579 vom Jesuiten Alessandro Valignano (1539-1606), der die christliche Mission mit Respekt vor den Sitten und dem Lebensstil der shintoistischen Japaner anpassen wollte. Die Ordenszenrale der Jesuiten in Europa wollte aber keine christlichen Seminare in Japan. Deshalb organisierte Valignano eine Reise vier hochgestellter japanischer Jünglinge nach Europa, um dort das hohe kulturelle Niveau der Japaner zu vermitteln. Als die Mission 1590 nach Macao zurückkehrte, zog Valignano gemeinsam mit ihnen und mit einer Botschaft des Vizekönigs von Indien nach Japan zurück. Als Oberaufseher der JesuitenMission in China und Japan brachte Valignano für effektivere Missionsarbeit und bessere Kommunikation mit Europa eine Druckpresse mit beweglichen Lettern mit. 1590 zählte man in Japan schon 200 Kirchen, 136 Jesuiten und über 100 Ministranten. Um den wachsenden Finanzbedarf zu decken, beteiligte man sich am lukrativen Fernhandel mit chinesischer Seide, Heilmitteln und Baumwolle von Nagasaki aus. Dieser Handel entwickelte sich aber zur Konkurrenz des japanischen Schwarzhandels mit China. Deshalb wurden schon 1639 alle Portugiesen und Spanier des Landes verwiesen und das katholische Chrtistentum in Japan verboten. Das protestantische Holland und England konnten aber schon bald wieder Fuß in Japan fassen und den Handel mit Europa übernehmen.


DER FERNE OSTEN IM 16. JAHRHUNDERT

Der südostasiatische Archipel im 16. Jh.

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wischen 1405 und 1433 bereiste der chinesische Admiral Zheng He (1371-1433) auf seinen sieben Reisen mit 100 Schiffen und 27.500 Mann Afrika, Arabien, Indien, Hinterindien und auch den südostasiatischen Archipel, nicht um zu kolonisieren, sondern um friedliche Handelsbeziehungen aufzubauen und an allen Landehäfen chinesische Händler zurückzulassen. Der spanische Entdecker Ruy Lopez de Villalobos (1500 – 44) brach 1542 im Auftrag des Vizekönigs von Neuspanien auf, um eine Pazifikroute zu den Gewürzinseln zu finden und erreichte 1543 die Insel Luzon. Das neuentdeckte Land nahm er für die spanische Krone in Besitz und benannte dies nach dem spanischen Infanten Philipp. Manila wurde 1551 gegründet und nunmehr kam auch Silber aus Neuspanien nach China. Auf den portugiesischen Molukken suchte Villalobos Schutz vor den Indigenos der Phlippinen und starb 1544 im Kampf auf der Insel Ambon. Die Portugiesen fühlten sich wohl beeinträchtigt in ihrem Handel mit Nelken von den Inseln Ternate und Tidore und mit Muskatnüssen von den Banda-Inseln. Ambon wurde 1511 portugiesisch, aber nach der Belagerung durch die Holländer 1591 dann 1609 holländisch. Die Sandelholzinsel Timor wurde 1512 von Antonio de Abreu (1480-1530) entdeckt und für die portugiesische Krone in Besitz genommen. De Abreu entdeckte auf seiner Fahrt auch Ambon, Seram, die Banda-Inseln und Alor und beschrieb die Küste von Neuguinea – 1526 landete dort Jorge de Meneses (1438-1537), der als portugiesischer Gouverneur der Molukken 1527-30 auf Ternate residierte – in dieser Zeit plünderte er das spanische Fort auf der Nachbarinsel Tidore und vergiftete den Sultan von Ternate, weshalb er abgesetzt und nach Brasilien verbannt wurde. Von der Insel Solor östlich Flores kamen 1544 portrugiesische Kaufleute nach Larantuka/Ostflores, weil sie die Missionsaktivitäten der Dominikaner auf

Solor nicht mehr unterstützen wollten – ab 1667 besetzten die Holländer Flores. 1525 kamen die Portugiesen nach Sulawesi, wurden aber schon1605 von den Holländern vertrieben. Die Kunde von der Erreichbarkeit der Gewürzinseln über Indien machte schnell auch die anderen seefahrenden Nationen Europas neugierig, die nunmehr Ostindische Kompanien gründeten mit Handelsmonopolen und Hoheitsrechten zwecks Landerwerb, Kriegsführung und Festungsbau: • • • • • •

1600 Gründung der Britischen Ostindien-Kompagnie 1602 holländische Vereinigte Ostindien-Kompagnie 1616 Dänische Ostindien-Kompagnie 1626 Schwedische Ostindien-Kompagnie 1628 Portugiesische Ostindien-Kompagnie und 1664 Französische Ostindien-Kompagnie

Das informelle Netzwerk zwischen Ostasien + Portugal/Europa mit den Schnittstellen Macao und Goa fand nunmehr eine wichtige Ergänzung durch ein informelles Netzwerk nach Spanien mit Manila und Acapulco/Neuspanien als Schnittstelle.

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DAS 16. JAHRHUNDERT – EIN TIEFGREIFENDER UMBRUCH

I. 2 Herrschaftsstrukturen im Europa des 16. Jahrhunderts

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er Schritt vom Mittelalter in die Frühe Neuzeit, kunstgeschichtlich von der Gotik zur Renaissance, brachte neue Formen der Machtpolitik. Durch Heiratspolitik entstanden mehr oder weniger folgenreiche Bündnisse und durch Kriege wurden neue Territorien gewonnen oder alte verloren. Das kaisertreue Rittertum wurde langsam zur Legende, der nur noch Kaiser Maximilian I. (‘der letzte Ritter‘) und König Ferdinand von Aragon nostalgisch nachtrauerten. Nunmehr kämpften Söldner gegen Sold und/oder Raubgut, bewaffnet mit Musketen und Kanonen. Mit der nunmehr wissenschaftlich entwickelten Astronomie wurde die Kartographie vertrauenswürdiger, um alle Weltmeere befahren zu können. Die Wandlung des antiken/mittelalterlichen geozentrischen zum heliozentrischen Weltbild stellte nicht nur viele kirchliche Dogmen in Frage, sondern half mit dem aufkommenden Humanismus zu einem selbstbewussten neuen Bild vom Menschen und der Welt. Der mittelalterliche Naturalienhandel musste zu einem über Geldhandel strukturierten Welthandel entwickelt werden. Der Kulturschock der Eroberung Konstantinopels durch die Osmanen war auf der anderen Seite auch der notwendige Impuls, Wege in ‘Neue Welten‘ zu suchen. Die Erfindung des Buchdrucks ermöglichte ganz neue Formen der Kommunikation und der Vermittlung von Wissen. Das mittelalterliche Bildungsmonopol der Kirche, konzentriert in zugangsbeschränkten Klosterschulen, und das Außenvorlassen der Laien im lateinisch vorgetragenen Gottesdienst wurde aufgebrochen. Die kritische Hinterfragung kirchlicher Dogmen und Hierarchien erwies sich als wirksame Vorstufe einer notwendigen Reformation der Kirche und des Glaubens, der Besinnung auf das in der Bibel (mittlerweile ins Deutsche übersetzt und damit nachvollziehbar) festgehaltene Wort Gottes und die Entwicklung neuer Strukturen in der allgemeinen Schulbildung. Im Spätmittelalter konnte das Königreich Dänemark durch kluge Heiratspolitik mit der Personalunion der Königreiche Norwegen und Schweden noch ein nordisches Großreich bilden, das die Hanse im Ostseeraum in ihren Möglichkeiten einschränkte. Im Bunde mit den nach Selbstständigkeit strebenden Schweden gelang der Hanse dann durch Kriege die Schwächung Dänemarks, das nunmehr ohne Schweden in die Frühe Neuzeit startete. Schweden dagegen konnte ins Baltikum expandieren und selbst das Zarenreich angreifen. Nach dem 30-jährigen Krieg wird Schweden zur nordeuropäischen Großmacht auf einer Stufe mit Frankreich und dem habsburgischen Kaiserreich. Russland erwachte aus der mittelalterlichen Lethargie der Kleinstaaterei, holte westeuropäische Künstler und Handwerker ins Land und reformierte auf diese Weise seine Wirtschaftsstrukturen, konnte sich gegen die Osmanen und Tartaren erfolgreich wehren und begann Sibirien als neuen Wirtschaftsraum zu entwickeln. Allein die Orthodoxie, mittlerweile mit Patriarchat in Moskau, verharrte in alten, machtpolitisch orientierten Strukturen.


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