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Brückenbauwerk Nordstern der U-81-Strecke in Düsseldorf

Eine außergewöhnliche Brücke aus Stahl Brückenbauwerk Nordstern der U-81-Strecke in Düsseldorf

von Dieter Reitz

Die Landeshauptstadt Düsseldorf realisiert zur Verbesserung des öffentlichen Personennahverkehrs die Stadtbahnstrecke U 81 vom Freiligrathplatz zum Terminal des Flughafens Düsseldorf. Die neue 1,85 km lange Stadtbahnstrecke beginnt oberirdisch an der Haltestelle Freiligrathplatz, überquert den Nordstern und wird dann weiter auf einem Rampenbauwerk und über zwei Brücken bis in den Bereich des Tores 1 des Flughafens geführt. Von dort verläuft die Trasse ebenerdig, bis sie im Bereich der Halle 4 in einen U-Bahn-Tunnel abgesenkt wird, der aus einem Rampenbauwerk, dem Streckentunnel und der U-Bahn-Haltestelle besteht. Die Trasse endet in der U-Bahn-Haltestelle Flughafen Terminal vor dem Hotel Maritim. Das Gesamtprojekt ist in mehrere Teilbaumaßnahmen untergliedert. Gegenstand der nachfolgenden Veröffentlichung ist dabei lediglich die »VE 110 Rohbau Hochstraße« und davon wiederum das »TP 04 Brückenbauwerk Nordstern«.

1 Gesamtübersicht mit Streckenverlauf © Landeshauptstadt Düsseldorf

1 Bauherr, Auftragnehmer, Termine

Der Bauherr der Gesamtbaumaßnahme ist die Stadt Düsseldorf. Die Entwurfs- und Ausführungsplanung wurde von der Ingenieurgemeinschaft Grassl-Vössing im Auftrag des Bauherrn erarbeitet. Nach einem Verhandlungsverfahren mit Teilnahmewettbewerb wurde die Bietergemeinschaft U 91 Los 1 VE 110 Rohbau Hochstraße, bestehend aus den Firmen Wayss & Freytag, Implenia und MCE, nach dem Bestbieterprinzip mit einer Gewichtung von 65 % für den Preis und 35 % für qualitative Werte beauftragt. Am 2. Dezember 2019 erfolgte die Angebotsabgabe, die Beauftragung am 15. Mai 2020.

2 3 Brückenbauwerk Nordstern: Trassierung in Grundriss und Ansicht © Landeshauptstadt Düsseldorf

2 Ausschreibung

Die beauftragte VE 110 beinhaltet im Wesentlichen die Errichtung zweier Niveaustrecken, einer Fangedammstrecke, zweier Rampenbauwerke und des Brückenbauwerks Nordstern. Zusätzlich gibt es ein Teilprojekt »Lärmschutz«, das hier übergreifend zusammengefasst ist. Die Trassierung der Brücke verläuft in einem großen Bogen über die A 40 und die B 8. Die große Länge sowie die relativ geringe Quersteifigkeit des gewählten Überbauquerschnittes führen dazu, dass die Konstruktion als »atmende Brücke« (O-Ton der Ausschreibung) konzipiert wurde. Dazu ist der Überbau jeweils an den Widerlagern als semiintegrales Bauwerk fest eingespannt. Auf den Pfeilern sind allseitig bewegliche Lager anzuordnen, so dass sich die Längsbewegungen des Überbaus aufgrund von Temperatureinwirkungen durch ein seitliches Ausweichen des Überbaus in Querrichtung darstellen. Somit werden die aus Zwängungen resultierenden Spannungen reduziert. Die verbleibenden Kräfte werden durch die tief gegründeten Widerlager in den Achsen 10 und 70 aufgenommen. Die Trassierung der Strecke hat zur Folge, dass ein Großteil der Brücke im Radius R = 255,50 m ausgeführt werden kann; der Rest liegt in einem Übergangsbogen. Aufgrund der frei zu haltenden Verkehrsflächen unterhalb des Bauwerks entwickelt sich eine Balkenbrücke mit Fachwerkhauptträger über sechs Felder.

4 Grundriss und Lagerschema © Landeshauptstadt Düsseldorf

3 Konstruktion der Brücke

Die Stützweiten des Bauwerks betragen zwischen Widerlager A 10 und A 70 genau 76,42 m, 76,86 m, 64,06 m, 62,75 m, 81,94 m und 79,15 m (Bild 5). Die Gesamtlänge im Bogen misst somit 441,18 m. Die Einspannung des Fachwerks erfolgt jeweils über ein komplettes Fachwerkfeld. Die Widerlager sind mit Bohrpfählen tiefgegründet (Bild 6).

Die rechteckigen Betonpfeiler mit Abmessungen von 2,20 m × 2,50 m erhalten einen oberen gevouteten Pfeilerkopf aus Stahl mit Abmessungen von 9,00 m × 2,80 m × 1,70 m. Dabei ist vorgesehen, die Stahlträger mit einem vorher einzubetonierenden Stahlkranz zu verschrauben (Bild 7). Die Gründung der Pfeiler A 20, A 30 und A 40 erfolgt über Flachgründungen, die der Pfeiler A 50 und A 60 in Form von Tiefgründungen. Die Konstruktionshöhe des Mittelfachwerks beträgt konstant 6,60 m über die gesamte Brückenlänge. Die Fachwerkbreite variiert von 1,20 m am Untergurt bis 0,60 m am Obergurt. Der Obergurt erhält zur Steifigkeitserhöhung in Querrichtung beiderseitig eine Verbreiterung von je 0,50 m. Die Höhe des Untergurtes misst 2,05 m und der Obergurt hat eine konstante Höhe von 0,60 m.

5 Ansicht des Brückenbauwerks © Landeshauptstadt Düsseldorf

6 Einspannung im Widerlager © Landeshauptstadt Düsseldorf

7 8 Auflagerquerträger in Ansicht und Grundriss © Landeshauptstadt Düsseldorf

Am Untergurt des Fachwerks schließen auf beiden Seiten die auskragenden Fahrbahnplatten, in orthotroper Stahlbauweise konzipiert, an. Aufgrund des geringen Radius werden zur Ausbildung nur Flachsteifen eingebaut. Die Auskragung beträgt dabei jeweils 5,33 m (Bild 9). Die komplette Stahlkonstruktion wird luftdicht verschweißt. Dies stellt insbesondere für die Fertigung, aber auch für die Montage aufgrund der nicht begehbaren niedrigen Querschnitte eine besondere Herausforderung dar. Die Innenflächen werden nicht beschichtet. Die beidseitige Entwässerung verläuft im Übergang von der Fahrbahn zu den Gehwegen, wobei die Längsleitung direkt unterhalb des Fahrbahnbleches verdeckt angeordnet wird. Die Zugänglichkeit ist über eine abnehmbare Gitterrostabdeckung im Bereich des Bodenbleches gewährleistet. Zum Schutz der Fahrbahn werden Unterschottermatten integriert, die Gleise sind im planmäßigen Schotterbett gelagert.

4 Geplantes Herstellverfahren

Die grundsätzliche Montage des Stahlüberbaus ist vom Bauherrn aufgrund der besonderen Lage der zu überführenden Verkehrsbereiche, aber auch wegen der Trassenführung im Radius wie in einer Klothoide weitestgehend durch Einschieben des Überbaus sowie im Bereich der Klothoide auf Hilfsgerüsten in Endlage vorgesehen. Aufgrund der großen Stützweiten und des in Brückenquerrichtung geringen Abstands der Verschublager – der Untergurt hat eine Breite von lediglich 1,20 m – hatte der Bauherr in den Feldern weitere Hilfsstützen für den Verschub eingeplant. Diese stellen nicht nur im Zuge ihres Auf- und Abbaus eine erhebliche Behinderung des Verkehrs auf der Autobahn dar, sondern ebenso wegen der hier ohnehin eingeschränkten Verkehrsführung. Zudem müssten die Stützen zum Teil auf dem vorhandenen Wannenbauwerk nachgewiesen werden (Bild 11).

9 Regelquerschnitt der Brücke gemäß Ausschreibung der Landeshauptstadt Düsseldorf © Ingenieurbüro Grassl GmbH/Vössing Ingenieurgesellschaft mbH

10 Geplanter Verschub mit Hilfsstützen © Landeshauptstadt Düsseldorf

11 Hilfsstütze im Fahrbahnbereich und Wannenausbildung © Landeshauptstadt Düsseldorf

Grundsätzlich oblag dem Auftragnehmer die Wahl des Herstellungsverfahrens. Die übergebene Ausführungsstatik basierte auf dem vom Bauherrn vorgesehenen Konzept: Sollte der Auftragnehmer davon abweichen, liegen alle zusätzlichen Arbeiten wie die Modifizierung der Ausführungsstatik, aber auch die Abweichungen in der Konstruktion und im Bauablauf in der vollen Verantwortung des Auftragnehmers. Die Detailplanung zur Gliederung der Transporteinheiten in Längs- und Querrichtung der Stahlkonstruktion sowie für das einzusetzende Montage- und Verschub-Equipment oblag dem Auftragnehmer. Änderungen im Bauablauf bei bereits vorliegender und geprüfter Statik können oft aus Zeitmangel nicht realisiert werden. In diesem Fall entschied sich MCE jedoch zur Überarbeitung der Ausführungsstatik, um ein geändertes Herstellverfahren anzuwenden. Insbesondere der Entfall der Hilfsstützen einschließlich der kritischen Gründung beinhaltete ein hohes monetäres Potential und ermöglichte eine nicht unerhebliche Reduzierung der Verkehrsbeeinträchtigungen unterhalb der Brücke.

5 Beauftragtes Ausführungskonzept

Wie bereits erläutert, wurden die Montage, die Vormontage und der Einschub alternativ neu bearbeitet, monetär bewertet und letztendlich auch beauftragt. So zeigt sich, dass durch den Einsatz eines zusätzlichen »leichten« 40 m langen Vorbauschnabels der Einschub ohne zusätzliche Hilfsstützen möglich ist. Die Planungsparameter und geometrischen Abmessungen der Konstruktion wurden dabei 1 : 1 übernommen. Die Wahl der konstruktiven Detailänderungen erfolgte so, dass die Gesamtsteifigkeiten dem Ausschreibungsentwurf entsprachen. Es wurde nachgewiesen, dass alle kritischen Montagezustände erfüllt werden. Die Einteilung in einen Verschubbereich im Abschnitt des konstanten Radius sowie die Montage auf Hilfsstützen im Bereich der Klothoide wurden ebenfalls übernommen, lediglich der Verschubbereich wurde um ein halbes Feld bis zum Pfeiler A 20 verlängert. Die geometrische Abweichung konnte vermittelt werden, die Ausführung der stählernen Querjoche auf den Pfeilern wurde nicht verändert.

12 Verschub ohne Hilfsstützen mit Vorbauschnabel © MCE GmbH

Die Transportgrößen für die Stahlkonstruktion wurden auf Basis der Parameter Konstruktion, Transport und Vormontage festgelegt. Und so werden die Fachwerkgurte zu je 24 Bauteilen hergestellt, die Diagonalen als Einzelteile und die Fahrbahn in Längsrichtung in 24 Abschnitten und in Querrichtung je Seite in zwei Elementen vorgefertigt und mit Lkw-Sondertransporten zur Baustelle gefahren. Aufgrund der beengten Verhältnisse im Vormontagebereich wurden statt der üblichen Mobilkräne zwei Portalkräne aufgebaut, die das Abladen, ein eventuelles Zwischenlagern und das Positionieren aller Bauteile ermöglichen.

13 Abladen von Bauteilen © MCE GmbH

14 Vormontage der Diagonalen © MCE GmbH 15 Einschub der Brückenkonstruktion © MCE GmbH

16 Vertikal- und Horizontallager im Schnitt © MCE GmbH

In insgesamt neun Sequenzen werden auf dem Vormontageplatz zwei bis vier Schüsse vormontiert und anschließend endbeschichtet. Mit Hilfe von hydraulischen Litzenpressen wird die Konstruktion dann längs eingeschoben. Die bis zu 4 m langen Verschublager sind als Wippe ausgebildet. Für die gleichmäßige Beanspruchung über die Wippenlänge werden zusätzliche Elastomerkissen eingebaut. Diese Ausführung gewährleistet eine einwandfreie Lasteinleitung in die Stege des Fachwerkuntergurtes, wobei zusätzliche Vertikal- und Horizontalführungen in den Verschubachsen die Lagesicherheit während der kompletten Verschubphase sicherstellen. Der Bauherr legt großen Wert auf eine nachhaltige Bewertung des Bauwerks und insbesondere der Stahlkonstruktion. Daher ist vorgesehen, nach dem Lückenschluss Messeinrichtungen, sogenannte DMS, an beiden Widerlagern und in Brückenmitte anzuordnen, um auch die Ausbaulasten, eine Probelastung sowie im späteren Betrieb die Beanspruchungen mittels Monitoring überwachen zu können.

6 Besondere Herausforderung

Da die komplette Brücke aus dichtgeschweißten Hohlkästen mit niedrigen Bauhöhen besteht, kommt der Herstellfolge sowohl im Werk als auch auf der Baustelle eine besondere Bedeutung zu. Das heißt, nur eine detailgenaue und gut geplante Reihenfolge gewährleistet im Werk eine technisch umsetzbare Schweißkonstruktion. Auf der Baustelle wird es notwendig, eine Vielzahl von »Schweißfenstern« vorzusehen, um alle Montagenähte zu erreichen. Der enge Radius musste auch im Bereich des Vormontageplatzes weitergeführt werden. Die Gleise der Portalkräne erhielten somit ebenfalls die entsprechende Krümmung, zudem hatte das Verschubequipment diese Anforderungen zu erfüllen.

17 Pfeilerquerträger nach Montage © MCE GmbH

Da eine Beschichtung über den Verkehrswegen unterhalb der Brücke nicht möglich ist, wurde auf dem Vormontageplatz eine korrosionsschutzgerechte Einhausung errichtet, in der die letzte Deckbeschichtung mit aufgebracht wird. Besonderes Augenmerk bei der Herstellung gilt der Einspannung des jeweils letzten Fachwerkfeldes in die Widerlager, darf es doch während des Abbindeprozesses keine Bewegungen der Stahlstruktur im Widerlager geben. So ist sicherzustellen, dass mögliche Zwängungen aus Temperatur von einer temporären Konstruktion aufgenommen werden können.

18 19 Anordnung der DMS-Messpunkte: Widerlager und Brückenmitte © Landeshauptstadt Düsseldorf

20 Fertigung der seitlichen Fahrbahn © MCE GmbH

7 Stand der Arbeiten

Zurzeit sind ca. 40 % der Stahlkonstruktion vormontiert sowie drei von neun Verschüben erfolgt. Die Vorbereitung für die Unterstützungskonstruktionen im Feld A 10–A 20 haben begonnen, wobei es das Ziel ist, den Verschub im Spätsommer abzuschließen. Danach werden die Verschublager ausgehoben und die endgültigen Lager eingebaut. Nach dem Herstellen der Einspannungen an den Widerlagern werden noch die Kabelkanäle, die Entwässerung und die Unterschottermatten aufgebracht, bevor Schotter-, Gleis- und Oberleitungsarbeiten sowie die Errichtung der Lärmschutzwände den Abschluss bilden.

8 Ausblick

Nicht nur wegen seiner Gestaltung oder seiner Form und Konstruktion stellt das Brückenbauwerk Nordstern eine außergewöhnliche Tragstruktur aus Stahl dar. Auch die Auftragsabwicklung zeigt anschaulich, dass in einem konstruktiven und partnerschaftlichen Zusammenspiel von Bauherr, Planer und Auftragnehmer ein Mehrwert entstehen kann. Der heute eingeschlagene Weg mit vorgelagerter Ausführungsplanung versperrt oft die Chance, das Potential und die Möglichkeiten der ausführenden Firmen einfließen zu lassen. Dass es, bei gutem Willen aller Beteiligten, auch anders gehen kann, veranschaulicht und beweist dieses Brückenbauwerk. An dieser Stelle gilt allen Beteiligten der ausdrückliche Dank für die bisherige Zusammenarbeit.

21 Visualisierung des fertiggestellten Brückenbauwerks © Ingenieurbüro Grassl GmbH

Autor: Dr.-Ing. Dieter Reitz MCE GmbH, Linz, Österreich Bauherr Landeshauptstadt Düsseldorf

Planung Ingenieurbüro Grassl GmbH, Düsseldorf Vössing Ingenieurgesellschaft mbH, Düsseldorf

Prüfingenieur Dr.-Ing. Christoph Meinsma, Düsseldorf

Bauausführung Arbeitsgemeinschaft: Implenia Holding GmbH, Stuttgart MCE GmbH, Linz, Österreich Wayss & Freitag Ingenieurbau AG, Frankfurt am Main

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