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Ersatzneubau der Elsenbrücke in Berlin

Exemplarisches »Innenstadtprojekt« in Treptow-Köpenick Ersatzneubau der Elsenbrücke in Berlin

von Arne Huhn

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Berlin ist eine urbane und pulsierende Metropole. In einer wachsenden, weltoffenen Stadt mit einer aktuellen Einwohnerzahl von ca. 3,6 Mio. Menschen, der darüber hinaus zu berücksichtigenden Wirkung als Metropolregion Berlin-Brandenburg, einer jährlichen Touristenanzahl von ca. 13,5 Mio. (zumindest vor der Corona-Pandemie) und einer Flächengröße von ca. 890 km² mit aktuellem Verkehrsaufkommen bis 200.000 Kfz/24h ist es erforderlich, neue Lösungen für Mobilität, Stadtgestaltung und Nutzungsformen zu finden. Die komplexen Anforderungen hinsichtlich Bauabwicklung, Gestaltung, Wirtschaftlichkeit, Funktionalität und Nachhaltigkeit sind auch bei den anstehenden Brückenbaumaßnahmen in ausgewogenem Verhältnis zu berücksichtigen.

1 Einleitung

Die Projektaufgabe zum Ersatzneubau der Elsenbrücke umfasst neben dem eigentlichen Brückenneubau auch den Rückbau der bestehenden komplexen Spannbetonbrücke und die Errichtung der Behelfsbrückenkonstruktion. Aufgrund der hohen Auslastung der Verkehrsachse muss die Errichtung des Ersatzneubaus in mehreren Abschnitten bei laufendem Betrieb erfolgen. Die bestehenden Verkehrsbeziehungen der verschiedenen Verkehrsarten sollen, entsprechend den Vorgaben aus dem Berliner Mobilitätsgesetz, während der notwendigen Bauabschnitte und Projektphasen weitgehend aufrechterhalten werden, womit besondere Anforderungen an die Planung der Bauabwicklung zu stellen sind. Am Beispiel des Ersatzneubaus der Elsenbrücke in Berlin sollen nun die besonderen Herausforderungen bei der Planung und Ausführung einer innerstädtischen Brückenbaumaßnahme gezeigt werden.

2 Ausgangssituation und Projektaufgabe

Die Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz von Berlin ist verantwortlich für alle Brücken und Ingenieurbauwerke nach DIN 1076, welche in der Zuständigkeit des Landes Berlin liegen. Aktuell sind es 825 Brückenbauwerke – und die Elsenbrücke ist eines von diesen Bauwerken. Sie überspannt im Zuge der Elsenstraße und des Markgrafendammes die Bundesstraße B 96a und stellt somit eine wichtige Verkehrsanbindung über die Spree dar, welche nicht nur die Bezirke Friedrichshain-Kreuzberg und TreptowKöpenick verbindet, sondern auch für ca. 60.000 Kfz/24h inklusive mehrerer Buslinien des ÖPNV und für eine wachsende Anzahl von mit dem Rad fahrenden Personen eine übergeordnete Bedeutung für die Verkehrsanbindung der Berliner Innenstadt aufweist. Die Elsenbrücke ist eine im Jahr 1968 eröffnete Straßenbrücke. Flussaufwärts befinden sich neben ihr zwei weitere Brücken, die Ringbahnbrücke Oberspree für den S-Bahn- und Fernbahnverkehr und die Parkwegbrücke für Fußgänger. Im Sommer 2018 wurden an der Elsenbrücke erhebliche Schäden festgestellt, so dass sie abgerissen und neu errichtet werden muss.

3 Bestandsbauwerk und Bauwerkszustand

Die Elsenbrücke überführt die B 96a rechtwinklig über die Spree am Treptower Park. Das Bauwerk, das in jeder Fahrtrichtung drei Fahrstreifen mit Geh- und Radweg besitzt, ist als gevouteter Durchlaufträger über drei Felder mit Spannweiten von 45 m, 65 m und 45 m ausgebildet. Die Schifffahrtsöffnung befindet sich im mittleren Feld. Bei der zwischen 1964 und 1968 errichteten Brücke ist der Überbau durch eine Mittelfuge in zwei Teilbauwerke gegliedert. Jedes Teilbauwerk mit einer Breite von 17,20 m zwischen Gesimsaußenkante und Mittelfuge besteht aus zwei über der Fahrbahnplatte gekoppelten Hohlkästen. Die zwei getrennten Überbauten der vorhandenen Spannbetonbrücke setzen sich aus jeweils zweistegigen Spannbetonplattenbalken (Hohlkästen mit quer vorgespannten Fahrbahnplatten) und dazugehörigen Kragarmen zusammen. In den gevouteten Hohlkästen verlaufen Rohrtrassen verschiedener Leitungsbetriebe. Die Überbauten sind in Querrichtung überwiegend mit Bündelspanngliedern BSG 50, die 16 Drähte in einem kreisförmigen Hüllrohr besitzen, vorgespannt.

1 Elsenbrücke: Bestandsfoto aus dem Bauwerksbuch von 2018 © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

2 3 Bestandsbauwerk: Längsschnitt und Querschnitt © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Unter den insgesamt 356 Querspanngliedern pro Überbau sind auch zwölf BSG 25. In Längsrichtung wurden die Überbauten nach dem Spannblockverfahren (TGL 173-33, Juli 1967), bei dem je Steg nur ein Spannglied eingebaut worden ist, vorgespannt. Die Spannglieder der Elsenbrücke bestehen jeweils aus insgesamt 532 Drähten à 35 mm² des Hennigsdorfer Spannstahls St 140/160 mit einer Nennspannkraft von 1.600 t. Die lagenweise in einem Blechkasten verlegten Drähte sind an den Bauwerksenden in getrennten Spannblöcken verankert. Der Kabelkasten hat Abmessungen von b × h = 20 cm × 30 cm. Der Restbetonquerschnitt neben dem Kasten reduziert sich damit für den 45 cm breiten Steg planmäßig auf 2 × 12,50 cm. Die Lastabtragung aus dem Überbau in die Unterbauten erfolgt über Linienkipplager aus Stahl in allen vier Auflagerreihen. Die Endauflager der Brücke werden durch Stahlbetonkastenwiderlager gebildet. Diese weisen die Besonderheit auf, dass sie Spannkammern beinhalten, in denen die Überbauspanngliedverankerungen in Form von Spannblöcken enthalten sind. In Achse 40 schließt sich unmittelbar an die Widerlagerspannkammer ein Rampenbauwerk an, in dem auf eine Länge bis 20 m Nutzräume integriert sind. Die beiden Strompfeiler bestehen ebenfalls aus Stahlbeton. Die Widerlager haben eine Pfahlgründung, während die Strompfeiler in Stahlspundwandkästen flach gegründet wurden.

4 5 Spannblockverfahren: Herstellung der Elsenbrücke 1965–1968 © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Bauart

Brückenklasse

Militärlastenklasse Spannbeton

DIN 1072 30/30

STNAF 100-30/30

Einzelstützweite 6,50 m, 5,00 m, 65,00 m, 45,00 m, 6,50 m, 17,30 m

Gesamtlänge zwischen den Endauflagern 155,00 m Lichte Weite zwischen den Widerlagern 153,40 m Kleinste lichte Höhe ca. 3,65 m (Hafenstraße)

Kreuzungswinkel Breite zwischen den Geländern

Brückenfläche

Materialien 100 gon

34,00 m

5.254,50 m2

Beton B 450, Betonstahl St-A-III, Spannstahl St 140/160 oval, 35 mm²

6 Bauwerksdaten der bestehenden Brücke © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

7 8 Schadensaufnahme im August 2018 © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz/Bockermann Fritze GmbH

Mit ihren ca. 50 Jahren hat die bestehende Brückenkonstruktion eigentlich noch nicht die geplante Nutzungsdauer erreicht. In dem zurückliegenden Unterhaltungsmanagement des Landes Berlin war sie auch nicht in der weiteren Planung enthalten. Zuletzt wurden im Rahmen von turnusmäßigen Instandsetzungsarbeiten in den Jahren 2007–2010 Arbeiten zum Rückbau und Neubau der Fahrbahnbeläge und der Abdichtung, zum Rückbau und Neubau der Fahrbahnübergangskonstruktionen, Betoninstandsetzungen der Betonoberflächen und Oberflächenbeschichtung, Arbeiten zur Instandsetzung der Stahlbetoneinfassung der Spannkammer und Spannkammerrückwand sowie Arbeiten zum Rückbau und regelkonformen Neubau der Brückengeländer vorgenommen. Nach jahrelangem Betrieb der Elsenbrücke wurden somit die erforderlichen und erkennbaren Unterhaltungsmaßnahmen ausgeführt. Anschließend widmete sich die Brückenbauverwaltung der Vielzahl von weiteren Instandhaltungs- und Neubauprojekten im Land Berlin. Am 30. August 2018 zeigten sich dann jedoch neue gravierende Schäden an der Brücke. Im Rahmen turnusmäßig stattfindender Bauwerksprüfungen nach DIN 1076 wurden verstärkt Risse an der Brückenunterseite im östlichen Teil festgestellt sowie im Außensteg des nördlichen Feldes des östlichen Teilbauwerks der Elsenbrücke ein ca. 25 m langer Längsriss mit einer Rissbreite bis 1,80 mm, der sich sowohl an der Außen- als auch an der Innenseite abzeichnete. Neben dem breiten, leicht erkennbaren Riss lagen bereichsweise noch weitere kleinere Risse sowie hohlliegende Betonflächen vor. Im Ergebnis mussten sofort alle Fahrstreifen auf dem östlichen Überbau für den Kraftfahrzeugverkehr komplett gesperrt werden. Nach umfangreichen Bauwerksuntersuchungen, Beprobungen und Begutachtungen stand im November 2018 fest, dass die stark geschädigte Elsenbrücke abgerissen und durch einen Ersatzneubau ersetzt werden muss. Die Ursache der Rissbildung ist auf eine Kombination aus verschiedenen Einflussgrößen, insbesondere auf den Spannkraftverlust des spannungsrisskorrosionsgefährdeten Spannstahls und einen hohen Temperaturgradienten im Sommer 2018, zurückzuführen. Die Ursache konnte nur in Auswertung des Schadensbildes, durch Verformungsauswertungen des Bestandsbauwerks, die Wertung von Laboruntersuchungen und Schadensbildern von anderen Brückenmaßnahmen sowie durch rechnerische FEM-Modelle empirisch belegt werden. Die festgestellten Bauwerksschäden sind hauptsächlich dem verwendeten Spannstahl zuzuordnen, welcher unter Berücksichtigung der damaligen Randbedingungen und nach damaligen Regeln der Technik verbaut wurde. Der Spannstahl ist über die gesamte Länge unmittelbar mit dem gesamten Bauwerk verbunden. Da nicht zerstörungsfrei feststellbar ist, an welcher Stelle und in welchem Umfang er geschädigt ist, lässt sich eine Ertüchtigung des Bauwerks oder der Austausch der Spannglieder nicht sinnvoll und wirtschaftlich durchführen.

4 Bauwerksdiagnostik des

Bestandsbauwerks

Die Ermittlung der Schadensursache und des Schadensumfanges ließ sich nicht eindeutig abschließen, zum Teil konnten die genauen Analysen der Schadensursache bei vergleichbaren Brücken erst während des Rückbaus der Konstruktion gewonnen werden. Die Probleme für eine eindeutige und schnelle Schadensanalyse sind bei der Elsenbrücke durch die Sonderbaukonstruktion bedingt. Die verlegten Spannstähle liegen nicht wie üblich in einzelnen, gesondert verpressten Hüllrohren, sondern alle über 500 Spanndrähte wurden je Hohlkastensteg nur in einem einzigen Stahlblechkasten verlegt und verpresst. Mit den zerstörungsfreien magnetinduktiven Messverfahren konnten nur die am Rand des Kastens verlegten Stähle untersucht werden. Alle innenliegenden Spanndrähte werden durch den umhüllenden Stahlblechkasten und die äußeren Spanndrähte abgeschirmt. Der Zustand ließ sich nicht durch zerstörungsfreie Prüfverfahren ermitteln. Insofern blieb nur die Möglichkeit, die Schadensursache aus vergleichbaren Schadenseintritten bei anderen Brücken, durch Auswertung von Laboruntersuchungen und aus rechnerischen Analysen zu verifizieren. Im Ergebnis ist der massive Schadenseintritt nur durch ein Versagen von Spannstählen im östlichen Überbau zu erklären. Wie bereits erwähnt, wurde bei der Elsenbrücke spannungsrissgefährdeter Spannstahl verwendet, welcher die rechnerische Lebensdauer der Brücke erheblich reduziert. In Auswertung damaliger Bautagesberichte ist leider beim östlichen Überbau zusätzlich der erforderliche Ver-

pressvorgang der 532 Spanndrähte im Stahlblechkasten mit einer erheblichen Verzögerung erfolgt, so dass eine eventuelle Vorschädigung durch Korrosion der Spannstähle nicht ausgeschlossen werden kann. Zusätzlich führten die extremen Temperaturen im Sommer 2018 zu einer erweiterten Belastung, welche zu dem Versagen der Brücke beigetragen haben wird. Die Ursache der Rissbildung lag mit großer Wahrscheinlichkeit in einer Kombination aus einem Spannkraftverlust des spannungsrisskorrosionsgefährdeten Hennigsdorfer Spannstahls und einem hohen Temperaturgradienten. Die bei einem Spannstahlbruch entstehenden Spaltzugkräfte wirken lokal von innen auf den vorhandenen Stahlblechkasten des Spannkanals, können von ihm nicht aufgenommen werden und werden an den umliegenden Betonsteg weitergeleitet. Dieser ist jedoch genau dort durch das Vorhandensein des Kastens selbst stark im Querschnitt geschwächt und nicht in der Lage, die zugehörigen Spannungen gemeinsam mit jenen aus der Temperaturbelastung aufzunehmen, so dass die horizontale Rissbildung entsteht. Der für den Straßenverkehr gesperrte Überbau (Teilbauwerk Ost) musste im Ergebnis kurzfristig abgebrochen werden und bis zum Abbruch für Kraftfahrzeuge gesperrt bleiben. Sofern sich dessen Zustand verschlechtert hätte, wären die Befahrung der Wasserstraße sowie die Nutzung durch den Fuß- und Radverkehr zu unterbinden gewesen. Ob der Verkehr auf dem westlichen Teilbauwerk bis zum Abbruch aufrechterhalten werden konnte, war zum damaligen Zeitpunkt sehr stark von der Entwicklung des Bauwerkszustands abhängig. Bei Auffälligkeiten wäre eine umgehende statische Bewertung erforderlich gewesen, welche im Ergebnis auch zur Sperrung des westlichen Überbaus geführt hätte.

9 Rissmonitoring am Bestandsbauwerk © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Die bereits laufenden Maßnahmen zur Überwachung mit 14-tägiger handnaher Kontrolle aller Stege von außen, Durchbiegungsmessungen aller drei Felder mit wöchentlicher Auswertung und Dauerüberwachung der Rissbildung wurden bis auf weiteres beibehalten. Ein vermessungstechnisches Beweissicherungsprogramm wurde aufgestellt und entsprechende Messeinrichtungen zur Bestimmung der aktuellen Setzungen, Verdrehungen und Verkippungen des Bauwerks vorgesehen.

10 Aufbauanordnung der Schallemissionsanlage © GMA-Werkstoffprüfung GmbH/Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Darüber hinaus erfolgte innerhalb der Hohlkästen des westlichen Überbaus eine Schallemissionsprüfung mittels AcousticEmission-Testing. Die Schallemissionsmessung kommt seit mehreren Jahren in der Materialuntersuchung und -forschung bei Werkstoffen zum Einsatz, welche bei geeigneter Belastung oder geeigneten Betriebsbedingungen Schallemissionsergebnisse mit einer bestimmbar hohen Amplitude erzeugen. Insgesamt wurden 59 Schallemissionssensoren mit entsprechender Verkabelung zu den Überwachungssystemen inklusive unterbrechungsfreier Stromversorgung und eines Routers für den Fernzugriff in das westliche Teilbauwerk integriert. Die Sensoren wurden auf der Innenseite der vier Stege der beiden Hohlkästen des westlichen Überbaus unmittelbar auf den Spannkästen mittels Magnethalter befestigt. Zielsetzung dieser Bauwerksdiagnostik bzw. Zustandsverfolgung ist die Detektion und Ortung von möglichen Spannstahldrahtbrüchen. Neben den eigentlichen Schallemissionsmessungen werden auch Messungen an der Umgebung bzw. am Bauwerk, unter anderem Temperatur, Druck, Feuchtigkeit betreffend, durchgeführt und mit den restlichen Messdaten ausgewertet. Die Betriebsfunktion der Überwachungssysteme arbeitet auf Grundlage einer firmenbasierten und kundeneigenen Überwachungsseite, welche somit an die projektspezifischen Randbedingungen angepasst wurde. Dadurch kann eine gute Übersicht über die Ergebnisse und deren Zuordnung zu den festgelegten Warn- und Alarmwerten erfolgen, was erlaubt, die Meldeprozesse bei Schadensereignissen einzuleiten. Im Dezember 2021 wurden mehrere Alarmwerte überschritten, so dass auch der westliche Überbau vollständig für den Verkehr gesperrt werden musste. Die Folge waren erhebliche verkehrliche Einschränkungen im angrenzenden und im übergeordneten Stadtgebiet. So wurden neben Verdrehungen des Überbaus zwei weitere Spannstahldrahtbrüche festgestellt. Bei einer zweitägigen Bauwerkskontrolle und Begutachtung wurde kein weiteres Schadensbild am westlichen Teilbauwerk erkannt, so dass der Verkehr mit einer Neuanordnung und Reduzierung der Fahrstreifen wieder freigegeben werden konnte. Im Ergebnis der zurückliegenden Überwachung sind bisher mehrere Drahtbrüche detektiert worden, weshalb die Bauleistungen zur Errichtung der Behelfsbrückenkonstruktion beschleunigt werden mussten.

5 Hauptphasen der

Bauwerkserrichtung

Die wesentlichen Randbedingungen der Baumaßnahme lassen sich wie folgt aufzählen: Bauen im Bestand, Bauen im innerstädtischen Bereich, Bauen unter weitestgehender Aufrechterhaltung der vorhandenen Verkehrsbeziehungen, Bauen mit einer Vielzahl von Beteiligten, Bauen mit beengten und begrenzten Platzverhältnissen, Bauen ohne gesondertes Planungs- bzw. Baurecht, Bauen mit hohem politischem Einfluss sowie Bauen mit verschiedenartigsten und interdisziplinären Anforderungen, Bauen mit komplexen Bauverfahren und Bauabfolgen, Bauen unter Berücksichtigung der Leitungsunternehmen.

11 Hauptbauphasen des Ersatzneubaus © Drees & Sommer SE

Einen Ersatzneubau einer bestehenden Brückenkonstruktion aus zwei Teilbauwerken zu errichten, wird eigentlich im klassischen Bauablauf realisiert, wonach mit zwei Hauptbauphasen zunächst der erste Überbau abgerissen und neu gebaut wird. Die verschiedenen Verkehrsarten werden zwischenzeitlich mit den erforderlichen Verkehrseinschränkungen auf den zweiten Überbau überführt und gegebenenfalls Umleitungsstrecken eingerichtet. Wenn der erste Überbau fertiggestellt ist, erfolgt die Umschwenkung auf den neuen. Die Arbeiten am zweiten Überbau werden dann analog wiederholt, bis alle Bauleistungen abgeschlossen sind. Nur konnte hier nicht mehr auf den klassischen Bauablauf zurückgegriffen werden, da bereits ein Teilbauwerk gesperrt worden war, der zweite Überbau bereits Schäden aufwies und eine verlässliche Bestimmung der Restnutzungsdauer des unter Betrieb befindlichen Teilbauwerks nicht realisierbar war. Die Möglichkeit einer Vollsperrung aller Verkehrsbeziehungen im Bereich der Elsenbrücke wurde zwar geprüft, im Wesentlichen aber auf Grund der sehr hohen Verkehrsbelastung und der damit verbundenen erheblichen Auswirkungen auf umliegende Wohn- und Gewerbegebiete verworfen. Dabei musste auch berücksichtigt werden, dass die bestehende Elsenbrücke eine Vielzahl von Leitungen überführt, für die massive Ersatztrassen bzw. Ersatzbauwerke zu errichten gewesen wären.

Der irreparable Bauwerkszustand und die Sicherung des fließenden Verkehrs unterhalb und auf der Brücke erforderten die kurzfristige Bereitstellung einer Behelfskonstruktion. Nach Auswertung der vorliegenden Randbedingungen wurde ein erster Rahmenterminplan aufgestellt, welcher die folgenden sechs Hauptbauphasen (HBP) berücksichtigt: – erste HBP:

Abriss östlicher Überbau (2020), – zweite HBP:

Errichtung Behelfsbrücke (2021–2022), – dritte HBP:

Abriss westliches Teilbauwerk (2022–2023), – vierte HBP:

Ersatzneubau der westlichen

Brückenhälfte (2023–2025), – fünfte HBP:

Rückbau Behelfsbrücke (2025–2026), – sechste HBP:

Ersatzneubau östliche Brückenhälfte (2026–2028). In dieser Planung der sechs Hauptbauphasen sind Zeiträume für die Produktion der Behelfsbrückengeräte, für planrechtliche Genehmigungsverfahren, für Abstimmungs- und Koordinierungsleistungen angrenzender Baumaßnahmen sowie weitere Zeiträume enthalten, welche die erforderliche Robustheit gewährleisten. Die Planung zum eigentlichen Neubau der Brücke soll eine Lösung hervorbringen, welche den aktuellen und zukünftigen Nutzungsanforderungen gerecht wird. Zudem soll eine nachhaltige, verkehrswendetaugliche Brücke entstehen, so dass bei der Planung neben der Anordnung von geschützten Radwegen auch eine mögliche Nutzung durch eine spätere Straßenbahntrasse berücksichtigt wird. Und: Während der gesamten Bauzeit müssen die Sicherheit des fließenden Verkehrs und die Sicherheit der Beschäftigten auf der Baustelle trotz der Zielsetzung einer kurzen Bauzeit immer an erster Stelle stehen.

6 Bauvorbereitende Maßnahmen

Mit der Entscheidung zum zwingend erforderlichen Ersatzneubau der Elsenbrücke Ende 2018 mussten zunächst die finanziellen und personellen Voraussetzungen für einen Projektstart geschaffen werden. Es zeigte sich sehr schnell, dass die bevorstehende Aufgabe nicht mit den üblichen Verfahrensschritten bearbeitet werden kann. Für das nunmehr prioritäre Großprojekt stand kein freies Personal, keine finanziellen Mittel und kein erforderlicher Vorlauf für die Grundlagenermittlung und die Vorankündigung der Baumaßnahme zur Verfügung. Zunächst musste es also darum gehen, den zwar gesperrten, aber immer noch irreparabel geschädigten östlichen Überbau schnellstmöglich abzureißen und eine leistungsfähige Behelfskonstruktion zu errichten. Nachdem ein erster Fahrplan festgelegt worden war, begann ein kleines Projektteam mit der Arbeit, wobei die nächsten Schritte durch Ausnahmebegründungen, Sonderanträge und Zustimmungen zu legitimieren waren. Sobald die ersten finanziellen Mittel durch Sonderzustimmung der Finanzverwaltung und nach Bestätigung durch die politischen Gremien zur Verfügung standen, konnten die erforderlichen Leistungen an Planer, Prüfingenieur, Projektsteuerer, Gutachter und rechtliche Berater vergeben werden. Die erforderliche Terminkette zum frühestmöglichen Baubeginn stand freilich den fehlenden Kapazitäten bei allen Beteiligten gegenüber. Die verkehrlichen Auswirkungen im Umfeld der Elsenbrücke, die drohende Gefahr einer möglichen Sperrung der Spree als Bundeswasserstraße und die Erkenntnis, dass eine Lösung gefunden werden musste, mobilisierten jedoch die notwendigen Kräfte. Eine der wesentlichen Herausforderungen war hier die Bereitstellung der Arbeits-, Logistik- und Baustelleneinrichtungsflächen, denn die an die Brücke angrenzenden Areale gehören privaten oder gewerblichen Eigentümern. Erforderliche Dienstbarkeiten waren nur sehr vereinzelt oder überhaupt nicht erfasst, so dass individuelle Vereinbarungen abgeschlossen und zum Teil gerichtliche und verwaltungsseitige Verfahrensschritte sowie Ordnungsmaßnahmen erwirkt werden mussten. Darüber hinaus galt es, zusätzlich wasserseitige Flächen mittels Spundwandverbauten und Erdaufschüttungen zu erschließen. Rund zehn Monate nach Projektstart konnte der Auftrag zum Abbruch des östlichen Überbaus inklusive Einrichtung bauzeitlicher Erschließungs- und Technologieflächen erteilt werden.

12 Vorgesehene bauzeitliche Flächen und Zuwegungen © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

13 Schematische Darstellung der Abbruchtechnologie © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

14 Absenkvorgang des Stromfeldes © Max Wild GmbH

15 Längsschnitt der Behelfsbrückenkonstruktion © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

7 Hauptbauphase 1:

Abbruch östlicher Überbau

Im Dezember 2019 begannen die auftragnehmerseitigen Planungsleistungen, im Februar 2020 die Kampfmittelsondierung der Baubereiche sowie im März 2020 die Schaffung einer Zufahrt mit Baustraße und die Realisierung der Baustelleneinrichtung auf der nördlichen Seite. Der Bauausführung liegt folgender Ablauf zugrunde: – Vorbereitende Arbeiten, – Bauabschnitt 1:

Herstellung der Arbeitsebenen am

Nord- und Südufer, Umlegung der

Verkehrsführung und Sperrung des östlichen Überbaus, – Bauabschnitt 2:

Herstellung der Traggerüste, – Bauabschnitt 3:

Abbruch des Überbaus, – Bauabschnitt 4:

Rückbau des Traggerüsts, Nacharbeiten. Bauabschnitt 4 wurde Ende Oktober 2020 abgeschlossen, die Baukosten für Rückbau und Abbruch beliefen sich auf 7,5 Mio. €.

7 Hauptbauphase 2:

Behelfsbrückengeräte

Für die Behelfsumfahrung sollten zwei Behelfsbrückengeräte SS 80 zum Einsatz kommen, deren Errichtung die zweite Hauptbauphase darstellte und den Teilabbruch der Bestandspfeiler und Widerlager, der seitlichen Spannkammerwände und der Lagersockel des östlichen Teilbauwerks sowie den vollständigen Ersatzneubau des östlichen Bestandsüberbaus mittels jener zwei Brückengeräte einschließlich Ausstattung wie Beleuchtung, Schutzeinrichtungen etc. beinhaltete. Weiterhin ist die Ertüchtigung bzw. der Umbau der Unterbauten Teil dieser zweiten Hauptbauphase.

Als Behelfsumfahrung dienen zwei Systembrücken SS 80: Stahlkonstruktionen mit obenliegendem Tragwerk. Die bestehenden Unterbauten werden für den Ersatzneubau wiederverwendet. Es erfolgen hier lediglich geometrische Anpassungen in Form von aufgesetzten Stahlkonstruktionen und Ortbetonergänzungen. Im Wesentlichen sind für die Herstellung der Behelfsbrückenkonstruktion folgende Arbeiten auszuführen: Verkehrssicherung, Herrichtung der Unterbauten mit Teilabbruch von Strompfeiler, Widerlager und Spannkammerwänden sowie Montage der Stahlkonstruktionen (Achse 10–40), Herstellung der Betonergänzung (Achsen 0 und 50) und einer Winkelstützwand (Achse 0), Herstellung des östlichen Überbaus mittels Längs- und Querverschub, Montage des westlichen Überbaus mittels Längsverschub, Fertigstellung von Überbauten und Installation von Brückenlager, Gehweg, Geländer, Medienleitungen, Beleuchtung, Schifffahrtszeichen etc. sowie Herstellung der Anrampungen in den Vorlandbereichen.

16 Behelfsbrücke: Montage der Ausstattung © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

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Ein Blick auf unsere weiteren Leistungen kann nicht schaden:

17 Querschnitt der neuen Elsenbrücke © Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz

Die Behelfsumfahrung ist fertiggestellt und wurde für den Verkehr vorfristig freigegeben. Vor dem Hintergrund, dass auch der westliche Bestandsüberbau vorgeschädigt ist, war die Inbetriebnahme der Behelfsbrücke ein wichtiger Meilenstein, um diese bedeutende Verkehrsverbindung dauerhaft aufrechtzu- erhalten. Im Ergebnis ist deshalb festzustellen, dass es die richtige Entscheidung war, zunächst eine leistungsfähige und tragfähige Behelfsumfahrung einzurichten.

8 Zusammenfassung und Ausblick

Der Ersatzneubau der Elsenbrücke ist ein komplexes innerstädtisches Großprojekt. Der planmäßige Rückbau des stark geschädigten östlichen Überbaus, die vorfristige Fertigstellung der Behelfsbrückenkonstruktion inklusive aller Leitungsumverlegungen und der damit verbundenen Konzeption und Koordination sind ein eindeutiger Beleg, dass alle am Bau Beteiligten fortlaufend die Zielsetzung einer frühestmöglichen Fertigstellung im Blick behalten haben. Die Koordination der Schnittstellen in der Planung und Ausführung müssen auch bei den nächsten Hauptbauphasen gewährleistet bleiben. Die Bauarbeiten zum Ersatzneubau der Elsenbrücke gehen nur dann planmäßig voran, wenn eine lösungs- und zielorientierte Projektsteuerung und Projektbearbeitung fortlaufend umgesetzt wird. Nach der unerwarteten Schadensfeststellung Mitte 2018, der anschließenden Begutachtung des Bestandsbauwerks und der unvermeidbaren Festlegung zum Ersatzneubau der Elsenbrücke Ende 2018 erfolgen seit Anfang 2019 die erforderlichen Planungen und Bauleistungen für diese wichtige Verkehrsverbindung. Nach personeller Umorganisation und Bildung eines Projektteams konnten noch 2019 die notwendigen Ausschreibungs- und Vergabeverfahren durchgeführt werden. Parallel und unmittelbar danach wurden die Abstimmungen mit Anliegern, Leitungsbetrieben und Betroffenen geführt. Nach Vorlage der planrechtlichen und genehmigungsbedingten Voraussetzungen welche in Teilen mittels gerichtlicher Durchsetzungsverfahren erlangt werden mussten, konnte dann 2020 mit den Rückbau- und Abbrucharbeiten begonnen werden. Der Rückbau einer Spannbetonbrücke ist bereits eine äußerst komplizierte statische Ingenieurleistung. Hier kam erschwerend hinzu, dass sie erheblich vorgeschädigt war, was wiederum bedingte, auf beiden Uferseiten zunächst umfangreiche Tief- und Erdbauleistungen zur Herstellung einer bauzeitlichen Bearbeitungsfläche durchzuführen. Darüber hinaus waren die erforderlichen Elemente für die Behelfsbrückenkonstruktion in der benötigen Menge nicht verfügbar bzw. nicht anmietbar, so dass die Ausschreibungs- und Planungsunterlagen angepasst werden mussten: Es galt, die Behelfskonstruktion nach aktuellen Vorschriften und Regelwerken zu bemessen und zu produzieren, wofür das beauftragte Unternehmen nur 17 Monate Zeit hatte. Mit Inbetriebnahme der Behelfsumfahrung am 12. Januar 2022 konnte dank einer intensiven und gemeinsamen Projektbearbeitung aller am Bau Beteiligten letztlich ihre vorfristige Fertigstellung erreicht werden. Aktuell läuft das Ausschreibungs- und Vergabeverfahren zum Rückbau und Abbruch des westlichen Überbaus samt zugehörigen Widerlagern und Brückenpfeilern, so dass nach den noch erforderlichen Leitungsumverlegungen in den Vorlandbereichen und der Herstellung weiterer Logistik- und Baustellenflächen die Abbrucharbeiten am westlichen Teilbauwerk ab Mitte 2022 beginnen können. Parallel erfolgen die Planungs-, Abstimmungs- und Genehmigungsverfahren zum eigentlichen Ersatzneubau der Elsenbrücke, wobei derzeit der Brückenentwurf entwickelt wird. Vorgesehen ist eine Stahlbrücke, die einen hohen werkseitigen Vorfertigungsgrad aufweist und damit eine parallele Herstellung der Widerlager und Pfeiler erlaubt.

Somit liegt das Gesamtbauvorhaben weiterhin innerhalb der Terminplanung, welche eine Fertigstellung der Gesamtleistung im Jahr 2028 und damit in Summe eine zehnjährige Bauzeit für diese komplexe Ingenieuraufgabe vorsieht. Das Projekt mit aktuell berechneten und geschätzten Gesamtbaukosten von 97,7 Mio. € wird im Rahmen der Gemeinschaftsaufgabe (GRW) »Verbesserung der regionalen Wirtschaftsstruktur« gefördert.

Autor: Dipl.- Ing. Arne Huhn Leiter Brücken-/Ingenieurbau (E/A) Abteilung Tiefbau Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz, Berlin Bauherr Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz Berlin

Planung VIC Planen und Beraten GmbH, Potsdam Inros Lackner SE, Rostock

Projektsteuerung Drees & Sommer SE, Berlin MMP Mager-Morana Projektmanagement im Bauwesen GmbH, Berlin

Prüfingenieure KHP König und Heunisch Planungsgesellschaft mbH & Co. KG, Berlin Klähne Bung Beratende Ingenieure im Bauwesen GmbH, Berlin

Bauausführung Arbeitsgemeinschaft: Züblin Spezialtiefbau GmbH, Berlin TVF Altwert GmbH, Cottbus Arbeitsgemeinschaft: Strabag AG, Berlin SEH Engineering GmbH, Hannover Bauüberwachung und Bauoberleitung IGS Ingenieure GmbH & Co. KG, Weimar

Bauwerksmonitoring Bockermann Fritze IngenieurConsult GmbH, Enger GMA-Werkstoffprüfung GmbH, Berlin Intermetric GmbH, Stuttgart

Baugrundgutachten ABE Bauprüf- und -beratungsgesellschaft mbH, Stahnsdorf

Abbrucharbeiten Max Wild GmbH, Berkheim TVF Altwert GmbH, Cottbus

Weil Erfolg nur im Miteinander entstehen kann. Seit vielen Jahrzehnten überbrücken wir Flüsse, Täler und andere Hindernisse und schaffen mit unserem Know-how kurze, wirtschaftliche und umweltgerechte Verbindungen für den Verkehr auf Straße und Schiene. Aus dieser Erfahrung und der gesammelten Kompetenz unserer Teams speist sich ein breites Wissensfundament, auf dessen Basis wir für jede statische Herausforderung die passende Lösung finden können. www.strabag.de

STRABAG AG, Direktion Brückenbau Süd-Ost, Radeburger Str. 28, 01129 Dresden, Tel. +49 351 8243700, info.brueckenbau-suedost@strabag.com

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