vorwärts
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€ 1.30 – A 07665 Illustration: Dorothee Mahnkopf
D i e Z e i t u n g d e r d e u t s c h e n s o z i a l d e m o k r at i e
Besser Essen!
gier und geiz schaden Mensch und tier Stephan Weil hannovers OB erobert niedersachsen Neue serie: Gelebte Politik Folge 1 – Heidemarie wieczorek-Zeul
November 2012
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G e g r ü nd e t 1 8 7 6
Sparkassen-Finanzgruppe
Auch Ihre Mutter würde es wollen. Die Sparkassen-Altersvorsorge.
Tun Sie es Ihrer Mutter zuliebe. Und vor allem sich selbst. Mit einer Sparkassen-Altersvorsorge entwickeln wir gemeinsam mit Ihnen ein auf Ihre individuellen Bedürfnisse zugeschnittenes Vorsorgekonzept und zeigen Ihnen, wie Sie alle privaten und staatlichen Fördermöglichkeiten optimal für sich nutzen. Vereinbaren Sie jetzt ein Beratungsgespräch in Ihrer Geschäftsstelle oder informieren Sie sich unter www.sparkasse.de. Wenn’s um Geld geht – Sparkasse.
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Inhalt 3
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themen in diesem heft
liebe Leserin, Lieber leser! Nehmen wir einmal an, Sie werden zu einer Casting-Show eingeladen, bei ZDF, RTL & Co. Sie legen einen glänzenden Auftritt hin und bekommen auch noch Geld dafür. Sagen wir, soviel Geld, wie ein Casino-Banker jede Woche einsteckt. Was würden Sie tun? Ablehnen?
Peer Steinbrück hat Bankern die Leviten gelesen und dafür Geld erhalten. Man kann sich über diese Banker wundern und über die Honorierungspraktiken der Event-Branche. Aber doch nicht über Steinbrück! Zumal der alles brav versteuert hat. Korrekter geht es nicht. Und jetzt verzichtet dieser Mann auf künftige Honorare! Er gibt seine Freiheit auf. Statt vom Event-VIP-Service gepampert zu werden, muss er sich öffentlich abwatschen lassen. Nur um Kanzlerkandidat und nach einem langen Jahr ohne Freizeit womöglich Kanzler zu werden. Um dann weniger zu verdienen als bisher. Warum tut er das? Warum tut er sich und seiner Familie das an? Das ist die einzig spannende, die wirklich irritierende Frage in der Causa Nebeneinkünfte. Womöglich, weil er dienen will – seiner Partei und seinem Land? Das zu glauben fehlt vielen unter uns die Phantasie. Und genau das ist unser Problem.n Mit herzlichen Grüßen,
Titel besser Essen! zur Tat! – Für einen neuen Verbraucherschutz wie gesund isst schule? – Schüler und ihr Essen essen macht politik – Die Auswirkungen unserer Nahrungsmittelproduktion auf Mensch und Tier wahrheit oder Betrug? – Die Gütesiegel wissen ist macht – Die Verbraucherpolitik der SPD nur heisse luft– Ministerin Ilse Aigner tut nichts
Kolumnen 10 global gedacht – Rafael Seligmann 11 berliner Tagebuch – Uwe Knüpfer 12 Zwischenruf – Christoph Müller-Wirth 30 medienzirkus – Gitta List 34 Das Allerletzte – Martin Kaysh
Ihm schmeckt‘s: Doch wie gesund ist Schulessen?
Stephan Weil: vom Rathaus in die Staatskanzlei
Seite 20
Wirtschaft 23 gut gemacht – Die Fagus-Werke 24 Alles muss auf’s Etikett – Streit um die Kennzeichnung von Lebensmitteln 25 Meine Arbeit – Der Landwirt 26 Das branchenporträt – Der Einzelhandel
kultur 27 grass salzte nach – Festakt zum 85. Geburtstag 27 »er hat Das Maul aufgemacht« – Die Schrift- stellerin Eva Menasse über Günter Grass 28 auftritt – Der „vorwärts“ auf der Buchmesse 29 REZENSIONen – Klaus Wettig: Orte der Sozial demokratie 30 GALERIE – Eiko Borcherding historie 31 er war einer von uns – Willy Brandt und die Jugend 32 vor 40 Jahren – Der SPD-Wahltriumph von 1972 33 Wer war’s? – Lothar Pollähne 10 in kürze | 12 Leserbriefe 14 Parlament | 32 Impressum 26 Rätselseite | 27 seitwärts
Eva Menasse: Die Literatin würdigt Günter Grass Seite 27
Beil age SPD-ReiseService
SPD SPD SPD
Redaktionsschluss 05. November 2012 Uwe Knüpfer Chefredakteur
Seite 5
partei leben! 15 Starke Werte – Kongress der Ebert-Stiftung 16 zeig mir dein leben – Die Frauenbrücke Ost-West in der SPD 17 neue Serie: gelebte Politik Teil 1 – Heidemarie Wieczorek-Zeul 18 der SPD-Bürgerdialog 20 Porträt – Stephan Weil: Vom Ober bürgermeister zum Ministerpräsidenten 22 Arbeitsgemeinschaften in der SPD Die Jusos: Linker Stachel im Fleisch der Partei
Diese Ausgabe Enthält eine VERLAGS- SONDERVERÖFFENTLICHUNG ZUm Thema »Lifestyle« In der Heftmitte
2013
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Gemeinsam Mee(h)r erleben Reisen im Freundeskreis
Das beeindruckende Seefahrerdenkmal vor der Brücke des 25. April in Lissabon ist während unseres 9. Frühlingstreffens zu sehen.
Verlagsbeilage vorwärts Nov. 2012
Fotos: Wolfgang Quickels, imago/Sabine Gudath, Dirk Bleicker, dpa Picture-Alliance / Markus Scholz
Sie merken schon, es geht um Peer Steinbrück. Das Gegreine, Gegeifere und Geneide über seine Vortragshonorare regt mich auf. Es ist kleingeistig, falsch und niederträchtig. Kaum hat Steinbrück seine Honorare penibel offengelegt, heult die Meute: Ja, hat er denn nicht auch Bücher geschrieben und auch dafür Geld bekommen? Ja, hat er! Und die Bücher werden gekauft! Der Mann kann was. Er hat etwas zu sagen und tut das unterhaltsam. Damit kann man heute fast so viel Geld verdienen wie als Flimmersternchen oder TV-Moderator.
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Siehe Seite 4
23.10.2012 14:05:54 Uhr
SPD-ReiseService: Urlaub gemeinsam mit Freunden genießen. Die schönsten Ziele im Jahr 2013
4 Titel
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Kochen und Essen als Chance: TV-Sterne-Koch Josef Lafer und SPD-Fraktionschef FrankWalter Steinmeier bereiten im brandenburgischen Mötzow Produkte aus der Region zu. Im Hintergrund angehende Köche, die von der Initiative „Future for us“ gefördert werden. Sie hilft Jugendlichen beim Einstieg in das Berufsleben und klärt sie auf über einen aktiven, gesunden Lebensstil. Steinmeier ist Schirmherr der Initiative. Die Jugendlichen, überwiegend mit Migrationshintergrund, hatten früher wenig Chancen auf dem Arbeitsmarkt. Jetzt bekommen sie eine Ausbildung zum Koch. Und können so wieder ein selbstbestimmtes Leben führen und an der Gesellschaft teilhaben.
Vom Prinzip zur Tat E
rst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“ Bertolt Brecht müsste entzückt sein, könnte er einen Blick in heutige Supermärkte werfen: An „Fressen“ herrscht kein Mangel, also bliebe viel Zeit für Moral. Doch was „fressen“ wir? Ein Blick auf Produktionswege und Zusatzstoffe lässt Brechts Wortwahl prophetisch erscheinen. Künstliche Aromen gaukeln Geschmack vor. Chemikalien sichern Transport- und Lagerfähigkeit. Fleisch und Wurst liefern Medikamente mit, die kein Arzt verschrieben hat. Die meisten „Lebensmittel“ sind Industrieprodukte, vielfach verarbeitet, uniformiert, manipuliert – und gezuckert. Im weltweit steigenden Zuckerkonsum sehen Forscher eine Ursache der ebenfalls weltweiten Zunahme von Diabetes und anderen „Zivilisa tionskrankheiten“. Lebensmittelskandale
immer Weniger Geld für unser Essen Anteil der Ausgaben für Nahrungsmittel an den Konsumausgaben in Deutschland
57% 44%
20% 14,2% 1900
1950
1980
2010
Quelle: Statistisches Bundesamt
werfen alle paar Monate grelle Schlaglichter auf eine Branche, die gern verdunkelt, was sie tut. Und der Kunde? Lässt sich willig verdummen. Wer will schon wissen, was genau in der Currywurst steckt, warum die Tomaten so glänzen und wie unser Brathuhn gelebt hat? Seit 2002 ist Tierschutz als Staatsziel im Grundgesetz verankert. Dennoch ist Deutschland ein Eldorado der Intensivtierhaltung. Längst wird hier mehr Fleisch „produziert“, als die Deutschen essen. Hühner- und Schweinemäster ziehen aus Nachbarländern hierhin. Ist das ein Erfolg agiler Wirtschaftsförderung? Oder Frevel an der Umwelt und den Tieren? Die SPD-Position ist im Prinzip klar. „Die SPD will gesunde Lebensmittel für alle Geldbeutelgrößen“, heißt es in einem Programm der Bundestagsfraktion. Und sie will „zurück zu einer artge-
rechten Tierhaltung“. Doch was so selbstverständlich klingt, gleicht in der Praxis der Quadratur des Kreises. Eine Rückkehr zu vorindustriellen Produktionsweisen wäre unsozial und ungesund. Bis weit ins 20. Jahrhundert waren Mangel und Hunger auch in Europa ständige Begleiter des arbeitenden Volkes. Ludwig Feuerbach hat der frühen Arbeiterbewegung diese Erkenntnis mitgegeben: „Der Mensch ist, was er isst.“ Schon deshalb sollte er wissen wollen, was er isst. Die fällige Rückbesinnung auf Feuerbach erzwingt genaues Hinsehen, aber auch eine neue Landwirtschaftspolitik, strenge Auflagen, strikte Kontrollen, vielleicht auch neue Zölle – und, in Kindergärten und Schulen schon, die Erziehung zu bewusster und deshalb gesunder und moralisch vertretbarer Ernährung. Es gilt, den Weg vom Prinzip zur Praxis zu gehen. n UK
Foto: elsweyer + hoffmann
Der Mensch ist, was er isst Auf der Suche nach einer Politik, die Verbraucher- und Tierschutz verbindet, die sozial und ökologisch ist
Titel 5
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Wie gesund isst Schule? Mittagessen Die jüngste Brechdurchfall-Epidemie an ostdeutschen Schulen hat eine erneute Diskussion um Preise und Qualität entfacht Von Marisa Strobel
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u viel Fett, zu wenig Vitamine: Das Schulessen hat keinen guten Ruf. Anfang des Jahres bewerteten Ernährungswissenschaftler der Hochschule Niederrhein in einer Untersuchung die Qualität der Schulkost als mangelhaft. Nach der BrechdurchfallEpidemie Ende September in Ostdeutschland steht das Schulessen noch stärker in der Kritik. Schuld an der Erkrankung von mehr als 11 000 Menschen waren offenbar billige Tiefkühl-Erdbeeren aus China, die ein Caterer für Schul- und Kita-Essen verwendete. Diskutiert wird nun, wie die Qualität des Schulessens verbessert werden kann. Elternvertreter fordern unter anderem, vermehrt auf regionale Produkte zurückzugreifen. Doch vielerorts scheitert es schlichtweg am Geld. Häufig mangelt es zum einen an der Bereitschaft, zum anderen an den finanziellen Möglichkeiten von Eltern und Kommunen, für gutes Essen angemessen zu bezahlen. Eine warme Schulmahlzeit darf derzeit im Bundesdurchschnitt nur 2,50 Euro kosten. Die Preise variieren je nach Bundesland. So werden in Thüringen nur 1,90 Euro fällig, in Bayern dagegen 4,20 Euro. Während in München die Eltern den Beitrag komplett finanzieren müssen, subventioniert der Berliner Senat jedes Essen mit 52 Cent. Bei einem Gesamtbetrag von ca. 2 Euro bleiben einem Berliner Caterer nach Abzug der Personal- und Betriebskosten sowie der Mehrwertsteuer nur um die 60 Cent für Zutaten. Täglich Salat oder Rohkost, wie es Ernährungsexperten empfehlen, oder gar regionale Produkte, sind bei solchen Beträgen nicht drin.
Fotos: Michael Trippel/laif, Lars Welding/bpb
Was kann die Politik tun? Wie viel ein vollwertiges Schulessen kostet, machte erst im September eine Studie der Hochschule für Angewandte Wissenschaften in Hamburg deutlich. Ergebnis: Für ein Mittagessen an Grundschulen sollten mindestens 3,17 Euro zur Verfügung stehen – und damit ein Euro mehr als in Berlin bisher üblich. Doch die Berliner Bildungssenatorin Sandra Scheeres (SPD) warnt: „Ein teures Schulmittagessen ist nicht gleichbedeutend mit einem qualitativ besseren Schulmittagessen.“ Damit sich die Mehrkosten auch auf dem Teller bemerkbar machen, strebt ihr Senat mehr Qualitätssicherung und -kontrolle an. Wie viel mehr ein Berliner Schulessen künftig kosten wird und wer die Kosten der Preiserhöhung trägt, ist noch offen.
Wer den ganzen Tag in der Schule ist, braucht eine vollwertige Mahlzeit.
2,01 Euro wird durchschnittlich an Berliner Grundschulen pro Schulessen gezahlt.
3,17
Euro kostet ein ausgewogenes Schulessen mindestens.
Quelle: Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg 2012
In Hamburg ist man da bereits einen Schritt weiter. Schulsenator Ties Rabe (SPD) hat in diesem Jahr ein fünfstufiges Gebührensystem eingeführt. Je nach Einkommen zahlen Eltern zwischen 70 Cent und 3,50 Euro pro Essen, die Differenz trägt der Senat. Für Kinder aus einkommensschwachen Familien, die das Bildungs- und Teilhabepaket beziehen, ist das Essen kostenlos. Die Caterer verpflichten sich zudem, die Qualitätskriterien der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) einzuhalten. Schulessen ist aber nicht nur Nahrungsaufnahme. Seit Jahren steigt die Zahl der übergewichtigen Kinder. Daheim lernen sie immer seltener, sich gesund zu ernähren. Daher sehen Experten die Schulen mit in der Verantwortung, Schülern eine gesunde Lebensweise zu vermitteln. In Rheinland-Pfalz startete deshalb im September eine Initiative zur Verbraucherbildung an Schulen. Insgesamt 20 Lehrer aus zwölf Schulen werden derzeit geschult. Bei ihnen sollen Kinder ausgewogene Ernährung und den bewussten Umgang mit Geld lernen. n
Kinderernährung
Einfach ungerecht Thomas Krüger fordert gutes Essen auch für Hartz-IV-Kinder Interview Yvonne Holl Herr Krüger, verläuft beim Essen für Kinder eine Kluft durch Deutschland? Natürlich gibt es viele Kinder, bei denen die Eltern besonders auf ihre gesunde Ernährung achten. Und es gibt sehr viele Eltern, die das auch gerne machen würden, aber nicht die entsprechenden finanziellen Mittel haben. Die Kluft zwischen Kindern aus reichen und armen Elternhäusern macht sich an vielen Dingen fest, an der Kleidung, an Krankheitsbildern, an Bildungsmöglichkeiten und eben auch am Essen. Regionales Gemüse und Fleisch aus artgerechter Haltung kostet meist etwas mehr. Ist das im Budget drin, wenn die Eltern Hartz IV beziehen oder Niedrigverdiener sind? Ganz klar nein. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass mit den Hartz-IV-Regelsätzen eine ausgewo gene Ernährung kaum möglich ist. Gerade der Ernährungsbedarf für ältere Kinder ist so hoch, dass selbst die Hartz-IV-Sätze der Erwachsenen nicht ausreichen. Müssen wir mehr Geld fürs Schul essen ausgeben? Und wer soll das bezahlen, die Staatskasse oder die Eltern? Da, wo die Eltern ein ausreichendes Einkommen haben, müssen diese die Kosten tragen, wo das nicht geht, ist die Gesellschaft und damit die öffentliche Hand gefordert. Während die Mahlzeiten an thürin gischen Schulen nur 1,90 Euro kosten dürfen, stehen in Bayern 4,20 Euro zur Verfügung. Das klingt ungerecht. Ist es auch. An diesem Beispiel zeigt sich sehr deutlich, dass der Föderalismus in Deutschland spätestens bei Fragen, die die Gesundheit von Kindern betreffen, Grenzen haben sollte. Gleichwertige Lebensverhältnisse und Chancengleichheit sind so nicht zu erreichen. n
Thomas Krüger (SPD) ist Präsident des Deutschen Kinderhilfswerks sowie der Bundeszentrale für politische Bildung.
6 Titel
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Schafe statt Panzer Ja zu regionalen Produkten Manchmal ist ein vermeintlicher Fluch ein wahrer Segen. 2004 schloss die Bundeswehr ihre Kaserne in Münsingen. Ein wichtiger Arbeitgeber verließ die Schwäbische Alb. Es hieß also handeln. Und so schlossen sich Münsingen und die umliegenden Gemeinden zum „Biosphärenreservat Schwäbische Alb“ zusammen. Auf dem ehemaligen Truppenübungsplatz weiden nun Schafe. Es gibt Streuobstwiesen und Weinanbau. Mithilfe einer gemeinsamen Logistik
Eine Idylle, die selten Realität ist: Im Freien und auf Stroh können sich Schweine in der Massentierhaltung nicht bewegen.
Essen macht Politik
Schafe auf dem früheren Truppenübungsplatz
Von Carl-Friedrich Höck, Marisa Strobel, Tassilo Oestmann und Kai Doering
E
ssen ist mehr als bloße Nahrungsaufnahme. Die Entscheidung für ein Lebensmittel ist auch immer eine Entscheidung für die Art und Weise, wie es produziert wird, wie Tiere gehalten und Hersteller bezahlt werden. Der „vorwärts“ hat verschiedene Beispiele aus der ganzen Republik zusammengetragen, die zeigen, wie Essen Menschen bewegt.
Zum Sauwohl fühlen Das »Neuland«-Prinzip Schweine, die im Stroh wühlen und sich in Pfützen suhlen – mit den meisten Mastschweinen in Deutschland haben diese Bilder nichts gemein. In der konventionellen Massentierhaltung sind Stroh und Aufenthalte im Freien nicht vorgesehen. Nicht so bei den Bauern, die ihre Tierprodukte unter der Marke „Neuland“ verkaufen. Der gleichnamige Verein gibt strenge Richtlinien für Haltung und Schlachtung der Tiere vor. 1988 als Alternative sowohl zur konventionellen als auch zur biologischen Fleischproduktion gegründet, setzt sich der Verein seither für eine tiergerechte und umweltschonende Haltung in bäuerlichen
Betrieben ein. Zu den Trägerverbänden gehören unter anderem der Deutsche Tierschutzbund und der Bund für Umweltschutz und Naturschutz (BUND). „Neuland bietet kleinen und mittelständischen Bauern einen Markt für Produkte aus tiergerechter Haltung und das zu fairen Preisen“, erklärt Bundesgeschäftsführer Jürgen Dettmer das Konzept. Die Neuland-Preise liegen zwischen denen aus konventioneller Produktion und denen für Biofleisch. So kostet beispielsweise ein Kilo Hähnchenbrust beim Neuland-Metzger um die 16 Euro, im Supermarkt 11 Euro. Wer Wert auf Bio legt, zahlt dagegen meist 25 Euro und mehr. Neuland- und Bio-Produkte unterscheiden sich vor allem in der Wahl der Futtermittel. So müssen Neuland-Bauern ihren Tieren kein Bio-Futter geben, haben aber auch hier genaue Vorgaben: Verfüttert werden darf nur einheimisches, gentechnikfreies Futter. Bei anderen Regelungen ist Neuland sogar strenger als manch Bio-Anbieter. Neuland-Ferkel zum Beispiel dürfen seit 2008 nur noch mit spezieller Betäubung kastriert werden. In Bio-Betrieben ist das noch nicht Pflicht.
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Euro wurden pro Kopf im Jahr 2010 für Bio produkte ausgegeben. Das ist in E uropa Platz 7 und mehr als das Doppelte des gesamteuropäischen Durchschnitts. QuelleN: Bund Ökologische Lebensmittelwirtschaft
Entwicklung der Schlachtmengen in Deutschland (2001 bis 2011) n Rinder n Schweine n Geflügel
+73%
+38%
-15% Quelle: Statistisches Bundesamt
werden die produzierten Lebensmittel an die Geschäfte, Restaurants und Märkte in der Region verteilt. Die Verbraucher profitieren von ökologischen, in der Region hersgestellten Lebensmitteln. Die Betriebe erhalten einen fairen Preis und können von der Landwirtschaft leben. Münsingens Bürgermeister Mike Münzing will allerdings noch mehr: „Münsingen soll sich zu einem Zentrum der Nachhaltigkeit weiterentwickeln, in dem ökologische, ökonomische und soziale Fragestellungen aufeinander abgestimmt werden.“
Genossen kochen futter-fuers-volk.de „Politik und Essen – Wie passt das zusammen?“, fragte sich Christoph Strässer, Bundestagsabgeordneter der SPD aus Münster. Als Antwort entwickelte der begeisterte Hobbykoch 2007 die Idee für eine Internetseite, „um Menschen an politische Inhalte heranzuführen, die sich nicht den ganzen Tag nur mit Politik beschäftigen“. Auf seiner Seite futter-fuers-volk.de können sich Interessierte im „Küchen-Lexikon“ und im „Saison-Kalender“ mit Informationen über alle Zutaten versorgen, die man zum Kochen braucht. Zusätzlich gibt es Verbraucherinfos, Weintipps und wöchentliche Menüvorschläge, die Strässer selbst ausprobiert hat. Dazu gehört etwa das „Blindhuhn“, eine Spezialität aus dem Münsterland. Beim Einkaufen bevorzugt der 63-Jährige saisonale und regionale Produkte. Er
Fotos: Nigel Treblin/ddp, Michael Latz/ddp
Nahrungsmittel Wie sie hergestellt werden, hat weitreichende Konsequenzen: für Menschen und für Tiere. Eine oft unterschätzte Macht hat dabei vor allem der Verbraucher
Titel 7
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Christoph Strässer auf dem Wochenmarkt
fordert eine Kennzeichnungspflicht für Lebensmittel, denn „wir als Verbraucher sollten so gut und klar wie möglich informiert werden“.
Fotos: Veit Mette, dpa/ Peter Steffen
Widerstand in Wietze Ein Schlachthof sorgt für Protest Wietze in Niedersachsen ist eine kleine Gemeinde mit knapp 8000 Einwohnern, die am südlichen Zipfel der Lüneburger Heide liegt. Mit der Ruhe im Ort ist es vorbei, seit hier der größte Geflügelschlachthof Europas errichtet wurde. Noch ist er nur teilweise in Betrieb. Bei voller Auslastung sollen in der neuen Anlage einmal bis zu 432 000 Hähnchen
geschlachtet werden – am Tag. Dabei wird in der Bundesrepublik schon jetzt mehr Hähnchenfleisch produziert, als die Deutschen verbrauchen. Der 2011 eingeweihte Schlachthof verändert die Region und spaltet die Wietzer in Befürworter und Gegner. Bis zu 1000 neue Arbeitsplätze und steigende Gewerbesteuern erhofft sich der Gemeinderat, darunter auch die örtliche SPD-Fraktion. Trotzdem regt sich Protest. Mehr als 1000 Menschen haben sich in der Bürgerinitiative Wietze zusammengeschlossen. Ihr Widerstand richtet sich nicht nur gegen die Schlachtanlage, sondern auch gegen mehr als 400 Hähnchenmastbetriebe, die in der Region entstehen sollen. Eines der Probleme: Hühnerkot enthält Ammoniak. Gelangt es in die Umwelt, kann es das Grundwasser belasten. „Und es stinkt eben“, sagt Uschi Helmers, die Vorsitzende der Bürgerinitiative. Zudem könnten sich von den Masthöfen aus Keime verbreiten, befürchtet Helmers. Das Schlachtunternehmen weist die Vorwürfe zurück: Aus den Ställen gelange kaum etwas nach draußen. „Die Bürgerinitiative übertreibt maßlos“, meint auch Rolf
1734
Tonnen Antibiotika wurden 2011 an Tiere verfüttert. 2005 waren es noch 784 Tonnen. QuelleN: Bundesamt Verbraucher schutz und Lebensmittelsicherheit (BVL) 2011, Bundesverband Tier gesundheit 2005
Ahrens von der SPD-Fraktion Wietze. Protestiert wird auch gegen den Umgang mit den Tieren. In den großen Mastanlagen drängen sich bis zu 20 Hühner auf einem Quadratmeter. „Wir wollen, dass die Massentierhaltung in Niedersachsen beendet wird“, sagt Helmers. Ahrens entgegnet: „Ob die Tierschutzgesetze ausreichen, muss der Bund entscheiden, nicht die SPD-Fraktion in Wietze.“ n
Umstrittenes Projekt: In Wietze steht Europas größter Geflügelschlachthof.
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>> Guter Rat muss nicht teuer sein > Patienten mit Fragen zur zahnmedizinischen Behandlung haben viele Möglichkeiten Eine gute Nachricht gleich vorneweg: Die Zähne der Deutschen werden immer besser. Und haben sie doch einmal Behandlungsbedarf, gibt es für die meisten zahnmedizinischen Probleme gleich mehrere unterschiedliche Behandlungsmöglichkeiten. Viele Therapiealternativen bedeuten natürlich andererseits, dass man sich umfangreicher informieren und für eine bestimmte Behandlung entscheiden muss. Auch bei intensiver Beratung in der Praxis kann diese Entscheidung manchmal schwer fallen, vor allem dann, wenn man für eine Therapie einen erheblichen finanziellen Eigenanteil aufbringen muss. Wer jenseits der zahnärztlichen Praxis zusätzliche Informationen oder eine Entscheidungshilfe braucht, findet sie bei den Beratungsstellen der Zahnärzteorganisationen, die es in allen Bundesländern gibt. Wo die nächste Anlaufstelle zu erreichen ist, erfährt man unter www.kzbv.de im Bereich für Patienten. Die zahnärztlichen Beratungsstellen bieten eine fachlich fundierte und neutrale Beratung, die entweder telefonisch oder vor Ort erfolgt. Sie geben allgemeine Auskünfte zu medizinischen Fragen und Leistungen der gesetzlichen Krankenkassen, aber auch zu individuellen Problemen bei der zahnme-
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und Zahnärzteschaft bestellten Gutachter anrufen. Er überprüft, ob die geplante Behandlung fachlich angemessen ist und von der Krankenkasse bezahlt werden muss. Solche Gutachter können auch dann zum Einsatz kommen, wenn der Patient im Nachgang zu einer Behandlung Beschwerden hat und befürchtet, dass ein Behandlungsfehler vorliegen könnte. Für den Fall, dass es zwischen Patient und Zahnarzt zu Konflikten kommt, gibt es außerdem Schlichtungsstellen: Sie moderieren zwischen beiden Seiten, suchen einen Interessenausgleich und versuchen eine einvernehmliche Lösung der Pro© Robert Kneschke – Fotolia.com bleme zu erreichen. In neun von zehn Fällen gelingt das; langwierige und oft fruchtlose juristische Ausdizinischen Versorgung wie zum Beispiel Zahnarzt- einandersetzungen können damit im Interesse des angst. Sie informieren außerdem zu speziellen Be- Patienten vermieden werden. ratungsangeboten: In den meisten Bundesländern gibt es beispielsweise ein gesondertes Zweitmei- Ob es um allgemeine Auskünfte, eine zweite Meinungsmodell für Zahnersatz. Versicherte, die vor nung zu einer geplanten Behandlung oder um einer Zahnersatz-Behandlung die unabhängige medizinische Probleme bzw. Konflikte nach dem zweite Meinung eines Experten zur Therapie ein- Zahnarztbesuch geht, die Patientenberatungsstellen holen wollen, bekommen sie dort. Nähere Informa- der Zahnärzteschaft helfen weiter. Mehrere zehntionen über das Zweitmeinungsmodell gibt es unter tausend Anfragen bearbeiten sie jedes Jahr. Und www.zahnarzt-zweitmeinung.de. die Beratungsangebote sind für Patienten in jedem Fall kostenfrei. Guter Rat muss nicht teuer sein. Abhilfe gibt es auch dann, wenn die Krankenkasse Schwierigkeiten bei der Bewilligung einer beantragten Leistung macht. Zahnarzt und Patient können dann einen gemeinsam von Krankenkassen
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Produkte tragen derzeit das Bio-Siegel. Im Februar 2007 waren es 36 000, ein halbes Jahr nach dessen Einführung 2002 waren es 5000 Produkte. QuelleN: Bundesministerium Ernährung, Landwirtschaft und Verbraucherschutz
Buchtipps Richard Rickelmann Tödliche ernte Wie uns das Agrar- und Lebensmittelkartell vergiftet Econ, Berlin 2012 320 Seiten, 18 Euro ISBN 978-3-4302-0125-4
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Wahrheit oder Werbung? Gütesiegel Was sie bedeuten und wie hilfreich sie sind: eine Auswahl
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E. Neuland Das Neuland-Label garantiert Fleisch aus artgerechter und umweltschonender Nutztierhaltung und wird vom gleichnamigen Verein vergeben. Hinter dessen Gründung standen unter anderem verschiedene Umwelt- und Tierschutzorganisationen. Die Richtlinien für die Vergabe sind transparent, unabhängige Kontrollen finden regelmäßig statt.
a. Stiftung Warentest Die staatlich unterstützte Verbraucherorganisation Stiftung Warentest führt transparente und dokumentierte Tests durch, bei denen Gebrauchswert, Tauglichkeit und weitere, für jeden Test individuell festgelegte Kriterien bewertet werden. Die Verwendung des Labels auf Produkten wird kontrolliert.
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F. TÜV Der TÜV prüft die Einhaltung besonders hoher Standards für Lebensmittelsicherheit. Die Kriterien werden in der kompletten Produktionskette überprüft.
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B. Öko-Test
Hans-Ulrich Grimm Vom Verzehr wird abgeraten Wie uns die Industrie mit Gesundheitsnahrung krank macht Droemer, München 2012, 320 Seiten, 18 Euro ISBN 978-3-426-27556-6
Das Magazin ÖKO-Test lässt Produkte in Einzeltests überprüfen, ursprünglich mit dem Fokus auf gesundheitliche und ökologische Risiken. Mittlerweile fließen weitere Kriterien wie etwa die Gebrauchstauglichkeit mit ein. Auch Dienstleistungen gehören (wie bei Stiftung Warentest) zum Testspektrum.
Karen Duve Anständig Essen Ein Selbstversuch Goldmann, München 2012 336 Seiten, 9,99 Euro ISBN 978-3-442-47647-3
C. Bio-Siegel
GEO kompakt Gesunde Ernährung Wie Forscher die Geheimnisse unseres Essverhaltens enträtseln Gruner + Jahr, Hamburg 2012, 155 Seiten, 8,50 Euro ISBN 978-3-6520-0089-5
für „fairen Handel“ gewährleisten, die der gemeinnützige Verein Transfair vergibt. Auf Basis eines Lizenzvertrages verpflichten sich Lebensmittel-Importeure zu hohen Standards, die regelmäßig von unabhängiger Seite kontrolliert werden.
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G. Tierschutzbund E
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Das Bio-Siegel garantiert europäische Mindeststandards für den ökologischen Landbau. Ziel ist es, gesunde und empfehlenswerte Lebensmittel hervorzubringen und die durch landwirtschaftliche Produktion verursachten Umweltbelastungen zu reduzieren. Seit Juli 2012 gibt es alternativ das EU-Biosiegel (Sterne in Blattform) mit gleicher Aussagekraft.
D. Transfair Menschenwürdige Lebens- und Arbeitsbedingungen soll die Kennzeichnung
Der „Hase mit schützender Hand“ kennzeichnet Kosmetika, die keine Verbindung zu Unternehmen haben, die Tiere schädigen oder ausbeuten. Der Tierschutzbund führt über diese Produkte auch eine Positivliste. Ab 2013 soll es auch ein entsprechendes Label für Lebensmittel geben, ähnlich der „Neuland“-Kennzeichnung.
H. DLG G
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Für die Prämierung durch die Branchenorganisation DLG (Deutsche Landwirtschafts-Gesellschaft) können sich Lebensmittelproduzenten bewerben. Das Siegel wird sehr großzügig vergeben und bewertet hauptsächlich guten Geschmack und Geruch. n MMP Mehr Infos unter label-online.de
infos für Verbraucher – Europa sei Dank! Der EU-Kommission und dem Europaparlament ist der Verbraucherschutz wichtig. Das war nicht immer so Der Name kommt sperrig daher. 2000/13/ EG – hinter der Zahlen-Buchstaben-Kombination verbirgt sich die „Richtlinie zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedsstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür“. Was hier in bestem Brüsseler Beamtendeutsch beschrieben wird, ist eine der zentralen Errungenschaften des europäischen Verbraucherschutzes. Seit ihrer Verabschiedung im Jahr 2000 müssen Lebensmittel mit Angaben wie Zutaten, Mindesthaltbarkeitsdatum und Herkunftsort versehen sein. Mittlerweile wurde die
Richtlinie mehrfach ergänzt – zuletzt im Herbst 2011. Damals entschied das Europaparlament, dass Hersteller ab 2014 in einer Tabelle angeben müssen, wieviel Kalorien ihr Produkt enthält. Bislang war dies freiwillig. „Eines unserer Hauptanliegen sind bessere Informationen für die Verbraucher“, sagt auch Matthias Groote, Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen, Gesundheit und Lebensmittelsicherheit des Europaparlaments. Sein Ausschuss ist nicht nur der größte, sondern auch einer der einflussreichsten in Brüssel. Das war nicht immer so. Erst 1975 veröffentlichte die EU-Kommission ihr erstes „Aktionsprogramm zum
Verbraucherschutz“. Mehrere Lebensmittelskandale in den Mitgliedsstaaten waren dem vorausgegangen. Mit der Zunahme des ungehinderten Warenverkehrs im europäischen Binnenmarkt nahm auch das Bedürfnis nach mehr Schutz der Verbraucher zu. 1987 wurde der Verbraucherschutz mit der Einheitlichen Europäischen Akte deshalb zur gemeinsamen Aufgabe erklärt und 1992 im Vertrag von Maastricht festgeschrieben. Seitdem steht der Verbraucherschutz in allen Politikfeldern im Vordergrund. Mit dem „Weißbuch Lebensmittelsicherheit“ verfolgt die EU-Kommission seit dem Jahr 2000 zudem eine klare Strategie: Deren
Eckpunkte sind schärfere Kontrollen, von der Lebensmittelproduktion bis zum Verbraucher, unabhängige wissenschaftliche Kontrollen sowie strengere Regeln für die Lebensmittel-Etikettierung. 2002 wurde das Schnellwarnsystem RASFF (Rapid Alert System for Food and Feed) eingeführt. Mit seiner Hilfe sollen Warnungen verbreitet werden, falls Gefahren für die Gesundheit der Verbraucher drohen. Ein funktionierender Verbraucherschutz ist schließlich auch im Interesse der Wirtschaft. „Das Wohl der Verbraucher“, heißt es in einem Strategiepapier der EU-Kommission, „ist das Kernstück gut funktionierender Märkte“. n KD
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Schlagzeilen statt Lösungen Themenforum Für Verbraucher
vorwärts-Salongespräch in Berlin Im Gespräch mit Experten sammelte die vorwärts-Redaktion Ideen für die aktuelle Titelgeschichte. Mit dabei (v.l.u. im Uhrzeigersinn ): Ralf Wolkenhauer, Bundesministerium für Ernährung, Landwirtschaft u. Verbraucherschutz, Wilhelm Priesmeier, Tierarzt und SPD-MdB, Micha Heilmann, Gewerkschaft NGG, Jochen Dettmer, Neuland e.V., Martin Wille, Agrarsoziale Gesellschaft e. V. (stehend), Thomas Schroeder, Deutscher Tierschutzbund, Ute Vogt, SPD-MdB, Katrin Budde, Landesvorsitzende SPD Sachsen-Anhalt, Nele Herrmann-Valente (vorwärts), Stefan Zwoll , Ulrich Kelber, SPD-MdB, Uwe Knüpfer, vorwärts-Chefredakteur. n LH
Wissen ist macht Verbraucherschutz Die SPD will die Konsumenten wachrütteln, schützen und informieren Von Kai Doering
Fotos: Dirk Bleicker, Sebastian Kahnert/DPA
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er stets informierte, immer rationale und selbstbestimmte Verbraucher existiert in der Realität nicht“, ist sich Elvira Drobinski-Weiß sicher, die verbraucherpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Bereits im März hat die Fraktion „Leitlinien für eine sozialdemokratische Verbraucherpolitik“ beschlossen. Das Ziel: „Verbraucher müssen in ihren Rechten gestärkt und besser informiert werden, damit sie selbstbestimmt auswählen und den Markt mitgestalten können.“ Kein Gen-Food: Lebensmittel sollen auch in Zukunft ohne Gentechnik erzeugt werden. Die SPD setzt sich deshalb für die Reinheit des Saatguts ein. Kennzeichnung: Beim Kauf von Lebensmitteln soll schnell und einfach erkennbar sein, was in Produkten enthalten ist. Neben verständlichen Bezeichnungen, klaren Inhaltsangaben und aussagekräftigen Siegeln fordert die SPD eine Kennzeichung von Nährwerten per Ampelsystem. Sicherheit: Lebensmittel sollen sicher sein. Deshalb will die SPD die Lebensmittelüberwachung ausbauen und verbessern. Zudem sollen ein Sachverständigenrat für Verbraucherfragen und eine repräsentative, jährliche Verbrauchserhebung eingerichtet werden. Kontrolle: Die Verbraucherverbände sollen gestärkt werden und „Marktwächter“ installieren, die den Markt beobachten, Missstände melden und mit rechtlichen Mitteln bekämpfen. Offene Küchen: Verbraucher sollen erfah-
ren, ob Kantinen und Restaurants sauber sind. Die SPD fordert deshalb eine einfach verständliche Veröffentlichung der Kontrollergebnisse von Gesundheits- und Ordnungsämtern. Tierhaltung: Der Antibiotikaverbrauch in der Landwirtschaft soll massiv eingedämmt werden. Bessere Haltungsbedingungen sollen den Tierschutz verbessern. Wettbewerb: Die Marktmacht der Handelsketten soll gebrochen werden, um Preisdruck zu verringern und Arbeitsbedingungen zu verbessern. Die SPD will wieder einen fairen Wettbewerb herstellen. „Gute Verbraucherpolitik muss die Anbieter stärker in die Pflicht nehmen“, fordert Elvira Drobinski-Weiß. Weniger wegwerfen: Die Verschwendung von Lebensmitteln soll gestoppt werden. Die SPD will dazu eine Strategie entwickeln: Überschüssige Lebensmittel sollen an Bedürftige verteilt und eine Alternative für das irreführende Mindesthaltbarkeitsdatum gefunden werden. Ehrlichkeit: Werbung mit gesundheitsbezogenen Aussagen soll nur dann zulässig sein, wenn diese wissenschaftlich belegt sind. Die Voraussetzung, all dies zu erreichen, formuliert Elvira Drobinski-Weiß gleich mit: „Die SPD muss nach Landtags- und Bundestagswahlen das Verbraucherministerium für sich beanspruchen!“ n Die Leitlinien für eine sozialdemokratische Verbraucherpolitik gibt es unter spdfraktion.de/themen/verbraucherschutz
„Für die SPD ist die Verbraucherpolitik ein unverzichtbarer Baustein ihres Politikangebots“, sagt Ulrich Kelber. Seit vergangenem September ist dieser Stein noch massiver geworden: Das „Themen forum Verbraucherpolitik“ hat seine Arbeit aufgenom men. Geleitet wird es vom Bundestagsabgeordneten Kelber und seinem Kollegen Carsten Sieling. „Das Themenforum wird helfen, dass die Verbraucherpoli tik der SPD stärker wahr genommen wird“, ist Kelber überzeugt. Beteiligen können sich nämlich nicht nur Partei mitglieder, sondern alle, die sich für Verbraucherschutz interessieren. „Sie müssen nur gegenüber der SPD die Mitgliedschaft im Themen forum erklären“, erklärt Ulrich Kelber. Mitentscheiden dürfen alle: „Wir sind antrags berechtigt zum Bundespar teitag. Und davon werden wir rege Gebrauch machen.“ n KD Kontakt: ags.themenforen@spd.de
Weitere Artikel zum T hema Verbraucherschutz in dieser Ausgabe: Seite 24 Alles muss aufs Etikett: Frosta-Geschäftsführer Felix Ahlers fordert Transparenz Kinderarbeit: Eine Kampagne deckt große Missstände auf Seite 25 Leben mit Kühen: Die Arbeit eines Landwirts
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… Mehr lesen! Interview : Manuela Schwesig zum Schulessen Reportage: Zusatzstoffe-Museum in Hamburg Interaktive Grafik: Saisonkalender für den Einkauf Jetzt herunterladen: vorwärts.de/app
Ilse Aigner Die Ministerin produziert vor allem eines: heiße Luft Von Ulrich Kelber
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ar da nicht was? Hatte Bundesverbraucherschutzministerin Ilse Aigner nicht angekündigt, etwas gegen überzogene Dispozinsen zu unternehmen? Und gegen einseitige Finanzberatung wegen Provisionen? Und gegen die Abmahn industrie im Internet? Und gegen den Datenmissbrauch bei Facebook & Co.?
Große Worte, kleine Taten: Bundesverbraucherministerin Ilse Aigner (CSU)
Und? Nichts ist passiert, gar nichts. Genauso wenig wie bei Gift in Kinderspielzeug, beim Schutz vor teuren Ärzte-Zusatzleistungen und beim angekündigten Schutz vor Grüner Gentechnik. Große Worte, noch größere Ankündigungen, (allerhöchstens) kleine Taten: Aigner ist die Schlagzeile wichtig, nicht die Lösung des Problems. Die Ministerin hat kein Konzept und sie hat auch keinen Einfluss in der schwarz-gelben Koalition: Kein Wort zur einseitigen Belastung der Verbraucherinnen und Verbraucher in der Energiepolitik. Beim Gesetz über Finanzdienstleistungen wurde sie nicht einmal beteiligt. Ihr „Eckpunktepapier“ zu Finanzberatungen gammelt seit 18 Monaten vor sich hin. Aus der Studie zu überhöhten Dispozinsen, immerhin aus Steuergeldern bezahlt, ist nichts gefolgt. Bei Lebensmitteln verstösst Aigner rund um die Uhr gegen „Wahrheit und Klarheit“. Im Interesse der Konzerne will Aigner weiter die regionale Herkunft, den genauen Inhalt, die eingesetzten Futtermittel und Arzneien sowie die Behandlung der Tiere verschleiern. Während sie in Bayern einen engagierten Kampf gegen die Grüne Gentechnik verspricht, verhindert sie in Brüssel genau diese Regeln. Schlimmer noch: Sie betreibt die Aufhebung des Verbots ungetesteter, genetisch veränderter Futtermittel, macht Deutschland und Bayern so zum Versuchslabor. Noch ein Thema, bei dem die Bayern bei der vermeintlichen Seehofer-Erbin einmal nachhaken sollten. n
10 In Kürze
vorwärts 11/2012
In Regines Sinn Hildebrandt-Preis Auszeichnung für Andreas Dresen und zwei Initiativen Global gedacht Von Rafael Seligmann
Den Silbernen Bären und das Bundesverdienstkreuz hat er schon. Jetzt wird Regisseur Andreas Dresen auch mit dem Regine-Hildebrandt-Preis ausgezeichnet.
Europa regional Gobald denken, lokal handeln – in Niedersachsen soll diese Aufforderung nach der Landtagswahl im kommenden Januar in die Tat umgesetzt werden. Zuständig dafür ist Birgit Honé, Senatorin am Landesrechnungshof und designierte Ministerin für Europa, regionale Entwicklung und Landwirtschaft. Im Oktober berief Spitzenkandidat Stephan Weil Honé in sein Team. „Wer die Regionen fördern will, muss eine Verzahnung zwischen den regionalen Wirtschaftsräumen und der EU organisieren“, betont Honé. Ihr Ziel ist eine „multifunktional ausgerichtete, wettbewerbsfähige Landwirtschaft, die den Verbraucher als Verbündeten sieht“. n KD
Männer des Monats Erfolgreicher Monat für zwei überzeugte Europäer: Zuerst wurde Achim Post vom Kongress der Sozialdemokratischen Partei Europas (SPE) zum neuen Generalsekretär gewählt. Post, der die Internationale Abteilung im SPD-Parteivorstand leitet, ist der erste Sozialdemokrat aus Deutschland, der diesen Posten bekleidet. Ende Oktober kürte dann das Magazin „GQ Gentlemen‘s Quarterly“ Martin Schulz zum „Mann des Jahres“. Der Präsident des Europa parlaments sei ein unbequemer Politiker
„im besten Sinne“ und pflege eine „direkte Sprache“, wie Fernsehmoderator Klaas Heufer-Umlauf in seiner Laudatio hervorhob. Weitere Männer des Jahres wurden Diskus-Olympiasieger Robert Harting, Bass-Bariton Thomas Quasthoff und der britische Oscar-Preisträger Ben Kingsley. n KD
Neues Jagdrevier
Herzlichen Glückwunsch
Rudolf Müller ehem. MdB zum 80. Geburtstag Claus-Henning Schapper Staatssekretär a.D. im Bundesinnenministerium Barbara Schmidtbauer ehem. MdEP zum 75. Geburtstag
Zwölf Goldmedaillen bei paralympischen Spielen und vier WM-Titel – das ist die sportliche Bilanz von Verena Bentele. Vor einem Jahr erklärte die von Geburt an blinde Biathletin und Langläuferin ihren Abschied vom Leistungssport. Nun wird die Politik ihr neues Jagdrevier. Auf dem Landesparteitag der bayerischen SPD berief Spitzenkandidat Christian Ude Bentele in sein Wahlkampfteam. Die 30-Jährige ist darin zuständig für die Bereiche Sport und Inklusion. Ihre erste Probe hat Bentele bestanden: Vor den Delegierten hielt sie eine mitreißende Rede. n KD
Lieselott Blunck ehem. MdB Norbert Meisner Berliner Finanzsenator a.D. Dieter Schinzel ehem. MdB und MdEP Heinz Schreiber ehem. MdB und MdEP Marianne Tidick Ministerin a.D. in Schleswig-Holstein Heidemarie Wieczorek-Zeul Entwicklungsministerin a.D. zum 70. Geburtstag
Fotos: Klaus-Dietmar Gabbert/dapd, BayernSPD; Vignette: hendrik Jonas
Die Bürger der Vereinigten Staaten von Amerika haben ihre Stimme abgegeben. Doch trotz des erbitterten Wahlkampfs und aller heiligen Versprechen, für mehr soziale Gerechtigkeit zu sorgen und die Staatsschulden abzubauen, die während des Milliarden teuren Präsidentschaftsrennens gegeben wurden, deutet nichts auf eine Wende zum Besseren hin. Wer sich während der heißen Phase des Kampfes ums Weiße Haus und nahezu des gesamten Kongresses in den USA umhörte, war überrascht, wie wenig das in den Medien hochgejazzte Wahlkampffieber die Masse der Amerikaner berührt hat. Diese Gleichgültigkeit kommt nicht von ungefähr. Die Indifferenz der US-Bürger und die Sorge des Auslands sind berechtigt. Seit 30 Jahren verringert sich das Realeinkommen der Hälfte der Bürger, während sich die Einnahmen der Reichsten, die ein Tausendstel der US-Bevölkerung ausmachen, verdoppelten. In den USA gibt es die teuersten Firmen, die besten Universitäten, die meisten Nobelpreisträger. Doch die Armut bleibt erschreckend. Daran änderte sich nichts, einerlei, ob die Präsidenten Demokraten oder Republikaner waren. Zuletzt stritten Obama und Romney über scheinbar unvereinbare Konzepte. Der Präsident wollte mehr Staat, Romney weniger. Doch beide befürworteten hohe Militärausgaben. Daher wird der Krieg in Afghanistan weitergehen und weitere Milliarden verschlingen. Die 16 Billionen Dollar Staatsschulden werden zunehmen. Die USA werden in noch stärkere Abhängigkeit von China geraten. Bemerkenswerterweise wurden Europa und Deutschland während der landesweit übertragenen TV-Debatte zur Außenpolitik nicht einmal erwähnt. Das entspricht den politischen Vorstellungen beider Seiten. Europa wird entgegen allen Versprechungen weiter als Nebenschauplatz behandelt werden, da hier weder Kriege stattfinden noch ein Handelsdefizit herrscht. Es wird Zeit, dass Europa seine Differenzen überwindet und sich auf eigene Beine stellt. n
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er Regine-Hildebrandt-Preis 2012 geht an den Regisseur Andreas Dresen, den Verein „Wir – Gemeinsam in Zwickau“ aus Sachsen und das „Bündnis gegen Rechts im Kyffhäuserkreis“ in Thüringen. Dresen war einer der ersten Regisseure, die sich differenziert mit der Lebenssituation in der früheren DDR und den Nachwirkungen der Wiedervereinigung auseinandergesetzt haben. Sein Film „Halbe Treppe“ wurde u.a. mit dem Deutschen Filmpreis und dem Silbernen Bären der „Berlinale“ ausgezeichnet. Der Verein „Wir – Gemeinsam in Zwickau“ arbeitet neben Migrations- und Integrationsprojekten für die Gleichberechtigung von Frauen und Männern. Das „Bündnis gegen Rechts im Kyffhäuserkreis“ hat seit dem Jahr 2000 zahlreiche Präventionsprojekte gegen Rechts angeschoben. Geehrt werden die Preisträger am 26. November, dem Todestag der Brandenburger Sozialministerin Regine Hildebrandt, im Willy-Brandt-Haus. Der Preis ist mit 20 000 Euro dotiert und wird an Personen und Institutionen verliehen, „die im Sinne Hildebrandts für Ostdeutschland und seine Menschen wirken“. n KD
In Kürze 11
11/2012 vorwärts
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Nachdem andere versucht haben, mir einen Stein an den Kopf zu werfen, trage ich nun gerne dazu bei, dass daraus ein Bumerang wird, der an ihren eigenen Kopf zurückfliegt. Peer Steinbrück
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legt seine Nebeneinkünfte offen
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Das ist doch früher etwas rafinierter gemacht worden.
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Christian Ude
ironisch über den Versuch der CSU, Einfluss auf die ZDFBerichterstattung zu nehmen
Nächstes Jahr werden die Strompreise deutlich steigen. Woran liegt das? Rund die Hälfte des Strompreises z ahlen die Deutschen an den Staat. A llein die Erhöhung der EEG-Umlage von 3,6 auf 5,3 Cent pro Kilowattstunde wird die Strompreise um mindestens sieben Prozent verteuern. Zum Anstieg der EEGUmlage kommt jetzt noch die Erhöhung der Netzentgelte hin zu. Viele Stromanbieter werden die Erhöhung der Abgaben an ihre Kunden weitergeben. Für eine vierköpfige Familie bedeutet das eine jährliche Mehrbelastung von rund 135 Euro. 700 Unternehmen sind von der Ökostrom-Umlage befreit. Ist das gerechtfertigt? In den letzten Jahren wurden immer mehr Betriebe mit hohem Stromverbrauch von der Zahlung der ÖkostromUmlage befreit. Die Politik erklärt das damit, dass diese Betriebe im internationalen Wettbewerb stünden und bei zu hohen Strompreisen nicht mehr wettbewerbsfähig seien. Durch die Ausnahmen erhöht sich der Betrag, den die privaten
Stromkunden und kleinere Gewerbebetriebe zu zahlen haben. Es ist daher richtig, die Rabatte für energieintensive Unternehmen bei der Ökostrom-Umlage jetzt schnell zu überprüfen. Die Energiewende ist eine gesellschaftliche Aufgabe, deren Kosten nicht nur von den Privatkunden getragen werden können. Was können Verbraucher gegen steigende Strompreise tun? Wichtig ist, dass sich Verbraucher mit ihrem Stromverbrauch befassen. Die erste Maßnahme sollte sein, die Stromfresser im eigenen Haushalt aufzuspüren und beispielsweise alte Geräte mit hohem Verbrauch durch energieeffiziente Geräte zu ersetzen. Doch durch die Anschaffung von Energiesparlampen und modernen Waschmaschinen lässt sich die anstehende Preiserhöhung nicht ausgleichen. Viel effektiver ist der Wechsel zu einem günstigeren Stromanbieter. Der Wechsel zu einem günstigen Angebot spart einer vierköpfigen Familie derzeit durchschnittlich rund 400 Euro im Jahr ein. n KD
Drei Fragen an
Thomas Prangemeier
Thomas Prangemeier ist Geschäftsführer des Energie-Vergleichsportals „Verivox“.
Mieter entlasten
Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt übergeben 4800 Unterschriften.
Foto:Peter Vogel, Bea Marquardt; Vignette: hendrik Jonas
Mitgliederbegehren erleichtern Das erste Mitgliederbegehren nach Verabschiedung der Parteireform im Dezember 2011 ist gescheitert. Bis zum 24. Oktober beteiligten sich lediglich rund 4800 Genossen an der Entscheidung, sich für oder gegen die Vorratsdatenspeicherung auszusprechen. Das vorgegebene Quorum von 48 500 Unterschriften wurde damit klar verfehlt. Die Initiatoren, Yasmina Banaszczuk und Dennis Morhardt, sind trotzdem zufrieden. „Der gestartete Dialog mit der Partei legt deutlich die kritische Einstellung der Basis gegenüber der verdachtslosen Vorratsdatenspeicherung offen“, sagt Morhardt. Die Erfahrungen aus dem Mitgliederbegehren wollen er und Banaszczuk nun für eine Reform des Verfahrens nutzen. Gemeinsam haben sie Ideen entwickelt, wie Mitgliederbegehren vereinfacht werden können. „Unser Konzept enthält zahlreiche Vorschläge, um die Durchführung zu erleichtern, die Basis besser zu informieren und Partizipation zu einer festen Komponente im SPD-Alltag zu machen“, sagt Banaszczuk. So sollen etwa das Quorum von zehn auf fünf Prozent der Mitglieder sinken und Unterschriften künftig auch im Internet möglich sein. n KD
Neumietern in Deutschland könnte im kommenden Jahr eine deutliche Entlastung winken. Hamburg plant, im kommenden Frühjahr einen Gesetzentwurf in den Bundesrat einzubringen, der die Maklerkosten künftig nach dem „Bestellerprinzip“ regelt. Damit würde derjenige den Makler bezahlen, der ihn beauftragt. Zurzeit sind das in den allermeisten Fällen die Vermieter. Bezahlen müssen jedoch die Mieter. Die SPD-regierten Bundesländer haben bereits Zustimmung signalisiert. n KD
Jusos planen 2013 „Gerecht – Jetzt oder nie!“ Unter diesem Motto findet vom 16. bis 18. November der Bundeskongress der Jusos in Magdeburg statt. Dort wollen sie den „inhaltlichen Grundstein für den J ugendwahlkampf 2013“ legen. Die Beschlüsse des Kongresses sollen auch in das SPD-Programm zur Bundestagswahl einfließen. Kanzlerkandidat Peer Steinbrück wird in Magdeburg ebenso reden wie SPD-Chef Sigmar Gabriel. n KD
Berliner Tagebuch Notiert von Uwe Knüpfer Haben Sie gesehen, wie bedröppelt Angela Merkel gelacht hat, als Löws Jungs gegen Schweden 4:4 verloren? Vielleicht schwante ihr was. Fußball und Politik sollen ja viel gemein haben. Momentan überhöhen Spielbeobachter Merkels Regierungskunst ähnlich wie der TV-Kommentator die Leistung der deutschen Elf bis zur 6 2. Minute. Merkel weiß, sie muss noch zehn Monate durchhalten – aber ohne Özil, Klose, Götze, Reus. Und ihre Ersatzbank ist leer. Wer weiß, vielleicht wird Merkels Spiel ja früher abgepfiffen. Am 1. November hat Hans-Dietrich Genscher die SPD besucht. Der 85-Jährige kam in Begleitung des 80jährigen Gerhart Baum, eines überzeugten Sozialliberalen – „nicht in Vorbereitung veränderter Regierungskoalitionen“, wie Sigmar Gabriel beteuerte: „Aber wir wollen‘s auch nicht ausschließen.“ Genscher sprach zu Europa. Die EU sei eine „Zukunftswerkstatt für die ganze Welt“, fuhr er allen über den Mund, die derzeit locker über Sein oder Nichtsein Europas parlieren. Nebenbei räumte Genscher mit der neuen „Dolchstoßlegende“ auf, die Regierung Kohl/Genscher habe einst die Zustimmung europäischer Nachbarn zur deutschen Einheit mit dem Verzicht auf die D-Mark erkauft. In einem Memorandum vom 26. Februar 1988 (!) habe er den Weg zur Währungsunion skizziert – eineinhalb Jahre vor dem Fall der Mauer. „Staatskunst“ mahnte Genscher jetzt an. Europapolitischer Stillstand wäre Rückschritt. „Es würde kalt, eiskalt werden für das Land in der Mitte Europas“, sollte die EU zerfallen. Der Altmeister tadelte, „wie manche über die Griechen sich ausgelassen haben“. Er nahm den Namen des FDP-Vorsitzenden Philipp Rösler nicht in den Mund. In FDP-Kreisen wird schon seit längerem nicht mehr darüber spekuliert, ob Rösler am Ende sei, sondern nur darüber, gegen wen er wann ausgetauscht wird. Meistens fallen dann die Namen Lindner und Brüderle. Bei der SPD brachte Genscher noch jemanden ins Gespräch. Jetzt gehe es um dermaßen viel: „Da macht es ja Spaß, wieder mitzumachen!“ n
12 Meinung
vorwärts 11/2012
Zwischenruf
Leserbriefe Triumph der Troika
Entrüstet Euch! Christof Müller-Wirth Von Deutschland geht wieder Krieg aus: durch Rüstungsexporte in alle Welt. Und die SPD schweigt. Schluss damit!
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er Einsatz für den Frieden gehört seit 150 Jahren zu den Programmen und zur praktischen Politik der SPD ebenso wie ihr Kampf für die soziale Gerechtigkeit. Der letzte deutsche Friedensnobelpreisträger war Willy Brandt. Mit Enttäuschung muss man als Sozialdemokrat zur Kenntnis nehmen, dass das internationale Friedensgebot auf den Kopf gestellt wird, mit der orwellschen Formel „die beste Friedenssicherung ist mehr Sicherheit durch Krieg“. Diese Form von „Friedenssicherung durch Krieg oder Kriegsdrohung“ kann aber nur durch stetig wachsendes Potenzial an Rüstungsproduktion hergestellt werden. Hier kommt es zu einem grauenhaften, die Staatshaushalte zerrüttenden Wettbewerb zwischen den Nationen. Deutschland hält dabei im Rüstungsexport international seit Jahren den 3. Platz. Die Steigerung des Rüstungsexports ist denn auch die Devise der Rüstungsindustrie und ihrer Lobby. Äußerlich wird dies manifest durch die Begleitung von zahlreichen Repräsentanten der Rüstungsindustrie bei Auslandsreisen der Kanzlerin – ob ins hungernde Angola oder nach Indonesien. Überall werden deutsche Waffen in Kriegsgebiete oder solche, die es werden könnten, geliefert. Von Deutschland geht wieder Krieg aus! Weit entfernt erscheinen Sozialdemokraten und Gewerkschaftler vom Diktum Gustav Heinemanns: „Der Friede ist der Ernstfall, hinter dem es keine Existenz mehr gibt“. Wie könnte sonst 2005 eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung zur Sicherung von Arbeitsplätzen die „ Ausweitung der staatlichen Exportförderung
für Rüstungsgüter“ fordern? Die Forderung der Rüstungsindustrie nach Subvention des Exports mit Steuergeldern ist auch 2012 aktuell. „Außenpolitik durch Rüstungsexport“ formuliert eine bekannte deutsche Wochenzeitung. Ist das Schweigen der Partei zu diesen Exzessen Teil der offiziellen Politik? Die vorhandene Alternative „Konversion“ mit denselben Steuermitteln wird nicht diskutiert. Dabei hat Rheinland-Pfalz nach Abzug der US-Einheiten vorgemacht, wie aus dem Verlust von 26 000 Arbeitsplätzen 50 000 höher qualifizierte Arbeitsplätze entstehen können! Der Dichter Georg Herwegh schrieb 1871 in seinem Gedicht „ Epilog zum Kriege“: … Vereinigt stehen Süd und Norden, Du bist im ruhmgekrönten Morden Das erste [vorerst das dritte] Land der Welt geworden Germania, mir graut vor dir! Georg Herweghs Warnung ist heute aktueller denn je. n
Christof Müller-Wirth Dr.rer.pol., geb. 1930, in der SPD seit 1958, ist Herausgeber der Streitschrift „JETZT entrüsten“, Anstifter-Verlag Stuttgart 2012
Brandt war ein Visionär Wolf Scheller Von seiner Persönlichkeit – so fragil, oft auch widersprüchlich sie oft erschien – ging ein Charisma aus, das keinerlei Selbstdarstellung ertrug, wohl aber jene Fähigkeit zur Empathie erkennen ließ, ohne die politisches Auftreten und Handeln nicht glaubwürdig erscheint. Sicherlich wusste Brandt um seine Wirkung. Vielleicht orientierte er sich an jenem Wort von George Orwell, dass „jedes Leben von innen her gesehen nichts weiter als eine Kette von Niederlagen ist“. Jedenfalls hatte er sich die Sentenz des englischen Schriftstellers notiert, dem er während des Spanischen Bürgerkriegs begegnet war, wie der Brandt-Biograph Gregor Schöllgen berichtet hat. vorwärts.de/blogs
Politik-Umbruch erwünscht Björn Rodday Für eine Listenaufstellung zur Bundestagswahl sollten viel mehr Personen und Inhalte zählen als die regionale Verwurzelung! Ich bin z.B. weder Pfälzer noch Rheinhesse, noch bin ich im Westerwald aufgewachsen! Ich bin ein Heidjer mit Königsberger Wurzeln, der -zig mal umziehen musste, sich als Franke fühlt und mit einer Griechin verheiratet ist. Aber ...ich betrachte dennoch Rheinland-Pfalz als meine aktuelle Heimat... Schreck lass nach! Und ja, ich möchte trotz des Makels, dass ich kein lokalpolitischer Keimling eines Ortsvereins meiner Jugend bin, dennoch politische Verantwortung übernehmen! Was für ein Unding! vorwärts.de/blogs
10/2012
Gratulation zur rechtzeitigen Kür von Peer Steinbrück. ... Mit seiner Finanzund wirtschaftlichen Kompetenz sowie brillanter Rhetorik ist er Frau Merkel klar überlegen. ... Um das bei anscheinend vielen Bürgern erzeugte „Mutti-Gefühl“ muss er sich jedoch gemeinsam mit der Partei noch bemühen und darf die Volkstümlichkeit nicht vergessen.
Rainer Vogl, Baden-Baden
Steinbrück, Gabriel, Steinmeier – wirklich ein sehr sympathisches Trio. Mit vollem Einsatz und Sympathie muss der Wahlkampf gewonnen werden.
Uta Fritzsche, Mönchengladbach
Nun soll wieder der Mensch im Mittelpunkt stehen? Bei der wachsenden sozialen Spaltung im Niedriglohnsektor und bei der Bildung will man nun die Fliehkräfte der Gesellschaft aufhalten. Dieses waren keine handwerklichen Defizite von Schwarz-Gelb, sondern von Deregulierung, Hartz-Reformen und Agenda 2010. ... Man muss ausgehend von den Grundwerten der SPD so viele Wähler ansprechen wie möglich! Sonst wird man beliebig.
Peter Falk, Berlin
Eine gute Wahl. ... Der Wechselwunsch ist in der Bevölkerung vorhanden ..., ein Sieg ist möglich, wenn es innerparteiliche Geschlossenheit gibt. Die Bundestagswahl 2013 wird in der Mitte der Gesellschaft entschieden, nicht an ihren Rändern.
Reinhard Wawziniak, Dortmund
Peer Steinbrück hat in seiner Zeit als Finanzminister erkennbar dazugelernt, was die Verbalisierung politischer Komplexität angeht. Ich traue ihm zu, die Architektur einer tragfähigen Reformkonzeption zu entwickeln und umzusetzen. Entweder die SPD kommt mit ihm zu einem realistischen Verständnis der Welt ... oder wir werden nach Angela Merkel noch mehr Kanzler erleben, die sich die notwendige politische Bildung erst im Amt aneignen.
André Beßler, Bremen
Was wird aus der Rente? Mitreden & bloggen: vorwärts.de/Politik/Zwischenruf
10/2012
Jegliche Diskussion über Altersversorgungssysteme schließt nur die Ge-
Foto: PRIVAT; Vignette: hendrik Jonas
Gut gebloggt
Meinung 13
11/2012 vorwärts
mit dem Rohrstock zu erziehen. Sicher weint niemand dieser Tradition nach.
Heinz-Peter Curdts, Bad Homburg
Berichtigung 10/2012
w ei t e
In unserer Meldung über den vorwärtsradar ist uns ein Fehler unterlaufen: Nicht „der Verein D64 – Zentrum für digitalen Fortschritt“, sondern Network Media im Auftrag des vorwärts-Verlages plant das Online- Angebot auf weitere sozialdemokratische Inhalte auszuweiten. Wir bitten um Entschuldigung.
vor wä
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r ts.de
rnet im Inte
Die Redaktion
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setzliche Rente ein, alles andere bleibt außen vor. ... Dass endlich begonnen werden muss, die Überprivilegierung der Beamten zu beenden, wird mit so billigen Argumenten wie „Neiddiskussion“ oder „Alimentationspflichten des Staates“ abgebügelt. ... Da gibt es große Unterschiede in der Systematik und da kann man in kleinen Schritten hin zur Gerechtigkeit viel erreichen.
r l e se
Joachim Leefmann, Bremen
Die ungleiche Rentenberechnung in Ost und West kann heute, 23 Jahre nach dem Mauerfall, von den Rentnern nicht mehr verstanden werden. ... Es wird Zeit, diese Ungerechtigkeit aus dem Einigungsvertrag zu beseitigen! Es ist höchste Zeit, dass die SPD-Führung sich offen gegen diese ungleiche Rentenberechnung stellt.
Werner Zschieschack, per E-Mail
Nicht jeder, der hart arbeitet, wird auch gerecht entlohnt und bekommt dafür eine entsprechende Rente. ... Was ist denn mit den 400-Euro-Jobbern? Arbeiten die nicht auch sehr, sehr hart?
Erich Stelzer, Regensburg
Ein kleiner Schnitt 09/2012
Das Kölner Landgericht hat (mit dem Urteil zur Beschneidung, Anm. d. Red.) seine juristische Kompetenz eindeutig überschritten. Das Gericht war nicht aufgerufen, über ein Ritual im Judentum und in der muslimischen Kulturwelt ganz allgemein zu befinden. Es ging nur um einen ärztlichen Kunstfehler in einem sehr konkreten Fall.
Karikatur: Heiko Sakurai
Sigurd Schmidt, Bad Homburg
Das sogenannte Elternrecht ist das Recht, über einen anderen Menschen zu bestimmen und widerspricht der These, dass jeder Mensch frei geboren ist. ... Tradition ist kein Wert an sich. Es war .... bei uns lange Tradition, Kinder
Du hast es in der Hand. Tetra Pak Getränkekartons liefern gute Gründe, warum sie zu den öko logisch vorteilhaften Verpackungen zählen: Sie bestehen überwiegend aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz aus verantwortungsvoll bewirt schafteten Wäldern und werden in Deutschland mit Ökostrom hergestellt. Und noch ein weiterer von vielen Vorteilen für unsere Umwelt: Nach dem Gebrauch sind Tetra Pak Getränkekartons vielseitig wiederverwertbar. tetrapak.de
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Debatte um Nebeneinkünfte Die SPD-Bundestagsfraktion will die Nebeneinkünfte von Abgeordneten transparenter machen. Im Oktober legte sie ein Eckpunktepapier vor, in dem sie fordert, dass Abgeordnete ihre Nebeneinkünfte „auf Euro und Cent“ genau veröffentlichen müssen. Bisher müssen sie ihre Einnahmen lediglich in drei Stufen angeben: Die erste reicht von 1000 bis 3500 Euro, die zweite bis 7000 Euro und die dritte umfasst alle höheren Beträge. Gegen den Widerstand der SPD hat die Regierungskoalition nun beschlossen, am Stufenmodell festzuhalten und es lediglich auf zehn Stufen auszubauen. „Völlig unzureichend“, kritisiert der rechtspolitische Sprecher der SPD-Fraktion Burkhard Lischka. n CFH
Die Teilnehmer des Forums waren sich einig: Europa braucht eine starke und moderne Industrie.
Realwirtschaft stärken 150 hochrangige Gäste kamen zum Europäischen Industrieforum der SPD-Fraktion Die SPD-Bundestagsfraktion hat im Oktober 150 hochrangige Vertreter und Vertreterinnen von Unternehmen, Gewerkschaften und Politik aus ganz Europa zu einem Europäischen Industrieforum eingeladen. Dort tauschten sich die Gäste über eine zukunftsfähige Industriepolitik aus, um das Wachstum zu stärken und die Krise zu überwinden. Im vergangenen Jahrzehnt hat der Anteil der Industrie an der Wirtschaft vieler europäischer Länder stark abge-
nommen. Die Politiker in Großbritannien, Irland und anderen Ländern setzten ganz auf den Dienstleistungssektor. Ein Fehler, wie die Finanzmarktkrise gezeigt hat. Länder mit starken Industrien – darunter Deutschland – sind wesentlich besser durch die Krise gekommen. Schon im Frühjahr 2012 hat FrankWalter Steinmeier deshalb unter dem Titel „Gemeinsam stärker“ eine Strategie für eine industrielle Erneuerung Europas vorgelegt: Die Realwirtschaft soll
wieder gestärkt werden, indem die Regierungen die Infrastruktur ausbauen und technologische Innovationen fördern. Im Juni beschloss der Europäische Rat einen Wachstums- und Beschäftigungspakt. Das Europäische Industrieforum der SPD-Fraktion in Berlin sollte nun dazu beitragen, die Umsetzung einer neuen Industriestrategie für Europa voranzubringen. Zu den Gästen zählten unter anderem der WTO-Generaldirektor Pascal Lamy und der französische Wirtschafts- und Finanzminister Pierre Moscovici. „Wir brauchen eine stärkere Koordinierung in Europa“, sagte Peer Steinbrück. Davon sei Europas Wohlstand abhängig. Der aktuellen Regierung stellte SPD-Fraktionschef Steinmeier ein schlechtes Zeugnis aus: „Die Union ist doch längst nicht mehr industriefreundlich. Noch viel schlimmer: Diese Regierung ist planlos.“ Steinmeier und die Vorsitzenden des europäischen und des internationalen Dachverbands der Industriegewerkschaften, Michael Vassiliadis und Berthold Huber, legten ein Memorandum für eine „Allianz zur industriellen Erneuerung Europas“ vor. (Download auf spdfraktion.de.) „Wir wollen ein Europa, das wieder Vorreiter bei Wettbewerbsfähigkeit und Innovation wird“, schreiben die Autoren. Dabei sollen Ressourcen und Energie effizienter genutzt werden, neue Arbeitsplätze entstehen und die Lebensqualität steigen. n CFH
NSU-Morde: SPD diskutiert Folgen
Das war ein schwarzer Sonntag für die Koalition.
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Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionschef, über den „Kuhhandel“ der Regierungsparteien im Koalitionsausschuss.
Impressum Verlags-Sonder veröffentlichung Herausgeber: SPD-Bundestagsfraktion Petra Ernstberger, MdB Parl. Geschäftsführerin V.i.S.d.P. Anschrift: SPD-Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin
Vor einem Jahr wurde die Mordserie der rechtsextremen Gruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) aufgedeckt. Nach einem Banküberfall in Eisenach fand die Polizei am 4. November 2011 in einem Wohnmobil die Leichen von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Ihre mutmaßliche Komplizin Beate Zschäpe stellte sich vier Tage später der Polizei. Nach heutigem Ermittlungsstand hat das Trio zwischen 2000 und 2007 neun Kleinunternehmer mit Migrationshintergrund und eine Polizistin erschossen. Kurz vor dem Jahrestag diskutierte die SPD-Fraktion am 1. November mit Experten in einem öffentlichen Fachgespräch über die Konsequenzen, die aus der Mordserie zu ziehen sind. Die Aufdeckung der Morde sei eine Zäsur gewesen, sagte SPD-Fraktionsgeschäftsführer Thomas Oppermann. Es sei ein schwer zu ertragender Gedanke, dass im demokratischen Deutschland eine von Rassismus und Vernichtungswillen getragene Terrorgruppe jahrelang ungestört agieren konnte. „Fehler und Nachlässigkeit der Behörden haben es für sie leicht gemacht.“ Warum die Sicherheitsbehörden versagt haben, soll seit Januar ein Untersuchungsausschuss im Bundestag aufklären. Dieser förderte Bedrückendes zutage. „Die Morde sind mit hohem Aufwand untersucht worden, aber das Thema Rechtsextremismus hatte man überhaupt nicht auf der Agenda“, sagte die Obfrau der SPDFraktion im Untersuchungsausschuss Eva Högl (SPD). Dabei habe es viele Indizien für einen rechtsextremen Hintergrund gegeben. Die SPD-Fraktion hat schon im August auf die Zwischenergeb-
Der Leiter des NSU-Untersuchungsausschusses Sebastian Edathy, Christine Lambrecht, Thomas Oppermann und Eva Högl (v.l.n.r.).
nisse aus dem Ausschuss reagiert und Eckpunkte für eine Reform des Verfassungsschutzes vorgelegt. Unter anderem fordert sie, die Verfassungsschutzämter der Länder und des Bundes zu einem Informationsaustausch untereinander zu verpflichten. Zum Jahrestag der NSU-Aufdeckung fordert nun Sönke Rix, Sprecher der Arbeitsgruppe „Strategien gegen Rechtsextremismus“ der SPD-Fraktion, den Rechtsextremismus noch entschlossener zu bekämpfen. „Menschenverachtende Gewalttaten müssen härter bestraft werden“, schreibt er in einem Thesenpapier. Rix ruft dazu auf, die demokratische Zivilgesellschaft zu stärken. Dazu sei es nötig, dass der Bund mehr Geld in die politische Bildungsarbeit und in Programme gegen Rechtsextremismus investiert und ihre Finanzierung dauerhaft sichert. n CFH
Fotos: Bildschön (3)
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vorwärts 11/2012
Partei leben! inhalt Frauenbrücke Für die Verständigung zwischen Ost und West
Fotos: Dirk bleicker, Jens Schicke, privat
Chefsache
Bürgerdialog
Andrea direkt!
Themenpaten im Chat Ausblick auf den Endspurt
Warum tagt der Parteikonvent am 24. November hinter verschlossenen Türen? Der Parteikonvent soll nicht öffentlich stattfinden – so wurde es in der Parteireform festgelegt. Beim Parteitag vor einem Jahr, bei dem der Parteikonvent ins Leben gerufen wurde, haben wir uns bewusst entschieden, auf Inszenierung zu verzichten und die innerparteiliche Debatte in den Mittelpunkt zu stellen. Die Erfahrungen vom ersten Parteikonvent im Frühjahr haben auch gezeigt, dass das eine gute Entscheidung war. Entwickelt sich Heinz Buschkowsky für die SPD zum neuen Thilo Sarrazin? Nein. Zwischen den Positionen von Heinz Buschkowsky und den abstrusen biologistischen Thesen von Thilo Sarrazin liegen Welten. Natürlich wird Heinz Buschkowsky innerhalb und außerhalb der SPD kontrovers gesehen und genau so diskutieren wir über das, was er sagt. Die Meinung von Heinz Buschkowsky ist nicht die Position des Parteivorstands. Aber er ist ein engagierter sozialdemokratischer Bezirksbürgermeister und deshalb verdient seine Meinung auch eine sachliche Debatte. Wieviel Beinfreiheit wird die SPD Peer Steinbrück gewähren? Diese Frage lässt sich abstrakt nicht beantworten. Klar ist: Peer Steinbrück ist aus vollem Herzen Sozialdemokrat. In den allermeisten Politikbereichen stimmen die Position der SPD und die von Peer Steinbrück überein. Deshalb bin ich mir sicher, dass wir eine gemeinsame Plattform für die anstehende Kampagne finden werden. Am besten, wir diskutieren miteinander fair und lösungsorientiert. n
porträt
Fragen stellen: vorwärts.de/Parteileben
Stephan Weil will Niedersachsen regieren
gelebte Politik Sozialdemokraten erinnern sich
»Darum sind wir in der SPD…«
„Kraft zur Gestaltung“: SPD-Chef Sigmar Gabriel diskutiert am 18. Oktober mit den Philosophen Susan Neiman und Julian Nida-Rümelin über die Bedeutung von Werten.
Starke Werte Kongress Die Friedrich-Ebert-Stiftung ermuntert zu einer Rück besinnung auf die Grundlagen sozialer und demokratischer Politik Von Kai Doering
F Sophie Link Mohammed Misri Ethnologin und MedizinStudent an der Universität Göttingen. Das Ehepaar ist seit Anfang 2012 Mitglied der SPD Weende. Wir setzen uns gegen Rassismus und Diskriminierung ein – und dafür, dass Ausländer fairer von Behörden und auf dem Arbeitsmarkt behandelt werden. Ebenso sind wir für eine Abschaffung der Studiengebühren in Niedersachsen. Mit der SPD können wir beides am besten erreichen. n Warum seid Ihr gerade jetzt SPD-Mitglied geworden? Schreibt uns an parteileben@vorwaerts.de
reiheit, Gerechtigkeit und Solidarität. Seit fast 150 Jahren sind das die Grundwerte der SPD. Was aber bedeuten sie im 21. Jahrhundert? Das wollte die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) wissen und lud deshalb im Oktober zur zweitägigen Konferenz „Werte und Politik“ nach Berlin ein. „Wir möchten die Wertedebatte beleben und Politik damit transparenter und demokratischer machen“, sagt der Vorsitzende der Ebert-Stiftung, Peter Struck. Während der zwei Kongresstage gelingt dies sehr gut: Ex-Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan diskutiert mit Bischöfin Maria Jepsen über Solidarität, SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier mit dem Politikwissenschaftler Claus Offe über „gutes Regieren“. Politik trifft Philosophie lautet das Prinzip der beiden Tage. „Die Vorstellung, dass Werte beschlossen oder verordnet werden können, ist unrealistisch“, stellt Hans Joas gleich zu Beginn klar. Der Soziologe hat vor fünf Jahren die Grundsatzprogramme der Parteien unter dem Werte-Gesichtspunkt verglichen und festgestellt: „Sie sind sich unglaublich ähnlich – und enthalten alle unglaublich viele Formelkompromisse.“ Ein Ergebnis, für das
Andrea Nahles eine einfache Erklärung hat. „Wenn Konservative über Werte sprechen, reden sie scheinbar über dasselbe wie wir, meinen aber etwas anderes“, ist die SPD-Generalsekretärin überzeugt. Diese „Vernebelungsgirlanden“ entwerteten schließlich die Werte, Politik werde wertelos. „Wir haben uns abgewöhnt, darüber zu diskutieren, wie wir leben wollen“, stellt Sigmar Gabriel fest. Deutschland brauche jedoch die „Kraft zur Gestaltung, die über Werte erwächst“. Der SPD-Chef ruft deshalb dazu auf, „um eigene Werte zu ringen und eine Debatte zu beginnen, wie wir leben wollen“. Bei Susan Neiman rennt er damit offene Türen ein. „Wer die Aufklärung verteidigen will, muss robuste Werte aufzeigen“, fordert die Philosophin. Aus ihrer Sicht ist den Sozialdemokraten der Glaube an die eigenen Werte über die Jahre mehr und mehr verloren gegangen. „Politik wird aber entweder mit Werten oder mit Ängsten gemacht“, weiß Neiman. „Und wer Angst hat, wird wahrscheinlich die schwarz-gelbe Bundesregierung weiter unterstützen.“ n Das Programm sowie eine Dokumentation des Kongresses gibt es unter werteundpolitik.de
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Zeig mir dein Leben Frauenbrücke Ost-West Sie hilft seit 20 Jahren, Vorurteile abzubauen: durch persönliche Begegnungen Von Kai Doering
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lles beginnt mit einem Krankenhausaufenthalt im Herbst 1991. Ein Jahr zuvor hatten sich die DDR und die Bundesrepublik offiziell vereinigt. Mittlerweile ist die erste Euphorie Berichten über rechtsextreme Übergriffe und Frustration im Osten gewichen. Mit wachsender Empörung liegt Helga Niebusch-Gerich in ihrem Krankenhausbett und liest, „was die Zeitungen an kleinlichen Misstönen berichten“. Haben denn alle vergessen, dass bis vor nicht mehr als zwei Jahren eine der gefährlichsten Grenzen der Welt Ost- und Westdeutsche voneinander trennte? Auch nach ihrer Entlassung ist Niebusch-Gerichs Wut nicht geringer. „Wir müssen etwas tun“, fordert sie die Mitstreiterinnen des AsF-Stammtischs in ihrer Heimatstadt Sinsheim auf – und stößt auf offene Ohren. Gemeinsam organisieren sie einen Aufruf im „vorwärts“, der im Januar 1992 erscheint: „Frauen in der SPD-Sinsheim in Baden-Württemberg wollen die Lebensumstände ihrer Ost-Schwestern jetzt selber kennenlernen – mit einer ,Frauenbrücke Ost-West'. Sie rufen dazu auf, durch gegenseitige Besuche den jeweils anderen Alltag persönlich zu erfahren.“ Das Motto der Aktion, für das die bayerische SPD-Vorsitzende Renate Schmidt und Brandenburgs Sozialmi-
vereint
Zweite Vorsitzende der Frauenbrücke Ost-West: die Brandenburger SPDLandtagsabgeordnete Barbara Hackenschmidt
nisterin Regine Hildebrandt die Schirmherrschafft übernehmen, lautet: „Zeig mir, wie Du lebst.“ Am letzten Januarwochenende ist es dann soweit: Sieben Frauen aus BadenWürttemberg folgen einer Einladung nach Chemnitz. Es ist eine Reise ins Unbekannte. Sie wird ein voller Erfolg. Am 9. April 1992 gründen die Frauen im Wohnzimmer von Helga NiebuschGerich einen Verein. Die „Frauenbrücke Ost-West“ ist gemeinnützig und überparteilich. Niebusch-Gerich wird die Vorsitzende. „Wir wollen uns gegenseitig kennenlernen, um uns besser zu verstehen und unsere Zukunft gemeinsam zu gestalten.“ Dieses Ziel schreiben die Frauen in der Präambel ihrer Satzung fest. Im Mai folgt der Gegenbesuch aus Chemnitz, im September gründet sich dort die erste Regionalgruppe des Vereins. „Natürlich hat jede Frau Vorstellungen vom Leben im anderen Teil Deutschlands. Jetzt können wir erfahren, was daran stimmt“, freut sich Helga Niebusch-Gerich. Doch bald reichen gegenseitige Besuche nicht mehr aus. Um komplexere Fragen über den anderen Teil Deutschlands beantworten zu können, müssen Expertinnen her. So findet im März 1993 das erste große Frauenforum in Potsdam statt. Ihm folgen noch viele weite-
re überall in Deutschland und auch bei den europäischen Nachbarn. Steht in den ersten Jahren der Unterschied zwische Ost und West im Vordergrund, entwickeln sich die Zusammenkünfte über die Jahre zu einem Forum, in dem sich Frauen unabhängig von ihrer Herkunft über Fragen austauschen können, die sie bewegen: Frauen in Politik und Beruf, frauenspezifische Medizin oder Frauen in der Literatur. Und die Frauenbrücke ruft einen eigenen Preis ins Leben. Zum zehnten Jahrestag des Mauerfalls verleiht sie am 5. November 1999 in Potsdam zum ersten Mal den „Frauenbrücke-Preis für die innere Einheit Deutschlands“. Sie will damit „Menschen in ein besonderes Licht rücken, die sich den gängigen OssiWessi-Vorurteilen widersetzen“. Am 27. Oktober 2012 wird der Preis zum siebten Mal verliehen. Die Gäste sitzen im ehemaligen Kutschstall am Neuen Markt in Potsdam in Achterreihen. Das Gewölbe ist gedämpft beleuchtet. Die ehemalige Präsidentschaftskandidatin Gesine Schwan ist gekommen. Hinter ihr sitzt die Publizistin Necla Kelek. „Damals ging es uns darum, uns in Deutschland besser kennenzulernen, um uns besser zu verstehen", blickt Helga Niebusch-Gerich in ihrer Rede auf die Anfangsjahre der Frauenbrücke zurück. Sie selbst hat den Vorsitz 2005 abgegeben. Mittlerweile lenken Gundula Grommé aus dem Westen und Barbara Hackenschmidt aus dem Osten die Geschicke. Der Verein hat 280 Mitglieder in 15 Regionalgruppen. „Die Europäer müssen sich besser kennenlernen", ruft Niebusch-Gerich den Gästen der Preisverleihung zu. „Unsere Frauenbrücke ist gute demokratische Praxis. So etwas wünsche ich mir auch für Europa.“ n
Fotos: Dirk Bleicker
Mittlerin zwischen Ost und West: Die Frauenbrücke-Gründerin Helga Niebusch-Gerich (m.) mit Gesine Schwan und Potsdams Bürgermeister Burkhard Exner
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gelebte Politik
Geht in die Politik! Heidemarie Wieczorek-Zeul Vor ihrem 70. Geburtstag gibt »die rote Heidi« einen Lebensbericht Ein Leben im O-Ton Mit den Erinnerungen Heidemarie Wieczorek-Zeuls beginnt der „vorwärts“ eine neue Reihe: Gelebte Politik. Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, die viel erlebt haben, berichten über ihre Erfahrungen. Der vollständige Text (Interview: Uwe Knüpfer, Bearbeitung: Carl-Friedrich Höck, Sprecherin: Vera Rosigkeit) ist im Originalton in der vorwärts-AppAusgabe zu hören – und im Internet unter vorwärts.de/Gelebte_Politik SPD-Parteitag 1975: Juso-Chefin Wieczorek-Zeul und ihr Stellvertreter Johano Strasser
bekundet sie ihren „Riesenrespekt“ vor Gerhard Schröder wegen dessen Nein zum Irak-Krieg. Vor allem ging und geht es HWZ um Europa – „Europa ist die Frucht des Erschreckens über zwei Weltkriege und die Nazibarbarei.“ – und um globale Gerechtigkeit. Eine ihrer ersten Taten als Ministerin war die Orchestrierung des Schuldenerlasses für die ärmsten Länder der Welt. Insgesamt 125 Mrd. US-Dollar wurden ab 1999 getilgt. Nicht erst seither ist HWZ überzeugt: „Man kann die Globalisierung gestalten.“ Schließlich: „Man konnte die Weltbank verändern. Selbst der Internationale Währungsfonds ist heute progres-
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www.red.de
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ie war Ministerin für wirtschaftliche Zusammenarbeit, sie war europapolitische Sprecherin der SPD, sie ist als „die rote Heidi“ weit über die Grenzen der SPD und Deutschlands hinaus bekannt: Am 21. November wird Heidemarie Wieczorek-Zeul 70 Jahre alt. Seit 25 Jahren vertritt „HWZ“ den Wahlkreis Wiesbaden im Bundestag. Zwar hat sie angekündigt, 2013 nicht wieder zu kandidieren, aber Politik will sie weiter aktiv betreiben: „Diese Art von Arbeit ist ein Lebenselixier.“ Für die neue vorwärts-Reihe „Gelebte Politik“ erzählt Heidemarie WieczorekZeul von ihrer Kindheit im zerbombten Frankfurt, von ihrer Zeit als Juso-Chefin,
siver als die Bundesregierung.“ Für HWZ jedenfalls hat sich längst bestätigt, was ein Professor ihr und ihren Kommilitonen in den 1960er Jahren zugerufen hat: „Geht in die Politik! Geht in die Parteien! Ihr könnt mehr bewirken, als ihr glaubt!“ Seit zehn Jahren gebe es jetzt den globalen Fonds zur Bekämpfung von AIDS, Malaria und Tbc, erzählt HWZ nicht ohne Stolz: „Ohne diesen Fonds würden neun Millionen Menschen ihr Leben verloren haben.“ Infrage kam für sie nur die SPD. „Ich war immer Reformistin.“ Also habe sie sich 1965 das Telefonbuch geschnappt und die Adresse des Ortsvereins Seckbach herausgesucht. Drei Monate nach ihrem Antrag habe sich dann jemand gemeldet. Ausdauer ist eine ihrer Stärken. Bereits 2002 habe sie eine Studie über die Machbarkeit einer Finanztransaktionssteuer in Auftrag gegeben. Das Ergebnis: „Du kannst es in einer Region machen – und es ist technisch möglich.“ Damals, bei einer Konferenz in Monterrey, hätten sich exakt drei Personen dafür eingesetzt: „Chirac, Fidel Castro und ich.“ Heute sei auch Herr Schäuble dafür. n
FotoS: dpa Picture-Alliance / Heinz Wieseler, Dirk Bleicker
Beitragsanpassung zum 1. Januar 2013 Der aktuelle Rechenschaftsbericht der SPD für das Jahr 2011 liegt vor. Demnach machten Beiträge und Spenden unserer Mitglieder wieder knapp die Hälfte der Einnahmen der SPD aus. Weitere wichtige Einnahmequellen waren die Mittel aus der staatlichen Teilfinanzierung (zirka 27 Prozent) und die Einnahmen aus der Unternehmertätigkeit bzw. aus dem Vermögen der SPD (zirka 11 Prozent). Der Anteil von Firmenspenden an den Gesamteinnahmen betrug 2011 zirka 2 Prozent. Die finanzielle Basis der SPD bilden damit nach wie vor die Beiträge und Spenden unserer Mitglieder. Seit 2003 trägt die vom Parteitag beschlossene regelmäßige Anpassung der Mitgliedsbeiträge zu unserer Unabhän-
gigkeit bei. Die Beitragseinnahmen als finanzielle Basis werden so relativ stabil gehalten. Zum 1. Januar 2013 sollen die Beiträge um 2,5 Prozent erhöht werden. Die Empfehlung des Parteivorstandes orientiert sich am Durchschnitt der veränderten Nettolöhne und -gehälter im Jahre 2011 gegenüber dem Jahr 2010. Mitglieder, die den Mindestbeitrag in Höhe von 2,50 Euro zahlen oder ihren Beitrag zum 1.Januar 2013 geändert haben, sind von der Anpassung ausgenommen. Darüber hinaus können Mitglieder, die sich nicht an der Anpassung beteiligen können oder möchten, der Anpassung widersprechen. Der Widerspruch kann formlos bei einer Geschäftsstelle der SPD vor Ort erfolgen. n
Verantwortung übernehmen Als leistungsfähige Verkehrsdrehscheibe inmitten einer blühenden Kulturlandschaft trägt der Flughafen München zu Wohlstand und Wachstum in unserer Heimat bei. Indem wir den Prinzipien der Nachhaltigkeit folgen, sorgen wir dafür, dass dies auch künftig so bleibt. Wir übernehmen Verantwortung gegenüber Umwelt, Nachbarn, Kunden und Mitarbeitern. Die nachhaltige Weiterentwicklung des Münchner Flughafens sichert Zukunftsfähigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz dieser für den Wirtschaftsstandort Deutschland so wichtigen Verkehrsanlage. www.munich-airport.de
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Schreib mal wieder Vorschläge Die Ideen der Bürger sind vielfältig. Sie reichen von Überholverboten bis zur Frauenquote
M Chat-Termine Gesundheit und Verbraucherschutz 7. November 17 bis 18 Uhr Carsten Sieling Jugend und Bildung 12. November 13 bis 14 Uhr Zülfiye Kaykin Gerechte Gesellschaft 12. November 14 bis 14.45 Uhr Joachim Poß 19. November 10 bis 11 Uhr Florian Pronold Unser Europa 26. November 17 bis 18 Uhr Barbara Hendricks 29. November 16.30 bis 17.30 Uhr Ralf Stegner 3. Dezember 13 bis 14 Uhr Julian Nida-Rümelin 5. Dezember 18 bis 19 Uhr Angelica Schwall-Düren Integration 28. November 16 bis 17 Uhr Aydan Özoguz freie Themenwahl 15. November 11.15 bis 12.15 Uhr Andrea Nahles 29. November 15.15 bis 16.15 Uhr Sigmar Gabriel Die Termine werden regelmäßig unter spd.de/ buergerdialog aktualisiert.
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argaretha B. möchte das Kindergeld abschaffen. Dafür soll jegliche Bildung künftig kostenfrei sein, vom Kindergarten bis zum Studienabschluss. Auch Schulausflüge, Theaterbesuche und täglich frisches Obst sollen für Kinder aus dem eingesparten Geld finanziert werden. B.s Vorschlag ist einer von Tausenden, die in den vergangenen Wochen im Willy-Brandt-Haus eingegangen sind. 10 000 Karten des Bürger-Dialogs hat der Postbote in der SPD-Parteizentrale abgegeben. 2000 EMails kamen über das Kontaktformular auf spd.de. Bert W. hat den elektronischen Weg gewählt, um seine Anregung loszuwerden. „Warum benutzt man nicht den Mittelstreifen der Autobahnen, um dort
Werbung für den Bürger-Dialog: Die AfA Hessen Süd beim Bezirksparteitag
den Netzausbau für die Strombeförderung voranzutreiben?“, fragt W. Auch Steffen R. hat eine Idee für die deutschen Schnellstraßen: Auf einer Dialog-Karte plädiert er für die „Einführung eines generellen LKW-Überholverbots auf allen Autobahnen zur Verbesserung des Verkehrsflusses“. Eine „verbindliche Frauenquote nicht nur in Aufsichtsräten, sondern auch für Führungspositionen in Bundesministerien und oberen Bundesbehörden“ fordert dagegen Sandra K. Aus ihrer Sicht müsse die Politik in diesem Bereich mit gutem Beispiel vorangehen. Die Vorschläge, die in den Themenwochen „Jugend und Bildung“ sowie „Arbeit, Wirtschaft, Energie“ im WillyBrandt-Haus eingehen, sind vielfältig. Raphael M. fordert „eine härtere Besteuerung von Kerosin“, Brigitte D. ein „einheitliches Schulsystem in allen Bundesländern“. Erstmal werden nun alle Ideen in der „Werkstatt Bürger-Dialog“ gesammelt, in den Computer eingegeben und bis zu den Bürger-Konferenzen im kommenden Frühjahr ausgewertet. Dann wird es auch darum gehen, ähnliche Ideen zu bündeln. Der Vorschlag von Margaretha B., das Kindergeld abzuschaffen, könnte dann auf die Forderung von Oliver F. treffen. Er will das „Kindergeld an Schulleistungen koppeln". n KD
Dialog-Karten kistenweise: In der „Werkstatt Bürger-Dial
Post fü
Bürger-Dialog Sie schreiben K an Info-Ständen und bei Veranst – und die Partei sammelt und w
»Schalke oder Dortmund?« Chats Im Internet stellen sich SPD-Politiker den Fragen der Bürger. Nicht immer geht es dabei bierernst zu Von Kai Doering
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o ein Kommentar freut eine Ministerin. „Hallo, ich bewundere Sie sehr!“, schreibt Nutzerin „Galina“ und schickt noch ein Herzchen hinterher. Doris Ahnen lächelt und tippt weiter. Schließlich ist nur wenig Zeit und die Liste der Fragen noch lang. Die rheinland-pfälzische Bildungsministerin sitzt an einem frühen Montagnachmittag im Oktober in der „Werkstatt Bürger-Dialog“ im Erdgeschoss des Willy-Brandt-Hauses. Eine Stunde lang stellt sie sich den Fragen, die Nutzer ihr im Live-Chat stellen. Möglich ist das über die Seite der SPD bei Facebook oder über spd.de.
Im Chat nie um eine Antwort verlegen: Bildungsministerin Doris Ahnen
„Sind Sie für das Wahlrecht ab 16?“, möchte etwa „viki12“ wissen. „Bei uns in Rheinland-Pfalz setzen wir uns sehr für das Wahlrecht ab 16 auf kommunaler und auf Landesebene ein“, antwortet Ahnen. „Tinchen“ fragt: „Was ist besser für Deutschland: Duale Ausbildung stärken oder alle zum Studium bewegen?“ Ahnens Antwort: „Wir brauchen beides und deshalb muss das System vor allem durchlässig sein.“ Und selbst wenn es nicht um die Bereiche „Jugend und Bildung“ geht, ist die Ministerin nicht um eine Antwort verlegen. Als etwa „öällä“ wissen will: „Schalke oder Dortmund?“, gibt Ahnen kurz und
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In Vorfreude Gerechte Gesellschaft Florian Pronold sammelt Ideen während der Themenwoche Interview Kai Doering
log“ werden alle Zuschriften gesammelt und in den Computer eingegeben.
ür die Partei
Fotos: AFA UB Offenbach, Hendriik Rauch, Bea MArquardt (2), Frank Ossenbrink
Karten, E-Mails, rufen an, chatten und diskutieren taltungen. Die Bürger sagen der SPD die Meinung wertet sie aus
knapp zurück „Mainz 05. War am Samstag im Stadion, 3:0.“ Der Internet-Chat ist eine weitere Möglichkeit des Bürger-Dialogs, Fragen an die SPD loszuwerden. Die Experten der Themenwochen sind dabei, ebenso die Parteispitze (s. Termine links). Den Auftakt machte Sascha Vogt am 8. Oktober. Acht Tage später folgte Peer Steinbrück. „Glauben Sie, Sie können Merkel schlagen?“, wollte „Anonymus“ vom designierten Kanzler-Kandidaten wissen. Knappe Antwort: „Sonst säße ich nicht hier!“ Genauer hakte „hannes92“ nach. „Welche außenpolitischen Akzente wollen Sie in Ihrer Kanzlerschaft setzen?“, fragte er. Steinbrücks Antwort: „In wenigen Worten: Der Akzent wird eindeutig auf der Stabilisierung Europas liegen müssen.“ Bei nur einer Stunde Zeit und einigen hundert Fragen musste Steinbrück viele unbeantwortet lassen. Im November wird es deshalb eine Fortsetzung geben. Immerhin konnte der Kandidat noch loswerden, wovon er
Am 12. November beginnt die Themenwoche „Gerechte Gesellschaft“ des SPD-Bürger-Dialogs. Was macht für Sie eine gerechte Gesellschaft aus? Ungerecht ist es, wenn Banken- und Finanzspekulanten ganze Volkswirtschaften in die Krise reißen und selbst die Suppe nicht auslöffeln wollen. Ungerecht ist es, wenn sich Reiche zu wenig an der Finanzierung der Zukunftsaufgaben unserer Gesellschaft beteiligen oder sich vor dem Steuerzahlen drücken. Ungerecht ist es, wenn Bildung vom Geldbeutel der Eltern abhängt und Menschen von ihrer Hände Arbeit nicht mehr vernünftig leben können. Die Schere zwischen Arm und Reich ist in den vergangenen Jahren weiter auseinander gegangen. Wir müssen sie wieder zusammendrücken: mit Bildung, die früher ansetzt, mit einem flächendeckenden Mindestlohn, mit guter Arbeit, aber auch mit höheren Steuern für Reiche und mit der Wiedereinführung der Vermögenssteuer. Welche Aufgabe haben Sie als Themen-Experte für die zwei Wochen vom 12. bis 25. November? Ich freue mich vor allem auf die BürgerDialog-Stunde am 19. November im Willy-Brandt-Haus. Ich bin an diesem Tag zwischen 10 und 11 Uhr für alle,
Will höhere Steuern für Reiche: Bayerns SPD-Chef Florian Pronold
die etwas zum Thema „gerechte Gesellschaft“ wissen wollen, im Live-Chat auf spd.de erreichbar. Als Experte sind Sie vor allem Ansprechpartner während der Themenwoche. Wie geht es aber danach weiter? Alle Eingaben werden gesammelt und sorgfältig ausgewertet. Anfang nächsten Jahres werde ich dann zusammen mit den Bürgerinnen und Bürgern über ihre Ideen und Vorschläge auf Bürgerkonferenzen diskutieren. Die besten Bürgerprojekte werden schließlich Teil des Wahlprogramms. n
Einberufung gemäß § 28 (2) und § 32 Organisationsstatut
Parteikonvent Am Samstag, dem 24. November 2012 findet der zweite Parteikonvent 2012 in Berlin im Willy-Brandt-Haus, HansJochen-Vogel-Saal, Wilhelmstraße 141, 10963 Berlin statt. Der Antragsschluss für Wahlvorschläge ist Donnerstag, der 22. November 2012 um 24 Uhr.
Vorläufige Tagesordnung Beginn: 11 Uhr Will als Bundeskanzler Europa stabilisieren: Chat-Teilnehmer Peer Steinbrück
1. Eröffnung und Konstituierung
sich bei Angela Merkel gern eine Scheibe abschneiden würde. „Von ihren Hosenanzügen.“ n KD
3. Antragsberatung
2. Rede des Parteivorsitzenden 4. Benennung/Wahl von 24 beratenden Mitgliedern des Parteikonvents zum Bundesparteitag 5. Schlusswort
Fragen stellen und die Protokolle der bisherigen Chats ansehen kann man unter www.spd.de/buergerdialog
Ende ca. 17.00 Uhr
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Langläufer mit Wurzeln Stephan Weil Aus dem Rathaus will er in die niedersächsische Staatskanzlei Von Lothar Pollähne Herr im Haus: Seit 2006 ist Stephan Weil Oberbürgermeister der Stadt Hannover. Sein Büro hat er in einem der schönsten Rathäuser Deutschlands. Hier steht er im Eingangsportal.
Fit für Niedersachsen Auch wenn dieser Abend bei den Schützen kein Wahlkampftermin ist, wissen doch alle Anwesenden, dass Stephan Weil als Oberbürgermeister und als Kandidat gekommen ist. Für viele ist der Schützenfreund Weil erste Wahl. Er kommt an, ohne volkstümlich daher zu kommen. Das hatten ihm viele Beobachter nicht zugetraut, als er 2006 die Nachfolge des legendären Herbert Schmalstieg antrat. Die erste Zeitung der Landeshauptstadt sprach seinerzeit von „großen Fußstapfen“, meinte zu große Fußstapfen und irrte gründlich.Eines allerdings verbindet Stephan Weil und seinen Amtsvorgänger: Beide sind Langläufer, politisch wie sportlich betrachtet. Stephan Weil hat immer seine Laufschuhe dabei, um auch vor Wahlkampfauftritten ein paar Kilometer mit Bürgerinnen und Bürgern abzuspulen. Wer sich darüber wundert, dem wird vom Kandidaten kurz und bündig beschieden: „Ich mache mich fit für Niedersachsen und die SPD macht Niedersachsen fit für die Zukunft.“ Das scheint bitter nötig. Unablässig weist Stephan Weil darauf hin, dass Niedersachsen von einer „Stillstandsregierung“ geführt werde. Daher führt er auch einen strikt niedersächsischen Wahlkampf und stellt die bundespolitische Bedeutung der Landtagswahl hinten an. Dass er das „Kanzleramt sturmreif schießen“ soll, wie die „Welt“ posaunte, kümmert ihn kaum. In Niedersachsen, da ist sich Weil sicher, kann nur mit nieder-
Botschafter der eigenen Stadt: Stephan Weil trifft in der Ratsstube des Hannoveraner Rathauses eine Wirtschaftsdelegation aus China.
sächsischen Themen gepunktet werden. Also stehen Familien, Kinder und Bildung vorne. „Hier tun sich in Niedersachsen große, große Lücken auf“, sagt Weil, „da müssen wir dringend aufholen“. Familienfreundlichkeit ist für Stephan Weil ein „zukunftsrelevantes“ Aufholthema. Niedersachsen ist in den vergangenen fünf Jahren ans Ende der bundesweiten Geburtenstatistik gerückt. Das ist bedrückend, aber nicht erstaunlich, denn auch bei der frühkindlichen Bildung liegt das Bundesland auf dem vorletzten Platz. Ohne Hannover trüge Niedersachsen bei der Versorgung mit Krippenplätzen die rote Laterne. Das soll eine von Stephan Weil geführte Landesregierung schleunigst ändern. Sein kurzfristiges Ziel: Krippenplätze für die Hälfte aller Ein- bis Dreijährigen.
Ein gelernter »Kommunalo«
Autogramme für die Kleinsten: Stephan Weil bei der Einweihungsfeier nach der Sanierung der Grundschule Groß-Buchholzer Kirchweg
Stephan Weil, der vor seiner Wahl zum Oberbürgermeister neun Jahre lang Stadtkämmerer war, nennt sich selbst einen gelernten „Kommunalo“. Kommunalpolitik ist für ihn „praktizierte Gesellschaftspolitik“. Die schwarz-gelbe Landesregierung hat nach Weils Auffassung die Distanz zwischen der Kommunalpolitik und der Landespolitik in den vergangenen Jahren arrogant gesteigert. Dass er selbst auf Distanz zu seinen kommunalen Wurzeln gehen könnte, sieht er nicht. „Ich habe mich aus dem Rathaus gerade deswegen auf den Weg in die Staatskanzlei gemacht, weil wir die Kommunen und Regionen stärken müssen“, erklärt Weil. „Das treibt mich an und deshalb werde ich mit tiefer Überzeugung eine Landes-
Fotos: Dirk Bleicker
chützentermine sind in Hannover nahezu unausweichlich. Der 175. Geburtstag des ältesten Schützenvereins der Stadt ist ein Muss. Erst redet artig der Schirmherr des Vereins, Erbprinz Ernst August Junior, dann lockert Hannovers Oberbürgermeister Stephan Weil die Jubelversammlung trocken-humorvoll auf. Danach setzt er sich an den Honoratiorentisch zurück und erzählt von der Wahlkampfveranstaltung des Vortags. Da hat er auf Einladung des SPD-Landtagsabgeordneten Claus Peter Poppe im westniedersächsischen Neuenkirchen-Vörden am politischen Kartoffelschmaus teilgenommen und den Freunden der köstlichen Knolle erklärt, die sozialdemokratische Kartoffel sei die Bratkartoffel: „knusprig, würzig und schmackhaft“. Um 20 Uhr strebt Stephan Weil dem letzten Termin des Tages entgegen: dem entspannten Feierabend mit Ehefrau Rosemarie Kerkow-Weil. Als Präsidentin der Fachhochschule Hannover hat auch sie ein knappes Freizeitbudget. Gemeinsame Abende sind da etwas Besonderes. Kinderlärm haben sie nicht zu befürchten. Der 25jährige Sohn Nils lebt längst außer Haus.
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politik mit dem Gesicht zu den Kommu nen machen.“ Das wird nicht einfach werden, denn angesichts des demografischen Wan dels stehen viele Kommunen und Kreise Niedersachsens vor existenziellen Pro blemen. Eine von Stephan Weil geführte Landesregierung will zügig eine Neuord nung des kommunalen Finanzausgleichs angehen. Weil wird wohl auch diese Aufgabe sachlich, nüchtern und offen in Angriff nehmen. Als Vorsitzender der Sozialde mokratischen Gemeinschaft für Kommu nalpolitik hat er vor zwei Jahren erklärt: „SPD und Kommunen sind aufeinander angewiesen: Sozialdemokratische Gesell schaftspolitik ist ohne starke Kommunen, starke Kommunen ohne eine erfolgreiche Bundes-SPD kaum denkbar.“ Dieses Dik tum gilt auch auf Landesebene. Für die ist Stephan Weil seit dem 27. November 2011 zuständig, als er per Mitgliederentscheid zum Spitzenkandidaten gewählt wurde. Gedrängt hat er sich nicht nach dieser Aufgabe, aber er führt sie seither kom petent und offensiv aus. Am 20. Januar 2012 wurde Weil zum Vorsitzenden der niedersächsischen SPD gewählt: mit 95,5 Prozent. Das hat ihn ein wenig gewurmt.
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SPD und Kommunen sind aufeinander angewiesen.
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Stephan Weil,
Wissbegierig: Stephan Weil beim Besuch der „Hannoverschen Werkstätten“ in Laatzen
Oberbürgermeister von Hannover und SPD-Spitzenkandidat für die niedersächsische Landtagswahl
Als bekennender Freund des Hannover schen Erstliga-Fußballklubs, der in der Landeshauptstadt liebevoll „Die Roten“ genannt wird, hätte er gern die „96“ auf der Anzeigetafel gesehen. Die 96er will Stephan Weil auch als Ministerpräsident im Inland wie im Ausland anfeuern. Und auch Hannovers Schützenwelt muss sich keine Sorgen
machen, dass ihr Weil mit dem Abschied aus dem Hannoverschen Rathaus untreu werden könnte. Schützentermine sind in Hannover eben nahezu unausweichlich und niemand muss sonderlich hohe Ein sätze wagen, um auf Stephan Weils Be teiligung am Schützenausmarsch 2013 zu wetten: als Ministerpräsident des Landes Niedersachsen. n ANZEIGEN
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Vorläufige Tagesordnung
Singen in Siegen Die Idee, einen Chor zu gründen, kam Astrid Schneider Anfang Oktober auf einer Parteiveranstaltung in Siegen. Beim gemeinsamen Singen wurde der 59-Jährigen bewusst, wie wichtig „das Wissen um die alten Texte und Melo dien“ ist. Erik Dietrich, ein musikbegeisterter Juso, übernahm die künstlerische Leitung des Chors und das Unterbezirksbüro spendierte ein vorwärts-Liederbuch. Schon jetzt hat der Chor zwölf Mitglieder im Alter von 20 bis 70 Jahren. Sie seien zwar „nicht ton-, aber text sicher“, sagt Schneider. n TO
Beginn: 11 Uhr
Worms wächst
1. Eröffnung und Konstituierung 2. Grußwort 3. Vorschlag für einen Kanzlerkandidaten 5. Wahl des Kanzlerkandidaten 6. Antragsberatung 7. Rede des Parteivorsitzenden Ende: ca. 16 Uhr
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s gibt natürlich sehr viel Übereinstimmung, wir sind ja alle in einer Partei“, sagt Sascha Vogt über das Verhältnis der Jusos zur SPD. Deswegen streite die 1904 gegründete Jugendorganisation für die Inhalte der SPD, setze auch „auf ein klareres Profil als linke Volkspartei“, betont ihr Vorsitzender. Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Bildung für alle stehen im Mittelpunkt ihres Programms. Um ihre Ziele zu verwirklichen, verfolgen die Jusos eine Doppelstrategie: Zum einen tragen sie durch ihr Engagement in den SPD-Ortsvereinen und ihre Arbeit in den Gremien ihre Inhalte in die Partei. So brachten die Jusos auf dem letzten Parteikonvent einen jugendpolitischen Leitantrag zum Thema Ausbildung und Berufseinstieg ein, der mit großer Mehrheit beschlossen wurde. Bereits in der Vergangenheit hat die Partei Forderungen der Jusos wie den Atomausstieg, die Bekämpfung der Jugendarbeitslosigkeit und die Gleichstellung der Geschlechter in ihr Programm übernommen. Zum anderen setzen die Jusos auf die Zusammenarbeit mit Gewerkschaften, attac, Antifa, der Frauenbewegung und weiteren sozialen Bewegungen, um gesellschaftliche Veränderungen voranzubringen. Wer sich entscheidet, bei den Jusos Mitglied zu werden, muss zwischen 14 und 35 Jahren alt sein. Er kann wäh-
„Von der viel beschriebenen Politikverdrossenheit spüren wir nichts“, stellt Rupert Müller fest. Müller ist Mitgliederbeauftragter der SPD Worms-Mitte und freut sich über einen stetigen Zuwachs im Ortsverein. Im Oktober kam mit Jasmin Soller nun das 150. Mitglied hinzu. Die 23-Jährige ist der SPD beigetreten, um sich in die politische Arbeit einzubringen und „sich für ein soziales und weltoffenes Deutschland einzusetzen“. n TO
arbeitsgemeinschaften in der spd
Ein Abend für Willy Anlässlich des 20. Todestages von Willy Brandt veranstaltete der SPDOrtsverein in Bassum am 8. Oktober „Einen Abend für Willy – Szenische Lesungen“. Man traf sich in der gut besuchten Mensa der Grundschule der kleinen Stadt in der Nähe von Bremen. Mit kurzen szenischen Darstellungen, Texten und Dialogen erzählten die Genossen aus Brandts Leben: Geburt in Lübeck, Exil in Skandinavien, Bürgermeister von Berlin, Außenminister und Bundeskanzler. Als es um die von Brandt eingeleitete Entspannungspolitik zwischen Ost und West ging, brüllte ein Darsteller: „Es wird kein deutsches Land verschenkt – eher wird der Brandt gehängt!“ Das Zitat rief die Erinnerung daran wach, auf welch radikalen Widerstand Brandt damals mit seiner Politik stieß. Umso verdienstvoller erscheint der Erfolg, den er mit ihr erzielte. n TO
Folge 8
Der linke Stachel im Fleisch der partei Jusos Mehr als der Parteinachwuchs der SPD len, ob er auch Mitglied der SPD wird. In der Wahlfreiheit liegt eine Besonderheit der SPD-Jugendorganisation. 57 000 der 70 000 Jusos sind auch Mitglied der SPD. Beim diesjährigen Juso-Bundeskongress, der vom 16. bis zum 18. November
in Magdeburg stattfindet, wird auch der designierte Kanzlerkandidat Peer Steinbrück reden. Von ihm erwarten die Jusos „einen Politikwechsel, bei dem unser Grundwert der sozialen Gerechtigkeit im Mittelpunkt steht“. n TO
arbeitsgemeinschaft seit 1904 mitglieder rund 70 000 (davon 13 000 ohne SPD-Mitgliedschaft) bundesvorstand Sascha Vogt (Vorsitz), Matthias Ecke, Susanne Kasztantowicz, Katharina Oerder, Sebastian Roloff, Bettina Schulze, Jan Schwarz, Johanna Uekermann, Julian Zado kontakt jusos.de Gerecht – Jetzt oder nie! Vom 16. bis 18. November findet der Juso-Bundeskongress in Magdeburg statt.
Auf linkem Kurs: der Bundesvorstand der Jusos im November 2011, 6. v.r.: Sascha Vogt
Fotos: Niederheide , Mark Wilkendorf
4. Rede des Kanzlerkandidaten
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Wirtschaft 23
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Ein formvollendeter Arbeitsplatz: Die Fagus-Werke in Alfeld, geplant von BauhausGründer Walter Gropius.
Firmenporträt Fagus-GreCon GmbH
Gut Gemacht
Produktion im Denkmal Arbeitswelten In den Fagus-Werken in Niedersachsen treffen Handwerk und Technologie aufeinander Von Maicke Mackerodt wegung. Seit 1946 steht das Werk unter Denkmalschutz, ab 1985 wurden die Gebäude sukzessive instand gesetzt. Im vergangenen Jahr hat die UNESCO die Bauhaus-Fabrik zum Weltkulturerbe erklärt. Anders als in der Völklinger Hütte oder der Zeche Zollverein Essen wird in den Fagus-Werken noch immer gearbeitet. Es ist damit das einzige Kulturdenkmal weltweit, in dem heute noch produziert wird. In den historischen Hallen werden von 40 Mitarbeitern nach wie vor Leisten gefertigt, hölzerne Fuß-Modelle für die Schuhproduktion. Früher aus Buche, heute aus giftgrünem Kunststoff. Kunden sind namhafte Marken wie Ecco, Lloyd und Adidas. Die Fagus-Werke sind auch Ausflugsziel und ziehen spätestens seit der Aus-
Firmensitz Alfeld/Hannover Gegründet 1911 Beschäftigte Fagus: 40 GreCon: 320 GreCon Dimter: 120 www.fagus-grecon.de Weitere Porträts der Serie: vorwaerts.de/Wirtschaft/ Gut_gemacht
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Dass er »Kanzler kann«, zu dieser Ansicht hat sich nun auch seine eigene Partei durchgerungen. »Es geht um einen alles in allem doch recht ungewöhnlichen Menschen und Politiker.« Andreas Hoidn-Borchers, stern.de
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DER KANDIDAT
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er sich mit der Bahn dem unscheinbaren Örtchen Alfeld in der Nähe von Hannover nähert, sieht zunächst malerische buchenbewaldete Hügel. Und dann, kurz vor der Bahnstation taucht ein prachtvoller, sandgelb geklinkerter Industriebau auf: die Fagus-Werke. Großzügige Fensterflächen, würfelförmige Flachgebäude und ein zierlicher, 50 Meter hoher Wasserturm. Die schlichte Fabrikanlage der Fagus-Werke gilt als Schlüsselwerk der architektonischen Moderne, als Ikone des Industriebaus. Vor gut einhundert Jahren wurde das Werk von einem jungen, damals noch unbekannten Architekten geplant: Walter Gropius. Es war das Debut des weltberühmten Begründers der Bauhaus-Be-
Geschäftsfelder Fagus: Schuhleisten GreCon: elektronische Mess- und Regelsysteme und Brandschutzeinrichtungen GreCon-Dimter: Keilzinkenanlagen für die Massivholzverarbeitung
zeichnung als Kulturerbe zahlreiche Gäste an. „Jetzt richten wir unter dem Dach des früheren Späne-Hauses ein internationales Besucherzentrum ein“, sagt Presse-Managerin Fabienne Gohres. Die 26-jährige Alfelderin setzt auf regionale und thematische Vernetzung. „Es gibt Pläne, mit der Stadt Hildesheim zusammenzuarbeiten, die ebenfalls Weltkulturerbe ist.“ „Das Denkmal ist voller Leben“, sagt Ernst Greten. Der Urenkel des Firmengründers Carl Benscheidt übernahm zusammen mit seinem Bruder 1974 den schwächelnden Betrieb. Allerdings: „Nur mit Schuhleisten ist kein Geld mehr zu verdienen“, sagt Greten. Fagus-Grecon, wie der Familienbetrieb offiziell heißt, erwirtschaftet seinen Umsatz zu 85 Prozent in anderen Geschäftsfeldern: Mehr als 300 Mitarbeiter produzieren in der BauhausFabrik Spezialmaschinen zur Holzverarbeitung und Messgeräte für den Brandschutz. Die Fagus-Werke sind ein lebendiges Denkmal. Das heißt: Am Wochenende wird die Werkhalle schon mal für ein Konzert leergeräumt. Und es gibt im stillgelegten Leisten-Lagerhaus eine detailreiche Ausstellung mit Einblick in die Firmengeschichte. Außerdem gibt es Bauhaus-Möbel und natürlich Schuhmode des vergangenen Jahrhunderts. Im 4. Stock stehen ungewöhnliche Schätze: getragene Fußballschuhe von Philipp Lahm und feines Schuhwerk von Leni Riefenstahl. Angela Merkel hat ihre ausgetretenen Wahlkampf-Pumps spendiert und gleich daneben steht ein einzelner Schuh des Ex-Bundespräsidenten Christian Wulff. n
Der Vor- und Querdenker: Peer Steinbrück analysiert schonungslos die Lage und zeigt Wege aus der Krise.
Daniel Friedrich Sturm, Dr. phil., schreibt als Parlamentskorrespondent von ›Welt‹ und ›Welt am Sonntag‹ über das (Innen-)Leben der SPD. Er beobachtet und begleitet Peer Steinbrück seit etlichen Jahren.
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KINDERARBEIT Kampagne deckt große Missstände auf
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s ist eine erschreckend hohe Zahl: 115 Millionen Kinder arbeiten weltweit in gesundheitsgefährdenden Jobs, berichtet die Internationale Arbeitsorganisation (ILO). Sie bauen Samsung-Handys zusammen, nähen Fußbälle für Puma oder schuften in Steinbrüchen. Die Gesamtzahl der Kinderarbeiter liegt bei 215 Millionen. Welches Unternehmen auf Kinderarbeit zurückgreift, ist im Handel schwer zu erkennen. Der Verein „earthlink“ will das mit der Kampagne „Aktiv gegen Kinderarbeit“ ändern und bietet ein praktisches Computerprogramm an, das beim Online-Einkauf Textilprodukte blockiert, deren Hersteller in Bezug auf Kinderarbeit in der Kritik stehen. „aVOID“ heißt das Browser-Plugin, dass unter www.avoidplugin.com zum Download zur Verfügung steht. aVOID führt weit mehr als eine Million kritische Produkte und wird laufend aktualisiert. In Europa sorgte im vergangenen Jahr die Reportage „Children of the season“ des Regisseurs Mehmet Ülger für Aufsehen. Er begleitete türkische Familien bei der Haselnussernte am Schwarzen Meer. 70 000 Kinder arbeiten laut der regionalen Lehrergewerkschaft in diesem Bereich, oft bis zu sechs Monate pro Jahr. Ihre Familien sind finanziell von der Unterstützung abhängig, die Schulen in den Heimatdörfern bleiben leer. Mehmet Cilik, der die Erntearbeiter rekrutiert, erklärt in Ülgers Film lapidar: „Was sollen die Leute machen? Die brauchen das Geld!“ Mehr als ein Viertel der türkischen Haselnussernte landet in Deutschland, meist in der Süßwarenindustrie. Somit steht auch Nussschokolade aus einem deutschen Supermarktregal unter dem Verdacht, aus Kinderarbeit zu stammen. n AK
215 Millionen Kinder müssen weltweit rbeiten, wie hier in der indischen Textila industrie.
Felix Ahlers von „Frosta“ kritisiert die eigene Branche: „Ich bin enttäuscht, dass die Lebensmittelindustrie nicht versucht, mehr Klarheit zu schaffen.“
Alles muss aufs Etikett! Kennzeichnung Frosta-Geschäftsführer Felix Ahlers fordert mehr Transparenz Interview Kai Doering Sind Lebensmittel in Deutschland zu billig? Nein. Dass Lebensmittel günstig sind, ist erstmal etwas Gutes. Der eine gibt eben gerne mehr für Lebensmittel aus und verreist dafür vielleicht weniger. Dafür sind alle Zutaten natürlich. Der andere kauft lieber billige Lebensmittel und nimmt dafür künstliche Zusatzstoffe in Kauf. Diese Freiheit muss man als Verbraucher haben. Nur die Entscheidungsgrundlage muss stimmen. Und das geht nur, wenn jeder weiß, was in den Produkten enthalten ist. Sie verwenden keine Aromen, Geschmacksverstärker oder Farbstoffe. Dafür sind Ihre Produkte teurer. Zahlt sich der Kurs aus? Mittlerweile ja. Als wir 2003 unser Reinheitsgebot ins Leben gerufen haben und unsere Produkte im Schnitt 15 Prozent teurer geworden sind, haben sie teilwei-
Lebensmittelampel (vergrößerte Ansicht): Die Farben Grün-Gelb-Rot zeigen, wie hoch und damit gesundheitsschädlich der Anteil von Fett, gesättigten Fettsäuren, Zucker und Salz ist.
se Händler aus den Regalen genommen. Nach Einführung unseres Reinheitsgebots haben wir die Hälfte unseres Umsatzes eingebüßt. Inzwischen haben die Kunden aber gelernt, dass wir ihnen ein besseres Produkt anbieten als Hersteller, die künstliche Aromen oder Geschmacksverstärker verwenden. Es ist nicht leicht, den Kunden verständlich zu machen, dass Qualität eben ihren Preis hat. Solange Verbraucher Qualitätsunterschiede nicht sehen oder schmecken, werden sie im Zweifelsfall anhand des Preises entscheiden. Wie wollen Sie die Unterschiede deutlich machen? Aus meiner Sicht müssten die Verbraucher anhand der Verpackung sehen können, worin die qualitativen Unterschiede eines Produkts im Vergleich zu einem anderen liegen. Solange dies nicht gewährleistet ist, wird die Lebensmittelindustrie auf dem billigsten Weg produzieren. Was fordern Sie? Erstens müssen Lebensmittel, denen ein Aroma zugesetzt wird, mit dem deutlich lesbaren Zusatz „künstlich aromatisiert“ versehen werden. Zweitens müssen alle Zusätze, die der Verstärkung des Geschmacks dienen, mit dem Zusatz „Geschmacksverstärker“ deklariert werden. Und drittens muss lückenlos alles, was in einem Lebensmittel enthalten ist, auch auf dem Etikett oder zumindest auf der Internetseite des Herstellers stehen. 2009 haben Sie probeweise eine Nährwert-Kennzeichnung per Ampel auf einigen Ihrer Produkte eingeführt. Warum haben Sie diese wieder eingestellt? Das Problem war, dass andere Hersteller nicht mitgezogen haben. Der Hintergrund der Ampel ist ja, dass der Konsument innerhalb kürzester Zeit anhand von Farben sehen kann, wie hoch der Fett- oder Zuckergehalt eines Produkts ist und nicht erst Zahlenkolonnen studieren muss. Ich halte die Ampel deshalb für ein sehr sinnvolles und kundenfreundliches Instrument. Wenn Frosta aber der einzige Hersteller mit einer Ampel auf seinen Produkten ist, sind die Angaben irrelevant, weil die Vergleichbarkeit zu anderen Produkten fehlt. Sind Sie von Ihren Mitbewerbern enttäuscht? Ich bin enttäuscht, dass die Lebensmittelindustrie nicht versucht, insgesamt an einer Gesetzgebung zu arbeiten, die mehr Klarheit schafft. Letztlich liegt das auch in ihrem eigenen Interesse. Nicht umsonst sind wir ständig negativ in der Presse, weil wir versuchen, Dinge zu verschleiern. Wenn wir alle transparenter arbeiten, gewinnen wir an Glaubwürdigkeit und der Verbraucher an Qualität. n
Foto: Nicolaus Schmidt/terre des hommes, Gregor Schlaeger/VISUM, Frosta
Leere Schulen während der Ernte
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meine Arbeit
Leben mit den Kühen »Nach dem Abendbrot
um 19 Uhr ist Feierabend – wenn keine Ernte ansteht.
ch bin Milchbauer. Den Betrieb bewirtschafte ich mit meinen Eltern, meinem Onkel und zusätzlichen Erntehelfern bei Arbeitsspitzen. Der Betrieb umfasst etwa 150 Hektar Land. 90 Prozent sind gepachtet. Wir haben 400 Rinder, davon sind 120 Milchkühe. Mein Arbeitstag beginnt kurz nach 5 Uhr, egal ob Sommer ist oder Winter, Sonn- oder Feiertag. Die Kühe werden gemolken, gefüttert und die Kälber getränkt. Wir misten aus und streuen ein. Das dauert drei Stunden. Nach dem Melken kommen die Kühe im Sommer auf die Weide, nachts bleiben sie im Stall. Von 8.30 bis 9 Uhr frühstücken wir. Danach arbeiten wir auf den Feldern, auf dem Hof und im Stall, unterbrochen von 25 Minuten Mittagspause. Um 15 Uhr holen wir die Kühe zum Melken
Landwirt Ingo Früchtenicht 38 Jahre, lebt in Esingen (Holstein) Ausbildung Status
Staatlich geprüfter Agrarbetriebswirt Selbstständig
Verdienst
2520 Euro brutto im Schnitt laut Bauernverband
Arbeitszeit
70 Wochenstunden, Urlaub selten oder gar nicht
wieder von der Weide und füttern die Tiere. Alle zwei Tage gegen 18 Uhr wird die Milch abgeholt. Mitte des Monats erhalten wir von der Meierei die Abrechnung für den Vormonat. Erst dann erfahren wir den Preis für unsere Milch. Auch wenn
wir Schlachtrinder oder Getreide verkaufen, erfahren wir den Preis erst viel später. Ich glaube, so etwas gibt es fast nirgendwo: dass der Abnehmer den Preis bestimmt, wenn der „Handel“ nicht mehr rückgängig gemacht werden kann. Meine Mutter
Aufgezeichnet von Susanne Dohrn vorwaerts.de/Wirtschaft/Meine_Arbeit ANZEIGE
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vermarktet die Eier unserer Legehennen. Die verkaufen wir ab Hof, auf dem Wochenmarkt, an der Haustür, an Gastwirtschaften, Hotels und Altenheime. Gegen 19 Uhr essen wir Abendbrot. Dann ist „Feierabend“, wenn nicht eine Ernte ansteht. Vor dem Schlafengehen sehen wir im Stall nach, ob alles in Ordnung ist. Oft leisten wir nachts Geburtshilfe, wenn eine Kuh kalbt. Außerdem bin ich ehrenamtlich aktiv: bei der Freiwilligen Feuerwehr, beim Bundesverband Deutscher Milchviehhalter und als SPD-Stadtrat in Tornesch. Landwirt ist ein sehr schöner Beruf. Die Arbeit mit und in der Natur ist sehr abwechslungsreich und spannend. Aber finanziell wird es immer schwieriger. Dieses Jahr sind die Kosten für die Pacht um 11 000 Euro und für Diesel um 7000 Euro gestiegen. Wegen der Dürre in den USA hat sich der Einkaufspreis für Kraftfutter fast verdoppelt. Die Preise für unsere Produkte, besonders Milch, liegen dieses Jahr unter denen von 2011. Sollte sich an dieser Situation nicht bald gravierend etwas ändern, müssen wir unseren Betrieb schließen. n
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26 Wirtschaft
vorwärts 11/2012
Das BranchenportrÄt Auf einen blick
Der Einzelhandel ist die drittgrößte Wirtschaftsbranche in Deutschland. Jahresumsatz in Milliarden Euro:
422 Bezahlung und Arbeitszeiten werden kritisiert: Dennoch ist ein Job als Einzelhandelskaufmann oder -fau der beliebteste Ausbildungsberuf.
Zahl der Unternehmen:
Jobmotor mit Schattenseiten
400 000
Einzelhandel Bei Auszubildenden ist die Branche sehr beliebt. Die Karrierechancen sind gut. Trotzdem erlebt mancher im Ruhestand eine böse Überraschung
Zahl der Auszubildenden im Einzelhandel:
160 000
Von Susanne Dohrn Prozent, bei den Geschäftsführern sind es immerhin noch 27 Prozent. Verkäufer, Kaufleute im Einzelhandel sind die klassischen Einsteigerberufe und bieten mit entsprechender Weiterbildung die Möglichkeit, Karriere zu machen. Voraussetzung: Mindestens Haupt- oder Realschulabschluss, Rechnen sollte man können. Ausdrucksfähigkeit, Sorgfalt und die Fähigkeit, mit Kunden umzugehen sind ebenfalls gefragt. Kaufleute erwerben im 3. Ausbildungsjahr zusätzlich Kompetenz in Marketing, Personal und Datenverarbeitung. Arbeitgeber sind z.B. Bekleidungs-, Parfümerie- und Lebensmittelgeschäfte sowie Baumärkte. Fachlageristen, Fachkräfte für Lagerlogistik nehmen Waren an und lagern diese sachgerecht, stellen Lieferungen zusammen und leiten Güter an die entsprechenden Stellen im Unternehmen weiter. Voraussetzungen sind Haupt-, oder Realschulabschluss, Ordnungssinn, Organisationstalent und Verantwortungsbewusstsein, dazu die Lust an „Papierkram“ und an der Arbeit am PC.
Der Beruf ist branchenunabhängig, Arbeitsplätze gibt es in Betrieben mit Lagerwirtschaft und Logistikzentren. Gestalter für visuelles Marketing präsentieren Waren und planen Veranstaltungen im Geschäft, z.B. Promotion-Events. Voraussetzung sind Realschulabschluss oder Abitur, handwerkliches und zeichnerisches Geschick sowie Sinn für Ästhetik. Dazu Lust am Umgang mit dem Computer und Überzeugungskraft, um Konzepte durchzusetzen. Sie arbeiten in Kauf-, Mode- und Möbelhäusern und sind bei Kongresszentren, Ausstellungsveranstaltern oder Werbeagenturen gefragt. Filial- oder Marktleiter sorgen für den reibungslosen Ablauf in der Filiale. Sie leiten und koordinieren die Annahme der Waren und deren Präsentation und verantworten die Kosten der Filiale gegenüber der Geschäftsführung bzw. der Bezirksleitung. Sie setzen Marketingund Vertriebsstrategien um. In ihrer Verkaufsstelle leiten sie das Personal, erarbeiten Einsatzpläne und erledigen Verwaltungsarbeiten. n
Zahl der Beschäftigten in Millionen:
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Quelle: HDE, Stand September 2012
Tipp! Mehr Informationen zu den Berufen, den Ausbildungsvoraussetzungen und Karrierechancen im Internet unter: berufenet. arbeitsagentur.de einzelhandel.de
berufe & Chancen Ausbildung
Verdienst
Arbeitsmarktchancen
Verkauf / Kaufleute
Verkäufer 2, Kaufleute 3 Jahre
2300 – 2500 Euro
Gut, Aufstiegsmöglichkeit z.B. zum Filialleiter, Einkäufer, Bezirksleiter
Lagerlogistik
Fachlagerist 2, Fachkraft für Lagerlogistik 3 Jahre
2300 – 2500 Euro
Starke Nachfrage, Weiterbildungs- und Aufstiegsmöglichkeiten zum Meister oder Logistiker
Gestaltung / visuelles Marketing
3 Jahre
2300 – 2500 Euro
Stark nachgefragte Ausbildung, Weiterbildung zum Fachwirt „Visual Merchandising“, Aufstieg bis zur unternehmerischen Selbstständigkeit möglich
Filialleitung
Abgeschlossene Berufsausbildung, Berufspraxis, Weiterbildung
Ab 3500 Euro
Gut, weil die Branche nach wie vor expandiert
Foto: imago/Sven LAMBERT
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ast alles, was wir brauchen, müssen wir kaufen. Die mehr als drei Millionen Beschäftigten im Einzelhandel machen das erst möglich. „Der Einzelhandel ist ein Jobmotor“, sagt der Hauptgeschäftsführer des Handelsverbands Deutschland (HDE) Stefan Genth. „Kaufmann oder -frau im Einzelhandel“ ist der beliebteste Ausbildungsberuf. „Sehr viele Frauen und Männer arbeiten gerne in dieser Branche, weil sie den Kontakt mit Kunden und Kundinnen mögen“, so Ulrich Dalibor von der Gewerkschaft ver.di. Untersuchungen von HDE und ver.di zeigen aber: Bezahlung und Arbeitszeiten sind aus Sicht vieler Beschäftigter unbefriedigend. Hinzu kommt, dass von den drei Millionen Beschäftigten gut 900 000 geringfügig beschäftigt sind, knapp 800 000 arbeiten in Teilzeit. Dalibor: „Viele Frauen, mit ihrer gebrochenen Erwerbsbio grafie, werden im Ruhestand böse Überraschungen erleben, weil sie mit ihrer Rente kaum auskommen dürften.“ Diesen Nachteilen steht die Sicherheit der Jobs gegenüber. Vor allem Frauen schätzen zudem die flexiblen Arbeitszeiten. Auch Aufstiegschancen reizen viele: „Der Einzelhandel ist eine der wenigen Branchen, in denen man auch ohne Studium schon mit Mitte Zwanzig in gut bezahlte Führungspositionen gelangen kann“, sagt Wilfried Malcher, zuständig für Bildung und Berufsbildung beim HDE. Knapp 70 Prozent der Führungskräfte sind demnach über die berufliche Aus- und Fortbildung in ihre Position gelangt. Nur 15 Prozent sind direkt von der Uni gekommen. Der Frauenanteil auf Filialleiterebene beträgt 40
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ast fünfhundert Gäste, darunter Altkanzler Gerhard Schröder und der Maler Markus Lüpertz, die Schriftsteller Feridun Zaimoglu, Tilman Spengler und Eva Menasse, drängen sich im Hof unter die Heizschirme. Es ist bitter kalt. Auf der Bühne versucht Helge Schneider am Klavier mit seinem Trio, etwas jazzige Summertime-Atmosphäre aufkommen zu lassen. Schleswig-Holsteins Ministerpräsi dent Torsten Albig würdigt Grass als „streitbaren Geist und Impulsgeber für die Gesellschaft“, doch – so Albig mit Blick auf die fröstelnden Gäste – was Grass sagt und schreibt, kann keinen kalt lassen. „Ich teile nicht alles, aber es lohnt sich, sich mit ihm auseinanderzusetzen.“ Grass setze politische Streitgespräche in Gang, die enorm wichtig seien. „Unsere Gesellschaft ist nur dann stark, wenn sie diese Debatten aushält.“ Eva Menasse traut sich in ihrer Rede, aus der allgemeinen Festtagsharmonie ein wenig auszubrechen und auf das in der Öffentlichkeit heftig umstrittene israelkritische Gedicht „Was gesagt werden muss“ einzugehen: „Ich halte das Gedicht für eine Torheit“, so die österreichische Schriftstellerin, lobt aber gleichwohl den Dichter für „seine kämpferische Lust, sich täglich aufs Neue mit der Welt zu verwickeln, koste es, was es wolle. Gewiss aber kostet es den geistigen Ruhestand.“
Eva Menasse über Grass
»Er hat das Maul aufgemacht«
Neue Ausstellung im Lübecker Grass-Haus: Der Literatur-Nobelpreisträger mit Ehefrau Ute und Museumsleiter Jörg-Philipp Thomsa
Fotos: dpa Picture-Alliance/Markus Scholz/Thorsten Wulff
Auch die Israel-Kritik ist Thema Der Literaturwissenschaftler Heinrich Detering kritisiert dann in seinem Beitrag noch einmal die in der jüngsten Kritik vorgenommene Konzentration auf einen „winzigen Text“, die Kritik an Israel in dem Gedicht. Im Blick auf das Grass’sche Gesamtwerk zeigt er auf, dass der Dichter alles andere als ein Antisemit sei. Wer das Lebenswerk des Dichters als „von Antisemitismus durchzogen“ denunziere, habe die genaue Lektüre ersetzt durch den vermeintlichen Blick in das Unterbewusstsein des Autors. „Sein Lebenswerk ist ein Kunstwerk in genauem Sinne des Wortes.“ Schließlich ergreift Günter Grass das Wort. Er sei Eva Menasse dankbar, dass sie das strittige Thema aufgegriffen habe. „Ich hoffe, dass sie Recht behalten, dass mein Gedicht eine Torheit ist.“ Nicht zurücknehmen werde er aber die Kritik daran, dass eine Kieler Werft U-Boote als deutsche Wiedergutmachung an Israel liefere, die in der Lage seien, atomare Mittelstreckenraketen abzuschießen. „Ja, es war eine Torheit, das so auszusprechen. Aber es war eine notwendige Torheit.“ Da erinnert man sich an den legendären ersten Satz in Grass‘ Roman „Der Butt“: „Ilsebill salzte nach“, und man erkennt: Auch der Dichter salzt nach, wenn es ihm erforderlich erscheint.
Geburtstagsgäste: Schriftstellerin Eva Menasse (v.l.), Schleswig-Holsteins Ministerpräsident Torsten Albig und Alt-Bundeskanzler Gerhard Schröder
Günter Grass salzte nach Festakt Das zehnjährige Bestehen des Günter-Grass-Hauses und der 85. Geburtstag des Literatur-Nobelpreisträgers – doppelter Anlass für ein großes Fest in Lübeck Von Werner Loewe Dann liest er noch 40 Minuten aus seinem neuen Gedichtband „Eintagsfliegen“ vor. Landschaftsgedichte, Nachrufe, Erinnerungen – unpolitische Gedichte. Nicht alles eben ist politisch bei Günter Grass. n Aus unserem Antiquariat Kurt Beck (HG.): »Schlagt der Äbtissin ein Schnippchen, wählt SPD!« Günter Grass und die Sozialdemokratie vorwärts/buch 2007, 163 Seiten, jetzt 24,80 Euro, ISBN 978-86602-280-5
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Es war eine notwendige Torheit.
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Günter Grass über sein Gedicht zur IranPolitik der Regierung Netanjahu
„Ich stehe hier trotz des Israel-Gedichts von Günter Grass, das, wie Sie wissen, den Titel trägt »Was gesagt werden muss«. Diesen Titel nehme ich nun für mich selbst in Anspruch, wenn ich sage: Ich halte dieses Gedicht für eine Torheit, und es hat mich bei seinem Erscheinen auf diese resigniert-verzweifelte Weise wütend gemacht, mit der man sonst auf Naturkatastrophen reagiert. [...] Wenn ich also zutiefst davon überzeugt bin, dass dieses Gedicht eine Torheit ist, dann muss der Geschwister-Satz lauten: Menschen machen Fehler. Auch Günter Grass macht Fehler. [...] Wer den Mund aufmacht, macht sich angreifbar. Das ist eine Tatsache. Wir als Gesellschaft sind aber vital darauf angewiesen, dass Menschen diesen Mut haben, dass sie frei denken und sprechen, dass sie auch das Unmoderne, das Unangenehme, meinetwegen auch das Törichte formulieren, dass sie sich jedenfalls gegen den Mainstream stellen, der so mitreißend doch nur unsere Faulheit bedient. [...] Trotz allen inhaltlichen Widerspruchs weigere ich mich, das irregegangene Israel-Gedicht als Summe und Bilanz eines 85jährigen Künstlerlebens zu begreifen, wie es manchen nun so herrlich in den Kram zu passen scheint. Das ist es nicht. Das Gedicht nicht, nicht die paar Monate in der Waffen-SS und nicht das merkwürdig späte Geständnis. [...] Günter Grass hat ein großes, spektakuläres, ungezügeltes literarisches Werk geschaffen [...] Aber die zweite große Lebensleistung des Günter Grass ist die Selbstverständlichkeit, mit er sich immer eingemischt hat, lieber würde ich ja sagen: mit der er das Maul aufgemacht hat. Er hat seine Meinung gesagt, wann immer es ihm nötig schien. Er nimmt bis heute keine Rücksicht darauf, ob es gerade modern ist, sich als Schriftsteller zur Weltlage zu äußern oder ob, wie seit etlichen Jahren, gepflegtes Elfenbeinturmsitzen für einzig standesgemäß gehalten wird. [...] Er macht weiter, er wird weitermachen und sich einmischen, so lange er kann.“ n Dieser Auszug aus der Rede von Eva Menasse erscheint mit freundlicher Genehmigung der Autorin.
28 Kultur
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Steinbrück Trifft NobelPreisTräger Buchmesse Politiker diskutieren am vorwärtsStand mit Autoren
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s ist nicht immer einfach, einen Blick auf die Bühne des vorwärtsStands auf der Frankfurter Buchmesse zu erhaschen. Zu dicht ist die Traube von Menschen davor. Sie wollen die Politiker und Autoren sehen, die hier diskutieren. Manchmal streiten sie, manchmal analysieren sie Probleme. Und manchmal sprechen sie vor der roten Wand über Literatur. Aus allen Nähten platzt der Stand, als in diesem Jahr der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz auf den SPD-Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück trifft. Sie sprechen über Stiglitz‘ aktuelles Buch „Der Preis der Ungleichheit“, reden über die Spaltung der US-amerikanischen und der deutschen Gesellschaft. Auch nach diesem Gipfeltreffen bleibt der vorwärts-Stand Anziehungspunkt fürs Publikum. Dafür sorgen Gäste wie die SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles, Franz Müntefering, der Porsche-Betriebsrat Uwe Hück, der Sozialphilosoph Oskar Negt und viele andere. n BG
1 1| Freut sich über die Presseresonanz: SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück auf dem vorwärts-Stand. Hier diskutierte er mit Wirtschafts-Nobelpreisträger Joseph Stiglitz über die wachsende Spaltung der Gesellschaft, in den USA und in Deutschland.
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2| Susanne Schmidt, Tochter von Altkanzler Helmut Schmidt, analysiert die Finanzmarktkrise . 3| Nina Scheer (l.) im Gespräch mit vorwärts-Volontärin Marisa Strobel über ihr Buch „Energiewende fortsetzen“. 4| Jutta Allmendinger spricht über Bildung.
Fotos und Berichte vorwärts.de/Kultur/Buchmesse_2012
Pressestimmen
Buschkowsky wollte am „vorwärts“Stand aber tatsächlich weniger eine Debatte über die misslungene Integration in seinem Stadtteil führen, sondern pries die Vorzüge Neuköllns, nicht zuletzt die industriellen: Jacobs, Phillip Morris oder Niederegger lassen oder ließen hier produzieren ... Der Tagesspiegel
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5| Der Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph Stiglitz erklärt, wie die Schere zwischen Arm und Reich immer weiter aufgeht – nicht nur in den USA. 6| Gespannte Gesichter: zahlreiche Gäste am „vorwärts“-Stand auf der Frankfurter Buchmesse.
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7| SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles mit einem besonders jungen Fan. 8| Hessens SPD-Chef Thorsten Schäfer-Gümbel (l.) diskutiert mit dem Politikwissenschaftler Claus Leggewie. 9| Lobte seine Heimat: Neuköllns Bürgermeister Heinz Buschkowsky
Fotos: vorwärts
Im Wechselspiel von Analyse und Pointen ging es über die Zeit hinaus weiter. Wenn die Buchmesse zugleich Handlungsplatz kunstvoller Rhetorik sein will, dann gehörte diese Diskussion zu ihren großen Momenten. Stiglitz und Steinbrück, das passte. Im Publikum wurde die Behauptung laut: Die Sozialdemokraten haben jetzt auch ihren Professor. FAZ zur Buchmesse
Kultur 29
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Spuren, überall Klaus Wettig macht 150 Jahre SPD nach-erlebbar Von Uwe Knüpfer
Foto: hendrik rauch
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eit mehr als 150 Jahren prägen Sozialdemokraten deutsche Geschichte. Klaus Wettig hat sich auf Spurensuche begeben. Er hat nach „Orten der Sozialdemokratie“ gesucht – und ist allüberall fündig geworden. Grabstätten, ehemalige Konzentrationslager, Folterkammern und Gefängnisse. Wer Wettig folgt, erkennt rasch: Der Weg der Sozialdemokratie ist kein leichter gewesen. Viele Männer und Frauen haben oft große Opfer gebracht,
nicht wenige ihr Leben gelassen – weil sie Rückgrat hatten und es ihnen ernst war mit dem Verlangen nach Freiheit und Gerechtigkeit. Wo die Emslandlager der Nazis, KZs in Ravensbrück oder Dachau standen, erinnern exzellente Ausstellungen an Terror und Widerstand. In Berlin- Hohenschönhausen „riecht“ das ehemalige Stasi-Gefängnis noch förmlich nach DDR. Jede Ost-Nostalgie vergeht Besuchern hier rasch. Doch Klaus Wettig
leitet seine Leser auch, von Bundesland zu Bundesland wandernd, zu Orten des Aufbruchs. Zu den Gründungsstätten der frühen Sozialdemokratie und zu architektonischen Monumenten der Moderne wie der Zentrale des Metallarbeiterverbandes in Berlin – das WillyBrandt-Haus sieht wie dessen junger Bruder aus. Nicht immer ist die Sozialdemokratie mit ihrem Erbe pfleglich umgegangen. In der DDR hat die SED gezielt Geschichts-Politik betrieben – etwa indem sie den „Friedhof der Sozialisten“, die letzte Ruhestätte vieler Sozialdemokraten, zu einer Weihestätte für SED-Kader umfunktionierte. Klaus Wettigs Buch leistet hier einen wichtigen Beitrag zur Re-Konstruktion von Geschichte. Wenn es einen „Genius Loci“ gibt, tut die SPD gut daran, ihre Spuren zu pflegen. Klaus Wettigs Buch mag sie als Pflegeanleitung nehmen. n
Klaus Wettig Orte der deutschen Sozialdemokratie Ein Reisebuch vorwärts|buch 232 Seiten, 15 Euro ISBN 978-388602-921-7
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Rezensionen
Die Favoriten der Leser im Internet Klaus Scherer Wahnsinn Amerika Piper Verlag, München 2012, 288 Seiten, 18,99 Euro ISBN 978-3-492-05531-4 Friedrich Paul Heller Pinochet. Eine Täterbiographie in Chile Schmetterling Verlag, Stuttgart 2012, 352 Seiten, 24,80 Euro ISBN 3-89657-097-8 Jenny Erpenbeck Aller Tage Abend Albrecht Knaus Verlag, München 2012 288 Seiten, 19,80 Euro ISBN 978-3-89965-510-0
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Das Navigationssystem für die Zukunft Wer bekommt die Seltenen Erden aus China? Was machen die Neonazis in Europa? Welche Folgen hat der Landraub für Afrika? Wann kommt der Happy Planet Index für das gute Leben? Antworten auf diese und alle anderen wichtigen Fragen von morgen gibt der neue Atlas der Globalisierung.
Der neue Atlas der Globalisierung ist da!
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30 Kultur
vorwärts 11/2012
Serie „Höstarken“ schwedisch: Herbstblätter Radierung, Blatt Nr. 10 Maße: 27 x 18,8 cm Auflage: 20 Exemplare Preis: 160 Euro
Medienzirkus
vorwärts g alerie
Von Gitta List
Eiko Borcherding 1977 in Aurich geboren, studierte von 2000 bis 2002 an der Fachhochschule Hannover und von 2002 bis 2006 an der Hochschule für Angewandte Wissenschaf ten HAW in Hamburg.
Faszination Landschaft Junge zeitgenössische Kunst exklusiv für die vorwärts-Leser empfohlen von Björn Engholm
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ie Darstellung von Landschaften, mal idealisiert, mal realistisch, in der neueren Kunst auch verfremdet und abstrahiert, hat eine lange Tradition. Mit der Renaissance im 15. und 16. Jahrhundert beginnt eine Blüte malerischer und grafischer Landschaftsbilder, die bis zum Expressionismus in unterschiedlichsten Stilformen anhält. Die Kette großer Landschaftsbildner reicht von Leonardo, Dürer, Tizian über Brueghel, Vermeer, Rubens, Rembrandt oder van Gogh bis zu Monet, Liebermann, Nolde und Hockney oder Richter. Der Faszination von Landschaft erlegen ist auch der Künstler Eiko Borcherding. Er setzt das klassische Motiv jedoch mit zeitgenössischer Bildtechnik um. Seine der schwedischen Landschaft entnommenen Motive („Höstarken“) sind Fotografien, die auf lichtempfindliche Druckplatten gelegt und belichtet
werden; die Platten werden anschließend grafisch überarbeitet. So entstehen Fotogravuren mit Kaltnadelradierung – eine reiz- und phantasievolle Mixtur aus Realität und künstlerischer Intuition. n
2009 erhielt er ein Auslands stipendium in Schweden, 2010/11 ein Arbeits stipendium der Nolde-Stif tung Seebüll. Seine Arbeiten zeigte er in zahlreichen Aus stellungen, unter anderem in Hamburg, Schleswig, Os nabrück, Leipzig, Oldenburg, Wilhelmshaven, Seebüll und Berlin. Seit 2011 hat er einen Lehr auftrag für Zeichnen an der HAW. Eiko Borcherding lebt und arbeitet in Hamburg. eikoborcherding.de
Ja, ich kaufe Kunst Hiermit bestelle ich: _______ Exemplare der Radierung Nr. 10 aus der Serie „Höstarken“ à 160,00 Euro (inkl. Mehrwertsteuer und Versand) Name PLZ, Ort, Straße Datum, Unterschrift
Kunsthandel Hoffschild, Goethestr. 8, 23564 Lübeck Telefon 0171/1935842, Fax 0451/598544, E-Mail: hhoffschild@aol.com
Vignette: Hendrik Jonas; Fotos: Eiko Borcherding, privat
Es war einmal ein König, pardon, ein Parteivorsitzender, der glaubte, König zu sein. Er liebte seine Untertanen, pardon, Wählerinnen und Wähler wie ein Vater. Er sorgte sich Tag und Nacht um ihr Wohlergehen, nichts beschäftigte ihn so sehr wie das Glück der braven Bewohner in seinem Königreich, pardon, Freistaat. Das Regieren machte ihm viel Freude. Und nichts wünschte er sich sehnlicher, als dass dies für immer so bleiben möge. Doch gab es in seinem Reich auch eine Rote Fee, genannt Sozialdemokratische Partei, die wollte ihm seine Freude nicht gönnen! Sie heckte einen Plan aus: Übers Jahr, wenn die Einwohner wieder einmal entscheiden sollten, ob sie ihren König, pardon, Ministerpräsidenten für eine weitere Legislaturperiode behalten wollten oder nicht, wollte sie den beliebten Oberbürgermeister der schönen Landeshauptstadt als Gegenkandidaten aufstellen! Eine beunruhigende Nachricht sei das, befand unser wackerer Landesvater, und was ihn noch viel mehr beunruhigte: Schon bald würden die, äh, Medien davon Kunde geben – o je! Da er sein Wahlvolk um keinen Preis in Unruhe versetzt wissen wollte, sann er darüber nach, wie das wohl zu verhindern sei. Er beschloss, der Tradition seiner Ahnen zu folgen, rief seinen Marschall, pardon, Parteisprecher zu sich und befahl: Sorge du dafür, dass diese, äh, Fernsehanstalt nicht schwatzhafter ist, als der König erlaubt! Der tat, wie ihm geheißen – und griff zum Telefon. O weh, nicht nur war die Sendeanstalt widerspenstiger als erwartet, sie petzte auch noch. „Einflussnahme“ nannte man nun draußen im Lande, was doch nur gut gemeint gewesen war! Die Medienvertreter waren empört, die Untertanen ungehalten. „Was hast du nur getan, Marschall!“, rief der Parteivorsitzende da, „bist du denn von allen guten Geistern verlassen?“ Da nahm der treue Marschall seinen Hut und verzog sich stumm in die Provinz. Und wenn der König Glück hat, dann schweigt er dort auch weiterhin. n
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Er war einer von uns Willy Brandt Die Jugend liebte ihn. Denn von ihm fühlte sie sich respektiert und verstanden. Kein SPD-Politiker vor oder nach ihm faszinierte junge Menschen so sehr Von Johano Strasser Junge Anhänger: In Dortmund grüßen Kinder den SPD-Kanzlerkandidaten Willy Brandt auf seiner Wahlkampfreise 1965.
Foto: J.H. Darchinger/Friedrich-Ebert-Stiftung; Illustration: Hendrik Jonas
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a sitzt er im blassblauen Cordhemd, die Zigarette lässig im Mundwinkel, spielt auf der Gitarre und schaut versonnen in die abendliche Landschaft. Das Plakat hing in den 70ern in so gut wie jeder JusoWohngemeinschaft: Willy im Urlaub in seiner zweiten Heimat Norwegen, einer von uns und doch himmelhoch entrückt. Im restaurativen Klima des Kalten Krieges verkörperte er das Versprechen eines anderen, besseren Deutschlands. Ich erinnere mich an die Bundestagswahlkämpfe 1961 und 1965. Günter Grass trommelte für den deutschen Kennedy, ab 1965 mit der Wählerinitiative unter dem von Walt Whitman entlehnten Motto Dich singe ich Demokratie. Eine Kampfansage an die alten Männer um Adenauer mit ihrer ‚Kanzlerdemokratie’ und ihrer Keine-ExperimentePolitik. Die Musik des transatlantischen Fortschritts umwehte ihn. Willy und John F. Kennedy am 13. März 1961 im Weißen Haus, das Foto, aus der Zeitung ausgeschnitten, hing über meinem Bett im Studentenwohnheim. Als Willy Brandt, ein Widerständler, ein Emigrant, 1969 – im dritten Anlauf – endlich Bundeskanzler wurde, fühlte ich mich, in einer kosmopolitischen Familie in den Niederlanden geboren und erst seit wenigen Jahren Inhaber eines deutschen Passes, endlich in Deutschland wirklich zu Haus. Der antiautoritären Bewegung begegnete er nicht in erster Linie mit Abwehr oder gar mit Haß. Seine Reaktion
Die SERIE Folge 2: Willy Brandt und die Jugend
Im nächsten Heft Folge 3: Willy Brandt und die SPD
war Neugier, Verständnis für die Ungeduld der Jugend und Gesprächsbereitschaft. „Mehr Demokratie wagen!“, das Motto, das er über seine erste Regierungserklärung setzte, war uns ein Zeichen des Aufbruchs. Er ließ sich von der Unterwanderungshysterie, die auch manchem Sozialdemokraten den Blick trübte, nicht anstecken, wollte die aufbegehrende Jugend gewinnen, für sich, für die Sache, die er vertrat, für die er ins Exil gegangen war: für die Sozialdemokratie. Während andere über Disziplinierung, Abgrenzung und Rausschmiss nachdachten, nahm er den Protest als Anstoß zu Reformen, setzte sich mit den Kritikern in der eigenen Partei auseinander, hörte zu. Die Willywähler von 1972 dankten es ihm.
Offen für die Ideen der Jugend
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Ich eigne mich nicht zum Fan, aber Willy Brandt war und ist für mich ein Leitstern.
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Johano Strasser
Was Herbert Wehner ihm diffamierend nachredete – „der Herr badet gern lau“ – war auch, was sein Verhältnis zur kritischen Parteijugend anging, falsch. Ich kann mich nicht erinnern, dass er uns Jungsozialisten je nach dem Munde geredet hätte. Er hatte nur nicht verdrängt, daß er selbst als junger Sozialist der Parteiführung gegenüber widerspenstig gewesen war, daß er aus Protest gegen die Tolerierung der Brüningschen Politik durch die SPD-Führung sogar zur SAP gewechselt war. Von Anfang an versuchte er, die Kritiker in den eigenen Reihen in die Reformarbeit einzubinden. Er interessierte sich für die neuen Ideen, die von
den Jungsozialisten in die Partei hineingetragen wurden. Erhard Eppler hatte sein Ohr, wenn es um Ökologie, um die Dritte Welt ging. Als Vorsitzender der Sozialistischen Internationale war er es, der in der Nord-Süd-Kommission eine gerechtere Verteilung im Weltmaßstab als Bedingung für Frieden anmahnte. Bis heute fasziniert mich der Mut und die Beharrlichkeit, mit der er seit Mitte der 60er zusammen mit Egon Bahr die festgefahrene Deutschlandund Ostpolitik in Bewegung brachte. Das war nun weiß Gott kein spezielles Jugendthema. Und doch gab es wohl kein Feld der Politik, auf dem die Jungsozialisten der Führung der Partei so bereitwillig folgten. Heute, zwanzig Jahre nach der Implosion des Sowjetimperiums und der deutschen Vereinigung können wir die Früchte einer Politik genießen, von der wir damals hofften, dass sie Europa und die Welt grundlegend verändern würde. Ich eigne mich nicht zum Fan. Aber Willy Brandt war und ist für mich in vielem ein Leitstern. Er verkörperte den Politiker, den ich in den 50ern und 60ern herbeigesehnt hatte: charismatisch und pragmatisch zugleich, mit einer eigenen Sprache. Einer, der nicht schon fertig war, wie all die anderen, die uns von oben herab belehrten: ein Suchender, ein Europäer und Weltbürger wie ich. n Johano Strasser (geboren 1939) war von 1970 bis 1975 stellv. Bundesvorsitzender der Jusos und einer ihrer wichtigsten Vordenker
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nfang der siebziger Jahre ist die hohe Zeit der erfolgreichen sozialliberalen Ostpolitik. Niemals zuvor war die Zustimmung zu sozialdemokratischer Politik in Deutschland so groß wie in diesen Jahren, die mit Willy Brandts Ankündigung, mehr Demokratie zu wagen, einen kulturellen Umschwung und das Ende der von konservativem Geist beherrschten Nachkriegszeit einleiteten. Time Magazine kürt Brandt 1970 zum Mann des Jahres. Im Oktober 1971 erhält er in Oslo den Friedensnobelpreis. Als Regierender Bürgermeister von West-Berlin war er eine international bekannte Persönlichkeit geworden. Er führte die Stadt durch die harten Jahre nach dem Mauerbau, er empfing John F. Kennedy im Schöneberger Rathaus. Als Bundeskanzler repräsentiert er das andere, das demokratische, das sowohl die Freiheit wie den Frieden liebende Deutschland.
mung für Willy Brandt im ganzen Land aus. Seine Mehrheit bleibt dennoch instabil. Am 20. September stellt er deshalb die Vertrauensfrage und schlägt dem Bundestag Neuwahlen für den 19. November vor. Ein turbulentes Jahr geht mit diesen Wahlen zu Ende.
Umjubelt: Willy Brandt auf dem SPD-Parteitag in Dortmund am 2.10.1972
Brandts Mehrheit wackelt Doch Anfang der siebziger Jahre sind die Mehrheiten prekär. Am 24. Januar 1972 lehnt der Bundesausschuss der CDU einstimmig die Ostverträge ab. Immer wieder hat es Übertritte aus den Reihen der FDP- und SPD-Bundestagsfraktion zur CDU/CSU gegeben. Die Meinungen im Land sind geteilt, die Emotionen schlagen Wellen. Es ist fast wie in einem Bürgerkrieg, der ohne Waffen ausgetragen wird. Am 25. April 1972 stellt Oppositionsführer Rainer Barzel (CDU) einen Misstrauensantrag im Bundestag. Er wird knapp abgelehnt. Regungslos sitzt Willy Brandt zurückgelehnt auf der Regierungsbank im Bonner Bundestag, während ausgezählt wird. Erst nach Bekanntgabe des Ergebnisses hellt sich sein Gesicht auf. Stehende Ovationen. Doch bei dieser Abstimmung ist es, wie man später erfahren wird, nicht mit rechten Dingen zugegangen. Geld war im Spiel, um Stimmen zu kaufen, Parteiübertritte wurden mit sicheren Listenplätzen und anderen Zusagen belohnt. Die Ablehnung des Misstrauensantrags löst eine Welle breiter Zustim-
Der Triumph Vor 40 Jahren Im November 1972 erringt die SPD mit knapp 46 Prozent der Stimmen den größten Wahlsieg ihrer Geschichte Von Rolf Hosfeld
Die Wahlnacht 1972 in Bonn: Helmut Schmidt, Herbert Wehner und Willy Brandt
Wahlkampf 1972: SPDKundgebung in Paderborn
Am 8. November 1972 wird der Grundlagenvertrag zwischen der Bundesrepublik und der DDR unterzeichnet, mitten im Wahlkampf. Wieder, wie bei den letzten Wahlen, hat sich eine engagierte Sozialdemokratische Wählerinitiative um Günter Grass formiert, die Prominente wie Hardy Krüger, Inge Meysel, Sebastian Haffner und andere für die SPD mobilisiert und unermüdlich trommelt. Eine Flut von Aufklebern und Kleinanzeigen für Willy Brandt überschwemmt das Land. Die Stimmung hat sich in eine Richtung geändert, die man am besten als „Freiheit von der Angst“ bezeichnen könnte, und die immer mehr dazu führt, dass sozialdemokratische Gedanken das Meinungsklima beherrschen. „Deutsche, wir können stolz sein auf unser Land. Wählt Willy Brandt“, plakatiert die SPD bundesweit. Tatsächlich wird der 19. November 1972 zum größten Triumph der Sozial demokraten in ihrer Geschichte. Mit 45,8 Prozent wird die SPD zum ersten Mal stärkste Partei im Bundestag. Es ist auch die Stunde des größten persönlichen Triumphs für den Politiker Willy Brandt. Senator Edward Kennedy gratuliert ihm mit den Worten: „Willy, I like winners“. Etwas mehr als ein Jahr später allerdings sollte Brandt schon nicht mehr im Amt sein. Am 8. Mai 1974 tritt er nach der Enttarnung Günter Guillaumes, eines langjährigen DDRSpions im Bundeskanzleramt, zurück. „Er lässt Deutschland in großem Maße gereinigt von Schuld zurück und in der Lage, eine Rolle zu spielen, die seiner Stärke angemessen ist“, kommentiert die Londoner Times diese Zäsur: „Das sollte genug für einen Mann sein.“ n
vorwärts-Impressum Die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie gegründet 1876 von W. Hasenclever und W. Liebknecht Herausgeberin: Andrea Nahles Redaktionsadresse: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 610322, 10925 Berlin; Tel. 030/25594-520, Fax 030/25594-390, E-Mail: redaktion@vorwaerts.de Chefredakteur: Uwe Knüpfer (V.i.S.d.P.) Redaktion: Lars Haferkamp (Textchef); Dagmar Günther (CvD); Hendrik Rauch (Bildred.); Kai Doering (Redaktion), Yvonne Holl (App); Vera Rosigkeit (Online); Dr. Susanne Dohrn, Birgit Güll und Werner Loewe (redaktionelle Mitarbeit); Carl-Friedrich Höck und Marisa Strobel (Volontäre) Fotografie: Dirk Bleicker Layout: Jana Schulze Korrespondenten: Jörg Hafkemeyer (Berlin), Renate Faerber-Husemann (Bonn), Lutz Hermann (Paris) Geschäftsführung: Guido Schmitz Anzeigen: Nicole Stelzner (Leitung strategische Unternehmensentwicklung und Verkauf); Nele Herrmann Valente, Manfred Köhn, Simone Roch, Carlo Schöll, Franck Wichmann und Ralph Zachrau (Verkauf) Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 35 vom 1.1.2012 Verlags-Sonderseiten: verantw. Guido Schmitz Vertrieb: Stefanie Martin, Tel. 030/25594-130, Fax 030/25594-199 Herstellung: metagate Berlin GmbH Druck: Frankenpost Verlag GmbH, Poststraße 9/11, 95028 Hof Abonnement: IPS Datenservice GmbH, Postfach 1331, 53335 Meckenheim; Tel. 02225/7085-366, Fax -399; bei Bestellung Inland: Jahresabopreis 22,– Euro; für Schüler/Studenten 18,– Euro; alle Preise inkl. Versandkosten und 7 Prozent MwSt.; Ausland: Jahresabopreis 22,– Euro zzgl. Versandkosten. Das Abo verlängert sich um ein Jahr, wenn nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Für SPD-Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten (bei Änderungen bitte an den SPD-UB wenden). Bankverbindung: SEB Berlin, BLZ 100 101 11, Konto-Nummer 174 813 69 00 Bei Nichterscheinen der Zeitung oder Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages im Falle höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Leistung, Schadensersatz oder Minderung des Bezugspreises. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen.
Fotos: J.H. Darchinger / Friedrich-Ebert-Stiftung (3)
Die Stimmung dreht sich
Rätsel 33
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kreuzworträtsel
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Die Fragen und das Kreuzworträtsel darunter ergeben die Lösung. Der gebürtige Hamburger... kam schon als Kind in seine heutige Heimat und studierte in einer bekannten Universitätsstadt, die am selben Fluss liegt wie seine Heimatstadt. Seit genau sechs Jahren ist er der oberste Bürger. Sein Vorname? 1
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Aufgewachsen... ist er in einer Stadt, deren Wappen Ähnlichkeit mit dem Hamburger Stadtwappen aufweist und die die größte Stadt des flächenmäßig zweitgrößten Bundeslandes ist. 1
Brückenbauer als EU-Administrator: Der Gesuchte 1996 auf der Brücke von Mostar, die den bosnischen und den kroatischen Teil der Stadt verbindet
Wer war’s?
Er gilt als Brückenbauer: In seiner Heimatstadt, deren Bürgermeister er 18 Jahre lang war, ebenso wie international Von Lothar Pollähne
Foto: dpa Picture-Alliance/Martin Athenstäd
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on der Verleihung der Ehrenbürgerwürde durch seine Heimatstadt wird er regelrecht überrumpelt. Erst eine halbe Stunde vor der Aushändigung der Urkunde erfährt er davon und fragt seinen Nach-Nachfolger: „Bist Du verrückt geworden?“ 2004 verleiht ihm die Stadt Regensburg ihren „Brückenpreis“. Sein ganzes politisches Leben lang hat er sich auf das Brückenbauen verstanden, etwa als Präsident der „Deutsch-Israelischen Gesellschaft“ oder als Präsident des „Deutschen Polen Instituts“. Sein berühmtester Brückenbau kostet ihn zweimal beinahe das Leben. In der Stadt, die nach einer Brücke benannt ist, verüben kroatische Nationalisten Attentate auf den EU-Administrator. Entnervt, und das ist ungewöhnlich für den Arbeitersohn, gibt er sein EU-Mandat zurück. Auch in seiner Heimatstadt, deren Bürgerschaft er seit 1955 angehört, ist er als „Brückenbauer“ aktiv. Zum Wohle der Stadt bringt er Kaufleute, Industrie, Arbeitnehmer und Politik immer wieder „an einen Tisch“ und sorgt für hanseatischen Zusammenhalt: 1963 als Innensenator und vom 28. November 1967 an als Bürgermeister. Ab 1971 ist er noch auf einem anderen Gebiet als Brückenbauer tätig: als Senator für kirchliche Angelegenheiten. 18 Jahre lang amtiert er als Regierungschef, dann tritt er auf eigenen Wunsch am 17. September 1985 zurück, um sich hinfort anderen „Brückenbauarbeiten“ zu widmen. Sein Credo ist bezeichnend: „Am Ende zählen nicht Worte, sondern Taten. Man muss hier eine neue Brücke bauen und da ein paar Trümmer wegräumen, das ist doch alles keine große Politik.“ n Unter allen Einsendern verlosen wir eine vorwärts-Tasche. Bitte schicken Sie das Lösungswort mit dem Stichwort „Wer war’s“ bis 29. November 2012 per Post oder per E-Mail an: redaktion@vorwaerts.de
Historisches Bilder-Rätsel Die Lösung des Bilder-Rätsels aus der vergangenen Ausgabe lautet: martha fuchs Die vorwärts-Tasche hat gewonnen:
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Es gibt zwei Wege, das Preisrätsel zu lösen: Ratefüchse beantworten zuerst die beiden Fragen. Die jeweils dritten und vierten Buchstaben der beiden Lösungsworte ergeben in der richtigen Reihenfolge die Lösung. Es geht aber auch einfacher: Die grauen Felder im Kreuzworträtsel e rgeben in der richtigen Reihenfolge das Lösungswort. Gesucht werden zwei Personen mit demselben Nachnamen: ein Staatsgründer und ein zweifacher Oscar-Preisträger.
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Die Lösung des jüngsten Preisrätsels lautete: baer Gesucht wurden außerdem: brandt und berlin Jeweils ein Buch gewannen: Edith Gilleßen-Schneider, 40595 Düsseldorf Gudrun Nehring, 24943 Flensburg Günter J. Hein, 97469 Gochsheim
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WAAGERECHT 1 Ertrag, Nutzen 6 meerkatzenartiger Affe 9 zu keiner Zeit
Claudia Remus, 14712 Rathenow
11 Nervosität, Erregung
Antonia Fleischmann, 10961 Berlin
16 Matrose
Alfred Elger, 64521 Groß-Gerau
21 verführen, betören
Ursula Gensicke, 18609 Ostseebad Binz
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Wilfried Dahlbeck, 44869 Bochum
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Christian Kuly, 57319 Bad-Berleburg
Rainer Diebler, 04617 Gerstenberg
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13 Dasein, Existenz 18 Presskohlestück 25 Unwille, Verdrossenheit 28 englisches Bier 29 Stadt an der Mosel
30 starke Belastung; Ärger (ugs.) 31 Altersruhegeld 32 seemännisch: Windschattenseite 34 Bogen auf zwei Säulen, Pfeilern 37 Anschauung, Meinung 39 Gebirge zwischen Europa und Asien 40 Ausruf der Verwunderung 41 Zeitmesser 42 gerade Aufgekommenes 43 kurze Werbesendung (engl.)
19 Kreuzesinschrift SENKRECHT 20 Laubbaum, 1 Kuhantilope Vogelbeerbaum 2 Sportruderboot 22 Vorsilbe: zwischen 3 Fragewort (lateinisch) 4 nicht weit 23 römischer Staats5 Nasenloch des mann und Feldherr Pferdes 24 eine Pflanze 6 Hafendamm 26 Nachlass empfan7 größte Insel der gen Großen Antillen 8 Teil des Gesichts 27 germanischer Wurfspieß 12 Spaß; Unfug 30 Verfassung, Satzung 14 Titel arabischer Fürsten 32 Fluss zum Rhein 15 dt. Mitbegründer 33 Bruder Jakobs im des Marxismus Alten Testament (Friedrich) 35 Lehrgang 17 Abk. für et cetera 18 Begriff aus Jazz und 36 kaufmänn.: heute Popmusik 38 persönl. Fürwort
Die richtige Lösung schicken Sie bitte bis zum 29. November 2012 per Post an vorwärts, Postfach 610322, 10925 Berlin oder per E-Mail an raetsel@vorwaerts.de. Bitte Absender nicht vergessen und ausreichend frankieren! Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir zehn Bücher.
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So eine tolle Wurst! Und fast ohne Fleisch! Gutes Essen Kann man der Lebensmittelindustrie trauen? Wohl kaum. Der Werbung? Erst recht nicht. Aber dem kleinen Metzger um die Ecke? Sie werden sich wundern! Von Martin Kaysh
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eulich gab es in Fallingbostel einen Chemieunfall in einer Lebensmittelfabrik. Man nehme nur einmal die Begriffe: Lebensmittel, Chemie und Fabrik, guten Appetit. In der Fernsehreklame hingegen wird jedes Produkt von Sterneköchen liebevoll von Hand zusammengerührt. Würden all die Markenartikel wirklich so aufwändig hergestellt, kostete die Tiefkühlpizza bald zwanzig Euro, und Gangster würden aus den Autos keine Navis mehr klauen, sondern Schokoriegel, die man im Handschuhfach vergessen hat. Wir haben jetzt gelernt, dass Erdbeeren oft gar nicht von glücklichen rumänischen Wanderarbeitern in der norddeutschen Tiefebene gepflückt werden. Plötzlich gab es da diesen Erdbeer-
schleim aus China, blöderweise mit Noroviren behaftet. Während die Hälfte der ostdeutschen Schüler noch mit Brechdurchfall im Bett lag, beeilte sich der Lieferant der Schulkantinen mitzuteilen, die Lebensmittel selbst, also die Erdbeeren an und für sich, seien einwandfrei. So wie die Zuckerindustrie darauf hinweist, nicht der Zucker mache Kinder fett, dafür seien die Kalorien verantwortlich. Klar, auch die Atombombe selbst ist harmlos, es sind nur die blöden Strahlen. Die erfreuliche Nachricht aus China: Immerhin sind in unserem Joghurt richtige Erdbeeren. Bislang war ich davon ausgegangen, dass der Geschmack im Joghurt erzeugt wird, indem man Baumrinde mit Bakterien zusammen-
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Die Zuckerindustrie weist darauf hin, nicht der Zucker mache die Kinder fett, dafür seien die Kalorien verantwortlich.
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Martin Kaysh
seit wärts Nahrungskette
bringt, deren Ausscheidungen irgendwie erdbeerig schmecken. Wobei hier der Vorteil ist, dass weder Baum noch Bakterie Chemie sind. Weshalb der Joghurt auch als „reines Naturprodukt“ verkauft werden darf. Trauen dürfen wir dem kleinen Metzger in der Stadt. Bei mir um die Ecke ist so einer. Nach irgendeinem der vielen Lebensmittelskandale präsentierte er die „Wurst des Monats“. Ich stellte mir die dazugehörige Jury vor, besetzt mit Vertretern der gesellschaftlich relevanten Gruppen, wollte schon den Quotenplatz der Vegetarier dort einnehmen, als er seinen „Pizza-Leberkäse“ zum Monatssieger kürte. Diese Kombination überstieg meine Vorstellungskraft. Ich fragte an der Theke nach. Der Metzger schnitt beherzt ein Stück der Siegerwurst ab, wollte es über die Theke reichen, als ich ihn kurz stoppte mit dem Hinweis auf meine fleischlose Ernährung. Er lächelte, schob mir den Leberkäse fast in den Mund und erklärte: „Macht nix, da ist praktisch gar kein Fleisch drin.“ Ich lobe mir das ehrliche Handwerk. n Martin Kaysh ist Kabarettist, Alternativkarnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.
von David Füleki
Und das is alles in deinem Farmhouse Burger drin!
Der Hunger treibt's rein …
Illustration: christina Bretschneider
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niCht VerPassen: 7. demo-kommunalkongress
»kommunalPolitik olitik besser maChen«
der demo-kommunalkongress ist für mich…
. 22. + 23 12 0 2 r e b novem
n berlin statio er Str. 4-6,
wald Lucken Berlin 10963
Politik für die Zukunft unserer kommunen Am 22. und 23. November 2012 findet der bundesweite Kommunalkongress der Demokratischen Gemeinde – kurz DEMO – in Berlin statt. Fachleute aus Politik, Wirtschaft, Verwaltung und Gesellschaft werden wieder in Vorträgen, Diskussionen und querdenkenden Einwürfen den Dialog mit den kommunalen Entscheidungsträgerinnen und -trägern suchen. In diesem Jahr stehen die Themen Kommunalwirtschaft, Kultur, Sozialpolitik und Kommunalfinanzen im Vordergrund. Dabei wird es um Rekommunalisierung ebenso gehen wie um Teilhabe für jeden an der Kultur, die Soziale Stadt und – in Zeiten der Finanznot (un-)verzichtbar wie nie – den Bürgerhaushalt. Gerade für kommunalpolitisch Verantwortliche und Engagierte waren die DEMO-Kommunalkongresse der letzten Jahre immer ein ergiebiger Treffpunkt für Austausch und Networking. So wird es auch dieses Jahr sein – beim mittlerweile 7. DEMO-Kommunalkongress. Wir laden Euch herzlich ein, mit unseren Expertinnen und Experten zu diskutieren. Bringt Euch ein in die Debatte und trefft viele andere gleichgesinnte Sozialdemokraten. Gemeinsam Kommunalpolitik besser machen – unter diesem Motto wird auch der diesjährige DEMO-Kommunalkongress stehen. Für weitere Informationen zum Programm und unseren Referenten besucht uns unter www.demo-kommunalkongress.de Wir würden uns freuen, Euch in Berlin begrüßen zu dürfen.
Barbara Behrends Chefredakteurin DEMO
Programm
· kommunalpolitische Strategie einer Fraktion · kommunalpolitisches Engagement von/für Frauen · kommunalpolitisches Lebenswerk
donnerstag, 22.11.2012 10.30 11.30 12.00 13:00
Einlass und Akkreditierung Grußwort auftaktvortrag: Kommunalpolitik heute Pause / Mittagessen
Anschließend kommunaler Abend mit Buffet und Musik sowie Führungen durch das Willy-Brandt-Haus.
14:00-15:30 Parallele Workshops
freitag, 23.11.2012
• nachhaltigkeit und kommunalwirtschaft Rekommunalisierung • kommunale kultur Kultur und Teilhabe • kommunale sozialpolitik Soziale Stadt • kommunalfinanzen Bürgerhaushalt
09:00 09:30 10:00
15:30-16:00 Kaffeepause
12:00-13:30 Parallele Workshops
16:00-17:30 Café kommunal • nachhaltigkeit und kommunalwirtschaft • kommunale kultur • kommunale sozialpolitik • kommunalfinanzen 17:30 18:30 19:00
Pause/Bustransfer ins Willy-Brandt-Haus Ankunft und Empfang im Willy-Brandt-Haus Preisverleihung und Abendveranstaltung im Willy-Brandt-Haus
11:00
Verleihung der Kommunalfüchse für herausragende kommunalpolitische Projekte in den Kategorien: · kommunalpolitisches Projekt einer Kommune
Einlass und Akkreditierung Grußwort auftaktvortrag: Kommunalpolitik heute Kleiner Imbiss
• nachhaltigkeit und kommunalwirtschaft Stadtwerke zu Zeiten der Energiewende • kommunale kultur Kultur in der Finanzkrise • kommunale sozialpolitik Demografischer Wandel – Gesundheitsversorgung in der Kommune • kommunalfinanzen Alternative Finanzierungsmöglichkeiten – ÖPP, Fördermittel von Land, Bund und EU 13:30 14:00
15:00
Pause abschlussforum – agenda 2020: Kommunen der Zukunft Ende
Vollständige Infos zu Programm und Referenten unter www. demo-kommunalkongress.de
anmeldung · per Fax an: 030/25594-499 · per Post an: DEMO – Demokratische Gemeinde, -Kommunalkongress-, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin · online unter www.demo-kommunalkongress.de hiermit melde ich mich verbindlich als teilnehmer/in am 7. demokommunalkongress an. die teilnahme kostet inkl. 19% mehrwertsteuer: 69,00 euro für DEMO-Abonnenten und SGK-Mitglieder 149,00 euro für Kommunalpolitiker/innen und Verwaltungsmitglieder 299,00 euro für Vertreter/innen der Wirtschaft
Vorname*
„… eine der wenigen Veranstaltungen, auf der Erfahrungen nicht geschönt dargestellt werden. So können KommunalpolitikerInnen nicht nur von guten Beispielen, sondern auch aus Schwierigkeiten anderer Kommunen lernen. So kann verhindert werden, dass sich Fehler wiederholen.“ Dr. Brigitte Fronzek, Bürgermeisterin der Stadt Elmshorn „… ein fester Termin, weil er Kopf und Herz der sozialdemokratischen Kommunalpolitik anspricht. Ich freue mich jedes Jahr darauf.“ Dr. Magnus Jung, Fraktionsvorsitzender der SPD im Kreistag St. Wendel und kommunalpol. Sprecher der SPD-Landtagsfraktion Saar „… ein wichtiger Treffpunkt für die Kommunalpolitik, weil wichtige Themen nicht nur theoretisch, sondern direkt aus dem Leben gegriffen behandelt werden, und weil man dort viele Kontakte mit Kolleginnen und Kollegen aus den Rathäusern knüpfen kann.“ Christian Vogel, Vorsitzender der SPD-Stadtratsfraktion Nürnberg „… hat einen festen Platz in meinem Kalender, weil ich mich hier kompakt und umfassend über aktuelle Entwicklungen in der Kommunalpolitik informieren kann. Sehr gut finde ich, dass der Ablauf ausreichend Zeit lässt, um Kontakte zu knüpfen und zu pflegen.“ Tanja Sagasser, Stadträtin in Heilbronn und Geschäftsführerin der SGK BadenWürttemberg „Dafür steht der DEMOKommunalkongress: Du musst die Änderung sein, die Du in der Welt zu sehen wünschst.“ Thorsten Krüger, Bürgermeister der Stadt Langen (Landkreis Cuxhaven)
Nachname*
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Bitte zutreffendes ankreuzen. Sonderkonditionen für Fraktionen: 200,00 euro für bis zu 5 teilnehmer/innen
meinungen
Weitere Infos unter www.demo-kommunalkongress.de
Der DEMO-Kommunalkongress wird erstmals CO2-neutral durchgeführt. Der Energiedienstleister und Ökostromanbieter ENTEGA gleicht die Gesamtemissionen der Veranstaltung über ein Waldschutzprojekt aus.
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Die Beleuchtung von Stadien, die Beheizung von Privathaushalten, die Versorgung der deutschen Industrie mit Energie: Erdgas ist der vielseitigste aller fossilen Brennstoffe und kann Deutschlands Energiebedarf auf zuverl채ssige und kosteng체nstige Weise decken. Erfahren Sie mehr unter goodideas.statoil.com. Es gab noch nie eine bessere Zeit f체r gute Ideen.
Verlags-Sonder verรถf fentlichung 11/2012
Wie viel ist zu viel?
Foto: getty images
Zwischen Rauchverbot und Fettsteuer: Wie viel Genuss ist erlaubt? Wo endet ein gesunder Lebensstil? Und wann soll der Staat eingreifen? Ein Themenspezial
Lifestyle
11-2012-Verlags-sonderveröffentlichung
02
Glattgebügelte Lebensstile Von der gelenkten Lebensführung zur gelenkten Demokratie? Wie viel der Staat den Bürgern zutrauen sollte.
Kein Eis zu viel: Wie weit soll staatliche Fürsorge in den persönlichen Lebensstil eingreifen?
Manfred Parteina ist Hauptgeschäftsführer des Zentralverbandes der deutschen Werbewirtschaft e.V. (ZAW)
Die Effekte der Globalisierung und andere Einflüsse machen unsere Lebensverhältnisse immer komplexer. Bedarf es deshalb mehr denn je der fürsorglichen Hand des Staates, die korrigierend eingreift, das Individuum und die Gemeinschaft vor Schäden bewahrt? Der Staat schützt den Verbraucher im Bereich der kommerziellen Kommunikation, nicht nur durch das Verbot irreführender, belästigender oder jugendgefährdender Werbebotschaften. Ist es aber seine hoheitliche Aufgabe, jedem tatsächlichen oder vermeintlichen Fehlverhalten der Bürger per Gesetz zu begegnen? Gilt das auch für Konsequenzen höchstpersönlicher Entscheidungen, etwa wenn unvernünftiges Ernährungsverhalten zu Übergewicht geführt hat?. Mit seiner Fürsorge greift der Staat in individuelle Lebensverhältnisse ein. Genau deshalb warnen einige vor dem Kurssturz der Freiheit. Sie warnen vor der staatlichen Regulierung und davor, wie ein Vati- und Mutti-Staat die Bürgerschaft bevormundet wie Kinder.
Die Dichte der Vorschriften nimmt zu, und man kann das als schleichende Unterwanderung der freiheitlich-liberalen Ordnung werten. Immer mehr Regeln durchdringen den Alltag – bis hin zur europäischen Vorschrift der zugelassenen Akustik des Schließens von Müllcontainern, des Stoffes, aus dem Dachziegel sind und der Art des Beleuchtungsmittels für die heimische Stehlampe.
Lebensstile steuern oder den Bürgern selbst vertrauen? Wer die Augen davor verschließt, erkennt nicht die Gefahr, die in all dem zumindest lauert: die behördliche Steuerung der Lebensführung. Die kommerzielle Werbung wird dabei in die Pflicht genommen (etwa Warnaufdrucke, Verbote gesundheitsbezogener Werbung). Ob all die Regulierung Initiativen lähmt und Innovationen abwürgt, kann wohl niemand vorhersagen. Brüssel hat ein Programm für „Better Regulation“, also bessere Regulierung, auflegt. Das bedeutet nicht zwangsläufig eine Abkehr von
der Lenkung der Lebensführung in Europa. „Better Regulation“ bannt die Gefahr einer „gelenkten Demokratie“ nicht. Vielmehr darf Brüssel den Bürgerinnen und Bürgern Europas durchaus Lebenskompetenz zutrauen. Auch Werbung können die Wählerinnen und Wähler des Europäischen Parlaments beurteilen. Der damalige Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) schrieb 1999 in der Juli/August-Ausgabe des „vorwärts“: Kritik an der Werbung beruhe eher auf einem elitären Kulturverständnis als auf einer tatsächlich drohenden Gefahr der Manipulation. Der Marktwirtschaft und Demokratie innewohnende Konkurrenzmechanismus sorge nicht zuletzt gerade mit Hilfe von Werbung dafür, dass qualitativ schlechte Alternativen als solche erkennbar würden. Sein Fazit: „Der Erfolg von 50 Jahren sozialer Marktwirtschaft und gelebter Demokratie wäre ohne Werbung so nicht denkbar.“ Glattgebügelte Lebensstile, im gesellschaftspolitischen Windkanal zur Unkenntlichkeit vereinheitlicht, waren das nicht.n
Fotos: Getty Images, ZAW
Von Manfred Parteina
03
Lifestyle
xx-2012-Verlags-sonderveröffentlichung 11-2012-Verlags-sonderveröffentlichung
Ein Glas Wein zum Essen, die Flasche Bier zum Fußballgucken– Alkohol ist aus unserer Gesellschaft nicht wegzudenken. Nicht wegzudenken ist damit auch das Thema Alkoholmissbrauch, das nicht zuletzt bei Jugendlichen und Kindern ein großes Problem darstellt. Zwar sind die Zahlen rückläufig: Laut einer aktuellen Studie der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) ist der Anteil der Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren, die mindestens einmal im Monat volltrunken waren, innerhalb der letzten vier Jahre von 20,4 auf 15,2 Prozent gesunken. Gleichzeitig bedeutet das, dass sich immer noch mehr als 700 000 Jugendliche einmal im Monat einen Vollrausch antrinken. Schnell wird hier nach schärferen gesetzlichen Regelungen beim Jugendschutz gerufen. Zuletzt wurden Pläne des Bundesfamilienministeriums bekannt, die vorsahen, die Sperrstunde für Jugendliche auszuweiten. Ohne Begleitung eines Erziehungsberechtigten müssten Jugendliche unter 16 Jahren öffentliche Veranstaltungen mit Alkoholausschank bereits um 20 Uhr verlassen. Konzerte oder Vereinsfeste wären damit für Teenager tabu.
Reden hilft: Jugendliche über Alkohol aufklären Der Umgang mit Alkohol will gelernt sein. Verbote bringen wenig, bewährt haben sich Gespräche im Elternhaus und Initiativen wie „Klartext reden“ vom Arbeitskreis Alkohol und Verantwortung.
Eltern spielen als Vorbilder eine wichtige Rolle
Fotos: Müller/www.klartext-reden.de, Siegert/www.klartext-reden.de
Dabei sind die bestehenden gesetzlichen Regelungen schon heute eindeutig: Grundsätzlich darf nur Alkohol trinken, wer volljährig ist. Ausnahmen gibt es für Jugendliche ab 16 Jahren bei Bier und Wein. „Wenn es darum geht, den Alkoholmissbrauch von Jugendlichen weiter einzudämmen, bedarf es keiner weiteren oder gar verschärfenden neuen gesetzlichen Regelung“, sagt die jugend- und familienpolitische Sprecherin der SPDBundestagsfraktion Caren Marks. Sie bezeichnet die Verschärfung als realitätsfern und absurd. „Unser Jugendschutzgesetz ist gut und maßvoll ausgestaltet.“
Einen anderen Ansatz verfolgen deshalb Präventions- und Aufklärungskampagnen. Ihr Ziel ist es, Jugendlichen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol beizubringen. Dabei spielen nicht
zuletzt die Eltern eine zentrale Rolle. Genau deshalb setzt die Initiative „Klartext reden“ bei der Prävention im Elternhaus an. Auf der Website www.klartext-reden. de, betrieben vom „Arbeitskreis Alkohol und Verantwortung“ des Spirituosenverbandes BSI in Kooperation mit dem BundesElternRat, finden Eltern neben Informationen auch ein online-Training, das sie befähigen soll, mit ihren Kindern über das Thema Alkohol zu sprechen. Daneben bietet die Initiative regelmäßige Praxis-Workshops, in denen Eltern unter Anleitung von Psychologen und Suchtexperten Erfahrungen austauschen und Rat einholen können. Die BZgA-Kampagne „Kenn dein Limit“ spricht vor allem junge Erwachsene an und warnt sie über provokative Plakate, und Videos vor exzessivem Trinken. Die rückläufigen Zahlen der letzten Jahre bestätigen diese Präventionsansätze. BZgA-Direktorin Elisabeth Pott unterstreicht: „Sie sind und bleiben unverzichtbar, um langfristige Verhaltensänderungen beim Alkoholkonsum junger Menschen zu erreichen.“ n
Aufklärung ist der Schlüssel: Der Anteil an Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren, die einmal im Monat volltrunken waren, ist in den letzten vier Jahre von 20,4 auf 15,2 Prozent gesunken.
Wenn es darum geht, Jugendlichen einen verantwortungsbewussten Umgang mit Alkohol beizubrigen, spielen Eltern als Vorbilder und Gesprächspartner eine wichtige Rolle.
Lifestyle
11-2012-Verlags-sonderveröffentlichung
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Mit der Lebensmittelampel sollen Verbraucher den Fett-, Salz- und Zuckergehalt eines Lebensmittels auf den ersten Blick erkennen. Die Ampelfarben rot, gelb und grün signalisieren einen hohen, mittleren oder niedrigen Gehalt dieser Bestandteile. Viele Verbraucherverbände und Krankenkassen fordern die Ampel, in Großbritannien gibt es sie bereits. Trotzdem hat das Europäische Parlament die EU-weite Einführung 2010 abgelehnt. Lässt die EU den Verbraucher im Stich? Matthias Groote: Nein, im Gegenteil. Die Ampel, wie sie geplant war, führt in die Irre. Es muss gewährleistet sein, dass traditionell gefertigte Produkte wie beispielsweise Deutsches Bio-Brot, aus nachhaltig angebautem Schrot und Korn, Ausnahmeregelungen bekommen, damit diese nicht vor einer roten Ampel stünden. Werner Wolf: Die EU hat die aus ernährungswissenschaftlicher Sicht einzig richtige Entscheidung getroffen. Eine farbliche Bewertung einzelner Lebensmittel mag zwar im ersten Moment für den Verbraucher einfach klingen, wird den komplexen ernährungswissenschaftlichen Erkenntnissen aber nicht gerecht. Die Qualität und Ausgewogenheit der Ernährung wird nicht durch ein einzelnes Lebensmittel bestimmt, sondern nur durch die Summe dessen, was insgesamt gegessen wird. Wenn ein Verbraucher dem Irrglauben erliegt, er dürfe nur noch Produkte mit grünem oder gelbem Punkt essen, wird dies zu einer einseitigen Ernährung führen. Eine EU-Verordnung schränkt gesundheitsbezogene Aussagen auf Lebensmittel-Verpackungen stark ein. Slogans wie „Stärkt die Abwehrkräfte“ sind nur noch zulässig, wenn die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) die Wirkung bestätigt hat. Ein Beitrag zu mehr Transparenz und Verbrauchersicherheit?
Dr. Werner Wolf ist Präsident des Spitzenverbandes der deutschen Lebensmittelwirtschaft, dem BLL (Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde e.V.)
Werner Wolf: Grundsätzlich begrüßen wir einheitliche EU-Richtlinien. Aber die EUVerordnung zu den nährwert- und gesundheitsbezogenen Angaben, die sogenannte Artikel-13-Liste, hat mit Transparenz und Verbrauchersicherheit gar nichts zu tun. Bewertet wird hier nicht die Sicherheit von Lebensmitteln, die immer gegeben sein muss, sondern die Frage, welche gesundheitsbezogenen Angaben als wissenschaftlich anerkannt gelten und deshalb zugelassen werden können und welche nicht. Matthias Groote: Die Verordnung ist ein wirkungsvoller Beitrag gegen irreführende Werbung und somit im ureigenen Interesse der Verbraucher. Werbung muss wahr und klar sein. Ist dies nicht der Fall, gehört sie nicht auf die Verpackung. Freiwillig wird es nicht klappen. Deshalb ist es
Anders essen
Die Europäische Union bemüht sich um klare und Der V erbraucher soll wissen, was in der Verpackung wo beginnt B evormundung? Der Vorsitzende d EU-Parlament Matthias Groote diskutiert mit Dr. deutschen Lebens
gut, dass die EFSA erst prüft. So hat sie von mehreren Tausend vorgeschlagenen Aussagen nur wenige Hundert akzeptiert, um die Verbraucher zu schützen. Werner Wolf: Hier möchte ich kurz klarstellen: Gesundheitsbezogene Werbeaussagen durften bereits vor der neuen EUVerordnung nur dann verwendet werden,
wenn sie wissenschaftlich abgesichert und belegbar, also zutreffend, waren. Geändert hat sich deshalb vor allem, dass es nun der Europäische Gesetzgeber ist, der entscheidet. Wenn nun Aussagen zur Gesundheit verboten werden, die bislang als allgemein anerkannt galten, so kann das unterschiedliche Gründe haben. In vielen Fällen lagen der EFSA schlicht nicht aus-
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Lifestyle sind Zigaretten. Der Konsum sinkt nicht, dafür wächst der Schwarzmarkt.
Aufmacher Symbolfoto wird noch ausgetauscht
Werner Wolf: Sondersteuern auf Lebensmittel sind eine rein fiskalische Maßnahme und als staatliche Bevormundung anzusehen. Ihre sozialen Folgen sind problematisch. Solche Steuern treffen vor allem Bevölkerungsschichten mit geringem Einkommen unverhältnismäßig stark. Im Übrigen diskutiert die dänische Regierung die Abschaffung dieser Steuern. Das Ziel, durch die Einführung einer Steuer auf gesättigte Fette den Verzehr von fetthaltigen Lebensmitteln zu senken, konnte nämlich – und das ist nicht verwunderlich – bisher nicht erreicht werden. Bei der Entstehung von Übergewicht spielen viele Faktoren eine Rolle. Dazu gehören neben dem Ernährungsverhalten insbesondere die geringe körperliche Aktivität, aber auch die genetische Veranlagung und sozioökonomische Faktoren. Hier sind ganzheitliche Ansätze gefragt, z. B. bessere Aufklärung, Bildung und die Optimierung von Bewegungsangeboten. Lebensmittelampel und Fettsteuer richten sich an Erwachsene. Wie bringt man Kindern gesundes Essverhalten bei?
d einheitliche Kennzeichnung von Lebensmitteln. g steckt. Doch wie weit geht staatliche Fürsorge und des Ausschusses für Lebensmittelsicherheit im Werner Wolf, Präsident des Spitzenverbandes der smittelwirtschaft.
reichend wissenschaftliche Daten für die Entscheidung vor. Dänemark hat eine Steuer auf gesättigte Fette in Nahrungsmitteln eingeführt. Pizza, Butter & Co. werden teurer. Auch andere Industriestaaten diskutieren darüber. Kriegt man so das Problem Übergewicht in den Griff?
Matthias Groote: Einfache Antwort: Nein. Zu großes Übergewicht ist von Übel – für die Person und letztlich für die Gesellschaft. Not tut eine intensive Aufklärung über die gesundheitlichen Folgen von Übergewicht. Sie muss vermitteln, wie die Menschen sich einigermaßen gesund ernähren. Mit höheren Steuern kommen wir nicht weiter. Das schlechte Beispiel dafür
Werner Wolf: Wir als Lebensmittelwirtschaft setzten uns in zahlreichen Initiativen für eine entsprechende Verbraucheraufklärung ein und unterstützen z. B. im Rahmen der Plattform Ernährung und Bewegung e. V. einen gesundheitsfördernden Lebensstil bei Kindern und Jugendlichen. Wir müssen auf einen ganzheitlichen Ansatz achten und die Bedeutung von Bewegung und Aktivität vermitteln. Wir Erwachsenen müssen uns unserer Vorbildfunktion bewusst sein. Also, gemeinsam einkaufen gehen, kochen und aktiv sein. Außerdem ist es wichtig, dass man die Begriffe „gesund“ und „ungesund“ im Zusammenhang mit der Lebensmittelauswahl meidet. Es geht um eine ausgewogene Ernährung, die wir unseren Kindern mit auf den Weg geben müssen. Da lautet die wichtigste Botschaft: Vielseitig essen: Es ist alles erlaubt, aber in Maßen! n
Matthias Groote ist Mitglied der Sozialdemokratischen Fraktion im EU Parlament und Vorsitzender des Ausschusses für Umweltfragen, öffentliche Gesundheit und Lebensmittelsicherheit
Fotos: Bitburger Braugruppe GmbH; Getty images, Europäisches Parlament
n mit Brüssel?
Matthias Groote: Auch hier gilt: Kein Diktat vom Staat. Eltern müssen Vorbild sein. Kindergarten und Schule müssen das Elternhaus unterstützen oder versuchen, schlechte Vorbilder zu korrigieren. Schulmensen müssen gesunde und ausgewogene Kost servieren, was leider nicht immer der Fall ist. Das mag einen Euro mehr kosten, aber den müssen wir in Kauf nehmen. Wer als Kind gesunde Kost schätzen gelernt hat, wird als Erwachsener nicht darauf verzichten wollen. Auch hier gilt: Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmer mehr. Oder nur sehr schwer.
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„Sinnvoll regulieren, statt bevormunden“ Der Chef von British American Tobacco Deutschland Ad Schenk über die geplante Tabakregulierung der Europäischen Union. Zusatzstoffen wie Menthol. Wie wird die T abakbranche reagieren?
Rauchverbote in Kneipen, Einschränkung der Werbung: Wie sehr stört es Sie, das Schmuddelkind der Branche zu sein? Wir sind eine legale Industrie, die legale Produkte für erwachsene Konsumenten herstellt. Mit dem Konsum von Tabak sind erhebliche gesundheitliche Risiken verbunden – daher ist eine sinnvolle Regulierung unserer Produkte durchaus angemessen. Was mich stört ist die Tendenz, Raucher zu stigmatisieren und auszugrenzen. Zudem werden derzeit Regulierungen diskutiert, die darauf abzielen, den informierten Verbraucher zu bevormunden. Sie sprechen die von der EU geplanten Einschränkungen bei der Herstellung und Vermarktung an. Etwa Warnhinweise, die 75 Prozent der Zigarettenpackung einnehmen oder das Verbot von
Ad Schenk, DeutschlandChef von British American Tobacco, warnt vor großem wirtschaftlichem Schaden durch Einheitsverpackungen von Tabakprodukten.
Wir sind für eine sinnvolle Regulierung. Was die EU jedoch derzeit plant, geht über jegliches vernünftige Maß hinaus. Zigaretten und Packungen sollen standardisiert, ganze Produktsegmente verboten und der Industrie jedwede Form von Innovation untersagt werden. Das wäre ein massiver Eingriff in die unternehmerische Freiheit und eine Gängelung und Bevormundung des Verbrauchers in bislang ungekanntem Ausmaß. Aus meiner Sicht verstoßen diese Pläne zudem ganz elementar gegen Markenrechte. Warnhinweise, die zwei Drittel der Verpackung bedecken, dienen nicht der Information von Konsumenten. Sie sind eine mutwillige Zerstörung des Packungsdesigns. Da kommt die neutrale Einheitsverpackung durch die Hintertür.
Die Gesundheit im Fokus, die Industrie im Nacken Die EU-Kommission will sie, die Tabakindustrie fürchtet sie: die Einheitszigarette. Wie viel Gleichheit verträgt der Wettbewerb?
Größerer Warnhinweis, abschreckendes Foto: Ab Dezember dürfen Zigaretten in Australien nur noch in Einheitspackungen wie dieser verkauft werden.
In Australien sind sie beschlossen, Europa will nachziehen: standardisierte Zigarettenverpackungen. Ab Dezember gibt es in Australien neutrale Einheitspackungen, bedruckt mit großen Bildern von Krebsgeschwüren und Raucherlungen. Der Markenname darf nur klein und ohne Logo auf der Packung stehen. Auch die EU-Kommission berät eine Revision ihrer Tabak-Produktrichtlinie. Sie will das Rauchen in Europa weiter eindämmen. Die neuen Regulierungen sehen standardisierte Verpackungen und Zugangsbeschränkungen für Zigarettenautomaten vor. Neue Vorschriften für Kautabak und Kräuterzigaretten werden ebenso diskutiert wie die Einschränkung der Präsentation im Laden. Das Hauptaugenmerk liegt auf den neuen Verpackungsvorschriften. Sie sollen dafür sorgen, dass Zigaretten weniger attraktiv für junge Menschen sind. „Zigaretten sollten abschreckend aussehen, nicht ansprechend“, forderte der ehemalige EUGesundheitskommissar John Dalli, der die
neuen Pläne ausgearbeitet hat. Ein Blick auf eine Zigarettenpackung müsse klar machen, dass das Produkt die Gesundheit schädigen könnte. Diskutiert werden einheitlichere Packungsgrößen und -formen. Die bisherigen Warnhinweise will die EU-Kommission deutlich vergrößern. Vereinheitlicht würde auch der Inhalt des Päckchens: Mindestens 20 Zigaretten pro Packung, einheitlicher Durchmesser und keine Zusatzstoffe wie Menthol. Neben Aufmachung und Inhalt überlegt die EU-Kommission die Präsentation einzuschränken: In Läden dürfte jeder Hersteller nur eine Marke präsentieren. Die weitreichende Tabakregulierung hat nicht nur eine gesundheitspolitische Dimension. Sie reicht in die Bereiche Industrie- und Ordnungspolitik. Wie weit dürfen Unternehmen eingeschränkt werden? Die Tabakindustrie verweist darauf, dass sie ein legales Produkt anbietet und es mit Hilfe von Werbung und Markenimage verkaufen möchte. Das könnte künftig schwer werden. n
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Auch die Standardisierung von Tabakprodukten wird nicht zu weniger Rauchern führen. All diese Maßnahmen bedrohen den Wettbewerb, richten großen wirtschaftlichen Schaden an und erleichtern Schmuggel und Produktfälschungen. Trotz Rauchverbot in Gaststätten bewegt sich der Tabakkonsum in Deutschland auf stabilem Niveau. Warum sträuben Sie sich so gegen das Rauchverbot? Wir sträuben uns nicht grundsätzlich gegen Rauchverbote, ganz im Gegenteil. Wir bekennen uns klar zum Nichtraucherschutz und sind deshalb auch für Rauchverbote, etwa in öffentlichen Gebäuden. In der Gastronomie jedoch, also da, wo man sich freiwillig aufhält, sollte Rauchern die Möglichkeit gegeben werden, ihr Glas Wein mit einer Zigarette zu genießen. Wir treten dafür ein, dass in Eckkneipen und separaten Raucherräumen geraucht werden kann. In den meisten Bundesländern funktioniert das wunderbar. Gerade hat Hamburg eine entsprechende Regelung erlassen. Zudem sollte jedem Wirt die Wahlfreiheit überlassen bleiben, selbst zu entscheiden, ob er seine Kneipe als Raucher- oder Nichtrauchergastronomie führen möchte. n
Absatz versteuerter Zigaretten 2002 bis 2011 in Millionen Stück
2002
145 152,7
2003
2004
132 603,2
111 761,2
2005
95 826,7
2006
93 465,5
2007
91 497,3
2008
87 978,9
2009
86 606,8
2010
2011
83 564,5
87 555,8
Quelle: Statistisches Bundesamt
Fotos: Bat deutschland, BAT AUstralien
Lifestyle
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11-2012-Verlags-sonderveröffentlichung
Lifestyle
Rauchverbot in Bars? Gehört das Rauchen in Kneipen und Diskotheken bald ganz der Vergangenheit an? Wo die einen den Untergang der Kneipenkultur sehen, freuen sich andere auf rauchfreie Zustände. Ein Pro und Contra zum heftig diskutierten Rauchverbot in Bars und Clubs.
»
Selbst Menschen, denen der Nichtraucherschutz völlig egal war, genießen es, ohne Qualm zu essen.
«
Waren Sie in den letzten drei Jahren mal im Restaurant und hat sich neben Ihnen jemand, vielleicht ein Tourist, eine Zigarette angezündet? Ich wette mit Ihnen, das ist Ihnen aufgefallen. Warum? Früher war es doch üblich, dass in Restaurants geraucht wurde. Schließlich galt es als normal. Aber heute merken Sie es sofort, weil in Restaurants nicht geraucht wird. Kennen Sie jemanden, der sich darüber beschwert, der fordert, wieder zum alten Zustand zurückzukehren? Wie geht es Ihnen? Selbst Menschen, denen der Nichtraucherschutz völlig egal war, genießen es, ohne Qualm zu essen und stören sich am Rauch in Restaurants. Und der „day after“ ist besser als früher: Keine verqualm-
ten Klamotten, kein Haarewaschen in der Nacht, weil man mit dem Gestank nicht schlafen kann. Die Ängste, dass durch die rauchfreien Restaurants die Gastronomie einen Umsatzeinbruch erfährt, haben sich nicht bewahrheitet. Im Gegenteil: Selbst die Gastronomen geben zu, dass der rauchfreie Speiseraum angenehmer ist. Wenn wir die Rauchfreiheit in Cafes, Restaurants, in Bahnen, in öffentlichen Gebäuden mittlerweile für so selbstverständlich halten und so sehr genießen, warum sollte das denn dann nicht auch in Bars und Diskotheken so sein? Umso mehr weil die Studien des Deutschen Krebsforschungszentrums eindeutig belegen, um
wie viel gefährlicher das Passivrauchen ist, wenn man sich dazu auch noch heftig bewegt, wie das in Clubs und Diskotheken ja nicht unüblich ist. Wer tiefer einatmet, inhaliert auch mehr Rauch und mehr krebserregende Substanzen. Ich bin überzeugt, und das bestätigen uns die Erfahrungen aus anderen EULändern, dass nach weiteren drei Jahren, in denen Bars und Diskotheken rauchfrei gewesen sind, keiner mehr diskutiert über pro und contra, sondern sich alle darüber freuen, bei sauberer Luft zu tanzen, ihren Cocktail in einer Bar zu trinken und dem Gegenüber dabei ohne Rauchschwaden tief in die Augen schauen zu können. Wetten dass! n
Pro Sabine Bätzing-Lichtenthäler ist SPD-Bundestagsabgeordnete und die ehemalige Drogenbeauftragte der Bundesregierung.
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Gastronomie kennt keinen moralischen Zeigefinger. Wir wollen Gäste nicht zu besseren Menschen machen.
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Contra
Fotos: Privat
Helge Klassen ist Nichtraucher und betreibt seit 44 Jahren die Kneipe „Zartbitter“ in der Bonner Südstadt.
Nichtraucherschutz ist wichtig. Vor allem da, wo man dem Rauch nicht entgehen kann: in Behörden, auf Bahnhöfen, Spielplätzen oder in Schulen. Aber warum an Orten, wo es jedem freisteht, über seinen Aufenthalt zu entscheiden? Solange wir nicht über ein Rauchverbotsgesetz sprechen, verstehe ich nicht, dass in meiner Einraumkneipe in der Bonner Südstadt künftig nicht mehr geraucht werden darf. Wer wird hier geschützt: die Raucher vor sich selbst oder die Nichtraucher? Vor ihrer freien Entscheidung? Die haben sie. Es gibt heute viele Gastronomiebetriebe mit rauchfreien Angeboten. Der Deutsche Hotel- und Gaststättenverband (DEHOGA) spricht von 80 Prozent.
Eine ganz andere Frage ist die der wirtschaftlichen Auswirkungen. Meine Gäste kommen zum Klönen, zum Trinken und zum Rauchen. Ich fürchte, dass viele bei einem Rauchverbot zu Hause bleiben würden. Gleiches gilt für geschlossene Gesellschaften: Davon habe ich 15 bis 18 im Jahr und sie tragen erheblich zur Kostendeckung bei. Diese Leute feiern künftig zu Hause, in Garagen, in Vereinshäusern. Die Schwarzgastronomie würde blühen und ich nach 44 Jahren (!) von außen die Tür zumachen. Da stehen dann auch drei Mitarbeiter plus Anhang. Neue Kundschaft für die ARGE. Gastronomie kennt keinen moralischen Zeigefinger. Wir wollen Gäste nicht
zu besseren Menschen machen. Deshalb gibt es so vielfältige Angebote. Man mag beklagen, dass zu viele Menschen rauchen. Aber 30 Prozent der Erwachsenen, die viel ausgehen und legal rauchen, vor die Tür setzen? Von den Auseinandersetzungen mit in ihrer Ruhe gestörten Anwohnern ganz zu schweigen. Ich bin gespannt, was die „Tugendwächter“ als Nächstes planen: Einschränkungen beim Alkohol, bei ungesundem Essen, bei zu lauter Musik, bei Kartenspielen? Besonders ärgert mich: Der Nichtraucherschutz ist in Deutschland weit gekommen. Aber viele Politiker tun jetzt so, als ob alles nichts wert ist, solange in den Kneipen noch geraucht werden darf. n
Lifestyle
11-2012-Verlags-sonderveröffentlichung
Ist es unvernünftig, am Tag zwanzig Tassen Kaffee zu trinken oder fünfzig Zigaretten zu rauchen? Die Antwort fällt schon deshalb schwer, weil die Frage selbst „unvernünftig“ ist. Wir Deutschen haben uns mit Kant angewöhnt, der Vernunft zu unterstellen, sie könne erkennen, was wir tun sollen. Doch diese Unterstellung geht zu weit. Die Vernunft sagt uns zwar, welchen Weg wir einschlagen sollen, um unser Ziel zu erreichen. Zum Ziel selbst aber sagt sie nichts, und formen kann sie es schon gar nicht. Sie ist nur die Sklavin unserer Leidenschaften, wie Kants englischer Kollege David Hume erkannte.
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Jeder nur ein Stück Pizza? Selbstbegrenzung kann vernünftig sein, anderen vorzuschreiben was und wie viel gut für sie ist, ist anmaßend
Frei von der Vernunft Wer die Gesundheit dem Genuss vorzieht, dem wird die Vernunft von Koffein und Nikotin abraten. Zuraten wird sie dem, der seine Vorlieben anders reiht. Insofern ist der Mensch frei – auch frei von der Vernunft –, seinen genetisch wie kulturell geprägten Leidenschaften nachzugehen. Verhielte es sich anders, gäbe es keinen vernünftigen Widerstand gegen Regulierungen. Wir sähen deren vermeintlichen Sinn ein. Widerstand wäre bestenfalls kindlicher Trotz. Obwohl es Freiheit zur Unvernunft so gesehen nicht gibt, kann man fragen, ob und, falls ja, wann Unfreiheit vernünftig sei? Wenn z. B. die Bürger einer Gesellschaft allen gleiche Rechte gewähren wollen, dann ist es für sie vernünftig, das heißt zweckdienlich, eines jeden Freiheit dort zu beschneiden, wo sie die Freiheit der anderen abschnürt. Staatliche Bevormundung, die darüber hinausgeht, muss den Bürgern jedoch unvernünftig, weil nicht zweckdienlich, erscheinen. Kurz gesagt, Selbstbegrenzung kann vernünftig sein, Fremdbegrenzung aber ist anmaßend – so als wüsste man (besser), was für den anderen gut ist. So mancher glaubt, die Demokratie würde dem besagten Ideal zur nötigen Vernunft verhelfen, gäbe es da nicht regulierungs-
Verleitet Freiheit zur Unvernunft? Der Mensch ist frei, seinen Leidenschaften nachzugehen – das muss er auch bleiben. Von Prof. Hardy Bouillon wütige und unfähige Bürokraten, die dagegen hielten. Gewiss, Übereifer und Inkompetenz gibt es, unter Bürokraten genauso wie unter Vertretern anderer Berufe. Aber sie bilden nicht den Kern des Problems. Dass die Demokratie fremdbegrenzt, ist ein Webfehler unserer Staatsform.
Sich selbst Grenzen setzen Die Regulierung in Demokratien ist von der Wissenschaft gut untersucht. Die sogenannte Public Choice School erklärt das Handeln der Politiker und Bürokraten mit den Anreizen, denen sie in der Demokratie ausgesetzt sind. Es geht darum, im Spiel
der wechselnden Koalitionen die konträren Wünsche konkurrierender Interessengruppen geschickt zu bündeln. Das gelingt nur durch unfeinen Kuhhandel. Und der hat einen feinen Namen: log rolling. Mal wird die eine Interessengruppe bedient, mal die andere. Am Ende wimmelt es vor Regulierungen. Es ist fast wie eine Facebook-Einladung zur Party im elterlichen Wohnzimmer. Am Ende hat man mehr Freunde, als der Vorgarten (und die Polizei) fassen kann. Hier wie da ist die Rückbesinnung auf die Selbstbegrenzung sinnvoller als der Ruf nach der ordnenden Hand des Staates. n
Prof. Hardy Bouillon ist Professor of Philosophy & Economics an der SMC University, Vienna Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor im Fach Philosophie an der Universität Trier
Impressum
Kommentar von Prof. Matthias Horst Vor dem Hintergrund verschiedener ernährungsassoziierter Erkrankungen sowie der Übergewichtsproblematik, wird die Lebensmittelwirtschaft immer wieder mit der Forderung nach einer Reduzierung bestimmter Nährstoffe in Lebensmitteln konfrontiert. Auch auf politischer Ebene werden Maßnahmen zur Verringerung des Salz-, Zucker-, Fett- und/oder Energiegehalts in Lebensmitteln diskutiert. Dabei ist festzuhalten, dass dort, wo es technologisch sinnvoll und möglich ist und die Verbraucherakzeptanz gegeben ist, die Lebensmittelwirtschaft bereits erfolgreich
Reduktionsmaßnahmen umsetzt, z. B. bei dem Gehalt an trans-Fettsäuren aus teilgehärteten Fetten oder beim Salzgehalt in verarbeiteten Lebensmitteln. Den Reduktionsmaßnahmen sind aber technologische und sensorische Grenzen gesetzt. So erfüllt Salz eine wichtige konservierende Funktion und übt so unmittelbaren Einfluss auf die Haltbarkeit der Produkte aus. Fett ist ein Geschmacksträger und Träger von fettlöslichen Vitaminen und Aromastoffen. Es beeinflusst das Schmelzverhalten und dient der Strukturgebung. Darüber hinaus trägt es zur
Sättigung bei. Ein Fettersatz ist daher nur in Grenzen möglich. Generell müssen Geschmack, Aussehen, Mundgefühl, etc. in vergleichbarer Qualität zu den Ursprungsprodukten erhalten bleiben, um eine Verbraucherakzeptanz zu gewährleisten. Zudem müssen reduzierte Nährstoffe durch andere Stoffe substituiert werden. Die Nachfrage bestimmt das Angebot – deshalb muss die Wahl der Rezeptur in der Verantwortung der Unternehmen bleiben. Staatliche Vorgaben würden im Hinblick auf die Kostenintensität für die Neuentwicklung gerade kleine und mittelständische Unternehmen stark belasten. n Prof. Matthias Horst ist Hauptgeschäftsführer des Bundes für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde
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Staatsdiät oder Rezepturvielfalt?