VB_09_2011

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VERKEHR

09-2011- VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG

Mobilität schafft mehr Lebensqualität Straßen, Schienen, Wasserwege und Flughäfen sind chronisch unterfinanziert

Abgehoben: Urlauber warten auf Ihren Rückflug am Flughafen auf Gran Canaria.

Sprit sparen über den Wolken Flugzeuge haben den Ruf, Umweltsünder zu sein. Weil Kerosin auch der größte Kostenfaktor ist, arbeiten die Airlines permanent an neuen Technologien. Vorbei sind die Zeiten, als Fliegen einer mondänen Oberschicht, Weltenbummlern und Abenteurern vorbehalten war. Geschäftsleute verbringen mitunter mehr Stunden im Flieger als zu Hause. Aber auch Otto Normalverbraucher läuft längst routiniert zum Gate, verbringt Ostern auf Mallorca, fliegt im kalten Winter für zwei Wochen auf die Kanaren oder reist nach Übersee. So genannte Billigflieger haben das Flugzeug als Massenreisemittel etabliert. 159 Millionen Passagiere checkten 2009 an einem deutschen Airport ein, so das Statistische Bundesamt. 2010 ist die Zahl sogar noch gestiegen, auf 167 Millionen beförderte Personen. Vorbei: für fünf Euro nach London Lufthansa und andere Große der Branche bieten längst auch günstige Flüge. Außerdem bedienen sie vor allem Geschäftskunden, die mehr Wert auf Komfort und einen zentralen Abflughafen legen. Gleichzeitig sind auch die Preise der Billiglinien etwas angestiegen, wenn auch teils getarnt als Gepäckgebühr und Steuern. „Die Zeiten, als man für fünf Euro nach London fliegen konnte, sind vorbei“, sagt Eva-Maria McCormack vom Bundesverband der Deutschen Luftverkehrswirtschaft (BDL). Grund seien die seit Jahren steigenden Kerosin-Preise. Immerhin 30 Prozent der Betriebskosten macht der Treibstoff aus. Da wundert es nicht, dass das Entwickeln spritsparender Technologien ganz oben auf der Agenda der Airlines steht. „Ökono-

mie und Ökologie gehen Hand in Hand“ so Uta Maria Pfeiffer, Leiterin der Nachhaltigkeitsabteilung beim BDL. So bricht der Flugzeugbauer Airbus gerade Branchenrekorde, weil er seine neue, spritsparende Baureihe nach Asien und in die USA verkaufen konnte. „Sparflieger“ wird der A320neo genannt, weil er bis 15 Prozent weniger Treibstoff verbrauchen soll als sein Vorgänger. Möglich machen es neue, sparsamere Triebwerke und eine veränderte Flügelform. Alles steht auf dem Prüfstand, wenn es ums Energiesparen geht: So werden derzeit von mehreren Airlines superleichte Getränke-Trollys getestet. Denn jedes Gramm weniger in der Luft spart Sprit. In einem Pilotprojekt werden auch Flugzeuge mit Brennstoffzellen ausgestattet. Diese bringen sie zwar nicht in die Luft, aber immerhin bis zur Abflugposition, sodass die Triebwerke erst direkt zum Starten eingeschaltet werden müssen. Treibstoff sparen durch weniger Umwege Auch die Politik könnte aus Sicht des BDL etwas für umweltfreundlicheres Fliegen tun, nämlich die so genannte Integration des europäischen Flugraums vorantreiben. Damit ist gemeint, dass es weniger Zonen geben soll, die weiträumig umflogen werden müssen, etwa weil es sich um militärisches Sperrgebiet handelt. So könnten laut Luftfahrtindustrie europaweit immerhin bis zu zwölf Prozent Energie eingespart werden. ■ YH

SCHADSTOFFEMISSIONEN DER VERKEHRSMITTEL in Gramm je Personenkilometer Deutschland, 2008

356,98g Flugzeug

139,94g Pkw

77,35g Eisenbahn (Nahverkehr)

78,11g Metro/Tram

46,07g Eisenbahn (Fernverkehr)

31,38g Reisebus

Quelle: Umweltbundesamt

Seit Jahren bleiben notwendige Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur aus. Dabei zahlen sich Investitionen in Mobilität aus. Sie erhöhen die Lebensqualität der Menschen, weil sie Jobs sichern und unseren Wirtschaftsstandort stärken. Dabei kommt es auf nachhaltige Projekte an: ökologisch verantwortbar, städtebaulich vernünftig, ökonomisch effizient und im Wege des Interessenausgleichs aller Beteiligten gemeinsam realisiert. Die frühzeitige Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist unerlässlich. Es darf aber keine Illusionen geben: Infrastrukturprojekte werden niemals eine vollständige Zustimmung erfahren. Letztlich müssen gewählte Politiker Verantwortung für gemeinwohlorientierte Entscheidungen übernehmen. Die Finanzierungsverantwortung für die Verkehrsinfrastruktur liegt oft beim Bund. Es ist sträflich, dass das Verkehrsund Wirtschaftsland NRW seit Jahren vernachlässigt wird. Die Bedeutung der Hinterlandverkehre der Häfen Zeebrügge, Antwerpen, Rotterdam und Amsterdam für NRW und Deutschland wird von Berlin kaum berücksichtigt. So sind Investitionen in Eisenbahnstrecken unerlässlich: etwa der Ausbau der Linie zwischen Emmerich und Oberhausen oder die Verwirklichung des „Eisernen Rheins“ zwischen den Häfen Duisburg und Antwerpen. Die Engpässe im Schienenverkehr in den Knotenpunkten Köln, Dortmund und Hamm müssen dringend beseitigt werden. Hinzu kommt die zügige Realisierung des Rhein-Ruhr-Express für Nordrhein-Westfalen. Auch dies ist ohne Unterstützung des Bundes nicht möglich. Schließlich darf die Reform der Wasserund Schifffahrtsverwaltung des Bundes nicht zur Ausblutung der Strukturen in NRW führen. Eine leistungsfähige Verkehrsinfrastruktur ist für den zukünftigen nachhaltigen und arbeitsmarktrelevanten Wirtschaftserfolg NRWs unerlässlich. ■

Jochen Ott ist verkehrspolitischer Sprecher der SPD- Fraktion in NRW und Vorsitzender der Kölner SPD

FOTOS: DIRK BLEICKER, NRW-SPD

Von Jochen Ott


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Neue Fracht kommt an: Der Hafen Köln-Niehl ist voll. Neue Schiffe finden kaum Platz und am Kai stapeln sich die Container.

Vorfahrt für die Wasserstraßen Der Warentransport steigt stetig – meist per Lkw. Alternativen nennt Horst Leonhardt vom Kölner Logistikunternehmen HGK. Herr Leonhardt, welche Bedeutung haben Bahn und Schiff für den Güterverkehr in Deutschland? Der Lkw-Verkehr bewältigt etwa 70 Prozent des Gütertransports in Deutschland, die Binnenschifffahrt liegt bei etwa zehn Prozent Marktanteil. Die restlichen rund 20 Prozent deckt im Wesentlichen die Bahn ab. Wie sehen die Prognosen für die Zukunft aus? Der Bundesverkehrsminister erwartet eine Zunahme des Güterverkehrs in Deutschland um 70 Prozent in 15 Jahren. Deshalb darf die Verlagerung auf umweltverträgliche Verkehrsträger nicht nur Gegenstand von Sonntagsreden werden. Jetzt gilt es zu investieren, um auf die Herausforderungen vorbereitet zu sein. Was sind das für Herausforderungen? Beispielsweise nimmt die Containerfracht stetig zu. Im Jahr 2010 bei den Kölner Häfen um 14 Prozent. Das Problem: Container belegen in Häfen große Flächen. Solche Entwicklungen müssen bei der Planung von Zukunftsszenarien und Investitionen berücksichtigt werden. Etwa sollten heute gewährte Fördermittel mindestens nicht gekürzt werden, wie es uns letztes Jahr passiert ist. Was für Kürzungen meinen Sie genau? 2010 hat die Bundesregierung die Fördermittel für Umschlageinrichtungen für den kombinierten Ladungsverkehr – also die Verbindung zwischen Wasser und Schiene oder Schiene und Straße – fast zur Hälfte gestrichen. Was bedeuten solche Entscheidungen für die Zukunft? Wenn der Umstieg von einem auf ein anderes Verkehrsmittel nicht auch in Zukunft bei deutlich erhöhtem Güteraufkommen schnell und reibungslos funktioniert, wird sich der Anteil des Lkw immer weiter erhöhen. Und Deutschland wird an

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der Marktentwicklung mittelfristig nicht teilhaben können. Köln ist nach Duisburg Deutschlands wichtigster Binnenhafen. Was bedeutet das in Zahlen? Wie viele Güter gelangen über Köln an ihr Ziel? Rund 80 Prozent des deutschen Binnenschiffaufkommens laufen über den Rhein. In 2010 hatten wir in Köln einen Güterumschlag von rund 12,7 Millionen Tonnen. Das sind 6,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Das ist doch ein ordentlicher Anstieg. Sind Sie mit den Zahlen zufrieden? Einerseits ja. Andererseits ist dieser Anstieg konjunkturbedingt. Und man muss dazu sagen, dass wir 2009 teils gewaltige Rückgänge von bis zu 40 Prozent zu ver-

Horst Leonhardt ist Vorstands-Sprecher der Häfen und Güterverkehr Köln AG (HGK).

zeichnen hatten. Häfen sind eng mit der regionalen Wirtschaft verbunden. Die Güterentwicklung spiegelt immer auch die Trends und Schwankungen der Konjunktur. Können Sie ein Beispiel nennen? Im Jahr 2010 haben wir beim Transport von Steinen, Erde und Baustoffen einen starken Rückgang verzeichnet. Der Grund war, dass sich die Bauwirtschaft noch nicht vollständig von der Wirtschaftskrise erholt hatte. Sie sagen, „die Straßen sind voll“, aber auf den Flüssen gibt es noch TransportKapazitäten. Wie kann die Binnenschifffahrt ausgebaut werden? Da ist auch die Politik gefragt. Wir haben drei zentrale Forderungen: 1. Bebauungspläne sollten Handlungsspielräume lassen. Also etwa kein Wohngebiet neben einem Hafen vorsehen. 2. Ein Gegengewicht zum falschen Kurs der Bundesregierung: Fördermittel nicht kürzen, sondern aufstocken und Investitionen in die Infrastruktur nicht auf die lange Bank schieben. 3. Beschlossene Infrastrukturprojekte wie der Ausbau des Godorfer Hafens in Köln müssen bis zum Abschluss durchgehalten werden. Der Ausbau ist umstritten. Sie versprechen eine Verkehrsentlastung für die stark stauanfällige Region. Wie kann das funktionieren? Beim Transport per Binnenschiff übernimmt in der Regel der Lkw das letzte Stück. Häfen in der Nähe von Fabriken sind wirtschaftlicher und sparen Verkehr. In Godorf ist es so, dass der Hafen den Güterumschlag nicht mehr bewältigt und deshalb täglich Hunderte Lkw quer durch die Stadt zum Niehler Hafen fahren. Großprojekte sind nicht erst seit Stuttgart 21 in der Kritik. Wie kann Akzeptanz für neue oder größere Umschlagplätze und Häfen gewonnen werden? Im Dialog mit den Anwohnern. Wir haben in der Vergangenheit auch nicht immer optimal kommuniziert. Das soll jetzt besser werden. Wir wollen mit aktiver Information Misstrauen vorbeugen, etwa zur Frage nach Gefährdungen durch bestimmte Fracht. Wir nehmen Einwände auf. So werden wir in Godorf eine Lärmschutzwand bauen. Welche Ihrer Erfahrungen in der Region ließe sich auf die Bundesrepublik übertragen? Immerhin wird im ganzen Land ein starker Anstieg des Lkw-Verkehrs für die nächsten Jahrzehnte prognostiziert. Wir haben gelernt: Wir müssen uns Klügeres einfallen lassen, als nur neue Straßen zu bauen. Intelligente Lösungen zur Verknüpfung der Verkehrsträger bringen meist mehr. Bahn, Schiff und Lkw haben ihre spezifischen Stärken. Diese müssen wir jeweils nutzen. Dabei gilt auch: Infrastruktur darf man nicht zu spät planen. Der Verkehr sucht sich seine Wege. ■ YH

FOTOS: HGK

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