vor_06-2011

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vorwärts

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D I E Z E I T U N G D E R D E U T S C H E N S O Z I A L D E M O K R AT I E

Juni 2011

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RUNDUM GESUND! AUCH IN ZUKUNFT? PETER STRUCK JUGEND IST KEIN VERDIENST BONN ODER BERLIN HAUPTSTADT-DEBATTE VOR 20 JAHREN

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INHALT 3

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TITEL RUNDUM GESUND! AUCH IN ZUKUNFT?

4 Gesundheit für alle! Warum wir die solidarische Bürgerversicherung brauchen.

11 Strahlender Sieger: Jens Böhrnsen gewinnt bei Bremer Bürgerschaftswahlen.

4 5 6 7 8 9 10

WIE GESUNDHEIT BEZAHLBAR BLEIBT DAS KANN DIE BÜRGERVERSICHERUNG – Kai Doering PFLEGE: ARBEITEN UNTER ZEITDRUCK – Susanne Dohrn KLINIKKEIME: GEFAHR IM KRANKENHAUS – Susanne Dohrn IN BRANDENBURG FEHLEN ÄRZTE – Birgit Güll DIE ERFOLGSGESCHICHTE DER GKV – Klaus Vater PRO & CONTRA: HOMÖOPATHIE VON DER KASSE?

11 12 20 34

KOLUMNEN GLOBAL GEDACHT – Rafael Seligmann BERLINER TAGEBUCH – Uwe Knüpfer ZWISCHENRUF – Seyran Ates DAS LETZTE – Martin Kaysh

14 15 16 19

PARTEI LEBEN! OV-PORTRÄT – TREUE ANHÄNGER IN WENDTORF DER FALL SARRAZIN – UND ER BLEIBT DOCH PORTRÄT – BILKAY ÖNEY, MINISTERIN INTERVIEW – FES-CHEF PETER STRUCK

23 24 26

WIRTSCHAFT GUT GEMACHT: Die Ethikbank SIEDLUNGSBAU: Wohnglück statt Sozialruine MEINE ARBEIT: Altenpflegehelferin

27 28 30

KULTUR NS-KUNSTHANDEL – „Enteignet, geraubt, verschachert“ WENN TÄNZER IN DIE JAHRE KOMMEN KULTURTIPP – von Klaus Wowereit

31 33

HISTORIE HAUPTSTADT-ENTSCHEIDUNG FÜR BERLIN WER WAR’S? – von Lothar Pollähne

11 20 22 31 32 33 34

NEWS LESERBRIEFE PARLAMENT IMPRESSUM HISTORISCHER COMIC RÄTSELSEITE SEITWÄRTS

16

FOTOS: DIRK BLEICKER, LINUS MORGAN, DPA (2), HERMANN BREDEHORST, MARIA-HELENA BUCKLEY

Seelensammlerin: Bilkay Öney ist BadenWürttembergs neue Integrationsministerin.

19

P RO &

CO N T R

A

r ts.de vor wä neu!

Neuer Vorsitzender: Peter Struck will die Friedrich-Ebert-Stiftung verjüngen.

ch … tägli

LIEBE LESERINNEN, LIEBE LESER! Europa ist in Gefahr! Und was tun unsere Regierungen? Sie spielen Schwarzer Peter, stecken den Kopf in den Sand und machen gute Miene zu populistischen Brandstiftereien. Die deutsche Kanzlerin beschimpft die Griechen und vergreift sich auch sonst im Ton. Berlusconi und Sarkozy würden gern aus dem Mittelmeer eine Mauer machen (warum heißt es wohl „Mittel“-Meer?). Die Dänen führen wieder Schlagbäume ein. Und grenzübergreifend wird der Euro schlechtgeredet. Angela Merkel hat ihren Kompass verloren – wenn sie je einen hatte. Aus der Klima- wurde die Atom-, wurde die Energiewendekanzlerin. Und morgen? Zu Europa fällt Frau Merkel schon lange nichts mehr ein. Längst nicht nur Sozialdemokraten sehnen sich nach einer Regierung, die diesen Namen verdient. Die Wahl in Bremen zeigt: Wo Politiker ihren Werten treu und nahe an den Menschen bleiben, werden sie wieder und wieder gewählt, aller Verdrossenheit zum Trotz. Die SPD regiert in Bremen seit 65 Jahren – und auch weiterhin. Respekt! Wenn die Bundesregierung versagt, blickt der Bürger auf das Staatsoberhaupt, hoffend, dass der Präsident die Regierenden zur Ordnung rufe. Dass er ausspricht, was auf dem Spiel steht, wenn die EU ihre Grenzen dicht macht, nach außen und im Inneren. Wenn Europa im Umgang mit Flüchtlingen aus Nordafrika seine Ideale verrät. Wenn es den Euro, das Schengener Abkommen und die Europäische Zentralbank vor die Hunde gehen lässt. Was wohl Joachim Gauck jetzt täte? Just in dem Moment, da mutige Menschen in Tunesien, Ägypten, Syrien die Fackel der Freiheit entzünden, leben wir mitten im gelobten Europa im trüben Licht der Merkel-Dämmerung. ■

Redaktionsschluss 23. Mai 2011 DIESE AUSGABE ENTHÄLT EINE VERLAGS-SONDERVERÖFFENTLICHUNG ZUM THEMA »WIRTSCHAFTSFAKTOR ALTERNATIVE ENERGIEN«

28 Kunst der Jungen: Balletttänzer sind oft nicht gut fürs Alter abgesichert.

VORWÄRTS-REGIONAL IM JUNI BERLIN: TEMPELHOF-SCHÖNEBERG NRW: REGION AACHEN

Dennoch, herzlichst

Uwe Knüpfer Chefredakteur


4 TITEL

vorwärts 06/2011

D E B AT

TEN

rts.de vor wä neu! Ärzte und Schwestern im OP: im TV glamourös – im Alltag ein Knochenjob (Szenenbild aus der Arztserie „In aller Freundschaft“, Sachsenklinik)

ch … tägli

ZWISCHEN WUNSCH UND WIRKLICHKEIT DAS GESUNDHEITSSYSTEM

U

m das höchst begehrte Gut Gesundheit ist eine Industrie entstanden. Die Gesundheitswirtschaft ist eine Wachstumsbranche. Jede(r) ist irgendwann ihr Kunde; ob wir wollen oder nicht. Gesundheit taugt nicht zur Ware. Selbst Neoliberale schließen Versicherungen ab. Denn nur Solidargemeinschaften garantieren, dass versorgt und behandelt wird, wer es nötig hat – und nicht, wer es bezahlen kann. Dass sich diese Erkenntnis durchgesetzt hat, ist eine der größten sozialen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Die Folge: Die Menschen in Deutschland waren nie besser ärztlich versorgt als heute, sie lebten nie länger. Dennoch wächst die Zahl der Kranken und der Krankheiten, insbesondere der

chronischen. Längst besiegt geglaubte Erreger verbreiten wieder Schrecken. Es mehren sich, zu Beginn des 21. Jahrhunderts, Klagen über eine Zweiklassenmedizin. Nie gab es mehr Ärzte und eine bessere medizinische Ausbildung als heute – und dennoch herrscht in manchen Regionen, mitten in Deutschland, Ärztemangel, gibt es Wartezeiten, manchmal unverantwortlich lange. Oft haben Ärzte nur Minuten Zeit, einen Patienten ins Auge zu nehmen. Gerecht können sie ihm so nicht werden. Manche geben ihre Kassenzulassung ab, frustriert von wuchernder Bürokratie. In Krankenhäusern herrscht Schichtbetrieb. Wo der Mensch im Mittelpunkt stehen sollte, kreisen Organisation und Denken um Apparate und Einsatzpläne.

Oft werden Pillen „eingeworfen“, wo es eigentlich nötig wäre, besser zu essen, sich mehr zu bewegen, länger zu schlafen. Doch ein anderes, ein gesünderes Leben gibt es nicht auf Rezept. Trotz unermüdlicher Reformen steigen die Kosten unseres Gesundheitsapparates ständig. Gleichzeitig werden Menschen, die in diesem System die härtesten Arbeiten vollbringen, oft miserabel bezahlt und nicht selten auch schlecht behandelt. Ein System voller Widersprüche. Keine noch so gute Gesundheitspolitik wird sie allesamt auflösen können. Doch eins ist sicher: Nur eine solidarische Bürgerversicherung bietet die Gewähr, dass diese Widersprüche nicht noch größer werden. ■

FOTO: DPA

GESUNDHEIT! Nichts wünschen wir uns und anderen häufiger. Ohne Gesundheit verblasst jedes Glück. Gesundheit für alle! Das wäre schön. Aber ist es möglich? Ist es bezahlbar? Und warum brauchen wir eine Bürgerversicherung?


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TITEL 5

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GESUNDHEITSSYSTEM IN ZAHLEN

»DAS IST IN DEUTSCHLAND ERLAUBT?«

REZEPT FÜR DIE ZUKUNFT BÜRGERVERSICHERUNG Das SPD-Konzept sorgt für ein besseres Gesundheitssystem und mehr Gerechtigkeit bei dessen Finanzierung

E

s sind gleich drei Wünsche auf einmal. „Solidarisch, gerecht und leistungsfähig“ soll die neue Bürgerversicherung sein, die der SPD-Parteivorstand am 22. Mai beschlossen hat. Eine Arbeitsgruppe um Generalsekretärin Andrea Nahles hat das Konzept erarbeitet. Die Ziele sind klar: „Wir wollen, dass alle gleich gut behandelt werden, dass alle am medizinischen Fortschritt teilhaben und dass die Kosten gerecht und solidarisch getragen werden.“ Der „vorwärts“ erklärt, wie das funktioniert. Ersetzt die Bürgerversicherung die gesetzliche und die private Krankenversicherung? Nein. Die Bürgerversicherung ist keine Versicherung im eigentlichen Sinne, sondern ein einheitlicher Tarif, den Gesetzliche wie Private Krankenkassen anbieten. Entstehen soll ein „Versicherungsund Versorgungssystem für alle Bürgerinnen und Bürger“. Grundlage für die Leistungen der Bürgerversicherung soll der Leistungskatalog der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) sein. Wer kann die Bürgerversicherung in Anspruch nehmen? Grundsätzlich jeder. Alle heute gesetzlich Versicherten und jeder künftig Krankenversicherte (auch diejenigen, die sich heute privat versichern müssen, wie etwa Beamte) werden nach ihrer Einführung automatisch verpflichtend Mitglied der Bürgerversicherung. Für jeden gilt der einheitliche Bürgerversicherungstarif – alters- und risikounabhängig sowie einheitlich für Frauen und Männer. Kinder und Ehepartner werden kostenlos mitversichert. Heute Privatversicherte können innerhalb eines Jahres unabhängig von Alter oder Gesundheitszustand entscheiden, ob sie in die Bürgerversicherung wechseln oder in ihren bestehenden Verträgen der Privatversicherung (PKV) bleiben. Wechseln sie, können sie Rückstellungen fürs Alter in die Bürgerversicherung mitnehmen. Wie wird die Bürgerversicherung finanziert? Mit Hilfe von drei „Finanzierungssäulen“. Der heutige Arbeitnehmerbeitrag wird zu einem „Bürgerbeitrag“ weiterentwickelt, den alle Bürger prozentual auf ihr Einkommen aus selbstständiger und nichtselbstständiger Arbeit entrichten. Die zweite Säule ist der „Lohnsummenbeitrag“: Der Arbeitgeberbeitrag wird künftig als pro-

zentualer Beitrag auf die gesamte Lohnsumme der bürgerversicherten Beschäftigten eines Unternehmens erhoben. Die Beitragsbemessungsgrenze entfällt hier, wodurch höhere Einkommen, Bonuszahlungen und ähnliche Gratifikationen künftig stärker belastet werden. Auch Kapitalerträge sollen stärker zur Finanzierung des Gesundheitssystems herangezogen werden. Ein Aufschlag auf die Abgeltungssteuer finanziert diese dritte Säule der Bürgerversicherung. Warum sind die Beitragssätze für Arbeitnehmer höher als die für Arbeitgeber? Der Grund ist ein etwas komplizierter Mechanismus, der es bei unterschiedlichen Beitragssätzen (7,6 Prozent auf Arbeitnehmer- und 7,1 Prozent auf Arbeitgeberseite) ermöglicht, dass aus beiden Lagern gleich viel Geld ins Gesundheitssystem fließt. „Nominale Parität“ lautet das Zauberwort: Auf Arbeitnehmerseite bleibt die Beitragsbemessungsgrenze, also der Betrag, bis zu dem Beiträge höchstens erhoben werden dürfen, erhalten. Die Höhe der Beiträge wird so gedeckelt. Arbeitgeber führen hingegen auf die Summe aller Gehälter (egal wie hoch sie sind) einen einheitlichen Satz von 7,1 Prozent ab. Dadurch zahlen beide Seiten in absoluten Zahlen identische Beiträge in die Kassen ein. Warum wird die Beitragsbemessungsgrenze auf Arbeitnehmerseite nicht erhöht? Um Menschen mit mittleren Einkommen nicht weiter zu belasten. Würde die Beitragsbemessungsgrenze von zurzeit 3712 Euro angehoben (etwa auf das Niveau der Gesetzlichen Rentenversicherung, wie es die Grünen vorhaben), würden vor allem die Mittelschichten zur Kasse gebeten. Hohe Einkommen würden dennoch nicht einbezogen. Müssen in Zukunft alle Krankenkassen denselben Beitrag erheben? Nein. Jede Krankenkasse kann individuell vom einheitlich festgelegten Beitragssatz nach oben oder unten abweichen. So gibt es weiterhin einen Wettbewerb zwischen den Kassen. Wichtig ist allein, dass der jeweilige Beitrag prozentual zum Einkommen erhoben wird. Die Vorkasse beim Arzt, Zusatzbeiträge und der von Schwarz-Gelb eingeführte Sonderbeitrag von 0,9 Prozent werden dagegen mit der Bürgerversicherung abgeschafft. ■ KD

ZWEIKLASSENMEDIZIN Privatpatienten werden bevorzugt

278 Mrd. Euro Ausgaben für Gesundheit in Deutschland 2009. Zum Vergleich: Der Bundeshaushalt betrug 290 Mrd. Euro.

WOHER KOMMT DAS GELD? DIE WICHTIGSTEN EINNAHMEN

172 Mrd. Euro Beitrag der gesetzlich Versicherten

31 Mrd. Euro Beitrag der privat Versicherten

14 Mrd. Euro Zuschüsse der Deutschen Rentenversicherung. Sie übernimmt bei Rentnern den „Arbeitgeberanteil“.

7 Mrd. Euro Zuschuss der Bundesregierung in den Gesundheitsfonds

WOHIN FLIESST DAS GELD? DIE WICHTIGSTEN AUSGABEN

138 Mrd. Euro für ambulante Einrichtungen, wie Arztpraxen (43 Mrd.), Apotheken (40 Mrd.), Pflege (9 Mrd.)

100 Mrd. Euro für (teil-)stationäre Einrichtungen, wie Krankenhäuser (71 Mrd.), Pflege (21 Mrd.), Vorsorge und Rehabilitation (8 Mrd.)

10 Mrd. Euro Prävention und Gesundheitsschutz

3400 Euro durchschnittliche Aufwendungen pro Einwohner QUELLEN: STATISTISCHES BUNDESAMT, KBV, GKV, DEUTSCHE RENTENVERSICHERUNG, ZAHLEN FÜR 2009

I

ch fühlte mich wie ein lästiger Bittsteller“, sagt Christian Müller. Er erinnert sich an seine Nasen-Operation vor zwei Jahren. Der Reihe nach: 1999 verletzte er sich beim Fußballspielen. Eine komplizierte Nasenverletzung machte eine OP nötig. Jahre lang war alles in Ordnung, dann stellt ein Wormser Hals-Nasen-Ohren-Arzt fest, dass eine weitere OP nötig ist. Er weist Müller darauf hin, dass er, trotz des schwierigen Eingriffs, vom Assistenzarzt operiert werden könnte. Schließlich sei er Kassenpatient. Weil Müller kein Risiko eingehen will, wendet er sich an eine Klinik, die ihm empfohlen wird. Der Wormser HNO-Arzt überweist ihn, alles verläuft gut. Müller vereinbart zwei Termine zur nötigen Weiterbehandlung beim HNO-Arzt in seinem Wohnort Worms. Der erklärt ihm schon beim ersten Besuch, dass er nicht gerne die Nachbehandlung übernehme, wenn andere das Geld für die OP kassierten. Den zweiten Nachsorgetermin will der Arzt hinauszögern, er könne den Kassenpatienten nicht ständig einschieben. „Ist es in Deutschland erlaubt, Kassenpatienten als unwichtig einzustufen?“, fragt Müller. 2009 befragte das Allensbach-Institut im Auftrag der Deutschen Ärzteverbände 500 Mediziner. Zwei Drittel von ihnen hielten die Zwei-Klassen-Medizin für gelebte Realität. Die von der schwarz-gelben Bundesregierung eingeführte, einkommensunabhängige Kopfpauschale wird den Graben zwischen gesetzlichen und privat Versicherten weiter vergrößern. „CDU/CSU und FDP haben die solidarische und gerechte Finanzierung von Gesundheitsleistungen aufgekündigt und verschärfen die Unterschiede in der Versorgung nach Einkommen“, ist auf der Website von Karl Lauterbach zu lesen. Der gesundheitspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion erläutert: „Die PKV lebt derzeit von einem ungerechten System, indem sie gesündere und wohlhabendere Personen aufnimmt.“ Diese entzögen sich der Solidargemeinschaft. So seien vorwiegend junge, gesunde Menschen in der PKV versichert, während Alte, Kranke und sozial Schwache sich in der gesetzlichen Krankenversicherung gegenseitig stützten, so Lauterbach. Die SPD möchte dem entgegentreten: Bei der Bürgerversicherung richtet sich der Tarif nach dem gesamten Einkommen des Versicherten. Und keine Krankenkasse darf Patienten ablehnen. Damit wären die Privilegien privat Versicherter schnell abgeschafft. Genau wie die zweitklassige Behandlung von Patienten. ■ BG


6 TITEL

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TEN D E B AT

rts.de vor wä neu! ch … tägli

Arbeit in einem schönen und vielfältigen Beruf: Krankenpflege ist mehr als Wundversorgung. Mehr Zeit für Gespräche wäre nötig.

PFLEGE Helfen, für andere da sein – dafür fehlt Krankenschwestern und Krankenpflegern oft die Zeit. Und nun wird auch noch der Nachwuchs knapp Von Susanne Dohrn

A

ls junger Mensch wollte sie in einem Beruf „mit sozialem Charakter“ arbeiten, erzählt Schwester Annemarie (49) aus Lennestadt im Sauerland. Ihr war es wichtig, anderen Menschen zu begegnen, Hilfe zu leisten und in Lebenskrisen beizustehen. Sie wurde Krankenschwester. „Damit war festgelegt, dass zum Arbeitsalltag der Schichtdienst und die Einsatzbereitschaft zur Arbeit auch an Sonn- und Feiertagen inklusive der Nachtdienste gehören.“ Doch in den vergangenen 30 Jahren hat sich der Beruf verändert. Schwester Annemarie: „Die bürokratischen Zustände lasten schwer, denn eigentlich wollte ich das für mein Berufsleben so nicht haben.“

Aufwertung der Pflege nötig Carola Tönnemann, Pflegedirektorin in einem Bonner Krankenhaus, bestätigt diese Entwicklung. Die Einführung von Fallpauschalen, also von festen Vergütungen für bestimmte Operationen, habe dazu geführt, dass die Patienten kür-

zer im Krankenhaus bleiben. Die Dokumentation habe immens zugenommen, weil zur Abrechnung der Fallpauschalen eine lückenlose Dokumentation notwendig sei. Die hält Carola Tönnemann zwar für wichtig und richtig. Doch sie bedauert die Folgen: „Die Zeit, sich mal hinzusetzen und mit jemandem zu reden, ist nicht mehr da und dies wäre manchmal sehr wichtig.“ Trotzdem liebt sie ihren Beruf, würde ihn immer wieder ergreifen und wirbt bei jungen Leuten für diesen „sehr schönen und vielfältigen Job“. Die Werbung ist notwendig, denn es gibt Nachwuchssorgen. „In der Öffentlichkeit herrscht folgendes Bild: Arbeitsverdichtung, Nacht- und Wochenendarbeit, schlechte Vereinbarkeit von Familie und Beruf“, sagt Mechthild Rawert, Berichterstatterin für Gesundheitsberufe der SPD-Bundestagsfraktion. „Wir brauchen eine gesellschaftliche und fachliche Aufwertung der Pflege und der Altenhilfe“, so die Bundestagsabgeordnete. Dazu müsse sich nicht nur die Bezahlung verbessern.

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Die Zeit, sich mal hinzusetzen und mit jemandem zu reden, ist nicht mehr da.

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Carola Tönnemann Pflegedirektorin in Bonn

Die SPD fordert außerdem eine breite Grundausbildung, um sich in unterschiedlichen Bereichen zurechtfinden zu können. Rawert: „Derzeit gibt es drei Ausbildungsgänge: Altenpflege, Krankenpflege und Kinderpflege. Wir wollen, dass die Ausbildungsgänge zusammengelegt werden. Die Spezialisierung könnte im letzten Teil der Ausbildung oder im Anschluss daran stattfinden.“ Die Berufe dürfen außerdem nicht zur Sackgasse werden. Deshalb fordert Rawert für Pflegefachkräfte bessere Möglichkeiten der Fort- und Weiterbildung bis hin zum (Aufbau-)Studium und adäquat bezahlte Stellen für akademisch ausgebildete Pflegefachkräfte. Die sind derzeit nämlich rar. ■

LEIHARBEIT NIMMT IN DER PFLEGE ZU Die Zahl der Leiharbeitskräfte stieg ...

1500 ... IM GESUNDHEITSWESEN

1000 ... IN DER GESAMTWIRTSCHAFT

500 INDEX 1996 = 100

1996

2000

2004

2009

QUELLE: IAT 2010 / HANS-BÖCKLER-STIFTUNG 2010

FOTO: ERWIN WODICKA

BERUFUNG IN DER KRISE

Ausbildung und Aufstieg


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TITEL 7

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DER TOD SITZT IN DER NASE KLINIKKEIME Jährlich infizieren sich Tausende. Noch immer wird zu wenig dagegen getan. Von Susanne Dohrn

M

it einer Harnwegsinfektion kam Paul Tysiak in die Klinik. Nach einem halben Jahr war er tot: MRSA, ein Kürzel für Methicillinoder multiresistenter Staphylococcus aureus. Ein langsamer, ein schrecklicher Tod. Sie habe sehen können, wie der Keim ihren Mann auffraß, sagt seine Frau Dagmar. Bis zum Bauchnabel sei er schwarz und verfault gewesen. Dagmar Tysiak ist eine mutige Frau. Ein halbes Jahr hat sie bei ihrem Mann im Krankenhaus in der Quarantäne ausgeharrt, andere Ärzte hinzugezogen, die nach einem Blick unter die Bettdecke sagten: „Da ist nichts zu machen.“ Nach seinem Tod schaltete sie eine Anzeige, in der sie Angehörige mit ähnlichen Erfahrungen suchte. Bis zum Mittag am gleichen Tag hatte sie 19 Anrufe. Seitdem trifft sich die Selbsthilfegruppe. Ihr Anliegen: Auf die Gefahr aufmerksam machen. Multiresistente Keime sind leicht übertragbar: von der Nase auf die Hand, auf die Türklinke. Für gesunde Menschen mit gut funktionierenden Abwehrkräften sind sie ungefährlich. Gelangen sie in eine Wunde, können sie tödlich werden. Bekanntes Opfer: Guillaume Depardieu, Sohn des französischen Schauspielers Gérard Depardieu. Er infizierte sich 1995 bei einer Operation nach einem Motorradunfall damit und starb 2008 daran. Infektionen mit multiresistenten Keimen lassen sich weitgehend verhindern. Das zeigen die Niederlande. Dort geht man seit Mitte der 80er Jahre konsequent dagegen vor. „Die Niederländer untersuchen mit einem Schnelltest jeden, der ins Krankenhaus kommt. Dabei wird mit einem Wattetupfer eine

RESISTENTE MRSA-KEIME: ENTWICKLUNG IN DEUTSCHEN KRANKENHÄUSERN

Probe von der Nasenschleimhaut genommen. Bis zu einem negativen Testergebnis bleiben Risikopatienten in Quarantäne“, sagt Bärbel Bas. Die nordrhein-westfälische SPD-Bundestagsabgeordnete ist Berichterstatterin zum Thema Krankenhaushygiene. In ihrem Bundesland wird dieses Konzept in einem grenzübergreifenden Modellprojekt erfolgreich umgesetzt.

Dass dringend etwas geschehen muss, zeigen folgende Zahlen: 1990 waren nur zwei Prozent der in Kliniken gefundenen Aureus-Staphylokokken multiresistent, inzwischen sind es circa 25 Prozent. Doch bis sich in Deutschland die Kontrolle und Bekämpfung multiresistenter Keime verbessert, wird es dauern. Bundeseinheitliche Hygienestandards in Krankenhäusern gibt es nicht, denn Krankenhäuser sind Ländersache. Nur sieben von 16 Bundesländern haben überhaupt eine Hygieneverordnung. Das Robert-KochInstitut gibt Hygieneleitlinien heraus. Die müssen verpflichtend werden, fordert die SPD. „Und es muss Sanktionen geben, wenn sich ein Krankenhaus nicht an die Leitlinien hält“, so Bärbel Bas. ■

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ÄRZTEMANGEL Im ländlichen Raum fehlt es oft an Medizinern, die übrig gebliebenen beklagen überfüllte Wartezimmer, so auch in Teilen Brandenburgs. Ein Hausbesuch

UNGLEICH BEHANDELT: ÄRZTE FOLGEN DEM GELD Hausärztlicher Versorgungsgrad*, in Prozent SOLL: 100 PROZENT

STARNBERG

148,1

FREIBURG IM BREISGAU

143,0

GARMISCH-PARTENKIRCHEN

131,4

MÜNCHEN

130,5

BERCHTESGADENER LAND

129,0

BUNDESDURCHSCHNITT

108,0

UCKERMARK

82,0

GIFHORN

80,0

SOLTAU-FALLINGBOSTEL

78,0

DESSAU/BITTERFELD

77,5

SAALEKREIS

69,1

Von Birgit Güll

W

enn hier noch ein Arzt wegfällt, sind wir unterversorgt“, sagt Anika Petrausch. Die 36-Jährige sitzt in ihrer ersten eigenen Praxis: Frisch gestrichene Wände, vor dem Fenster, im großen Garten, blüht der Flieder. Das brandenburgische Michendorf liegt eine knappe Stunde von Berlin entfernt, mitten im Speckgürtel rund um die Hauptstadt. Doch die fetten Jahre sind selbst hier vorbei. Neben Petrausch gibt es zwei weitere Hausärzte. Das ist zwar beachtlich für Brandenburg, das Bundesland mit einer der geringsten Ärztedichten Deutschlands. Für einen Speckgürtel ist es allerdings reichlich mager. Noch dünner gesät sind die Fachärzte. „Wenn es hier einen Kardiologen gäbe, das wäre der Knaller“, sagt Petrausch. Denn ihre gut tausend Patienten müssen sich auf den Weg nach Potsdam machen, wenn eine Spezialuntersuchung nötig ist. Und trotzdem haben die Petrausch-Patienten es gut. Ihre Hausärztin kann sich mehr Zeit nehmen als die Mediziner in Regionen wie dem Spree-Neiße-Kreis. Dort liegt der ärztliche Versorgungsgrad gerade mal bei 77 Prozent, wie bei der Bedarfsplanung ermittelt wurde. Viele Praxen sind verwaist, seit die Ärzte in Rente sind. Petrausch hat ihre Praxis übernommen, als ihre Vorgängerin in Rente ging – später als diese eigentlich wollte, doch die Nachfolger standen nicht gerade Schlange. Und dann kam Anika Petrausch. Die Berlinerin hatte ihren Facharzt gemacht

und wollte mit ihrem Mann und den beiden Töchtern aufs Land ziehen. Diesen Schritt will das rot-rote Brandenburg auch anderen Medizinern schmackhaft machen. Brandenburg kooperiere mit Berlin, genauer gesagt mit der Charité, erklärt Sylvia Lehmann, die gesundheitspolitische Sprecherin der SPDLandtagsfraktion. Elf akademische Lehrkrankenhäuser der Charité Berlin liegen in Brandenburg. Finanzielle Starthilfen für Mediziner sollen den Weg in unterversorgte Gebiete erleichtern. Lehmann weiß, dass dazu auch die Infrastruktur ausgebaut werden muss. Wo Kitas und Schulen fehlen, siedeln sich kaum junge Arztfamilien an. Hier seien die Kommunen, Landkreise und das Land mit in der Verantwortung. Außerdem unterstützt AGnES (Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Healthgestützte Systemintervention) seit einigen Jahren überlastete Ärzte: Medizinisch geschultes Personal nimmt ihnen Arbeit ab. Mit „AGnES 2“, derzeit in der Modellphase, soll Patienten beim Beschaffen von Terminen und Ausfüllen von Formularen geholfen werden, so Lehmann. Es läuft also in Brandenburg. Nur eines darf nicht vergessen werden: „Vorgaben und Rahmenbedingungen in der Gesundheitsversorgung werden weitestgehend von der Bundespolitik gesetzt“, so Lehmann. Und die ist derzeit schwarzgelb. ■

* LAUT BEDARFSPLANUNG DER KASSENÄRZTLICHEN VEREINIGUNG

FES-STUDIE

PRIMÄRÄRZTLICHE VERSORGUNG

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Wenn es hier einen Kardiologen gäbe, das wäre der Knaller.

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Dr. Anika Petrausch Ärztin in Michendorf, Brandenburg

Landärzte: auch nach Feierabend häufig „im Dienst“

QUELLE: AOK, WIDO

„Gesundheitliche Versorgung in Stadt und Land – ein Zukunftskonzept“, heißt eine Studie des hessischen Landesbüros der FriedrichEbert-Stiftung. Stefan Greß und Klaus Stegmüller von der Hochschule Fulda haben ein Konzept für die künftige Sicherung der gesundheitlichen Versorgung entwickelt. Das Herzstück ihres Plans sind primärärztliche Versorgungszentren. In diesen Einrichtungen arbeiten Ärzte tageweise als Angestellte. So gäbe es in unterversorgten Regionen wieder Haus- und Fachärzte. „Montags der Hausarzt, dienstags die Internistin, mittwochs der Augenarzt und freitags die Gynäkologin“, so skizziert MdB Edgar Franke (SPD) dieses medizinische Versorgungsmodell. Es könnte nicht nur in unterversorgten ländlichen Regionen helfen. Die Zentren wären auch in Stadtteilen hilfreich, die für Mediziner nicht attraktiv sind, weil überwiegend einkommensschwache Familien dort leben. Die hessische Studie schlägt außerdem vor, dass speziell ausgebildete medizinische Fachkräfte Ärzte unterstützen. Sie machen Hausbesuche, nehmen Blut ab oder erstellen Teilbefunde und entlasten auf diese Weise die Mediziner. ■ LH

FOTO: BIRGIT GÜLL, ILJA C. HENDEL/VISUM

WO PRAXEN LEERSTEHEN


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Braune Gesundheitspolitik Die Nazis räumten brutal ab, was zur Kultur der Arbeiterbewegung gehörte. Daher wurde auch die Selbstverwaltung beseitigt. Viele Tausende Vertreter von Gewerkschaften und SPD in den Einrichtungen des Sozialstaats der Weimarer Republik wurden in Konzentrationslager und Zuchthäuser geworfen.

Die Chance der zweiten Republik Nach 1945 hat die SPD die Gesundheitspolitik wesentlich mitgeformt. Sie setzte auf Volksgesundheit und auf Wiederherstellung der Selbstverwaltung, in der zentrale Entscheidungen an demokratisch gewählte Bürger delegiert werden.

Visite um 1900: An die Stelle intensiver persönlicher Betreuung ist heute oft moderne Medizintechnik getreten.

OHNE SOZIS GÄBE ES SIE NICHT DIE GESETZLICHE KRANKENVERSICHERUNG Eine Erfolgsgeschichte Von Klaus Vater ANZEIGE

Rechtsanspruch Gesundheit war für die SPD des 19. Jahrhunderts das wichtigste Lebensgut. Fürsorge reichte ihr nicht. Gesundheitsversorgung benötigte als Grundlage Gesetze mit verbrieften Leistungen. Zwar erwarteten die Sozialdemokraten erst im Sozialismus eine durchgreifende Versorgung. Dennoch nutzten die Frauen und Männer der SPD-Gründergeneration jede Möglichkeit in den Städten und Betrieben, die Gesundheit der Arbeiter und deren Familien zu verbessern. Es ging um Schutz vor Epidemien, Schutz der Kinder, anständige Nahrungsmittel, sauberes Trinkwasser, ausreichenden Wohnraum und Arbeitszeiten, die keinen Menschen zerbrachen.

Der Bismarcksche »Urknall“ Die SPD war gegen Bismarcks neue gesetzliche Krankenversicherung des Jahres 1883. Aus gutem Grund. Bismarck schrieb in seinen Erinnerungen: „Mein Gedanke war, die arbeitenden Klassen zu gewinnen, oder sollte ich besser sagen zu bestechen…“ Ohne die bloße Existenz der SPD, der damals so genannten Kulturzerstörer und Umstürzler, hätte Bismarck keine Krankenversicherung gewollt.

Erfolgsfreundschaften

FOTO: TSELVA/LEEMAGE

In konkreten Gesundheitsfragen marschierten SPD und Gewerkschaften sowie fortschrittliche Ärzte Seite an Seite. Die damaligen Krankenkassen waren in den Kommunen angesiedelt. Sie schlossen Verträge mit einzelnen Ärzten. Die Kassenlandschaft war zersplittert, Parität beim Aufbringen der Beiträge gab es nicht. Die Leistungen waren bescheiden. Schritt für Schritt mussten Verbesserungen durchgesetzt werden.

Der Streit um die Reichsversicherungsordnung 1911 wurden die drei Sozialgesetze der Kaiserzeit zur „Reichsversicherungsord-

Vorbildlich: eine Krankenversicherung mit eingebauter Altersvorsorge. Die private Krankenversicherung macht es vor: Sie trifft Vorsorge für die im Alter steigenden Gesundheitskosten ihrer Versicherten. Ein verlässliches Polster, das alle Finanzkrisen unbeschadet überstanden hat und auch in Zukunft eine optimale medizinische Versorgung sichert. Ganz ohne staatliche Zuschüsse. So schont die private Krankenversicherung auch alle Steuerzahler. www.gesunde-versicherung.de

PKV – Die gesunde Versicherung.

nung“ zusammengefasst. Die SPD lehnte sie ab, weil sie materielle und organisatorische Verschlechterungen nach sich zog. Gewerkschaften, Krankenkassen und Ärzteschaft lehnten die „RVO“ ebenfalls ab.

»

Wir wollen keine Zweiklassenmedizin.

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Hamburger Programm der SPD, 2007

Der Startschuss von Weimar Das Notwendige zuerst tun – nach diesem Leitsatz setzte die SPD nach dem Ersten Weltkrieg erst einmal Leistungen für anderthalb Millionen kriegsversehrte Männer durch. Das war der Startschuss: Mit Artikel 161 gelang es ihr, das Gebot eines umfassenden Versicherungsschutzes gegen die Wechselfälle des Lebens in der Weimarer Verfassung zu verankern. Gesundheitspolitiker wie Julius Moses setzten sich für mehr Vorsorge gegen Volkskrankheiten ein. Die Selbstverwaltung wurde ausgebaut.

Erfolgsetappen Für die SPD war die Gesundheit das Fortschrittsfeld; das hieß: Leistungen verbessern, die gesetzliche Krankenversicherung ausdehnen. Niemand sollte mehr ohne Gesundheits-Schutz sein. Folglich hat die SPD während der 60er Jahre den Tarifkampf um die Lohnfortzahlung politisch gestützt. Während der 70er Jahre hat sie den Kreis der Beitragszahler in die gesetzliche Krankenversicherung kräftig ausgeweitet. In den 90er Jahren hat sie es in einer Sachkoalition mit CDU/CSU möglich gemacht, die traditionellen Hürden zwischen der Krankenversicherung der Arbeiter und der Angestellten niederzureißen. In der Regierung hat die SPD die Abrechnung der Krankenhäuser mit den Kassen auf eine moderne, effiziente Methode umgestellt. Sie hat die Krankenkassen gegen Beitragsausfälle während Konjunkturkrisen gesichert. Sie hat die integrierte Versorgung zwischen ambulanter und stationärer Behandlung vorangebracht. Sie hat die Vorsorge kräftig ausgeweitet, Regelungen für Menschen mit schweren chronischen Schmerzen geschaffen, den Kinderhospizen geholfen. Sie hat die Krankenkassen mit dem Risikostrukturausgleich und mit dem Gesundheitsfonds auf eine effiziente Grundlage gestellt. Sie hat den Gemeinsamen Bundesausschuss der Kassen, Ärzte und Patienten zu einem wirkungsvollen Lenkungsgremium umgebaut. Sie hatte schließlich begonnen, den ruinösen Wettkampf der privaten Krankenversicherung gegen die gesetzliche Krankenversicherung zu beenden und sie hat die gesetzliche Pflegeversicherung modernisiert.

Das Bild einer modernen SPD Die SPD war in der Gesundheitspolitik traditionell „auf der Höhe der Zeit“, um ein Wort Willy Brandts aufzunehmen. Sie hat allen Grund, auf „ihre“ Gesundheitspolitik und deren Wortführer wie Julius Moses, Herbert Wehner, Ernst Schellenberg, Eugen Glombig, Rudolf Dreßler und Ulla Schmidt stolz zu sein. ■


10 PRO & CONTRA

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HOMÖOPATHIE VON DER KASSE? Hintergrund: Die Homöopathie geht auf den deutschen Arzt Samuel Hahnemann (1755-1843) zurück. Sie basiert auf dem »Ähnlichkeitsprinzip«: Danach werden Krankheiten mit einem Arzneimittel behandelt, das bei Gesunden genau diese Krankheit auslöst. Zur Herstellung homöopathischer Mittel werden die Grundsubstanzen stark verdünnt. Nach dieser so genannten Potenzierung ist der Ausgangsstoff teils nicht mehr nachweisbar.

S Pro Curt Kösters ist Zweiter Vorsitzender des Deutschen Zentralvereins homöopathischer Ärzte.

oll eine umstrittene Therapiemethode wie die Homöopathie durch gesetzliche Krankenkassen erstattet werden? Über 100 deutsche Krankenkassen tun das derzeit. Sollte man das verbieten? Ein Argument könnte der Wählerwille sein. Bei einer Volksabstimmung in der Schweiz entschied sich 2009 eine Mehrheit von 67 Prozent für die Einführung der Homöopathie und anderer Verfahren in die Grundversicherung. In Deutschland würde eine Abstimmung ähnlich ausfallen. Nun muss die Mehrheit nicht zwingend im Recht sein. Es gibt weitere Argumente: Gesichert ist wissenschaftlich, dass die Homöopathie für die Kassen einen wirtschaftlichen Nutzen hat – ebenso wie andere seriöse alternative Heilverfahren. Diese Einsparungen werden er-

Curt Kösters

zielt trotz höherer Anfangskosten des zeitintensiven homöopathischen Erstgesprächs, unter anderem durch den deutlich geringeren Verbrauch konventioneller Arzneimittel. Nicht gesichert ist die von Vertretern eines naiven Glaubens an die Allwissenheit der Naturwissenschaften (meist Nichtärzten) verbreitete Behauptung, die Unterlassung konventioneller Therapien führe zu Folgeschäden und Mehrkosten. Ausgebildete homöopathische Ärzte wägen in jedem Einzelfall ab, wann eine homöopathische Behandlung therapeutisch sinnvoll ist. Wäre der Gebrauch von Antibiotika in konventionellen Praxen ähnlich restriktiv, gäbe es die gravierenden Probleme mit zunehmenden Resistenzen nicht. Sinngemäß gilt das auch für ein weites Spektrum an Nebenwirkungen konventioneller Arznei-

»Homöopathie ist eine Form der modernen Magie.«

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Contra Amardeo Sarma Vorsitzender der Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) und Mitglied der SPD seit 1979.

s sollte selbstverständlich sein, dass die Krankenkassen nur solche Heilverfahren und Arzneien bezahlen, deren Wirksamkeit mit objektiven, wissenschaftlichen Methoden belegt wurde. Ob diese Verfahren oder Arzneien mit dem Etikett „schulmedizinisch“ oder „alternativmedizinisch“ versehen sind, sollte dabei keine Rolle spielen. Und die Homöopathie? Studien der letzten Jahrzehnte kommen insgesamt klar zu dem Schluss, dass sie nicht besser funktioniert als Placebos. Zudem sind ihre theoretischen Grundlagen inzwischen durch wissenschaftliche Erkenntnisse widerlegt: Sie laufen auf magisches Denken hinaus. Wer also diese Form moderner Magie als Medizin verkaufen will, muss anders

mittel. Unter Fachleuten gelten Nebenwirkungen als eine der häufigsten Krankheits- und Todesursachen. Gesichert ist, dass es Belege für eine arzneimittelspezifische Wirksamkeit der Homöopathie gibt, wie Doppelblindstudien, bei denen weder Versuchsleiter noch Patienten wissen, wer ein Präparat und wer ein Placebo erhält; doppelblinde Arzneimittelprüfungen, Grundlagenforschung, historische Daten bei schweren Epidemien. Nicht gesichert ist allerdings der genaue Mechanismus der Wirkung. Hier sind noch erhebliche Forschungen nötig. Gesichert ist, „dass das weiche Wasser in Bewegung mit der Zeit den harten Stein besiegt.“ (Bertolt Brecht) .

Amardeo Sarma

vorgehen. Bereits 1976 gelang es, mit dem sogenannten Binnenkonsens die Forderung nach objektiven Wirksamkeitsbelegen für „besondere Therapien“, darunter die Homöopathie, auszuhebeln. Homöopathen durften fortan mit Sonderbefugnissen selbst festlegen, ob etwas wirkt oder nicht. Später wurde dieser Selbstbedienungs-Skandal durch verschiedene EURichtlinien fortgeschrieben. Dieser Lobbyarbeit ist auch das Image der Homöopathie als sanfte Naturmedizin zu verdanken. Was aber haben homöopathische Ausgangsstoffe wie Arsen, Quecksilber, Hundekot oder tuberkulöse Rinderabszesse mit sanfter Medizin zu tun? Weiter heißt es, Homöopathie sei wirtschaftlicher als die „Schulmedizin“. Aber entweder ist eine Thera-

pie notwendig, dann kann nur die wissenschaftliche Medizin helfen, und Homöopathie ist nur eine wirkungslose, teure Zugabe. Oder es bedarf keiner Therapie, dann sind Homöopathika ebenfalls unnötig. Nun geht es an die Töpfe der Krankenkassen. Nicht nur die meist wohlhabenden Anhänger, sondern alle Versicherten sollen mit ihren Beiträgen die Homöopathie subventionieren. Die finanzielle Lage der Krankenkassen wird immer prekärer. Wirksame und notwendige Leistungen für sozial Schwache werden eingeschränkt oder gestrichen, während die Kassen esoterischen Humbug finanzieren sollen. Kann das eine sozialdemokratische Partei verantworten?

FOTOS: MICHAEL UHLMANN, PRIVAT

»Die Wirksamkeit ist belegt.«


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NEWS 11

vorwärts

DER MAI IN ZITATEN

BREMEN BLEIBT ROT

www.vorwärts.de BIN LADENS EINFLUSS WAR BEGRENZT Osama Bin Laden ist tot. Ist dies das Ende des weltweiten Terrorismus? Nein, sagt Peter Scholl-Latour. „Der Krieg gegen den Terror ist ein Phantom-Krieg, der Gegner in keinster Weise definiert.“ Der Nahost-Experte ist sich zudem sicher: „Bin Ladens Einfluss in der islamischen Welt war begrenzt.“ Vielmehr habe der Westen die Wichtigkeit des Terroristen „propagandistisch überhöht“. Im Interview mit vorwärts.de spricht Scholl-Latour auch über die Situation in Pakistan, wo Bin Laden in den vergangenen Jahren vollkommen unbehelligt gelebt hatte. „Ich bin sicher: Der pakistanische Geheimdienst wusste schon länger von seinem Versteck.“ ■ KD vorwärts.de/binladen

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Eine Meisterschaft ohne Makel.

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Reinhard Rauball Der Fußball-Liga-Präsident zur Deutschen Meisterschaft von Dortmund

Seit 65 Jahren regiert die SPD in Bremen – und dabei bleibt es. Bei der Bürgerschaftswahl am 22. Mai wurden die Sozialdemokraten um Spitzenkandidat Jens Böhrnsen mit gut 38 Prozent der Stimmen erneut stärkste Kraft. Gemeinsam mit den Grünen, die knapp 23 Prozent bekamen und die CDU überholten, wird die SPD in den kommenden vier Jahren gestärkt in der Bremer Bürgeschaft vertreten sein. Wermutstropfen blieb die geringe Wahlbeteiligung. Bei 54 Prozent gab nur gut jeder zweite Wahlberechtigte seine Stimme ab. Zum ersten Mal durften in Deutschland auch 16- und 17-Jährige an der Wahl eines Landesparlaments teilnehmen. ■ KD

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Ab heute wird die FDP liefern.

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Philipp Rösler

Der neue FDP-Chef auf dem Parteitag in Rostock

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Wir sind auf gutem Weg. Sigmar Gabriel Warmup vor dem Marathon: Auch im letzten Jahr kamen die Läufer ins Willy-Brandt-Haus

ROTE LÄUFER Am 25. September findet der 38. BerlinMarathon statt. Mit 40 000 Läufern aus aller Welt ist er bereits ausgebucht. Wie im vergangenen Jahr lädt der SPD-Parteivorstand alle mitlaufenden Genossen für den Vorabend zu einem Empfang ins Willy-Brandt-Haus ein. Wer dabei sein möchte, schickt einfach eine E-Mail an sportpolitik@spd.de. Die Redaktion von vorwärts.de wird vor Ort sein und den Abend in Fotos dokumentieren. ■ KD

FOTOS: DPA (2), SPD-PV

VERLOSUNG Im politischen Betrieb der Hauptstadt ist sie eine feste Institution. Am 7. Juni findet die traditionelle „Spargelfahrt“ des Seeheimer Kreises zum 50. Mal statt. Zum Jubiläum verlost der vorwärts zehn der begehrten Plätze auf dem Wannsee-Dampfer „La Paloma“. Wer Parteimitglied ist und als einer der 700 Gäste mitfahren möchte, schreibt eine E-Mail mit dem Betreff „Spargelfahrt“ an parteileben@vorwaerts.de. Aus allen Einsendern wird der Sprecher des Seeheimer Kreises Johannes Kahrs am 1. Juni die Gewinner ziehen. Einsendeschluss ist Dienstag, der 31. Mai. . ■ KD

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Der SPD-Vorsitzende nach der Wahl in Bremen

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Wissen, was morgen zählt.

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Motto der europaweiten Volkszählung

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Ich bin der glücklichste Mann der Welt Ell

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Der Sänger nach dem Sieg mit Partnerin Nikki beim Eurovision Song Contest

Strahlender Sieger: Jens Böhrnsen mit Lebensgefährtin Birgit Rüst auf der Bremer Wahlparty

FRAGE DER ZEIT Wer wird 2013 Kanzlerkandidat der SPD? Hauptstadtjournalisten bewegt diese Frage immer wieder. Dabei hat Sigmar Gabriel mehrfach und unmissverständlich darauf hingewiesen, dass er als Parteivorsitzender dazu einen Vorschlag machen wird – und zwar frühestens etwa ein Jahr vor dem Wahltermin. Mehrfach schon hat Gabriel auch die Idee einer parteiinternen (oder gar öffentlichen) Vorwahl ins Spiel gebracht. Keinesfalls werde die Entscheidung in einem kleinen Kreis von Spitzenpolitikern ausgehandelt. Eine solche Verabredung gäbe es nicht, bekräftigte Gabriel Mitte Mai. ■ UK

ENERGIE WAGEN „Bürgernah, wirtschaftlich erfolgreich, sozial gerecht und ökologisch verantwortlich“ soll die Energieversorgung in Deutschland künftig sein. Die „Leitidee sozialdemokratischer Energiepolitik“, die der Parteivorstand am 22. Mai verabschiedet hat, umfasst 50 Maßnahmen, vom Atomausstieg bis 2020 über Verbesserung der Energie- und Rohstoffeffizienz bis zur Dezentralisierung der Energieversorgung. Fossile Energieträger wie Gas und Kohle sollen eine „Brücke ins Zeitalter der Erneuerbaren Energien“ sein. Die SPDSpitze ist überzeugt: „Die Energiewende ist das größte Wirtschafts- und Beschäftigungsförderprogramm aller Zeiten ■ KD

GLOBAL GEDACHT von Rafael Seligmann Titel sind Schall und Rauch – wenn man ihnen nicht gerecht wird. Das gilt nicht nur für nationale Verteidigungsminister. Auch in der Außenpolitik ist ein Titel nur das wert, was seine TrägerIn aus ihm macht. Catherine Ashton ist Hohe Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik, also Außen- und Verteidigungsministerin in Personalunion. Ein unverzichtbares Amt für die Europäische Union. Gerade in der Gegenwart, in der in Frankreich der hyperaktive Nicolas Sarkozy als Staatspräsident ständig neue außenpolitische und militärische Fronten eröffnet und der italienische Medientycoon und Premier Silvio Berlusconi ihm nacheifern will. Dabei versuchen sich die Herren aus Paris und Rom die Verantwortung für die Bootsflüchtlinge Nordafrikas gegenseitig zuzuschanzen. In dieser Situation bräuchte Europa eine außenpolitische Leitfigur, die durch ihre Persönlichkeit, ihre internationale Kompetenz, ihre moralische Integrität und ihre Durchsetzungsfähigkeit allenthalben zumindest Gehör findet – um sodann Friedensinitiativen zu entwickeln und zu verwirklichen. Solche Persönlichkeiten gibt es durchaus. Genannt seien beispielsweise Tony Blair, Joschka Fischer, Mary Robinson, Frank-Walter Steinmeier. Jeder von ihnen besitzt ausreichend Erfahrung und Sachkenntnis, um zumindest die Lage in Krisensituationen richtig einzuschätzen und Erfolg versprechende Lösungsvorschläge zu entwerfen. Darüber hinaus haben die Dame und die Herren das notwendige Ansehen und die entsprechende Kompetenz, um sich Gehör bei den Entscheidungsträgern aller EU-Mitgliedsländer und in der Öffentlichkeit zu verschaffen. Der Sozialpolitikerin Catherine Ashton aber fehlt die minimale Mindestanforderung für die Funktion ihres Amtes, um zumindest in der Öffentlichkeit und in der Politik wahrgenommen zu werden. Auf diese Weise bleibt die EU ohne einheitliche außenpolitische Stimme und damit ohne entsprechendes Gewicht. Somit ist die Bahn frei für die nationalen Selbstdarsteller. Die EU kann diesen Zustand nicht länger tolerieren, wenn sie ihre Interessen international vertreten will. Frau Ashton muss durch ein außenpolitisches Schwergewicht ersetzt werden. Entscheidend bleibt jedoch, dass die nationalen Entscheidungsträger zu einer gemeinsamen Außenpolitik finden. ■


12 NEWS

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HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH

PASTEWKA IST GABRIEL

Notiert von Uwe Knüpfer In Berliner Bars sind jetzt verdünnte Getränke angesagt. Die In-Crowd trinkt Limonade „g'spritzt“. Was besser klingt als verwässert, aber dasselbe meint. Die FDP hat sich in Rostock eine neue Führung verpasst. Auf Guido Westerwelle folgte „der nette Herr Rösler“. FDP-Schorle g'spritzt sozusagen. Daniel Bahr (34) ist jetzt Gesundheitsminister. Derart blitzartige Karrieren gab es früher nur im Krieg: Wenn Lücken schneller gerissen wurden, als sie zu schließen waren, wurde mancher Leutnant ruckzuck General. Meist gingen solche Kriege verloren. Wir wünschen Daniel Bahr persönlich alles Gute. Philipp Rösler (38, sieht aber jünger aus) und Christian Lindner (32, genannt Bambi) natürlich auch. Journalisten mussten über die liberalen Wunderkinder jetzt lange Geschichten schreiben. Das ist bei kurzen Biografien nicht leicht. So erfuhr der geneigte Leser, dass Christian Lindner zwischen „dasselbe“ und „das Gleiche“ zu unterscheiden wisse. Oho! Ein solches Zeichen wachen Geistes reicht heute aus, General-Hoffnungsträger der FDP zu werden. Wer bisher von der Blitzkarriere bei „Deutschland sucht den Superstar“ träumte, sollte bei der FDP vorsprechen. Dort müssen Kandidaten nicht mal singen. Kröten schlucken reicht. Und nicht vergessen: immer lächeln! Nach seiner Rede in Rostock muss Guido Westerwelle einen Muskelkater in der Wangenmuskulatur gehabt haben. So krampfhaft heitere Miene hat selten jemand zu seiner Demontage gemacht. Westerwelle ist 49 und damit schon im liberalen Vorruhestandsalter. Wunderkinder welken früh. Apropos: Die Universität Bayreuth hat Karl Theodor zu Guttenberg (39), dem Idealtyp eines Ministers in schwarzgelben Zeiten, bescheinigt, in einem „Zustand der Dauervergesslichkeit … die Sorgfaltswidrigkeit zum bewussten Arbeitsstil erhoben“ zu haben. Thomas de Maizière (57), Guttenbergs erwachsener Nachfolger, kann bei seinen Aufräumarbeiten im Verteidigungsministerium ein Lied davon singen. Der Un-Satz des Monats: Angela Merkel trat vor einbestellte Kamerateams und verkündete: „Ich freue mich, dass es gelungen ist, Osama bin Laden zu töten.“ Nicht nur Frank Schirrmacher von der Frankfurter Allgemeinen überkam „ein leises Frösteln“ angesichts solch unchristlich unbedachter Wortwahl. Auch im Kanzleramt wird eben mehr g'spritzt als regiert. ■

Käthe Fehlner Neuried Hilde Macho Neustadt an der Aisch Günter Sikorski Gladbeck zum 65. Parteijubiläum Erwin Stahl ehem. MdB zum 80. Geburtstag Peter Corterier ehem. MdB Jürgen Schmude Bundesminister a.D. Hanna Wolf ehem. MdB zum 75. Geburtstag Arne Fuhrmann ehem. MdB Renate Jäger ehem. MdB Horst Kubatschka ehem. MdL Christa Lörcher ehem. MdB zum 70. Geburtstag

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Wir beide können besser küssen als Kate und William!

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Hannelore Kraft

NRW-Ministerpräsidentin über sich und ihren Mann Udo

DREI FRAGEN AN MARGRET WINTERMANTEL Die Fälle von Plagiaten in Doktorarbeiten bekannter Persönlichkeiten häufen sich. Woran liegt das? Wir dürfen nicht vergessen: Es bleiben Einzelfälle unter jährlich rund 25 000 Promotionen deutschlandweit. Die Kommissionen der betroffenen Universitäten gehen ihnen auf den Grund. Der breite Widerspruch aus den Hochschulen – gerade auch von den Nachwuchskräften – gegen eine Verharmlosung von Plagiaten spricht für sich. Aber natürlich ist zu fragen, was jemanden veranlasst, die Regeln so gravierend zu verletzen. Wer eine Promotion anstrebt, braucht eine hohe Motivation, neue Erkenntnisse zu gewinnen. Wenn dieses wissenschaftliche Ethos fehlt, wenn es nur um den Titel geht, ist die Versuchung sicher größer, die Regeln zu missachten. Sind die Regeln für Promotionen zu lasch? Wir haben an allen Universitäten klare Regularien. Natürlich gibt es fachspezifische Unterschiede. Aber überall gilt: Die Doktor-Arbeit muss als eigenständige wissenschaftliche Leistung die Erkenntnis im Fach erweitern. Und verantwortlich für die Begutachtung sind und bleiben Doktorvater oder -mutter mit dem Prüfungsausschuss vor Ort. Um die Universitäten in dieser Verantwortung zu unterstützen, hat die Hochschulrektorenkonferenz Empfehlungen formuliert, an denen sie sich orientieren. Wir wollen noch einmal prüfen, was verbessert werden kann. Wir brauchen in den Universitäten aber weiter eine Atmosphäre des grundsätzlichen Vertrauens. Sonst gefährden wir die wissenschaftliche Arbeit. Welchen Wert hat ein Doktortitel heutzutage noch? Er belegt, wie beschrieben, einen weiterführenden Beitrag zur Forschung und ist damit ein wichtiger Schritt in der wissenschaftlichen Karriere. Und er dokumentiert die Fähigkeit, eine komplexe Fragestellung eigenverantwortlich zu lösen. ■ Prof. Dr. Margret Wintermantel ist Präsidentin der Hochschulrektorenkonferenz (HRK) und promovierte Psychologin

Sigmar Gabriel im Duett mit Tina Turner. Das konnten die Zuschauer der Sendung „Fröhlicher Frühling“ am 13. Mai auf Sat 1 erleben. In der Parodie einer Volksmusiksendung schlüpften die Comedians Anke Engelke und Bastian Pastewka in die Rollen der Sängerin und des SPD-Chefs. „You’re simply the best“ schmachtete Engelke-Turner Gabriel an, der währenddessen über Arbeitslosenzahlen und die Rente mit 67 redete. Präsentiert wurden die beiden von Wolfgang und Anneliese Funzfichler – ebenfalls verkörpert von Engelke und Pastewka. Ob der SPD-Chef und die Rockröhre auf Tournee gehen, ist bisher noch unklar. ■ KD

Blumen für den Präsidenten und seine Stellvertreterin: Christian Ude und Petra Roth

UDE FOR PRESIDENT Hemdsärmelig, laut und populistisch – so gab sich Münchens Oberbürgermeister Christian Ude beim kommunalen Abend der 36. Hauptversammlung des Deutschen Städtetags. Zur Freude des Publikums war der 63-Jährige in die Rolle eines CSU-Poltergeists geschlüpft. Udes kabarretistische Auftritte sind berühmt. Zwei Tage später zeigte sich der Oberbürgermeister wieder staatsmännisch. Die Delegierten wählten ihn zum dritten Mal zum Städtetagspräsidenten. Er löst Petra Roth ab. Die Frankfurter Oberbürgermeisterin wird für zwei Jahre Udes Stellvertreterin sein. ■ KD

ALLEIN UNTER FRAUEN Dieter Kosslick fühlte sich sichtlich wohl. Beim vierten Berliner „Charity Ladies Lunch“ Anfang Mai war der BerlinaleChef als einziger Mann unter 50 Frauen (unter ihnen Ex-First-Lady Christina Rau) der Hahn im Korb. Locker plauderte Kosslick über Hollywood und die Filmbranche. Die gemeinnützige Gesellschaft „DKMS Life“ sammelt mit den Veranstaltungen Geld für Krebspatientinnen. Nach den Fernsehfrauen Sandra Maischberger, Senta Berger und Barbara Schöneberger war Dieter Kosslick der erste Mann, der an einem Lunch teilnahm. Nach seinem charmanten Auftritt dürfte es nicht der letzte gewesen sein ■ KD

FOTOS: DPA (2), STADT STUTTGART

BERLINER TAGEBUCH


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PA RTE I L E B E N ! INHALT DAS SPD-DORF Der OV Wendtorf gibt vor Ort den Ton an

EINIGUNG

CHEFSACHE

FOTOS: DIRK BLEICKER (2), PRIVAT

ANDREA DIREKT! Hast Du Dich über den Tod Osama Bin Ladens gefreut? Es ist unangemessen, sich über den Tod eines Menschen zu freuen, selbst wenn der Tod Bin Lades ein schwerer Schlag gegen den Terrorismus war. Wir müssen aufpassen, dass wir nicht so verrohen wie Al Quaida oder die Taliban, für die ein Menschenleben nichts zählt. Wir sollten unsere zivilisatorischen Standards einhalten. Ist Grün-Rot ein Modell für den Bund? Nein. Baden-Württemberg ist eine Ausnahme. Das werden wir insbesondere in Bremen und Berlin auch zeigen. Wann entscheidet die SPD über ihren Kanzlerkandidaten? Darüber entscheiden wir Ende 2012, Anfang 2013. Die Debatte über mögliche Kanzlerkandidaten, ob von innen oder von außen, halte ich für schlecht. Sie lenkt auch von der eigentlichen Aufgabe ab, die vor uns liegt: der inhaltlichen Profilierung der SPD. Bereust Du es, dass die SPD das Parteiausschlussverfahren gegen Thilo Sarrazin eingeleitet hat? Nein. Wir mussten deutlich machen, dass sich Thilo Sarrazin außerhalb des Konsenses der Partei bewegt. In den Medien wurde er gefeiert als jemand, der vermeintlich die Wahrheit spricht. Darauf mussten wir mit klarer Kante reagieren. Als wir das Verfahren eingeleitet haben, war uns klar, dass wir es nicht automatisch gewinnen. In der SPD ist die Hürde hoch, jemanden auszuschließen. Das ist auch richtig so. Dass das Verfahren nun eingestellt wurde, bedeutet aber auf keinen Fall, dass wir uns die Thesen Thilo Sarrazins zu eigen machen. Wie wird die Migrantenquote den Parteivorstand verändern? Positiv. Ich wünsche mir, dass wir die unterschiedlichen Lebenserfahrungen der Migranten in unsere Arbeit aufnehmen. Sie sollen Gesicht und Stimme bekommen und zwar nicht nur in Migrationsfragen. ■ Fragen stellen: vorwärts.de/nahlesfrage

Thilo Sarrazin darf in der SPD bleiben

PORTRÄT Bilkay Öney: Eine Ex-Grüne wird SPD-Ministerin

NACHRICHTEN OV-Aktionen/Termine

AUF DEM WEG FES-Chef Peter Struck im Interview

»DARUM BIN ICH IN DER SPD…«

Ausgezeichnet: Die Frauen von „Discover Football“ mit Sigmar Gabriel und Theo Zwanziger (4.v.r.)

»EIN LEUCHTTURM FÜR UNSER LAND« GUSTAV-HEINEMANN-BÜRGERPREIS Ein FußballProjekt wirbt für Demokratie und Toleranz Von Kai Doering

THOMAS MÖLLER ist 22 Jahre alt und macht zurzeit eine Ausbildung zum Krankenpfleger. Danach möchte er Medizin studieren. Thomas ist seit 2009 Mitglied im SPD-OV Würzburg-Zellerau. „Eine Volksherrschaft ohne ein Volk, das sich beteiligt, ist sinn- und wertlos. In der SPD sehe ich die Möglichkeit, mich für die Gesellschaft einzusetzen. Die SPD ist die Partei, mit deren Werten und Idealen ich mich stark identifiziere: Soziale Gerechtigkeit, Gemeinsinn und Freiheit sind es wert, dass für sie gestritten wird.“ ■ Warum seid Ihr gerade jetzt SPD-Mitglied geworden? Schreibt uns an parteileben@vorwaerts.de

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b Gustav Heinemann FußballFan war, ist nicht überliefert. Über das Projekt „Discover Football“ hätte sich der frühere Bundespräsident aber sicher gefreut. „Die Initiatoren glauben an die Kraft der Veränderung, die im Kleinen beginnt, damit etwas Größeres entsteht. Und genau diese Einstellung gehört auch mit zum Vermächtnis von Gustav Heinemann“, lobte Sigmar Gabriel – ehe der SPD-Chef am 23. Mai die Gruppe mit dem diesjährigen Gustav-Heinemann-Bürgerpreis auszeichnete. Der wird seit 1977 von der SPD an Menschen, Gruppen oder Organisationen verliehen, die sich bürgerschaftlich engagieren. „Discover Football“ tut dies auf besondere Weise: Das Projekt lädt Frauenfußballmannschaften aus Ländern wie Iran, Afghanistan oder Ruanda zu einem einwöchigen Turnier nach Berlin ein. Dabei geht es um mehr als schöne Tore: Der Fußball ermöglicht Begegnun-

gen auf und neben dem Platz und sorgt für Völkerverständigung. „Der Fußball konnte schon immer Tabus und Voreingenommenheiten brechen“, sagte der Präsident des Deutschen Fußballbunds, Theo Zwanziger. Er ist einer der Förderer des Projekts und wird am 27. Juni das diesjährige Turnier in Kreuzberg eröffnen. „Ich bin sehr stolz auf meine Mädels“, ließ er die Gäste der Preisverleihung wissen. „Sie sind ein kleiner Leuchtturm für unser Land.“ Erstmals konnten in diesem Jahr Besucher von spd.de mitentscheiden, wer den mit 10 000 Euro dotierten Heinemann-Preis erhält. Mehr als 11 000 Nutzer beteiligten sich im März an der Internet-Abstimmung. Freuen konnten sich am Ende aber nicht nur die Frauen von „Discover Football“. Ein zusätzlicher Sonderpreis ging an das Projekt „Zivilcourage Pirna“, das sich in der sächsischen Schweiz gegen Rechtsextremismus und für Demokratie einsetzt. ■


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PA RT E I L E B E N !

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Tourismus ausgerichtet. Die Einwohnerzahl ist seit dem Amtsantritt von Otto Steffen von 300 auf 1150 gestiegen. Wendtorf ist ein attraktiver Ferienort geworden. „Wir haben uns hier immer um die nötigen Zuschüsse gekümmert und eine Menge in die Infrastruktur investiert“, sagt der Bürgermeister, als sei es das Einfachste von der Welt. Kommunale Finanznot kennen sie hier nicht, die Gemeinde sei „gut bestückt“. Zwei Kindergärten und ein Sportvereinsgelände, von dem auch größere Orte träumen dürften, belegen das. Als nächstes steht das Großprojekt Marina Wendtorf vor der Tür. Ein Investor will für 50 Millionen Euro den Yachthafen vergrößern und eine Luxusferienanlage bauen. Wendtorf soll noch attraktiver für Touristen werden.

Treue Anhängerschaft

OV WENDTORF In dem Küstenort gibt es keinen Zweifel an der Volkspartei SPD. Die Genossen sind in der Gemeinde fest verankert und haben beeindruckende Wahlergebnisse. Von Gero Fischer Von Anfang an dabei: OVVorsitzender Otto Steffen (r.) und Torsten Albig (3. v. r.) ehren die Mitglieder für ihre Treue zur SPD-Wendtorf.

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eit ist relativ. Wenn es einen SPDOrtsverein seit 40 Jahren gibt, ist das eine relativ kurze Zeit. Wenn eine Partei seit über 40 Jahren in einem Ort den Bürgermeister stellt, noch dazu dieselbe Person, ist das eine sehr lange Zeit. Im schleswig-holsteinischen Wendtorf im Kreis Plön liegt beides nah beieinander. Der SPD-Ortsverein Wendtorf hat gerade sein 40-jähriges Bestehen gefeiert. Bürgermeister der Gemeinde ist seit 45 Jahren Otto Steffen, der Ortsvereinsvorsitzende. Der Zeitunterschied ist

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schnell erklärt: Ursprünglich waren die Genossen in Wendtorf Teil des 1958 gegründeten Ortsvereins Stein. Erst 1970 teilte sich der Ortsverein in mehrere eigenverantwortliche Ortsvereine, darunter die SPD-Wendtorf. Die Tatsache, dass die Genossen seit der Gründung ihres Ortsvereins den Bürgermeister stellen, ist beeindruckend. „Wir waren immer sehr bürgernah und haben hier im Ort eine Menge Dinge bewegt“, sagt Otto Steffen. Das klingt einfach, und der Erfolg gibt ihm Recht. Seit Jahrzehnten stellt die SPD im Gemeinderat die Mehrheit, aktuell hält sie acht von elf Sitzen. Egal ob Kommunal-, Landtags- oder Bundestagswahl: Die Wahlergebnisse der Genossen liegen in Wendtorf selten unter 50 Prozent. Auch Torsten Albig, Oberbürgermeister von Kiel und Spitzenkandidat für die Landtagswahlen in Schleswig-Holstein, ist von dieser Bilanz beeindruckt. Wenn man sich die Gemeinde Wendtorf als Beispiel nähme, dann hätten Volksparteien wieder Zukunft, sagt er bei der 40-Jahr-Feier am 7. Mai. „Denn hier ist die SPD Teil der Gemeinde, genau in der Mitte.“

FOTOS: KRISTINA BELLACH, UWE KOKELSKI

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Eine solche Erfolgsbilanz wirkt sich natürlich auch auf den Ortsverein selbst aus. 40 Mitglieder hat die SPD-Wendtorf. Der Ortsverein lebt von seiner treuen Anhängerschaft. Sieben Mitglieder wurden gerade für ihre 40-jährige Mitgliedschaft geehrt. Sie sind von Anfang an dabei. Aber auch für Nachwuchs sorgen die Wendtorfer offensiv. „Wir haben gerade ein paar junge Neumitglieder aufgenommen“, sagt Steffen. Dafür laden die Genossen gezielt junge Leute aus dem Ort zu Veranstaltungen ein, um sich mit ihnen über Politik zu unterhalten. Man dürfe da nicht mit der Tür ins Haus fallen, sondern müsse sie langsam an die Partei heranführen, erklärt der Vorsitzende das Konzept. Dass der Nachwuchs auch irgendwann mal die Partei- und Gemeindeämter übernehmen muss, ist dem 79-Jährigen natürlich klar. Seine Amtszeit als Bürgermeister dauert noch gut zwei Jahre. Wie es dann weitergeht, ist derzeit vollkommen offen. „Es ist für mich aber kein Problem, wenn das ein Jüngerer macht – aber nur, wenn er sich auch richtig engagiert.“ ■

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Die Genossen machen erfolgreiche Politik für die Gemeinde. Sie haben das ehemalige Bauern- und Fischerdorf voll auf

Bürgermeister seit über 45 Jahren: Otto Steffen


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PA RT E I L E B E N !

FOTO: DPA

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ange fünf Stunden saßen sie zusammen. Am Ende stand ein Ergebnis, das viele überraschte: Thilo Sarrazin darf in der SPD bleiben. Nach der ersten Anhörung im Parteiausschlussverfahren gegen den früheren Bundesbank-Vorstand vor der Schiedskommission des Berliner Kreisverbands Charlottenburg-Wilmersdorf zogen die vier Antragsteller ihre Anträge zurück. „Wir haben uns verständigt, uns als SPD nicht auseinanderdividieren zu lassen“, sagte die Vorsitzende der Schiedskommission Sybille Uken. Im Laufe der Anhörung am 21. April hatte Sarrazin erklärt, er habe „zu keiner Zeit die Absicht gehabt, mit meinen Thesen sozialdemokratische Grundsätze zu verletzen“. Auslöser des Parteiausschlussverfahrens waren Äußerungen des 66-Jährigen zur Integrationspolitik und zur Vererbungslehre in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ gewesen. „Mir lag es fern, in meinem Buch Gruppen, insbesondere Migranten zu diskriminieren“, erklärte Sarrazin dagegen vor der Kreisschiedskommission. SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und die drei anderen Antragsteller zogen daraufhin ihre Ausschlussanträge zurück. „Thilo

Deutsch-türkische Jugendliche protestieren in Berlin gegen Sarrazins Thesen.

ENDE MIT SCHRECKEN THILO SARRAZIN Der umstrittene Buchautor darf nun doch in der SPD bleiben Sarrazin hat seine sozialdarwinistischen Äußerungen relativiert, Missverständnisse klargestellt und sich auch von diskriminierenden Äußerungen distanziert“, sagt Nahles. Einem Ausschluss fehlte danach auch Parteienrechtlern zufolge die Grundlage. Mit der Einigung sei, so Nahles, „ein kluger Weg beschritten worden“.

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Aziz Bozkurt sieht das anders. „Thilo Sarrazin hat nichts von dem, was er gesagt hat, zurückgenommen“, meint der Berliner. Vier Tage nach dem abgebrochenen Verfahren stellte Bozkurt die „Berliner Erklärung“ ins Internet. Er kritisiert darin den „Zickzackkurs der Partei“ und appelliert an die Mitglieder, „die sich mit dem Gedanken eines inneren Rückzuges oder gar Austritts tragen“, in der SPD zu bleiben. Die Erklärung haben mittlerweile fast 4000 Menschen unterzeichnet. „Mit unserer Petition wollen wir zeigen, dass die SPD zu großen Teilen anders tickt, als es vielleicht im Moment den Anschein hat“, begründet Aziz Bozkurt den Schritt. Von der Parteiführung wünscht er sich „eine klare politische Verantwortung und Auseinandersetzung in der Frage von Rassismus in unseren Reihen“. Die Mehrheit der Deutschen ist dagegen mit dem Ergebnis zufrieden. Der „Deutschlandtrend“ der ARD ergab, dass nur 35 Prozent meinen, die SPD hätte Sarrazin besser „wie ursprünglich angekündigt aus der Partei ausgeschlossen“. 54 Prozent sprachen sich dagegen aus. ■ KD Interview mit Aziz Bozkurt vorwärts.de/bozkurt ANZEIGE

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Bilkay Öney bei ihrer Vereidigung: in der Türkei geboren, jetzt Integrationsministerin in Baden-Württemberg

DIE SEELENSAMMLERIN BILKAY ÖNEY Integrationsministerin von Baden-Württemberg, ist die erste Ministerin in Deutschland, die in der Türkei geboren wurde. Eine »Türkenministerin« möchte die Sozialdemokratin aber nicht sein.

Z

uerst dachte Bilkay Öney, der Anruf sei ein Scherz. Sie war gerade von einem Vortrag aus der Türkei zurück nach Berlin gekommen, als ihr Telefon klingelte – und der Mann am anderen Ende der Leitung behauptete, Nils Schmid zu sein. Der SPD-Landesvorsitzende aus Baden-Württemberg wolle sie in den nächsten Tagen in Stuttgart treffen. „Wenn Du Nils Schmid bist, müsstest Du doch Schwäbisch sprechen“, antwortete Öney. Ihr Gegenüber wechselte in Mundart. Doch Öney war noch immer nicht überzeugt. „Du kannst doch auch Türkisch“, sagte sie. „Evet, Türkce konusuyorum“, bejaht Schmid. Zwei Tage später fuhr Bilkay Öney nach Stuttgart. Die 40-Jährige lacht, als sie die Geschichte erzählt. Es ist ein freundliches, offenes Lachen. Bilkay Öney sitzt in ei-

PORTRÄT

nem Café am Brandenburger Tor. Sechs Tage zuvor hat der designierte Ministerpräsident Winfried Kretschmann sie als seine Kandidatin für das neue Integrationsministerium von Baden-Württemberg der Öffentlichkeit vorgestellt. Öney ist im Stress. Alle paar Minuten klingelt ihr iPhone. Es ist noch so viel zu regeln, ehe es in Stuttgart losgeht. Gerade kommt sie von Erhard Körting. Der Berliner Innensenator ist Öneys großes Vorbild und ihr politischer Ziehvater. Sie nennt ihn „Dad“. „Dad war der Erste, dem ich von Nils Schmids Anruf erzählt habe“, sagt sie. Körting war sofort klar: „Die wollen Dich als Ministerin haben.“ Bilkay Öney war da nicht so sicher: „Ich dachte, die Kollegen wollten mich fragen, wie man so ein Integrationsressort gestalten kann.“ Darum wird sich die

Neu-Ministerin nun selbst kümmern müssen. Auf den Rat von „Dad“ wird sie sich dabei sicher verlassen können. Mit Erhard Körting teilt Bilkay Öney nämlich auch eine tiefe Überzeugung, die Grundlage ihrer Integrationspolitik ist: „Wir dürfen keine Seele verloren geben und müssen mit jedem reden.“ Es ist diese Einstellung, die der Integrationspolitikerin partei- und migrantenübergreifend Respekt eingebracht hat. Und sie weiß, wovon sie redet. Mit drei Jahren kam Bilkay Öney aus dem türkischen Malatya nach Berlin – ohne ein Wort Deutsch zu sprechen. Doch sie lernte schnell; „im Kindergarten und von einer Nachbarin, die aus Niedersachsen kam“. 1987 ließ sich Öney einbürgern, noch vor ihren Eltern. „Ich bin

FOTO: DPA

Von Kai Doering


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länger BundesbĂźrgerin als die Kanzlerin“, sagt sie und lacht wieder ihr einnehmendes Lachen. „TĂźrkenministerin“ mĂśchte Bilkay Ă–ney aber trotz ihrer Herkunft nicht sein. Integration sieht sie als Aufgabe fĂźr die gesamte Gesellschaft und als „eine Frage von Wollen, KĂśnnen und DĂźrfen“ der Migranten. Die Politik mĂźsse hierfĂźr den Rahmen setzen. Drei Tage nach dem Treffen am Brandenburger Tor steht Bilkay Ă–ney im Stuttgarter Landtag und hebt die rechte Hand. Sie ist eine der letzten Ministerinnen, die um kurz nach zwei von Landtagspräsident Willi Stächele vereidigt werden – und die erste in der Geschichte der Bundesrepublik, die in der TĂźrkei geboren worden ist. Auf der BesuchertribĂźne sitzt SPD-Urgestein Erhard Eppler ne-

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ben GrĂźnen-Chefin Claudia Roth. Bilkay Ă–ney kennt beide. 2009 wechselte sie von den GrĂźnen zur SPD – „aus Ă„rger Ăźber die Art und Weise, wie sich GrĂźne, CDU und FDP eine Mehrheit beschaffen wollten“, wie sie sagt. Kurz zuvor war eine SPD-Abgeordnete zu den GrĂźnen gegangen, die rot-rote Mehrheit im Berliner Abgeordnetenhaus schmolz auf eine Stimme. Ihr Mandat behielt Bilkay Ă–ney damals, was fĂźr zusätzlichen Ă„rger sorgte. Der ist aber mittlerweile vergessen. „Viele GrĂźne haben mir zu meiner Nominierung als Ministerin gratuliert“, erzählt Ă–ney und betont: „Ich habe damals die Partei gewechselt, aber nicht meine Freunde und auch nicht meine politische Gesinnung.“ Die Schnittmenge von

SPD und GrĂźnen sei gerade beim Thema Integration „enorm groĂ&#x;“. FĂźr ihre Aufgabe in der ersten grĂźnroten Landesregierung werden ihre Erfahrungen sicher wertvoll sein. Erklären, wie andere ticken, kann Bilkay Ă–ney nämlich gut. Bevor sie in die Politik ging, reiste sie als Redakteurin fĂźr den tĂźrkischen Fernsehsender TRT durch die Bundesrepublik und produzierte den „Bericht aus Deutschland“. Auch BadenWĂźrttemberg lernte sie dabei kennen und merkte in Abwandlung des Werbespruchs des „Ländle“ schnell: „Ich kann alles auĂ&#x;er Schwäbisch.“ Immerhin: „Ich bin schon seit meiner Kindheit Fan des FuĂ&#x;ballvereins VfB Stuttgart.“ Eine gute Voraussetzung, sich schnell im SĂźdwesten zu integrieren. â–

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Ich bin länger BundesbĂźrgerin als die Kanzlerin. Bilkay Ă–ney

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TERMINE

Im Rhein-Pfalz-Kreis wird sozialdemokratisches Liedgut gepflegt. Die Roten Raben singen alte und neue Arbeiterlieder. Die Gruppe um Uli Valnion (r., mit Gitarre) begeistert bei öffentlichen Auftritten. So sang die Truppe bei der Feier zum 1. Mai in Ludwigshafen, beim Internationalen Frauentag, auf dem Weihnachtsmarkt in Gerolsheim und bei der Jubilarehrung des Ortsvereins Limburgerhof. Schließlich sind sozialdemokratische Lieder bei jeder Gelegenheit passend. Wer die Roten Raben erleben will, kann sie einladen. ■ SS ugitar@t-online.de

VANDALISMUS IN BASSUM In der Nacht vom 7. auf den 8. Mai wurden die Fenster des „Roten Ladens“ zerstört. Die Polizei geht davon aus, dass der Treffpunkt der SPD Bassum (Niedersachsen) mit Fußtritten demoliert wurde. Eine politisch motivierte Tat ist nicht auszuschließen, da außer dem SPD-Büro nichts zerstört wurde. „Damit hätte das Ganze eine Dimension erreicht, die wir in Bassum bisher nicht kannten", sagt Bassums SPD-Fraktionsvorsitzender Christoph Lanzendörfer. Die Bassumer SPD und die Laden-Vermieterin haben Anzeige erstattet. Unterkriegen lassen sich die Genossen von dem Vandalismus aber nicht: „Nicht mit uns!“. ■ BG

80 JAHRE IN DER SPD

ARABISCHE REVOLUTION In vielen arabischen Staaten kämpfen die Menschen derzeit gegen autoritäre Regime. Die Jusos in Halle/Saale nahmen die Umbrüche zum Anlass für eine Diskussion: „Revolution in Nahost – Demokratisiert sich die arabische Welt selbst?“ Dort wurde mit Experten über die Situation in der Region und die Reaktion des Westen darauf gesprochen. Der Drang nach Freiheit, der immer wieder zu gesellschaftlichen Umbrüchen führt, war der rote Faden der Diskusion. ■ SS

Luise Nordhold, geboren 1917 in Bremen, blickt in diesem Jahr auf 80 Jahre SPD-Mitgliedschaft zurück. „Rote Falken“, Arbeiterjugend: Nordhold ging ihren Weg zielstrebig und ließ sich nie beirren. Während der NS-Diktatur half sie den Familien inhaftierter Genossen. Am 1. Juni ehrt der OV Ritterhude (Bremen) sein langjähriges Mitglied. Zu der großen Feier erwarten die Genossen den SPD-Landesvorsitzenden Olaf Lies. Die 94-jährige Luise Nordhold wird auch auf ganz andere Weise geehrt: Tim Jesgarzewski hat im Donat-Verlag die Biografie der treuen Genossin veröffentlicht. ■ BG Tim Jesgarzewski: „Für Freundschaft, Solidarität und soziale Gerechtigkeit. Luise Nordhold“, Donat Verlag, Bremen, 2011, 192 Seiten, ISBN 978-3-938275-87-0

DAS EHRENAMT: DER KITT IN UNSERER GESELLSCHAFT 27.MAI Song Start für „Farbenblind“, der Song für „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ 11 Uhr, Landeszentrale für politische Bildung des Saarlandes, Beethovenstraße 26, 66125 Saarbrücken, Tel. 06897/79 018 104, Anmeldung lpb@lpm.uni-sb.de 1. BIS 3. JUNI Konferenz „Internationale StefanHeym-Konferenz“, Chemnitz, Programm unter www.stefan-heymgesellschaft.de 8. JUNI Präsentation Studie „Hetero, weiß und männlich? Fußball ist viel mehr!“ Präsentation einer Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung zu Homophobie, Rassismus und Sexismus im Fußball. 17.30 Uhr, Friedrich-EbertStiftung Berlin, Anmeldung forumpug@fes.de 9. JUNI Ausstellungseröffnung „Willy Brandt: Ein politisches Leben 1913 bis 1992“, 18.30 Uhr, Ku ¨ stenmuseum Wilhelmshaven, Anmeldung niedersachsen@fes.de Ausstellung vom 9.6. bis 31.8.2011, Mo–So 10 bis 18 Uhr

Am 7. Mai lud die Schweriner SPD zum Jahresempfang. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand das Thema Ehrenamt, und so waren Menschen eingeladen, die sich in Schwerin unentgeltlich für andere engagieren. „Ehrenamtler leisten viel, ohne dafür einen Gegenwert zu verlangen, der sich in Euro und Cent messen ließe“, erklärte Manuela Schwesig (l.). Die Sozialministerin Mecklenburg-Vorpommerns und stellvertretende SPD-Bundesvorsitzende betonte, dass Ehrenamt „der Kitt in der Gesellschaft“ sei. Der sozialpolitische Sprecher der Landtagsfraktion Jörg Heydorn (m.) forderte eine angemessene, steuerfreie Aufwandsentschädigung für das Amt. Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit (r.) als Gastredner kritisierte: „Wir können nicht alles auf das Ehrenamt schieben. Aber wenn die finanziellen Mittel fehlen, weil z.B. Niedriglöhne aufgestockt werden müssen, stimmt etwas in unserer Gesellschaft nicht.“■ BG

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„Wir sind ein Zulieferer von guten Ideen für diejenigen, die Ideen umsetzen müssen“, so Peter Struck, FES-Vorsitzender.

JUGEND IST KEIN VERDIENST PETER STRUCK Der neue Vorsitzende der FriedrichEbert-Stiftung sieht seinen Streit mit Sigmar Gabriel beigelegt und kündigt eine moderate Verjüngung der Stiftung an: »Wir sind auf gutem Weg.«

FOTO: HERMANN BREDEHORST

Interview Uwe Knüpfer Presseberichten zufolge herrscht zwischen den Vorsitzenden der SPD und der FES eine „eisige Funkstille“. Das stimmt nicht. Sigmar Gabriel hatte im Vorfeld meiner Wahl einige Bedenken geäußert – weil er andere Personalvorstellungen hatte. Aber inzwischen haben wir uns lange ausgesprochen. Das ist bereinigt. „Bedenken geäußert“ ist sehr diplomatisch formuliert. „Polternd und türenknallend“ soll Sigmar Gabriel die FES-Vorstandssitzung im Oktober 2010 verlassen haben. Sigmar war empört über einen Vorstandsbeschluss, mich als Nachfolger für Anke Fuchs vorzuschlagen, bevor er seine Vorstellungen äußern konnte. Wie schon gesagt, all das ist Vergangenheit. Sigmar und ich sind uns einig, dass es um gute Arbeit der FES geht. Gleich drei Veranstaltungen der FES in den letzten Tagen haben in ehemaligen Fabrikanlagen stattgefunden, mit viel auch sehr jungem Publikum. Ist das der neue Stil der Stiftung? Ja, wir wollen nicht immer nur in unseren eigenen Räumlichkeiten Veranstaltungen durchführen, mit oft dem immer gleichen Publikum. In der Berliner „Kalkscheune“ haben wir über die "Despotendämmerung" in Nordafrika diskutiert, mit vielen jungen Menschen.

FRIEDRICHEBERTSTIFTUNG IN ZAHLEN

2700 Hat die Stiftung auch vor Ort in diesen Ländern helfen können? Viele derjenigen, die in Tunesien, Ägypten oder Jemen jetzt eine aktive Rolle spielen, sind uns seit längerem bekannt. Wir helfen, wo wir können, beim Aufbau von demokratischen Parteien und Gewerkschaften. Da sehen wir uns in einer stolzen Tradition. Wir haben, mit Willy Brandt und Felipe Gonzalez, beim Aufbau eines demokratischen Spanien helfen können. Die portugiesische Partei unter Mario Soares ist in Münstereifel gegründet worden. Jetzt versuchen wir, den Wurzeln der sozialen Demokratie auch in den Staaten Nordafrikas Halt zu geben. Die internationale Kompetenz der Stiftung war aber auch nicht Gegenstand der Kritik aus dem Parteivorstand. Nein, auch Sigmar Gabriel hat die internationale Arbeit der Stiftung immer gelobt – und ihre Hilfe bei Auslandsreisen ja auch gern in Anspruch genommen. Seine Frage war, ob die Stiftung sich nicht hier in Deutschland neuen Themen zuwenden müsste. Das sehe ich auch so. Wir haben darüber viele Gespräche in der Stiftung geführt. Ich glaube, wir sind auf einem guten Weg. Die Heinrich-Böll-Stiftung, die den Grünen nahesteht, hat gerade ein populär gemachtes Heft zur FrauenFußballweltmeisterschaft veröffentlicht: „Kick it like Bajramaj“. Könnte

Studierende und Promovierende wurden im letzten Jahr gefördert

53 % der geförderten Studenten stammen aus bildungsfernen Familien

2800 Veranstaltungen organisierte die FES im letzten Jahr

200 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer besuchten diese

136 Mill. Euro beträgt der Jahresetat

620 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind für die Stiftung im In- und Ausland tätig

12 Millionen Zugriffe gibt es jährlich auf das Internetangebot www.fes.de

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so etwas also künftig auch von der Ebert-Stiftung kommen? Die Idee ist nicht schlecht. Wenn man sich ansieht, was wir im Laufe des Jahres publizieren, ist sehr vieles darunter, das nur für Fachleute hochinteressant ist. Das kann man sicher auch auf andere Weise zugänglich machen. Man muss nicht alles aufwändig drucken. Und wir müssen neue Medien nutzen. In der Veranstaltung zur „Despotendämmerung“ hatten wir 500 Teilnehmer vor Ort – weitere 2000 waren per Lifestream im Internet dabei. Auch aus Kairo wurden Fragen gestellt. Sehr beeindruckend. Sigmar Gabriel hat sich gewünscht, die Stiftung möge ein „programmatischintellektuelles Kraftzentrum“ sein. Das sind wir. Einem US-amerikanischen Ranking zufolge ist die FES weltweit die Nummer Eins unter den parteinahen Think Tanks. Gerade jetzt erarbeiten wir, mit hervorragenden Wissenschaftlern, ein Gutachten, um herauszufinden, ob ein Ausstieg aus der Kernenergie wirklich bedeuten muss, dass die Strompreise steigen. Wir sind ein Zulieferer von guten Ideen für diejenigen, die Ideen umsetzen müssen. Dann könnte es allenfalls noch an der Umsetzung hapern. Warten wir ab. Kritik an der Stiftung gilt seltener den Inhalten der Arbeit, öfter der Erscheinung. Da war, ich zitiere Unschönes aus Zeitungen, von „Gerontokratie“ die Rede. Ich will nicht verschweigen, dass ich 68 Jahre alt bin, aber Alter allein ist ja nun auch kein Nachteil. Es ist kein Verdienst, jung zu sein. Die Bundestagsfraktion der FDP ist mir, mit Verlaub, suspekt. Weil da viele junge Leute sitzen, die alle gleich aussehen, alle gleich agieren. Politische Erfahrung, auch Lebenserfahrung kann nicht schaden. Aber ich bin schon bemüht, auch jüngere Politiker mehr heranzuziehen; wie Nils Schmid oder Torsten Schäfer-Gümbel. Oft hört man, die Konkurrenz sei aktiver bei der Nachwuchsförderung. Das kann man nicht sagen. Wir haben etwa 17 000 ehemalige Stipendiaten der Ebert-Stiftung, die alle hier bei uns erfasst sind. Wir nutzen deren Sachverstand. Gesetzt den Fall, eine SPD-Gliederung sucht einen Kandidaten fürs Bürgermeisteramt und hat selbst keinen. Gäbe es dann eine Adresse bei der FES, um anzufragen: Ihr kennt so viele gute und kluge Leute, könnt Ihr uns Namen nennen? Der Ansprechpartner für Parteigliederungen muss schon das Willy-Brandt-Haus sein. Aber ein Talentpool, das sind wir. Dafür ist die Stiftung ja mal gegründet worden: um Kindern der Arbeiterklasse die Chance zu geben, Bildung zu erwerben und Verantwortung zu übernehmen. ■


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»ZWISCHENRUF«

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LESERBRIEFE WERBUNG IM »VORWÄRTS« 05/2011

SEYRAN ATES Migrantenquoten ohne Bewusstseinswandel sind sinnlos. Dabei muss die Gleichberechtigung im Zentrum stehen. Plädoyer für eine ernsthafte Integrationspolitik

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ie Integrationsdebatte geht wilde Wege. Deutschland ist nach mehr als 40 Jahren Zuwanderungsgeschichte aus seinem sehr tiefen Dornröschenschlaf aufgewacht. Ich bin davon überzeugt, dass wir eine europäische Islamkonferenz benötigen. Schließlich kämpfen alle mit den gleichen Problemen. Das wäre ein Feld, auf dem sich die SPD profilieren könnte. Quoten hingegen machen ohne Bewusstseinswechsel keinen Sinn. Leider sind von der SPD in den letzten Jahren keine wegweisenden Ideen zu einem besseren Miteinander der Kulturen ausgegangen. Die wenigen Amtsinhaber in der SPD, die einen so genannten Migrationshintergrund haben, gehören eher der Fraktion der Leisetreter an, die einmal mit dem Ticket Migrant gewunken und einen Posten bekommen haben, den sie nun mit aller Kraft verteidigen. Im Zentrum der Integrationsdebatte steht die Frage nach der Gleichberechtigung der Geschlechter, steht der Anspruch der Frauen auf ein selbstbestimmtes Leben und eine freie selbstbestimmte Sexualität. Nur Narren wundern sich, dass Osama bin Laden Pornos geschaut hat. Freiheit bedroht jedes totalitäre System. Sexualität braucht Freiheit, Freiheit braucht Sexualität. Da ist es kein Wunder, dass immer mehr Frauen unter dem Schleier verschwinden oder den Dienst an der Religionsfront als Frontsoldatinnen antreten. Genau an dieser Stelle fallen dann die deutschen Multikulturalisten auf, die auf der einen Seite für deutsche Frauen in Führungspositionen zu Felde ziehen, aber bei den Migrantinnen gerne ganz

selbstlos und tugendhaft „Toleranz!“ brüllen, Toleranz anderen Kulturen gegenüber. Bitter ist, dass es sich hierbei oft um Nutznießer der 68er Revolution handelt. Damals hat man ganz bewusst veraltete deutsche Traditionen in die Tonne getreten. Aber zu den Migranten will man nett sein und deren Traditionen, Kultur und Religion schützen. Armer Papst. Musst echt neidisch sein. Frauen sind eben nicht gleich Frauen. Was für die einen recht und billig ist, ist für die anderen die Schleierhaft. Ich wäre schon froh, wenn die muslimische Gemeinschaft miteinander so umgehen würde, wie die Juden und Christen es untereinander tun. Geschwisterlich im Glauben und mit Liebe für den Nächsten. Dahin ist es leider noch ein weiter Weg. Noch werden sich wohl viele überzeugte „beste Muslime“ in die Luft jagen und Unschuldige mitnehmen. Darunter sehr viele Muslime. ■

Seyran Ates ist Frauenrechtlerin, Juristin und Autorin. Ihr jüngstes Werk „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution" erschien im Jahr 2009 im Ullstein Verlag.

MITREDEN & BLOGGEN: vorwärts.de/zwischenruf-ates

vorwärts.de/blogs PEER STEINBRÜCK WIRD KANZLERKANDIDAT? ANDREAS HELSPER Peer Steinbrück ist kompetent, glaubwürdig und gradlinig. ... Er lobt die Mitgliederentscheide in SchleswigHolstein und Baden-Württemberg. Und er kann, so sagte er kürzlich auf Veranstaltungen in Köln und Mettmann, sich einen solchen Entscheid mit mehreren Kandidaten auch auf Bundesebene vorstellen. Ich würde es begrüßen, wenn Peer an einem solchen Auswahlverfahren teilnehmen würde. Und dann Kanzler wird! vorwärts.de/blogs EUROVISION 2012 IN BAKU VON MARTIN SCHMIDTNER UND MARC SCHULTE Der ESC 2011 in Düsseldorf ist entschieden. Titel-Mitfavorit Aserbaidschan gewann mit einer Popballade und holte damit den ESC für 2012 nach Baku. Musikalisch und qualitativ ist an diesem Sieg nichts auszusetzen. Er wurde durch Punkte aus 32 der 43 Teilnahmeländer ermöglicht. Wäre da nicht noch die Politik, könnte man sich für das sympathische Gesangsduo durchaus freuen. vorwärts.de/blogs DEUTSCHE ATOMKRAFTWERKE SIND SICHER... JENS VOGEL Die Sicherheitsüberprüfung war keine wirkliche Sicherheitsüberprüfung der Atommeiler, dafür reichte der Zeitraum nicht, sondern nur eine reine Überprüfung auf Papier anhand der Akten. Für eine richtige Sicherheitsüberprüfung bräuchte man ein- bis eineinhalb Jahre und die würde auch direkt in den Atommeilern stattfinden und nicht in einen Kämmerchen im Ministerium anhand der Aktenlage. vorwärts.de/blogs

Schon die erste Seite der Mai Ausgabe verschlug mir die Sprache: Ganzseitige Anzeige von RWE für Smarthome! … Auch wenn es in dieser Anzeige nicht gerade um Atomkraft geht! Da fällt mir nichts dazu ein, außer dass es ziemlich taktlos ist. F. Daryani, per E-Mail Keine Frage: echt guter Inhalt und gute Argumente zur Energiewende. Und dann… auf der Rückseite wirbt Vattenfall und auf der Seite 2 RWE. Wofür stehst du, meine SPD? Gegen Kernenergie oder für RWE und Energiedinos? Bitte entscheidet euch mal. Klaus Brinning, Unterföhring Hinweis der Redaktion: Der „vorwärts“ wird auch über Anzeigen finanziert. Denn wie bei allen Zeitungen gilt auch bei uns die einfache, manchmal bittere Wahrheit: keine Anzeigen – kein „vorwärts“! Wichtig ist, dass Anzeigenkunden keinerlei Einfluss auf redaktionelle Inhalte nehmen. Deshalb trennen wir strikt zwischen redaktionellen Inhalten und (klar erkennbaren) Anzeigen. Das bedeutet aber auch: Die Redaktion nimmt keinen Einfluss auf Auswahl und Platzierung von Anzeigen – sofern deren Aussagen nicht sozialdemokratischen Grundwerten widersprechen.

VORWÄRTS-TITEL 04/2011, 05/2011

„Arbeit muss sich wieder lohnen“: Der Artikel von Uwe Knüpfer hat mir gut gefallen... Meiner Meinung nach wird der Zusammenhang zwischen der Notwendigkeit und dem gesellschaftlichen Wert einer gut ausgeführten Arbeit, ihrer angemessenen Entlohnung, der damit einhergehenden Anerkennung des Arbeitenden als Mitglied der Gesellschaft klargestellt. Voll auf den Punkt gebracht. … Das Mai-Heft steht dem

FOTO: DPA

SCHLUSS MIT NETT

Der letzte „vorwärts“ macht mit einer Karikatur auf, die eine kritische Auseinandersetzung mit der Atomkraftdebatte suggeriert. Da verwundert es doch sehr, wenn man auf Seite 2 des vorwärts und auf der Rückseite prominente Werbung von Vattenfall und RWE findet. Aus meiner Sicht lässt eine solche Werbepolitik Zweifel an der Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit einer Zeitung aufkommen. Lara Zwiffelhoffer, per E-Mail


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MEINUNG 21

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und Straßenprojekten, Stromleitungen ist kein Weg in die Zukunft, sondern in die De-Industriealisierung. Achim Zwick, Mühlacker

BÜRGERVERSICHERUNG Bereits 2001, somit in einer Zeit, in der unsere Partei mit den Grünen Regierungsverantwortung trug, wurde mit der Bürgerversicherung eine Reformierung der Krankenversicherung ins Gespräch gebracht. Besonders Andrea Nahles machte sich zu dieser Zeit für deren Einführung stark. Leider setzte danach Funkstille ein. Helmuth Schnicke, Querfurt meiner Meinung nach in nichts nach. … Ich schätze Seyfrieds Comics seit über 30 Jahren. … Bitte, bitte weiter so! Reinhard Lies, Müllheim So löblich auf dem neuen Cover der Versuch, Ökoenergie zu positionieren, gemeint ist, so frage ich mich doch, warum die Darstellung der Frau mit Solar-Brille derart sexistisch geschehen muss. Die Frau hat Körperproportionen, die einer Barbie gleichkommen. Muss das sein? Stefan Schönwetter, per E-Mail Die Karikaturen der Titelseite sprechen eine eigenartige Sprache, die eine Verhöhnung alternativer Energien nicht verbergen kann. Peter Boettel, Goeppingen

EDITORIAL 05/2011

Wenn unsere Partei seinerzeit alle „grünen“ Fragen offen angegangen und tatkräftig in ihrer Arbeit umgesetzt hätte, wäre die grüne Partei gar nicht erst entstanden. Wozu auch? Wäre ja alles von uns ordentlich erledigt worden. Jürgen W. Fritz, per E-Mail Aus welchen Gründen sind denn die Grünen entstanden …? Doch wohl aus der Anti-Atomkraft-Bewegung, die die Industriepolitik der sozialliberalen Regierungen der 70er Jahre mit ihrer Technik- und Atomkraftbegeisterung als Irrweg erkannt hat. Hier liegt auch einer der Urgründe, weshalb die SPD von dem Niedergang von CDU und FDP bei den letzten Landtagswahlen nicht profitieren konnte. Sie ist eben nicht das Original in Sachen Anti-Atomkraft. Andre Förster, per E-Mail Die Luxusprobleme der Grünen sind (noch) nicht die Probleme der SPD, die Verhinderung von Infrastruktur, Bahn-

SOMMER IN BERLIN DIE HAUPTSTADT VOM FAHRRADSATTEL Berlin ist immer eine Reise wert – im Sommer aber ganz besonders. Und da die Hauptstadt fahrradfreundlich ist, bietet der SPD-ReiseService vom 28. bis 31. Juli eine Erkundung per Drahtesel an. In drei Touren werden die verschiedenen Seiten Berlins erfahren. spd-reiseservice.de

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22 PARLAMENT

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● Ausgeglichene Leistungsbilanzen zwischen den EU-Staaten. ● Präzise Konsolidierungsprogramme: Sparmaßnahmen sind unverzichtbar, Investitionen aber notwendig, um die Konjunktur nicht abzuwürgen. ● Die Vereinheitlichung des sozialen Zusammenhalts: Dazu gehört ein flächendeckender Mindestlohn, Margen für Bildungs- und Forschungsaufgaben sowie ein wirkungsvoller Einsatz der Regional- und Strukturfonds. ● Ein Europäischer Stabilisierungsmechanismus (ESM): Der geplante Rettungsschirm muss parlamentarisch beschlossen und kontrolliert werden.

IM BLICKPUNKT

HOTELIERS STATT FAMILIEN Die FPD will das Elterngeld abschaffen. Dies zeige einmal mehr die unsoziale und familienfeindliche Haltung der FDP, sagt Caren Marks, familienpolitische Sprecherin der SPD-Bundestagsfraktion. Hoteliers und Banken liegen der FDP eben näher als die Familien. Für sie ist klar: „Das Elterngeld ist ein echtes Erfolgsmodell. Es hilft Familien dabei, im ersten Lebensjahr des Kindes ohne größere Einbußen finanziell über die Runden zu kommen.“ ■ GF

Kopflos: Angela Merkel hat zur Krise in Europa keine Linie und bleibt beliebig

DIE KANZLERIN VERSAGT EUROPA Es sucht nach Antworten auf die Krise – und die Kanzlerin flüchtet sich in Populismus. Fraktionsvize Axel Schäfer erläutert, was aus Sicht der SPD-Fraktion jetzt zu tun ist.

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s stimmt: Die EU steht vor den größten Herausforderungen seit 60 Jahren. Aber: Der Euro ist nicht instabil, im Gegenteil, im letzten Jahrzehnt gab es weniger Inflation als zu Zeiten der D-Mark. Klar ist: Wir brauchen umfassende Antworten auf die aktuelle Staatsfinanzierungskrise.

Was ist dafür erforderlich? ● Eine Finanztransaktionssteuer: Wer die Kosten der Krise verursacht hat, muss auch an ihrer Bewältigung beteiligt werden. ● Die Regulierung des Banken- und

Finanzmarkts: Eine angemessene Rekapitalisierung der Geldinstitute ist ein Erfordernis, die Möglichkeit einer geordneten Insolvenz ein anderes. ● Eine Europäische Ratingagentur und Europäische Währungsfonds: Die EU braucht eigene Instrumente zur internationalen Selbstbehauptung. ● Eine solide Haushalts- und Wirtschaftspolitik der Mitgliedsländer: Beide Bereiche müssen in der EU stärker überwacht und koordiniert werden. ● Abgestimmte nationale Steuerpolitiken: Es darf keinen schädlichen Dumpingwettbewerb mehr geben.

Der Bundestag wird nicht einbezogen Umschuldung mit Laufzeitverlängerung, Zinsverbilligungen, Aufstockung des EUHilfsfonds: Diese Fragen müssen für Griechenland und im Interesse der EU schnell beantwortet werden. Kanzlerin Merkel hat dazu keine Linie: Erst war sie gegen Hilfen, dann gegen dauerhafte Instrumente, mal drohte sie mit Stimmrechtsentzug in der EU, mal machte sie populistische Sprüche. In die Europapolitik wird der Bundestag nicht ausreichend einbezogen – selbst CDU-Politiker kritisieren dies öffentlich. Die SPD steht für Solidarität in Europa, das heißt offen und kritisch miteinander reden, gemeinsam in schwierigen Zeiten handeln. Das Versagen der Kanzlerin kommt die EU teuer zu stehen. Deutschland auch. ■

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Was wir gegenwärtig erleben, ist die fortschreitende Selbstauflösung einer NochRegierungspartei.

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Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionsvorsitzender über die Entwicklung der FDP

Letzter Jahrgang: Wehrpflichtige beim Staatsbürgerkunde-Unterricht

SPD GEGEN REINE BERUFSARMEE Bundesverteidigungsminister de Maizière hat die Eckpunkte der geplanten Bundeswehrreform vorgestellt. Damit habe er sich von der reformpolitischen Irrfahrt seines Vorgängers zu Guttenberg gelöst, sagt SPD-Verteidigungsexperte Rainer Arnold. Er begrüßt, dass die Reform nicht mehr ausschließlich nach Kassenlage erfolgt, sondern auch sicherheitspolitisch begründet wird. Nicht einverstanden ist Arnold mit de Maizières Freiwilligenmodell. Mit nur 5 000 Freiwilligen sei der Weg in eine reine Berufsarmee vorgezeichnet. „Dies entspricht nicht der sozialdemokratischen Vorstellung einer in der Gesellschaft verankerten Bundeswehr.“ ■ GF

Der verantwortliche Umgang mit den öffentlichen Angelegenheiten – Politik – verdirbt den Charakter, das ist allgemein bekannt. Gelten deshalb große politische Figuren unserer demokratischen Geschichte wie Friedrich Ebert oder Gustav Stresemann, Richard von Weizsäcker oder Willy Brandt als nichtswürdige Charaktermasken? Nein? Dann verdirbt also das bekanntermaßen „schmutzige Geschäft“ der Politik, nur den Charakter mancher Leute? So wird es sein. Apropos Geschäft: Auch Menschen, die im Wirtschaftsleben Verantwortung tragen, wirken auf Außenstehende manchmal ein bisschen – seltsam (Vorsicht: Reichtum macht unglücklich!). Oder Show-Stars, denen gelegentlich durchaus etwas Außerirdisches anhaftet („Hallo Aliens, bringt uns Elvis zurück!“). Sollten deshalb anständige Leute lieber ihre Hände in Unschuld waschen und die Finger von der Politik lassen, damit sie nicht „schmutzig“ und „verdorben“ werden? Ja? Okay, Aliens: Bringt uns unseren alten Kaiser Wilhelm wieder her! ■ H.P. B Der Autor Hans-Peter Bartels ist seit 1998 Mitglied des Bundestages. Weitere Beispiele zum Buchstaben C auf vorwärts.de/woerterbuch

FOTOS: DPA, STEFAN BONESS/VISUM, MATTHIAS LUEDECKE

Das Wörterbuch der Politikverdrossenheit Der »Charakter«


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WIRTSCHAFT 23

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Mit den Gewinnen der Ethikbank werden auch Schulprojekte in Entwicklungsländern gefördert.

FIRMENPORTRÄT ETHIKBANK

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GUT GEMACHT

WIDER DIE GIER Geldanlage Bei der Ethikbank zählt nicht der höchste Gewinn. In Firmen, die ihr Geld mit Tierversuchen, Waffenhandel oder Atomkraft verdienen, wird nicht investiert Von Yvonne Holl len oder vertreiben, Atomkraftwerke besitzen oder betreiben, Pflanzen oder Saatgut gentechnisch verändern, Kinderarbeit zulassen oder in denen es eklatante Bestechungs- oder Korruptionsfälle gab. Auch Staatsanleihen unterliegen diesen Kriterien – sodass die Ethikbank beispielsweise kein Geld in italienische Anleihen steckt, solange Silvio Berlusconi Ministerpräsident ist. Neues Ausschlusskriterium sind Tierversuche für Kosmetika. „Wir verändern unsere Liste nicht ständig, sie soll nicht beliebig werden. Aber das war ein Wunsch, der immer wieder an uns herangetragen und offenbar von vielen Kunden geteilt wird“, so

FIRMENSITZ: Eisenberg in Thüringen GEGRÜNDET: 2002 KUNDEN: 12 000 VERWALTETES GELD: zirka elf Millionen Euro

www.ethikbank.de

Du hast es in der Hand.

* (FSC® CO14047)

FOTO: ETHIKBANK

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an kann mit Geld unheimlich viel ausrichten – aber auch viel anrichten.“ Mit dieser Einsicht wirbt die Ethikbank um Kunden. 2002 als Zweig der Volksbank Eisenberg in Thüringen gegründet, hat das Geldinstitut sich strenge ethische und ökologische Kriterien auferlegt. Drei Merkmale sollen die Bank besonders machen: ihre Anlagekriterien, größtmögliche Transparenz und die Förderung sozialer und umweltpolitischer Projekte mit einem Teil des Bankengewinns. Die Ethikbank vergibt keine Kredite und kauft keine Aktien oder Anleihen von Unternehmen, die Militärwaffen herstel-

GESCHÄFTSFELD: ethisch-ökologische Girokonten, Geldanlagen und Kredite

Sylke Schröder, Gründerin und Vorstandsmitglied der Ethikbank. Die Ethikbank ist eine Direktbank ohne Fillialen, der Kundenkontakt findet telefonisch oder per Internet statt. Alle Firmen, in die die Bank investieren möchte, werden von sogenannten Ethik-Research-Agenturen auf Herz und Nieren überprüft. Alle Bankinvestitionen werden veröffentlicht, so kann jeder Kunde recherchieren. „2007 wurden wir von einem Kunden darauf hingewiesen, dass die Allianz, in die wir bis dahin investiert hatten, eine Minderheitsbeteiligung von 0,75 Prozent an einem Rüstungskonzern hielt“, berichtet Schröder. Die Eisenberger starteten eine Kundenbefragung: 61 Prozent votierten für eine Abkehr von dem Versicherungskonzern. „Also haben wir sofort unsere drei Allianzanleihen verkauft und nicht mehr im Portfolio“, schildert Schröder, wie direkt EthikbankKunden Einfluss nehmen können. Auf der Negativliste des Geldinstituts stehen viele weitere große Namen: unter anderen Adidas und Beiersdorf wegen Tierversuchen, die Commerzbank und Daimler wegen Militärwaffen, RWE wegen Atomkraft. „Natürlich ist unsere Auswahl für Anlagen geringer als bei anderen Banken“, sagt Schröder. Von den 80 Dax-notierten Unternehmen entsprechen 20 bis 25 den Kriterien der Ethikbank. Die Kunden der Ethikbank nehmen das aber hin. Und auch wenn ihre Zahl von 12 000 im Vergleich zu Großbanken verschwindend wirkt: Insbesondere seit der Finanzkrise und seitdem viele Banken als gierig verschrieen sind, hat das kleine Institut vermehrt Zulauf. ■

Tetra Pak-Getränkekartons gehören zu den umweltverträglichsten Getränkeverpackungen. Denn sie bestehen überwiegend aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Und der stammt in steigendem Anteil aus vom Forest Stewardship Council® (FSC)* zertifizierten Nutzwäldern und anderen kontrollierten Herkünften. Nur einer von vielen Gründen, weshalb Tetra Pak-Getränkekartons schon heute zukunftsweisend sind. tetrapak.de


24 WIRTSCHAFT

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WOHNGLÜCK STATT SOZIALRUINE SIEDLUNGSBAU Aufwändige Sanierungen, Mietnachlässe für Familien und Freizeitangebote für Senioren können aus maroden Siedlungen beliebte Wohnquartiere machen Von Gisela Sonnenburg

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chon der Name der Gegend war einst berüchtigt: „Tenever“, Teil von Osterholz-Tenever am östlichen Stadtrand von Bremen, galt als fast hoffnungsloser Fall. In den 70er Jahren hatte man eine Hochhausanlage hingeklotzt, die mit ihrer futuristischen Form mehr den damaligen „Fortschritt“ demonstrieren sollte, als dass komfortables Wohnen möglich war. So waren die Wohnungen im Sommer zu heiß und im Winter zugig. Mit den Jahren verlor sich das bisschen Charme der Pop-Ära restlos; ein hoher Migranten- und ArmenAnteil tat ein Übriges. Als Spekulationsobjekt wurde das Quartier verkauft und weiter verkauft. Bald standen viele Wohnungen leer, die Anlage verdreckte, war

quasi komplett mit Graffiti überzogen. In den Wohnungen wuchs Schimmel und Klos funktionierten nicht. 2003 wurde Tenever zwangsversteigert, den Zuschlag erhielt die Aktiengesellschaft Wohnen und Bauen (GEWOBA). Ein aufwändiger Teilabriss und Teilneubau, eine grundlegende Sanierung und eine Planung von Infrastruktur begannen – und zwar, das ist das Besondere an diesem Modell, unter Einbezug der Bewohner.

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ten, als die Fassaden bröckelten. Das half: Heute gibt es in Tenever fünf Kitas, einen Kinderbauernhof und ein Mütterzentrum. Außerdem Geschäfte, Vereine und kleine Zentren für die Bewohner, die aus 90 verschiedenen Nationen kommen. Für die 1400 Wohnungen – alle vermietet – gibt es Wartelisten, keine Leerstände. Und allmonatlich wird bei der Stadtteilgruppensitzung besprochen, was anliegt. „Für diese Steigerung von Lebensqualität mussten 930 Wohnungen zurückgebaut werden. Aber die waren so unwirtlich, dass viele leer standen“, sagt Petra Kurzhöfer von der GEWOBA, die jeden siebenten Bremer Bürger zum Mieter hat. 72 Millionen Euro wurden in Tenever investiert, als Modellvorhaben des Bundes wurde die Sache großzügig gefördert. Kurzhöfer, für Stadt- und Quartiersentwicklung zuständig, weiß, dass ein so gutes Gelingen nicht immer selbstverständlich ist. Dennoch sieht sie die Notwendigkeit für solche Projekte: „Der Markt regelt nicht alles.“

Wartelisten anstelle Leerstand Joachim Barloschky (59) lebte damals mit Frau und drei Kindern schon lange in Tenever. Und war einer von denen, die den Mund aufmachten und protestier-

Die »Münchner Mischung« Auch in München gibt es Wege zum Wohnglück für viele. Dietmar Bock, Geschäftsführer der Gemeinnützigen

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Inklusivleistungen: 7 Übernachtungen im Einzel- oder Doppelzimmer 7 x Frühstücksbüffett, davon 1 x Frühstück ans Bett 7 x Abendessen (3 Gang-Menü) kostenlose Nutzung von Hallenbad und Sauna im Hotel (Bademäntel und Saunatücher stellt Ihnen das Hotel kostenlos zur Verfügung) 5 x wöchentlich geführte Themenwanderung freie Teilnahme an Kulturveranstaltungen in Bodenmais freie Teilnahme am bärenstarken Naturerlebnisclub für Kinder von 4 bis 14 Jahren (außer Sa. und So, während aller Schulferien in Deutschland pro Buchung einen von Hand gravierten Bierkrug der Firma JOSKA mit individueller Namensgravur Welcome Empfang mit Umtrunk im „Alten Rathaus“ (Mo, 10 Uhr) BayerwaldCard Bodenmais (Ermäßigungen in über 500 Freizeiteinrichtungen, Restaurants und Geschäften für die Dauer Ihres Aufenthaltes)

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FOTOS: GEWOBA BREMEN, GWG MÜNCHEN

Bremen Osterholz-Tenever: Problemkiez wurde Vorzeigeobjekt


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WIRTSCHAFT 25

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Wohnstätten- und Siedlungsgesellschaft mbH (GWG), kann vermelden, dass sich die Siedlung Hasenbergl von einer Sozialruine aus den 60er Jahren zum Musterprojekt mauserte. Durch Sanierung und Umgestaltung. „Wir arbeiten mit der Stadt zusammen. Wenn die feststellt, dass man was machen muss, werden wir tätig“, sagt Bock. Er selbst – Jahrgang 1950 – wuchs in einem kleinbürgerlichen Berliner Hinterhof auf, beengt und unbequem. „Mein Anliegen ist seither, die Versorgung der Menschen mit angemessenem Wohnraum durchzusetzen“, sagt er mit fast missionarischem Eifer. Und tatsächlich: Entsprechend den aktuellen Vorgaben rüstet Bocks Firma Häuser in energetischer wie lebensbezogener Hinsicht auf. Wärmedämmung, Lüftungsanlagen, Energieeffizienz, Parkbegrünungen – viele Gebiete werden da bearbeitet. „Vitalisierung“ nennt sich das, „vita“ ist lateinisch und heißt „Leben“. In der bayerischen Hauptstadt kommt das Ziel einer „Münchner Mi-

schung“ hinzu: Man möchte alle sozialen Schichten in einem Viertel sehen, sogar im Nobel-Bezirk Bogenhausen. „Wir wollen der Ghetto-Bildung bewusst entgegenwirken“, sagt Bock. Familien werden von der GWG zudem mit 50 Cent Mietnachlass pro Kind und Quadratmeter Wohnraum entlastet. Mieten von fünf Euro kalt pro Quadratmeter sind keine Seltenheit; rund 40 000 Menschen sind Mieter bei der GWG. Eine Besonderheit wird das „Passivhaus“ mit 13 Wohnungen. Ohne Heizung soll es die Raumtemperatur von über 20 Grad Celsius halten; allerdings muss man nach starkem Lüften im Winter einen Tag warten, bis der Raum wieder warm ist. Ein Öko-Experiment. Aber die Bereitschaft dazu ist vorhanden. Häufiger sind allerdings die „normalen“ Geringverdiener, die auf den geförderten Wohnungsbau angewiesen sind. Bock: „Wenn Menschen, die vorher für eine Drei-Zimmer-Wohnung ohne Bad mit Kohleofen fünf Euro pro Quadratmeter zahlten, dann genauso viel für eine

Familiengerechtes Wohnen bei der GWG: Echardinger Straße in München

größere Wohnung mit Aufzug, Zentralheizung und Badewanne zahlen, ist das ein Erfolg.“ Vorsitzender des Aufsichtsrats der GWG ist Münchens langjähriger Oberbürgermeister Christian Ude. Der SPD-Politiker ist überzeugt von der wichtigen Funktion der Wohnungsbaugesellschaft in den Stadtquartieren: „In enger Zusammenarbeit mit der Stadt und Sozialträgern übernimmt die GWG Verantwortung für funktionierende Nachbarschaften und sorgt so für die Sicherung des sozialen Friedens."

Bezahlbarer Wohnraum für viele Im Osten Deutschlands ist es dagegen nicht immer so rosig. Dresden etwa verkaufte seine kommunalen Wohnungsgesellschaften. Und gab damit den Markt der Spekulation preis. Leipzig hingegen, die zweite sächsische Metropole, hat darauf geachtet, eine soziale Wohnpolitik zu ermöglichen. Die Leipziger Wohnungs- und Baugesellschaft mbH (LWB) sorgt mit 513 Angestellten dafür, dass breiten Schichten bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht. Die Zunahme der Zahl alter Menschen ist dabei ein Problem, das man nicht nur in Leipzig zu bewältigen hat. „Wir wollen Älteren helfen, möglichst lange in ihren Wohnungen zu leben. Zumal sich nicht alle eine Seniorenresidenz leisten können oder wollen“, sagt Gregor Hoffmann, Sprecher der LWB. Beispielhaft ist das WintergartenHochhaus nahe dem Leipziger Hauptbahnhof. Nach der Sanierung zogen hier Dienstleister und Vereine ein, die alten Menschen nützlich sind. Nicht nur mit Pflege und gesundheitlicher Versorgung, sondern auch mit Sport und Freizeitangeboten. ■

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Mein Anliegen ist, die Versorgung der Menschen mit angemessenem Wohnraum durchzusetzen.

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Dietmar Bock, GWG

Du hast es in der Hand. Tetra Pak-Getränkekartons gehören zu den umweltverträglichsten Getränkeverpackungen. Denn sie sind nach Gebrauch vielseitig verwertbar: als Rohstoff und als Energieträger in einer Vielzahl von Industrien. Das spart Ressourcen – und jährlich zehntausende Tonnen CO² -Emissionen. Das sind nur einige von vielen Gründen, weshalb Tetra Pak-Getränkekartons schon heute zukunftsweisend sind. tetrapak.de


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PFLEGE IM MINUTENTAKT »Ich will mit den Men-

schen auch reden, ihnen mal die Hand halten.« Ich bin gelernte Kinderpflegerin. Vor ein paar Jahren wechselte ich in den ambulanten Pflegedienst. Erst war ich unsicher, ob mir das gefällt. Doch jetzt fühle ich mich als Altenpflegehelferin wohl, zumal die Arbeit mit alten Menschen nicht so anders ist als die mit Kindern. Die Kontakte sind sehr intensiv. Viele freuen sich, wenn ich komme. Dann plaudern wir, während ich arbeite. Ich stehe um 5 Uhr auf, mache Frühstück für meine Familie und lege die Kleider für die Kinder raus. Den Rest macht mein Mann. Denn ich muss los, damit ich um 6.30 Uhr im Büro bin. Dort schaue ich auf den Tagestourenplan, packe Schlüssel, Medikamente und was ich sonst noch brauche ein und fahre los. Pro Tag habe ich 13 bis 17 sehr unterschied-

ALTENPFLEGEHELFERIN OXANA WOLLSTEIN 28 Jahre, lebt im bayerischen Unterschleißheim Ausbildung Status Gehalt Arbeitszeit

zwei Jahre zur Kinderpflegerin angestellt als Altenpflegehelferin nach Tarif ca. 1650 Euro brutto plus ca. 100 Euro Zulagen 38,5 Stunden nach Haustarif

liche Klienten. Die einen leben mit Angehörigen im Einfamilienhaus, die anderen allein in einer Einzimmer-Sozialwohnung. Manche sind geistig voll da, aber gebrechlich, andere dement, aber

körperlich fit. Dazwischen gibt es alles. Genauso unterschiedlich sind dann auch meine Aufgaben. Bei manchen gebe ich nur Medikamente oder kontrolliere Puls und Blutdruck, bei anderen

fallen Hauswirtschaftstätigkeiten, Körper- oder Krankenpflege an. Am intensivsten ist die Betreuung bei bettlägerigen Menschen, deren Windeln gewechselt, die gewaschen und umgezogen werden müssen. Ganz schön knapp sind die gesetzlichen Vorgaben: 25 Minuten zum Duschen, neun Minuten zum Einkaufen, zwei Minuten zur Medikamentengabe. Das geht oft gar nicht, ich will ja mit den Menschen auch reden, ihnen mal die Hand streicheln und ihnen das Gefühl vermitteln, dass ich für sie da bin. Dafür bekomme ich dann auch ein Lächeln oder einfach nur einen leuchtenden Blick so voller Freude, das kann man nur schwer beschreiben. Natürlich freut sich nicht jeder, wenn ich komme. Ich betreue ja Menschen, und die fühlen sich manchmal bevormundet. Aber eine negative Rückmeldung darf man nicht persönlich nehmen. Ganz hart ist es, wenn ein Klient stirbt. Das stecke ich nicht so einfach weg. So gegen 14.30 Uhr bin ich zurück im Büro. Ich fülle die Pflegeberichte aus und mache die Übergabe. Um 15 Uhr fahre ich nach Hause. ■ Aufgezeichnet von Thomas Horsmann www.vorwärts.de/meinearbeit

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Bildredakteur/-in Aufgabenbereiche: Aufbau und Pflege eines Fotoarchivs. Bildauswahl und Fotobearbeitung im Rahmen eines digitalen Workflows, welche die Erstellung sowohl von Druckvorlagen, als auch von html-basierten Webauftritten und Apps erlaubt. Kenntnisse: Verhandlung mit Fotografen/-innen sowie Agenturen. Umgang mit Redaktionssystemen und den Layoutprogrammen InDesign und QuarkXPress. Fotografie, Fotobearbeitung für Zeitungen und Magazine. Kenntnisse von redaktionellen Abläufen. Bewerbungen mit Lebenslauf bitte an: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH Herr Guido Schmitz Stresemannstraße 30,10963 Berlin. www.vorwärts.de

FOTO: THOMAS HORSMANN

MEINE ARBEIT


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TEN D E B AT

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ENTEIGNET, GERAUBT, VERSCHACHERT NS-KUNSTHANDEL Die Schau »Gute Geschäfte« erzählt von der Hehlerei mit jüdischem Besitz und seiner längst fälligen Rückgabe Von Birgit Güll

Wie die Aasgeier: Gedränge vor dem Berliner Auktionshaus Hans W. Lange, um ein Stück aus dem Eigentum der vertriebenen jüdischen Nachbarn zu ergattern.

FOTO: PRIVAT

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as Berlin der 1920er Jahre war ein Zentrum der künstlerischen Moderne. Das änderte sich mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten. „Der einst florierende deutsche Kunsthandel, in dem viele jüdische Händler tätig waren, existierte durch die antijüdische Gesetzgebung binnen weniger Jahre nicht mehr“, heißt es im Katalog zur Ausstellung „Gute Geschäfte“. Anhand von 14 Berliner Kunsthandlungen und Auktionshäusern zeigt das Aktive Museum die Auswirkungen nationalsozialistischer Kulturpolitik. Im

»GUTE GESCHÄFTE« Eine Ausstellung des »Aktiven Museums« und des Centrum Judaicum in den historischen Räumen der Neuen Synagoge. Centrum Judaicum Oranienburger Straße 28-30 10117 Berlin noch bis 31. Juli aktives-museum.de cjudaicum.de

Berliner Centrum Judaicum ist zu sehen, was eine Arbeitsgruppe zusammengetragen hat. Schautafeln erzählen von Schicksalen. Etwa von jenem des Galeristen Alfred Flechtheim, als Jude und Förderer Moderner Kunst verfemt und ins Exil getrieben. Seine Frau Betti konnte die hohe „Reichsfluchtsteuer“ nicht aufbringen und nahm sich 1941, am Abend vor ihrer geplanten Deportation, das Leben. Je mehr Juden fliehen mussten, desto stärker florierten die Geschäfte der Auktionshäuser. Sie versteigerten komplette Einrichtungen, nicht selten direkt in den verlassenen Wohnungen. Exemplarisch für jene, die sich an der Not der Juden bereicherten, steht Leo Spik mit seinem Auktionshaus „Union“. Als Profiteur der „Arisierung“ und NSDAP-Mitglied stellte er 1946 Antrag auf Entnazifizierung. 1947 nahm er sein Geschäft unter dem Firmennamen „Leo Spik Kunstversteigerungen“ wieder auf, unter dem es bis heute existiert. 1965 erhielt Spik das Bundesverdienstkreuz für Verdienste um das deutsche Auktionswesen. Die Nationalsozialisten beschlagnahmten 1937 die Bestände moderner Kunst aus mehr als hundert Museen in ganz Deutschland. Ein Teil davon wurde auf der Femeschau „Entartete Kunst“ gezeigt. Als „verwertbar“ Eingestuftes sollte gegen Devisen ins Ausland verkauft, der Rest vernichtet werden. Mit dem Verkauf betraute das NS-Regime vier Händler. Sie profitierten von dessen Geschäften. Gleichzeitig gelangte auf diesem Weg bedeutende Kunst der Moderne ins Ausland und damit in Sicherheit. Hitler plante in der österreichischen Stadt Linz ein gigantisches „Führermuseum“. 1939 wurden Kunstverständige

mit dem Aufbau der Sammlung betraut. Ein Großteil der angekauften, enteigneten oder geraubten Werke lagerte in einem stillgelegten Salzbergwerk bei Altaussee.

Abgepresste Kunst zurückgeben Die materialreiche Schau stellt nicht nur die doppeldeutig gemeinten „Guten Geschäfte“ vor, zeigt Helden und Hehler, Janusköpfe und Opportunisten. Sie beschäftigt sich auch mit den Auswirkungen der NS-Kunstpolitik auf die Gegenwart. So übernahm die Bundesrepublik 1949 die Aufgabe, die Eigentümer der in Altaussee eingelagerten Kunst ausfindig zu machen. 1962 stellte sie die aufwändige Provenienzforschung und Rückgabe ein. Bis heute ist etwa die Hälfte der eingelagerten Werke als Dauerleihgabe in deutschen Museen. Erst 1998 verpflichtete sich Deutschland in der „Washingtoner Erklärung“ dazu, die Restitution fortzusetzen. Eine Herzensangelegenheit ist sie aber noch nicht. Die Kuratorin der Schau, Christina FischerDefoy, macht das in einem Interview mit dem „Deutschlandradio“ deutlich: Angefragte Museen hätten kein Interesse gehabt, die Schau in ihren Räumen zu haben. Schließlich sollte kein öffentliches Interesse darauf gelenkt werden, dass auch sie etwas zurückzugeben hätten. Im Centrum Judaicum ist die Ausstellung nun zu sehen. „Gute Geschäfte“ leistet einen Beitrag dazu, die Dimension der Auslöschung des kulturellen Reichtums durch die Nationalsozialisten deutlich zu machen. Und sie mahnt an, geraubte und enteignete Kunst zurückzugeben. „Dass Institutionen sich dem lautstark oder leise verweigern, erschüttert mich“, sagt Fischer-Defoy. ■

Du hast es in der Hand. Tetra Pak-Getränkekartons gehören zu den umweltverträglichsten Getränkeverpackungen. Denn sie stecken voller guter Ideen, die unsere Umwelt schonen: von der Verwendung des nachwachsenden Rohstoffs Holz über vollständiges Recycling bis hin zu kontinuierlicher CO²-Reduktion. Das sind nur einige von vielen Gründen, weshalb Tetra Pak-Getränkekartons schon heute zukunftsweisend sind. tetrapak.de


28 KULTUR

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VERFÜHRUNG IM SPITZENSCHUH TANZ UND BALLETT Es ist eine Kunst der Jugend. Doch was machen Tänzer, wenn sie in die Jahre kommen? Von Gisela Sonnenburg, Fotografie Maria-Helena Buckley

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allerinen sagen, ihr Beruf sei der schönste der Welt. Das Tanzen beschert Glücksgefühle – dem eigenen Körper wie dem Publikum. Aber Ballett ist, mit Schnelligkeit und Sprungkraft, Anmut und Artistik, eine Kunst der Jugend: Ab 30 lässt der Körper langsam nach. Die Probleme von Älteren auf dem Arbeitsmarkt treffen Tänzer hart und besonders früh. Spätestens mit 40 Jahren trainieren die meisten ab, müssen sich auf ein neues Leben einrichten. Aber wie? „Man sollte früh beginnen, sich auf den Berufswechsel einzustellen“, sagt Stefan Moser, 44. Er ist Tänzer und Personalratsvorsitzender der Bayerischen Staatsoper in München. Und: Er ist im Kuratorium einer neuartigen Stiftung. „TANZ – Transition Zentrum Deutschland“ hat seit Herbst letzten Jahres von Berlin aus rund 50 Ratsuchenden aus der bundesweiten Ballettwelt Tipps gege-

ben. Bei Behördengängen. Welche Ansprüche es gibt. Ist eine Umschulung angesagt oder eine Existenzgründung? Weiß ein Ballerino, in welche Richtung er gehen will oder muss erstmal ein Profil erstellt werden? Stefan Moser sorgte selbst vor. Er war stets gewerkschaftlich engagiert. Zudem absolvierte er eine Schulung zum Choreologen, kann also Bewegungspartituren erstellen. Bei Bedarf kann er in diesen Job wechseln. Heike Scharpff, früher Regisseurin, ist die einzige Beraterin der Stiftung. Aber sie kann Perspektiven aufzeigen, auf Deutsch und Englisch. Mit wie viel Erfolg, meint sie, könne sie noch nicht sagen. Die meisten Tänzer sind süchtig nach ihrem Beruf. Sie wählen ihn, wenn sie noch Kinder sind. Wie Leistungssportler trainieren sie bis zur Grenze der Belastbarkeit, bestehen einen internationalen

Maria-Helena Buckley: früher gefeierte BallettSolistin, heute begehrte Fotografin

Konkurrenzkampf. Sie haben aber – anders als Sportler – kaum ein soziales Netz, das sie im Notfall auffängt. Die Renten sind eher gering. Dabei ist die Unfallgefahr hoch, Invalidität eine stete Gefahr. Gruppentänzer bekommen nur Jahres- oder Zweijahresverträge und „tingeln“ mehr durch ihre beste Lebenszeit, als dass sie sich an einem Theater entwickeln könnten. Stefan Moser hat darum eine Vision: Er möchte, dass schon Jungtänzer sich Gedanken über ihre zweite Lebenshälfte machen: „Es kann sein, dass jemand ein technisches Talent hat. Oder naturwissenschaftliches Interesse. Oder kaufmännisches Geschick.“ Wer sich früh ausprobiert und nebenbei weiterbildet, so Moser, fällt weniger hart, wenn es heißt: „Ihr Vertrag wird nicht verlängert.“ Noch bevorzugen verunglückte oder gealterte Tänzer Theaterjobs. Choreograph,

FOTOS (KLEIN): THILO MÖSSNER, STEFAN KLETZSCH

Balletttanzen erfordert hartes Training: die 5. Position. Proben zu „Caravaggio“: Vladimir Malakhov, Shoko Nakamura und Michael Banzhaf vom Staatsballett Berlin (v.l.)


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Ballettmeister oder Lehrer können aber nicht alle werden, und beim Besucherdienst oder als Pförtner finden Körperkünstler selten ihr Glück. Besser gelingt ihnen persönliche Entfaltung als Sozialarbeiter, Pilot oder Orthopäde. Dafür gibt es Beispiele. Aber ein Studium ist teuer und nicht immer machbar.

Die ehemalige Hamburger Startänzerin Heather Jurgensen kann da Einiges erzählen. Ihr Versuch mit einem Delikatessengeschäft scheiterte. Die einst gefeierte Verführerin im Spitzenschuh erlitt viel Kummer, bis man ihr einen Posten antrug, der sogar einen gesellschaftlichen Aufstieg mit sich brachte: Im September wird sie mit ihrem Mann die Ballettdirektion in Kiel übernehmen. Tatsächlich gibt es immer wieder auch Schicksale, die Mut machen. MariaHelena Buckley etwa, die einst als Solistin in Berlin tanzte und heute in Paris lebt. Sie fand während ihres inneren Abschieds von der Bühne zur neuen Lebensaufgabe: Sie wurde eine begehrte Fotografin, vor allem für Ballett. Die strikte Disziplin und hohe Einsatzbereitschaft, die sie vom Tanz her kennt, helfen ihr im neuen Beruf, sagt sie. Teamgeist und Konzentrationsfähigkeit werden Tänzern ohnehin nachgesagt. Aber: Aktive Tänzer leiden an chronischem Zeitmangel. Morgens haben sie Training, danach Proben, abends Vorstellung oder weitere Proben. Die Wochenenden und Festtage sind oft gefüllt mit Arbeit, die Ferien mit Workshops oder Gastauftritten. An die Zukunft denken diese Tanzbegeisterten kaum, an gewerkschaftliches Engagement noch weniger. Streik für eine angemessene Altersabsicherung käme ohnehin nicht infrage, denn Tänzer wollen täglich trainieren, sonst verlieren sie ihre Kondition.

TANZFILM-TIPP

ROMANTISCH, CLOWNESK, KLASSISCH Auf der Bühne geht oft alles so schnell: Tüllröcke fliegen vorbei, graziös trippeln Füße an der Rampe entlang. Und dann soll man noch die Handlung verstehen oder die psychologische Entwicklung der Figuren. Da sind DVDs von hochkarätigen Aufführungen gut, sich dem Thema Ballett zu nähern. Man kann stoppen oder auf Zeitlupe schalten. Die Autorin Gisela Sonnenburg empfiehlt: „Schwanensee“, „Don Quichot“, „Caravaggio“ und die „Dancers Dream Box“ mit Megastar Rudolf Nurejew (alle Arthaus Musik). www.vorwärts.de/ballett

Stefan Moser: Tänzer und Personalratsvorsitzender der Bayerischen Staatsoper Stiftung TANZ – Transition Zentrum Deutschland Kollwitzstraße 64 10435 Berlin Tel. 030 / 978 68 346 www.stiftung-tanz.com

Ballerina Antonietta Dell’Era-Marsop, aus welchem seit 2004 in Not geratene Tänzerinnen unterstützt wurden. Spenden und Benefiz-Galas füllen die Kasse der Stiftung – die dennoch kein Allheilmittel sein kann. Rechtzeitige Vorbereitung ist die einzige Chance. Die „Tänzerrente“, die in der DDR alle erhielten, die 15 Jahre lang den Beruf ausgeübt und das 35. Lebensjahr erreicht hatten, wird wohl nicht wieder kommen. Aber vielleicht sollten Tänzer generell einen Tag in der Woche probenund vorstellungsfrei haben, um sich nach dem morgendlichen Training fortzubilden. Sonst sind Tänzer doppelt bestraft: Sie verlieren ihren erlernten Beruf, ohne eine Alternative zu haben. ■ ANZEIGE

gürtlerbachmann

Schicksale, die Mut machen

Stefan Moser weiß: „Es ist schwer, jungen Tanzbesessenen klarzumachen, dass sie sich beizeiten mit etwas völlig anderem beschäftigen sollten.“ Früher war das sogar tabuisiert; seit Hartz IV ändert sich hier etwas. Zu deutlich stehen jetzt die Gefahren vom Abrutschen in Armut und Depression, auch in Alkoholismus oder in die Psychiatrie vor Augen. Dass bereits im letzten Jahrhundert darüber nachgedacht wurde, wie hart Tänzer das Altern trifft, zeigt die Dell’Era-Gedächtnis-Stiftung. Sie hilft ehemaligen bedürftigen Tänzern der Berliner Staatstheater mit Zahlungen für Fortbildung, medizinische Kosten oder Rentenergänzung. Die Grundlage bildet das Vermögen der verstorbenen

„Wie wertvoll sind 100 Jahre Markenführung?“ MARION LOOS & PATRICIA SUNG Marketing Manager bei Reemtsma

Wir bei Reemtsma sind stolz auf 100 Jahre verantwortungsbewusste und erfolgreiche Markenführung. Als einer der Pioniere des modernen Marketings besitzen wir langjährige Erfahrung im Umgang mit Marken und Produkten. Berühmte Markentechniker wie Hans Domizlaff haben bei Reemtsma den Grundstein gelegt. Erfahrungen, die uns bis heute erfolgreich machen. Ob Packungsdesign, Produktentwicklung oder Werbebotschaft – die Kraft der Marken ist die Quelle unserer langjährigen Unternehmensgeschichte. w w w. r e e m t s m a . d e

WER TE LEBEN. WER TE SCHAFFEN.


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vorwärts.de Rezensionen DIE FAVORITEN MIT DEN MEISTEN »KLICKS« Christian Ude

MEIN PINSELOHRSCHWEIN und andere große Tiere

Piper, München 2011, 204 Seiten, 14,95 Euro, ISBN 978-3-492-05449-2

HEILE WELTEN Rechter Alltag in Deutschland

Carl Hanser Verlag, München 2011, 224 Seiten, 15,90 Euro, ISBN 978-3-446-23578-6 Jan Karski

MEIN BERICHT AN DIE WELT Geschichte eines Staates im Untergrund

übersetzt von Franka Reinhart und Ursel Schäfer, Verlag Antje Kunstmann, München 2011, 624 Seiten, 28 Euro, ISBN 978-3-88897-705-3 Lauren Grodstein

DIE FREUNDIN MEINES SOHNES übersetzt von Silvia Morawetz, Klett-Cotta Verlag, Stuttgart 2011, 350 Seiten, 21, 95 Euro, ISBN 978-3-608-93896-8

MEIN KULTUR-TIPP Klaus Wowereit, Regierender Bürgermeister von Berlin

EINE FRAGE DES GLAUBENS

IM NACHKRIEGS-WIEN

Als Staatsmann geschätzt, als moralische Instanz geachtet: Helmut Schmidt mischt sich ein. Sein aktuelles Buch „Religion in der Verantwortung“ ist ein Beitrag zur Debatte um religiös motivierte Gewalt. Die gesammelten Reden sind zum größten Teil erstmals abgedruckt. „Wer über seinen Glauben spricht, der spricht über sich selbst“, schreibt Helmut Schmidt und mahnt zur Toleranz. Schließlich hätten alle Religionen die gleiche goldene Regel „Du sollst nur so handeln, wie du selbst behandelt werden möchtest.“ Eindringlich fordert er die religiösen Führer auf, „ihrer Verantwortung für den Frieden gerecht zu werden und aufeinander zuzugehen.“ Ein Buch, geprägt von Schmidts Bereitschaft zum Dialog. Und von politischen Einsichten: „Gegenseitiger Respekt und der Wille zur Kooperation: Dies sind die wichtigsten Maximen für die Weltpolitik im 21. Jahrhundert.“ ■ BG

Dr. Hans Floriani, Oberlandesgerichtsrat, seine Frau Vilma, die beiden rotzfrechen Kinder und Onkel Guido, „ein Trottel, der auf den Hitler hereingefallen ist“. Das ist im Kern die Familie Floriani, im Nachkriegs-Österreich populär wie keine zweite. Wöchentlich lief das Hörspiel „Die Radiofamilie“ im amerikanischen Besatzungssender Rot-Weiß-Rot (RWR). Bei diesem arbeitete zwischen 1951 und 1953 Ingeborg Bachmann und verfasste Manuskripte für die beliebte Sendung. Lange galten sie als verschollen, jetzt sind sie erstmals publiziert. Der Schriftstellerin Bachmann sicherte die Arbeit beim RWR ihre materielle Existenz im Nachkriegs-Wien. Das Selbstverständnis als Dichterin entwickelte sich erst. So sind die Hörspiele weniger Teil ihres Werks, als Teil ihrer Biografie. Ein amüsanter allerdings. Und ein Einblick in das Österreich der Nachkriegszeit, das den Mythos als Opfer Hitlers so gerne pflegte. ■ BG

Helmut Schmidt RELIGION IN DER VERANTWORTUNG Gefährdungen des Friedens im Zeitalter der Globalisierung. Propyläen, Berlin 2011, 250 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-549-07409-1

Ingeborg Bachmann DIE RADIOFAMILIE Herausgegeben von Joseph McVeigh, Suhrkamp, Berlin 2011 , 411 Seiten, 24,90 Euro, ISBN 978-3-518-42215-1

HAPPY BIRTHDAY: CLASSIC OPEN AIR AM GENDARMENMARKT 20 Jahre ist es her, als Festivalgründer Gerhard Kämpfe sich anschickte, in der Mitte der Stadt ein besonderes Ereignis zum Leben zu erwecken: Das Classic Open Air. Inzwischen ist es eine feste Institution und ein sommerliches Highlight der Musikstadt Berlin geworden. Herzlichen Glückwunsch zu diesem großen Erfolg! Es ist aber auch etwas ganz Besonderes: Mit inzwischen über 100 Konzertveranstaltungen hat sich das Classic Open Air und damit auch der Gendarmenmarkt in die Herzen der Besucherinnen und Besucher „gespielt“ und genießt eine hohe Wertschätzung bei den Künstlerinnen und Künstlern. Klassische Musik auf höchstem Niveau, architektonisch umrahmt von einem Ensemble geschichtsträchtiger Gebäude. Berlin zeigt sich hier mal wieder von der besten Seite. Millionen von Menschen kommen jedes Jahr hierher, um sich

Musik in lauer Sommernacht: Vom 7. bis 12. Juli findet das 20. Classic Open Air statt.

von unserem kulturellen Angebot begeistern zu lassen. Das Festival im Berliner Sommer mit seiner einzigartigen Ausstrahlung ist eine faszinierende Ergänzung zu den vielen hervorragenden Kulturinstitutionen in unmittelbarer Nachbarschaft und zu der Vielfalt nichtinstitutionalisierter künstlerischer Aktivitäten. Wie sagte schon Kurt Tucholsky: „Kultur ist für Berlin kein Luxus, sondern ein Lebensmittel“. Das stimmt in vielerlei Hinsicht: Ein vielfältiges Kulturangebot ist für jeden Menschen eine Bereicherung. Kultur ist für unsere Stadt aber auch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor. Das Festival ist auch ein Beweis dafür, wie lebendig diese Stadt ist, in der kreative Ideen mit professionellem Handling innerhalb kürzester Zeit zu einer Institu-

tion werden können. Diese Kreativität, dieser Ideenreichtum und diese Innovationskraft sind es, die Berlin weltweit so attraktiv machen und von elementarer Bedeutung für die kulturelle und touristische Weiterentwicklung des boomenden Berlins sind. Berlin freut sich, dieses Festival vom 7. bis 12. Juli präsentieren zu können. Gehen Sie hin, lassen Sie sich verzaubern von einem Musikfestival an lauen Sommerabenden auf einem der schönsten Plätze der Stadt: Unserem Gendarmenmarkt. ■

ZU GEWINNEN! 2 x das von Klaus Wowereit signierte Buch „Ich wär' gern einer von uns. Geschichten übers Ein- und Aufsteigen« E-Mail an: redaktion@vorwaerts.de Stichwort : „Wowereit“ Einsendeschluss: 17. Juni 2011 HERZLICHEN GLÜCKWUNSCH! Zu gewinnen war 2 x das Buch „Angekommen – Eine neue Heimat in Peine“ aus dem Rotation Verlag Die Gewinner sind: Karl Ernst Forisch, 50354 Hürth Marita Sommer, 71397 Leutenbach

FOTOS: DIRK BLEICKER (3), VARIOIMAGES

Astrid Geisler / Christoph Schultheis


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SENSATION IM WASSERWERK VOR 20 JAHREN Der Deutsche Bundestag stimmt – gegen alle Erwartungen – für Berlin als Sitz von Parlament und Regierung Von Lars Haferkamp te Schlacht geführt, quer durch alle Parteien: Bonn oder Berlin? Weil es in keiner Partei Einigkeit gibt, wird für die entscheidende Abstimmung im Bundestag der so genannte Fraktionszwang aufgehoben. Die meisten Beobachter sind sich einig: Bonn hat die Nase vorn. So meldet der Bonner General-Anzeiger wenige Tage vor der Abstimmung, 310 Bundestagsabgeordnete hätten sich öffentlich für Bonn ausgesprochen, nur 250 für Berlin. Es sollte diese Siegesgewissheit sein, die den Bonn-Anhängern zum Verhängnis wird. Denn die Berlin-Befürworter wissen: Sie haben nur eine Chance, und das ist die Plenardebatte. Sie müssen mitreißen, sie müssen überzeugen. So sehr, dass sie die geschätzten 70 noch unentschlossenen Abgeordneten zur Abstimmung für Berlin bewegen. Nur so ist ein Sieg noch möglich.

Redeschlacht um Berlin

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FOTO: ULLSTEINBILD

ie Anspannung ist kaum noch auszuhalten im Bonner Wasserwerk, dem provisorischen Sitz des Bundestages. Es ist 21.47 Uhr, am 20. Juni 1991. „Die Spannung ist riesengroß“, beginnt Sitzungspräsidentin Rita Süssmuth und verlängert die Qual des Wartens noch etwas, „ich gebe das Ergebnis der Abstimmung jetzt bekannt“.

Wenige Sekunden später ist die Sensation perfekt: Der Bundestag stimmt mit 338 zu 320 Stimmen für Berlin und damit gegen Bonn als künftigen Sitz von Parlament und Regierung. Unbändiger Jubel bei den Berlin-Befürwortern, lähmendes Entsetzen bei den Bonn-Anhängern. Was war geschehen? Monatelang wurde eine erbitter-

Entscheidung über den künftigen Sitz von Parlament und Bundesregierung: Abgeordnete im Plenum des Wasserwerks in Bonn am 20. Juni 1991

Um 10 Uhr beginnt Norbert Blüm die Debatte. Er begründet den Bonn-Antrag. „Wir haben uns nicht zum Deutschen Reich wiedervereint“, argumentiert er und erinnert an die „Wirren der HitlerZeit“ und die „Paraden der Stalin-Zeit“ in Berlin. Blüm mahnt: „Man steigt nicht zweimal in den gleichen Fluss.“ Er warnt vor „alles dominierenden Zentralstädten“ im allgemeinen, vor der „Megastadt“ Berlin mit künftig „sechs Millionen Einwohnern“ im besonderen. Deshalb sollen, so der Bonn-Antrag, > Seite 32

VORWÄRTS-IMPRESSUM Die Sozialdemokratische Zeitung gegründet 1876 von W. Hasenclever und W. Liebknecht Herausgeberin: Andrea Nahles Redaktionsadresse: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 610322, 10925 Berlin; Tel. 030/25594-320, Fax 030/25594-390, E-Mail: redaktion@vorwaerts.de Chefredakteur: Uwe Knüpfer (V.i.S.d.P.) Redaktion: Lars Haferkamp (Textchef); Dagmar Günther (CvD); Monika Koepp (Bildred.); Kai Doering, Yvonne Holl, Vera Rosigkeit und Karsten Wenzlaff (Redaktion); Dr. Susanne Dohrn und Werner Loewe (redaktionelle Mitarbeit); Birgit Güll und Gero Fischer (Volontäre) Art Director und Fotografie: Dirk Bleicker Korrespondenten: Jörg Hafkemeyer (Berlin), Renate Faerber-Husemann (Bonn), Lutz Hermann (Paris) Geschäftsführung: Guido Schmitz Anzeigen: Nicole Stelzner (Leitung strategische Unternehmensentwicklung und Verkauf); Michael Blum (Leitung strategische Unternehmenskooperation und Key Account Anzeigen); Nele Herrmann Valente, Marcus Hochheimer, Manfred Köhn, Carlo Schöll und Ralph Zachrau (Verkauf) Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 34 vom 1.1.2011 Verlags-Sonderseiten: verantw. Guido Schmitz Vertrieb: Stefanie Martin, Tel. 030/25594-130, Fax 030/25594-199 Herstellung: Projektdesign, Berlin Druck: Frankenpost Verlag GmbH, Poststraße 9/11, 95028 Hof Abonnement: IPS Datenservice GmbH, Postfach 1331, 53335 Meckenheim; Tel. 02225/7085-366, Fax -399; bei Bestellung Inland: Jahresabopreis 22,– Euro; für Schüler/Studenten 18,– Euro; alle Preise inkl. Versandkosten und 7 Prozent MwSt.; Ausland: Jahresabopreis 22,– Euro zzgl. Versandkosten. Das Abo verlängert sich um ein Jahr, wenn nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Für SPD-Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten (bei Änderungen bitte an den SPD-UB wenden). Bankverbindung: SEB Berlin, BLZ 100 101 11, Konto-Nummer 174 813 69 00 Bei Nichterscheinen der Zeitung oder Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages im Falle höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Leistung, Schadensersatz oder Minderung des Bezugspreises. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen. .


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Albrecht Müller, Freimut Duve, Gert Weisskirchen und Robert Leidinger (Mitte v.l., alle SPD) warten angespannt auf die Auszählung der Stimmen.

Die Stimmung kippt Heftig kritisiert Willy Brandt das „unsinnige Gerede“ über Berlin als Hort von Nazismus und Stalinismus: „So daherzureden ist nicht würdig.“ Auch HansJochen Vogel spricht emotional wie selten: „Ich spreche für Berlin, weil ich mich sonst vor denen schämen würde, die in dieser Stadt die Blockade überwunden, der Teilung widerstanden, der Mauer getrotzt und in einer friedlichen Revolution die Freiheit errungen haben.“ Das wirkt. Und mit zunehmender Dauer der Debatte kippt die Stimmung – für Berlin. Das spürt auch Bonns Oberbürgermeister Hans Daniels auf der Zuschauerbank des Bundestages. Sein „Lächeln gefriert“, schreibt die FAZ. Noch 1989 bekräftigte Daniels: „Gerade wir Bonner sind uns immer der Tatsache bewusst, dass unsere Stadt die Aufgabe der

Die Abstimmung zehrt an den Nerven, auch beim Berliner CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen.

Hauptstadt nur stellvertretend für Berlin bis zu dem Zeitpunkt wahrnimmt, an dem eine Wiedervereinigung Deutschlands möglich ist.“ Doch 1991 wollen die Bonn-Anhänger von den Versprechen nichts mehr wissen. Peter Glotz erklärt sie kurzerhand zur „Geschichtslegende“. Er will die Glaubwürdigkeitsfrage vom Tisch wischen: „Die Moralisierung dieser Frage verrät unpräzises Denken.“ Die Mehrheit der Abgeordneten entscheidet anders. Doch warum? Die Süddeutsche Zeitung erklärt es einen Tag später so: Die Anhänger Bonns hätten „im Plenum nur noch Pflichtübungen vorgeführt“. Ihre „Gleichgültigkeit, was die Bedeutung der Debatte anbelangt, hätte nicht krasser zum Ausdruck gebracht werden können: Redet, was ihr wollt, wir haben die Mehrheit.“ 20 Jahre nach der Debatte ist Berlin als Hauptstadt unumstritten. Blüms Sorgen haben sich als unbegründet erwiesen. Weder ist Berlin eine „Megastadt“ von „sechs Millionen Einwohnern“ – es hat heute genau wie 1991 rund 3,4 Millionen Einwohner. Noch ist es eine „alles dominierende Zentralstadt“. Von sämtlichen Beschäftigten des Bundes arbeiten nur 6,7 Prozent in der Hauptstadt. In Blüms Heimatland NRW sind es zweieinhalb mal so viele. ■

FOTOS: ULLSTEINBILD, DEUTSCHER BUNDESTAG/PRESSE-SERVICE STEPONAITIS

Bundestag und Bundesregierung am Rhein bleiben. Nur in Ausnahmefällen soll das Parlament in Berlin tagen. Genau davor warnt Wolfgang Thierse. Er begründet den Berlin-Antrag: „Hauptstadt Berlin – das darf nicht ein bloßes Etikett sein, hinter dem sich nichts Substantielles verbirgt.“ Thierse appelliert: „Wer sich 40 Jahre immer wieder feierlich zu Berlin bekannt hat“, dürfe jetzt nicht handeln „nach dem Motto: Was schert mich mein Geschwätz von gestern“. Das Glaubwürdigkeitsargument bestimmt auch die Rede Wolfgang Schäubles. Sie wird – nach Meinung vieler Beobachter – die Wende für Berlin bringen. Auch Schäuble erinnert, „dass in 40 Jahren niemand Zweifel hatte, dass Parlament und Regierung nach der Herstellung der Einheit Deutschlands ihren Sitz wieder in Berlin haben werden“. Er fragt: „Ob wir wirklich ohne Berlin heute wiedervereinigt wären? Ich glaube es nicht.“ Im Protokoll heißt es: „Lang anhaltender Beifall – Abgeordnete der CDU/CSU und der SPD erheben sich“. Auch Willy Brandt steht auf und gratuliert Schäuble.


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KREUZWORTRÄTSEL

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Die Fragen und das Kreuzworträtsel darunter ergeben die Lösung. Der Politiker... mit Leidenschaft und Augenmaß verfügte über beste Beziehungen zur arabischen Welt, was ihm zu seinem bekannten Spitznamen verhalf. Im Herbst 1977 stand er in einer der schwersten Krisen der Bundesrepublik an der Seite von Bundeskanzler Helmut Schmidt. Sein Nachname?

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Wie viele... . deutsche Städte trägt der 1353 gegründete Bischofssitz an der Alle, in der auch der berühmte Astronom Kopernikus als Kanzler des Domkapitels wirkte, heute einen anderen Namen, in dem aber der hier gesuchte alte deutsche Name nachklingt.

1 Vier Frauen unter 61 Männern: Die Mütter des Grundgesetzes

WER WAR'S? Sie gilt als eine der vier Mütter des Grundgesetzes. Die Aufnahme der Gleichberechtigung von Mann und Frau in die Verfassung war ihr größter Erfolg. Von Lothar Pollähne

FOTO: ULLSTEINBILD

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ls sie 1926 im Alter von 30 Jahren zum Studium der Rechtswissenschaften zugelassen wird, kommen in Göttingen auf 300 Studenten ganze fünf Frauen. In Marburg, wo sie ihr Studium beginnt, lässt sie ein Professor gelegentlich bitten, zur nächsten Vorlesung nicht zu kommen, weil er über Sexualdelikte sprechen will. 1930 promoviert sie über „Die Zerrüttung als Ehescheidungsgrund“ und ist ihrer Zeit damit um fast ein halbes Jahrhundert voraus. Erst 1977, als sie längst den Ruhestand erreicht hat, schafft die sozialliberale Koalition das „Schuldprinzip“ ab. Kurz bevor die Nazis Frauen den Zugang zu Justizberufen verweigern, hat die Sozialdemokratin das Glück, im Dezember 1934 als Rechtsanwältin zugelassen zu werden. Da ihr Mann Adam nach der Entlassung aus dem KZ keine Arbeit mehr aufnehmen darf, sorgt sie für den Unterhalt der Familie. Eigenständigkeit wird zur Richtschnur ihres privaten und persönlichen Handelns. Nach der Zerschlagung des NaziStaates wird sie Landtagsabgeordnete in Hessen und auf Vorschlag Kurt Schumachers Mitglied im Parlamentarischen Rat. Dort setzt sie mit Beharrlichkeit die heute gültige Formulierung von Artikel 3, Absatz 2 des Grundgesetzes durch: „Männer und Frauen sind gleichberechtigt.“ Das ist ihre Sternstunde. 1981 allerdings zieht sie eine bittere politische Bilanz: „Die mangelnde Heranziehung von Frauen zu öffentlichen Ämtern und ihre geringe Beteiligung in den Parlamenten ist doch schlicht Verfassungsbruch in Permanenz.“ Am 9. Juni 1986 stirbt sie, fast neunzigjährig, in ihrer Geburtsstadt Kassel. ■ Unter allen Einsendern verlosen wir eine vorwärts-Tasche. Bitte schicken Sie das Lösungswort mit dem Stichwort „Wer war’s?“ bis 17. Juni 2011 per Post oder per E-Mail an: redaktion@vorwaerts.de

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HISTORISCHES BILDERRÄTSEL

Eine vorwärts-Tasche hat gewonnen: Kurt Plessner, 22043 Hamburg

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ES GIBT ZWEI WEGE, DAS PREISRÄTSEL ZU LÖSEN: Ratefüchse beantworten zuerst die beiden Fragen. Der zweite, sechste und siebte Buchstabe des ersten Lösungswortes sowie die fünf letzten Buchstaben des zweiten Lösungswortes ergeben in der richtigen Reihenfolge die Lösung. Es geht aber auch einfacher: Die grauen Felder im Kreuzworträtsel ergeben in der richtigen Reihenfolge das Lösungswort. Ein Hinweis: Dieser Nachname ist heute ein Synonym für einen genialen Wissenschaftler.

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Die Lösung des Bilderrätsels der vergangenen Ausgabe lautet HANS-ULRICH KLOSE.

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Die Lösung des jüngsten Preisrätsels lautet STAAT. Gesucht wurden außerdem: STAECK und BAUTZEN. Jeweils ein Buch gewannen: Anton Ninaus 66115 Saarbrücken

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Lutz Mauermann 86343 Königsbrunn Christel Lemm 21614 Buxtehude Gaby Wagner 99425 Weimar Hannes Grasshoff 06667 Weißenfels Karin Fischer 72250 Freudenstadt Erika Mischke 44793 Bochum Norbert Mansheim 59872 Meschede

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Dirk Leyk 12249 Berlin Daniela Selberg 30627 Hannover

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WAAGERECHT 1 Seebad im südlichen England 9 kleines hirschartiges Waldtier 10 Schwarzdrossel 12 bemitleiden 14 Leichtmetall (Kurzwort) 15 kostbar, menschlich vornehm 16 Riss oder Spalte im Gestein 18 Eichhörnchenpelz 19 ausschweifendes Gelage 20 Stimmzettel-

behälter 22 Körperorgan 25 Hersteller, Fabrikant 28 japanischer Herrschertitel 30 ein Nutztier 31 westfranzösische Stadt an der Loire 32 gedeckter Tisch 34 Keimträger, Lappe 36 griechischer Buchstabe 37 Urschrift 39 aussichtsreich, positiv 40 zu keiner Zeit 41 Doppelgänger

SENKRECHT 2 Schiffseigner 3 wundertätige Schale der Sage 4 getrocknetes Gras 5 Denkansatz, Lehrmeinung 6 chinesische Stadt 7 Bruder Jacobs im Alten Testament 8 starke Hitze 11 Strafstoß beim Fußball (ugs.) 12 ermächtigt, berechtigt 13 strecken, weiten 17 Zupfinstrument,

Lyra 21 Feldertrag 23 Hauptstadt Armeniens 24 flüssiger fossiler Rohstoff 26 Tierforscher 27 Staat in Osteuropa 29 eine der Musen 32 Fechthieb 33 beinahe 34 Küchengerät, Lochgefäß 35 Essen, Speise 38 Küchengerät, Lochgefäß

Die richtige Lösung schicken Sie bitte bis zum 17. Juni 2011 per Post an vorwärts, Postfach 322, 10925 Berlin oder per E-Mail an raetsel@vorwaerts.de. Bitte Absender nicht vergessen und ausreichend frankieren! Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir zehn Bücher.


34 DAS LETZTE

DER MARKT REGELT (FAST) ALLES GESUNDHEIT Warum Ärzte, Apotheker und Pharmalobby immer zu den Gewinnern und wir Versicherte immer zu den Verlierern gehören Von Martin Kaysh

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m Gesundheitswesen gibt es viel Geld zu verdienen. Das Erschwindeln von Doktortiteln überlasse ich dabei gerne anderen. Ich werde Berater. Wo wir doch in Berlin gerade wieder einen neuen Gesundheitsminister haben. Der hat wahrscheinlich keine Ahnung vom Thema. Diesem Defizit steht oft der Drang entgegen, Spuren zu hinterlassen. Auch wenn das Spuren der Verwüstung sind. Der Mann braucht Hilfe, die wird er schnell bekommen von der Anbieterseite. Ärzteverbände, Pharmalobbyisten und Apothekenverbände wissen immer schnell und effizient, was für uns gut ist, also die Versicherten. Das sieht manch professioneller Autoschrauber ähnlich. Nur, wenn er uns bei seinen Dienstleistungen ausnimmt, kriegt er keinen liberalen Ap-

plaus, sondern einen bösen Brief von der Verbraucherberatung. Alles regelt der Markt, so sieht das die FDP, nur nicht das Gesundheitswesen, so sieht das ebenfalls die FDP. Zumindest dann, wenn es um die Apotheker geht, verantwortungsvolle Profis, deren Kindheitswunsch es schon war, Menschen qualifiziert zu beraten. Ich habe sie meistens als bekittelte Menschen erlebt, Schublade auf, Pille raus, Schublade zu, 12 Euro 80. Seitdem ich weiß, dass sie zur Beratung angehalten sind, frage ich gerne detailliert nach, warum ich die rezeptfreie Hustenpastille eine halbe Stunde vor der Mahlzeit einnehmen soll. Woraufhin der Mensch im Kittel erst stutzt, dann stammelt und schließlich den Beipackzettel aus der Packung friemelt.

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Alles regelt der Markt, so sieht das die FDP, nur nicht das Gesundheitswesen,so sieht das ebenfalls die FDP.

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Außer Spaß bringt mir das nichts. Aber ich greife an, als Berater. Gleich morgen klappere ich die Niederlassungen der Krankenversicherungen ab. Dort beantrage ich die Mitgliedschaft für ein ganzes Pflegeheim voll multimorbider Senioren. Und frage dann, wie es mit einer kleinen Werbeprämie sei. Bei der Lokalzeitung bekäme ich für einen neuen Abonnenten doch auch eine Bohrmaschine. Der Mitarbeiter wird mich verstehen. Er wird an eine kleine Betriebskrankenkasse denken, die von solchen Menschen, Fachausdruck: schlechte Risiken, in den Ruin getrieben wurde. Er wird verzweifelt nach irgendwelchen Badelatschen mit Werbeaufdruck suchen, bloß um mich und meine gefährlichen Senioren abzuwimmeln. Ich werde ihn grinsend darauf hinweisen, dass wir hier nicht nur über ein Neumitglied reden. Ich bin jetzt auch auf der Anbieterseite. Die hat in der Logik des Gesundheitswesens bisher noch immer gewonnen. ■

Martin Kaysh

TEN D E B AT

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Martin Kaysh ist Kabarettist, Alternativkarnevalist („Geierabend“) und Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.

FOTO: STANDOUT

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MICHAEL VASSILIADIS (IG BCE) versus ALWIN FITTING (RWE AG) special guest FRANK-WALTER STEINMEIER 15. JUNI 2011 > 20h Grüner Salon in der Volksbühne Rosa-Luxemburg-Platz, 10178 Berlin Eintritt: 6 Euro / 4 Euro Kassenfoyer: tägl. 12-18h Tel: 030 - 240 65 777 mail: ticket@volksbuehne-berlin.de

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Rolf von Sydow Der Regisseur Hardcover, 228 Seiten mit zahlreichen sw-Abbildungen ISBN 978-3-942972-01-7 24,90 €

Der »Vater« vieler Tatort-Krimis, Pilcher- und Durbridge-Verfilmungen: Rolf von Sydow ist einer der bekanntesten Film-, TV- und Theaterregisseure Deutschlands. In Der Regisseur legt Rolf von Sydow nun die Biografie seines Lebens und Wirkens in der Medienwelt vor. Er hat mit den Größen seiner Zeit gearbeitet – Peter Ustinov, Lilly Palmer, Heinz Rühmann, Gert Fröbe u.v.m. Jetzt berichtet er von dieser Zeit und erlaubt uns einen Blick hinter die Kamera.

Alle rotation-Erscheinungen finden Sie unter www.rotation-verlag.de. Zu bestellen über: E: kontakt@rotation-verlag.de T: 030 / 255 94 179 F: 030 / 255 94 199


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Think.

Think Blue.

Think Blue: weiter denken, weiter kommen. Einen guten Gedanken zu haben ist das eine. Ihn umzusetzen das andere. Beides zusammen bedeutet für uns „Think Blue.“: die Idee, gemeinsam für eine nachhaltige Zukunft zu sorgen. Menschen zu verantwortungsvollem Verhalten zu bewegen. Zu entdecken, dass ökologisches Handeln Spaß machen kann. Und nicht zuletzt die stetige Verbesserung unserer Technologien. Wie das aussehen kann, zeigen wir mit unseren BlueMotion-Modellen, die regelmäßig für neue Rekorde bei Reichweite und Verbrauch sorgen. Mehr Informationen zu effizientem Autofahren und „Think Blue.“ finden Sie unter www.volkswagen.de/thinkblue.

Think Blue.

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