vorwärts September 2013

Page 1

vorwärts

VORWÄRTS.DE: Weiterlesen im Internet!

September 2013

€ 2.50 – A 07665

D i e Z e i t u n g d e r d e u t s c h e n s o z i a l d e m o k r at i e

n

Gegründet 1876

SPD-Steuerpläne

Für Gleiche Chancen und gute Bildung i ew : I n terv nbrück Stei hl ist t r e Pe e Wa nich

Foto: Dirk bleicker

D i ng st ! h l ä hi e d e n c o n sc ­ent Seite 4

09 4 197407 502506


iPad mini und vorwärts-App +

vorwärtsApp

Tablet

vorwärts-App

Apple iPad mini

10 Ausgaben im Jahr zzgl. Sonderausgaben

Mehr auf vorwärts.de

für vorwärts-Abonnenten mtl. bei einer Laufzeit von 24 Monaten ab nur

15,90 €


Inhalt 3

09/2013 vorwärts

themen in diesem heft  4   6   7

Liebe Leserinnen und Leser, noch vier Wochen bis zur Bundestagswahl. Die Aufholjagd hat begonnen. Ein kämpferischer Kanzlerkandidat reist durch die Republik und geht zu den Bürgerinnen und Bürgern. Wo er hinkommt, begegnen ihm viele ­Menschen mit Begeisterung. Peer Steinbrück überzeugt. Die Menschen in Deutschland teilen sein Ziel: „Ich will in einem Land leben, wo es nicht drauf ankommt, wo man herkommt, sondern wo man hin will.“ Die Menschen wollen in einer solidarischen Gesellschaft leben: in einem Land, wo jeder von seinem Lohn sich und seine Familie ernähren kann, wo Ältere keine Sorge haben müssen, im Alter arm und ausgeliefert zu sein, und wo die Bildung und Förderung von Kindern unabhängig vom Elternhaus gesichert ist. Kurz: In einem Land, wo man füreinander einsteht. Alte für Junge, Junge für Alte, Reiche für Arme. Deswegen ist es kein Zufall, dass die SPD weiter die mitgliederstärkste Partei in Deutschland ist.

Fotos: Dirk Bleicker(3), Jens STeingässer, Mike Fröhling/BLZ

Das zeigte sich auch beim großen Deutschlandfest in Berlin. Ein Meer von roten SPD-Fahnen und 500 000 ­Menschen, die den 150. Geburtstag ihrer SPD feierten und entschlossen in den Wahlkampf ziehen werden. Schwarz-Gelb wird es nicht schaffen, im Schlafwagen ans Ziel zu kommen. Union und FDP träumen vom Machterhalt, aber es fehlen ihnen die Antworten auf die anstehenden Probleme. Die SPD hat sie. Deswegen gilt es jetzt, es Peer Steinbrück und der Parteispitze nachzutun: Raus auf die Straßen und Plätze, ran an die Haustüren. Mit den Menschen sprechen. Nicht alle wissen, dass die SPD gute Lösungen für ihre Sorgen hat. Die Wahl ist noch lange nicht gelaufen. Herzlichst, Ihre

Brennpunkt bundestagswahl schaut genau hin! – Interview mit SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück Mehr für die Gemeinschaft – Der SPD-Steuerplan weil es gerechter ist – Interview mit Gustav A. Horn

Aktuell  8  der lange marsch – Franz Müntefering und Heidemarie Wieczorek-Zeul nehmen Abschied 12  Ganz oder gar nicht – Matthias Platzeck zieht sich zurück Kolumnen 10  global gedacht – Rafael Seligmann 11  Unser Europa – Die Generationen auf der Walz 22  Zwischenruf – Michaela Engelmeier-Heite 35  Das Allerletzte – Martin Kaysh

partei leben! 13  spd auf touren – Klartext unterm Zeltdach Tatort, flyer, hausbesuche – Bayernwahl 14  mit diesem team ist hessen wieder vorn – 15  Hessenwahl 16  das netz spricht fränkisch – Doris Aschen- brenner kandidiert für den bayerischen Landtag 18  Deutschlandfest – Die große 150-Jahr-Feier der SPD am Brandenburger Tor

Tolle Stimmung: das Deutschlandfest der SPD

Seite 18

Wirtschaft 24  finanzmarkt ohne reform – Interview mit dem Ökonom Sebastian Dullien Meine Arbeit – Fachkraft für Lagerlogistik 25

kultur 30  Nachruf – Zum Tode von Jupp Darchinger Rezension – „Wessen Welt ist die Welt?“, über die wechselvolle Geschichte der Jusos 31  Bebels erbe bleibt – Ausstellungseröffnung in Berlin mit Franz Müntefering Kulturdebatte – Zu Wolfgang Thierses Ausscheiden aus dem Bundestag wird diskutiert historie 32  ein grandioser menschenfischer – Willy Brandt und der Wahlkampf 33  zwei staaten, eine nation – Der UNO-Beitritt der beiden deutschen Staaten im Jahr 1973 34  Wer war’s? – Lothar Pollähne | 21  Parlament 10  In Kürze 22  Leserbriefe | 33  Impressum 34  Rätselseite | 35  seitwärts Redaktionsschluss 19. August 2013

Karin Nink Chefredakteurin

Scheidet aus dem Bundestag: Franz Müntefering Seite 8

Diese Ausgabe Enthält eine Anzeigen-SONDERVERÖFFENTLICHUNG ZUm Thema »Mobilität«

Kandidiert für den Landtag: Doris Aschenbrenner Seite 16

Aus der Redaktion Peter Riesbeck ist unser neuer Europa-Kolumnist. Bereits seit dem Jahr 2012 berichtet er aus Brüssel über ­Europapolitik als ­Korrespondent für die „Berliner Zeitung“ und die „Frankfurter Rundschau“.


4  Bundestagswahl

vorwärts 09/2013

Peer Steinbrück: „Die meisten Menschen wollen sich nicht einlullen lassen von Parolen, es sei alles schon entschieden.“

»Schaut genau hin!« peer Steinbrück Der Kanzlerkandidat sagt, warum die Wahl noch längst nicht entschieden ist und warum es sich für die SPD lohnt, zu kämpfen Peer Steinbrück, die SPD setzt im Wahlkampf auf „mehr PS“. Wieviel PS werden wir bis zum Wahltag erleben? Jeden Tag 100 PS mehr! Ich freue mich darauf, mit vielen Menschen unterwegs ins Gespräch zu kommen. Ich werde soziale Einrichtungen besuchen, bei „Klartext Open Air“ Fragen beantworten und Tür-zu-Tür-Wahlkampf machen. Wie soll die Aufholjagd im ­Wahlkampf gelingen? Wir müssen die Menschen mobilisieren, die uns nahestehen. 1998 haben 20 Millionen Wähler die SPD angekreuzt, 2009 zehn Millionen. Viele sind in den letzten Jahren bei Wahlen zu Hause geblieben. Wir Sozialdemokraten müssen sie vor Ort ansprechen: Geht bitte wählen, denn die SPD will, dass es besser und gerechter zugeht! Wie empfinden Sie die Stimmung bei den Auftritten im Wahlkampf? Wo immer ich hinkomme: Ich treffe auf viel Offenheit und Neugier. Ich habe den Eindruck: Die meisten Menschen wollen

Ein Lied für Peer Beim Deutschlandfest kam Peer Steinbrück zum Lied „Zuhaus“ der Band „Dirty Red Carpet“ auf die Bühne. Der Song gefiel dem Kanzler­ kandidaten so gut, dass er nun auch bei weiteren Wahlkampfauftritten gespielt wird. Und seit dem 23. August kann er auch bei iTunes heruntergeladen werden. n Reinhören soundcloud.com/ dirtyredcarpet/zuhaus

sich nicht einlullen lassen von Parolen, es sei alles schon entschieden. Vielen Wählern fällt es schwer, ­Unterschiede zwischen den Parteien zu erkennen. Was sind aus Ihrer Sicht die Alleinstellungsmerkmale der SPD? Wir sind die einzige Partei, die wirtschaftliche Stärke und soziale Gerechtigkeit miteinander verbinden kann. In unserem Regierungsprogramm steht nichts, was wir nicht halten können. Das gilt für den Mindestlohn, gleichen Lohn für Männer und Frauen oder den Ausbau von Kitas und Ganztagsschulen, für den wir das unsinnige Betreuungsgeld abschaffen werden. Warum wollen Sie Kanzler werden? Ich will Bundeskanzler sein für alle, die für sich und andere etwas vorhaben. Für all die, die hart arbeiten. Die mehr Gemeinsinn suchen, um für sich und ihre Kinder ein besseres Leben zu schaffen. Für sie brauchen wir wieder Bewegung in Deutschland. Die schwarz-gelbe Re-

gierung steht still. Sie hat kein Ziel. Sie tut nichts gegen Ungleichheit, Niedriglöhne und hochschnellende Energiepreise. Das will ich ändern. Sie setzen auf Klarheit und Ehrlichkeit. Zahlt sich das für ­Politiker eigentlich aus? Ihr müsst aussprechen, was ist – das hat uns schon Lassalle mitgegeben. Die Bürger wollen wissen, woran sie sind. Frau Merkel unterfordert die Menschen. Sie spricht über Streuselkuchen, aber nicht über die Herausforderungen der Zukunft. Die SPD sagt, sie will nur wenige Steuern für wenige erhöhen. Wer ist betroffen und was soll mit den ­Steuermehreinnahmen konkret geschehen? Betroffen sind Spitzenverdiener und Besitzer großer Vermögen. 95 Prozent der Bürger werden davon nichts merken. Aber alle werden merken: Wir werden deutlich mehr Geld für Kinderbetreuung und Bildung ausgeben. Wir werden

Foto: Dirk Bleicker

Interview Karin Nink und Lars Haferkamp


Bundestagswahl 5

09/2013 vorwärts

Straßen, Schienen, Breitbandnetze und bezahlbare Wohnungen sanieren und ausbauen. Und wir werden den überlasteten Gemeinden mehr Geld zur Verfügung stellen. Wie soll mehr Wirtschaftswachstum entstehen? Unter Schwarz-Gelb lebt Deutschland von der Substanz. Bei Investitionen liegen wir ganz am Ende der Industriestaaten. Wir wollen Wachstum schaffen, indem wir Bildung, Infrastruktur und Wohnen fördern. Wir schaffen Planungssicherheit für Unternehmen, ­ z.B. durch eine Senkung der Stromsteuer, sodass sie in Deutschland investieren. Ich will eine Industriepolitik machen, die Industrie und Mittelstand Chancen eröffnet – nämlich in der digitalen und energieeffizienten Wirtschaft von morgen Marktführer zu werden. In den letzten Jahren gab es viele ­Investitionsstaus in der Infrastruktur. Wie will die SPD das ändern? Wir werden die Mittel im Verkehrshaushalt um 20 Prozent auf jährlich 12 Milliarden Euro erhöhen. Wir werden die Energiewende besser managen: Wir brauchen mindestens 2800 Kilometer neue Hochspannungs-Leitungen. Ich werde dafür sorgen, dass eine Deutsche Netzausbau AG entsteht, wenn nötig mit staatlicher Beteiligung. Und wir wollen schnelles Internet in ganz Deutschland, damit Nutzer und Firmen nicht abgehängt werden. Wodurch will die SPD wieder mehr Gerechtigkeit in Deutschland ­schaffen? Ich höre oft, die SPD sei die Umverteiler-Partei. Ja, wir hatten in den letzten

Fotos:Dirk Bleicker

A

chtzig Termine in vierzig Tagen – SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück tourt durch Deutschland. Auf der SPD-Konferenz „Neue Impulse für Ostdeutschland“ läutete er am 10. August den Wahlkampf im Osten ein. 23 Jahre nach der friedlichen Revolution sei die innere Einheit noch nicht vollendet, ist Steinbrück überzeugt. Ostdeutsche Bürger fühlten sich noch immer als Menschen 2. Klasse. Vielleicht auch eine Folge der ausbleibenden Anerkennung für die Leistung der Ostdeutschen, die „auf eine sehr kräftezehrende Zeit zurückblickten“, so Steinbrück. Höchste Zeit, für gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West zu sorgen, denn mit 10 Prozent liege die Arbeitslosigkeit höher als im Westen, der Lohnrückstand betrage konstant 20 Prozent. Scharf kritisierte Steinbrück die Bundesregierung. 43 Tage vor der Wahl läge noch immer kein einheitliches Renten-

Jahren eine Umverteilung – von unten nach oben. Gewinn-Einkommen und Managergehälter sind gewachsen, die Löhne haben nicht Schritt gehalten. Deswegen brauchen wir einen Mindestlohn von 8,50 Euro oder mehr. Wir brauchen eine Veränderung der Abgeltungssteuer für Kapitalerträge. Und wir brauchen vor allem eins, ein Land, das allen Chancen gibt: bessere Bildung, damit nicht das ­Elternhaus allein entscheidet, wer in der Schule und Ausbildung erfolgreich ist. Der Bund engagiert sich immer ­stärker, auch finanziell, in der ­Bildungspolitik. Dennoch wollen die Bundesländer weiter allein ­entscheiden. Kann das so bleiben? Bildung ist zu wichtig, als dass wir uns in Zuständigkeitsfragen verheddern könnten. Deshalb treten wir für neue Formen der Zusammenarbeit von Kommunen, Ländern und Bund ein. Dafür müssen wir das Grundgesetz ändern. Und wir sorgen dafür, dass die vereinbarten nationalen Bildungsstandards umgesetzt werden. Viele Bürger sorgen sich wegen der Rente. Was würde durch die ­Solidarrente der SPD besser werden? Es gibt viele Menschen, die haben lange gearbeitet, aber wenig verdient. Für sie kommt der Mindestlohn zu spät. Wer lange in die Rentenkasse eingezahlt hat, dessen Rente soll nicht weniger als 850 Euro sein. Altersarmut darf nicht entstehen. Sie haben Frau Merkel in der NSAAffäre einen Bruch ihres Amtseides ­vorgeworfen. Kommt sie damit durch?

Interview

»

Wo immer ich hin­ komme: Ich treffe auf viel ­Offenheit und ­Neugier. Peer Steinbrück,

«

über seine Erfahrungen im Wahlkampf

Steinbrück: Mehr tun für den Osten SPD-konferenz Der Kanzlerkandidat will gleiche Lebensverhältnisse in Ost und West Von Vera Rosigkeit

Peer Steinbrück: „Lasst uns den schwarz-gelben Entwicklungsstau abwählen.“

Die Kanzlerin hat geschworen, Schaden von den Deutschen abzuwenden. Aber es besteht der Verdacht, dass millionenfach Deutsche von ausländischen Geheimdiensten ausgespäht werden, dass Regierungsstellen und Firmen abgehört wurden. Frau Merkel sagt, sie warte auf Aufklärung und Kanzleramtsminister Pofalla erklärt die Affäre schon für beendet. Stopp! Die Regierung muss endlich sagen, welche Daten von uns abgeschöpft wurden und werden – und was sie dagegen zu tun gedenkt. Auch beim Thema Europa schenkt die Regierung Merkel den Bürgern keinen reinen Wein ein. Viele e ­ rwarten nach der Wahl neue ­Hilfsprogramme oder gar einen Schuldenschnitt. Frau Merkel streut uns seit drei Jahren Sand in die Augen, wir hätten keine Haftungsunion. Dabei haben wir sie längst. Es ist an Frau Merkel, heute zu klären, was nach der Wahl kommt: Braucht Griechenland ein neues Hilfsprogramm? Wird sie zulassen, dass Banken direkt Geld europäischer Steuerzahler erhalten? Die Zeichen dafür verdichten sich. Auch hier gilt: Ehrlichkeit ist besser als Vernebeln. Warum macht die SPD das nicht s­ tärker zum Thema in diesem Wahlkampf? Frau Merkel suggeriert: „Macht euch keine Gedanken, ich habe alles im Griff.“ Alles Schwierige schiebt sie über den Wahltag hinaus. Da ist der Euro nur ein Beispiel. Und das müssen wir den Wählern sagen: Schaut genau hin, wer ehrlich und konkret Lösungen bietet oder wer nur versucht, seine Macht zu erhalten, und das ohne zu sagen wofür! n

konzept vor, obgleich sie dies im Koalitionsvertrag 2009 für die jetzige Legislaturperiode angekündigt habe. „Was ich der Regierung vorwerfe ist, dass sie sich nichts vornimmt“, sagte Steinbrück. Im Gegensatz dazu wolle sich die SPD Ziele setzen. Mit einem Stufenplan will sie bis 2020 eine Angleichung der Rentenberechnung und so ein einheitliches Rentensystem für Ost und West erreichen. Auch die Einführung eines flächendeckenden Mindestlohns sei von besonderer Bedeutung, denn „25 Prozent der Ostdeutschen verdienen weniger als 8,50 Euro, im Westen sind es nur 12 Prozent“. Und den Solidarpakt will Steinbrück bis 2019 nicht in Frage stellen: „Verträge sind zu halten!“, versprach er. „Wir haben seit 1989 viel erreicht“, sagte Steinbrück, „doch gemeinsam können wir noch eine ganze Menge mehr. Lasst uns den schwarz-gelben Entwicklungsstau abwählen“. n


6  Bundestagswahl

vorwärts 09/2013

Investieren in die Zukunft: Kitas legen die Grundlagen für gute Bildungs­ karrieren.

Mehr für die Gemeinschaft STEUERN Gute Bildung für alle ist finanzierbar, sagt die SPD – und zeigt, wie das konkret funktioniert Von Yvonne Holl

Vier Euro mehr im Jahr Mancher fürchtet diese Erhöhung, sieht den Mittelstand in Gefahr. Zu Unrecht, wie SPD-Chef Sigmar Gabriel sagt: „Wir wollen die wirklich sehr hohen Einkommen und Vermögen stärker an der Finanzierung des Schuldenabbaus, der Bildungsausgaben und der Investitionen in die Infrastruktur beteiligen und nicht die Mittelschicht. Uns geht es um einen neuen Lastenausgleich in Deutschland.“ Einkommen ab 64 000 Euro (128 000 bei Ehepaaren) werden stärker zur Kasse gebeten. Der Spitzensteuersatz soll von derzeit 42 auf 49 Prozent angehoben werden ab 100 000 Euro zu versteuerndem Einkommen für Einzelpersonen und ab 200 000 für Verheiratete. Zum Vergleich: Das Durchschnittseinkommen deutscher Arbeitnehmer betrug 2012 nach Angaben des Bundesfinanzministeriums 28 950 Euro brutto. Lediglich fünf Prozent der Steuerzahler werden von den Erhöhungen betrof-

STEUER­ KONZEPT

Für die meisten ändert sich nichts

95% der Steuerpflichtigen sind von den Steuererhöhungen überhaupt nicht betroffen.

5%

verdienen so gut, dass sie mehr Steuern abführen müssten. QuelleN: SPD, Statistisches Bundesamt

Weitere Infos: spd.de/themen/102824

fen sein. Und einschränken wird sich wohl keiner müssen: So wird nach Umsetzung der ­SPD-Steuerpläne ­eine vierköpfige Familie mit rund 139 000 Euro brutto im Jahr vier Euro mehr ­Steuern zahlen. Wenig für den Einzelnen, viel für die Gemeinschaft: Sechs Milliarden Euro Mehreinnahmen werden erwartet. Und von den Investitionen profitieren dann wieder alle: die weniger haben und die viel haben. Diejenigen, die ihre Kinder gut betreut wissen wollen, während sie das Geld für die Familie erwirtschaften, ihre eigene Rente verdienen, die Zukunft der Kinder sichern. Und diejenigen, die Fachkräfte für ihren Betrieb brauchen, und keine SchülerGenerationen, bei denen die Förderung von Anfang an schief lief. Profitieren werden auch Arbeitgeber, deren Beschäftigte Arbeit und Familie gut unter einen Hut bekommen können. Bis 2020 soll es flächendeckende Ganztagsbetreuung in Kitas und Schulen geben. Ebenfalls stufenweise soll

Kinderbetreuung kostenfrei werden. „Wir müssen uns endlich darüber bewusst werden, dass es sich bei der Kita-Finanzierung nicht um Wohltaten aus der sozialpolitischen Wundertüte handelt“, sagt Manuela Schwesig. „Eine qualitativ hochwertige Kita-Landschaft ist eine Investition in die Zukunft. Was wir heute investieren, müssen wir morgen nicht reparieren.“ Weitere Quellen für die Investitionen in Bildung und Infrastruktur sind die Erhöhung der Kapitalertragssteuer von 25 auf 32 Prozent sowie die Vermögenssteuer. „Es geht nicht um Omas Häuschen, sondern um wirklich große Privatvermögen", so Peer Steinbrück. Sparen lässt sich aber auch: So wird die SPD die „Möwenpicksteuer“ für Hoteliers abschaffen und durch Einführung des Mindestlohns 1,7 Milliarden Transferleistungen einsparen. Auch die Steuerflucht will die SPD bekämpfen. 160 Milliarden Euro gingen Deutschland so im Jahr verloren. n

Auswirkungen der SPD-Einkommenssteuerpläne auf Ehepaare mit zwei Kindern Berufsbeispiele (Vollzeit)

Brutto-Monatseinkommen (Jahreseinkommen)

Maurer und Bäckerin

Veränderungen gegenüber bisher ­geltendem Steuertarif In € pro Jahr

In % des Bruttoeinkommens

4.450 € (53.400 €)

0

0,0

Industriemeister und Dolmetscherin

7.700 € (92.400 €)

0

0,0

Unternehmensberater und Hochschullehrerin

9.600 € (115.400 €)

0

0,0

Mathematiker und Rechtsanwältin

10.500 € (126.000 €)

0

0,0

Behördenleiter und Rechtsanwältin

11.600 € (139.200 €)

-4

-0,002

Pilot und G ­ eschäftsführerin

12.500 € (150.000 €)

-86

-0,05

Arzt und Ärztin

13.700 € (164.400 €)

-379

-0,23

Foto: Dirk Bleicker

W

ährend ihre Eltern arbeiten, sind Marlene (1) und Tim (5) in der Kita. Die ist fußläufig von der Familienwohnung gelegen. Die Eltern haben sie auch ausgewählt, weil Konzept und Betreuungszeiten der Einrichtung am besten in ihren Alltag passen. Zahlen müssen sie nichts extra. – So könnte die Zukunft für Familien in Deutschland aussehen, wenn die SPD ihre familien- und steuerpolitischen Pläne umsetzen kann. Dass Kinderbetreuung für arbeitende Eltern kostenlos werden soll, hat die Partei auf ihrem Konvent im Juni in Berlin beschlossen. Es ist der erste Schritt hin zu dem im Regierungsprogramm festgehaltenen Ziel „Bildung für alle: gebührenfrei, perspektivisch von der Kita bis zur Uni.“ „Unsere Gegenfinanzierung ist se­ riös“, sagt Manuela Schwesig, Ministerin für Arbeit, Gleichstellung und So­ ziales in Mecklenburg-Vorpommern und im Kompetenzteam von Peer Steinbrück für Familien zuständig. „Mit e ­ iner Anhebung des Spitzensteuersatzes ab einem Einkommen von 100 000 Euro und der Vermögenssteuer haben wir Spielräume für Bildung.“


Bundestagswahl 7

09/2013 vorwärts

»Weil es gerechter ist«

INTERVIEW

Gustav A. Horn Der Wirtschaftsexperte erklärt, warum nur wenige von den SPD-Plänen zur Steuererhöhung betroffen sein werden

Foto: IMK/Peter Himsel

Interview Vera Rosigkeit Die SPD will Einkommen ab 64 000 Euro für Singles bzw. 128 000 Euro für Ehepaare höher besteuern. Herr Horn, wie viele Haushalte in Deutschland verdienen mehr? Das sind im Grunde genommen nur wenige. Zunächst handelt es sich bei dieser Summe um das zu versteuernde Einkommen und nicht um das Bruttoeinkommen. Das darf danach bei knapp 70 000 Euro für einen Single und bei 140 000 Euro für Ehepaare liegen. Es ist nur eine kleine Minderheit, die von diesen Steuererhöhungen betroffen sein wird. Wenn das Durchschnittseinkommen in Deutschland bei derzeit ungefähr 3400 Euro im Monat liegt, sieht man ja, wie weit der deutsche Durchschnittsbürger von dieser höheren Besteuerung entfernt ist. Warum dann diese Aufregung? Ich glaube, dass hier einige Ressortleiter aus dem eigenen Portemonnaie heraus schreiben. Die mögen sicherlich in diesen Gehaltsklassen sein und regen sich auf. Arbeit darf nicht höher besteuert werden als Kapitalvermögen, sagt die SPD. Sie will die Abgeltungssteuer anheben. Ein richtiger Schritt? Ja. Der Steuersatz ist sehr niedrig, was besonders Besserverdienern zugute kommt. Mit einer Doppelstrategie kann man diese Steuersätze erhöhen. Einerseits müssen die Steuersätze heraufgesetzt werden, weil es gerechter ist,

andererseits, weil man jetzt im internationalen Verbund auch zu stärkeren Kontrollen über das Verhalten von Unternehmen kommt und sie ihre Gewinne nicht einfach zwischen den Ländern hin- und herschieben können. Kann so verhindert werden, dass ­Kapital ins Ausland abwandert? Ja. Deshalb braucht man internationale Vereinbarungen darüber, dass dies, ganz legal, wie es bisher möglich war, nicht mehr geschieht. Wenn diese Art von Steuervermeidung eingedämmt wird, gibt es für die Unternehmen keinen Anreiz mehr auszuweichen. Wie sieht das in anderen Ländern aus? In vielen Ländern ist die Unternehmenssteuer höher als derzeit bei uns. Insofern ist der Anreiz auszuweichen ohnehin schon relativ schwach ausgeprägt. Und mit Ländern, zum Beispiel

»

Ich halte es für essenziell, dass die Arbeits­ einkommen nur in der Spitze ­stärker ­besteuert ­werden, da, wo es die große Ungleichheit gibt.

«

Gustav A. Horn

Gustav A. Horn: Er setzt auf höhere Löhne und auf höhere Einnahmen des Staates.

Österreich oder der Schweiz, wo das nicht der Fall ist, muss man Verhandlungen darüber führen, dass eine solche Verschiebung von Gewinnen nicht mehr möglich ist. Ein ganz besonderer Fall ist Irland. Hier muss man einfordern, dass Grenzen gesetzt werden. Mehr Steuereinnahmen und w ­ eniger Ausgaben bei den S ­ ozialtransfers werden von der Einführung des M ­ indestlohns erwartet. H ­ ätten ­mittelständische Unternehmen ­darunter zu leiden? Nein. Wir wissen aus Untersuchungen, dass damit kein großes Leid einhergeht. Es ist eine gewisse Umverteilung damit verbunden. Die Gewinne gehen etwas zurück, die Preise steigen ein wenig, aber vor allen Dingen steigen die Einkommen der Beschäftigten und die ­Einnahmen des Staates. Wenn Sie das Steuerkonzept der SPD betrachten, zu welcher Bewertung kommen Sie? Die Verlagerung der Besteuerung in Richtung Vermögen und Kapital ist ein ganz wichtiger Punkt. Das umfasst die ­Wiedereinführung der Vermögenssteuer, die Erbschaftssteuer und die Einführung der Finanztransaktionssteuer. Ich halte es für essenziell, dass die Besteuerung spürbar in diese Richtung ausgedehnt wird und die Arbeitseinkommen nur in der Spitze stärker besteuert werden, da, wo es die große Ungleichheit gibt. Mit diesen Mitteln lassen sich die notwendigen öffentlichen Investitionen und der Schuldenabbau bewerkstelligen. n Gustav A. Horn leitet das Institut für Makro­ ökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. ANZEIGE

Zeit für Verantwortung. Die Energiewende marktwirtschaftlich gestalten. Die Energiewende im Realitätstest: Steigende Strompreise, zunehmende Engpässe im Netz, Reservekraftwerke ohne wirtschaftliche Basis. Gleich nach der Bundestagswahl müssen Lösungen kommen. Die Branche hat Vorschläge erarbeitet. Eine immense Herausforderung und eine großartige Chance zugleich - für uns alle. Der BDEW setzt sich für den Ausbau der Erneuerbaren Energien ein und zeigt marktwirtschaftliche Lösungen auf. Informieren Sie sich unter www.bdew.de


8  Aktuell

vorwärts 09/2013

Der lange Marsch durch die Politik Bundestag Heidemarie Wieczorek-Zeul und Franz Müntefering scheiden nach Jahrzehnten aus dem Deutschen Bundestag aus – Ein Rückblick Von Karin Nink

Müntefering war ein Architekt der Macht. Er hat anderen, aber auch sich selbst stabile Fundamente der Macht gelegt. Für Gerhard Schröder vor allem, zunächst als Wahlkampfmanager, später als Generalsekretär und Fraktionsvorsitzender, dann auch als Parteivorsitzender – „das schönste Amt neben dem Papst“, wie er damals sagte. Heute bezweifelt Müntefering, ob es eine kluge Entscheidung war, beide Aufgaben zu übernehmen. Denn die Erwartungen an den Parteivorsitzenden waren andere als die an den Fraktionsvorsitzenden. Ein wenig, habe da sicher auch die Eitelkeit, in einer Linie mit Brandt und Bebel zu stehen, eine Rolle gespielt, räumte er jüngst in einem Interview ein.. Dabei, so schildert der „Parteisoldat“ es heute, habe er sich zu den meisten Funktionen nicht gedrängt. „Es gab zwei Dinge, die ich unbedingt gewollt habe: in den Bundestag kommen und 1999 Generalsekretär werden“, sagt er rückblickend. Und wenn Müntefering etwas wollte und für richtig hielt, wusste er, wie er es erreichte – unbeirrbar. Brüche und Verletzungen in der Partei eingeschlossen. Zur Agenda 2010 und der Rente mit 67 steht er nach wie vor – ohne Einschränkung. „Wir haben die Dinge alles in allem ganz gut gemacht“, ist er sich sicher, „ich auch“.

Die „rote Heidi“ nimmt Abschied: In den langen Jahren ihrer politischen Arbeit war ihr die „Solidarität unter Frauen ganz wichtig“.

Porträt

S

ie sind in derselben Zeit in die SPD eingetreten. ­ Heidemarie Wieczorek-Zeul 1965, Franz Müntefering 1966. Beide hatten wenig Neigung, sich in der damals doch hochaktuellen Außerparlamentarischen Opposition (APO) zu engagieren, sondern marschierten durch die Institutionen. Beide scheiden jetzt nach Jahrzehnten aus dem Bundestag aus. Ihre Wege in der Politik und in der SPD aber waren sehr unterschiedlich. „Münte“, wie er in der Partei genannt wird, ist – außer Kanzler – fast alles geworden, was man in der deutschen Sozialdemokratie werden kann. Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, Vorsitzender des einflussreichen SPD-Bezirks „Westliches Westfalen“, Landesminister, Vorsitzen-

der der NRW-SPD, Bundesminister, SPDGeneralsekretär, Parteivorsitzender und Vizekanzler in der großen Koalition mit Angela Merkel. Ob er mal für sich vom Kanzleramt geträumt hat? „Nie“, sagt er, „das hat mich nie gejuckt“, was mit dazu beigetragen habe, dass das Verhältnis zu Gerhard Schröder so gut funktioniert habe. „Kanzler hätte ich nicht gekonnt.“ Und Vizekanzler, der er später in der großen Koalition war, gebe es laut Verfassung ja gar nicht. „Aber dafür, dass es diese Funktion offiziell gar nicht gibt, habe ich viel daraus gemacht“, grinst er, und es schwingt ein Stück Stolz über die Lebensleistung des 1940 geborenen Jungen aus dem Sauerland mit, der doch – wie er gerne kokettiert – nur die Volksschule besucht hat.

Er hat „ein gesundes Verhältnis zur Macht“, sagt er. Aber er kann sie auch loslassen, wenn es darauf ankommt. Als er 2007 sein Ministeramt niederlegte, um sich um seine totkranke Frau Ankepetra zu kümmern, begleitete ihn bundesweit eine Welle der Empathie. „Ein gelungenes Stück Leben“ ist für ihn die Zeit, die er mit seiner Frau bis zu ihrem Tod verbrachte. Müntefering ist bis heute der einzige Spitzenpolitiker in Deutschland, der eine solche Entscheidung traf. Nach dem Tod seiner Frau kehrte er ins politische Berlin zurück. Nach all den Jahren reflektiert einer wie Müntefering die Veränderungen des Geschäfts. Die Beschleunigung in Politik und Medien macht ihm Sorge: „Politik braucht ein menschen-adäquates Tempo, man braucht Zeit zum Nachdenken und zum Diskutieren und für demokratisch legitimierte Entscheidungen.“ Wo Müntefering rational plante und handelte, agierte Heidi WieczorekZeul mit spürbarer Leidenschaft. Ihr Lebensthema ist der Einsatz für mehr Gerechtigkeit und der Kampf gegen die weltweite Armut. Sie war immer stärker außenpolitisch orientiert: lange als junge Abgeordnete in Europa, wechselte sie 1987 in den deutschen Parlamentsbetrieb. Was sie bis zum Schluss am Bundestag ärgert, ist, dass sich selbst mit der besten Rhetorik keine Mehrheit über

Foto: Dirk Bleicker

»Ein gelungenes Stück Leben«


Aktuell 9

09/2013 vorwärts

Fraktionsgrenzen hinweg gewinnen lässt – auch wenn es in der Sache richtig wäre. „In Straßburg wurden auch mal Parteigrenzen übersprungen, wenn es um eine sinnvolle Sache ging“, erinnert sie sich. Populär wurde sie als linke und kämpferische Juso-Vorsitzende in den 70er Jahren, ihre große Zeit aber hatte „HWZ“ als Entwicklungshilfeministerin. In dieser Funktion gewann sie weltweit großen Respekt. Sie erzählt gerne davon wie sie gemeinsam mit ihrer britischen, niederländischen und norwegischen Kollegin die internationalen Gremien ein wenig aufmischte, und sie viel in Bewegung brachten. Überhaupt ist ihr die „Solidarität unter Frauen ganz wichtig“. Es hat sie sehr gerührt, dass aus dem Parlament ausscheidende SPD-Frauen sie bei ihrer letzten Rede im Bundestag nachts um 23 Uhr begleitet haben. So viel Sympathie schlug „der roten Heidi“ nicht immer entgegen. Der Begriff war mit einer gewissen Hassliebe verbunden – in und außerhalb der SPD. Aber „das wechselte jetzt in den älteren Jahren eher in Liebe statt in Hass“, vermerkt sie lächelnd und leicht süffisant. Sie weiß, dass sie auch nerven und anstrengend sein konnte. Aber vielleicht musste sie das auch können. Ihre Bilanz als Bundesentwicklungsministerin jedenfalls kann sich sehen lassen: Die Entschuldung hochverschuldeter Entwicklungsländer, die dazu führte, dass 34 Millionen Kinder in Afrika zusätzlich in die Schule gehen konnten. Oder der Globale Fonds gegen HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose, der mit dazu beitrug, dass die Kosten für die Anti-Aids-Medikamente in Entwicklungsländern drastisch gesunken sind. „So haben wir jetzt zum ersten Mal die Chance, dass in Afrika eine Generation heranwächst, die ohne HIV bzw Aids ­leben kann“, stellt sie zufrieden fest.

Foto: Dirk Bleicker

Endlich Zeit, arabisch zu lernen Politische Erfolge, an die die 70-Jährige gerne zurückdenkt, sind: die Streichung des §218 – „ein enormer Schritt für die sexuelle Selbstbestimmung der Frauen“, der unter Rot-Grün auf den Weg gebrachte Ausstieg aus der Atomkraft, der Einstieg in Erneuerbare Energien und natürlich, dass die rot-grüne Regierung ein deutsches Engagement im Irak-Krieg ablehnte. Müntefering und Wieczorek-Zeul ziehen sich nun nicht auf’s Altenteil zurück. Franz Müntefering: „Das „Hauden-Lukas-Prinzip“, also im Beruf mit Schwung hoch und dann schlagartig runter, ist gar nicht gesund.“ Wieczorek-Zeul bleibt ihrem Engagement für die Entwicklungsländer in verschiedenen Netzwerken treu und lernt

Franz Müntefering zieht Bilanz der rot-grünen Regierungsjahre: „Wir haben die Dinge alles in allem ganz gut gemacht – ich auch“.

arabisch: „Es hat mich immer geärgert, dass ich nicht prüfen konnte, ob mir alles richtig übersetzt wird.“ Müntefering, der auch viel über die „ballistische Kurve“ des Lebens sinniert, witzelt: „Wenn ich 80 bin, nehme mich mir einen halben Tag frei.“ Er engagiert sich weiter als Präsident des Arbeiter-Samariter-Bundes, beim Landessportbund in NRW und in der Deutschen Hospizund Palliativstiftung. Und „vielleicht“ ändert er auch seine Weigerung, irgendwann etwas aus dem politischen Leben aufzuschreiben. „Mal schauen, vielleicht werde ich doch aus der Zeit zwischen 1995 und 2009 berichten.“– Stoff hat er zweifelsohne genug. n ANZEIGE

Lesen was gesund macht. Weitere Themen: 3 Brustkrebs: Warum eine psychologische Unterstützung hilfreich ist 3 Arztbesuch: Wie Sie sich optimal auf das Gespräch vorbereiten 3 Zahnprothesen: Was Sie über Zahnersatz-Pflege wissen müssen 3 Leukämie: Welche neuen TherapieMaßnahmen erfolgreich sind 3 Anti-Aging-Pflege: Profi-Tipps für Gesicht, Hals und Dekolleté

Alle 14 Tage NEU in Ihrer Apotheke.

www.apotheken-umschau.de

1309_732_12062_Vor_Nr09_A09.indd 1

06.08.13 12:15


10  In Kürze

vorwärts 09/2013

Peer Steinbrück Auf seiner Sommertour sucht er das Gespräch mit den Menschen Global gedacht Von Rafael Seligmann Die unter dem Begriff „NSA-Affäre“ zusammengefasste Spionage amerikanischer Geheimdienste erscheint vielen Bürgern immer komplexer und unverständlicher. Dabei wird der SPD von manchen Medien Wahlkampf zu Lasten der deutschen Dienste und damit indirekt des Landes vorgeworfen. So schreibt die „Frankfurter Allgemeine“: „…die SPD war abermals ohne Skrupel bereit, für einen halben Prozentpunkt das Ansehen der Sicherheitsbehörden zu ruinieren…“. Das ist schiere Chuzpe! Hier klingen die „vaterlandslosen Gesellen“ durch, eine Verleumdung, mit der die Reaktionäre die SPD jahrzehntelang diffamierten. Die Geschichte aber zeigt, dass die SPD wie keine andere Partei für Staatstreue und demokratische Grundrechte steht. Genau darum geht es in der „NSA-Affäre“. Nicht um technische Details. Sozialdemokraten und zahllose Bürger empören sich und kämpfen für den freiheitlichen Rechtsstaat. Dessen Grundlage sind die bürgerlichen Grundrechte. Dazu zählen das Recht auf die Unverletzlichkeit der Wohnung und das Fernmeldegeheimnis, das auch das Internet und das Telefonieren umfasst. Der US-Geheimdienst NSA und die mit ihm kooperierenden Firmen aber zapfen nach den Enthüllungen ihres früheren Mitarbeiters Snowden und anderen Erkenntnissen fast den gesamten Telefon- und E-Mailverkehr in Deutschland und wohl auch in anderen Ländern ab. Alle Bürger werden damit unter Generalverdacht gestellt. Damit wird der demokratische Rechtsstaat auf den Kopf gestellt, in dem von der Unschuld des Individuums ausgegangen wird – ehe das Gegenteil erwiesen ist. Selbstverständlich dürfen bei Verdacht nach richterlicher Genehmigung polizeiliche und geheimdienstliche Nachforschungen angestellt werden. Aber nur dann! Dem widerspricht die Beschnüffelung der Gesamtbevölkerung. Dies zu verhindern, sollte die Aufgabe jedes Demokraten und aller ­Parteien sein. Dass die SPD dabei an erster Stelle steht, entspricht ihrem Selbstverständnis und ihrer Geschichte. Dabei wird es bleiben. Unabhängig, ob Wahlkampf herrscht oder nicht. n

Peer Steinbrück in Wismar: Er spricht mit einem Ehepaar aus Sachsen, das an der Ostsee Urlaub macht und überrascht war, hier den Kanzlerkandidaten zu treffen

40 Jahre AfA Sie sei „Auge, Ohr und Herzkammer der Partei“. So charakterisierte Herbert Wehner einst die SPD-Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen. Im Oktober 1973 wurde die AfA gegründet. Ihr 40-jähriges Jubiläum feiert die AG bereits am 31. August mit einem Fest in Duisburg. „40 Jahre Afa – gestern, heute, morgen“ lautet der Titel. Mit dabei sind u.a. DGB-Chef Michael Sommer, Klaus Wiesehügel, im Kompetenzteam von Peer Steinbrück zuständig für die Bereiche Arbeit und Soziales, sowie AfA-Chef Klaus Barthel. Gemeinsam wollen sie zurückblicken „auf 40 Jahre Einsatz für die Interessen von Arbeitnehmern mit und innerhalb der SPD“. n KD

Bewegung jetzt! Der Schriftsteller Feridun Zaimoglu ist dabei, die „Super-Nanny“ Katharina Saalfrank und SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück sowie die Spitzenkandidaten der Grünen, Katrin GöringEckardt und Jürgen Trittin. Mehr als 6000 Unterstützer zählt die Initiative „#bewegungjetzt“ bereits. „Wir wollen zeigen: Rot-Grün ist mehr als eine Zählgemeinschaft, es ist ein gesellschaftlich notwendigen Bündnis“, sagen die Initiatoren, die Bundestagsabgeordneten H ­ ubertus Heil (SPD) und Kerstin ­Andreae (Grüne) sowie die Publizisten Tobias Dürr und Peter Siller.

G

espräche mit Bürgerinnen und Bürgern haben im Mittelpunkt der Sommerreise von Peer Steinbrück gestanden, die ihn auch nach Wismar und Warnemünde führte. Der SPD-Kanzlerkandidat zeigte sich interessiert, kompetent und immer gut vorbereitet. Stillstand zum Schaden des Landes ist das, was Steinbrück der Merkel-Regierung auch auf dieser Tour vorwarf. Diesem Nichtstun will er nach einer gewonnenen Bundestagswahl am 22. September als Kanzler ein Ende bereiten: zum Beispiel in der Gesundheits-, Pflege- und Rentenpolitik, in der Bildungs- und der Energiepolitik sowie in der besseren finanziellen Unterstützung der Kommunen. Dem sich anbahnenden Fachkräftemangel könne nur mit mehr Zuwanderung und mit einer höheren Erwerbstätigkeit von Frauen begegnet werden. Steinbrück fühlt sich offensichtlich wohl in seiner Rolle. Konzentriert eilte er von einem Termin zum nächsten, ganz nach dem Motto der in Hamburg begonnenen Open-Air-Wahlkampftour „Mehr P.S! Bewegung statt Stillstand“. n KN

Im Internet kann jeder und jede bei #bewegungjetzt mitmachen und sich für einen Neuanfang nach der Bundestagswahl stark machen. Auf der Website sind auch „10 Punkte für den rot-grünen Aufbruch 2013“ zu finden, die eine Leitlinie für die kommende Bundesregierung sein sollen. „Rot-Grün jetzt“, fordert Peer Steinbrück, „denn Deutschland braucht Bewegung statt Stillstand“. n KD bewegungjetzt.de

Der Reformer Die SPD muss sich ändern, wenn sie nicht dauerhaft in der Opposition bleiben will. Das war die Lehre von Fritz Erler nach der desaströsen Bundestagswahl 1953. Gemeinsam mit Carlo Schmid und Herbert Wehner trieb er deshalb die Öffnung der SPD voran. Später setzte er sich mit Wehner und Willy Brandt für eine Annäherung zur CDU ein, um der SPD eine Machtperspektive zu eröffnen. Im Februar 1967 starb Fritz Erler 53-jährig an Leukämie. Am 14. Juli wäre der Reformer 100 Jahre alt geworden. n CH/KD Porträt über Fritz Erler: vorwärts.de/104724

Herzlichen Glückwunsch

Uwe Hansen ehem. MdB Hartwig Reimann ehem. OB in Schwabach zum 75. Geburtstag Peter Dreßen ehem. MdB Ludwig Hoffmann ehem. OB in Wernigerode Erika Lotz ehem. MdB Walter Riester ehem. Bundesarbeitsminister Brigitte Schulte ehem. MdB zum 70. Geburtstag Margot Keßler ehem. MdEP Hans Kremendahl ehem. OB in Wuppertal Werner Schieder MdB zum 65. Geburtstag Gerold Reichenbach MdB Lale Akgün ehem. MdB zum 60. Geburtstag

Fotos: Thomas Imo/ Photothek, Klaus Rose/DPA

»Mehr P.S!«


In Kürze 11

09/2013 vorwärts

vorwärts App+

… Mehr lesen!

Der Bundeswahlausschuss hat 39 Parteien für die Bundestagswahl zugelassen. Woran hat er sich dabei orientiert? Automatisch zugelassen sind die Par­ teien, die seit der letzten Wahl mit min­ destens fünf Abgeordneten im Bundes­ tag oder in einem Landtag sitzen. Alle übrigen Parteien müs­ sen eine sogenannte Beteiligungsanzeige beim Bundeswahllei­ ter einreichen. Diese wird zunächst auf die Einhaltung aller for­ malen Bestimmun­ gen des Bundeswahl­ gesetzes geprüft. Zudem sollen Nach­ weise beigefügt wer­ den, die eine Prüfung der Parteieigenschaft gemäß den Bestimmungen des Partei­ engesetzes ermöglichen. Dazu zählen Informationen über die Mitgliederzahl, die Gebietsverbände, die bisherige Teil­ nahme an Wahlen und das Hervortreten in der Öffentlichkeit. Der Bundeswahl­ ausschuss berät und entscheidet dann in öffentlicher Sitzung . Der Bundestag wird erstmals nach dem im Frühjahr g ­ eänderten ­Wahlrecht gewählt. Welche ­Konsequenzen hat das?

Die wichtigste Änderung ist, dass die Überhangmandate ausgeglichen werden. Bisher hatten die Überhangmandate da­ zu geführt, dass die Mandatsverteilung nicht mehr dem Zweitstimmenverhält­ nis entsprochen hatte. Das Bundesver­ fassungsgericht hatte den Gesetzgeber aufgefordert, das durch ein neues Wahlgesetz zu beheben. Neu ist ab 2013, dass die Überhang­ mandate so lange ausge­ glichen werden, bis das Zweitstimmenverhältnis wieder hergestellt ist. Die Wahl per Brief wird immer beliebter. Was ist dabei zu beachten? Wer per Briefwahl wäh­ len möchte, muss zuerst einmal die Briefwahlun­ terlagen bei seiner Ge­ meinde beantragen. Wie das genau funktioniert, steht auf der Rückseite der Wahlbenachrichtigung. Die Gemeindebehörde versendet dann die Briefwahlunterlagen. Die Wähle­ rinnen und Wähler müssen dafür sor­ gen, dass die ausgefüllten Unterlagen bis zum 22. September um 18 Uhr bei der auf dem Wahlbrief angegebenen Stelle eingehen. n KD

Drei Fragen an

Außenpolitik: Der blutige Machtkampf in Ägypten Bildergalerie: August Bebel zum 100. Todestag Ausstellung in Bonn: Frauen in den Weltreligionen Filmtipp: „Camille – verliebt nochmal!“ Jetzt downloaden: vorwärts.de/app

Roderich Egeler

Roderich Egeler ist Bundeswahlleiter und Präsident des Statistischen Bundesamts.

Wenn die SPDSpitze dreimal klingelt

FotoS: Arne Dedert/dpa, Dirk Breyvogel/Braunschweiger Zeitung, SPD(2)

1

2

3

„Guten Tag, mein Name ist Peer Steinbrück. Ich bin dieser Spitzenheini von den Sozial­ demokraten.“ Der SPD-Kanzlerkandidat hatte sichtlich Spaß, als er im August in Hilden Wahlkampf an der Haustür mach­ te. An fünf Millionen Türen will die SPD im Rahmen ihrer Tür-zu-Tür-Kampagne bis zur Bundestagswahl klingeln. Die SPDFührung geht mit gutem Beispiel voran. Dabei kann es auch schon mal zu unerwar­ teten Begegnungen kommen. So traf Sigmar Gabriel im niedersächsischen Othfresen auf Lutz Sandvoß. Dieser hatte gemeinsam mit dem SPD-Vorsitzenden einst seinen Wehr­ dienst in Goslar geleistet. In Halle suchte Andrea Nahles dagegen Klingelknöpfe vergeblich: Die SPD-General­ sekretärin zog „von Laube zu Laube“ durch eine Gartenkolonie. Passend zum Besuch bei den Laubenpiepern wünschte ihr einer der Gärtner zum Abschied „eine gute Ernte“ am 22. September. n KD 1| Am Drücker: Peer Steinbrück klingelt in Hilden 2| Vor der Tür in Othfresen: Sigmar Gabriel traf im Wahlkampf einen früheren Bundeswehr-Kameraden 3| Von Laube zu Laube: Andrea Nahles kam mit Kleingärtnern in Halle ins Gespräch.

Unser Europa

Die Generation E auf der Walz Die EU verschweigt ihre Erfolge. Das muss sich ändern Von Peter Riesbeck Am Point Schuman kreuzt sich Europa. Auf der einen Seite des Verkehrsrondells geht es zum Ratsgebäude, der Werkstatt der Mitgliedsstaaten. Auf der anderen Seite liegt das Berlaymont, das zentrale Verwaltungsgebäude der EU-Kommis­ sion. Auf der großen Fassade am Schu­ man lässt Europa gern seine neue Agenda verkünden. Mal wird Kroatien als neues Mitglied begrüßt. Mal die Vertiefung zur echten Wirtschafts- und Währungsuni­ on versprochen. Große Worte eben. Drinnen im Bauch des Berlaymont hält die Kommission um 12 Uhr mit­ tags ihre tägliche Pressekonferenz. Mal wird mit großem Aufwand und quietschenden Gummientchen vor gefährlichem Badespielzeug gewarnt, mal mit noch größerem Aufwand eine automatische Notrufnummer bei Au­ tounfällen vorgestellt. Europa glaubt sich verkaufen zu müssen, aber es ver­ kauft sich schlecht. Seine Leistungen verschweigt Europa gern mal. Das 25-jährige Jubiläum des StudierendenAustauschprogramms Erasmus ließ man fast unkommentiert verstrei­ chen. Dabei lässt sich der Erfolg von Erasmus rund um Point Schuman gut verfolgen. EU-­ Innenkommissarin Ce­ cilia Malmström ist eine ehemalige Erasmus-Studentin, und Dänemarks sozialdemokratische Regierungschefin Helle Thorning-Schmidt ebenfalls. Das Krisenland Spanien schickt die meisten Studierenden ins Ausland, und die spanischen Universitäten zäh­ len unter Europas Erasmus-Austausch­ lern zu den beliebtesten. Europa aber schweigt über diese Leistungen. Dabei hat Erasmus eine neue Generation her­ vorgebracht: die Generation E, sie ist mal eben bei Freunden in Dublin und auf ­einer Hochzeit von ehemaligen Kommi­ litonen in Warschau. Die Generation E bewegt sich wie selbstverständlich im europäischen Raum. Schade, dass dieser Vorzug fast aus­ schließlich Hochschülern vorbehalten ist. Dass es ein Handwerker-Erasmus für Azubis gibt, hat Europa bislang unter­ schlagen. Dabei bräuchte Europa diese Bewegung von unten. Also Auszubil­ dende, macht euch auf den Weg. Europa erwartet euch zur neuen Euro-Walz. n


12  Aktuell

L

andtagswahlkampf 2004 in Eberswalde. Die SPD liegt im Wahlkampf abgeschlagen hinter PDS (heute Linkspartei) und CDU. Die Leute sind sauer. Sie haben der SPD die HartzIV-Reformen nicht verziehen. Auf dem Marktplatz warten schon rund 1000 Menschen auf den brandenburgischen Ministerpräsidenten. Wenige Anhänger, aber viele Gegner von Hartz-IV, viele PDS-Anhänger und auch einige Neonazis. Matthias Platzeck steht zu Schröders Reformpolitik. Er redet, kämpft, verteidigt seine Position. Er wird ausgebuht, lautstark beschimpft. Eier fliegen. Am Ende seiner Rede aber rauscht Platzeck in seiner Limousine nicht einfach davon. Er marschiert – zum Schrecken seiner Leibwächter – in die wütende Menge und diskutiert weiter. Platzeck zeigt Haltung – und gewinnt die Wahl für die SPD. Die nächste Landtagswahl in Brandenburg muss ein anderer für die SPD holen. Denn Matthias Platzeck legt nach einem leichten Schlaganfall im Frühsommer Ende August alle politischen Ämter nieder. Die Lücke in der SPD ist spürbar. Jene, die den Wahlkampf 2004 erlebt haben, sagen „Platzeck stand zu der Reformpolitik, aber er redete nicht über die Köpfe und Herzen der Menschen hinweg.“ Andere hätten sich weg­ geduckt, Platzeck aber reiste mit einer Jetzt-erst-recht-Haltung durch’s Land. Hubertus Heil, stellvertretender SPDFraktionschef im Deutschen Bundestag und einst der Generalsekretär des SPDVorsitzenden Platzeck sagt: „Matthias Platzeck erreicht die Menschen. Er ist wie Johannes Rau ein Menschenfischer.“ Der 59-Jährige ist ein Ausnahmepolitiker. Seine politische Biografie eine ganz eigene: Aus der ostdeutschen Umweltbewegung kommend, wurde der Kybernetiker aus Potsdam nach nur 10 Jahren SPD-Mitgliedschaft Vorsitzen-

vorwärts 09/2013

» Ganz oder gar nicht« Matthias PLatzeck zieht sich ­endgültig aus der Politik zurück – seine Gesundheit verlangt das Von Karin Nink

der der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands – seit Willy Brandt 1966, der erste, der die Partei in Zeiten einer großen Koalition führte, auch partei­ intern eine große Herausforderung. Sein einnehmendes Wesen machte ihn für manche schon zum künftigen Kanzler. So strahlte der Karlsruher Parteitag im November 2005, auf dem Platzeck

Matthias Platzeck: Sein Rückzug hinterlässt eine Lücke in der SPD. Doch seine Stimme wird in der Partei weiter Gewicht haben.

mit hervorragenden 99,4 Prozent gewählt wurde, viel Aufbruchstimmung aus. Der „neue Geist des gemeinsamen Anpackens“, den er in seiner Rede propagierte, gab den Delegierten das Gefühl, dass der SPD mit diesem Vorsitzenden gute Zeiten bevorstünden. „Die Menschen sind zu gewinnen. Sie sind dann zu gewinnen, wenn sie spüren, dass man es ernst mit ihnen meint“, hatte Platzeck ihnen mit auf den Weg gegeben. Doch die Hoffnung währte nicht lange. Nach nur 5 Monaten legte ­Platzeck nach zwei Hörstürzen und ­einem Zusammenbruch den Parteivorsitz nieder. „Ganz oder gar nicht“ war seine preußische Devise. In seiner Abschiedsrede sagte er: „Diese Entscheidung ist mir schwerer gefallen, als jede andere Entscheidung in meinem bisherigen Leben“. In der Folge widmete er sich als Ministerpräsident wieder ganz den Belangen Brandenburgs. Er hatte dieses Amt 2002 von Manfred Stolpe übernommen, der ihm bescheinigte, Brandenburg zu einem „vollwertigen Land“ in Deutschland gemacht zu haben. Zuvor war Platzeck vier Jahre Oberbürgermeister von Potsdam, mit einer für dieses Amt ungewöhnlichen bundesweiten Popularität. Denn dank seines unermüdlichen Einsatzes bei der Oderflut 1997 war der junge ­Umweltminister bereits als „Deichgraf“ in die Geschichte eingegangen. Das, was ihn damals schon auszeichnete, prägte seine gesamte politische Laufbahn: Präsent sein, sich auf die Menschen einlassen, zuhören, entscheiden und dazu stehen. So sicherte er sich auch die Sympathie der Medien – ohne sich von ihnen instrumentalisieren zu lassen. Seine Gesundheit zwingt den „RotGrünen mit konservativen Zügen“ – wie er sich selbst nennt – nun zum endgültigen Rückzug aus der Politik. Seine Stimme wird weiter Gewicht haben. n

Die herrschende Kinder- und Jugendpolitik ist nur Kosmetik!

Immanuel Benz und Josephine Tischner, seit Mai 2013 die Doppelspitze der Falken

Im Bereich der Jugendpolitik braucht es keinen Politikwechsel, sondern einen Neustart. Eine Jugendpolitik, die sich an den Interessen junger Menschen orientiert und politische Verantwortung für deren Lebenssituation übernimmt, gibt es noch immer nicht. Statt eines stimmigen Gesamtkonzepts ist die herrschende Kinder- und Jugendpolitik nur Kosmetik. Jugend als von bedeutenden Entwicklungen geprägte Lebensphase wird nicht berücksichtigt. Kommen Jugendliche vor, dann meist in ihrer Rolle als zukünftige Arbeitskräfte. Weiterhin gilt die Jugend als Problem, wenn sie versucht, sich dem Anpassungs­

druck und der Verwertungslogik zu widersetzen. Dabei sind junge Menschen besonders von prekären Beschäftigungsbedingungen und Armut betroffen. Sie brauchen andere Perspektiven als die Wahl zwischen Arbeitslosigkeit oder prekärer Arbeit mit Niedrigstlöhnen. Gute Jugendpolitik stellt die Bedürfnisse junger Menschen in den Mittelpunkt und schafft Freiräume zur selbstbestimmten Persönlichkeitsentwicklung sowie Möglichkeiten zu Partizipation. Dafür braucht es eine Jugendpolitik aus einem Guss, die politikfeldübergreifend sowie über föderale Ebenen hinweg gestaltet wird.

Ein erster Schritt dafür ist ein Jugendcheck, der alle neuen Maßnahmen und Gesetze auf ihre Vereinbarkeit mit einer jugendpolitischen Gesamtstrategie überprüft. Es braucht eine Gesellschaft, die die ­Ideen und den Gestaltungswillen junger Menschen nicht als Bedrohung, sondern als Kraft zur Veränderung erkennt. Es braucht eine Politik, die dies unterstützt und nicht verhindert. Gute Jugendpolitik heißt Ressourcen(um)verteilung, für die Bedürfnisse junger Menschen. n Josephine Tischner und Immanuel Benz sind Bundesvorsitzende der Falken.

Fotos: Thomas Kierok/laif, Nina Dehmlow

Blick von aussen Die »Sozialistische Jugend Deutschlands – Die Falken« fordern eine konsequente Politik für Jugendliche


Pa r t e i L e b e n !  13 13

09/2013 vorwärts vorwärts 09/2013

Partei leben! inhalt Bayern-Wahl Christian Ude setzt auf kreative Ideen und Mobilisierung

Chefsache

Fotos: Dirk bleicker, Hans Christian Plambeck/laif

Andrea direkt! Warum plakatiert die SPD im Wahlkampf Angela Merkel? Wir führen einen Mobilisierungswahlkampf und dazu gehört, dass man den Finger in die Wunde legt. In der heißen Phase des Bundestagswahlkampfs spitzen wir deshalb zu und setzen das auch bildlich um. Mit unseren Plakaten weisen wir auf die Defizite von Angela Merkel und ihrer Regierung hin. Allerdings sind die drei Motive ja nur eine Ergänzung unserer Hauptlinie. Hier stehen in der ersten Phase vier Groß­ flächenplakate mit den Themen sichere Rente, Kita-Ausbau, Mietpreise und gesetzlicher Mindestlohn im Mittelpunkt. Welchen Zweck hat der Sonder-Parteikonvent nach der Bundestagswahl? Die Parteibasis soll mitentscheiden. Das war das Ziel unserer Parteireform und diesen Stil setzen wir fort. Deshalb haben wir uns entschieden, direkt nach der Bundestagswahl einen SonderParteikonvent einzuberufen, bei dem die Delegierten vor Koalitionsverhandlungen mit den Grünen nach ihrer Meinung gefragt werden. Wie können Whistleblower, die Missstände enthüllen, in Deutschland besser geschützt werden? Whistleblower sind wichtig, weil sie mit ihren Enthüllungen der Gesellschaft dienen. Das muss nicht immer so spektakulär sein wie im Fall von Edward Snowden, sondern fängt schon an, wenn es um Hygienebedingungen in Restaurantküchen geht. Menschen, die andere Menschen vor Schaden bewahren, haben einen Anspruch auf Rechtssicherheit und müssen vor negativen Konsequenzen – etwa Repressalien ihres Arbeitgebers – geschützt werden. Die SPD-Fraktion hat dazu bereits Anträge in den Bundestag eingebracht. Allerdings sind diese allesamt von Schwarz-Gelb abgelehnt worden. n

Hessen-Wahl Thorsten Schäfer-Gümbel und das „Wechsel-Team“

porträt Doris Aschenbrenner: Netz-Fachfrau, Juso, Landtagskandidatin

Deutschlandfest Die rauschende Geburtstagsparty der SPD in Berlin

Kurz & Knapp Nachrichten aus den Ortsvereinen

Auftakt zu „Klartext Open Air“ in Hamburg: Peer Steinbrück mit (v.l.) Christiane Krajewski, Brigitte Zypries, Yasemin Karakasoglu und Gesche Joost aus seinem Kompetenzteam

SPD auf Touren nah dran Einer von uns statt die da oben: Der Politik-Sommer der SPD bietet Klartext unterm Zeltdach und Politik auf Augenhöhe Von Susanne Dohrn

r Geschriebene Geschichte Zum 150. Jubiläum der SPD haben viele Ortsvereine, aber auch einzelne Sozialdemokraten Chroniken über die Geschichte der Partei vor Ort veröffentlicht. Lichtenberger erzählen aus der bewegten Historie des Berliner Bezirks, Bochumer stellen wichtige Sozialdemokraten aus ihrer Stadt vor. Manche Publikationen sind nur wenige Seiten stark, andere passen zwischen zwei Buchdeckel. Der „vorwärts“ stellt – ohne Anspruch auf Vollständigkeit – eine Auswahl vor. n LG www.vorwärts.de/106536 Was plant Ihr zum Parteijubiläum? Schreibt an parteileben@vorwaerts.de

ote Tische und Bänke, darüber ein weißes Zeltdach, im Zentrum: Peer, Peer Steinbrück. Es ist der Auftakt zu einem Wahlkampf der anderen Art. „Klartext Open Air“ heißen die Veranstaltungen. Sie bieten Dialog auf Augenhöhe – mit dem SPD-Kanzlerkandidaten, mit Parteichef ­Sigmar Gabriel oder dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Frank-Walter Steinmeier. Mit vor Ort sind jeweils örtliche Bundestagskandidaten oder, wie z.B. in Hamburg, Mitglieder aus Peer Steinbrücks Kom­petenzteam. „Klartext Open Air“ ist anders: Da steht keiner ganz vorn und ganz weit weg auf einer Bühne, redet ein bis zwei Stunden und verschwindet wieder. Im Zentrum steht das offene Gespräch mit den Bürgern und dazu nimmt sich die SPD-Spitze Zeit. „Wahlkampf hat viel mit Begegnung zu tun“, sagt Steinbrück. 22 Meter beträgt der Durchmesser des Zeltdachs in Hamburg. Da wird es ganz schön eng, wenn 2 500 Leute zusammenkommen. Aber das ist Absicht. So lernt man sich besser kennen, so ist man dichter dran, nicht nur am Nachbarn sondern auch an der SPD-Spitze. „Wenn er Kanzler werden will, muss ich wissen, was er zu sagen hat“, sagt

einer in Hamburg. Ein anderer sagt: „Er spricht klare Kante, das mögen wir.“ Klare Kante, das heißt zum Beispiel ein flächendeckender gesetzlicher Mindestlohn von 8,50 Euro, das heißt Schluss mit der Lohndiskriminierung von Frauen und wirkliche Gleichberechtigung, das bedeutet, „die Kavallerie satteln, um Steuerbetrug und Steuerhinterziehung zu bekämpfen“, so Peer Steinbrück. Dahinter steht auch das ganz große Thema dieses Wahlkampfes, das Peer Steinbrück immer wieder betont: Den verloren gegangenen Zusammenhalt in der Gesellschaft wieder herstellen. Dafür will er sich einsetzen, dafür will Peer Steinbrück kämpfen. „Wir können diese Bundesregierung ablösen mit mir als Bundeskanzler der Bundesrepublik Deutschland“, sagt er in Hamburg. Applaus brandet auf. Das wollen sie hören hier in Hamburg und anderswo. Die nächsten Termine finden statt: am 26.8. mit Sigmar Gabriel in Gießen, 27. 8. mit Peer Steinbrück in Kiel und mit Sigmar Gabriel in Duisburg, 28.8. mit Peer Steinbrück in Bremen. n Alle Termine und Orte der „Klartext Open Air“-Tour stehen im Internet unter spd.de/wahl2013


14  14

Pa r t e i L e b e n !

09/2013 vorwärts vorwärts 09/2013

Tatort, Flyer, Hausbesuche Bayernwahl Die SPD im Freistaat führt zwei Wahlkämpfe gleichzeitig. Mit kreativen Ideen und viel persönlichem Kontakt wirbt sie für den Regierungswechsel in München und Berlin Von Kai Doering

N

ach 15 Minuten hat einer der Kellner Erbarmen. Er schiebt sich an der ersten Reihe der Zuhörer vorbei und reicht Christian Ude eine Maß Bier auf die Bühne. Der lächelt dankbar, prostet seinem Publikum zu und nimmt einen großen Schluck. Es ist brütend heiß an diesem Augustabend im niederbayerischen Ortenburg. Draußen zeigt das Thermometer mehr als 30 Grad an. Drinnen im Festzelt sind es nochmal deutlich mehr. „Ich finde es pfundig, dass bei dieser Bruthitze so viele Menschen in ein Festzelt kommen – und dann auch noch zu einer politischen Veranstaltung“, sagt Ude. Der Münchner Oberbürgermeister ist im unbezahlten Urlaub. Bis zur Landtagswahl am 15. September reist der Spitzenkandidat der SPD kreuz und quer durch Bayern, um den Menschen klarzumachen, dass es „eine wunderbare Idee wäre, diesmal die SPD zu wählen“. Seit 56 Jahren regiert im Freistaat die CSU. Nach dem Willen von Ude und seiner SPD soll damit im September Schluss sein. „In Bayern herrscht sehr wohl eine Wechselstimmung“, erklärt der Spitzenkandidat seinem Publikum in Ortenburg im Ton des erfahrenen Kabarettisten. „Schließlich wechselt sogar der Ministerpräsident täglich seine Meinung.“ Sätze wie dieser kommen bei den Gästen im Festzelt an. „Ude, Ude“ hallt es durch die Reihen.

Burkert. „Der Tür-zu-Tür-Wahlkampf ist deshalb ideal.“ An 130 000 Türen wollen Burkert und sein Team bis zum 22. September klingeln. 12 000 „Give-aways“ haben sie schon verteilt – darunter auch rote Reisezahnbürsten. „Martin Burkert – in aller Munde“ steht darauf.

1

Wahlkampf mit Zahnbürste Ganz vorne sitzt Martin Burkert. Der Nürnberger ist seit 2005 für die SPD im Bundestag. Seit 2010 ist er Vorsitzender der bayerischen Landesgruppe. Auch er ist im Wahlkampf. Eine Woche nach der Landtagswahl müssen die Menschen in Bayern ein weiteres Mal an die Urnen, dann für die Bundestagswahl. „Die bayerische SPD muss doppelt so stark kämpfen“, sagt Burkert. Für den Wahlkampf hat er mit der zweiten Nürnberger Bundestagskandidatin Gabriela Heinrich einen Tatort produziert. Der ist zwar mit drei Minuten deutlich kürzer als das sonntägliche Original, „aber wir haben trotzdem einen ganzen Tag gedreht“. Viel möchte Burkert, der den Kommissar spielt, noch nicht verraten, „aber die Spur führt nach Berlin“. Der Krimi soll bei Wahlkampfveranstaltungen gezeigt werden. „Am wichtigsten ist mir aber der persönliche Kontakt“, erzählt Martin

2

3

4 1| Spritzige Rede: Christian Ude begeistert im Festzelt. 2| Ein Prosit: M ­ artin ­Burkert (2.v.l.) mit Christian Ude und Ortenburger Würdenträgern. 3| Der persön­ liche Kontakt entscheidet: Florian Post bringt Wahlwerbung an die Frau. 4| Nichts geht ohne Kugelschreiber: Sven Ehrhardt hat schon 5000 Stück verteilt.

„Im Wahlkampf braucht man vor allem gute Kugelschreiber“, ist Sven Ehrhardt überzeugt. Er steht vor einem roten SPDSchirm auf dem Wochenmarkt in seiner Heimatstadt Roth bei Nürnberg. Rechts bietet ein Metzger Würste an, am Obststand links gibt es Äpfel aus der Region. „Darf ich Ihnen einen Kugelschreiber schenken?“, spricht Ehrhardt eine Frau in beiger Jacke an. Eine Karte mit Ehrhardts Gesicht und dem Slogan „Wir können Landtag“ bekommt sie noch dazu. „Ich kenne Sie doch vom Plakat und aus der Zeitung“, sagt die Frau. Sven Ehrhardt lächelt. 5000 Kugelschreiber hat er anfertigen lassen, mehr als die Hälfte bereits Anfang August verteilt. Auch er setzt auf Besuche an der Haustür. 100 Touren will der 25-Jährige bis zum 15. September machen. „Als SPD-Kandidat hast du in Bayern nur eine Chance, wenn du dich voll reinhängst“, sagt Ehrhardt. „Wir geben, was wir können für ein möglichst gutes Ergebnis bei der Landtags- und der Bundestagswahl“, verspricht auch Natascha Kohnen. Die Generalsekretärin der BayernSPD ist mit dem Verlauf des Wahlkampfes zufrieden. „Unser Ziel ist die Übernahme der Regierung in Bayern.“ Zwei Millionen Euro beträgt das Wahlkampfbudget der SPD im Freistaat – die CSU hat sieben mal soviel zur Verfügung. „Unsere Kampagne muss deshalb extrem kreativ sein“, sagt Kohnen. Das gilt auch für Florian Post. Der 32-Jährige kandidiert im Münchner Norden erstmals für den Bundestag, hat für den Wahlkampf unbezahlten Urlaub genommen – und wirbt mit dem Slogan „Post für Sie“ auf seinem Flyer. Er verteilt ihn auf Wochenmärkten und in Biergärten. Seine Plakate hat er auf die Wohnviertel seines Wahlkreises abgestimmt. Um all dies zu finanzieren, hat Post sogar private Sponsoren gewonnen. „Das sind Leute, die soziale Verantwortung haben und wollen, dass unser Land gerechter wird“, erklärt er. „Bisher haben sie eher nicht die SPD ­gewählt.“ Es könnte nicht die einzige Überraschung in Bayern bleiben. n

Fotos: Joerg Koch/Südfoto (2), Mark Fernandes, Timm Schamberger/Südfoto

»Wir können Landtag«


Pa r t e i L e b e n !  15 15

09/2013 vorwärts vorwärts 09/2013

1

2

3

1| Gefragter Bankenexperte: Matthias Kollatz-Ahnen will mit guten Banken den hessischen Finanzplatz stärken 2| Mit Bärbel Feltrini hat Thorsten Schäfer-Gßmbel eine Tarif-Expertin in sein Wechsel-Team berufen 3| Ihr Arbeitsplatz ist Europa: Laura Garavini.

Mit diesem Team ist Hessen wieder vorn Hessenwahl Mit hochkarätigen Experten aus unterschiedlichsten Bereichen ßberzeugt das Wechsel-Team von SPD-Spitzenkandidat Thorsten Schäfer-Gßmbel Von Sarah Kohlhauer

Foto: Jens STeingässer (2), Boris Roessler/dpa

G

erne wĂźrden wir ihnen alles versprechen, aber es muss auch finanzierbar sein.“ Laura Garavini klopft mit ihren Händen auf ihre Knie. Die 47-jährige Abgeordnete des italienischen Parlaments ist in die Kulturstätte „Zum Schlachthof“ in Wiesbaden gekommen, um sich Ăźber Hessens soziokulturelle Szene zu informieren. In einer SPD-gefĂźhrten Landesregierung soll Garavini, die sowohl Mitglied der SPD als auch ihrer italienischen Schwesterpartei Partito Democratico ist, Ministerin fĂźr „Kultur, Europa und Integration“ werden. Elf Mitglieder, sieben Frauen und vier Männer, umfasst das „Wechsel-Team“ von Thorsten Schäfer-GĂźmbel. Der hessische Spitzenkandidat hat Profis aus verschiedenen Bereichen in seine Mannschaft geholt, wie die Professorin fĂźr Energiewirtschaft Claudia Kemfert fĂźr die Energiewende und die Tarifexpertin der IG BAU Bärbel Feltrini fĂźr den Bereich Arbeit, Ausbildung und Soziales. Hessen brauche einen Regierungswechsel, denn das wirtschaftlich stärkste Flächenland drifte gesellschaftlich auseinander, warnt Thorsten SchäferGĂźmbel. „Hessen ist gut. Schlecht ist die Regierung. Das Land kann es besser“.

Aktuell erarbeitet er mit seiner Mannschaft sein 100-Tage-Programm, das am 28. August vorgestellt wird. Kernbereiche werden die Themen Arbeit, Bildung und soziale Gerechtigkeit sein. Die Politologin und Soziologin Garavini verkĂśrpert mit ihrer Vita ihr Ressort: Wegen ihres Studiums kam sie vor 24 Jahren nach Deutschland. Das Land begeisterte sie so, dass sie beschloss zu bleiben. In Berlin und KĂśln leitete sie Integrationsprojekte. Heute lebt sie mit Mann und Tochter in Hamburg. In den Sitzungswochen vertritt sie in Rom die Interessen der Auslandsitaliener. Um Kontakt mit ihren Wählern zu halten, reist sie durch ganz Europa. „Gerade weil ich selber als junge Migrantin nach Deutschland gekommen bin, erkenne ich die Fehler, die die Integrationspolitik gemacht hat.“ Der Anruf aus Hessen, ob sie Mitglied im „WechselTeam“ werden wolle, hat Garavini Ăźberrascht. Dass ein Schattenkabinettsmitglied aus dem europäischen Ausland kommt, ist eine Premiere. „Ich fand es sehr reizvoll, weil es Ausdruck eines ­neuen Denkens von Europa ist. Das finde ich als politisches Signal so aussagekräftig, dass ich begeistert zugesagt habe.“

Landtagswahl

FĂźr eine Willkommenskultur, die sich an Johannes Raus „FĂśrdern und Fordern“ orientiert, will sich Garavini einsetzen. Die doppelte StaatsbĂźrgerschaft, als Kontrapunkt zur Anti-Doppelpass-Kampagne von Ex-Ministerpräsidenten Roland Koch, steht ebenso im Regierungsprogramm, wie die EinfĂźhrung eines kommunalen Wahlrechts fĂźr alle in Hessen lebenden Menschen Ăźber 16. „Integration drĂźckt sich auch durch Rechte aus, deswegen ist das Wahlrecht fĂźr alle Migranten eine unserer Prioritäten.“ Einer, der neben Laura Garavini mithelfen soll, den Slogan der hessischen SPD „Gerechtigkeit macht stark“ umzusetzen, ist Matthias Kollatz-Ahnen. Der frĂźhere Vizepräsident der Europäischen Investitionsbank (EIB) soll nach der Landtagswahl am 22. September Minister fĂźr Wirtschaft, Wohnungsbau und den Finanzplatz Frankfurt werden. Mit „guten Banken“ und stärkerer Regulierung will Kollatz-Ahnen die Stabilität des BĂśrsenstandorts sichern. Auch im Bereich des sozialen Wohnungsbaus sieht der 55-jährige Volkswirt, der bei der EIB regionale FĂśrder- und Strukturprogramme betreute, dringenden Nachholbedarf. Kollatz-Ahnen, Ehemann der rheinland-pfälzischen Kultusministerin Doris Ahnen, war als ausgewiesener Bankenexperte bereits mehrfach als Schattenminister in anderen Bundesländern im Gespräch. Dass es Hessen geworden ist, „hat relativ viel mit Heimat zu tun“, sagt der Wiesbadener. Und auch mit dem Ministerpräsidenten-Kandidaten Schäfer-GĂźmbel: Ihm bescheinigt der ehemalige Juso-Bundesvorsitzende „Steher-Qualitäten“. Eine Eigenschaft, die fĂźr Kollatz-Ahnen auch Teil der hessischen Identität ist: „Die hessische Identität bedeutet Offenheit, aber auch einen Leistungswillen zu haben. Wir werden viel dransetzen, dass der sozialdemokratische Slogan ‚Hessen vorn‘ wieder als Identitätsslogan passt.“ n ANZEIGE

8-Tage-Seniorenreise – Kßhlungsborn

Goldene OstseekĂźste

Leistungen: • Fahrt im Nichtraucherfernreisebus mit WC und Getränkeselfservice • 7 HotelĂźbernachtungen in Zimmern mit Dusche, WC und Bademantel • 7 x reichhalt. MORADA-FrĂźhstĂźcksbuffet • 5 x Abendessen als Buffet, Galabuffet u. Mecklenburgisches Buffet • Willkommenscocktail • GefĂźhrte Wanderung nach Heiligendamm • Wanderung zum Riedensee • Filmabend, Unterhaltungsabend • Dia- bzw. Filmvortrag, Maritimer Abend • Unterhaltung mit „Spiel und SpaĂ&#x;“ • Modenschau, Bingo, Reiseforum • Kostenlose Nutzung v. Hallenbad, Sauna und FitneĂ&#x;bereich, Morgengymnastik • Betreuung durch das SKAN-CLUB 60 plus-Team • Kofferservice im Hotel, Kurtaxe u. v. m. www.seniorenreisen.de

Aufenthalt: So. – So. Am Ostseestrand von Kßhlungsborn befindet sich Ihre SKAN-CLUB 60 plus-Unterkunft, das MORADA Resort Kßhlungsborn. Die Zimmer sind ansprechend, modern und gemßtlich eingerichtet. Der hoteleigene Wellness- und Freizeitbereich besteht unter anderem aus Hallenbad, Sauna und Mikrobowling. Kostenloses Kunden-Service-Telefon:

0 800-123 19 19

tägl. 8 – 20 Uhr auch Sa + So 9HUDQVWDOWHU 6.$1 72856 7RXULVWLN ,QW *PE+ *HKUHQNDPS ,VHQE WWHO


16  16

Pa r t e i L e b e n !

09/2013 vorwärts vorwärts 09/2013

„Guerilla Knitting“: den öffentlichen Raum durch Stricken verändern. SPD-Landtagskandidatin Doris Aschenbrenner (r.) hatte die Idee dazu, AWO-Betreuerin Ursula Seibt ist begeistert.

Das Netz spricht fränkisch doris aschenbrenner Sie forscht über Roboter, gibt Computerkurse für Senioren und berät ­Christian Ude in der Netzpolitik. Jetzt will die 28-Jährige in den bayerischen Landtag

E

in Spinnenetz in rot-gelb-rosa hüllt den Gepäckträger des Fahrrads ein, das seit Mittwoch in Kitzingen gegenüber der Buchhandlung steht. Auch Sattel und Rahmen strahlen in bunter Wolle. Eingehäkelt hat das Rad die 78-jährige Ursula Seibt, die den AWOStricktreff in Kitzingen betreut. Die Idee zum „Guerilla Knitting“, der Veränderung des öffentlichen Raumes durch Stricken, hatte die SPD-Landtagskandidatin des Kreises Doris Aschenbrenner. Die bunten Wollnetze sollen Solidarität und Zusammenhalt symbolisieren. Modernes und Traditionelles, wie Streetart und Stricken zusammenzubringen, macht Aschenbrenner häufiger: So bietet die 28-Jährige in Kitzingen Workshops für Senioren an, in denen sie

Porträt

den älteren Franken das Internet nahe bringt. Das nicht-sichtbare Netz, das digitale, ist das Fachgebiet von Aschenbrenner. „Doris schreibt am Computer, soll laut meiner Familie mein erster Satz gewesen sein“, sagt sie lachend. Ihre Eltern sind Lehrer und unterrichten Informatik, daher ist Aschenbrenner, die Älteste von drei Geschwistern, mit dem Computer aufgewachsen. Gemeinsam mit Mitschülern hat sie als 18-Jährige einen Roboter gebaut, mit dem sie bei „Jugend forscht“ einen Sonderpreis gewann. Mittlerweile sitzt Aschenbrenner selbst in der Jury des Wettbewerbs. Durch den Kampf gegen die Studiengebühren in Bayern ist die Fränkin zu den Jusos gekommen. Sie habe damals

gemerkt, dass man mit politischem Engagement etwas bewegen könne. „Manchmal muss man auch mal dicke Bretter bohren, aber ich bin gut im Konflikte führen. Ich kann schon nervig sein.“ Heute ist sie netzpolitische Sprecherin der bayerischen SPD und Mitglied im Kompetenzteam von Christian Ude. Die Diplom-Informatikerin berät den Spitzenkandidaten der BayernSPD in der Netzpolitik. Dabei geht es nicht nur um offensichtlich digitale Themen wie den Breitbandausbau, erklärt Aschenbrenner: „Netzpolitik ist digitale Gesellschaftspolitik. Sie reicht von Jugendschutz über Vorratsdatenspeicherung bis zum Urheberrecht. Das betrifft alle Generationen.“ Christian Ude bescheinigt Aschenbrenner „Know-how“ verknüpft mit

Foto: Jens STeingässer

Von Sarah Kohlhauer


Pa r t e i L e b e n !  17 17

09/2013 vorwärts vorwärts 09/2013

Foto: Jens STeingässer

einem „wachen politischen Verstand“. „Zugute kommt Doris im Wahlkampf natürlich auch, dass sie nicht nur viel von Kommunikation versteht, sondern auch kommunikativ auftritt: gewinnend, sympathisch und unterhaltend“, so Ude. Einen Roboter, der für sie das Putzen übernimmt, wünscht sich die Rentnerin Ursula Seibt von Doris. Aschenbrenner schmunzelt: „Ursel, das dauert noch aweng.“ Aweng – fränkisch für „ein wenig“. Weil Aschenbrenner schauspielerte und leidenschaftlich im Chor singt, bildete die ehemalige Vorsitzende der unterfränkischen Jusos sieben Jahre lang ihre Stimme aus und legte dabei ihren Dialekt ab. Dafür sei sie aber in der Region „geschimpft worden“, so die gebürtige Coburgerin. Deswegen wird die Mundart jetzt wieder antrainiert. „Meine Arbeitskollegen freut es, die sagen: Jede Woche sprichst du fränkischer.“

im Informatik-Studium und im Computerraum der Schule so. Zu wissen, wie man sich unter versierten „It-Nerds“ als technikbegeisterte Frau durchsetzt, erleichtert ihr jetzt ihre politische Arbeit: „Dir wird als Frau weniger zugetraut, du fragst weniger nach. Da musst du dich durchbeißen. Das ist definitiv nicht der einfachste Weg, aber in der Politik ist das Klima noch rauer.“

»

Ihre Doktorarbeit kommt im Wahlkampf „aweng“ zu kurz, was Aschenbrenner aber nicht kümmert. „Informatik ist toll, aber in der Politik hab ich das Gefühl, gesellschaftlich mehr bewegen zu können.“ Zum Beispiel in der Jugendarbeit, die ihr besonders wichtig ist. Aschenbrenner ist in vielen Verbänden wie der Gewerkschaft für Erziehung und Wissenschaft (GEW) und dem Bezirksjugendring aktiv. Mit dem Chaos Computer Club, in dem sie Mitglied ist, besucht sie als Medienberaterin Schulen und erklärt den richtigen Umgang mit sozialen Netzwerken. Viel zu tun, aber die 28-Jährige mag ihr straffes Programm: „Ich kann nicht zu lange dasselbe machen. Ich habe schon Disziplin, aber ich brauche auch Abwechslung. Deswegen ist Politik genau das Richtige für mich.“ Im Wahlkampf setzt Aschenbrenner neben der Netzpolitik auf die Themen Jugend und Innovation. Ihre Jugendlichkeit werde ihr häufiger vorgeworfen, erzählt die jüngste SPD-Kandidaten Unterfrankens. Sie versuche dies durch Fachwissen auszugleichen. „Mittlerweile kenne ich mich in allem außer Landwirtschaft aus.“ Dass ihr erstmal wenig zugetraut wird, das kennt sie schließlich. n

Dir wird als Frau weniger zugetraut.

«

Doris Aschenbrenner, über ihre Erfahrungen in der Informatik und in der Politik

Durchbeißen unter Männern Die rund 30 Arbeitskollegen am Institut für Robotik und Telematik in Würzburg, an dem Aschenbrenner über die Zusammenarbeit von Robotern promoviert, sind alles Männer. Das war auch schon

Im Straßenwahlkampf: Doris Aschenbrenner geht auf die Menschen zu. Augull:Layout 1

13.08.2013

14:29 Uhr

Seite 1

ANZEIGEN

ANZEIGENMARKT Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin Tel.: 030/255 94-166 ■ Fax: 030/255 94-190 ■ E-Mail: anzeigen@vorwaerts.de ■ Geben Sie bitte immer Rubrik, Erscheinungsmonat sowie Ihre Bankverbindung an. ■ Preis: Pro Wort berechnen wir 3,50 Euro inkl. MwSt., für gewerbliche Anzeigen 4,00 Euro zzgl. MwSt. ■ Anzeigenschluss ist jeweils der 10. Tag des Monats.

■ URLAUB Ostsee/Lubmin – Deutschlands Sonnenküste, Natur pur, OstseeküstenRadweg. Herrlich gelegenes Hotel, direkte Strandlage, heimische Küche, familiäre Atmosphäre. Parkplatz am Haus, ganzjährig geöffnet, Fahrradverleih. EZ: 35–70 Euro, DZ: 50–70 Euro, Hotel Seebrücke, Waldstraße 5a, 17509 Lubmin, Tel.: (03 83 54) 35 30, Fax: -3 53 50, E-Mail: andre&moritz@aol.com, www.hotelseebruecke.de

Sylt/List – Erholung pur! Neubau-Komfort-Fewos, 2–4 Personen, 31 bis 45 qm, 70 bis 98 Euro pro Tag. Alle Appartements mit eigener Terrasse und Strandkorb. Tel.: (0 46 51) 95 75-25, Fax: -05, mobil: 0171/4 86 37 91, Internet: www.syltpur.de

Urlaub im Spreewald www.spreewald-camping-luebben.de

www.senioren-bethel.de

Ihre Spende hilft pflegebedürftigen alten Menschen!

Kommunalpolitik besser machen

Demokratische Gemeinde | Einzelpreis 7,00 | 65 JG. | A 02125

Neue Herausforderungen erfordern moderne Kommunalpolitik.

Ausgabe 9-10/2013

Infrastruktur

Clever machen statt weiter flicken

Lesen Sie mehr in der DEMO 9-10/2013

Titel

Infrastruktur Clever machen statt weiter flicken

SGK-Regionalbeilagen:

Wir trauern um

Margret Augull geb. 4. Februar 1942 gest. 26. Juli 2013

Margret Augull war vom Tag der Gründung der Deutsche Druck- und Verlagsgesellschaft mbH (ddvg) im Jahre 1971 bis zu ihrem Ruhestand bei uns an Bord. Sie hat die ddvg durch Höhen und Tiefen begleitet und war für uns und unsere Beteiligungsgesellschaften immer ansprechbare Partnerin. Sie war nicht nur das Gedächtnis, sondern auch die Seele unseres Unternehmens. Sie war stets da, wenn man sie brauchte, und hatte immer ein offenes Ohr für die kleineren und größeren Probleme. Sie half, wo sie konnte. Wir sind dankbar für ihren unermüdlichen Einsatz und werden sie sehr vermissen.

Infos der SGK-Landesverbände Exklusiv mit SGK-Regionalbeilage

Sonderbeilage:

Kommunen heute – Kommunale Mobilität

Kostenloses Probeheft: Berliner vorwärts Verlagsges. mbH, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin, Tel.: (0 30) 2 55 94-130, Fax: (0 30) 2 55 94-199, E-Mail: vertrieb@demo-online.de, www.demo-online.de

Jens Berendsen, Matthias Linnekugel und alle Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der ddvg


18  18

Pa r t e i L e b e n !

vorwärts 09/2013

09/2013

E

s ist kurz vor elf. Auf der Straße des 17. Juni wälzt sich, von Westen kommend, eine rot gesprenkelte Welle heran. Die Teilnehmer der SPD-Fahrradsternfahrt zur 150-Jahrfeier der Partei sind eingetroffen – aus Würzburg, Dortmund, Hannover, München und vielen anderen Städten. SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks begrüßt die 160 Genossinnen und Genossen. Ein bisschen müde sei er schon, aber glücklich, gibt Thomas Bartz (59) aus Eschborn bei Frankfurt zu, der 650 Kilometer in sieben Tagen zurückgelegt hat. Deutschlandfest nennt die SPD ihre Feier, und die Gäste sind aus allen Teilen des Landes angereist: mit Bussen, der Bahn, mit eigenem PKW. Die Hamburger haben extra einen Sonderzug für 1000 Genossen gechartert. „5:57 Uhr sind wir in Hamburg Altona gestartet“, erzählen Benjamin (20), Andreas (29), Fabian (25) und Svenja (19). Am Berliner Hauptbahnhof hat sie der Erste Bürgermeister Olaf Scholz in Empfang genommen.

1

Mietenbremse und Mindestlohn

3

4

Jetzt geht es richtig los!

deutschlandfest 500 000 Besucher aus ganz Deutschlan 150 Jahre SPD und vor allem einen: Kanzlerkandidat Peer Ste Von Susanne Dohrn

1| „Donnerweter!“ Peer Steinbrück ist begeistert. 2| „Peer, Peer!“ rufen Tausende im Chor. 3| Super Stimmung: Prominente Sänger und Bands traten auf, unter anderem Nena, Die Prinzen und Roland Kaiser. 4| So macht Wahlkampf Spaß: SPDGeneralsekretärin Andrea Nahles in der Debattenarena. 5| Wo man singt, da lass dich nieder: Hannelore Kraft singt das Steigerlied mit Genossen aus Bergkamen.

„Dann wird in der Brotfabrik endlich auch mehr als 5,50 Euro die Stunde gezahlt.“ Und Frank-Walter Steinmeier, SPD-Fraktionsvorsitzender im Bundestag, erinnert an den rot-grünen Bundestagswahlsieg 1998. Tenor: Das können wir in diesem Jahr wieder hinkriegen. Andrea Nahles hat es kurz zuvor so formuliert: „Wir sind nicht der Steigbügelhalter von Frau Merkel. Wir wollen keinen halben, wir wollen einen ganzen Regierungswechsel.“ Sie trifft damit die Stimmung im Publikum. „Die CDU ge-

winnt Umfragen. Die SPD gewinnt die Wahl“, ruft einer ihr zu. Während unter dem Zeltdach diskutiert wird, zieht draußen das „rote Dresden“ vorbei – die Männer in Arbeitersonntagskluft, die Frauen mit altmodischen Hüten und in langen Kleidern. Sie tragen Pappschilder mit der Aufschrift „Her mit dem Frauenwahlrecht“ oder „Arbeiter bildet euch“. Die Kinder, als Zeitungsjungen verkleidet, verteilen die „Sächsische Arbeiterzeitung“, während Schutzmänner versuchen, sie

Fotos: Dirk Bleicker (6), Hans-Christian Plambeck

Nun sitzen sie in der Morgensonne und stärken sich mit Kaffee aus Bechern mit August-Bebel-Konterfei. Der Parteigründer, als Arbeiterkaiser verehrt und vor fast genau hundert Jahren gestorben, ist für sie eine „Kronfigur“ der Sozialdemokratie. „Ihm hat die SPD es zu verdanken, dass Arbeiterbildungsvereine zu einer Bewegung und zu einer politischen Partei wurden, deren Ideen immer noch sinnstiftend sind“, erklärt Benjamin. Er bringt zugleich auf den Punkt, worum es an diesem Tag geht: Das Streben nach einer gerechteren Gesellschaft, nach einem besseren Land. „Wir brauchen mehr Altenpfleger und die brauchen eine bessere Bezahlung“, sagt SPDGeneralsekretärin Andrea Nahles. Sie hat im Debattenzelt Platz genommen. „50 Prozent der jungen Leute bekommen nur befristete Verträge“, kritisiert sie und fordert „mehr verlässliche unbefristete Arbeitsplätze für junge Leute“. Von Vertreterinnen und Vertretern des JusoSchülerkongresses wird sie gefragt, was sie vom Abitur nach acht Jahren hält. „Den Unsinn haben wir in RheinlandPfalz gar nicht erst mitgemacht“, antwortet Nahles. Bildung sei mehr als für die nächsten Zeugnisse zu lernen. Dicht gedrängt sitzen sie auf Deutschlandfest-Papphockern, applaudieren Olaf Scholz, wenn er für die Mietpreisbremse wirbt oder wenn Thorsten Schäfer-Gümbel, Spitzenkandidat für die Landtagswahl am 22. September in Hessen, zum Thema Null Toleranz für Steuersünder eine Unterschriftenaktion ankündigt. Klaus Wiesehügel aus dem Kompetenzteam von Peer Steinbrück erklärt, warum auch Bäckermeister für den Mindestlohn von 8,50 Euro sind.


vorwärts

Pa r t e i L e b e n !  19 19

09/2013 vorwärts

rockten hier „Die Prinzen“, nun warten alle auf Peer Steinbrück. „Das sind locker 200 000 hier auf dem Platz“, ruft Gabriel, „und es werden noch ein paar mehr werden“. Der Parteivorsitzende erinnert daran, dass es bei dieser Feier nicht nur um einen Geburtstag für die SPD geht, sondern um „ein Fest für die Demokratie“.

»Peer, Peer, Peer« ruft die Menge

2

5

„Peer komm hoch“, ruft er dann. „Peer, Peer“ jubelt die Menge. Der bahnt sich den Weg, betritt die Bühne, „Donnerwetter“ entfährt es ihm beim Anblick der Massen. Dann spricht er Klartext. „Ich will Kanzler der Bundesrepublik Deutschland werden“, ruft er. Sein Ziel: ein neuer Aufbruch in Deutschland. Steinbrück: „Ich will ein Land, das stark ist, weil es gerecht zugeht.“ Er verspricht, den politischen Stillstand zu beenden. Deutschland solle ein Land werden, „in dem ehrliche ­A rbeit sich lohnt“, in dem „Bildung ­Sache der Gesellschaft ist und nicht auf Märkten gehandelt wird“, in dem „der Ehrliche die Steuern zahlt und nicht der Dumme“, in dem „das Wir entscheidet und nicht millionenfache Ellenbogen“ und in dem Menschen eine zweite oder wenn nötig eine dritte Chance bekommen. Peer Steinbrück: „Ich will ein Land, in dem es nicht darauf ankommt, wo du herkommst, sondern wo du hin willst.“ Der Menge ruft er zu: „Sie haben es am 22. September in der Hand, in welche Richtung sich das Land entwickelt. Sie haben das Wahlrecht“. Jubel brandet auf. Erneut setzt er an. „Sie haben das Wahlrecht. Machen Sie davon Gebrauch!“ Noch mehr Jubel. Wer von den insgesamt 500 000 Besuchern des zweitägigen Festes noch nicht im Wahlkampfmodus war – jetzt ist er es. n

150 Jahre SPD

Lesezelt Das Ehepaar Steinbrück las aus »Jim Knopf«

Ein Bergwerk mitten in Berlin Ein Bergwerk mitten in Berlin? Das gab es auf dem Deutschlandfest tatsächlich. Denn der Revag-Geschichtskreis „Haus Aden/Grimberg 3/4“ aus Bergkamen rekonstruierte dort einen alten Stollen. „Wir machen aufsuchende Kulturarbeit“, erklärte Heinz Mathwig vom Geschichtskreis die Idee. Mit dem Nachbau soll die Bergbaukultur auch denjenigen nahe gebracht werden, die kein Bergwerk in ihrer Nähe haben. Für Mathwig ist die Geschichte des Bergbaus mit der SPD-Historie eng verbunden: „Traditionsgemäß sind Bergleute immer SPD-Wähler gewesen.“ An die Besucher verteilten die Bergkamener kleine Kohle-Säckchen, als Erinnerung an alte Zeiten. „Das Ruhrgebiet hat früher die Berliner mit Strom versorgt“, sagte Mathwig. n CFH

VW-Gewinnspiel VW hat auf dem Deutschlandfest einen Teilnehmer an der sechsten Rallye „Hamburg-Berlin Klassik“ ausgelost. Gewonnen hat: Dieter Wagner, aus 63486 Bruchköbel. Das Lösungswort lautete: VW-Käfer

A

us Michael Endes KinderbuchKlassiker „Jim Knopf und Lukas, der Lokomotivführer“ lasen beim Deutschlandfest Peer und Gertrud Steinbrück vor. Ausgewählt hatte das Paar die Geschichte vom Scheinriesen Tur Tur, der immer kleiner wird, je näher er kommt. „Wenn man Angst hat, sieht alles viel schlimmer aus, als es in Wirklichkeit ist“, zitierte Peer Steinbrück den Lokführer Lukas. Einige Zuhörer fühlten sich an Sigmar Gabriels Rede auf dem Parteitag in Augsburg erinnert. Darin hatte der SPD-Chef gesagt, auch Angela Merkel werde immer kleiner, je näher man sie betrachte. Später trat Peer Steinbrück noch einmal vor die Zuhörer. Gemeinsam mit Sigmar Gabriel, Frank-Walter Steinmeier und SPD-Schatzmeisterin Barbara Hendricks trug er die Geschichte von den Bremer Stadtmusikanten vor. n CFH

Keine Angst vor Scheinriesen: Gertrud und Peer Steinbrück bei ihrem Auftritt im Lesezelt.

Mit Unterschrift vom Vorsitzenden

nd feierten einbrück daran zu hindern. Unterdrückung und Verfolgung waren für die Sozialdemokratie immer wieder bitterer Ernst. Mit ihrer kleinen Demonstration wollen die Dresdner daran erinnern, wie wichtig es ist, wählen zu gehen, sagt Dana ­Frohwieser (36). „Dass eine Partei ihr 150. Jubiläum feiert, das gibt es nirgendwo in Europa“, ruft der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel der Menge zu, die sich am späten Nachmittag vor der großen Bühne am Brandenburger Tor versammelt hat. Eben noch

Peer, der Lokführer

D

20 Orte in ganz Deutschland umfasst die „vorwärts Route der Social-Demokratie“. Fabian und Reinhold Link aus Forst (links) sowie Udo und Ingeborg Gosch aus Sierksdorf (rechts) haben sie alle besucht. Als Belohnung spendierte der SPD-ReiseService ihnen eine Fahrt zum Deutschlandfest. In Berlin besuchten sie die vorwärts-Redaktion und trafen den SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel.

en Vorsprung als mitgliederstärkste Partei der Bundesrepublik hat die SPD beim Deutschlandfest weiter ausgebaut. In der Debatten-Arena ließen sich 20 Besucher ihre spontanen Beitrittserklärungen sogar vom Vorsitzenden Sigmar Gabriel persönlich unterschreiben. Gabriel und die Parteispitze stellten sich den Fragen der Zuschauer. Hauptsächlich ging es um außenpolitische Themen. Neben einer Absage an Rüstungsexporte an Diktaturen gab es von Sigmar Gabriel ein klares Bekenntnis zum Zusammenhalt in Europa. „Wenn Sie mein Alter haben,“ sprach er einen jungen Frager an, „dann gibt es entweder eine Stimme, mit der Europa spricht, oder Europa wird keine Stimme mehr haben“. n LG


20  20

Pa r t e i L e b e n !

09/2013 vorwärts vorwärts 09/2013

Gelebte ­Politik

Bier des Monats

Mit einer Fahrt im Oldtimer-Bus durch seinen Wahlkreis im Münchner Südwesten hat Landtagskandidat Andreas Lotte die heiße Wahlkampfphase eingeläutet. Sechs Jahre älter als Lotte. ist der Bus mit seinem Baujahr 1967. Wahlkämpfer

Der SPD-Ortsverein Niemegk in Brandenburg hat ein ungewöhnliches Wahlversprechen abgegeben. Er verleiht bis zur Landtags- und Kommunalwahl im kommenden Jahr monatlich einen Kasten Bier (auch alkoholfrei) an verdienstvolle Bürger aus der Region. Die ersten Kästen gingen an Brandenburgs Sozialminister Günter Baaske und das Technische Hilfswerk in Seedoche, das nicht nur während der Hochwasser­ katastrophe im Juni besonderes Engagement bewiesen hatte. n LG

und Bürger fuhren mit. Sie machten an verschiedenen Stationen Halt, um vor Ort mit Bürgern über Politik zu diskutieren. So trafen sie Sozialdemokraten, die mit Sprüchen wie „Meine Mami macht Karriere. Find ich cool!“ auf großen Würfeln für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf warben. Endhaltestelle des Oldtimer-Busses war schließlich das Stadtviertel Sendling-Westpark, wo die Fahrgäste beim Sommerfest der örtlichen SPD weiter diskutierten. n LG

Ein Leben im O-Ton Teil 8 In der vorwärts-Reihe „Gelebte Politik“ berichten Sozialdemokratinnen und Sozial­demokraten, die viel erlebt haben, über ihre Erfahrungen. Renate Schmidt erzählt im achten Teil der Serie über ihren Weg in die Politik und warum es ohne sie einen Kanzler Schröder womöglich nie gegeben hätte. Der vollständige Text (Interview: Uwe ­Knüpfer, ­Bearbeitung: Andi Kunze) ist im Originalton in der vorwärts-App-Ausgabe zu hören und im ­Internet unter vorwärts.de/­gelebte_ politik

Feiern mit Stempel Der OV Rödermark hat Grund zum Feiern: Vor 145 Jahren gründete sich in der hessischen Kleinstadt eine Gruppe des ADAV. Gefeiert wird das mit einem Festakt am 23. August – und einem Sonderstempel der Post. Zu sehen sind darauf das SPD-Logo und die Wappen der ehemals eigenständigen Gemeinden OberRoden und Urberach sowie das der Stadt Rödermark. Sammler können Umschläge mit dem Stempel erwerben. n KD

Kuh wird Kult Eigentlich sollte es nur ein passendes Foto zu einem Namensartikel zum Tierschutz werden. Doch das Bild von Bundestagskandidatin und Tierärztin Karin Thissen (Wahlkreis Steinburg/ Dithmarschen-Süd) und der rotbunten Kuh Geetje überzeugte so sehr, dass es nahe lag, weitere Fotos mit Pferd, Ochse, Riesengockel, Eseln, Schafen, Gänsen und Schweinen zu machen. Mit den Motiven bewirbt die Kandidatin nun ihre Veranstaltungsreihe „Karin Thissen im Gespräch“. Thissen hat Karten mit den Bildern drucken lassen. Die sind inzwischen Kult und werden von vielen Fans gesammelt. Kuh ist eben Kult. n LG

ANZEIGE

Wer Kanzlerin wird, ist längst entschieden?

WÄHLT!

10 Woc h für 10 E en uro taz.de /wahla

bo

Fotos: Stefanie Fröhner-Goodwin, imago/Metodi Popow, privat

Wahlkampf im Oldie


21 Verlags-sonderveröffentlichung-09-2013

Fotos: Bildschön, David von Blohn/NurPhoto/dpa, spdfraktion.de

Mehr als eineinhalb Jahre ging der NSUUntersuchungsausschuss des Bundestages der Frage nach, warum die rechtsextreme Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ (NSU) über Jahre hinweg ungehindert morden konnte. Nun legt der Ausschuss seinen Abschlussbericht vor, der am 3. September im Bundestag beraten wird. In den Jahren 2000 bis 2007 ermordeten die Mitglieder des NSU mutmaßlich neun Mitbürger mit Migrationshintergrund und eine Polizistin, begingen in Köln 2001 einen Sprengstoffanschlag und 2004 einen Nagelbombenanschlag. Finanziert haben die rechtsextremen Terroristen ihr Leben im Untergrund offenbar mit 15 Raubüberfällen, überwiegend auf Banken. Aufgedeckt wurde die Mordserie erst im November 2011. Wie konnte es passieren, dass niemand der Terrorzelle früher auf die Schliche kam? Das sollte der NSUUntersuchungsausschuss herausfinden. Den Vorsitz übernahm der SPD-Abgeordnete Sebastian Edathy. „Der Untersuchungsausschuss hat ein multiples, multidimensionales Versagen der Sicherheitsbehörden aufgedeckt“, sagt Edathy. Als Ursachen dafür habe das Gremium strukturelle Probleme, aber auch die Mentalität vieler Mitarbeiter ausgemacht. „So haben die beteiligten Sicherheitsbehörden dramatisch schlecht kooperiert und kommuniziert, die Gefahr einer zunehmend gewaltbereiter gewordenen rechtsextremen Szene massiv unterschätzt und die Ermittlungen nicht vorurteilsfrei geführt“, stellt Edathy fest.

Rechtsanspruch auf Kita-Platz

Die SPD-Abgeordneten Sebastian Edathy, Christine Lambrecht, Thomas Oppermann und Eva Högl (v.l.n.r.) bei einer Diskussionsveranstaltung zum NSU-Terror Ende 2012.

„Multiples Versagen“ Der NSU-Untersuchungsausschuss fordert Konsequenzen aus dem rechtsextremen Terror Der Untersuchungsausschuss sollte auch Empfehlungen aussprechen, wie die Arbeit der Behörden verbessert und Rechtsextremismus effektiver bekämpft werden kann. Die Sprecherin der SPD-Fraktion im Untersuchungsausschuss Eva Högl sagt, das SPD-Einzelvotum im Abschlussbericht stelle klar: „Nur mit konsequenten strukturellen und organisatorischen Maßnahmen, einer Stärkung der parlamentarischen Kontrolle und einer größeren Unterstüt-

zung zivilgesellschaftlicher Initiativen wird die notwendige Bekämpfung des Rechtsextremismus gesamtgesellschaftlich erfolgreich sein.“ Die SPD-Bundestagsfraktion wird die Ergebnisse des NSU-Ausschusses am 28. August in Berlin bei einem öffentlichen Fachgespräch vorstellen und mit Bürgern und Experten diskutieren. Auf der Internetseite spdfraktion.de wird die Veranstaltung live übertragen. n CFH

NSA-Späh-Affäre nicht aufgeklärt

SPD fordert de Maizières Rücktritt

In der Spähaffäre hat die Bundesregierung noch immer nicht aufgeklärt, welche Kommunikationsdaten von deutschen Staatsbürgern durch den USGeheimdienst NSA und den britischen Geheimdienst GCHQ gesammelt werden. Die Zusicherung von KanzleramtsminisProtest gegen PRISM: Demonstrater Ronald Pofalla, dass es durch tion in Frankfurt am Main die NSA keine Ausspähungen in Deutschland gebe, sei nichts wert, erklärte der Vorsitzende des Parlamentarischen Kontroll­ gremiums Thomas Oppermann: „Immerhin läuft der Großteil der innerdeutschen Kommunikation über Server in den USA.“ Skeptisch reagierte Oppermann auch auf das Angebot der NSA, zwischen den amerikanischen und deutschen Geheimdiensten ein Anti-SpionageAbkommen zu schließen. Solange das Kanzleramt nicht aufgeklärt habe, was PRISM sei und was die NSA tue, könne keine belastbare Vereinbarung mit den USA über den Schutz der Grundrechte in Deutschland getroffen werden, argumentierte Oppermann. Auch SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier kritisierte die Bundesregierung: „Statt die Suchscheinwerfer ­einzuschalten, werden von der Merkel-Regierung Nebelkerzen geworfen“. n CFH

Das gescheiterte Rüstungsprojekt „Euro Hawk“ hat die Steuerzahler einen dreistelligen Millionenbetrag gekostet. Warum wurde es so spät gestoppt, obwohl den Beteiligten offenbar seit Jahren bewusst war, dass die Drohne keine Genehmigung für den europäischen Luftraum bekommen würde? Mit dieser Frage hat sich ein Untersuchungsausschuss des Bundestages befasst. Dabei kam heraus: Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) hat offenbar die Reißleine für das Projekt zu spät gezogen, obwohl er in den letzten zwei Jahren mehrfach über die erwarteten Zulassungsprobleme und die damit verbundenen steigenden Kosten informiert worden war. Letzteres hatte de Maizière zunächst bestritten, nachdem er im Mai 2013 den Stopp des Projektes verkündet hatte. Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Rainer Arnold fordert deshalb seinen Rücktritt. „Es kann nicht sein, dass ein Minister mehrfach vor dem Parlament und der Öffentlichkeit die Unwahrheit behauptet“, sagte Arnold nach der Zeugenvernehmung von de Maizière vor dem Untersuchungsausschuss. Daher könne er nicht länger der Oberbefehlshaber der Bundeswehr sein. De Maizière habe sich auch nicht aktiv um das Drohnenprojekt gekümmert, obwohl er dies wegen der hohen Relevanz des Projektes hätte tun müssen. „Das zögerliche Handeln des Ministers kostet noch mehr Geld“, resümiert Arnold. Verpasst worden sei dadurch auch die Möglichkeit, früher nach Alternativen zum „Euro Hawk“ zu suchen. n CFH

Mehr Infos auf spdfraktion.de und vorwärts.de

Seit dem 1. August gibt es für jedes Kind ab dem ersten Geburtstag einen Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. Durchgesetzt hat dies die SPDFraktion 2007 in der Großen Koalition. Damals wurde beschlossen, dass der Bund bis 2013 rund vier Milliarden Euro in den Ausbau der Kita-Plätze investiert. Doch der Bedarf ist noch größer als damals angenommen. Die SPD-Fraktion fordert deshalb, das von SchwarzGelb eingeführte, bildungsfeindliche Betreuungsgeld abzuschaffen und die dafür vorgesehenen Mittel in mehr Kita-Plätze zu investieren. Die familienpolitische Sprecherin der SPDBundestagsfraktion, Caren Marks: „Das Betreuungsgeld ist eine milliardenschwere Fehlinvestition“. n CFH

»

Seehofer betreibt Volksverdummung. Florian Pronold,

«

SPD-Fraktionsvize, über die mit EU-Recht unvereinbare Forderung der CSU, eine PKW-Maut nur für Ausländer einzuführen.

Impressum Verlags-Sonder­ veröffentlichung Herausgeber: SPD-Bundestagsfraktion Petra Ernstberger, MdB Parl. Geschäftsführerin V.i.S.d.P. Anschrift: SPD-Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin


22  Meinung

vorwärts 09/2013

Zwischenruf

Leserbriefe Für die Weltbürger von morgen 07-08/2013

michaela engelmeier-Heite Die SPD muss sich als treibende Kraft in der Sportpolitik etablieren. Dazu muss sie ihr Programm stärker herausstellen

D

er Sport war immer ein prägender Bestandteil sozialdemokratischen Lebens. Wer kennt sie nicht: den Radfahrbund „Solidarität“ oder den Arbeiter-Sportverein „Fichte“? Diese traditionellen Wurzeln der SPD zu ehren heißt nicht, dass wir heute auf diese Weise Sport fördern können. Denn die Zeiten einer klassenorientierten Sportbewegung sind vorbei, die Mitgliedschaft in einem Sportverein ist nicht mehr parteigebunden. Trotzdem gilt: Die SPD muss sich als treibende Kraft in der Sportpolitik besser etablieren. Personell sind wir in den Verbänden gut verankert: z.B. ist Dagmar Freitag Vizepräsidentin des Deutschen Leichtathletik-Verbandes, Rudolf Scharping Präsident des Bundes Deutscher Radfahrer, Friedhelm Julius Beucher Präsident des Deutschen Behindertensportverbands, ich selbst bin Vizepräsidentin des Deutschen Judo-Bundes. Auch bei einem Wahl-Hearing des Deutschen Olympischen Sportbunds (DOSB) mit seinen 28 Millionen Mitgliedern in 91 000 Vereinen war die SPD durch Thomas Oppermann, Mitglied des Peer-Steinbrück-Teams, gut vertreten. Doch neben der personellen Präsenz sollte die politische Zuständigkeit für den Sport in Berlin konzentriert und nicht unübersichtlich auf zahlreiche Ministerien verteilt werden. Ein Staatsminister Sport im Bundesinnenministerium wäre eine denkbare Variante. In der SPD gibt es einen Sportbeirat und ein Forum Sport, überall sind Sport-Arbeitsgruppen, Sportreferenten, Sportbeauftragte und Sprecher/ innen für Sportpolitik aktiv. Formal scheint alles zu laufen. Doch das kann nicht alles sein. Wir müssen als

Partei stärker herausstellen, was wir wollen. Im Programm „Sport für alle, mit allen“ sind Ideen für Vereine und Verbände, für den Breiten-, den Spitzen- und den Behindertensport, für die gesellschaftliche Anerkennung des Sports, die Chancengleichheit mit i hren bildungspolitischen Aspekten ­ und natürlich für die Bekämpfung von Doping und rechtsextremen Tendenzen enthalten. Konkrete Lebenshilfen – etwa für den Berufseinstieg von Spitzensportlern – oder eine ausreichende Würdigung ehrenamtlicher Leistungen sollten das vorhandene Engagement ergänzen. Die SPD muss den Sport auf allen Ebenen, in den Städten und Gemeinden, in den Ländern und im Bund, als zentrales Thema betrachten. Denn es reicht nicht, sich auf gutes Spitzenpersonal zu verlassen oder auf Messgeräte zu schauen. Wir müssen die sozialen, die gesundheitlichen und kulturellen Aspekte erkennen und Werte wie Toleranz und Fairness herausstellen. Dann werden wir wieder als Partei des Sports wahrgenommen. n

Michaela Engelmeier-Heite ist Vizechefin des Deutschen JudoBundes und im SPDParteivorstand „Beauftragte für Sport“. Sie kandidiert in NRW für den Bundestag.

Mitreden & bloggen: vorwärts.de/zwischenruf

Die Botschaft ist klar: Die SPD ist immer erste Wahl. Ob der Besitzer des Autos Sozialdemokrat ist, ist nicht bekannt. Der Fotograf dieses Bildes ist es auf jeden Fall. Günther Schäfer ist Mitglied im Ortsverein Taunusstein in Hessen. Das aussagekräftige Nummernschild hat er in seinem Urlaub auf Malta entdeckt und uns geschickt. Auf unserer Facebook-Seite bekam es viele „Likes“ und wurde oft geteilt. Vielen Dank! n facebook.com/vorwaerts1876

Auf die Reise fertig los! 150 Jahre Sozialdemokratie haben ihre Spuren in der ganzen Republik hinterlassen, ganz besonders aber in Berlin. Im Prater, Berlins ältestem Biergarten, wurde der Allgemeine Deutsche Arbeiterverein, Vorläufer der SPD, gegründet. Vor dem Rathaus Schöneberg sprachen neben John F. Kennedy auch Ernst Reuter und Willy Brandt den Westberlinern Mut zu. Im Abgeordnetenhaus erinnert eine Ausstellung an Demokraten. Geschichtsträchtige Orte sind der Sozialistenfriedhof ebenso wie der Friedhof der Märzgefallenen. Der SPD-ReiseService bietet vom 7. bis 10. November eine Berlin-Reise mit drei Übernachtungen für 230 Euro pro Person. Politische und insbesondere sozialdemokratische Sehenswürdigkeiten werden besucht. Das Paul-Singer-Haus, in dem der „vorwärts“ seine Redaktion hat, ist auch dabei. Und als kulturellen Höhepunkt spielt das tradi­tionsreiche, noch zu DDR-Zeiten gegründete Lied­ theater „Teeater“. n YH Infos zur Reise spd-reiseservice.de

Rainer Vogl, Baden-Baden

Gewonnen! 07-08/2013

Meinen herzlichen Glückwunsch, dass das „vorwärts-extra“ zum SPD-­Jubiläum Silber gewonnen hat. Aber ehrlich gesagt, es hätte meiner ­Meinung nach Gold verdient.

Uta Fritzsche, Mönchengladbach

Ein riesengroßes Lob an die Redaktion des „vorwärts“ zur Ausgabe ­Juli/­August. Weiterhin war die Sonderausgabe zum 150-jährigen Jubiläum ein toller Erfolg.

Ingo Imhof, per E-Mail

Als die quote siegte 07-08/2013

Ich war Gasthörerin auf dem Parteitag am 30. August 1988 mit meiner damals sechs Monate alten Tochter. Ich hatte zu der Zeit noch Mutterschaftsurlaub und wollte unbedingt dieses historische Ereignis miterleben. Es existiert ein Foto von mir mit meinem Baby auf diesem Parteitag im „vorwärts“.

Dagmar Kappelhoff, per E-Mail

seitwärts: Keine Zukunft 07-08/2013

Wie in aller Welt hat es der SeitwärtsComic in die aktuelle Ausgabe geschafft? Ist das etwa die Vorstellung der SPD von den sozial- und bildungspolitischen Herausforderungen der nächsten Jahre? Teilt sich in der simplen Botschaft „Wer Arbeit sucht, der findet auch eine Stelle“ die Sicht der Sozialdemokratie auf den Arbeitsmarkt und ihre beschäftigungspolitische Programmatik mit? Und witzig ist das

Fotos: privat, Günther Schäfer

Sport ist wichtig!

SPD – Die Nummer Eins

Leider gehört die Verdrängung der eigenen Sprache und ihre Verhunzung durch Rechtschreibreform, Anglizismengebrauch etc. offenbar zum Ziel deutscher Politik. Wie könnte es sonst sein, dass Deutsch als Idiom des größten Sprachraums in der EU immer noch nicht als gleichberechtigte Amtssprache mit Französisch und Englisch durchgesetzt wurde, an deutschen Universitäten teilweise nur noch englische Vorlesungen gehalten werden und Anträge auf Aufnahme von Deutsch als Sprache der Bundesrepublik in das Grundgesetz diffamiert werden?


Meinung 23

09/2013 vorwärts

Einberufung gemäß § 18 (1) und § 32 Organisationsstatut

­o rdentlicher ­B undesparteitag Vom 14. bis 16. November 2013 Leipziger Messe GmbH, Messe-Allee 1, 04356 Leipzig Antragsschluss gemäß § 18 (2) ist Freitag, 13. September 2013 um 24 Uhr für ordentliche Anträge, satzungsändernde Anträge und Wahlvorschläge.

Vorläufige Tagesordnung

Donnerstag, 14. November 11.00 Uhr Konstituierung und Eröffnung Begrüßung Wahl des Präsidiums Wahl der Mandatsprüfungs- und Zählkommission Beschluss über die Geschäftsordnung Beschluss über die Tagesordnung 13.00 Uhr Rede des Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel 14.00 Uhr Aussprache 15.00 Uhr Grußworte Anschließend Rechenschaftsberichte – B ericht der Generalsekretärin – B ericht der Schatzmeisterin – B ericht der Vorsitzenden der Kontroll­ kommission – Gleichstellungsbericht (schriftlich) – B ericht der Bundestagsfraktion (schriftlich) – B ericht über den Stand der Betriebs­ organisation (schriftlich) – B ericht über die Erledigung und Bearbeitung der angenommenen und überwiesenen ­Anträge der vorangegangenen Parteitage (schriftlich) 16.00 Uhr Aussprache 17.00 Uhr

Bericht der Mandatsprüfungs- und Zählkommission

17.30 Uhr

Bericht des Vorsitzenden der Antragskommission

18.00 Uhr Antragsberatung einschließlich satzungsändernder Anträge 21.00 Uhr Unterbrechung des Parteitages

Ganze auch nicht. Das ist leider nicht vorwärts, nicht einmal seitwärts, sondern nur abwärts.

York Winkler, Elvese

04/2013

In der vergangenen Ausgabe hätte ich einen Nachruf auf Peter Schulz (AltBürgermeister von Hamburg, die Red.) erwartet, ihn aber nicht gefunden. Peter Schulz war immer dicht dran an seiner SPD, auch wenn sie ihn im Gegenzug nicht immer so geschätzt haben mag. Ein Beispiel ist der Leserbrief, in dem Peter Schulz die Sonderausgabe zu 150 Jahren SPD lobt. Auf seiner Trauerfeier sang ein Tenor „Ein Sohn des Volkes will ich sein und bleiben“, ein Lied, das mit jedem Wort auf Peter Schulz passte. Ich habe die große Ehre gehabt, eng mit ihm zusammen arbeiten zu dürfen. Wir haben einen großen Sozialdemokraten verloren .

07-08/2013

Christian Frenzel, Schwerin

Freitag, 15. November   9.00 Uhr Beginn/Grußworte   9.30 Uhr Antragsberatung

„Jeder Euro-Staat kann machen, was er will. Wenn es schief geht, müssen die anderen dafür bezahlen. Damit muss Schluss sein“, meinte der Vorsitzende Gabriel in der April-Ausgabe des „vorwärts“. Endlich einmal eine klar-kräftige Aussage nach meinem Geschmack! Doch komme ich bald ins Grübeln. ... Bei Euro-Bonds müssten wir hierzulande mit höheren Zinsen rechnen, was unserer Wirtschaft – und den Arbeitnehmern – wahrlich nicht gut tun würde; die anderen Länder könnten sich mit Euro-Bonds billiger Geld beschaffen, auch dies hielte wahrlich nicht zum Sparen an! Wie man’s dreht, der Genosse Vorsitzende muss zur EuroKrise bald noch ein wenig konkreter werden, zusammen mit dem Kanzlerkandidaten, sonst wirkt seine Aussage nicht wirklich glaubhaft.

Tod von Peter Schulz

Karikatur: Klaus STuttmann

Schluss mit der ­Euro-Anarchie!

Jürgen W. Fritz, Ort, per E-Mail

10.00 Uhr

Wahl Parteivorsitzende/r

10.30 Uhr Wahl der stellvertretenden Vorsitzenden und Wahl des/der Beauftragten für die Europäische Union 12.00 Uhr Antragsberatung 14.00 Uhr

Wahl Generalsekretär/in

14.30 Uhr

Wahl Schatzmeister/in

15.00 Uhr Antragsberatung 16.00 Uhr

Wahlen zum Parteivorstand

19.00 Uhr Unterbrechung des Parteitages 20.00 Uhr Parteiabend

Samstag, 16. November 10.00 Uhr Beginn/Grußworte 10.15 Uhr

Wahl der Bundesschiedskommission

10.30 Uhr Antragsberatung 11.15 Uhr

Wahl der Kontrollkommission

11.45 Uhr

Wahl der Delegierten zum Kongress der SPE

12.00 Uhr Verleihung des Wilhelm-Dröscher-Preises 13.00 Uhr

Schlusswort Parteivorsitzende/r


24  Wirtschaft

Keine Politikwende – nur Kritik im Feuilleton Finanzmarkt Die Banken haben immer noch zu viel Einfluss, klagt Sebastian Dullien, Professor für Volkswirtschaft in Berlin Interview Yvonne Holl Herr Dullien, ist das Raubtier ­Finanzmarkt heute gebändigt? Nein. Zwar sah es kurze Zeit so aus, als seien die Politiker weltweit entschlossen, die Finanzmärkte wirklich an die Kette zu legen, aber am Ende wurden die großen Fundamentalprobleme nicht angegangen. Was sind Ihre Hauptkritikpunkte an den Mechanismen vor 2008? Grundsätzlich ist den Finanzmärkten viel zu viel Einfluss auf unsere Volkswirtschaften eingeräumt worden. ­Finanzmärkte haben nicht nur über Investitionen von Unternehmen entschieden, sondern ihnen wurde eine wachsende Rolle etwa bei der Altersvorsorge zugeschrieben. Mit ihrem Einfluss auf die Märkte für Staatsanleihen bestimmen sie über das Schicksal ganzer Nationen, wie uns in der Euro-Krise immer wieder plastisch vor Augen geführt wird. Über den Rendite-Druck und den Fokus auf das Shareholder-Value-Prinzip brachten sie extremes Kurzfrist-Denken in viele Bereiche der Wirtschaft und trugen zur wachsenden Einkommensschere zwischen Arm und Reich bei. Von Spekulanten getriebene massive Wechselkursschwankungen können über Nacht die Planungen ganzer Konzerngruppen hinfällig werden lassen und zu Massenentlassungen führen. Zugleich hatten die Finanzmärkte eine ungeheure Komplexität bei Finanzprodukten und Institutionen entwickelt, die weder Marktakteure noch Aufsichtsbehörden oder Politiker noch überschauen konnten. Wurden die System-Fehler alle erkannt? Das Grundproblem des übermäßigen Einflusses der Finanzmärkte und der Komplexität des Finanzsektors wurde vielleicht im Feuilleton angekreidet, nicht aber mit neuen Regulierungen oder einer Politikwende angegangen. Über eine Begrenzung der globalen Kapitalströme oder eine nachhaltige Stabilisierung der Wechselkurse wurde auf der politischen Bühne noch nicht einmal ernsthaft geredet. Lediglich an den Detailproblemen wie etwa klar unzureichendem Eigenkapital der Banken oder bestimmten Geschäftspraktiken bei den Verbriefungen wurde nun etwas gedreht.

Systemfehler wurden erkannt aber nicht behoben, sagt Volkswirt Dullien.

Zahlen zur Krise

150

Milliarden Euro pumpen die Notenbanken im September 2008 in den Geldmarkt um einen Kollaps zu verhindern.

80

Millionen Euro Bonus genehmigt die Deutsche Bank Manager Christian Bittar noch 2009; kein Einzelfall. QuelleN: Handelsblatt, Tagessschau.de

Während der Krise wurde der Begriff „too big to fail“ geprägt, der Institute meint, die so groß und mächtig gewor­ den sind, dass ihre Insolvenz Staaten oder gar die Weltwirtschaft gefährden könnte. Ist das Problem gelöst? Den großen, systemrelevanten Banken ist nun auferlegt worden, künftig mehr Eigenkapital für ihre Geschäfte vorzuhalten. Das höhere Eigenkapital macht die Banken zwar sicherer, aber es bleibt immer noch die Möglichkeit, dass große, systemrelevante Banken durch unvorhergesehene Ereignisse in eine Schieflage geraten und vom Staat gerettet werden müssen. Das ist so in modernen Bankensystemen, und das wird auch so bleiben. Umstritten ist die geplante Einführung der Transaktionssteuer, mittels der Banken ihre risikoreicheren Geschäfte selbst absichern sollen. ­Kritiker sehen die private Alters­vorsorge gefährdet. Sie auch?

Für vernünftige Investitionsstrategien, bei der Wertpapiere mit langen Anlagehorizonten gehalten werden, fallen trotz der gesetzlich vorgeschriebenen Umschichtungen auf das einzelne Jahr gerechnet nur extrem niedrige Steuersätze an. Statt über die Belastung der privaten Altersvorsorge durch die Transaktionssteuer zu sprechen, sollte man lieber einmal über die in den üblichen Rentensparplänen und Riester-Produkten enthaltenen Gebühren sprechen – die sind nämlich zum Teil geradezu unverschämt, belasten die Sparer und fließen direkt den Banken zu. Für mich ist die Warnung vor den Belastungen der einfachen Bürger durch die Transaktionssteuer nur das geschickte Werfen von Nebelkerzen durch den Finanzsektor, um zu verdecken, wer wirklich die Spargroschen abgreift. In Deutschland wurde diesen ­Sommer der Aufbau eines Trenn­ bankensystems beschlossen, wonach Geldinstitute ihre risikoreichen ­Anlagegeschäfte getrennt vom ­regulären Kundengeschäft führen müssen. Wie bewerten Sie diesen Schritt? Die grundsätzliche Idee, riskante Bankgeschäfte stärker vom Einlagen- und Zahlungsgeschäft zu trennen, ist richtig und gut. Von daher ist das beschlossene Trennbankengesetz klar zu begrüßen. Die Frage ist, ob die nun beschlossenen Regeln weit genug gehen und etwa die gesetzten Schwellenwerte nicht zu niedrig sind, sodass eine Reihe von Banken mit riskantem Eigenhandel unter der Schwelle bleibt. Eine andere Frage ist, ob das Verbot von Krediten an Hedge-Fonds ausreicht oder ob den Banken nicht doch zu viele Möglichkeiten bleiben, mit wenig oder nicht regulierten Schattenbanken Geschäfte zu machen. Das Vertrauen der Bürger in die ­Banken hat unglaublich gelitten. Sind die Akteure denn inzwischen wieder vertrauenswürdig? Man muss sich klar machen, dass das Ziel der Akteure im Finanzsektor ist, Gewinne zu machen. Dabei wird oft die Frage nach dem Gemeinwohl gar nicht mehr gestellt. Gleichzeitig kann vorsätzliches oder fahrlässiges Fehlverhalten der Finanzmanager großen Schaden für die Volkswirtschaft als Ganzes verursachen. Das war vor der Krise 2008/9 so und das ist heute auch noch so. Von daher würde ich sagen, ein guter Teil des Vertrauensverlustes ist nur ein gesunder Realitätsschock für die Bürger. Lassen Sie uns also hoffen, dass ein gesundes Misstrauen bestehen bleibt! n Sebastian Dullien ist Volkswirt und Journalist. Er lehrt als Professor Allgemeine Volkswirtschaftslehre an der Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin.

Foto: Hendrik Rauch

vorwärts 09/2013


Wirtschaft 25

09/2013 vorwärts

meine Arbeit

Am Steuer der Eidechse » Jede Halle hat ihr ­ igenes System, ich habe e bisher fast keinen Tag dasselbe gemacht.

«

Foto: Maicke Mackerodt

M

eine ganze Familie arbeitet bei Ford: Vater, Onkel, Bruder, Cousins. Hier zu arbeiten, ist mir in die Wiege gelegt worden. In der 9. Klasse habe ich ein Praktikum im Ersatzteilzentrum gemacht, das hat mir gut gefallen. Ich arbeite am liebsten praktisch, kann logisch denken und gut organisieren. Deshalb habe ich gleich nach dem Abitur meine Ausbildung zur Fachkraft für Lagerlogistik angefangen. Die Arbeit ist aufgeteilt in vier Bereiche: Wareneingang, Lagerhaltung, Kommissionierung, Versand; dazu kommen Qualitätskontrolle, Bestandsaufnahme. Im Schichtdienst fange ich um 6.15 Uhr an und trage schon die Schutzkleidung: graue Arbeitshose, Sicherheitsschuhe. Der Kolonnenführer teilt mir die Arbeit zu. Wenn ich beim Wareneingang am

Fachkraft für Lagerlogistik Giulia Anglano 20 Jahre, lebt in Köln Ausbildung

3-jährige duale Ausbildung, kann verkürzt werden

Status

angestellt, Auszubildende

Gehalt

als Azubi 830 Euro brutto, im 1. Jahr 2.300 monatlich / brutto

Arbeitszeit

35 Wochenstunden

Meldekopf sitze, geben mir die LKW-Fahrer ihre Papiere, die ich ins System eingebe. An der Rampe zähle und überprüfe ich die Packstücke. Später entlade ich LKW, fahre die Paletten mit dem Stapler zum Checken ins Lager. Ich habe auch direkt den Stap-

ler-Führerschein gemacht, das macht Spaß, ist wie Auto­scooter fahren. Es ist eine sehr verantwortungsvolle Arbeit: Wenn kaputte Ware geliefert wird und niemand merkt es, macht die Firma Verlust. Das Lager ist wirklich

groß, da werden Ersatzteile für ganz Europa gelagert und verschickt. Da gehe ich nie zu Fuß durch, sondern fahre entweder mit dem Elektro-Karren, den wir Eidechse nennen oder mit dem Stapler. Beim Kommissionieren habe ich ein Headset auf und einen Scanner dabei. Ich arbeite pick by voice, das bedeutet, ich fahre zum Fach, scanne die Bestellung und nehme die bestellte Ware raus. Im Warenversand mache ich dann die Frachtpapiere und Ladelisten fertig. Die Arbeit als Lager-Logistikerin ist vielfältig, ich habe bisher fast keinen Tag dasselbe gemacht. Jede Halle hat ihr eigenes System, die muss ich am Ende alle kennen. In der Ausbildung wird man überall eingesetzt. Zuletzt habe ich gemeinsam mit einer Industriekauffrau den Auto-Verleih für gemeinnützige ­ Organisationen organisiert. Ende nächsten Jahres bin ich fertig, dann habe ich die Möglichkeit in den Pool zu gehen: Das wäre mir am liebsten, da wird morgens entschieden, wo ich benötigt werde. Da kriege ich alles mit, kann am meisten ­Erfahrung sammeln und noch den Meister in Logistik machen. n Aufgezeichnet von Maicke Mackerodt vorwärts.de/meine_arbeit ANZEIGE

vorwärts-Bücher zur Wahl SIehT DIe zuKuNFT alT auS?

Den Demografischen Wandel meistern Sabine Bätzing-lichtenthäler 92 Seiten, ISBN 978-3-86602-039-9, 10 Euro Ein spannendes Buch über gechillte Oldies, gestresste Middle-Ager, Nonnen und Elefanten. Die Autorin diskutiert, wie alle Menschen ihre Potenziale entfalten können.

DaMIT DeuTSchlaND VOraNKOMMT

Kompass für eine progressive Wirtschaftspolitik hubertus heil | armin Steinbach 162 Seiten, ISBN 978-3-86602-351-2, 10 Euro Wie kommen wir zu guter Arbeit und Vollbeschäftigung? Die Autoren stellen Strategien zur gezielten Förderung von Investitionen und Binnennachfrage vor.

WerTarBeIT

Leitbild für eine menschliche Arbeitsgesellschaft andrea Nahles 120 Seiten, ISBN 978-3-86602-563-9, 10 Euro Die SPD-Generalsekretärin zeigt, wie soziale Bürgerrechte auf Mindestlohn, Arbeitnehmer schutz und soziale Sicherung zukünftig in der Arbeits- und Sozialpolitik zusammengeführt werden können.

FaMIlIe: NeuSTarT Für DIe FaMIlIeNpOlITIK

peter ruhenstroth-Bauer Mit einem Geleitwort von Frank-Walter Steinmeier 116 Seiten, ISBN 978-3-86602-695-7, 10 Euro Am Beispiel „Demografischer Wandel“ zeigt der Autor, wie Familienpolitik Querverbindungen u.a. in Wirtschafts- und Arbeitsmarktpolitik nutzen kann.

eNerGIeWeNDe FOrTSeTzeN

Regenerative Vollversorgung vor dem Durchbruch? Nina Scheer 96 Seiten, ISBN 978-3-86602-751-0, 10 Euro Die Autorin beantwortet wichtige Fragen: Welche Hürden und Herausforderungen stellen sich für das Atom- und Energiepaket? Wie können erneuerbare Energien in Deutschland ausgebaut werden?

DIe hÄlFTe Der MachT

– und die Hälfte des Wickeltisches Manuela Schwesig 120 Seiten, ISBN 978-3-86602-803-6, 10 Euro Die Ministerin beschreibt, wie junge Paare in die Traditionsfalle gelockt werden und warum die Familie im 21. Jahrhundert nur von links gerettet werden kann.

erhältlich im gut sortierten Buchhandel, als e-Book oder direkt bei: vorwärts|buch Verlagsgesellschaft mbH, Stresemannstraße 30, 10963 Berlin, Tel. 030/25594-520, Reglind Dörner, doerner@vorwaerts-buch.de, www.vorwaertsbuchverlag.de

vorwärts|buch


Mobilität

09-2013-Anzeigen-sonderveröffentlichung

26

Immer in Bewegung: mobil in der Zukunft Verkehr im Wandel: Die Straßen werden immer voller – auch mit Fahrrädern.

Mobilität heißt seit 100 Jahren immer auch Verbrennung: Egal, ob Personen in Autos reisen oder Waren in LKW transportiert werden – bis heute ermöglichen das Verbrennungsmotoren. Doch ihre Zeit läuft ab. Das Erdöl wird immer knapper. Die Industriestaaten haben sich verpflichtet, ihren CO2-Ausstoß nachhaltig zu senken. Allein Deutschland will bis 2050 um 80 bis 95 Prozent weniger CO2 ausstoßen. Für den Verkehrssektor sollen bis 2020 rund zehn Prozent weniger Energie verbraucht werden als noch 2005, bis 2050

soll die Reduzierung bei 40 Prozent liegen. Um diese Ziele zu erreichen, sind Alternativen gefragt, sowohl bei den Technologien als auch bei den Verkehrskonzepten. Bei den Motoren beginnt gerade die Ära der Elektromobilität. Zudem spielt Erdgas als günstige und umweltfreundliche Alternative zum Öl eine immer größere Rolle. Zugleich verändert sich die Art, wie wir mobil sind. In den Großstädten geht der Trend weg vom eigenen Auto hin zur individuellen Kombination verschiedener Angebote: Carsharing, öffentlicher Perso-

nennahverkehr oder das Fahrrad – je nach Bedarf sucht sich der Städter das gerade passende Fortbewegungsmittel. Der richtige Mix unterschiedlicher Verkehrsmittel wird auch beim Warentransport zukünftig entscheidend sein. Die Straßen sind heute schon mehr als ausgelastet, der LKW als Haupttransportmittel von Gütern stößt an seine Grenzen. Künftig wird es darauf ankommen, die verschiedenen Verkehrswege – Straße, Schiene und Wasser – aufeinander abzustimmen und effizient zu verknüpfen. n

Foto:Jens Gyarmaty / VISUM

Die Energiewende hat etwas ins Rollen gebracht: Neue Technologien und Verkehrskonzepte sollen uns künftig umweltfreundlich mobil machen. Ein Anfang ist gemacht, doch es bleibt viel zu tun.


27

09-2013-Anzeigen-sonderveröffentlichung

Mobilität

Das Comeback der Postkutsche Fernbusse bieten in Deutschland seit dem 1. Januar eine günstige Alternative zu Bahn, Auto und Co. Mit dem ADAC-Postbus steigt jetzt ein weiterer Anbieter in den jungen Markt ein.

Fotos: Post AG, Holm Frankfurt

Am Anfang des öffentlichen Personenverkehrs stand die Post: Jahrhundertelang boten Postkutschen für Privatpersonen die einzige Möglichkeit zu reisen. Dann kam die schnellere und bequemere Bahn – und mit ihr verschwanden die Kutschen. Jetzt besinnt sich die Deutsche Post wieder auf ihr ehemaliges Kerngeschäft und will wieder Personen von A nach B bringen. Diesmal allerdings nicht mit Kutschen, sondern mit Bussen. Gemeinsam mit dem ADAC steigt das Unternehmen in den neu geöffneten Fernbusmarkt ein. Ab November soll der „ADAC-Postbus“ auf fünf Strecken deutsche Großstädte verbinden. Bis 2014 sollen es 30 Städte sein, zwischen denen 60 Busse verkehren. „Ob Student oder Rentner, ob Tourist oder Pendler, ob Singles oder Familien: Wir werden für alle da sein und ein preisgünstiges, sicheres und komfortables Reisen bieten“, sagt ­Jürgen Gerdes von der Deutschen Post. Erst seit Januar 2013 dürfen in Deutschland überhaupt wieder Fernbusse fahren. Seit den 1930er Jahren waren sie bis auf wenige Ausnahmen per Gesetz ver-

Das Problem ist einfach beschrieben: Der Verkehr nimmt zu. Weltweit. In den Großstädten und industriellen Ballungsräumen werden täglich immer mehr Waren transportiert. Vor allem Deutschland als drittgrößte Exportnation der Welt ist davon betroffen. Die Kapazitäten auf Straßen, in der Luft oder zu Wasser sind begrenzt, die Energiepreise steigen. Klar ist: Wir können unsere Infrastruktur nicht unendlich ausbauen. Zumal große Infrastrukturprojekte der Bevölkerung immer schwerer vermittelbar sind, oft sind sie ökologisch fragwürdig und kaum finanzierbar. Bei der Lösung des Problems geht es um konkrete Fragen: Wie können komplexe Lieferketten optimal verbunden, die Mobilität effektiver organisiert werden? Wie kann Warentransport möglichst energieeffizient sein? An den Antworten arbeitet das House of Logistics & Mobility (HOLM). In dem Haus mit 20 000 Quadratmetern Bürofläche im Stadtteil Gateway Gardens am Frankfurter Flughafen treffen Unternehmen und Universitäten zusammen. „Die Probleme im Logistik- und Mobi­ litätsbereich haben einen Grad an Komplexität erreicht, der nicht mehr mit nur ­einer Fachdisziplin zu lösen ist, alle müssen kooperieren“, erklärt Jürgen Schultheis,

boten, um die staatliche Bahn zu schützen. Auch heute müssen die Unternehmen ihre Linien beantragen. Ihre Haltestellen müssen mindestens 50 Kilometer auseinander liegen, damit die Fernbusse keine Konkurrenz zum öffentlich mitfinanzierten Nahverkehr bilden. Obwohl der Fernbus-Markt jung ist, sind Post und ADAC Spätstarter. Marktführer ist derzeit das Berliner Unternehmen MeinFernbus, aber auch viele mittelständische Unternehmen und die Deutsche Bahn selbst mischen mit. Mit Aussicht auf Erfolg.

In den deutschen Fernbusmarkt kommt Bewegung: Auch Post und ADAC mischen mit.

Reisen mit kleinem Geldbeutel Langfristig sei ein Anteil von bis zu zehn Prozent am gesamten Verkehrsaufkommen möglich, sagt Christoph Gibb, Bereichsleiter Mobilität am IGES Institut. Er hat den Fernbus-Markt in einer Studie untersucht. Auf wichtigen Hauptstrecken prognostiziert er den Bussen sogar bis zu 25 Prozent Marktanteil. Das hat vor allem mit dem Preis zu tun. Die Fernbusse sind in der Regel günstiger

als Bahn, Auto oder Flugzeug. Sie bieten damit auch Menschen mit kleinen Geldbeuteln eine Möglichkeit zum Reisen. Derzeit fehlt es allerdings noch an der Infrastruktur, also an leicht erreichbaren Busbahnhöfen und guten Anbindungen an andere Verkehrsmittel. Hier müssten Kommunen ebenso investieren wie die Anbieter selbst, sagt Gibb. Ob die Fernbusse sich langfristig als günstige Alternative zu Bahn, Auto und Flugzeug etablieren können, hänge zudem von Reisekomfort und Sicherheitsaspekten ab. Bequemer als die seinerzeit als „Knochenknacker“ bezeichneten Postkutschen sollten die Busse also schon sein. n

Waren- und Gütertransportes. Das HOLM organisiert Arbeits- und Expertenkreise, die konkrete Lösungen erarbeiten, hilft bei der Finanzierung der Projekte und bei der Veröffentlichung und Vermarktung der Ergebnisse. Es gehe nicht um Universitätsforschung, erklärt Jürgen Schultheis, sondern um konkrete Fragestellungen aus der Praxis.

Mit gutem Beispiel voran

Logisches Haus Im House of Logistics & Mobility (HOLM) in Frankfurt planen Unternehmen und Universitäten gemeinsam die Logistik und den Verkehr der Zukunft. Das HOLM sucht in Frankfurt nach Lösungen für die Verkehrsprobleme von heute und morgen.

Sprecher des HOLM. Aus dieser Erkenntnis heraus sei die Idee für das HOLM entstanden, eine gemeinsame Gründung des Landes Hessen und der Stadt Frankfurt. Experten arbeiten hier interdisziplinär an der Zukunft des Personenverkehrs und des

Zum Beispiel um City-Logistik: In den Innenstädten müssen täglich Kaufhäuser, Supermärkte und Geschäfte beliefert werden. Oft passiert das mit relativ kleinen oder alten Fahrzeugen, die in zweiter Reihe parken. Die Folge sind Staus, Abgas- und Feinstaubbelastung. Gemeinsam mit der IHK Frankfurt arbeitet das HOLM deshalb für die Stadt Frankfurt an einer besseren Organisation des Zulieferverkehrs. Dabei gucken die Forscher über den Tellerrand hinaus. Denn egal ob Paris, Stockholm oder Istanbul – die Probleme sind überall ähnlich. Daten erheben, Beispiele suchen und in die eigenen Konzepte einbinden – das ist ein Prinzip des HOLM. Gleichzeitig will die Einrichtung als Beispiel vorangehen. „Wir wollen hier Lösungen finden, die man in der ganzen Welt als Blaupausen nehmen kann“, sagt Jürgen Schultheis. n


Mobilität

05-2013-Anzeigen-sonderveröffentlichung 09-2013-Anzeigen-sonderveröffentlichung

28

„Schiff und Bahn sind für die Industrie unersetzlich“ Rainer Schäfer, Präsident des Bundesverbandes Öffentlicher Binnenhäfen, erklärt im Interview warum Häfen und Wasserstraßen immer wichtiger werden. werden. Das Problem sind mangelnde Flächen für logistische Aktivitäten in den Hafenstandorten. Aufgrund voller Straßen werden Flüsse und Häfen immer wichtiger für den Warentransport.

Wie sieht Ihre Zukunftsprognose aus? Welche Herausforderungen kommen in den nächsten Jahren auf die ­Binnenhäfen zu? Die Renaissance der Binnenhäfen als Logistikdrehschreibe hat begonnen. Spannend wird die Verfügbarkeit von Flächen für Hafennutzung und -erweiterung, die Qualität der Verkehrsanbindung unserer Hafenstandorte und der drohende Verlust der Wettbewerbsfähigkeit, bedingt durch eine zunehmende Regelungsdichte.

» Nur das System

­Wasserstraße ­verfügt überhaupt noch über nennenswerte ­Kapazität. Rainer Schäfer

«

Die Rahmenbedingungen für den I­ nfrastrukturausbau muss die Politik setzen. Findet das Thema in der Politik aktuell genügend Beachtung?

Straßen und ­Autobahnen schon ­heute voll. Gibt es auf den Flüssen noch ­Transportkapazitäten?

223 Mio. Tonnen wurden 2012 aus den deutschen Binnenwasserstraßen bewegt. Dies sind rund 10 Prozent der Gesamtgütermenge, allerdings entspricht dieser Anteil nicht der wirklichen Bedeutung des Systems Wasserstraße. Die deutschen Binnenhäfen sind in der Regel Schnittstellen für Schiff, Bahn und LKW. Diese Drehscheibenfunktion wird in der amtlichen Statistik nicht adäquat abgebildet. Gerade Schiff und Bahn sind aber für die Rohstoffversorgung der deutschen Industrie unersetzlich.

Nur das System Wasserstraße verfügt überhaupt noch über nennenswerte Reservekapazität. Ein großer Anteil des Straßengüterverkehrs kann aber nicht durch Schiene oder Wasserstraße substituiert werden. Auf der kurzen Strecke ist der LKW konkurrenzlos, aber auf langen Strecken brauchen wir in Zukunft logistische Konzepte, die Gütertransport über alle Verkehrsträger organisieren.

Für die nächsten Jahrzehnte wird mit einem starken Anstieg des LKW-Verkehrs gerechnet. Dabei sind

Rainer Schäfer ist Präsident des Bundesverbandes Öffentlicher Binnenhäfen.

Was muss geschehen, um den ­ Transport von Gütern auf dem Wasser weiter a ­ uszubauen? Auf den Wasserstraßen können problemlos 50 Prozent mehr Güter transportiert

Es wird immer schwieriger, große ­Infrastrukturprojekte durchzusetzen. Sehen Sie diese Probleme auch beim Bau von neuen oder größeren ­Umschlagplätzen und Häfen? Große Bauvorhaben, insbesondere wenn sie mit Verkehr verbunden sind, haben ein Problem in der öffentlichen Wahrnehmung. Persönliche Betroffenheit Einzelner führt heute schnell zum Scheitern von Projekten mit überregionaler Bedeutung. Die nötigen positiven Mehrheiten lassen sich nur mit transparenten Planungs- und Entscheidungsprozessen organisieren. n

Fotos: Neuss Düsseldorfer Häfen

Welche Bedeutung haben Wasserstraßen und Binnenhäfen für den Güterverkehr in Deutschland?

Die Verkehrsinfrastruktur ist seit Jahrzehnten unterfinanziert, obwohl das verkehrsinduzierte Steueraufkommen weit über dem Finanzbedarf für Unterhalt, Neu- und Ausbau aller Verkehrsträger liegt. Dass die öffentliche Infrastruktur die Grundlage der wirtschaftlichen Prosperität Deutschlands ist, hat bisher nicht den nötigen Stellenwert in der Politik.


29

09-2013-Anzeigen-sonderveröffentlichung

Mobilität Der BMW i3 fährt bis zu 160 Kilometer mit einer Batterieladung. Im Verbrauch ist er wesentlich billiger als B ­ enzinoder Dieselfahrzeuge.

Grüne Autos in zahlen

Gute Fahrt in die Zukunft oder Autos werden grün Erdgas- und Elektroautos sind Teil der Energiewende. Nur, wenn sie gelingt, sind wir bald umweltfreundlich mobil. Eine Langzeit-Liebesgeschichte: die Deutschen und ihre Autos. 43,4 Millionen PKW sind laut Kraftfahrzeugbundesamt 2013 in Deutschland registriert. Für viele ist das eigene Auto unverzichtbar, um zur Arbeit zu kommen oder Verwandte zu besuchen. Vor allem in ländlichen Regionen ist ein Auto oft unentbehrlich. Millionen Autos bedeuten aber auch einen enormen Ausstoß des Treibhausgases Kohlendioxid (CO2). Um ihn zu reduzieren, arbeiten Forscher seit Jahren an Alternativen zu den gängigen Diesel- und Benzin-Motoren. Dabei gibt es zwei Trends: Erdgas- und Elektroautos.

Foto: BMW

Grüner Kraftstoff Autos die mit Erdgas fahren, werden richtig umweltfreundlich, wenn sie Biomethan als Kraftstoff nutzen. Dieses Bio-Erdgas kann aus Pflanzen ebenso gewonnen werden wie aus Bioabfall. Was alle Autofahrer freut: Erdgas kostet nur etwa halb so viel wie Benzin oder Diesel. Das liegt auch daran, dass auf den umweltfreundlichen Kraftstoff weniger Steuern anfallen als auf herkömmliche Treibstoffe. Bis mindestens 2018 bleibt das auch so. Gleichzeitig sind

die Erdgas-Autos verbrauchsarm. Zwar steht noch kein flächendeckendes Netz an Erdgas-Tankstellen zur Verfügung, doch die deutschen Autohersteller satteln langsam auf Erdgas um. Volkswagen hat im Frühjahr den VW Eco Up vorgestellt. Ein Kleinwagen, der 2,9 Kilo Erdgas auf 100 Kilometern verbraucht. Dabei stößt er 79 Gramm CO2 pro Kilometer aus. Das liegt unter der neuen EU-Richtlinie, die vorsieht ab 2020 nur noch 95 Gramm pro Kilometer auszustoßen. Audi liefert den Kraftstoff für sein neues Erdgas-Auto gleich mit: Der Konzern produziert synthetisches Erdgas. Eine neue Anlage in Werlte im Emsland erzeugt aus CO2, Wasser und Ökostrom Erdgas. Das Auto zum Treibstoff kommt Ende des Jahres auf den Markt: der Audi A3 TCNG. Ein Mittelklassewagen der auf 100 Kilometern 3,6 Kilogramm Gas verbraucht.

Strom im Tank Noch umweltfreundlicher sind Elektroautos, denn sie produzieren keine Emissionen. Wirklich grün sind sie aber nur, wenn der Strom für ihre Batterien aus Solar-, oder Windkraft erzeugt wird. Die

schwarz-gelbe Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, bis 2020 eine Million elektrisch betriebener Fahrzeuge in Deutschland zu haben. Gleichzeitig treibt sie die Energiewende nicht schnell genug voran. SPD-Chef Sigmar Gabriel erklärte im Bundestag: „Wenn die Bundesregierung in dem Tempo weitermacht, dann wird die Energiewende tatsächlich ein Jahrhundertprojekt.“ Die deutschen Autohersteller dagegen arbeiten an der grünen Mobilität. BMW hat mit dem i3 Ende Juli sein erstes rein elektrisch angetriebenes Modell vorgestellt. 130 bis 160 Kilometer kann der i3 im Alltagsverkehr fahren, bevor die Batterie aufgeladen werden muss. Der Ladevorgang dauert über die Haushaltssteckdose etwa sechs Stunden. An einer öffentlichen Schnellladevorrichtung (50 kW) stehen nach 30 Minuten rund 80 Prozent der Batteriekapazität zur Verfügung. Mit Strom fährt man wesentlich billiger als ein Wagen mit Benzin- oder Diesel-Motor. Die Entwicklung geht dahin, komfortabel mobil zu bleiben, gleichzeitig aber die Umwelt zu schonen. Jetzt muss es nur noch mit der Energiewende klappen. n

43,4 Millionen PKW sind in Deutschland registriert. Davon fahren bisher nur ca. 8000 mit Elektromotor.

25% der CO2-Emission lassen sich durch ein Erdgasauto im ­Vergleich zu Benzin oder Diesel einsparen. Quelle: Kraftfahrzeugbundesamt / deutsche Energie-Agentur

Impressum Verlagsbeilage Mobilität NWMD GmbH Oranienstraße 188 10999 Berlin Tel.: 030/616 204 72 Fax: 030/616 204 75 E-Mail: info@nwmd.de Geschäftsführung: Guido Schmitz Redaktion: NWMD Layout: Jana Schulze Herstellung: metagate Berlin Druck: Frankenpost Verlag GmbH, Hof


30  Kultur

vorwärts 09/2013

Irgendwann kam ihm ­jeder vors Objektiv

»Wessen Welt ist die Welt?« Die wechselvolle Geschichte der Jusos in der SPD Von Michael Müller, Bundesvors. NaturFreunde Deutschland Jungsozialisten (Jusos) waren fast immer ein Spiegelbild der Entwicklung der SPD. Allerdings entstand die Jugendorganisation der Partei erst 1904. Jede Organisation lebt auch von eigenen Mythen, die sich bei den Jusos aus dem Verhältnis zur SPD und aus dem Verständnis einer politisch eigenständigen Organisation ergeben. Intensiv beschäftigen sich die Autoren mit der „Linkswende“ seit 1969 und der Entwicklung danach. Sie tun das aus Sicht des „Netzwerks linkes Zentrum“, das sich in der Tradition der „Juso-Linken“ sieht. Die von ihnen beschriebene Flügelbildung zwischen „Reformisten“, Vertretern des „staatsmonopolistischen Kapitalismus“ und „Antirevisionisten“ bildete sich 1971 heraus und führte zu einer inhaltlichen Verengung und Abgrenzung. Die Jusos verloren Offenheit und Attraktivität. Dabei waren sie damals – auch durch den Einfluss der Studentenbewegung – eine systemverändernde Kraft, die mit Hilfe der „Doppelstrategie“ in der Gesellschaft Reformbewegungen förderte und so die SPD veränderte. Die Autoren beschreiben, wie sich die Richtungskämpfe entwickelten und wie es nach der deutschen Einigung zu neuen Konflikten kam. Das lesenswerte Buch gibt eine kurze Erklärung, warum die Jusos in der Umweltbewegung keine große Rolle spielen – was Mitte der 1970er noch anders war. Sie sollten die Chance nutzen, die soziale und die ökologische Frage miteinander zu verbinden, was der Entpolitisierung unserer Zeit entgegengewirkt und die Jusos stärkt. Noch ist es nicht zu spät. Deshalb: Lesen und diskutieren! n

Nachruf Jupp Darchinger wird uns in Erinnerung bleiben: als Chronist der Bonner Republik Von Klaus Wettig

Thilo Scholle / Jan Schwarz | »Wessen Welt ist die Welt?« vorwärts|buch, 264 Seiten, 20 Euro, ISBN 978-3-86602-761-9

1

ANZEIGE

Weiß-blauer Filz von Strauß bis Seehofer 2

3

Der Justizskandal um Gustl Mollath ist nur einer von vielen Fällen, mit denen sich Bestsellerautor Wilhelm Schlötterer in seinem neuen Buch beschäftigt. Eine gnadenlose Abrechnung des Insiders mit der bayerischen Politelite von Strauß bis Seehofer. Leseprobe unter heyne.de

79378-Schloetterer-Vorwaerts-99x152.indd 1

r war eine sozialdemokratische Institution: Jupp Darchinger. Niemand hätte sich gewundert, wenn seine Präsenz auf Parteitagen, Konferenzen, Kundgebungen im SPD-Statut verankert gewesen wäre. Es mögen einige tausend Ereignisse gewesen sein, die er in seinem langen Fotografenleben von 1952 an bei der SPD begleitet hat. Dabei wurde er zum Chronisten der Bonner Republik, und seine politische Bindung an die SPD lässt ihn das Familienalbum der Sozialdemokratie fotografieren. Wer noch Fotos von bestimmten Ereignissen der 1950er Jahre sucht, wird bei ihm fündig. Immer wieder sind es überraschende Bilder. Irgendwann kam ihm jeder vor‘s Objektiv, der in der SPD, aber auch in den anderen Parteien, seinen Weg aufnahm. Natürlich Willy Brandt, Helmut Schmidt, aber auch der startende Gerhard Schröder und tausende Genossinnen und Genossen, die er für die Protokolle der Partei

18.06.13 12:54

fotografierte. Nicht jedes Foto wurde dort abgedruckt, doch in seinem Archiv ist es vorhanden. Jupp zog aus seinen Kriegserlebnissen eine Konsequenz, die ihn zur SPD-Mitgliedschaft führte. Sein Beruf machte ihn zu einem hochinformierten Zeitgenossen, der über das politische Leben manchmal mehr wusste, als das fotografierte Gegenüber. Aus Kenntnis und Sensibilität gelangen ihm Bilder, die zum wichtigsten fotografischen Erbe der Bonner Republik gehören. Als Jupp die Kamera beiseite gelegt hatte, erfreute ihn der Zuspruch, den er durch Veröffentlichungen und Ausstellungen erhielt, und es war ihm wichtig, dass sein Werk vom Archiv der sozialen Demokratie übernommen wurde. In Erinnerung bleiben wird er uns mit jedem seiner neu veröffentlichten Fotos: Als Interpret des demokratischen Lebens in der Bonner Republik. n

Fotos: J.H. Darchinger / Friedrich-Ebert-Stiftung (2), dpa/Oliver Berg

E Auch als E-Book erhältlich

448 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag 1 19,99 [D] · ISBN 978-3-453-20047-0

1| 1955: Jungen mit Rollern in Bonn 2| 1974: Bundeskanzler Helmut Schmidt nach einer Segel­ partie auf dem Brahmsee 3| 2005: Jupp Darchinger in seinem Bonner Büro


Kultur 31

09/2013 vorwärts

Diskutieren für eine neue Kulturpolitik Wolfgang Thierse feiert zum Abschied ein Fest für die Kultur

Franz Müntefering eröffnete die Ausstellung der Bebelzitate in Berlin.

Bebels Erbe bleibt August Bebel Sigmar Gabriel und Franz Müntefering erinnern an den Gründervater der SPD Von Sarah Kohlhauer Hörtipp

Kindheit, Lehr- und Wanderjahre, Politikerleben Original-Texte von August Bebel, gelesen von Olaf Schwencke hören Sie auf vorwärts.de/106440

August-Bebel-Instituts. Mit Fahnen und Bodenplatten, auf denen Bebel-Zitate abgedruckt sind, erinnert die 1947 ge­ gründete Einrichtung für politische Bil­ dung dort an ihren Namensgeber. Auf der Gedenkveranstaltung lobte Münte­ fering das positive und zukunftsge­ wandte Menschenbild des großen SPDVorsitzenden. „Bebels Fortschrittswille ist in der sozialdemokratischen Idee fest verankert: Wir finden uns nicht ab. Wir wollen, dass es besser wird.“ n Buchtipp: M. Bissinger, W. Thierse (Hg.) Was würde Bebel dazu sagen? Zur aktuellen Lage der Sozialdemokratie Steidl Verlag, 24 Euro, ISBN 9783869306704

Wolfgang Thierse ist die Personifizie­ rung sozialdemokratischer Kulturpoli­ tik. Zur kommenden Bundestagswahl wird der Bundestagsvizepräsident und Vorsitzende des Kulturforums der So­ zialdemokratie nicht mehr antreten. Wer sein Politikerleben lang für kultu­ relle Teilhabe gestritten hat, der sagt zum Abschied nicht leise Servus. Thier­ se lädt am 30. August ab 19 Uhr in die Berliner Kulturbrauerei ein. „Für eine neue Kulturpolitik!“ heißt die Feier, bei der er wieder einmal den Finger in die Wunde legt: Viele Kultur­ institutionen stehen vor der Pleite, viele Künstler können von ihrer Arbeit nicht leben und die Digitalisierung bringt Fragen mit sich, auf die die Politik Ant­ worten finden muss. Mit Julian NidaRümelin, Oliver Scheytt, Eva Menasse und vielen anderen wird er diskutieren. Und alle sind eingeladen. Anmeldung: https://anmeldung.spd.de/v/10253 n BG

Adieu Wolfgang Thierse: Nach 23 Jahren verabschiedet er sich aus dem Bundestag. ANZEIGE

www.rowohlt-berlin.de

©ullstein bild/Rusk

Fotos: Bernd von Jutrczenka/DPA, Stefan Boness/ VISUM

A

ugust Bebel: Verehrter Arbei­ terkaiser, beharrlicher War­ ner vor dem Ersten Weltkrieg, engagierter Kämpfer für die Gleichbe­ rechtigung von Mann und Frau, Mitbe­ gründer der SPD. Eine Jahrhunderfigur, die fest an die Gestaltbarkeit von Politik und Gesellschaft glaubte. Anlässlich seines 100. Todestages am 13. August würdigten seine Nachfolger im Amt des Parteivorsitzenden, Sigmar Gabriel und Franz Müntefering, das bebelsche Ver­ mächtnis. Auf Gedenkveranstaltungen in Wetz­ lar, wo Bebel seine Ausbildung zum Drechsler absolvierte, und in Zürich, wo er begraben wurde, ehrte Gabriel Bebel als „eine der prägenden Gestalten in der Geschichte der SPD“. Gemeinsam mit Wilhelm Liebknecht hatte der 1840 geborene Bebel die sozial­ demokratische Arbeiterpartei (SDAP) ge­ gründet, die sich auf dem Gothaer Kon­ gress mit dem zuvor heftigst zerstrittenen Allgemeinen Deutschen Arbeiterverein (ADAV) vereinigte. Als Vorsitzender führ­ te Bebel die Partei der Arbeiterschaft 21 Jahre, bis zu seinem Tod. „Von Bebel kann man lernen, dass Haltung nichts mit der Herkunft zu tun hat“, sagte Gabriel. Der Sohn einer Unteroffiziersfamilie, der mit 13 Jahren Vollwaise wurde, sei in großer Armut aufgewachsen und habe sich nie mit den politischen Verhältnissen abgefun­ den. „Er hat gegen den Obrigkeitsstaat gekämpft und dafür Verfolgung und Haft in Kauf genommen.“ Auf dem Bebel-Platz in Berlin eröff­ nete Franz Müntefering am Todestag des Autors von „Die Frau und der So­ zialismus“ eine Freiluft-Ausstellung des

Auch als

E-Book erhältlich

Widerstandskämpfer. Visionär. Staatsmann. Die Biographie zum 100. Geburtstag

AZ_Noack_225x102_Vorwärts_DU_5-8-13.indd 1

352 Seiten. Gebunden € 19,95 (D) / € (A) 20,60 / sFr. 28,50 (UVP)

02.08.13 10:53


32  Historie

vorwärts 09/2013

Willy Brandt im Bundestagswahlkampf 1972: Im September lag die CDU/CSU in Umfragen bei 51 Prozent, im November besiegte die SPD die Union mit 45,8 zu 44,9 Prozent.

Ein grandioser Menschenfischer

D

er Vergleich zwischen Ausgangslage und Ergebnis des Wahlkampfes von 1972 sagt alles über den Wahlkampfprofi Brandt. Beim Startschuss zur Wahl, bei der Auflösung des Bundestags am 22. September, sahen Umfragen die Union bei 51 Prozent; bei der Wahl am 19. November waren es nur noch 44,9 Prozent. Und die SPD hatte mit 45,8 Prozent der Zweitstimmen ihr historisch bestes Ergebnis errungen. Die schwierige Ausgangslage wird in den meisten historischen Betrachtungen unterschlagen – obwohl die Hypotheken offensichtlich waren: Im Mai ein gescheiterter Haushalt, im Juli der Rücktritt von Superminister Karl Schiller, Anfang September der Überfall auf die israelische Olympiamannschaft in München, und zu guter Letzt mussten Sozialdemokraten bei der von Brandt am 20. September gestellten Vertrauensfrage auch noch gegen sich selbst stimmen. – Sogar in der SPD-Führung hatten einige die Wahl schon als verloren abgehakt. Brandt war ziemlich allein und kämpfte trotzdem. Mit ihm Wahlkampf zu machen war ein großes Vergnügen. Er hatte Biss, er verstand, wie komplex ein erfolgreicher Wahlkampf sein muss. Willy Brandt wusste, dass die SPD nur ausreichende Mehrheiten zusammenbringt, wenn sie die Vielfalt ihres Wählerpotenzials anerkennt und nutzt. Heute sagt man, Geschlossenheit sei das oberste Gebot. Mit Willy Brandt war es

Die Serie Folge 9: Willy Brandt und der Wahlkampf

Im nächsten Heft Folge 10: Willy Brandt und die Einheit Deutschlands

Verlosung Zum 100. Geburtstag von Willy Brandt hat Gregor Schöllgen die Biographie des Jahrhunderpolitikers aktualisiert. Der „vowärts“ verlost 10 Exemplare. Stichwort „Willy“ Einsendeschluss: 9. 9. 2013 per Post oder Mail Gregor ­Schöllgen Willy Brandt Die Biographie Berlin Verlag, 336 Seiten

möglich, der Wirklichkeit entsprechend zu sagen: Eine große Partei wie die SPD besteht aus vielen Strömungen. Und keine muss niedergemacht werden. Dieses tolerante Bekenntnis zur vielfältigen SPD war der konzeptionelle Hintergrund für die erste Anzeige im Rahmen der sogenannten „Tomi-Ungerer-Kampagne“: „In Sachen SPD. Wir gegen uns“ hieß die Überschrift. Willy Brandt hat das Drehbuch für den Wahlkampf genau studiert, er ist einen Nachmittag lang die Strategie und die einzelnen Kampagnen durchgegangen, er hat korrigiert und ergänzt. Im Drehbuch war vorgeschlagen, die Schachzüge des Gegners vorherzusagen und so zu entschärfen. So war zum Beispiel erkennbar, dass die Union und ihre Hilfstruppen den Begriff Sozialismus diffamierend nutzen wollten. Also startete die SPD eine Kampagne unter der Überschrift „Erfolg von 109 Jahren Demokratischem Sozialismus“ und besetzte so den Begriff nach eigenem Gusto. Willy Brandt hatte verstanden, dass ein Wahlkampf ohne Emotion nahezu verpufft. Also warb er um Mitleiden und Solidarität mit anderen Menschen. Und er sprach von „Versöhnung“ z.B. mit Polen und Russen, wenn er die neue Ostpolitik erläuterte, und er unterstützte die emotionalen Szenen in den Fernsehspots: Deutsche im Osten und Westen, die sich endlich wieder begegnen konnten, sich umarmten, mit Tränen in den Augen.

Brandt hatte begriffen, dass die SPD Wahlen nur gewinnen kann, wenn sie die eigenen Anhänger als Zeugen und Multiplikatoren gewinnt. Er war selbst ein Menschenfischer und hat die Aktionen zum Aufbau einer Gegenöffentlichkeit zur Springer-Presse und anderen konservativen Medien voll unterstützt. Willy Brandt vermochte Brücken zu schlagen zu Bevölkerungskreisen, die bis dahin die SPD distanziert bis feindselig verfolgten. Er konnte aber auch angreifen. Die SPD ahnte, dass die Union finanzkräftige Hilfstruppen in Bewegung setzen wird. Im Wahlkampf erschienen dann 100 (!) verschiedene meist anonyme Anzeigen mit bösartigen Texten. Die SPD konterte mit der Frage an den CDU/CSU-Spitzenkandidaten Rainer Barzel, was er für die anonymen Millionen des Großen Geldes versprochen habe. Diese SPD-Attacke war so wirksam, dass Willy Brandt bei der letzten Fernsehdiskussion, der so genannten Elefantenrunde aller Parteivorsitzenden, vier Tage vor der Wahl darauf verweisen konnte, dass in der heutigen Bild-­Zeitung gleich acht anonyme Anzeigen für die Union warben. Er nutzte in Judomanier die Kraft des Gegners für den Konter. Und dieser saß. n Albrecht Müller managte den SPD-BundestagsWahlkampf 1972. Er schrieb das Buch „Willy wählen ’72. Siege kann man machen“

Foto: Rudolf Dietrich/ SZ Photo, Illustration: Hendrik Jonas

Willy Brandt Seine erfolgreichen Wahlkämpfe sind Legende. Er mobilisierte die eigenen Anhänger, denn nur mit ihnen waren und sind Wahlen zu gewinnen Von Albrecht Müller


Historie 33

09/2013 vorwärts

Fotos: dpa Picture-Alliance / Gerhard Rauchwetter (3)

D

er Kuppelsaal der UN-Generalversammlung in New York ist dicht gefüllt, die Stimmung in diesem historischen Moment feierlich. Es ist der 18. September 1973, ein Dienstag. Leopoldo Benites aus Ecuador, der Präsident der Generalversammlung, klopft um 17.43 Uhr abschließend einmal mit seinem Holzhammer auf das Pult und sagt: „Es ist beschlossen“. Als 133. und 134. Mitglied der Vereinten Nationen werden die Deutsche Demokratische Republik und die Bundesrepublik Deutschland aufgenommen. Der Applaus ist eher zurückhaltend. Die Delegationen der DDR und der Bundesrepublik werden vom Protokollchef zwischen Gambia und Ghana platziert, getrennt durch einen 1,80 Meter breiten Gang. Damit hatte der Status beider deutscher Staaten eine Klärung gefunden. Seit 1955 hatte die Bundesrepublik mit der Hallstein-Doktrin versucht, eine Anerkennung der DDR durch Drittstaaten zu verhindern und ihren Alleinvertretungsanspruch durchzusetzen. Staaten, die diplomatische Beziehungen zur DDR aufnahmen, wurden mit Sanktionen belegt. Eine Mitgliedschaft einer der beiden deutschen Staaten bei den Vereinten ­Nationen kam nicht infrage, sie wäre am Veto im Sicherheitsrat gescheitert. Denn die BRD wurde von den Westmächten unterstützt, die DDR von der Sowjetunion. Eine verfahrene Situation, die mit Beginn der Entspannungspolitik zwischen den Supermächten Ende der 60er Jahre als Relikt des Kalten Krieges betrachtet wurde, das Fortschritte in Europa verhinderte. Um den Ost-West-Konflikt zu überwinden, musste auch das Schicksal Deutschlands geklärt werden. So war es ein Glücksfall, dass 1969 eine Koalition aus SPD und FDP an die Regierung kam, die sich von den alten Positionen in der deutschen Frage lösen konnte und sich an den politischen Realitäten orientierte. Die Ostpolitik von Bundeskanzler Willy Brandt wirkte wie ein Befreiungsschlag. Stück für Stück wurden die Konflikte gelöst, die der ­Entspannung entgegenstanden. Mit den Verträgen von Warschau und Moskau 1970 wurde die

Unverletzlichkeit der Grenzen anerkannt. Es folgte 1971 das Vier-Mächte-Abkommen, das den Status der geteilten Stadt Berlin klärte. Im Grundlagenvertrag von 1972 wurde schließlich das Verhältnis zur DDR geregelt. Vereinbart wurde die Entwicklung von normalen gutnachbarlichen „Beziehungen zueinander auf der Grundlage der Gleichberechtigung“. Staatsrechtlich wurde damit die DDR anerkannt, jedoch nicht völkerrechtlich. Deshalb wurden in Bonn beziehungsweise Ost-Berlin auch keine Botschaften eingerichtet, sondern nur „ständige Vertretungen“.

Die Deutsche Frage blieb offen

Zwei deutsche Außenminister: Walter Scheel (BRD, m.) und Otto Winzer (DDR, r.)

Zwei Staaten – eine Nation Vor 40 Jahren Beide deutsche Staaten werden 1973 in die UNO aufgenommen. Als erster Bundeskanzler spricht Willy Brandt vor der Generalversammlung Von Thomas Horsmann

Premiere: UN-Generalsekretär Kurt Waldheim mit Willy Brandt

Hingucker: Vor der UNO werden 1973 erstmals beide deutschen Flaggen aufgezogen.

Ob mit dem Grundlagenvertrag die Wiedervereinigung Deutschlands aufs Spiel gesetzt wurde, darüber wurde in der Bundesrepublik in dieser Zeit heftig gestritten. Der Bundestag billigte jedoch den Grundlagenvertrag am 11. Mai 1973 mit 268 zu 217 Stimmen. In dem Vertrag war auch vereinbart worden, dass beide deutsche Staaten den Vereinten Nationen beitreten. Dem stimmte der Bundestag mit großer Mehrheit zu. Willy Brandt, der für seine erfolgreiche Entspannungspolitik 1971 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet worden war, sah Deutschland weiterhin als eine Nation an. Das betonte er am 26. September 1973 bei der ersten Rede eines deutschen Bundeskanzlers vor der UN-Generalversammlung in New York. „Ich spreche zu Ihnen als Deutscher und als Europäer. Genauer: Mein Volk lebt in zwei Staaten und hört doch nicht auf, sich als eine Nation zu verstehen.“ Brandt macht jedoch gleichzeitig klar, dass die strittige deutsche Frage die Arbeit der Vereinten Nationen nicht belasten werde: „Wir sind nicht hierher gekommen, um die Vereinten Nationen als Klagemauer für die deutschen Probleme zu betrachten oder um Forderungen zu stellen, die hier ohnehin nicht erfüllt werden können. Wir sind vielmehr gekommen, um – auf der Grundlage unserer Überzeugungen und im Rahmen unserer Möglichkeiten – weltpolitische Verantwortung zu übernehmen.“ n

vorwärts-Impressum Die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie gegründet 1876 von W. Hasenclever und W. Liebknecht Herausgeberin: Andrea Nahles Redaktionsadresse: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 610322, 10925 Berlin; Tel. 030/25594-100, Fax 030/25594-390, E-Mail: redaktion@vorwaerts.de Chefredakteurin: Karin Nink (V.i.S.d.P.) Redaktion: Lars Haferkamp (Textchef); Dagmar Günther (CvD); Hendrik Rauch (Bildred.); Kai Doering, Carl-Friedrich Höck, Yvonne Holl (Reportage); Vera Rosigkeit (Online); Dr. Susanne Dohrn und Birgit Güll (redaktionelle Mitarbeit); Sarah Kohlhauer (­ Volontärin) Fotografie und Titelgestaltung: Dirk Bleicker Layout: Jana Schulze Korrespondenten: Jörg Hafkemeyer (Berlin), Renate Faerber-Husemann (Bonn), Lutz Hermann (Paris) Geschäftsführung: Guido Schmitz Anzeigen: Nicole Stelzner (Leitung strategische Unternehmensentwicklung und Verkauf); Nele Herrmann Valente, ­Simone Roch, Carlo Schöll und Franck Wichmann (Verkauf) Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 36 vom 1.1.2013 Verlags-Sonderseiten: verantw. Guido Schmitz Vertrieb: Stefanie Martin, Tel. 030/25594-130, Fax 030/25594-199 Herstellung: metagate Berlin GmbH Druck: Frankenpost Verlag GmbH, Poststraße 9/11, 95028 Hof Abonnement: IPS Datenservice GmbH, Postfach 1331, 53335 ­Meckenheim; Tel. 02225/7085-366, Fax -399; bei Bestellung Inland: Jahresabopreis 22,– Euro; für Schüler/Studenten 18,– Euro; alle Preise inkl. Versandkosten und 7 Prozent MwSt.; Ausland: Jahresabopreis 22,– Euro zzgl. Versandkosten. Das Abo verlängert sich um ein Jahr, wenn nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Für SPD-Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten (bei Änderungen bitte an den SPD-UB wenden). Bankverbindung: SEB Berlin, BLZ 100 101 11, Konto-Nummer 174 813 69 00 Bei Nichterscheinen der Zeitung oder Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages im Falle höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Leistung, Schadensersatz oder Minderung des Bezugspreises. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen.


34  Rätsel

vorwärts 09/2013

kreuzworträtsel Die Fragen und das Kreuzworträtsel darunter ergeben die Lösung.

?

Die junge... Politikerin, die fast wie ein benachbartes Bundesland heißt, ist seit zwei Jahren ­Ministerin und Mitglied im Kompetenzteam des Kanzlerkandidaten Steinbrück. Ihr Vorname?

1

2

3

4

5

6

7

Geboren... ist sie in einer Stadt, die sich nicht nur durch einen Fluss, eine Grenze und einen großen Dichter und Dramatiker von ihrer zehn Mal größeren Schwesterstadt unterscheidet. 2

3

4

5

6

7

8

9

Es gibt zwei Wege, das Preisrätsel zu lösen: Ratefüchse beantworten zuerst die beiden Fragen. Der letzte Buchstabe des ersten Lösungs­ wortes sowie der siebte und achte Buchstabe des zweiten Lösungswortes ergeben in der richtigen Reihenfolge die Lösung. Es geht aber auch einfacher: Die grauen Felder im Kreuzwort­rätsel ­ergeben in der r­ ichtigen Reihenfolge das Lösungswort. Gesucht wird ein Adjektiv bzw. ein e ­ hemaliges Staatsoberhaupt.

1 ��� 1

2 �� 2

3 �

�� 3

�� 4

�� 5

�� 6

�� 7

� 8

1 ��

�� 9

��� 10

��� 11

���� 12

��� 13

��� 14

��� 16

��� 17

���� 18

��� 19

���� 20

��� 21

��� 22

��� 23

��

��� 25

��� 26

��� 27

���� 28

��� 29

��� 30

��

��� 31

���� 32

��� 33

��� 34

��� 35

���� 36

��� 37

��� 38

���� 39

��� 40

��

��� 41

�� 24

2

� 3

�����������

��������������� ������������������� � ����������������� �������������� � ����������������� ����������������� ������� ����������������� ������������� ������������������ ������������������� ������������� ��������������� ����������������������� ����������������������� ���������� ��������������������� ������� ��������������������� ������� ������������������������ ����������������� ������������������ ������������ ����������������������� �������������������� ������������������ �������������� �������� ����������������������� �������������� ����� ������������������������� ��������� ������������������

Wer war’s?

Der führende Kommunalpolitiker der Weimarer Republik macht nach Krieg und Exil Weltpolitik Von Lothar Pollähne

N

� ���� 15

Der Gesuchte 1952 auf dem Dortmunder SPD-Parteitag, kurz nach dem Tod von Kurt Schumacher: vorn Fritz Henssler, Erich Ollenhauer und Fritz Heine (v.l.)

����������

������������������������ ������������������ � ���������������� �������� � ����������������� ����� ��������������� ����� ����� ������������������ � ��������������� ������������ ���������� ����������������������� � ������������ � ����������������������� ���������������� �������������� �������������� ����� ���������������� � ���������������������� �������������������� ��������������������� �������� ������� ������������� � �������������������� ����������������� ��������������������� ���������������� ��������������� �������������������� ���������������� ���� �������� ����������������������� ����������������

Die richtige Lösung schicken Sie bitte bis zum 30. August 2013 per Post an vorwärts, Postfach 610322, 10925 Berlin oder per E-Mail an raetsel@vorwaerts.de. Bitte Absender nicht vergessen und ausreichend frankieren! Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir zehn Bücher.

ur vier Wörter sind es, die diesen Mann am 9. September 1949 schlagartig weltberühmt machen. Das Licht der Welt erblickt er als Sohn eines preußischen Beamten am 29. Juli 1889 im heute dänischen Apenrade. Drei Jahre später wird der Vater an die Navigationsschule nach Leer versetzt. Dort wächst der Junge in der Enge christlich-preußischer Obhut auf, der er nach dem Abitur durch das Studium in Marburg und München entkommt. In der bayerischen Metropole wendet er sich der Sozialdemokratie zu, was zu einem schweren Zerwürfnis mit der Familie führt. Als Sozialist und konsequenter Gegner Preußens verweigert er den Eintritt in den Staatsdienst und geht als Hauslehrer nach Bielefeld. Dort lernt er den späteren preußischen Innenminister Carl Severing kennen, der ihm den Weg in den Parteiapparat ebnet. Sein Pazifismus bringt ihn zwangsläufig in Widerspruch zur Parteilinie und endet beinahe ebenso zwangsläufig nach dem 1. Weltkrieg in der KPD. Auch dort ist er nach den Worten Clara Zetkins „etwas zu unabhängig“. Wieder weicht er von der korrekten Linie ab und wird Anfang 1922 ausgeschlossen. Bald darauf beginnt sein sozialdemokratischer Weg, auf dem er zu einem der führenden Kommunalpolitiker der Weimarer Republik wird. Nach zweimaliger Inhaftierung im KZ Lichtenburg kann er 1935 nach England flüchten. Noch im selben Jahr wird er als Regierungsberater in die Türkei berufen, wo er bis zur Zerschlagung NaziDeutschlands lebt. Nach weltpolitisch turbulenten Jahren stirbt er am 29. September 1953 in Berlin. n Unter allen Einsendern verlosen wir eine vorwärts-Tasche. Bitte schicken Sie das Lösungswort mit dem Stichwort „Wer war’s“ bis 30. August 2013 per Post oder per E-Mail an: redaktion@vorwaerts.de

Historisches Bilder-Rätsel Die Lösung des Bilder-Rätsels aus der vergangenen Ausgabe lautet: Adolf Grimme Die vorwärts-Tasche hat gewonnen: Christine Düsterhöft, 46399 Bocholt

Gewinner

Die Lösung des jüngsten Preisrätsels lautete: RENTE Gesucht wurden außerdem: FERDINAND und DEUTZ Jeweils ein Buch gewannen: Marion Heipel, 36287 Breitenbach Gerda Müller, 69375 Oestrich-Winkel Wilfried Vagts, 21682 Stade Klaus Müller, 14712 Rathenow Ortruth Fruth, 55278 Weinolsheim Dorothea Ender, 35519 Rockenberg Werner Fromme, 59609 Anröchte Bernd Jeckel, 42659 Solingen Brigitte Kühl, 60433 Frankfurt/M. Klaus Scheibel, 34277 Fuldabrück

Foto: dpa Picture-Alliance

1


Das Allerletzte 35

09/2013 vorwärts

Lasst euch doch nicht für dumm verkaufen! Bildung Auch wenn ausgedehnte Sonnenbäder im Urlaub den IQ beeinträchtigen können, eines sollte im Bundestagswahlkampf nicht vergessen werden: Gegen Blödheit hilft Bildung Von Martin Kaysh

Illustration: christina Bretschneider

E

in Bahn-Stellwerk und das Recht auf Schnitzel, das scheinen die Themen zur Bundestagswahl zu sein. Jedenfalls heute, wo ich aus dem Urlaub zurückkomme. Geht’s noch? Es gibt Untersuchungen, die besagen, dass sich Strandurlaub im Sonnenschein negativ auf den IQ auswirkt. Aber deshalb muss man uns doch nicht für blöd verkaufen. Wenn eine Bundeskanz­ lerin mit null Inhalten zur Wiederwahl strebt, wie viele Wiederwahlen streben dann fünf Kanzlerinnen mit null Inhalten an? Ich könnte die Frage derzeit nicht beantworten. Nur frage ich mich, ob die Kanzlerin beim Wahltermin kurz nach den Ferien nicht mit genau dieser geistigen Sonnenfinsternis rechnet.

Gegen Blödheit hilft Bildung, und damit hätten wir gleich ein Thema, ein Wahlkampfthema sogar, besser als Bahn oder Buletten. (Wobei Buletten, Fleischpflanzerl, alten Gerüchten nach das Idealmahl für Vegetarier sein sollen.) Bildung, ohne sie hätte ich mit der SPD nix am Hut. Schuld ist meine Omma, mit Doppel-m. So heißt die Großmutter im Ruhrpott nun mal. Omma war schon früh Bergmannswitwe und wusste: Ohne Bildung ist alles nichts. Deshalb war sie in der Büchergilde, schleppte mich schon vor meiner Einschulung in die Stadtbücherei und las mir nicht die Leviten, sondern lies mich lesen. Ich sollte es später besser haben. Jetzt habe ich zumindest Abitur, und wenn die Bildungspolitik damals besser gewesen

seit wärts

Es waren einmal ein armer Fischer und ein reicher König ...

Und so verhungerten Fischer und König jämmerlich.

Und? Haste alle Analogien gerafft?

Sie versuchten alles, um ihrem Verlies zu entkommen, doch es half nichts.

Also, der arme Fischer bist schon mal du, weil du Fisch vertickst und auch so' n armer Schlucker bist. Jaah, weiter.

Ende.

Während halb Europa das Thema Lernen doppelt so ernst nimmt, nölen bei uns konservative Bedenkenhaber, Bildung sei ­Ländersache. Martin Kaysh

«

Martin Kaysh ist Kabarettist, Alternativkarnevalist („Geierabend“) und ­Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.

Der arme Fischer und der reiche König

Die fielen beide in eine tiefe, tiefe Grube.

Hm ...

»

wäre, hätte ich in der Schule sogar was fürs Leben gelernt, oder übers Leben. Omma war nicht außerirdisch klug, sondern Teil der Arbeiterklasse, die ähnlich dachte. Es ist ein Elend zu sehen, dass nach drei sozialdemokratischen Bundeskanzlern Bildung immer noch bevorzugt für die ist, die es schon qua Geburt besser haben. In den 90ern, bei meiner Tochter, konnte ich fehlerfrei voraussagen, welche Kinder die Orientierungsphase des Gymnasiums nicht überleben werden. Alleinerziehend, ausländisch, Arbeiterklasse waren die k.o.-Kriterien, immer noch. Während halb Europa das Thema Lernen doppelt so ernst nimmt, nölen aber bei uns konservative Bedenkenhaber, Bildung sei Ländersache. Stimmt, die Schulminister kriegen es auch seit Jahren fehlerfrei hin, den Sommerferienplan so aufzustellen, dass die Bayern stets bis zum Oktoberfest urlauben. Sie werden zwischen Ballermann und Bierzelt, also im Bildungs-Nirwana, um nicht zu sagen im Bierwana, gebeten, die heilige Staatsregierung für ein paar Jahre zu bestätigen. Hoffentlich regnet es vorher. n

Da erschien schließlich eine Fee und bot den beiden an, sie für insgesamt fünf Goldstücke zu befreien. Unter der Bedingung, dass sie beide rettet und nicht nur einen.

Die Killergrube steht für unser KillerSchlagloch, aus dem man wohl auch nie wieder rauskäm' ...

Und die gute Fee steht für das Straßenbauunternehmen „Gute Fee“, das das Loch zumachen könnte.

von David Füleki

Der arme Fischer hatte nur zwei Goldstücke, während der reiche König einen ganzen Sack voll Taler besaß. Doch als er sah, dass er nun mehr zahlen sollte als sein Schicksalsgenosse, weigerte er sich.

Aber für wen steht wohl der König, der seine ganze Kohle hamstert und dabei verhungert ...?

Die unbezahlte Fee zog unverrichteter Dinge wieder davon.

Ja, gut, hab‘s ja kapiert.


SPD-Exklusive Silvesterkreuzfahrt

Silvester in Holland und Flandern vom 28.12.2013 bis 03.01.2014

Eine winterliche Reise mit MS SWISS cRYSTaL: Gemütlich kreuzen wir mit unserem komfortablen 4-Sterne-Schiff über die Flüsse, Kanäle und Meeresarme Hollands und Belgiens. 7-tägige Flusskreuzfahrt inkl. Vollpension, Silvesterparty an Bord von MS SWISS cRYSTaL, Silvesterfeuerwerk in antwerpen

599,– p. P. in der 3-Bett-Kabine ab € 699,– p. P. in der 2-Bett-Kabine ab €

Route: Düsseldorf – Amsterdam – Terneuzen / Gent – Antwerpen – Dordrecht – Nijmegen – Düsseldorf

Weitere interessante Angebote zum Jahreswechsel 2013/2014: WEIHNacHTEN uNd SILVESTER auF MaLLoRca

Erleben wir Münchens winterliche Atmosphäre. Unser 5-SterneHotel HILTON MUNICH PARK befindet sich direkt am Englischen Garten. Silvester laden wir zum Stadtrundgang ein. Das Jahr werden wir zusammen zünftig im berühmten Löwenbräu ausklingen lassen. Am 1.1. bieten wir fakultativ ein atemberaubendes Panorama zum Neujahrsspringen in Garmisch-Partenkirchen an.

Erleben wir das milde Klima und die wildromantische Landschaft der Balearen-Insel und lernen die typisch spanischen Feiertagstraditionen kennen.

30.12.2013–02.01.2014 4 Reisetage

p. P. im DZ ab €

345,–

Foto: Bernd Roemmelt

SILVESTER IN MüNcHEN

Linienflug ab verschiedenen Flughäfen, 6 bzw. 10 Nächte mit Halbpension im 4-Sterne Hotel, Silvesterfeier, Ausflugspaket buchbar

23.12.2013–02.01.2014 27.12.2013–02.01.2013

969,– p. P. im DZ ab € 859,– p. P. im DZ ab €

SILVESTERPaRTY auF dER MaRKSBuRG

WEIHNacHTEN uNd SILVESTER auF MaLTa

Im historischen Festsaal der mittelalterlichen Marksburg hoch über dem romantischen Rhein. Mit Ausflugsprogramm entlang von Rhein und Mosel.

Kulturelle Vielfalt, beeindruckende Naturdenkmäler und mildes Klima im Winter: Malta ist das ideale Reiseziel, um die Feiertage zum Jahreswechsel zu verbringen.

Inkl. 2 Übernachtungen mit Frühstück im Hotel Contel in Koblenz, 2 geführte Ausflüge, große exklusive SPD-SilvesterDinnerparty mit Musik zu Tanz und Unterhaltung

Linienflug ab verschiedenen Flughäfen, 7 bzw. 10 Nächte mit Halbpension im 4-Sterne Hotel, Silvesterfeier, Ausflugspaket buchbar

30.12.2013–01.01.2014 3 Reisetage

p. P. im DZ ab €

209,–

22.12.2013–01.01.2014 25.12.2013–01.01.2013

878,– p. P. im DZ ab € 748,– p. P. im DZ ab €

Sofort ausführliche Reise- und Schiffsbeschreibung anfordern! Per Telefon, Post, Fax oder E-Mail.

Telefon: 030/2 55 94-600

Wilhelmstraße 140, 10963 Berlin • Fax: 030/25594-699 www.spd-reiseservice.de • info@spd-reiseservice.de


Turn static files into dynamic content formats.

Create a flipbook
Issuu converts static files into: digital portfolios, online yearbooks, online catalogs, digital photo albums and more. Sign up and create your flipbook.