vorwärts Oktober 2012

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Andere reden vom globalen Dorf. Wir tun was dafür. Schnelles Internet ist die Zukunft. Deshalb engagiert sich Vodafone für eine flächendeckende Breitbandversorgung. Damit ganz Deutschland Zugang zu High-Speed-Internet hat, global wettbewerbsfähig bleibt und im digitalen Zeitalter den Anschluss behält.

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Inhalt 3

10/2012 vorwärts

themen in diesem heft aktuell peer macht’s 4 Triumph der Troika – Die SPD kämpft gemeinsam 5 Wahlkampf muss spass machen – Interview mit SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück

Liebe Leserin, Lieber leser! „Wir wollen die Regierung von vorne führen.“ Frank-Walter Steinmeiers Rede zur Eröffnung des „Zukunftskongresses“ der SPD-Bundestagsfraktion hat den Wahlkampf 2013 eingeläutet. „Wir setzen auf Sieg und nicht auf Platz.“ Es hat nur außerhalb des Paul-Löbe-­ Hauses kaum jemand bemerkt.

Titel Was wird aus der rente? 6 rettet die Rente! – Altersarmut stoppen 7 sicher ins alter – Das Rentenkonzept der SPD 8 Was uns bleibt – Sechs Perspektiven auf die Rente 10 Ruhestand? Bescheuert! – H. Scherf im Interview 11 Die Rendite Schrumpft – Die Riester-Rente 12 comeback – Der Otto-Versand reaktiviert Rentner buchmesse 15 Gastland NeusEeland und Rezensionen

Fotos: Wolfgang Quickels, Dirk Bleicker(3), Illustration: Hendrik Jonas

So redlich und fleißig ist die SPD heute, dass sie sogar schon detailliert ankündigt, welche Steuern sie erhöhen und wie sie mit der Rente umgehen will. Sexy im Sinne hämmernder Wahlwerbung ist so etwas nicht. Der einschlägige Rat des römischen Zynikers Cicero war: schön vage bleiben und allen alles versprechen. Die SPD setzt auf Redlichkeit und Gründlichkeit und schwärmt aus zu Gesprächen mit den Bürgern. Ciceros Jünger von „Bild“ bis „Spiegel“ mögen süffisant lächeln. Uns gefällt’s. n Mit herzlichen Grüßen,

Will Kiel gewinnen: Susanne Gaschke

Seite 28

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partei leben! Spd auf empfang – Start des Bürgerdialogs Mit klarem Ziel – Der OV Kirchlinteln Ideen mit pfiff – Der Innovationsfonds der SPD Es hagelt ideen – Der Bürgerdialog Porträt – Ihr Kiel-Projekt: Susanne Gaschke Arbeitsgemeinschaften in der SPD ASJ: Das juristische Hirn der Sozialdemokratie

Wirtschaft 34 zahlenspielerei? – Der Rentenbescheid 35  Meine Arbeit – Der Streetworker 36  gut gemacht – Mit Antiherdprämie Sommerfest 46 Was für eine Party! historie 48  vor 50 Jahren – 1962: Die „Spiegel“-Affäre 49  Willy Brandt – 1992: Sein letzter Sommer 50 Wer war’s? – Das historische Bilder-Rätsel 13 22 32 48 50 51

News Parlament Leserbriefe, Galerie Impressum Rätselseite seitwärts

Redaktionsschluss 01. Oktober 2012 Uwe Knüpfer Chefredakteur

Seite 4

Kolumnen 13 global gedacht – Rafael Seligmann 14 berliner Tagebuch – Uwe Knüpfer 32 Zwischenruf – Bernhard Rapkay 33  Medienzirkus – Gitta List 51 Das Allerletzte – Martin Kaysh

Das breite Medienecho beschränkte sich auf die gelangweilte Feststellung, die SPD habe sich noch immer nicht auf einen Kanzlerkandidaten festgelegt. Nun, das ist zwei Wochen später anders geworden. Peer Steinbrück wird Angela Merkel herausfordern – und er hat gleich damit begonnen. Zum Beispiel im vorwärts-Interview. Die SPD hat jetzt nicht nur einen ­Schatten-Kanzler, sie schreibt auch schon fleißig auf, was sie nach dem Wahlsieg zu tun gedenkt; siehe Zukunftskongress und Bürgerdialog. Ihr Regierungsprogramm ist schon jetzt konturierter als es das der amtierenden schwarz-gelben Koalition ein Jahr NACH deren Regierungsantritt war.

Setzt auf Angriff: Peer Steinbrück

Diese Ausgabe Enthält eine VERLAGS-­ SONDERVERÖFFENTLICHUNG ZUr »Gesundheitswirtschaft«, Seiten 37–44

Arm in Arm: Hannelore Kraft und Stephan Weil Seite 46

Aus der Redaktion Dieses Porträt, gezeichnet von Hendrik Jonas, wird uns durch die neue WillyBrandt-Serie begleiten. Sie beginnt mit dieser Ausgabe. Pro Heft wird ein prominenter Zeitzeuge berichten, wie er Willy Brandt ganz persönlich erlebt hat.


4 Aktuell

vorwärts 10/2012

Miteinander statt gegeneinander in der Troika: „Wir haben den gleichen Herzschlag“, sagt Sigmar Gabriel zur engen Zusammenarbeit mit Peer Steinbrück und Frank-Walter Steinmeier.

Triumph der Troika N

och am Freitag, dem 28. September, früh um 7.30 Uhr wusste Peer Steinbrück nicht, dass er am Nachmittag zum Kanzlerkandidaten der SPD ausgerufen werden sollte. FrankWalter Steinmeier hatte am Vorabend vor Journalisten durchblicken lassen, er stehe nicht zur Verfügung. Da Gabriel schon zuvor für sich die gleiche Entscheidung getroffen hatte, subtrahierten Journalisten drei minus zwei und kamen auf: Peer Steinbrück. Das war am Freitag Vormittag dann so im Internet zu lesen. Gabriel trat beherzt die Flucht nach vorn an, informierte Steinbrück und die engere Parteiführung. Nachmittags trat die Troika im Willy-Brandt-Haus vor die Presse und Steinbrück erklärte: „Ich nehme die Herausforderung an.“ Stein-

meier versicherte, den Kandidaten zu unterstützen, „als wäre es mein eigener Wahlkampf“. Die Partei reagierte flügelübergreifend so überrascht wie erleichtert. Der Parteivorstand stimmte Sigmar Gabriels Personalvorschlag in einer Sondersitzung einstimmig zu. Das letzte Wort wird ein Parteitag am 9. Dezember in Hannover haben. Am Montag, nach der Sondersitzung des Vorstands, begrüßten Mitarbeiter der Parteizentrale den designierten Kanzlerkandidaten mit minutenlangem Applaus. Gabriel: „So haben die mich noch nie empfangen.“ Auch so kann man Spekulationen entgegentreten, ab jetzt könne die SPD zwei Kraftzentren haben, die sich womöglich kritisch be-

»

Ich werde mich in diesem ­Wahlkampf so engagieren, als wäre es mein eigener.

«

Frank-Walter Steinmeier, zur Kanzlerkandidatur Peer Steinbrücks

äugen. Steinbrück versprach, mit dem Willy-Brandt-Haus eng zusammenzuarbeiten, und Gabriel versicherte: „Wir haben den gleichen Herzschlag.“ Steinbrück will „nicht halbherzig, aber auch nicht überheblich“ in den Wahlkampf ziehen. Er kündigte an, sein Aufsichtsratsmandat bei Thyssen-Krupp niederzulegen und ab sofort keine honorarpflichtigen Vorträge mehr zu halten. Die Kandidaten-Troika ist damit passé. Steinbrück, Steinmeier und ­ Gabriel werden sich aber in Zukunft ­ eher öfter und dringender abstimmen müssen als in den letzten eineinhalb Jahren. Gebraucht wird für die Arbeit an Programm und Kampagne also ­eine Troika plus. Plus Länderchefs und ­Frauenpower. n KL

Foto: Dirk Bleicker

Kanzlerkandidatur Peer Steinbrück fordert Angela Merkel heraus – ­Gabriel und Steinmeier sagen ihm ihre volle Unterstützung zu


Aktuell 5

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Was ist das Beste an der SPD? Dass sie seit fast 150 Jahren für Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit kämpft. Dass viele Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten für diesen Kampf ­ große Opfer gebracht haben – manche sogar mit ihrem Leben bezahlt haben. Dass die SPD in ihrer Geschichte nie die Ideologien, sondern immer die Menschen in den Mittelpunkt gestellt hat. Für eine solche Partei als Spitzenkandidat in eine Wahl ziehen zu dürfen, ist nicht nur eine große Herausforderung, sondern auch eine große Ehre. Der Wahlkampf 2013 hat begonnen. Wovon wird er handeln? In einem Wahlkampf geht es immer darum, was die Menschen bewegt: Die wachsende soziale Spaltung im Land. Die unhaltbaren Zustände gerade im Niedriglohnsektor. Die Probleme im Bildungssystem. Die SPD wird auch die gravierenden handwerklichen Defizite der schwarz-gelben Bundesregierung angreifen – und gleichzeitig eine Perspektive bieten, wie den Fliehkräften in unserer Gesellschaft Einhalt geboten werden kann. Viele Menschen haben eine Sehnsucht danach, dass nicht Ego-Werte die Gesellschaft bestimmen, sondern das Gemeinwohl im Mittelpunkt steht. Angela Merkel scheint auf dem ­Höhepunkt ihrer Popularität. ­Warum sollten die Wähler 2013 einen ­Wechsel wollen? Frau Merkel hat es bisher geschafft, sich von einem Kabinett präsidial abzuheben, für das sie die Verantwortung trägt. Manche tun ja so, als ob Frau Merkel mit dem schlechtesten Kabinett seit 1949 nichts zu tun hat. Also wird die SPD sehr viel deutlicher machen müssen, dass diese Kanzlerin für den Streit, für die Orientierungslosigkeit, die Klientelpo­ litik und auch die Entscheidungsschwäche dieses Kabinetts verantwortlich ist. Was wird der Bundeskanzler Steinbrück besser machen als Frau Merkel?

»Unser gemeinsames Ziel ist Rot-Grün« Peer Steinbrück Der SPD-Spitzenkandidat will im Wahlkampf auf klare Worte setzen – und auf Humor Interview Uwe Knüpfer

Auch Gespräche mit der Presse können Spaß machen: Steinbrück im NRW-Wahlkampf

Erstens: besser regieren. Zweitens wird er einem anderen gesellschaftspolitischen Leitbild folgen. Wir müssen versuchen, diese Gesellschaft zusammenzuhalten. Sie wird auseinandergerissen durch die Spaltung des Arbeitsmarktes, durch Bildungsbarrieren, durch eine katastrophale kommunale Finanzlage, durch entfesselte Finanzmärkte und nach wie vor durch eine Drift in der Einkommens- und Vermögensverteilung. Wir brauchen eine Perspektive, die jenseits von nur korrigierenden Maßnahmen sein muss. Rot-Grün ist das erklärte Ziel. Aber was geschieht, wenn Rot-Grün keine Mehrheit bekommt? Manche Medien meinen ja, Peer Steinbrück komme besser mit der FDP zurecht. Die wollen etwas herbeischreiben. Ich beschäftige mich nicht mit einem Sze-

nario, das ich nicht anstrebe und nicht für wünschenswert halte. Ich bin nicht auf dem Umweg über Frau Merkel zu haben. Deshalb habe ich klargemacht, dass ich in kein neues Kabinett von Frau Merkel eintreten würde. Unser gemeinsames Ziel ist Rot-Grün. Mancher in der SPD fürchtet, ein Kanzler Steinbrück werde sich nicht mehr dafür interessieren, was die Partei beschließt. Das Programm muss identisch sein mit dem Kandidaten und der Kandidat mit dem Programm. Aber der Kandidat muss sich auch vergegenwärtigen, dass er nicht nur 500 000 SPD-Mitglieder ansprechen muss, sondern 62 Millionen Wahlberechtigte. Sie sprachen am Freitag, dem 28. September, von Respekt vor den Gremien der Partei. Die Kandidatenkür zeugte aber nicht unbedingt von solchem Respekt? Manchmal ist man Zwängen ausgesetzt, wo es wichtiger ist, Handlungsfähigkeit zu zeigen, als in lange Abstimmungsprozesse zu gehen. Die Lage an jenem Freitag ist einfach so gewesen, dass der Parteivorsitzende handeln musste. Das wird man ihm zugestehen müssen. Haben Sie eine Bitte an die SPD? Geschlossenheit wird wichtig sein. Aber auch Witz! Wahlkampf ist nicht nur eine Bürde. Natürlich braucht man eine schlüssige Strategie und überzeugende Positionen – aber Wahlkampf muss auch Spaß machen. n

»Lehrmeister und Unterhalter« – Die Presse zur K-Lösung

Foto: Dirk Bleicker

Es gibt keinen Politiker in Deutschland, der kompetenter und überzeugender die verzwickte Lage der internationalen Finanzmärkte erklären kann als Peer Steinbrück. Er ist darin im besten Sinne Lehrmeister und Unterhalter. Berliner Zeitung Steinbrücks Regierungserfahrung ist sein großer Trumpf – und zugleich auch eine Bremse für seine Kampagnen. (...) Mit Blick auf die Banken und die Methoden zu Aufsicht und Rettung wird er nicht so tun können, als habe er mit den teils schwer erklärlichen Vorgängen der vergangenen Jahre nichts zu tun. Hannoversche Allgemeine Zeitung Frank-Walter Steinmeier hat die Hängepartie entschieden, weil sie entschieden werden

musste. Und er hat das gegen sich selbst getan. Das zeigt dreierlei: erstens Klasse, zweitens Einsicht, drittens, dass diese Troika, anders als die der Brandt-Enkel 1994 gegen Helmut Kohl, zusammenhält. Einer für den anderen, alle drei gegen die KohlEnkelin Angela Merkel. Der Tagesspiegel Die Troika macht klar: Sie will 2013 auf Sieg spielen, nicht auf Platz. Steinbrück soll diese Hoffnung vermitteln. Von allen drei TroikaMitgliedern kann er dies am ehesten. spiegel-online Wenn der in einer Art Sturzgeburt zur Welt gekommene Kanzlerkandidat der SPD seinem Land einen Dienst erweisen will, dann führt

er seinen Wahlkampf nicht nach der üblichen „Sie oder ich“-Dramaturgie. Dann spricht er zur Sache. Das kann er. Das kann sie. Handelsblatt Wie seine Partei geht auch Steinbrück mit einem gewaltigen Rückstand auf Merkel in den Wahlkampf. (...) Und dennoch: Wenn einer das schaffen kann, dann Steinbrück. Financial Times Deutschland Steinbrück neigt dazu, Narren zu identifizieren, auch weil er jedermann merken lässt, wie gescheit er ist. (...) Aus praktischer Vernunft täte der Kandidat gut daran, etwas mehr Kurt Beck zu geben und ein bisschen weniger Helmut Schmidt. Süddeutsche Zeitung

»

Wir müssen versuchen, diese Gesellschaft zusammen­ zuhalten.

«

Peer Steinbrück,

SPD-Kanzlerkandidat

Stationen

10.01.1947 Geburt in Hamburg 1969 Eintritt in die SPD 1970-1974 Studium der Volkswirtschaft und Sozialwissenschaften 1974-1982 Referent in diversen Bundesministerien 1986-1990 Büroleiter von Ministerpräsident Johannes Rau 1990-1993 Staatssekretär für Umwelt und für Wirtschaft in Schleswig-Holstein 1993-1998 Minister für Wirtschaft und Verkehr in Schleswig-Holstein 1998-2000 Minister für Wirtschaft und Verkehr in NRW 2000-2002 Finanzminister in NRW 2002-2005 NRW-Ministerpräsident 2005-2009 Bundesfinanzminister und stellv. SPD-Vorsitzender seit 2009 Mitglied des Bundestages


6 Titel

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Rettet die Rente! D

ie Rente ist sicher – solange die Gesellschaft zusammenhält. Umgekehrt gilt: Ein solidarisches Rentensystem bindet die Gesellschaft zusammen. Deshalb ist Rentenpolitik für die SPD kein Nebenbei-Thema. Dabei s­ ollte unterstellt werden: Niemand will ­Altersarmut. Es geht immer nur um den besten Weg, sie zu verhindern. Die Schaffung der Rentenversicherung unter Bismarck war der erste große Triumph der Sozialdemokratie. Er bewies: Fortschritt ist möglich, schon im Hier und Jetzt und angesichts starker Gegner. Nicht erst im Jenseits einer utopischen Idealgesellschaft. Doch erst seit 1957 ist die Rente vor Inflation geschützt und umlagefinanziert. Jede erwerbstätige Generation zahlt die Renten der jeweils Alten. So entstand eine Klammer zwischen den Generationen. Die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ist organisierte Solidarität. 1957, das war auf dem Gipfel des „Wirtschaftswunders“. Die regierende CDU beging einen folgenschweren Fehler: Beamte, Selbstständige und Freiberufler wurden nicht Teil des Systems.

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Millionen Einzahler mehr ­gäbe es 2045, wenn die Rentenversicherung auf Beamte, Selbstständige, Minijobber ausgeweitet würde

13,8

Prozent der Rentnerinnen und Rentner waren 2011 von Altersarmut bedroht

Quellen: Böcklerstiftung 2008; ­ tatistisches Bundesamt 2011 S

Außerdem ging man optimistisch davon aus, Wirtschaft und Einkommen würden beständig weiter wachsen. Und vor allem: Es werde immer mehr junge, arbeitende Menschen geben als Rentner. Seither ist das Rentensystem immer komplizierter geworden. Zwischen Zugangsfaktor, Eckrentner, Nachhaltigkeitsfaktor und Beitragsbemessungsgrenzen finden sich nur Experten zurecht: die Druiden des Sozialstaats. So wie 1957 erdacht, funktioniert die GRV nicht mehr. Arbeitslosenzeiten, erzwungene Selbstständigkeiten, Erziehungszeiten, Dauerpraktika, Umschulungen, Teil-Invaliditäten, gestiegene Lebenserwartungen: Auf all das und mehr muss die GRV reagieren. Außerdem: Nicht jeder will mit 63, 65, 67 oder gar 70 Jahren aufhören zu arbeiten. Andere aber können dann schon längst nicht mehr. Längst wird ein Teil der Renten aus Steuern finanziert. Die „Riester-Rente“ war als ergänzende Altersversorgung gedacht: nicht umlagefinanziert, sondern kapitalgedeckt. Jeder bekommt, was er eingezahlt hat. Basierend auf der Hoffnung, angelegtes Kapital werde ste-

tig wachsen. Doch oft fraßen schon die Verwaltungskosten alle Zugewinne auf. Doch hätten sich vor zehn Jahren Union und FDP durchgesetzt, wäre die GRV womöglich komplett abgeschafft worden. Das Rentenkonzept des SPD-Vorstands will viererlei: 1. die GRV durch zusätzliche Einnahmen sichern, ohne Erwerbstätige übermäßig zu belasten, 2. eine kapitalgedeckte Säule danebenstellen, die wirklich trägt – als Betriebsrente ohne hohe Verwaltungskosten (2 bis 3 statt bis zu 20 Prozent ), 3. flexiblere Übergänge in die Rente zulassen: Nach 45 Versicherungsjahren gibt es ­einen Rentenanspruch, unabhängig vom Alter, und 4. mit Steuermitteln sicherstellen, dass auch der im Alter nicht verarmt, dessen Einzahlungen trotz langen Berufslebens nicht reichen, ein Rentenniveau oberhalb der Hartz-IV-Sätze zu erreichen. Das nutzt vor allem Frauen. Der Kern der Rentensicherung aber liegt in der Reform des Arbeitsmarkts: Nur wer heute und morgen für seine A rbeit anständig bezahlt wird, kann ­ fürs Alter vorsorgen und später eine gute Rente beziehen. n UK

Karikatur: Klaus Stuttmann

Altersarmut Wer für morgen vorsorgen soll, muss heute anständig bezahlt werden – die beste Rentenreform liegt in der Sicherung guter Gehälter


Titel 7

Karikatur: Burkhard Mohr

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Immer mehr Rentnern droht Armut im Alter – was tut die SPD dagegen? Wichtigstes Ziel der SPD ist es, Altersarmut zu verhindern. Deshalb plädiert der SPD-Parteivorstand in seinem Antrag zur Rentenpolitik unter anderem für eine Solidarrente. Diese soll Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, eine Rente von 850 Euro garantieren. Zudem soll eine verstärkte Betriebsrente die Gesetzliche Rentenversicherung (GRV) ergänzen. Über das Konzept entscheidet der Parteikonvent am 24. November. Was ist die Solidarrente? Die Solidarrente soll niedrige Rentenansprüche erhöhen. Sie umfasst drei Elemente: Zeiten der Arbeitslosigkeit sollen stärker berücksichtigt werden. In welcher Höhe, ist noch zu klären. Außerdem werden die Rentenansprüche für Geringverdiener rückwirkend angehoben, sofern sie mindestens 35 Jahre versichert waren. Wer trotz dieser Änderungen nicht auf eine Rente von 850 Euro kommt, wird entsprechend aufgestockt. Voraussetzung sind 40 Versicherungsjahre und 30 Beitragsjahre aus Vollzeitarbeit. Zu den Beitragsjahren zählen unter anderem Kindererziehungszeiten und die Berufsausbildung, aber auch Phasen, in denen Arbeitslosengeld bezogen wurde. Beitragsfreie Zeiten wie zum Beispiel bei längerer Erwerbslosigkeit zählen hingegen als Versicherungsjahre. Wo liegen die Unterschiede zwischen der Solidarrente und der Zuschussrente aus der CDU? Eine Rente von 850 Euro sehen beide vor. Von dem Konzept aus der CDU würden aber nur wenige Menschen profitieren. Denn im Gegensatz zur SPD hängt sie die Hürden hoch. So soll die Zuschussrente nur erhalten, wer auch privat vorgesorgt hat – gerade Geringverdienern fällt das schwer. Durch höhere Anforderungen bei der Versicherungs- und Beitragszeit erschwert die CDU den Zugang zur Zuschussrente: Je fünf Jahre mehr als die SPD setzt sie voraus. Um die gesetzliche Rentenkasse nicht weiter zu belasten, sieht der Parteivorstand eine Finanzierung über Steuergelder vor. Die Zuschussrente dagegen soll aus der Gesetzlichen Rentenversicherung bezahlt werden. Und wenn man nicht genug Beitragsjahre für eine Solidarrente hat? Dann bleibt die Grundsicherung in Höhe von derzeit durchschnittlich 688 Euro. Was ist, wenn man krankheitsbedingt nicht mehr arbeiten kann? Die Erwerbsminderungsrente, die in diesen Fällen gezahlt wird, soll verbessert werden: Die letzten fünf Beitragsjahre sollen stärker angerechnet werden. Die geleisteten Beitragsjahre werden bis zum vollendeten 62. Lebensjahr aufge-

Sicher ins Alter Rentenkonzept Der SPD-Vorstand hat einen Vorschlag erarbeitet. Wir erklären die wichtigsten Punkte. Der Partei-Konvent wird entscheiden Von Nils Hilbert und Marisa Strobel

stockt – zwei Jahre mehr als bisher, so als hätte der Rentenempfänger regulär gearbeitet. Auch die Abschläge bei der Erwerbsminderungsrente sollen künftig entfallen. Wieso wird das Rentenniveau von rund 50 Prozent des Nettolohns auf eine gesetzliche Untergrenze von 43 Prozent bis 2030 sinken? Dieser Punkt ist in der SPD umstritten und wird auf dem Parteikonvent entschieden. Würde das aktuelle Rentenniveau auch 2030 bestehen, müsste im Gegenzug der Beitragssatz von jetzt 19,6 Prozent auf rund 25 Prozent steigen. Der Grund: Künftig müssen immer weniger Beschäftigte für immer mehr Rentner aufkommen. Weil die Parteiführung einen maximalen Rentenbeitrag von 22 Prozent anstrebt, könnte das Rentenniveau auf 43 Prozent sinken. Zum Ausgleich soll jeder Beschäftigte zusätzlich eine kapitalgedeckte Altersvorsorge in Form einer Betriebsrente plus oder einer privaten Vorsorge aufbauen. Was ist eine Betriebsrente plus? Neben der GRV soll die Betriebsrente zur zweiten Säule der Altersvorsorge werden. Dazu soll jeder Arbeitnehmer künftig zwischen zwei und sechs Prozent seines Bruttolohns in die Betriebsrente plus einzahlen können. Jeder, der einzahlt, erhält pauschal einen Zuschlag von 400 Euro pro Jahr aus Steuermitteln.

Rente unter ­S ozialhilfeniveau Die monatliche Netto-Rente nach 45 Beitragsjahren beträgt bei einem Brutto-Stundenlohn (in Euro) von...

7,50

9,47

Grund­ sicherung im Alter

676,21

676,00

535,49

2006 verdienten Niedriglohnempfänger in Westdeutschland durchschnittlich 6,89 Euro, in Ostdeutschland 4,86 Euro

Quelle: Arbeiterkammer Bremen, ­ teffen 2009, Hans-Böckler-Stiftung S 2009

Verfällt die Betriebsrente plus, wenn man den Job wechselt? Nein. Bereits heute lassen sich einige Betriebsrenten bei einem Wechsel des Arbeitgebers mitnehmen. Die SPD sieht hier jedoch Verbesserungsbedarf. Die Details sind noch zu klären. Welche Änderungen sieht das SPDRentenkonzept für Selbstständige vor? Weil viele Selbstständige keine ausreichende Altersvorsorge betreiben, will der Parteivorstand eine Versicherungspflicht in der GRV. Ausgenommen wären Berufsgruppen, die ohnehin pflichtversichert sind, zum Beispiel Ärzte oder Landwirte. Ist die SPD weiter für die Rente ab 67? Prinzipiell ja. Bis 2029 soll das Renteneintrittsalter auf 67 Jahre ansteigen. Aber nur, wenn mindestens die Hälfte der 60- bis 64-Jährigen sozialversichert beschäftigt sind. Da manche Berufe die Gesundheit stark belasten, will die SPD einen flexibleren Übergang in die Rente ermöglichen: Ab einem Alter von 60 Jahren soll die Arbeitszeit reduziert werden können. Das verringerte Einkommen soll teilweise ausgeglichen werden. Diese Teilrente soll durch eigene Zuverdienste ergänzt werden dürfen. Die Grenzen hierzu sollen wegfallen. Menschen mit 45 Versicherungsjahren sollen zudem Anspruch auf eine Rente ohne Abzüge haben. n


8 Titel

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Nicht zu alt zum Arbeiten Joachim Kellner (71) Professor, Hamburg

Das reicht nicht zum Vorsorgen: Statt eines Jobs bekam Mascha Stähle nach ihrem Studium nur Praktika angeboten.

Was uns im Alter bleibt

Ich habe immer gut verdient und bin von 1966 bis heute ununterbrochen beschäftigt. 37 Jahre habe ich in die Rentenkasse eingezahlt, die anderen Jahre war ich selbstständig. Meine Rente beträgt 1673 Euro netto, darin enthalten ist ein Zuschuss der Stadt Hamburg für die Professorentätigkeit und eine kleine Betriebsrente. Meinen Lebensstandard könnte ich damit nicht halten, habe aber zeitlebens gespart. Ich bin Professor für Marketing und arbeite vor allem deshalb weiter, weil es mir viel Spaß macht. Außerdem zeigt meine Erfahrung: „Wer nicht arbeitet, verblödet.“ Und natürlich möchte ich auch noch etwas Geld verdienen. Für das Rentensystem der Zukunft wünsche ich mir, dass es einfacher wird, über 65 bzw. 67 Jahre hinaus zu arbeiten und seine Rentenbezüge zu steigern. Das geht zwar heute schon, nur wird es nicht kommuniziert. Außerdem sollte auf keinen Fall zugelassen werden, dass die Höherverdienenden die Geringverdiener bei der Rente subventionieren. Das sollte

Rentenbezüge Nicht jeder kann ausreichend für das Alter vorsorgen. Sechs Perspektiven auf unser Rentensystem Aufgezeichnet von Carl-Friedrich Höck, Susanne Dohrn und Stephanie Hajdamowicz

W

1236

Euro monatlich würde derzeit der Durchschnittsrentner mit 45 Arbeitsjahren in Deutschland erhalten

738

Euro monatlich beträgt die Durchschnittsrente aktuell in Deutschland, bei 36,8 Erwerbsjahren, die im Durchschnitt erreicht werden

QuelleN: Statistisches Bundesamt 2010; Deutsche Rentenversicherung 2011

er heute wenig verdient, dem droht im Alter auch eine niedrige Rente. Viele Niedriglöhner stehen vor diesem Problem: Die gesetzlichen Renten sinken, und um privat vorzusorgen, bleibt am Ende des Monats kein Geld. Öffentlich darüber sprechen wollten mit dem „vorwärts“ nur wenige. Als Grund wurde meist auf den Chef verwiesen, der es nicht gern sähe, wenn Mitarbeiter über ihre schlechte ­finanzielle Situation reden. Doch nicht nur die Angestellten im Niedriglohnbereich sorgen sich um ihre Altersvorsorge, sondern zunehmend auch Akademiker und Freiberufler. Andere dagegen sind mit ihren Renten zufrieden. Wir stellen sechs Menschen vor – mit sechs unterschiedlichen Perspektiven auf unser Rentensystem.

Für zwei Euro pro Stunde Mascha Stähle (29) Historikerin, Berlin Ich werde nächstes Jahr 30. Bisher habe ich noch nichts in die Rentenkasse einzahlen können. Langsam beginne ich, mir ernsthafte Sorgen zu machen. Im April 2011 habe ich einen Masterabschluss in Geschichte gemacht, mit der Note 1,5. Trotzdem musste ich mich ar-

beitslos melden, denn ein Job war nicht zu finden. Faul zuhause herumsitzen wollte ich nicht. Also habe ich begonnen, Praktika zu absolvieren. Dem ersten folgte das zweite, dann das dritte, mittlerweile sind es fünf geworden. Ich habe in Geschichtsagenturen für Unternehmen gearbeitet, im Kulturtourismus, in Forschungszentren. Durch manche Praktika konnte ich wirklich viel lernen. Oft wird man aber auch nur als billige Arbeitskraft missbraucht – für zwei Euro pro Stunde. Jetzt beginne ich damit, mich als Historikerin selbstständig zu machen. Doch viele junge Kollegen sind auf der Suche nach Arbeit, das drückt die Honorare nach unten. Ich arbeite demnächst Vollzeit und bekomme zehn Euro die Stunde. Davon muss ich jeden Monat noch etwa 130 Euro Steuern und 240 Euro Krankenkassenbeiträge zahlen. Was übrig bleibt, reicht gerade so zum Leben. Für das Alter vorsorgen kann ich damit nicht. Der Staat sollte hier eingreifen. Er sollte Regeln aufstellen, um den Missbrauch von Praktikanten zu stoppen und eine adäquate Entlohnung vorschreiben. Und ich bin für einen Mindestlohn – nicht nur für den Niedriglohnsektor, sondern auch für Akademiker.

der Staat übernehmen und die Zuschüsse aus Steuereinnahmen bezahlen. Wer eine gute Rente erhält, hat auch hart dafür gearbeitet.

An der Belastungsgrenze Susann Lastowsky (59) Einzelhandelskauffrau, Berlin Seit 1974 arbeite ich Vollzeit im Einzelhandel, ohne Ausfallzeiten. Als ich angefangen habe, dachte ich noch, ich werde mit 60 in Rente gehen. Jetzt müsste ich bis 65einhalb arbeiten, um die volle Rente zu bekommen. Aber dass ich das schaffe, kann ich mir kaum vorstellen. Spätestens mit 63 werde ich wohl aufhören müssen, falls meine Gesundheit überhaupt noch so lange mitspielt. Würde ich jetzt in Rente gehen, bekäme ich weniger als 900 Euro. Wenn ich bis 65 weitermache, komme ich vielleicht auf 1200 bis 1300 Euro. Ich habe aber auch


Titel 9

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sehen, wie viel das Geld dann noch wert ist. Ich kenne viele Freiberufler, die im Gegensatz zu mir nie fest angestellt waren. Die enden später alle unter 850 Euro Rente, obwohl sie über Jahrzehnte einbezahlt haben. Ich fände gut, wenn wir eine Bürgerversicherung einführen, mit gleichen Bedingungen für alle Einkommen. Jeder würde dann einen bestimmten Prozentsatz seiner Einnahmen in die Versicherung einzahlen, egal ob Arzt, Anwalt oder Börsenmakler. Auch, wenn es zum Beispiel Einkommen aus Vermietung oder Kapitalanlagen sind.

die meiste Zeit in leitenden Positionen gearbeitet, und meine Bezahlung ist fair. Generell wird der Lohn in meiner Branche dagegen immer schlechter. Meine Arbeit geht körperlich an die Substanz. Ich stehe den ganzen Tag hinter der Verkaufstheke oder laufe hin und her. Früher war es noch extremer, weil es weniger Arbeitsschutz gab. Man hat sich kaputt geknüppelt.

Ich finde, das Rentensystem muss gerechter werden. Beamte sollten genauso einzahlen wie alle anderen auch. Und es muss bei der Rente einen Unterschied geben, ob jemand viel gearbeitet hat oder nicht. Außerdem sollte es einem leichter gemacht werden, beim Übergang in die Rente Teilzeit zu arbeiten – diese Möglichkeit gibt es leider noch nicht überall.

Fotos: Dirk Bleicker (2), FOM, Diakoniewerk Duisburg, privat (1)

Im Alter arm Gabriele Tenkhoff (66) Verkäuferin, Duisburg Ich arbeite gerne, auch mit 66. Trotzdem denke ich manchmal, warum muss ich das in meinem Alter noch machen? Ich war erst einmal geschockt, als mein Rentenbescheid kam. Meine Tochter sagte, die haben sich verrechnet. Doch das war nicht so. Alles richtig. Mit meinen 491 Euro, die ich von der Rentenversicherung bekomme, kann ich nicht leben. Auch wenn ich bescheiden bin und noch eine kleine Zusatzrente von 115 Euro von meinem alten Arbeitgeber, dem Diakoniewerk in Duisburg, bekomme. Ich bin froh, dass ich dort wieder einen Aushilfsjob bekommen habe. Ich arbeite 30 Stunden die Woche. Meine Chefs haben mich geholt, da ich gut mit Menschen umgehen kann. Im Moment kümmere ich mich um Leute, die beim Diakoniewerk für den Gartenbau angelernt werden. Wir pflegen die Gärten in Altenheimen, Krankenhäusern und anderen Einrichtungen. Das Bücken geht nicht mehr so gut. Aber was soll ich machen? Ich habe 25 Jahre voll gearbeitet, da bleibt nicht viel an Rente übrig. Ich war 17, als meine Tochter kam. Die Lehre musste ich abbrechen und ha-

be dann später Verkäuferin gelernt, war Markthändlerin und Hausfrau. Ich habe geheiratet, aber meine Ehe hielt nicht lang. Für uns Mädchen war es ja damals schwierig. Da gab es nichts anderes, entweder Verkäuferin oder Friseurin. Eine Aufstockung stünde mir zwar zu, aber ich will nicht vom Staat abhängig sein. Solange ich noch arbeiten kann, mache ich das. Aber es wäre schon schön, wenn wir Alten mehr Rente bekommen würden und nicht so ums Überleben kämpfen müssten. Denn ich habe ja auch immer nur gearbeitet.

Sparsam und Bescheiden Peter Jörg Daniel (76) Bahnangestellter, Tornesch Nach dem Abitur bin ich als Inspektorenanwärter zur Deutschen Bahn gegangen. Nach knapp zehn Jahren habe ich das Beamtenverhältnis gekündigt und bin als Angestellter zur einer privaten Eisenbahngesellschaft gewechselt,

Dieses Jahr verdiene ich geschätzt 24 000 Euro brutto, davon gehen etwa 10 Prozent in die Rentenkasse. Wenn Honorare und Aufträge stabil bleiben und die Gesetze sich nicht ändern, werde ich später mit 67 so um die 1000 Euro bekommen. Mal

Kjersti A. Skomsvold Je schneller ich gehe, desto kleiner bin ich Hoffman & Campe Hamburg 2011 144 Seiten, 18 Euro ISBN 978-3-455-40094-6 Dimitri Verhulst Madame Verona steigt den Hügel hinab Luchterhand Literaturverlag, München 2008 112 Seiten, 7 Euro ISBN 978-3-630-62129-6 Henning Scherf Grau ist bunt. Was im Alter möglich ist Herder Verlag, Freiburg 2012 192 Seiten, 9,99 Euro ISBN 978-3-451-05976-6 Silvia Bovenschen Älter werden S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2006 160 Seiten, 17,90 Euro ISBN 978-3-10-003512-7

Filmtipps Andreas Dresen Wolke 9 D 2008, mit Ursula Werner, Horst Rehberg u.a. Senator-Film DVD ab 9,99 Euro

Ich habe Glück Anja Baier (48) Publizistin, Trebur (Hessen) Nach meinem Studium habe ich 15 Jahre als Angestellte in der Kommunikationsund Werbebranche gearbeitet. In dieser Zeit habe ich ziemlich gut verdient. Ansonsten würde ich heute gar nicht wissen wollen, was mir später an Rente bleibt. 2002 gab es in meiner Branche eine Entlassungswelle, die auch mich getroffen hat. Aus der Arbeitslosigkeit heraus habe ich mich selbstständig gemacht. Ich habe Glück, denn ich kann in der Künstlersozialkasse gesetzlich versichert bleiben.

Buchtipps

Agnès Varda Die Strände von Agnès F 2008, Dokumentation Indigo-Film DVD 15,99 Euro

wo ich mich bis zum Fachbereichsleiter hochgearbeitet habe. In 44 Berufsjahren habe ich 34 Jahre über der Beitragsbemessungsgrenze verdient – also der Lohnobergrenze, bis zu der ich prozentual Beiträge in die Versicherung einzahlen musste. Obwohl ich infolge meiner Scheidung zirka 30 Prozent meiner BfA-Rente verloren habe, verfüge ich inklusive meiner Betriebsrenten von 580 Euro immer noch über ein monatliches Einkommen von etwa 1800 Euro. Da ich günstig zur Miete wohne und im täglichen Leben sparsam und bescheiden bin, kann ich mir mein Auto, meinen Motorroller und zwei bis drei größere Reisen im Jahr leisten. Allerdings erhöht sich mein Einkommen durch die Aufwandsentschädigungen als Ratsherr und stellvertretender Bürgervorsteher um etwa 180 Euro monatlich. Damit das Rentensystem gerechter wird, wünsche ich mir die Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenzen für die Sozialversicherung sowie eine Mindestrente nach 35 Beitragsjahren. n

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10 Titel

vorwärts 10/2012

»Ruhestand? Bescheuert!« Henning Scherf Bremens früherer Bürgermeister schreibt ein Buch nach dem ­anderen über das Alter. Er strahlt einen Optimismus aus, der ansteckt

„Wer nach vorne schaut, bleibt länger jung“ heißt Ihr aktuelles Buch. Wie schafft man das mit Mitte 70? Was ich erlebt habe, begleitet mich. Ich hänge an dem, was ich gemacht habe. Aber im positiven Sinne regt mich das auf, was vor mir liegt. Haben Sie sich auf die Zeit nach der Politik vorbereitet? Ich habe schon vorher Aufgaben übernommen, von denen ich wusste, dass sie erst richtig spannend sind, wenn ich mehr Zeit dafür habe. Zum Beispiel singe ich im Chor. Das schwarze Loch ist mir nicht begegnet. Weil Sie mit Volldampf weiter­ gemacht haben? Ich habe etwas anderes gemacht und das mit Lust. Ich schreibe Bücher und halte mehr Vorträge vor volleren Sälen als während meiner Zeit als Politiker. Also nicht im Ruhe- sondern im Unruhestand? Das Wort Ruhestand ist bescheuert. Unruhestand ist nicht viel besser. Es ist ein geschenkter großer Lebensabschnitt dank einer spektakulär verlängerten Lebenszeit. Den zu gestalten ist eine Chance für alle, weil die Zivilgesellschaft plötzlich Menschen hat, die sich mit ihrer Lebenserfahrung einmischen wollen. Was raten Sie anderen? Warte nicht, bis andere auf dich zugehen. Ich garantiere dir: Wenn du drei oder vier Leute angesprochen hast, werden zwei sagen: Wir freuen uns auf dich. Inzwischen arbeitet mehr als die Hälfte der 60- bis 70-Jährigen ehrenamtlich. Die anderen 50 Prozent, die noch nicht wissen, wie gut es ihnen tut, erreichen wir hoffentlich auch noch. Was ist aus Ihrer Sicht das Wichtigste für ein gutes Leben im Alter? Nicht allein bleiben. Nicht einsam werden. Andere Menschen finden. Wenn der Partner stirbt, nicht aufgeben, sondern mit anderen zusammen die Zeit zu gestalten, darauf kommt es an. Und am Ende kommt doch das Heim? In Bremen stehen 1000 Pflegebetten leer, weil die Leute da alt werden wollen, wo sie zu Hause sind. Da muss man als Kommunal- und Sozialpolitiker zuhören und sagen: Wenn ihr das wollt, schaffen wir Strukturen, die das ermöglichen. Sie haben den Vorsitz einer über­ parteilichen Kommission, die einen Aktionsplan gegen Alters­

Henning Scherf: „Mit anderen zusammen die Zeit gestalten, darauf kommt es an.“

diskriminierung erarbeiten soll. Wie groß ist das Problem? Riesig. Es geht quer durch die Gesetzgebung, die Tarifverträge, die Einstellungspraxis. Das führt dazu, dass die Leute nicht nach ihren Qualifikationen beschäftigt werden, sondern danach, ob sie jung genug oder noch nicht zu alt sind. Das ist alles fragwürdig. Fehlt es nicht eher an Chancen für die Jungen? Das ist von gestern. Wir suchen allein in Bremen 600 Ingenieure. Wo ich hinkomme, klagen Unternehmen, dass sie keinen Nachwuchs finden. Bei so einer Lage jungen Leuten zu erzählen, sie hätten keine Chancen, ist bösartig. Nehmen die Alten, wenn sie länger arbeiten, den Jungen die Jobs weg? Nein, die müssen länger arbeiten, weil wir einen dramatischen Fachkräftemangel haben. Ich kenne Firmen, die Aufträge zurückweisen müssen, weil sie keine Leute haben. Länger arbeiten sehen Sie also positiv? Die große Mehrheit der Berufe bedeutet Sozialkontakte, Anerkennung. Deshalb wünsche ich mir, dass die Gewerkschaften und Betriebsräte beim Umsteuern helfen, so dass die Betriebe eine kluge Mischung zwischen Jungen, Mittelalten und Älteren haben und auf die unterschiedlichen Lebenslagen eingehen – den Stress von Eltern mit kleinen Kindern ebenso wie auf die, die aufgrund ihres Alters körperlich nicht mehr alles reißen können. Ist das hohe Alter für Sie etwas Bedrohliches? Ich will davor nicht weglaufen. Irgendwann, das weiß ich, wird alles mühseliger. In einer Zeitung haben Sie darüber gesprochen, wie Sie sterben wollen. Warum? Es ist für viele eine Hilfe, wenn sie von anderen hören, wie die mit ihren Sterbeängsten umgehen. Ich finde, man sollte sterben dürfen, wo man zu Hause ist, umgeben von vertrauten Menschen. Es ist wunderbar, wenn Kinder dabei sind, auch ganz kleine, die das noch gar nicht kapieren. Wir sind da falsch gepolt: Wir tragen eine Trauerliturgie vor uns her, alle kommen nur noch mit Kerzen und Taschentüchern. Mein Wunsch ist, dass ich mitten im Leben sterben darf. Ich wünsche mir, dass wir kapieren: Der Tod gehört zum Leben dazu. n

Foto: ddp images/dapd

Interview Susanne Dohrn


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Die Rendite schrumpft Riester-Rente Viel Geld fließt in zu viele schlechte Produkte Von Susanne Dohrn

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m bei der Riester-Rente zumindest die eingezahlte Summe herauszubekommen müsste ich 91 werden. Vorausgesetzt, ich habe richtig gerechnet.“ Axel Kleinlein lacht. „Dann haben sie ja noch einen günstigen Vertrag“, sagt der Vorstandsvorsitzende vom Bund der Versicherten (BdV). Damit sind wir mitten drin im Gespräch über die Riester-Rente und ihre Tücken. Kleinlein: „Das anfänglich gut gedachte Konzept ist im Laufe der Jahre mehr und mehr kaputt gerechnet worden.“ In einer Untersuchung für die Friedrich-Ebert-Stiftung über „Zehn Jahre Riester-Rente“ hat er nachgewiesen, dass ein 35-jähriger Mann, der 2001 einen RiesterRentenvertrag abgeschlossen hat, davon ausgehen konnte, dass er für je 100 000 Euro bis Rentenbeginn angespartes Kapital eine Monatsrente von 553,03 Euro erhält. Bei einem 11 Jahre später abgeschlossenen Vertrag käme er nur noch auf 377,69 Euro. Zu ähnlichen Ergebnissen kommt die Zeitschrift „Finanztest“. Sie hat kürzlich festgestellt, dass das Gros von 29 getesteten Angeboten über ein Befriedigend nicht hinauskam.

Vorsorgen mit Vorsicht: 15,6 Millionen riestern, aber nicht für jeden lohnt es sich.

te auch gut bleiben.“ Zwar mag sich für den Einzelnen der Abschluss eines guten Vertrags wegen der staatlichen Zulagen oder der Steuerersparnis auch weiterhin lohnen. Das ändere aber nichts daran, dass in der Mehrheit schlechten Produkten gutes Steuergeld nachgeworfen werde. Aus einem Vertrag aussteigen sollte man wegen der hohen Verluste nicht, allenfalls ihn beitragsfrei stellen. Wer eine Riester-Rente abschließen will, sollte sich auf jeden Fall gut beraten lassen: bei den Verbraucherzentralen, beim Bund der Versicherten (Mitgliedschaft nötig) oder bei freien Versicherungsberatern (kostenpflichtig). n ANZEIGE

Karikatur: Klaus Stuttmann

Undurchschaubare Verträge Zum Teil ist das auf die derzeit niedrigen Kapitalmarktrenditen zurückzuführen. Die Hauptursache ist jedoch eine andere: Die Verträge werden schlechter und komplizierter, so dass kaum ein Kunde sie noch durchschaut. Kleinlein: „Die Unternehmen nutzen die Intransparenz, um Vorteile für sich selbst zu generieren.“ Als Beispiel nennt er die Einschränkung der Überschussbeteiligung bei Kinderreichen oder Älteren oder die Kalkulation mit Lebenserwartungen weit jenseits der Hundert. Bank- und Fondssparpläne kommen aus seiner Sicht nicht viel besser weg. Denn um eine lebenslange Rente zu garantieren, müssen alle A nbieter von Riester-Renten ab dem ­ 85. Lebensjahr die Auszahlung über eine Versicherung sicherstellen. So schreibt es das Gesetz vor. Das 2001 von der Bundesregierung erstrebte Ziel, die mit der Senkung des Rentenniveaus aufgerissene Lücke zu schließen, werde nicht erreicht. Kleinlein: „Es hat von staatlicher Seite leider kein Monitoring gegeben, ob die Produk-

Du hast es in der Hand. Tetra Pak Getränkekartons liefern gute Gründe, warum sie zu den öko­ logisch vorteilhaften Verpackungen zählen: Sie bestehen überwiegend aus dem nachwachsenden Rohstoff Holz aus verantwortungsvoll bewirt­ schafteten Wäldern und werden in Deutschland mit Ökostrom hergestellt. Und noch ein weiterer von vielen Vorteilen für unsere Umwelt: Nach dem Gebrauch sind Tetra Pak Getränkekartons vielseitig wiederverwertbar. tetrapak.de

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Comeback für ­Pensionäre Reaktiviert Der Versandhauskonzern Otto holt seine Rentnerinnen und Rentner zurück ins ­Unternehmen. Davon profitieren beide Seiten Von Werner Loewe

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er Hamburger Handelskonzern Otto Group hat im Mai 2012 ein neues Dienstleistungs- und Beratungsunternehmen, die Otto Group Senior Expert Consultancy GmbH, gegründet. Diese Firma ist etwas Besonderes: Sie beschäftigt ausschließlich

Pensionärinnen und Pensionäre des Konzerns. Hintergrund ist der sich abzeichnende demografische Wandel in der Gesellschaft. Dem dadurch drohenden Fachkräftemangel will der Konzern auch mit der Gründung der neuen Tochterfirma begegnen.

77

Prozent der über 65-Jährigen glauben, von der Gesellschaft noch gebraucht zu werden

88

Prozent aller Befragten ­meinen, dass jüngere und ­ältere Kollegen im ­Berufsleben gut und sehr gut zusammenarbeiten

Quelle: Repräsentative Forsa-Umfrage für die Körber-stiftung und den „Stern“ 2012

„Wir öffnen uns für eine Zielgruppe, die über ein extrem hohes Maß an Experten-Know-how verfügt, welches zurzeit kaum eingebracht wird“, erklärt Sandra Widmaier, Direktorin Konzern Personal und Geschäftsführerin des neuen Unternehmens. Dort können sich seit Mai Pensionärinnen und Pensionäre bewerben, um bei kurzfristigen Engpässen von Fachkräften im Konzern je nach Bedraf und Qualifikation im Rahmen eines befristeten Arbeitsvertrages Lücken im Arbeitsprozess zu schließen, die nicht mit vorhandenen Mitarbeitern geschlossen werden können. Die Pensionäre wirken dann zeitlich begrenzt operativ an Projekten mit oder sind in beratender Funktion tätig. „Davon profitieren beide Seiten“, ist Sandra Widmaier überzeugt, „ehemalige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die jetzt in Rente sind, genießen oftmals das Gefühl, weiterhin gebraucht zu werden und freuen sich über die Möglichkeit des Zusatzverdienstes zur Rente. Als Unternehmen nutzen wir ihren Erfahrungsschatz und Leistungsstandard, zumal sie diesen meist ohne Einarbeitungszeit einbringen können.“

Rege Nachfrage bei den Pensionären Die Resonanz bei den älteren Kolleginnen und Kollegen auf dieses Angebot ist groß, „nahezu jeder fühlt sich angesprochen“, so eine Sprecherin des Konzerns. Seit dem Start im Mai konnten bereits eine Handvoll Verträge geschlossen werden, eine größere Anzahl von Bewerbungen wird derzeit auf ihre Einsatzmöglichkeiten geprüft. Sandra Widmaier zieht eine erste Bilanz nach wenigen Monaten Laufzeit: „Als familiengeführtes Unternehmen haben wir nach wie vor eine enge Bindung zu unseren Pensionären. Deshalb konnten wir bereits nach kurzer Zeit die ersten ehemaligen Otto Group Mitarbeiter wieder im Unternehmen begrüßen.“ n

Dieses Haus ist besetzt

Als „Wut-Rentner“ machten ein paar dutzend Pankower Senioren im Sommer Furore. „Oma macht jetzt Occupy“, schrieb die taz. Der Grund: Weil der Berliner Bezirk Pankow kein Geld mehr hat, musste er im Juli den Seniorenfreizeittreff „Stille Straße“ schließen. Die betroffenen Senioren besetzten daraufhin die Villa. Über ihren Protest berichteten Medien aus aller Welt. Der „vorwärts“ hat die Stille Straße besucht und mit der Besetzerin Brigitte Klotsche (Foto) gesprochen. Die 73-Jährige sagte uns, warum sie Tag und Nacht in dem Treff ausharrt und was Leben im Alter für sie bedeutet. Befragt haben wir auch die zuständige Sozialstadträtin Lioba Zürn-Kasztantowicz (SPD), was die Politik für alte Menschen tun muss. Das Ergebnis ist eine Audio-Slideshow, die Sie sich in der aktuellen vorwärtsApp ansehen können. n CFH

Karikatur: Klaus Stuttmann, Foto: Dirk Bleicker

Ein Rentnertreff in Berlin Pankow wehrt sich gegen seine Schließung


News 13

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Wechsel in Mainz Malu Dreyer Die Sozialministerin beerbt Kurt Beck als Ministerpräsidentin

Übergabe der Regierungsverantwortung: Als Ministerpräsident von RheinlandPfalz tritt Kurt Beck nach 18 Jahren zurück. Malu Dreyer wird seine Nachfolgerin.

Herzlichen Glückwunsch

Katharina Focke Bundesministerin a.D. Wendelin Enders ehem. MdB zum 90. Geburtstag Karl-Hans Kern ehem. MdB zum 80. Geburtstag

Fotos: Harald Tittel/dapd, Roland Weihrauch/dpa

Kurt Palis ehem. MdB zum 75. Geburtstag Gunter Fritsch Präsident des Landtags Brandenburg Karl Weinhofer ehem. MdB Eberhard Schulte-­ Wissermann ehem. OB in Koblenz zum 70. Geburtstag Christian Ude OB in München, Präsident des Deutschen Städtetages zum 65. Geburtstag

im Amt bestätigt Mit einem Traumergebnis von 99 Prozent bleibt Hannelore Kraft weitere zwei Jahre als Vorsitzende der NRW-SPD im Amt. Auf dem Parteitag in Münster stimmten nur drei Delegierte gegen Kraft, einer enthielt sich. Auch Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck wurde als Landesvorsitzender wiedergewählt. Auf dem Parteitag in Luckenwalde votierten 93,5 Prozent der Delegierten für den 58-Jährigen. Platzeck hat das Amt seit zwölf Jahren inne. Martin Dulig, Vorsitzender der SachsenSPD, wurde ebenfalls in seinem Amt bestätigt. Der 38-Jährige erhielt in Dresden 81,5 Prozent der Stimmen – sein bisher bestes Ergebnis.n NH

Kraft der Kommune Sozialdemokratische Gemeinschaft für Kommunalpolitik (SGK): klingt ehrenwert, aber ein wenig langweilig. Ist es aber nicht. Vierzig Jahre nach ihrer Geburt tritt die SGK in NRW selbstbewusst auf – und mit einem „Facelifting“, wie Gelsenkirchens Oberbürgermeister Frank Baranowski es nennt. Der gerade wiedergewählte Landes-Vorsitzende hat seiner SGK einen neuen Beinamen („Die Kommunalen“), ein neues Logo und vor allem neues Selbstbewusstsein verordnet. Alles beginnt und endet vor Ort, könnte das Motto sein. Bei Feier und Kongress in Dortmund diskutierten

M

it dieser Entscheidung hatte wohl niemand gerechnet. Kurt Beck wird Anfang kommenden Jahres nach 18 Jahren als Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz zurücktreten. Als Grund nannte der 63-Jährige gesundheitliche Probleme. Becks Nachfolgerin soll die langjährige Arbeits- und Sozialministerin Malu Dreyer werden. Die 51-Jährige, deren Vorname eine Kurzform von Marie-Luise ist, wird sich Anfang kommenden Jahres der Wahl im Landtag stellen. Dreyer ist gebürtige Pfälzerin, studierte Juristin und mit Triers Oberbürgermeister Klaus Jensen verheiratet. Erst mit 34 zog es sie in die Politik: Dreyer wurde Mitarbeiterin des wissenschaftlichen Dienstes im Mainzer Landtag. 1995 wurde sie zur Bürgermeisterin von Bad Kreuznach gewählt. Kurz darauf trat sie in die SPD ein. 2002 holte sie Kurt Beck dann als Ministerin in sein Kabinett. 2006 teilte Dreyer mit, dass sie unter Multipler Sklerose, einer chronischen Entzündung des zentralen Nervensystems leide. Beirren lässt sie sich davon nicht: „Meine Krankheit schränkt mich nur in meiner Mobilität ein.“ n KD

Hunderte von (Ober-)Bürgermeistern, Landräten und Fachleuten über die „Stadt der Zukunft“. Der SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel beschrieb Kommunalpolitik als „Schule der Demokratie“. Er warb dafür, bundesweit ein Zehnjahresprogramm für Städte und Gemeinden aufzulegen, um diese endlich in die Lage zu versetzen, „Integration und Bildung zusammenzubringen“. n UK vorwärts.de/Politik/inland

Europas Stimme Helmut Schmidt wurde zusammen mit der Organisation „Children for a better World“ der Preis des Westfälischen Friedens verliehen. Es sei Menschen wie ihm zu verdanken, dass heute militärische Auseinandersetzungen zwischen den Staaten Europas undenkbar seien, hieß es in der Laudatio. In seiner Rede beklagte der Altbundeskanzler, dass ein Teil der öffentlichen Meinung in Deutschland von einer „national-egoistischen Sichtweise“ geprägt sei. Die Welt warte darauf, dass Europa endlich mit einer Stimme spreche. Das erfordere unbedingten Willen zur Zusammenarbeit mit den europäischen Nachbarn. n NH

Global gedacht Von Rafael Seligmann Die Fähigkeit zur Unterscheidung ­z wischen Provokationsvermeidung und Beschwichtigung ist entscheidend für die Beilegung von Konflikten, oder andersherum die Eskalation von Streitigkeiten – bis hin zum Ausbruch von Kriegen. Im geschichtlichen Rückblick ist zu erkennen, dass die westlichen Demokratien Europas in den 30er Jahren versagten, weil sie die Regierungen Spaniens, Abessi­n iens und der Tschechoslowakei gegen die Faschisten alleine ließen. Andererseits hat die USA-Regierung Präsident Kennedys vor 50 Jahren während der Kuba-Krise Festigkeit bewiesen, gleichzeitig jedoch Moskau einen gesichtswahrenden Kompromiss erlaubt und so einen bewaffneten Zusammenstoß verhindert. Seit Jahren betreibt die Volksrepublik China eine expansive Außenpolitik. Die weltweite Sicherung von Rohstoffen ist legitim. Dies geschieht in Afrika jedoch teilweise durch unfaire Verträge. Peking sollte wissen, dass dies demütigend ist. Zudem erhebt China zunehmend seine Ansprüche auf weite Gebiete des Pazifiks, auf die auch seine Nachbarstaaten wie Vietnam, die Philippinen, Japan Anrechte anmelden. Die Volksrepublik ist nicht kriegslüstern, doch sie tritt zunehmend aggressiv auf. Gegen Japan lässt Peking gewalttätige ­Demonstrationen zu. Das soll Nippon, aber auch die anderen Anrainer einschüchtern. Washington antwortet mit einer Machtdemonstration seiner Kriegsmarine. Dies reicht nicht aus. Denn Macht ist vor allem wirtschaftlich begründet. Die USA aber stehen bei China tief in der Kreide. Washington hat gegenüber Peking ein enormes Handelsdefizit, während es Milliarden in Afghanistan verpulvert. Eine Konsolidierung der US-Wirtschaft und ein Ausgleich des Außenhandels wären glaubwürdiger als Kriegsschiffe. In der islamischen Welt wiederum sollten sich die Vereinigten Staaten klar von Diktaturen und reaktionären Regimen distanzieren. Nicht erst, wenn deren Sturz absehbar ist. Dann würde die Verteidigung der Werte der Freiheit nach innen und außen ehrlich und deeskalierend wirken. n


14 News

Notiert von Uwe Knüpfer Auf dem letzten CDU-Parteitag verblüffte Angela Merkel durch ein Bekenntnis zur Solidarität. Jetzt erklärte uns Volker Kauder, wie das gemeint ist. Die zwei CDU-Ministerpräsidentinnen Annegret Kramp-Karren­ bauer und Christine Lieberknecht hatten dem Hamburger Vorschlag einer Frauenquote für Aufsichtsräte solidarisch zugestimmt. So nicht!, brummte Kauder, der Vorsitzende der CDU/CSU-Bundestagsfraktion: Solidarität gehe über Einzelmeinung. Aha. Echte Frauenförderung betreibt der Berliner Finanzsenator Ulrich Nussbaum. Er hat vor zwei Jahren Sigrid Nikutta an die Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe berufen und auf Frau Nikuttas warnenden Hinweis, sie bekomme demnächst wieder ein Kind: gelacht. Erzählte die BVGChefin, als sie im feinen Adlon-Hotel die Auszeichnung „Managerin des Jahres“ erhielt. Vorher habe sie oft genug die „Karriereentschleunigung mit zunehmender Kinderzahl“ erlebt: „Kaum hatte ich mein zweites Kind, merkte ich, wie Besprechungen immer später angesetzt wurden.“ Nicht bei Nussbaum. Den Preis verleiht, seit 2006 schon, ein Unternehmen aus Ostwestfalen. Sigrid Nikutta gab zu, das Zentrum des Fortschritts bis dato nicht zwischen Bielefeld und Detmold verortet zu haben. Inzwischen wisse sie aber: „Der Ostwestfale an sich ist ein ehrlicher und direkter Mensch.“ Das könnte erklären, warum der Ostwestfale Frank-Walter Steinmeier dem Herumgedruckse in der Kanzlerkandidatenfrage ein Ende gesetzt hat. Das Wirken des vorletzten Kanzlers aus der SPD sehen inzwischen auch Helmut Schmidts einstige Kritiker in mildem Licht. Peter Brandt, Karsten Voigt und Bernd Faulenbach diskutierten im Willy-Brandt-Haus über „Das sozialdemokratische Jahrzehnt“ – und waren sich einig: Die WillyJahre waren „goldene Zeiten“. Als Schmidt folgte, sei es um Sicherung des Erreichten gegangen. Voigt, JusoChef von 1969-72: „Schmidt hat das gut gemacht.“ Gefehlt habe aber das Versprechen einer besseren Zukunft. Ohne Hoffnung keine Begeisterung. Was heißt das für 2013? Von Willy Schmidt lernen, heißt siegen lernen. n

zen Gruppe oder Gemeinschaft gemeint ist und somit auch nicht darauf abzielt, eine Debatte anzustoßen. Täuscht es, oder reagieren viele ­Muslime auf Kritik und Satire oft sehr aggressiv? Wir müssen uns die Mühe machen und genauer hinschauen. Die gewalttätigen Ausschreitungen sind inakzeptabel. Aber nicht alle 1,5 Milliarden Muslime weltweit sind auf der Straße und protestieren. Und auch nicht alle Demonstranten sind gewaltbereit. Wir schauen auf Menschen, die in Krisengebieten wohnen, die in ihrer Lage allzu leicht von ihren Regimen und Ideologen instrumentalisiert werden können. Und das stülpen wir dann einfach allen anderen Muslimen auf dieser Welt über. Hier sollten wir etwas sensibler werden. Übrigens: Bei sehr vielen Freitagsgebeten hier in Deutschland – gleich zu Beginn der Entwicklungen – haben die Imame reagiert und ihre Gemeinden aufgefordert, auf keinen Fall mit Gewalt auf diesen Film zu reagieren. n NH

Drei Fragen an

Aydan Özoguz

»

Eines ist die SPD nie: lang­ weilig.

«

Sigmar Gabriel,

zur Kanzlerkandidaten-­ Entscheidung

»

Wir wollen diese BundesRegierung ablösen, nicht nur teilweise. Peer Steinbrück

«

Aydan Özoguz ist stellvertretende SPD-­ Vorsitzende, MdB und Integrationsbeauftragte der SPD-Bundestagsfraktion.

Surfen mit Radar Der neue vorwärts-Radar erfasst alle Online-Beiträge des SPD-Parteivorstandes, der Fraktion und des „vorwärts“ und stellt sie übersichtlich dar. Ein Klick, schon ist man beim Original-Artikel. Alle Inhalte sind mit sozialen Netzwerken verknüpfbar. Network Media – im Auftrag des vorwärts-Verlages – plant, das Angebot auf weitere sozialdemokratische Quellen auszuweiten. n NH vorwärts-radar.de

Gehör verschafft Martin Schulz ist am Ziel. Der Präsident des Europäischen Parlaments wird an den Beratungen für eine Neuordnung der Europäischen Währungsunion teilnehmen. Dies war ihm zunächst von den EU-Regierungschefs verwehrt worden. Und auch Europas Jungsozialisten wollen im D ­ ezember dem Europäischen Rat und dem Europäischen Parlament die Meinung sagen. Hierzu haben sie eine Unterschriftenaktion gestartet. n NH iriseup.eu

Die SPD im Netz – der Relaunch Pünktlich zum Auftakt des Bürgerdialogs und in Vorbereitung auf den Wahlkampf hat die SPD ihrem Internetauftritt ein Facelift verpasst. Doch die neue Seite leistet noch mehr: Denn auch inhaltlich ist einiges p ­ assiert. Künftig werden mehr tagesaktuelle Inhalte veröffentlicht – neben den Texten werden noch mehr Videos, Bilder oder Karikaturen ihren Weg auf die sozialdemokratische Homepage finden. Das Ganze ist übersichtlich strukturiert. „Top-Boxen“ führen direkt zu den aktuellen Berichten, Kampagnen und Ereignissen aus der Partei. Die Terminbox gibt einen Überblick über Aktivitäten, Parteitage und Auftritte von Spitzen­politikern, auch die Gliederungen sollen ab Oktober den Kalender für lokale Ereignisse nutzen können. Ein wichtiger Service für die Partei ist die Möglichkeit, Inhalte von spd.de ganz einfach mitzuteilen: Ob via Facebook, Twitter und Co. oder über die direkte Einbindung auf der eigenen Webseite. n NH spd.de

Foto: Marco URban, SPD.de

Berliner ­Tagebuch

Bundesinnenminister Friedrich (CSU) will gerichtlich gegen die Aufführung des islamfeindlichen Films „Die Unschuld der Muslime“ vorgehen. Warum stellen Sie sich hinter ihn? Ich halte es für hochproblematisch, wenn eine rechtsradikale Gruppierung wie Pro Deutschland den Film öffentlich zeigen will. Es geht nicht um ein Verbot des Films, den kann sich ohnehin jeder im Internet anschauen, sondern um die öffentliche Ausstrahlung und die ­damit verbundenen Ziele. Wenn sich eine Bewegung aufmacht und diesen Film, der schon für so viel Aufruhr gesorgt hat, zeigen will, dann muss man sehr genau prüfen, ob die öffentliche Ordnung nicht mutwillig gestört wird. Aus der SPD kommt zwar Kritik am Film, aber das Recht auf freie Meinungsäußerung wiegt für viele schwerer. Sie sehen das anders? Die freie Meinungsäußerung will ich nicht antasten; sie ist ein hohes Gut. Aber ich differenziere: Man kann nicht einfach alles unter Meinungsäußerung subsumieren, was im Kern als Herabwürdigung oder Beleidigung einer gan-

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Foto: Christian Heeb/laif

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eitgenössische neuseeländische Literatur ist dem Waimakariri sehr ähnlich: Wie der große verzweigte Fluß, der den neuseeländischen Alpen entspringt und sich durch die Canterbury Ebene der Südinsel schlängelt, ist sie lautstark, höchst beweglich, formverändernd und immer wieder überraschend. Hier ist eine kleine Auswahl, die unsere Schreibkultur in ihren unterschiedlichen Ausdrucksformen repräsentiert. James Browns jüngste Gedichtsammlung „Warm Auditorium“ offenbart die Stärken des Autors: Esprit, formale Strenge (ihn beflügelt das Schreiben unter selbstauferlegten Restriktionen), politisches Engagement, die eindringliche Darstellung der Kindheit. Seine Themen sind unterschiedlich – Musik, städtisches Leben, Kapitalismus, Fahrradfahren –, vor allem aber fasziniert ihn die Dichtung selbst. In der neuseeländischen Kinderliteratur spielt Margaret Mahy eine große Rolle, doch ihr langjähriger Freund und Zeitgenosse Jack Lasenby ist ein ebenso faszinierender Erzähler. Seine wunderbaren Sätze passen zu seiner Fähigkeit, mit den verschiedenen Erzählformen zu spielen: Buschmannfabeln, klassische Mythen, Familiengeschichten – alle ganz großartig neu erfunden und verpflanzt nach Aotearoa – so die Maori-Bezeichnung für Neuseeland. Sein letztes, mit einem Preis ausgezeichnetes Buch „Calling the Gods“, erzählt vom Überleben einer Frau, die gegen die Verbannung durch ihr eigenes Volk kämpft, in einer Zeit und an einem Ort, die uns seltsam vertraut erscheinen. Die Romanautorin Charlotte Randall hat über das letzte Jahrzehnt hinweg ein einzigartiges und bedeutendes Werk geschaffen. Ihre Romane sind voll Phantasie, intellektuell anspruchsvoll, strukturell ambitioniert und zugleich sprachliche Feuerwerke: Ein Roman, der sich in weiten Teilen in Dialogform durch einen eingekerkerten Erzähler entfaltet („The Curative“); eine Geschichte, die rückwärts erzählt wird („What Happen Then, Mr Bones?“); eine zeitgenössische Aufarbeitung des faustischen Pakts („Within the Kiss“). Und das kürzlich erschienene „Hokitika Town“, ein leiser und spannender Roman, erzählt aus der Sicht eines halbwissenden, engelhaften Straßenjungen während des Goldrausches in Neuseeland. Gavin Bishop und David Elliot sind mit ihrer Kunst anderen neuseeländischen Bilderbuchkünstlern weit überlegen. Eine interessante Newcomerin ist Tina Matthews, eine hingebungsvolle Handwerkerin in einem Genre, das allzu oft kindische Texte und Wegwerf-Illustrationen hervorbringt. Ihr erster Titel „Out of the Egg“, mit exquisiten Holzschnitten, ist auch ein Tribut an die Bilderbuchpio-

Neuseeland Erlesen Literatur Den Ehrengast der Frankfurter Buchmesse 2012 gilt es hierzulande noch zu entdecken. Lesetipps der neuseeländischen Schriftstellerin Kate De Goldi

So einzigartig wie die neuseeländische Natur ist auch die Bandbreite an Literatur von den weit entfernten Inseln.

niere des frühen 20. Jahrhunderts. Das kürzlich erschienene „Waiting for Later“ ist eine Geschichte in perfektem Tempo, die mit wenigen Worten viel sagt. Sie erzählt von der Welt eines Kindes und vom bittersüßen Kummer über die verspätete Beachtung durch Erwachsene. Eine packende Stimme im Bereich kreativer Sachbücher ist Martin Edmond, ein Prosaautor mit den Anlagen eines Dichters, ein forschender Geist. Seine Publikationen beschäftigen sich zwar alle mit ozeanischen Themen, jedoch umfassen sie Menschen, Zeiten und Ideen, die weit darüber hinaus reichen. Der Schriftsteller J.M. Coetzee beschreibt Edmonds Reisebuch „Luca Antara: Passages in Search of Australia“ als „ein Buch für Buchliebhaber, eine elegante und faszinierende Mischung an Geschichte, Autobiografie, Reise und Romantik“. Das ist gleichzeitig auch eine treffende Beschreibung von Edmonds Lebenswerk. Einen einzigartigen Status in der neuseeländischen Literatur hat Gregory O‘Brien. Wortgewandt wie Edmond, bewandert in der Ästhetik der Kunst, in europäischer und pazifischer Kultur, ist O‘Brien über verschiedene Literaturformen hinweg eine Art Universalgelehrter des imaginativen Schreibens und der bildenden Kunst. Er ist gleichzeitig berühmter Poet, erfolgreicher Maler, talentierter Kommunikator der Kunst und des Schreibens sowie der Produzent von einigen der wundervollsten, persönlichen und intellektuellen Betrachtungen, die unser Land bisher gesehen hat. O‘Brien lässt das Gewöhnliche mit dem Außergewöhnlichen kollidieren und bringt es zum Funkeln. In „News of the Swimmer Reaches Shore“ vermischt er die O‘Brien Familie, Jacques Cousteau, Matisse, Le Courbusier, nukleare Tests und vieles mehr, um eine in unserer Kultur einmalige Lektüre zu produzieren. Der beste neuseeländische Roman des letzten Jahrzehnts ist aber „Gifted“ von Patrick Evans. Er beschreibt einen wichtigen Moment in der neuseeländischen Literaturgeschichte: die sechzehn Jahre, die Janet Frame damit verbrachte, „Owls Do Cry“ („Wenn Eulen schrein“, 2012 neu erschienen bei C.H. Beck) zu schreiben. Während dieser Zeit wohnte sie bei Frank Sargeson, einem der bedeutendsten neuseeländischen Schriftsteller. Ein profundes, bewegendes und oft lustiges Porträt dieser berühmten Beziehung und des Schriftstellerlebens. Eine unverzichtbare Lektüre. n Kate De Goldi ist Autorin preisgekrönter Kurzgeschichten und Romane. Mit „abends um 10“ (Carlsen Verlag) liegt ihr erstes ins Deutsche übersetzte Buch vor. Sie lebt in Wellington, Neuseeland. Buchtipps zu Neuseeland lesen Sie in unserer App und auf vorwaerts.de


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Zuversicht statt Krisenangst Ökonomin Schmidt weckt Begeisterung für Europa Rezensiert von Brigitte Zypries

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Wachsende Ungleichheit schadet allen Trotz harter Kritik am Turbokapitalismus sieht Stiglitz Hoffnung Rezensiert von Sigmar Gabriel

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Susanne Schmidt | Das Gesetz der Krise Droemer Verlag, 240 Seiten, 19,99 Euro, ISBN 978-3-426-27600-6

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Die haarsträubendsten Beispiele, die sinnlosesten Projekte, die unglaublichsten Summen

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arl Heinz Däke, langjähriger Präsident des Bundes der Steuerzahler, prangert an: Verschwendung. Missbrauch. Veruntreuung. Vor allem aber: Er nennt die Motive und sagt, warum Jahr für Jahr Milliarden zum Fenster hinausgeworfen werden. Und wie der Wahnsinn gestoppt werden kann. Leseprobe unter www.heyne.de

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er Nobelpreisträger Joseph Stiglitz rechnet mit dem Turbokapitalismus ab, der den Menschen und seine Bedürfnisse aus dem Blick verloren hat. Ganz im Sinne der europäischen Sozialdemokratie plädiert er in „Der Preis der Ungleichheit“ für neue Wege. Obwohl sein Bezugspunkt die USA sind, kann das Buch auch in Europa mit Gewinn gelesen werden. Stiglitz, Jahrgang 1943, lehrte Volkswirtschaft in Yale, Princeton, Oxford und Stanford, bevor er 1993 zum Wirtschaftsberater der Clinton-Regierung avancierte. Anschließend ging er als Chefvolkswirt zur Weltbank. Heute lehrt Stiglitz an der Columbia University in New York. Auf mehr als 500 wohlformulierten Seiten stellt Stiglitz dar, wie seine Heimat unter der Führung der US-Republikaner auseinanderdriftete. Vom „Land der unbegrenzten Möglichkeiten“ sind die USA zu einem Ort sozialer Spaltung geworden. Der Nobelpreisträger beschreibt ein Land, in dem die Reichen in abgeriegelten Communities leben, ihre Kinder auf teure Schulen schicken und von erstklassiger medizinischer Versorgung profitieren, während die Masse immer öfter durchs soziale Rost fällt. Folgt man Stiglitz, so war es die Politik, welche die Märkte so geformt hat, dass es sich heute die Großen auf Kosten der Kleinen gut gehen lassen. Stiglitz argumentiert, dass Märkte Regeln brauchen, um zu funktionieren. Soziale Marktwirtschaft kann nicht funktionieren, wenn sich wirtschaftliche Macht in den Händen weniger konzentriert. Die wachsende Ungleichheit sei Sand im Getriebe der Volkswirtschaft, denn sie befördert Instabilität und Nachfrageeinbrüche, untergräbt Innovation und Produktivität. Den „Preis der Ungleichheit“ sieht der Volkswirt darin, dass eine Nation nicht mehr in der Lage ist, das Bestmögliche aus den Fähigkeiten ihrer Bürgerinnen und Bürger zu machen. Wer schlechte Schulen, miese Wohn- und Lebensbedingungen akzeptiert, handelt gesamtwirtschaftlich zerstörerisch.

Selbst Angehörige der Mittelklasse werden so um ihre Lebenschancen betrogen, weil korrumpierte politische Eliten Infrastruktur, Bildung und Innovation kaputtgespart haben. Das Buch tritt gegen eine Gesellschaft an, in der selbsternannte Eliten die Spaltung vorantreiben. Dabei formuliert Stiglitz seine Kritik ausgesprochen patriotisch: Die soziale Spaltung der USA sei Verrat an den Werten dieser großartigen Nation. Inzwischen drohe Amerika sich vom Versprechen der Gerechtigkeit für jedermann zu einem Land zu entwickeln, in dem wenige Reiche systematisch bevorzugt würden. Stiglitz ruft dazu auf, die zunehmende Ungleichheit in unseren Gesellschaften nicht einfach hinzunehmen, sondern Wirtschaft und Politik so zu reformieren, dass der Wohlstand wieder gerechter verteilt wird. Seine Streitschrift wehrt sich gegen die Vorstellung unausweichlicher Niedergangsszenarien und ratloser Hinweise auf angeblich zwangsläufige Folgen einer globalisierten Ökonomie. Es ist vielmehr die politische Macht der Hochfinanz, die faire Spielregeln verhindert. Indem Stiglitz dies klar benennt, gibt er der Debatte eine neue Richtung: Prinzipiell kann das politische System die geschwächte Verhandlungsmacht der Arbeitnehmerseite auch wieder stärken und damit ein neues soziales Gleichgewicht schaffen. Stiglitz schrieb sein Buch unter dem Eindruck des arabischen Frühlings und der Occupy-Wall-Street-Bewegung. Diese Revolten nähren seinen Grundoptimismus, dass Wandel in Richtung auf eine bessere Gesellschaft möglich ist. Diese Zuversicht sollten sich Linke und Progressive aller Länder nicht nur erhalten, sondern auch als Haltung in bevorstehende Wahlkämpfe übernehmen. n

Joseph Stiglitz Der Preis der Ungleichheit Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht Siedler Verlag, 512 Seiten, 24,99 Euro ISBN 978-3-8275-0019-9

Foto: Hendrik Rauch

ie Europäische Union ist ein Garant für Frieden in Europa. Das ist ein Fakt, den die überzeugte Europäerin Susanne Schmidt bei ihrer klugen Beschreibung und Analyse der Banken- und Staatsschuldenkrise immer wieder hervorhebt. Schmidt schreibt sachlich, aber engagiert. Ihre Sprache ist verständlich und vereinfacht doch nicht. Die Empfehlungen, die das Buch ausspricht und die Forderungen, die es aufstellt – nach europäischer Bankenaufsicht, Finanztransaktionssteuer und Programmen gegen Jugendarbeitslosigkeit etwa – betonen Dringlichkeit, ohne Angst zu schüren. Emotionalisierung der Probleme vernebele die Urteilskraft, schreibt Schmidt an einer Stelle. Der wachsenden und von Populisten verstärkten Angst stellt sie Lösungsansätze gegenüber, die Zuversicht nähren. Dazu gehört die Überzeugung, dass Regierungen durch ihre Marktmacht Vernunft und Fairness befördern und durch Regulierung der Irrationalität der Finanzmärkte etwas entgegensetzen können. Die Machtlosigkeit ist nicht grenzenlos. Und Europa ist mehr als der Saldo seiner Teile. n


Buchmesse 17

10/2012 vorwärts

Welche Armee braucht Europa?

Foto: hendrik rauch

Rezensiert von Walter Kolbow Hans-Peter Bartels zeichnet in seinem höchst lesenswerten Buch Erfahrungen und Anforderungen an unsere Verteidigungspolitik nach. Er gibt einen Überblick über sämtliche aktuellen Belange der Militärpolitik, insbesondere zu den Themen Einsätze, Bündnispartner, Bundeswehrreform, Rüstung und Parlamentsarmee. So kann der Leser sein Urteil über die deutsche Verteidigungspolitik nach der Wiedervereinigung schärfen. Das garantiert der präzise Blick des Autors hinter die Kulissen, zum Beispiel beim Bundeswehr-Einsatz in Afghanistan oder bei den Analysen der Bundeswehrreformen seit 1990. Eindrucksvoll beschreibt Bartels den sozialdemokratischen Grundsatz des Vorrangs der unbewaffneten Krisenprävention. Überzeugend setzt er sich für eine gemeinsame europäische Armee ein, verlangt „Europäisierung statt Bonsai-Strategie“ bei der Bundeswehr. Hans-Peter Bartels Buch füllt die aktuelle Kommunikations-, und Strategielücke in der sicherheitspolitischen Debatte. n Hans-Peter Bartels »Wir sind die Guten« vorwärts|buch 180 Seiten, 10 Euro ISBN 978-3-86602-053-5

Geschichte des Wandels Wegmarken aus 150 Jahren deutscher Sozialdemokratie Rezensiert von Uwe Knüpfer

Widerspenstige Frauen Der „Wegbereiterinnen“-­ Kalender 2013 stellt außergewöhnliche Frauen vor. Jeder Monat ist einer Widerspenstigen gewidmet, die sich in Politik, Wissenschaft, in den Gewerkschaften oder auf dem Gebiet der Kunst für die Rechte von Frauen und für ein besseres Leben engagierte. Von der Sufragette Constance Lytton, die leidenschaftlich für das Frauenwahlrecht kämpfte, bis zur K ­ ulturtheoretikerin und Schriftstellerin Lu Märten, die über die gewerkschaftliche Organisierung von Künstlern genau wie über Arbeiterkunsterziehung schrieb. Die Porträts vermitteln einen Eindruck vom nicht beendeten Kampf für Gleichberechtigung. n BG

Gisela Notz (Hg.) Wegbereiterinnen XI Kalender für 2013 AG SPAK Bücher 13,50 Euro zzgl. Versand spak-buecher@leibi.de

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eutschland steckt voller Gneisenau-, Moltke- und Hindenburgstraßen. Otto-Wels-, Ernst-Heilmann- oder Elisabeth-SelbertStraßen sind deutlich seltener zu finden. Deutschland hat gern seine Haudegen geehrt – und Demokraten übersehen. Umso besser, dass es Bücher gibt wie dieses: „Menschen, Ideen, Wegmarken – Aus 150 Jahren deutscher Sozialdemokratie“. Bernd Faulenbach und viele MitAutoren beschreiben darin Schlüsselszenen sozialdemokratischer – und deutscher – Geschichte. Vom Einfluss wandernder Handwerksgesellen und geheimer radikaler Bünde bis zu Gerhard Schröders „Nein“ zum Irakkrieg. In knappen, nüchternen, nichts verklärenden Aufsätzen entfaltet sich ein Panorama des Fortschritts. Nichts weniger wird hier sichtbar als die Wandlung eines bigotten, militaristischen, obrigkeitsgläubigen Landes zu dem Deutschland, das Besucher aus aller Welt heute erleben können: weltoffen, friedlich und voller Entfaltungsmöglichkeiten. Welche Widerstände zu überwinden waren auf dem langen Weg zum „modernen Deutschland“ und welche Opfer gebracht werden mussten, auch daran

erinnert dieses Buch. Daran, dass Parteigründer wie August Bebel Jahre ihres Lebens in Gefängnissen zubrachten und ein aufrechter Demokrat wie Julius Leber umgebracht wurde. Und auch an den Hass, der Willy Brandt entgegenschlug, als er in Warschau niederkniete. Nebenbei räumt das Buch mit Mythen auf. So ist die SPD keineswegs erst 1959 zur Volkspartei geworden. Der Keim dazu war angelegt, als Ferdinand Lassalle und seine Nachfolger versprachen, ALLE Menschen von jeder Art Klassenherrschaft befreien zu wollen. Sozialdemokraten übernahmen oft dann Verantwortung, wenn andere versagt hatten. Das wurde ihnen selten gedankt. Bis heute wirkt die Propaganda von KPD und SED nach, Sozialdemokraten seien vom Weg zum wahren Sozialismus abgewichen. Dieses Buch räumt auch damit auf. Unverzichtbare Lektüre für jeden Demokraten und alle, die es werden wollen. n

Bernd Faulenbach, Andreas Helle Menschen, Ideen, Wegmarken Aus 150 Jahren deutscher Sozialdemokratie vorwärts|buch, 384 Seiten, 35 Euro ISBN 978-3-86602-210-2 ANZEIGE

Verlag J.H.W. Dietz Nachf. | Frankfurter Buchmesse: Halle 3.1, Stand B153 | www.dietz-verlag.de

ISBN 978-3-8012-0424-2 192 S. | Euro 16,90

11.10. | 12:30 Uhr am vorwärts-Stand

12.10. | 16:00 Uhr am vorwärts-Stand

11.10. | 11:30 Uhr am vorwärts-Stand

ISBN 978-3-8012-0433-4 216 S. | Euro 14,90

ISBN 978-3-8012-0431-0 304 S. | Euro 29,90

ISBN 978-3-8012-0426-6 864 S. | Euro 36,00

ISBN 978-3-8012-4213-8 216 S. | Euro 29,90

ISBN 978-3-8012-4207-7 320S. | Euro 32,00

Dietz auf der Frankfurter Buchmesse: Halle 3.1, B153 | Veranstaltungen am vorwärts-Stand: Halle 3.0, B173


18 Buchmesse

vorwärts 10/2012

Die Chance jetzt ergreifen Eine Streitschrift für das Großprojekt Europa Rezensiert von Klaus Staeck

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in dringend notwendiges Manifest zur Erinnerung an die einzigartige Tradition und an die Chance für die Zukunft Europas – nichts weniger ist Oskar Negts jüngstes Buch. Kein anderer Kontinent besitzt so viele verschiedene Ressourcen für einen produktiven Einigungsprozess, der allerdings unter Druck steht: Reiche und Arme driften auseinander, soziale und kulturelle Bindungen gehen verloren, ganze Gesellschaftsteile werden aus der Solidargemeinschaft abgekoppelt. Die europäische Einigung wird laut Oskar Negt ohne einen Lastenausgleich und ohne soziale Investitionen kaum zustande kommen. Für den Sozialwissenschaftler Negt bildet das Erlernen von sozialer Verantwortung die Basis jeder demokratischen Gesellschaft. Er betont, dass Europa nicht auf ökonomische Fehlentwicklungen reduziert werden dürfe. Seine Streitschrift erinnert an ein gemeinsames, großes Projekt, das in der öffentlichen Wahrnehmung auf Schuldenkrisen im Mittelmeer reduziert wird. Ein realutopischer Gegenentwurf zur aktuellen Debatte. n

Ist Cybersex politisch?

Banalitäten statt Aufreger im Erstling der Piratin Julia Schramm Rezensiert von Sascha Vogt

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msonst soll es nicht zu haben sein – soviel vorweg. Während die Piraten-Politikerin Julia Schramm „geistiges Eigentum“ als politischen Kampfbegriff bezeichnet, beruft sich ihr Verlag genau darauf und sorgt dafür, dass ihr Buch „Klick mich“ im Internet nicht kostenlos heruntergeladen werden kann. Man könnte nun bei diesem Widerspruch stehen bleiben und an der Aufrichtigkeit ihrer Zeilen zweifeln – und damit selbst zum Piraten werden, die sich gerne an Formalien und Verfahren reiben. Wie sieht sie also aus, die inhaltliche Seite? Ist sie überhaupt politisch? Ist es – abseits eines unterstellten voyeuristischen Interesses – für den Leser wirklich relevant, dass Schramm schon mal Cybersex hatte? Wohl kaum, denn für sich genommen ist das Privatleben der 27-jährigen selbst ernannten Feministin von keiner besonderen Bedeutung. Allerdings ist Schramm derzeit stellvertretende Bundesvorsitzende der Piratenpartei. Doch auch mit diesem Wissen sind die politischen Aussagen,

Oskar Negt | Gesellschaftsentwurf Europa Steidl Verlag, 120 Seiten, 14 Euro, ISBN 978-3-86930-494-6

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Was bewegt Peer Steinbrück?

die in solch persönliche Episoden eingebettet sind, eher banal: Man muss aufpassen, was man online über sich selbst veröffentlicht. Ach nein! Man wird nicht automatisch zum Kettensägenmörder, nur weil man Gewalt im Netz gesehen hat. Wirklich? Es ist nicht verboten, sich eine digitale Identität zu geben und damit anonym zu surfen. Zum Glück! Erst weit hinten in ihrem Erstlingswerk kommt dann doch noch etwas ­Erkenntnis ins Spiel: Macker sind auch im Internet Macker und das Netz hat nicht automatisch für mehr Gleichstellung gesorgt. In der Tat: Auch mit einem neuen Medium sind grundsätzliche gesellschaftliche Konfliktlinien noch nicht aufgelöst. Vielleicht mag sie, vielleicht mögen die Piraten an solchen Fragen ansetzen. Das Buch tut es nicht. Deshalb kann man getrost warten, bis es doch zum Gratis-Download wird. n Julia Schramm | Klick mich Bekenntnisse einer Internet-Exhibitionistin Knaus, 208 Seiten, 19,99 Euro ISBN 978-3-8135-0494-1

Buschkowskys Zumutung Neuköllns Bürgermeister warnt vor verfehlter Integrationspolitik

Unbekannte Details des Politikers, aber auch des Menschen Peer Steinbrück Leseprobe unter www.heyne.de

78398-Anz-Steinbrueck-Vorwaerts-99x152.indd 1

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ieses Buch ist eine Zumutung. Es mutet uns eine unbequeme Wirklichkeit zu. Ferdinand Lassalle wusste: „Politische Aktion besteht im Aussprechen dessen, was ist. Alle politische Kleingeisterei besteht im Verschweigen dessen, was ist.“ Heinz Buschkowsky weiss es auch. So beklagt er in seinem Buch „entschlossenes Nichtstun“ der Politik angesichts gescheiterter Integration. Ursache ist für ihn die „Zufallseinwanderung“. Sie ziehe Armutsmigranten an, die in unserer Leistungsgesellschaft keine Chance hätten. Die Folgen: Integrationsverweigerung, Islamismus, Kriminalität. Buschkowsky beschränkt sich nicht auf Klagen. Er macht viele Vorschläge für mehr Integration, Bildung und Chancengleichheit. Aber warum spricht er nie von

gelungener Integration? Er fragt zurück: In der Verkehrspolitik, zählen wir da Unfälle oder Unfallfreie? Der Autor schreibt: „Die Wahrheit tut weh und jeder möchte Schmerzen vermeiden.“ Das mag sein. Doch in der Demokratie gilt der Satz Ingeborg Bachmanns: „Die Wahrheit ist dem Menschen zumutbar.“ Dazu leistet Heinz Buschkowsky einen Beitrag. n Heinz Buschkowsky NeukölLn ist überall Ullstein 400 Seiten, 19,90 Euro ISBN 13 978-3550080111

Foto: Hendrik Rauch

D Auch als E-Book erhältlich

336 Seiten, gebunden mit Schutzumschlag 1 19,99 [D] · ISBN 978-3-453-20034-0

Rezensiert von Lars Haferkamp


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Ulrich Wickert: ein irres Leben auf allen Kontinenten

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10/2012 vorwärts

Mehr als 150 Jahre

Neues Standardwerk zur Geschichte der Sozialdemokratie Rezensiert von Nikolas Dörr

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ie deutsche Sozialdemokratie nahm ihren Anfang weit vor der Gründung des Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins im Jahre 1863. Brandt und Lehnert beschreiben das kenntnisreich und beginnen im frühen 19. Jahrhundert. Grundlegende Werte der Sozialdemokratie wie Freiheit und Gerechtigkeit dienen dem Werk als roter Faden. Auch Tiefpunkte werden dabei nicht ausgespart. So zählt die Publikation zu den ersten, in denen die Niederlage der Bundestagswahl 2009 aus einem historischen Kontext heraus analysiert wird. Als besonders gelungen kann der Abschnitt „Aus der Geschichte lernen?“

448 Seiten, gebunden bezeichnet werden. Die Autoren zeigen dort die Bedingungen auf, unter denen die SPD erfolgreich Politik gestalten konnte. Zusammenfassend lässt sich sagen, dass den beiden renommierten Experten ein außergewöhnliches Buch gelungen ist, das nicht in der Geschichte verharrt, sondern auch Handlungsempfehlungen für die Gegenwart gibt. n

Peter Brandt, Detlef Lehnert Mehr Demokratie wagen Geschichte der Sozialdemokratie 1830-2010 vorwärts|buch, 296 Seiten, 20 Euro ISBN 978-3-86602-092-4

Detlef Wetzel: der Zweite Vorsitzende der IG Metall über eine gerechte Gesellschaft 240 Seiten, gebunden

Staaten in guter Verfassung Rezensiert von Uwe Knüpfer Juristen? Reden unverständlich. Verfassungsrecht? Entrückt. Die Autobiografie eines Verfassungsjuristen? Dürfte eigentlich nur spröder Stoff sein, glaubt man bewährten Vorurteilen. Hans-Peter Schneider hat sein Leben beschrieben: ein Leben mit, um und für die Grundlagen unserer Demokratie. Und man muss ihm danken dafür. Indem er über sich schreibt, beschreibt Schneider zugleich eine Geschichte der letzten vierzig Jahre – aus der Perspektive eines sozialdemokratischen Bildungsbürgers, eines überzeugten Rechtsstaatlers und eines aufmerksamen Beobachters: so

bedacht wie lebendig. Immer davon überzeugt: „Nicht gibt sich der Staat eine Verfassung; vielmehr erzeugt die Verfassung überhaupt erst den Staat.“ Jedenfalls den republikanischen. n Hans-Peter Schneider Verfassungszeit Ortstermine von Jena bis Tripolis Bussert & Stadeler 416 Seiten, 24,90 Euro ISBN 978-3-942115-16-2

Manfred Lahnstein: die Verlagerung der Macht im 21. Jahrhundert 352 Seiten, gebunden

Kalte Schauer jagen über den Rücken

Foto: Hendrik Rauch

Rezensiert von Birgit Güll Was, wenn es einen zweiten Holocaust geben würde? Welcher der nicht-jüdischen Nachbarn würde die jüdische ­Familie verstecken? Das ist die Frage, die Deb nicht aufhören kann sich zu stellen. Deb, die in Florida wohnt, deren Eltern in der Bronx geboren sind und nie in ­Europa gelebt haben. Sie kann nicht aufhören sich zu fragen, wer sein Leben für sie und ihre Familie riskieren würde. Es ist das, worüber sie und ihr Mann reden, wenn sie über Anne Frank reden. Nathan Englander wagt sich mit großer Leichtigkeit an schwere Themen. Jede seiner Kurzgeschichten kann dem Leser

kalte Schauer über den Rücken jagen. Zugleich sorgt sein bissiger Humor dafür, dass man es sich nicht in leiser Melancholie bequem macht. Genau deshalb wirkt diese Literatur so lange nach. n Nathan Englander Worüber wir reden, wenn wir über Anne Frank reden Luchterhand 233 Seiten, 18,99 Euro ISBN 978-3-630-87399-2

Neu aufgelegt: der Bestseller von 1982 496 Seiten, gebunden

| Hoffmann und Campe |


20 Buchmesse

vorwärts 10/2012

Nachhaltigkeit ist machbar Rezensiert von Kai Niebert

Michael Müller, Hubert Weiger Nachhaltigkeit Die Renaissance der Zukunft vorwärts|buch 120 Seiten, 10 Euro ISBN 978-3-86602-531-8

Kleinstadtmief ganz gross Das Hörspiel zu einer der ein­ dringlichsten Innenansichten der Weimarer Republik, zu Hans Falladas „Bauern, Bonzen und Bomben“ liegt nun auf CD vor. 1931 ist der Roman erschienen, über den Kurt Tucholsky schrieb: „Ja, das ist ein Buch! So ist die Stadt; so ist das Land, vor allem das niederdeutsche, und so ist die Politik. Man sieht hier einmal deutlich, wie eben diese Politik nicht allein in wirtschaftliche Erklärungen aufzulösen ist; wie sich diese M ­ enschen umeinander drehen, sich bekämpfen und sich verbünden.“ Fallada ist wie immer nah an seinen Figuren und tief in ihrem Milieu. Tucholsky las den „Mief der Kleinstadt, jener Brodem aus Klatsch, Geldgier, Ehrgeiz und politischen Interessen“. Die aufwendige Hör­ spielinszenierung des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR) von 1997 übersetzt diese atmosphärische Dichte in ein Hörvergnügen mit Otto Sander, Dieter Mann, u.a. n BG

Staud und Radke zeichnen ein treffendes Bild deutscher Neonazis Rezensiert von Sebastian Edathy

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er sich einen guten, übersichtlichen Eindruck verschaffen will von aktuellen Entwicklungen im Bereich des deutschen Rechtsextremismus, findet mit dem Buch „Neue Nazis“ von Toralf Staud und Johannes Radke eine ausgezeichnete Handreichung. Gerade in den letzten zehn Jahren hat sich die Szene verändert, hat sich der organisierte Rechtsextremismus verjüngt und zunehmend vernetzt. Das Phänomen der „Autonomen Nationalisten“ weist zudem auf eine steigende Gewaltbereitschaft hin. Deutlich wird: Die Terrorgruppe NSU, die über Jahre hinweg mordend, raubend und Anschläge begehend durch die Republik ziehen konnte, hat nicht in einem luftleeren Raum agiert. Die Radikalisierung der späteren Mörder ist nur aus einem spezifischen Umfeld erklärbar, in dem Bereitschaft zur Militanz zunehmende Verbreitung

findet. Weil das so ist, sind nicht nur unsere Sicherheitsbehörden, sondern ist die demokratische Gesellschaft insgesamt zur Aufmerksamkeit verpflichtet. Das Bild, das die Autoren zeichnen, ist leider zutreffend: Zu oft wurde und wird weggeschaut. Die Klärung, unter anderem im deutschen Bundestag, wieso die Sicherheitsarchitektur im Falle der Terroristen aus Jena versagt hat, ist notwendig. Sie kann aber die Bereitschaft der Demokratinnen und Demokraten nicht ersetzen, sich für die Demokratie einzusetzen. Ja, Rechtsextremismus ist Realität in Deutschland. Aber eine Realität, die wir nie als Normalität akzeptieren dürfen! Ich wünsche dem Buch viele Leser/innen. n

Toralf Staud, Johannes Radke | Neue Nazis Jenseits der NPD: Populisten, Autonome ­Nationalisten und der Terror von rechts KiWi 2012, 272 Seiten, 9,99 Euro, ISBN 978-3-462-04455-3

Links und endlich frei

Hans Fallada Bauern, Bonzen und Bomben MDR / Osterwold Audio 5 CDs, 19,99 Euro ISBN 978-3-86952-123-7

Vom BDM-Mädel zur überzeugten Sozialdemokratin Rezensiert von Klaus-Jürgen Scherer

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www.aufbau-verlag.de

Ein Visionär

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blickt auf sein Jahrhundert

40 Abb. 523 S. € 22,99. ISBN 978-3-351-02750-6

Rechte Szene im Fokus

elga Grebing ist die „Grande Dame“ der Geschichte der Arbeiterbewegung und der politischen Ideengeschichte aus sozialdemokratischer Sicht. Jetzt hat die emeritierte Professorin, Jahrgang 1930, eine Autobiographie besonders ihrer frühen Berliner Jahre vorgelegt, in denen das später so erfolgreiche Historikerinnenleben bereits angelegt war. „Links und frei“, das Lebensmotto Willy Brandts ist auch ihres. Innere und äußere Freiheit, davon handelt das Buch. Einen so ehrlichen Umgang mit der schwierigen Loslösung eines BDMMädels von der „(Affen-)Liebe zum Führer“, findet man selten. Auch wenn sie nicht aus einer Nazifamilie stammt und die „Gnade der späten Geburt“ auf ihrer Seite hatte, spürt man das Aufatmen der Autorin über den eigenen Tagebucheintrag mit 16:

„Ich habe mit dem Nationalsozialismus endgültig gebrochen“. Von den Anfängen der Arbeiter- und Bauernfakultät der Humboldt-Universität zur neuen Westberliner Freien Universität, das war dann bereits der zweite, wohl begründete Kampf: „Menschliche Freiheit mit dem Sozialismus zu verbinden in der Staatsform zur Demokratie“, so formulierte Helga Grebing bereits 1948. Dies leitet Ihr aktives wissenschaftliches und politisches Wirken bis heute. n Helga Grebing Freiheit, die ich meinte Erinnerungen an Berlin verlag für berlin-brandenburg 2012 176 Seiten, 19,95 Euro ISBN 978-3-942476-39-3

Foto: Hendrik Rauch

Der Klimawandel steht vor der Tür, die natürlichen Lebensgrundlagen werden aufgezehrt, die Finanzkrise findet kein Ende. Auf der Suche nach Auswegen irrt die Politik von einer Scheinlösung zur nächsten: Je nach Ideologie bestimmen sparen, sparen, sparen oder (grünes) Wachstum die Lösungsansätze. Michael Müller und Hubert Weiger, zwei erfahrene Streiter für ein nachhaltiges Denken, zeigen in „Nachhaltigkeit – Die Renaissance der Zukunft“ einen Ausweg auf: Nur mit einer Perspektive der Nachhaltigkeit, einer nicht nur aufs Heute, sondern auch aufs Morgen ausgerichteten Politik und Wirtschaft lässt sich ein zukunftsfähiges Deutschland gestalten. Nur wenn die Tragfähigkeit der natürlichen Lebensgrundlagen beachtet wird, gibt es eine gute Zukunft. Das bedeutet Umbau von Wirtschaft und Denken. Die Nachhaltigkeit ist dafür nicht nur das Ziel, sondern auch der Weg. Nachhaltigkeit ist keine Ergänzung des Bestehenden, sondern eine Kultur der Gerechtigkeit und Langfristigkeit. Eine grundlegend veränderte Welt erfordert grundlegend neue Antworten. Das Autorenduo Müller und Weiger zeigt in seinem Buch, dass Nachhaltigkeit der einzige Weg in eine Zukunft voll Wohlstand ist. Und dass sie schon heute möglich ist. n


Buchmesse 21

10/2012 vorwärts

Mehr Bücher

Frankfurter Buchmesse: Vorwärts-Programm

Diskussion mit Miriam Gebhardt und ­Gesine Schwan 12.30 Uhr „Neukölln ist überall“ Buchvorstellung mit Heinz Buschkowsky

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Autoren im Gespräch am vorwärts-Stand: Halle 3.0, B 173

13.30 Uhr „Der Preis der Ungleichheit. Wie die Spaltung der Gesellschaft unsere Zukunft bedroht“ Diskussion mit Joseph Stiglitz und Sigmar Gabriel

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vorwärts.de Rezensionen

Die Favoriten der Leser im internet Owen Jones Prolls – Die Dämonisierung der Arbeiterklasse Verlag Andre Thiele 320 Seiten, 18,90 Euro ISBN 978-3-940884-79-4 Boris Kagarlitzki Back In The USSR – Das neue Russland Edition Nautilus, 91 Seiten, 9,90 Euro ISBN 978-3-89401-756-9

Auch 2011 war viel los am vorwärts-Stand auf der Frankfurter Buchmesse: SPD-Chef Sigmar Gabriel diskutierte mit Ulrich Wickert, moderiert von der Publizistin Caroline Emcke

Mittwoch, 10. Oktober 2012 11.30 Uhr „Die Asozialen. Wie Ober- und Unterschicht unser Land ruinieren – und wer davon profitiert“ Diskussion mit Walter Wüllenweber und Michael Roth

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12.30 Uhr „Armut im Alter. Probleme und Perspektiven sozialer Sicherung“ Diskussion mit Christoph Butterwegge und Peter Feldmann

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13.30 Uhr „Schlüssel für die Zukunft. Innovationen sozial und ökologisch nutzen“ Diskussion mit Edelgard Bulmahn und Ernst Ulrich von Weizsäcker

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15.30 Uhr „Energiewende fortsetzen. Regenerative Vollversorgung vor dem Durchbruch“ Buchvorstellung mit Nina Scheer

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16.30 Uhr „Zur Zukunft der europäischen Demokratie“ Diskussion mit Johano Strasser und KlausJürgen Scherer Eine Veranstaltung der „Neue Gesellschaft / Frankfurter Hefte“

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Donnerstag 11. Oktober 2012 10.30 Uhr „Schulaufgaben. Wie wir das Bildungssystem verändern müssen, um unseren Kindern gerecht zu werden“ Diskussion mit Jutta Allmendinger und ­Andrea Nahles

Foto: Kai Doering

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11.30 Uhr „Willy Brandt. Im Zweifel für die Freiheit. Reden zur sozialdemokratischen und deutschen Geschichte“

Buchvorstellung mit Klaus Schönhoven und Bernd Faulenbach Eine Veranstaltung des Verlages J.H.W. Dietz Nachf., Bonn n 12.30 Uhr „Syrien. Der schwierige Weg in die Freiheit“ Buchvorstellung mit Larissa Bender Eine Veranstaltung des Verlages J.H.W. Dietz Nachf., Bonn

13.30 Uhr „Zukunft im Süden. Wie die Mittelmeerunion Europa wiederbeleben kann“ Diskussion mit Claus Leggewie und Thorsten Schäfer-Gümbel 14.30 Uhr „Willy Brandt und Helmut Schmidt. Geschichte einer schwierigen Freundschaft Diskussion mit Gunter Hofmann und Walter Schumacher

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15.30 Uhr „Klick mich. Bekenntnisse einer InternetExhibitionistin“ Diskussion mit Julia Schramm und Sascha Vogt

Pali Meller Papierküsse – Briefe eines jüdischen Vaters aus der Haft 1942/43 Herausgegeben von Dorothea Zwirner, Klett-Cotta 113 Seiten, 18,95 Euro ISBN 978-3-608-94699-4 Wolfgang Gründinger Wir Zukunftssucher – wie Deutschland enkeltauglich wird Edition Körber Stiftung, 224 Seiten, 16 Euro ISBN 978-3-896-84092-9

16.30 Uhr „Windmühle trifft Wirklichkeit. Für eine moderne Industriepolitik“ Buchvorstellung mit Sascha Vogt

Freitag, 12. Oktober 2012 10.30 Uhr „Das Gesetz der Krise. Wie Banken die Politik regieren“ Diskussion mit Susanne Schmidt und ­Brigitte Zypries

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n 11.30 Uhr „Alice im Niemandsland. Wie die deutsche Frauenbewegung die Frauen verlor“

16.00 Uhr „Deutsche Sozialdemokratie in Bewegung. 1848–1863–2013“ Buchvorstellung mit Anja Kruke, Meik Woyke und Sigmar Gabriel Eine Veranstaltung des Verlages J.H.W. Dietz Nachf., Bonn

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16.30 Uhr „Vorsorge und Inklusion“ Buchvorstellung mit Wolfgang Schroeder

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Samstag, 13. Oktober 2012 11.30 Uhr „Orte der Sozialdemokratie“ Buchvorstellung mit Klaus Wettig

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12.30 Uhr „Volle Drehzahl. Mit Haltung an die Spitze“ Diskussion mit Uwe Hück und Franz ­Müntefering

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13.30 Uhr „Die asiatische Herausforderung“ Diskussion mit Manfred Lahnstein und UweKarsten Heye

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14.30 Uhr „Gesellschaftsentwurf Europa“ Diskussion mit Oskar Negt und Klaus Staeck

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15.30 Uhr „Mehr Gerechtigkeit wagen. Der Weg eines Gewerkschafters“ Diskussion mit Detlef Wetzel und ­Ottmar Schreiner

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Dieter Hildebrandt Es war einmal ... meistens aber öfter – Politikerlügen brutalstmöglich aufgeklärt Hörbuch, Diederichs Verlag 69:28 Minuten, 16,99 Euro ISBN 978-3-424-35071-5

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14.30 Uhr „Hurriya heißt Freiheit. Die Revolte der ­arabischen Frauen“ Diskussion mit Necla Kelek und Bilkay Öney n

Eren Güvercin Neo-Moslems – Portrait einer deutschen Generation Herder Verlag, 200 Seiten, 14,99 Euro ISBN 978-3-451-30471-2 Tamar Amar-Dahl Das zionistische Israel – Jüdischer Nationalismus und die Geschichte des Nahostkonflikts Ferdinand Schöningh Verlag, 256 Seiten, 24,90 Euro ISBN 978-3-506-77591-7

16.30 Uhr „Internet – Segen oder Fluch“ Diskussion mit Kathrin Passig, Sascha Lobo und Lars Klingbeil

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Sonntag, 14. Oktober 2012 11.30 Uhr „Der Patriot. Der lange Weg des Egon Bahr“ Buchvorstellung und Gespräch mit Jörg Hafkemeyer und Uwe-Karsten Heye

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12.30 Uhr „Schlagmann“ Diskussion mit Evi Simeoni und Heiko Maas

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13.30 Uhr „Freiheit, die ich meinte. Erinnerungen an Berlin“ Buchvorstellung mit Helga Grebing und ­Klaus-Jürgen Scherer n

14.30 Uhr „Mehr Demokratie wagen. Geschichte der Sozialdemokratie 1830–2010“ Buchvorstellung mit Peter Brandt und ­Detlef Lehnert

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10-2012-Verlags-sonderveröffentlichung 22

„Wir wollen die Regierung von vorne führen“, sagte Steinmeier. Die jetzige Regierung versetze das Volk in ein tägliches Koma. Dem wolle die SPD-Fraktion etwas entgegensetzen – etwas mit Hand und Fuß. Mit Blick auf Umfragewerte zu sozialdemokratischen Positionen (siehe Spalte links) rief Steinmeier in Richtung Publikum: „Lasst uns dafür sorgen, dass aus der gesellschaftlichen Mehrheit für sozialdemokratische Haltungen eine politische Mehrheit wird!“

Mehrheit für ­S PD-Positionen Laut Umfragen sind in Deutschland...

74% für mehr Kita-Plätze

» Lasst uns dafür sorgen,

für einen höheren ­Spitzensteuersatz auf hohe Einkommen

70% für mehr Bürgerbeteiligung bei Infrastrukturprojekten

84% für mehr Investitionen in Bildung

91% für gleichen Lohn in der Leiharbeit

70% der Eltern für mehr ­Ganztagsschulen

56% der Frauen für eine Quote in Unternehmen

76% für einen allgemeinen g­esetzlichen Mindestlohn Quellen: TNS Emnid; Forsa; Infratest Dimpa; YouGov

Impressum Verlags-Sonder­ veröffentlichung Herausgeber: SPD-Bundestagsfraktion Petra Ernstberger, MdB Parl. Geschäftsführerin V.i.S.d.P. Anschrift: SPD-Bundestagsfraktion Platz der Republik 1 11011 Berlin

Großer Andrang beim Zukunftskongress der SPD-Fraktion. „Fordern Sie uns, mischen Sie sich ein“, rief der SPD-Fraktionsvorsitzende Frank-Walter Steinmeier dem Publikum zu.

Auftrag: mehr Gerechtigkeit Auf ihrem Zukunftskongress hat die SPD-Fraktion Ideen für die nächsten Jahre präsentiert Wie wollen wir morgen leben? Wie sieht ein gerechtes Deutschland im Jahr 2020 aus? Diese Fragen hat sich die SPD-Bundestagsfraktion vor anderthalb Jahren zu Beginn ihres „Projekt Zukunft“ gestellt. Die SPD-Abgeordneten haben mit Experten gesprochen, mit Bürgern, Gewerkschaften und Verbänden diskutiert, in die Gesellschaft hineingehorcht. Auf ihrem zweitägigen Zukunftskongress im Berliner Paul-Löbe-Haus haben sie jetzt die Ergebnisse präsentiert. In acht Themenforen diskutierten die Abgeordneten die Ergebnisse der je-

weiligen Projektgruppen mit den mehr als 1000 Teilnehmern. Die thematischen Schwerpunkte reichten von Integration über Generationengerechtigkeit bis hin zu einer neuen Ordnung des Arbeitsmarktes. Kritik und Anregung des Publikums waren dabei ausdrücklich erwünscht. „Nehmen Sie uns beim Wort, fordern Sie uns, mischen Sie sich ein!“ appellierte SPD-Fraktionschef Frank-Walter Steinmeier an die Teilnehmer. Mit ihrem Kongress machte die SPDFraktion deutlich, dass sie sich intensiv auf die Regierungsarbeit vorbereitet.

Steinbrück will Macht der Banken brechen Der designierte SPD-Kanzlerkandidat und ehemalige Finanzminister Peer Steinbrück hat Ende September ein Konzept vorgestellt, um die Finanzmärkte zu bändigen. „Die Finanzmärkte haben Maß und Mitte verloren“, sagte er auf einer Pressekonferenz. Die Politik dürfe nicht durch Banken erpressbar sein und müsse das Vertrauen der Menschen zurückgewinnen. Der Grundgedanke des Konzepts ist es, dass Banken wieder selbst für ihre riskanten Geschäfte haften müssen. Dies sei ein grundlegendes Element einer Marktwirtschaft, betonte Steinbrück. Heute aber würden Gewinne privatisiert, Verluste dagegen sozialisiert. Steinbrück will die Verantwortlichen an den Kosten der Krise beteiligen. Dafür müsse endlich eine Finanztransaktionssteuer auf europäischer Ebene eingeführt werden, fordert er. Gleichzeitig sollen die

Will Finanzmärkte bändigen: Peer Steinbrück.

Staaten sich aus ihrer Haftung für Banken zurückziehen. Ermöglicht werden soll dies, indem die Banken in einen europäischen Fonds einzahlen, mit dessen Mitteln in Schieflage geratene Banken restrukturiert werden können. Für Verluste sollen nicht die Steuerzahler, sondern zunächst die Aktionäre und Gläubiger aufkommen. Notfalls soll der Bankenfonds auch die Aufgabe übernehmen, Pleitebanken geordnet

dass aus einer gesellschaft­ lichen ­Mehrheit auch eine ­politische Mehrheit wird! Frank-Walter Steinmeier

«

Im Mittelpunkt des Zukunftskongresses stand vor allem ein Thema: Gerechtigkeit. Ob Generationengerechtigkeit, Gerechtigkeit auf dem Arbeitsmarkt oder eine gerechte Steuerverteilung – in allen Projektgruppen ging es um die Frage, wie die Politik für eine gerechtere Gesellschaft sorgen kann. Soziale Gerechtigkeit halte eine Gesellschaft zusammen, sagte Steinmeier. Der Zukunftskongress bildete zugleich den Auftakt des SPD-Bürgerdialogs. „Wir wollen darüber reden, wie die Vielen in unserem Land leben wollen, anstatt uns von den Wenigen sagen zu lassen, wie wir leben müssen“, brachte es SPD-Chef Sigmar Gabriel auf den Punkt. n GF Alle Videos vom Zukunftskongress auf spdfraktion.de

abzuwickeln. Anders gesagt: Banken sollen insolvent gehen können, ohne dass das gesamte Finanzsystem in Gefahr gerät. Ein zentraler Punkt in Steinbrücks Konzept ist die Trennung von Geschäfts- und Investmentbanking. „Die Investmentbank darf sich kein Kapital von der Geschäftsund Einlagebank besorgen“, erklärte Steinbrück. Darüber hinaus will er Bankengeschäfte stärker regulieren. Zum Beispiel durch eine Obergrenze für Kredite, mit denen Immobilien finanziert werden. So will er verhindern, dass erneut Immobilienblasen entstehen – wie jene, die 2007 in den USA platzte und dadurch die Finanzkrise auslöste. Die Europäische Zentralbank will Steinbrück zu einer europäischen Aufsichtsbehörde für große, systemrelevante Banken ausbauen. Daneben soll eine europäische Ratingagentur in Form einer gemeinnützigen Stiftung geschaffen werden. Erstellt hat Steinbrück sein Konzept im Auftrag der SPD-Bundestagsfraktion. n CFH

Fotos: Bildschön, Michael Kappeler/dpa

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Partei leben! inhalt Klares Ziel

Fotos: Dirk bleicker, dpa Picture-Alliance/ Robert Schlesinger, Privat

OV Kirchlinteln wirbt mit kreativen Aktionen für die SPD im Ort

Chefsache

Bürger-Dialog

Andrea direkt!

Nach dem Startschuss: Der Weg der Dialogkarten Themenexpertinnen vor Ort

Die SPD wirft der Regierung Merkel im Umgang mit der Euro-Krise vor, die Deutschen zu täuschen. Was heißt das? Frau Merkel suggeriert den Bürgerinnen und Bürgern mit teils markigen Worten („keine Vergemeinschaftung von Schulden, solange ich lebe“), dass es keine gemeinsame Haftung für die Schulden anderer Länder gäbe. Gleichzeitig nimmt sie billigend in Kauf, dass die EZB Staatsanleihen von verschuldeten Staaten aufkauft und so milliardenschwere Risiken anhäuft. Die Vergemeinschaftung von Schulden findet also längst statt – allerdings ohne parlamentarische Kontrolle durch den Bundestag. In letzter Konsequenz haften die Steuerzahler in Deutschland und Europa. Hier schenkt Frau Merkel keinen reinen Wein ein. Reicht die geplante Erhöhung der Hartz-IV-Sätze um acht Euro aus? Der Regelsatz, errechnet aus Lohnund Preisentwicklungen wird jährlich angepasst – so das Ergebnis des Vermittlungsausschusses vom letzten Jahr. Dies wird jetzt umgesetzt und ist richtig. Unabhängig davon bleiben unsere Zweifel, ob die Grundlage der Ermittlung der Regelsätze den Vorgaben des Verfassungsgerichtes entspricht, insbesondere bei Kindern. Kann die SPD für ihren Wahlkampf von den US-Demokraten lernen? US-Wahlkampagnen sind kein Hexenwerk. Vieles wird aber konsequenter betrieben als bei uns. Die Wahlkampfmanager fokussieren ihre Aktivitäten auf einen wesentlichen Punkt: den direkten Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern. Das klassische Instru­ ment der Hausbesuche ist in den USA in einer modernen Form wieder auferstanden und gilt mittlerweile als wahlentscheidend. n Fragen stellen: vorwärts.de/Parteileben

porträt Die OB-Kandidatin in Kiel: Susanne Gaschke

In Kürze Arbeitsgemeinschaften: ASJ OV-Nachrichten Chatten mit den Bürgern: SPD-Chef Sigmar Gabriel und Generalsekretärin Andrea Nahles

»Darum bin ich in der SPD…«

SPD Auf Empfang Startschuss zum Bürgerdialog In der Parteizentrale quillt der Briefkasten über – Tausende im Online-Chat Von Karl Ludwig

M Emanuel Wyler ist 31 Jahre alt und 1998 in der Schweiz den Jusos beigetreten. Seit März ist er Mitglied in der SPD Berlin-Helmholtzplatz. Als ich nach Deutschland zog, war mir klar, dass ich mein politisches Engagement in der SPD fortsetzen werde. Die Partei hat viele Fehler gemacht und wird noch viele machen. Aber sie ist die einzige politische Kraft, die diese Welt solidarischer und ökologischer machen kann. Dazu will ich meinen Teil beitragen. n Warum seid Ihr gerade jetzt SPD-Mitglied geworden? Schreibt uns an parteileben@vorwaerts.de

SPD-Chef Heiko Maas zu sagen, was in ontag, 24. September, 15 Deutschland besser werden muss. Uhr. Das Foyer des WillyOb analog oder digital: Auf die SPDBrandt-Hauses gleicht einem Zentrale kommen arbeitsreiche Wochen Fernsehstudio voller Besucher. „Ruhe!“ zu. Schließlich gilt das Versprechen: Jede ruft ein Redakteur. „Vier, drei, zwei, Zuschrift, jeder Vorschlag wird registeins – Sendung!“ Der SPD-Bürgerdialog riert, bearbeitet und beantwortet. ­beginnt. Schon vor der offiziellen Sigmar Gabriel wird inh Eröffnung des Bürgerdiaterviewt. Andrea Nahles c uss si m logs waren mehr als 4000 beantwortet Anrufe. Taus Wa dern? n Postkarten ins Willysende sind zuhause am ä Brandt-Haus geflattert. Der Computer live dabei, im it te September-Ausgabe des „öffentlichen Chat“. Ganz ef tm der H en n i e m t i h e e s l vorwärts hatten Dialogkarreal anwesend ist eine n s e D o p p m H e ra u ä n g e n h zu s u ten zum Ausfüllen beigeleSchar Hauptstadtreporter. und A gen. „Viele Genossen haben Von Kamerateams umsich sogar die Mühe gemacht, die zingelt war Frank-Walter SteinKarten zu frankieren“, staunte Gabriel. meier eine Stunde zuvor. Am PotsdaOft sind die Karten dicht beschrieben. mer Platz wollte er den analogen Teil „Die Erzieherausbildung muss verstärkt des Dialogs eröffnen, also das Gespräch werden“, regt Jan L. aus Lübeck an. Und von Angesicht zu Angesicht. Wegen des Klaus S. aus Felda schlägt vor, bei der Rengewaltigen Medieninteresses blieb es tenberechnung künftig jedes Kind fünf zunächst mehr ein Dialog mit MikroBeitragsjahren gleichzusetzen. Die Genefonen. ralsekretärin war vom Auftakt-Tag jedenStunden später waren die TV-Teams falls beeindruckt: „Viele Leute haben sich abgerückt. Ganz normale Bürger nutzrichtig Gedanken und Mühe gemacht.“ ten ihre Chance, Sigmar Gabriel, MaUnd jetzt geht‘s erst richtig los. n nuela Schwesig und dem Saarländer

log a i D er Bürg


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Mit klarem Ziel

Kirchlinteln Mit kreativen Aktionen im Ort wirbt der OV für die SPD. Die CDU verliert derweil Stimmen Von Marisa Strobel

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ie eine kichernde Schulklasse stehen elf Mitglieder des Ortsvereins vor dem Gemeindehaus im niedersächsischen Kirchlinteln. Sie haben sich zum gemeinsamen Gruppenfoto versammelt, zusammengetrommelt von ihrem Vorsitzenden Hermann Meyer. „Wenn Hermann ruft, dann haben wir keine andere Wahl“, scherzt einer. Immer wieder tritt jemand aus der Reihe, was von den anderen stets lauthals kommentiert wird. Der spielerische Umgang miteinander ist typisch für den Ortsverein und sein Erfolgsgeheimnis. „Die Arbeit bei uns macht einfach Spaß“, erzählt der Ortsvereinsvorsitzende Hermann Meyer. „Und das wiederum fördert die Kreativität und die Lust, Neues anzustoßen.“ So auch bei der letzten Kommunalwahl 2011, als die Idee aufkam, auf Wahlplakate zu verzichten. Wieso? „Die Plakatiererei war in den letzten Jahren so viel geworden, dass die Leute im Ort schon ganz genervt waren“, erinnert sich Renate Meyer, Schriftführerin des Ortsvereins. „Und da wollten wir ein Zeichen setzen: keine Plakate, sondern den direkten Kontakt zu den Bürgern suchen“, ergänzt Richard Eckermann, Fraktionsvorsitzender im Gemeinderat. Stattdessen mit Wahlkampf-Flyern am Stand auf sich aufmerksam machen, wollten die Kirchlintler Genossen aber auch nicht. Als der Vorschlag fiel, einen roten Schuh aufzustellen und die Leute

OV-Porträt

im Ort zu befragen: Wo drückt der Schuh?, waren alle im Ortsverein begeistert. „Ich finde es immer gut, wenn man auf die Menschen zugeht und mit ihnen spricht“, sagt auch Elke Beckmann, Genossin und stellvertretende Bürgermeisterin im Ort. Besonders gefallen habe ihr die Aufklärungsarbeit, die sie dabei leisten konnte. „Fragen zu beantworten und auch darauf hinzuweisen, dass jede Ausschusssitzung öffentlich ist und die Leute ein Mitspracherecht haben, das hat mir persönlich sehr viel Spaß gemacht“, so Beckmann.

Nase voll von der Plakatiererei

Hermann Meyer hält den Ortsverein zusammen. Seit 2000 ist er Vorsitzender und Leiter der Zeitschrift „De Kerklintler Swinegel“.

Der Schuh-Wahlkampf kam bei den Bürgern gut an. „Viele waren erst einmal verwundert, dass wir sie nicht einfach von uns überzeugen wollten, sondern stattdessen ihre Anregungen eingesammelt haben“, erinnert sich Eckermann. Im Internet haben sie die Wünsche der Bürger veröffentlicht. Seitdem arbeiten die Sozialdemokraten im Gemeinderat an der Umsetzung der Punkte. Gewonnen hat die SPD 2011 in Kirchlinteln trotzdem nicht. Seit dem Krieg hat die CDU fast durchgehend die absolute Mehrheit im Gemeinderat inne. Doch seit ein paar Jahren verliert sie an Stimmen, zuletzt hatten ihr lediglich sieben Stimmen zur absoluten Mehrheit verholfen. „Deshalb müsste es schon mit dem Teufel zugehen, wenn wir die CDU bei der nächsten Wahl nicht knacken“, ist Eckermann überzeugt.

Um ihr Ziel zu erreichen, zeigen sich die Mitglieder des Ortsvereins gern kreativ. Dabei geht es in dem traditionell schwarzen Ort in erster Linie darum, mit Aktionen und Angeboten im Ort auf sich aufmerksam zu machen. Dazu gehören auch die monatlichen Filmvorführungen für Kinder im Gemeindehaus „Lintler Krug“, deren Kosten die Jugendhilfe trägt. Oder auch die „Rote Hütte“ auf dem Lintler Rübenmarkt, dem regionalen Herbstfest im Ort. Dort verkaufen die Kirchlintler Genossen jedes Jahr rote Delikatessen wie Rotwein und Tomate-Mozarella. Die Ortsvereinszeitschrift „De Kerklintler Swinegel“ (plattdeutsch für: „Der Kirchlintler Igel“), die seit über dreißig Jahren an die Haushalte der Kirchlintler Gemeinde geht, informiert über eben solche Aktionen und die jüngsten Erfolge der SPD im Gemeinderat. Den Namen „Igel“ bekam die Zeitschrift, weil sie besonders in den Anfangsjahren gern gegen die CDU im Ort „stachelte“. Ein Herzstück ihrer Arbeit in der Gemeinde ist außerdem die Daueraktion „Flagge zeigen gegen Rechts“, auch wenn sie vor Ort kein wirkliches Problem mit Neonazis haben. Das Projekt entstand, als 2004 der inzwischen verstorbene Rechtsextremist Jürgen Rieger in der Nachbargemeinde Dörverden ein internationales Bildungszentrum für Rechtsradikale errichten wollte. Den Demonstrationen dagegen schlossen sich auch die Kirchlintler Sozialdemokraten entschlossen an. Mit Erfolg: Das Zentrum konnte verhindert werden. Seitdem hat das Thema den Ortsverein nicht mehr losgelassen. Die Genossen kümmerten sich um die Verlegung von Stolpersteinen zur Erinnerung an Holocaust-Opfer in der Gemeinde und organisieren jährlich Gedenkfahrten. „Kontinuierlich am Thema dran bleiben, das ist uns wichtig“, sagt Eckermann. n

Fotos: Kerstin Rolfes (2)

Hoch den Schuh: Die Kirchlintler Genossen verzichteten bei der Kommunalwahl 2011 als einzige Partei im Ort auf Plakate. Sie fragten stattdessen die Bürger: „Wo drückt der Schuh?“.


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ute Ideen muss man erst einmal haben. Doch was tun, wenn kein Geld da ist, um sie auch umzusetzen? Der Innovationsfonds hat zum Ziel, aus Ideen konkrete Projekte zu machen. Er unterstützt Genossinnen und Genossen in den Kreisverbänden und Unterbezirken dabei, die Arbeit vor Ort weiterzuentwickeln. Erstmals erhalten nun 29 Projekte eine Förderung von bis zu 5000 Euro. Der Fonds ist ein greifbares Ergebnis des organisationspolitischen Grundsatzprogramms, das auf dem letzten Parteitag beschlossen wurde. Damit wird eine Ergänzung zum Wilhelm-Dröscher-Preis geschaffen, der bereits erfolgreiche Projekte mit einem Preisgeld auszeichnet.

Startschuss für Projekte, die zu Vorbildern werden könnten Insgesamt gingen fast 50 Bewerbungen bei der Organisationspolitischen Kommission ein, aus denen ein Beschlussvorschlag für den SPD-Parteivorstand entwickelt wurde. Am 24. September hat dieser nun den Startschuss für die erste Runde gegeben. Die ausgewählten Projekte erhalten zum Start zwei Drittel der benötigten Mittel. Der Restbetrag

25 nun fast 130 000 Euro an die erfolgreichen Projekte ausgeschüttet werden. Diese setzen damit ihre Ideen um, und andere können am Ende von diesen ­Erfahrungen profitieren. Denn alle Projekte sind vor allem eins: eine Aufforderung zur Nachahmung. – Best Practice à la Kreisverband/Unterbezirk.

Schöne Ideen gibt es auch im Kleinen

Ideen mit Pfiff Innovationsfonds SPD-Unterbezirke und ­Kreisverbände haben künftig die Chance auf eine finanzielle ­Unterstützung Von Nils Hilbert wird nach einem ausführlichen Projektbericht überwiesen. Der Innovationsfonds speist sich aus Mitgliederbeiträgen – je fünf Cent werden in den Fonds umgeleitet. So können

Werbung für den Fonds: Sie gibt wohl auch wieder, was die nun geförderten Gliederungen empfinden, wenn die Unterstützung bei ihnen ankommt.

Auch kleinere Gliederungen können so ihre Ideen verwirklichen, wie zum Beispiel der Unterbezirk Meißen. Um dem Beschluss „Starke Kinder in einer solidarischen Gesellschaft“ des sächsischen SPD-Landesparteitages Leben einzuhauchen, wird dort nun zusammen mit zahlreichen Partnern eine Kinderkonferenz auf die Beine gestellt: Die Falken kümmern sich um ein KinderProgramm mit Feuershow und Natur­ erlebnis. Die Erwachsenen können derweil an einem der Workshops der AWO und der SPD teilnehmen. n Ansprechpartner beim SPD-Parteivorstand: Tobias Keim, innovationsfonds@spd.de https://www.spd.de/Mein_Bereich/ Innovationsfonds (nur für Mitglieder)

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Der Weg ins Programm Dialog-Karten Was eigentlich passiert mit all den Anregungen der Bürgerinnen und Bürger?

P Bürger-Wünsche zum Thema Kinder und Familie „Erzieherinnen an die ­Fachhochschule.“ Dennis T., Niedersachsen „Kostenloses Frühstück und Mittag für Kita- und Schulkinder bis zu einem Bruttolohn von 1500 Euro.“ Silke S., Berlin „Kitas statt leerer Worte.“ Dieter B., NRW

hase eins des Bürgerdialogs, das „Zuhören“, läuft auf Hochtouren. Das heißt auch, dass die Mitarbeiter in der „Werkstatt Bürger-Dialog“ gerade ordentlich schuften müssen: Ständig klingelt das Telefon, neue Dialog-Karten werden in großen Post-Boxen angeliefert, E-Mails rauschen in rauen Mengen in die Postfächer. Neben den Mitarbeitern der Kommunikationsabteilung des WillyBrandt-Hauses wurden extra zusätzliche Mitarbeiter eingestellt, um der Datenflut Herr zu werden. Waren vor dem offiziellen Startschuss schon rund 4000 Dialog-Karten eingegangen, sind bis Ende September noch einmal rund 1000 dazugekommen. Etwa 700 E-Mails mussten zusätzlich in die speziell entwickelte Software einpflegt werden.

„Die vollständige Gleichstellung der ,Eingetragenen Lebenspartnerschaften‘ mit der Ehe.“ Bruno N., Baden-Württemberg „Kinder haben Recht auf beide Elternteile! Deswegen: Einführung des Wechsel­ modells (häufige Betreuung durch beide Eltern) bei Trennung/Scheidung, wie skandinavische Länder es vormachen.“ Johannes S., Rheinland-Pfalz

Wenn die persönlichen Daten der Ideengeber eingegeben sind – jeder erhält eine Mitteilung über den Eingang der DialogKarte – werden die Anregungen mit Hilfe der Software sortiert: „Im ersten Schritt ordnen wir nach Themenwoche, also zum Beispiel ,Jugend und Bildung‘ oder ,Gerechte Gesellschaft‘. Dann werden die Vorschläge der Bürgerinnen und Bürger weiter verdichtet“, erklärt Achim Schreier, der die Dialog-Werkstatt leitet. Eine aufwendige Arbeit, für die noch viel Zeit benötigt wird. Aussortiert werden nur Zusendungen, die den grundsätzlichen Werten der Sozialdemokratie zuwider laufen, beispielsweise rechtsextreme Forderungen, versichert Schreier. Ziel des Teams ist es, den Themenexperten einen geordneten Katalog zu übergeben. Denn für Phase zwei des Dialogs, die BürgerInnenkonferenzen, muss eine Diskussionsgrundlage geschaffen werden: Die innovativsten Ideengeber werden zu „Runden Tischen“ eingeladen. Zusammen mit diesen Bürgerinnen und Bürgern werden die Experten konkrete Antworten und Lösungen erarbeiten und so Phase drei einläuten: den Konvent. Dort werden der SPD-Führung die zentralen Forderungen präsentiert und ins Regierungsprogramm aufgenommen, über das der Parteitag im Juni 2013 entscheidet. n NH

Willkommene Abwechslung im politischen Berlin: Manue

Es hage

Bürger-Dialog Jetzt läuft die und Genossen: den direkten Kon ­Antworten und Vorschläge notie

„Mehr Förderstunden für Grundschüler und freie ­Unterrichtsmaterialien.“ anonym „Frauenfußball muss mehr gefördert werden.“ Kooperative Gesamtschule, Rheinland-Pfalz „Sicherung aller öffentlichen Flächen, um Natur auch für nachwachsende Generationen erlebbar zu machen.“ Rolf S., NRW „Mehr Lohn für Erzieher“ Vivien-Christin, Niedersachsen „Abschaffung des Ehe­ gattensplittings zugunsten von Familien mit Kindern.“ Hildegard M., Niedersachsen

Hüpfburg-Gespräche Kinder und Familie ist das Motto der ersten Themenwoche. Sandra Scheeres und Andrea Nahles stürzten sich deshalb in das Getümmel eines Kinderfests Von Nils Hilbert

O

hnehin sei die SPD hier öfter mal bei Festen präsent. Deshalb werde sie es jetzt so machen wie immer, „einfach auf die Leute zugehen“. Doch dieses Mal hat Sandra Scheeres ein paar Karten in der Hand, die sich von den sonstigen Informationsbroschüren unterscheiden. Die Senatorin für Bildung, Jugend und Wissenschaft des Landes Berlin ist in Dialog-Mission unterwegs: „Um meiner Rolle als Themenexpertin gerecht zu werden, muss ich den Eltern hier schon glaubhaft vermitteln, dass wir es ernst meinen, wenn wir sie nach ihrer Meinung fragen.“ Sagt´s und verschwindet zwischen

kreischenden Kindern, nimmt Kurs auf eine Gruppe junger Frauen, die DialogKarten im Anschlag.

Von Mutter zu Mutter

Andrea Nahles auf Augenhöhe: Sie erfahre konstruktive Kritik statt bloßer Beschwerden.

Kurze Zeit später trifft Andrea Nahles auf dem Kinderfest in Prenzlauer Berg ein. Der Berliner Bezirk ist bekannt für seinen Kinderreichtum. Ideal also, um Meinungen und Anregungen im Rahmen der Themenwoche Kinder und Familie einzuholen. Dass dies ihr zentrales Interesse ist, wird auch den vereinzelt anwesenden Journalisten klar: Ein kurzes Nicken in die Kameras, dann geht auch sie auf eine junge Mutter mit Kind zu und sucht das


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Endlich ein Feedback Jugend und Bildung heißen die Themen, für die Sascha Vogt sich im Bürger-Dialog engagiert Interview Nils Hilbert

ela Schwesig stellt sich beim Auftakt des Bürger-Dialogs den Fragen der Passanten

elt Ideen

Fotos: Marc-sTeffen Unger, Bea Marquardt, Mark Wilkendorf, Dirk Bleicker (2)

erste Phase. Nun heißt es für die Genossinnen ntakt zu den Bürgern suchen, ihre Wünsche, eren

Gespräch. Über was sie denn mit Andrea Nahles gesprochen habe? „Frau Nahles wollte wissen, in welcher Situation ich mich mit meinem Sohn befinde. Dann hat auch sie von ihren Erfahrungen als Mutter erzählt.“ Und was hält sie vom Bürger-Dialog der SPD? Prinzipiell finde sie es schön, direkten Kontakt zu haben, auch die Karte werde sie ausfüllen. Aber die junge Frau betont auch ihre Hoffnung, dass die SPD Wort halten und die Ideen in das Parteiprogramm aufnehmen werde. Dann bietet sich doch die Chance, die SPD-Generalsekretärin zu ihren Erfahrungen der letzten Tage zu fragen. Auch ihr ist klar, dass mancher an der Aufrichtigkeit des Bürger-Dialogs zweifelt. „Die Überraschung ist groß, wenn ich erkläre, dass wir ein paar hundert Leute zu unseren Dialog-Konferenzen einladen werden.“ Man könne sich viele Formate ausdenken, wichtig sei, dass man mit den Menschen ins Gespräch kommt. „Egal, ob auf einem Sofa, wie ich es auf einem Marktplatz in meinem Wahlkreis

Welche Rolle spielen Themenexperten wie Sie beim Bürger-Dialog? Die ThemenexpertInnen werden sich explizit mit den Forderungen und Wünschen der BürgerInnen im Auswertungsprozess der Karten beschäftigen. Sie sind diejenigen, die darauf achten, dass kein Vorschlag verloren geht. Und sie arbeiten an der Vorbereitung zu den BürgerInnenkonferenzen und dem ­Konvent mit. Was reizt Sie daran? Ich finde es unheimlich spannend, mal ein Feedback zu bekommen: Was sind wirklich die Themen, die die Menschen interessieren? Denn natürlich läuft man Gefahr, den ganzen Tag über ein Thema zu diskutieren, weiß aber letztlich nicht, ob es das ist, was die Menschen wirklich bewegt. Gibt es denn so wenig Rückmeldung im Alltag? Wir Jusos sind in der jungen Generation schon recht gut verankert. Dennoch ist es schwierig, diejenigen zu erreichen, die sich nur wenig für Politik interessieren. Und das ist ja kein verschwindend geringer Teil unter jungen Leuten. Mit dem Bürger-Dialog wollen wir uns an alle wenden, niemand braucht spezielle Fachkenntnisse. Und wer weiß, vielleicht lassen sich über den Dialog auch

Sascha Vogt, Juso-Bundesvorsitzender: „Bildung ist das Schlüsselthema der Zukunft.“

ein paar Menschen für Politik begeistern oder sogar für die SPD gewinnen. In der Themenwoche, die Sie begleiten, steht Jugend und Bildung im Zentrum. Auf was stellen Sie sich ein? Ich denke, dass das zentrale Thema in unserem Bürger-Dialog Fragen rund um Ausbildung, Studium und Jobeinstieg sein werden. Während der Woche werde ich in Berlin und NRW unterwegs sein, Jugendzentren und Ausbildungseinrichtungen besuchen und mit jungen Menschen auf der Straße das Gespräch suchen. Ich denke, dass ich aus der Woche eine ganze Menge Anregungen mitnehmen werde. n

Ende ihres Gesprächs überreicht hat. „Nein, mit Kindern hat mein Vorschlag nicht zu tun. Aber ich arbeite beim JobCenter und finde die Mischverwaltung dort problematisch.“ Er greife damit zwar offenbar einer anderen Themenwoche voraus, doch sei ihm versichert worden, dass sein Vorschlag trotzdem willkommen sei.

Dicht dran an den Sorgen

Hüpfburg, Decke, Multi-Kulti: Erst auf den zweiten Blick ist die Berliner Senatorin Sandra Scheeres im Kreis der Mütter zu erkennen.

machen werde, oder vor einer Hüpfburg wie hier.“ Am Rand des Spielplatzes steht ein Vater, den Kinderwagen neben sich geparkt, und füllt konzentriert eine der Karten aus, die Sandra Scheeres ihm am

Bereits seit über einer Stunde sind die beiden SPD-Politikerinnen nun auf dem Fest unterwegs. Zeit, erneut zu fragen, wie die Stimmung ist, ob sie denn nicht langsam die Energie verlasse? Nein, antwortet Andrea Nahles. Sandra Scheeres überhört die Frage, stattdessen sprudelt es aus ihr heraus: „Gerade habe ich wieder erfahren, dass Eltern dafür zahlen sollen, dass ihr Kind einen Kita-Platz bekommt. Ich habe ihnen gesagt, dass die Kita-Träger dies gar nicht dürfen.“ Darum werde sie sich kümmern. Für sie hat sich der Dialog schon jetzt gelohnt. n


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Susanne Gaschke am Kieler Hafen: In der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt ist sie geboren und aufgewachsen. Hier lebt und arbeitet sie. „In Kiel zu Hause“, lautet ihr Motto.

Ihr Kiel-Projekt

Susanne Gaschke Sie ist Journalistin und Buchautorin. Nun will sie Oberbürgermeisterin in der Stadt an der Förde werden – nach einem Nominierungsverfahren, das es in sich hatte

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iele Frauen stehen nicht gern exponiert im kalten Wind“, schrieb sie kürzlich in der Wochenzeitung „Die Zeit“. Nun steht ­ S­usanne Gaschke an der Kieler Förde. Der Herbstwind bläst ihr ins Gesicht, hinter ihr die dicken Pötte auf dem Weg nach Norden. Die „feminine Komfortzone“, in der sich Frauen ihrer Meinung nach nur zu gerne aufhalten, hat sie schon lange verlassen und sie sieht nicht so aus, als ob ihr das zu schaffen macht. Nun also die Politik. Warum? „Weil Kommunalpolitik das ganze Leben ist“, sagt die 45-Jährige, die in der schleswig-holsteinischen Landeshauptstadt Kiel geboren und aufgewachsen ist, hier studiert hat und promoviert wurde. Hier lebt sie und wirbt mit dem

Porträt

Slogan: „In Kiel zu Hause.“ Kommunalpolitik erklärt sie ihren Zuhörern, die an diesem Samstag zur ersten öffentlichen Programmdiskussion gekommen sind, journalistisch anschaulich: „Wie wir wohnen, wer unsere Kinder betreut, was diese Kinder lernen und was sie einmal werden, wie wir zur Arbeit kommen, wo wir uns ausruhen, wie es uns geht, wenn wir alt oder krank oder gerade nur unglücklich und erschöpft sind.“

Hauchdünner Vorsprung Ihre Nominierung war knapp. Mit 145 zu 143 Stimmen hat sie sich im zweiten Wahlgang gegen die Landeswahlleiterin Manuela Söller-Winkler (parteilos) durchgesetzt. Die beiden männlichen Kandidaten hatten ihre Bewerbungen

nach dem ersten Wahlgang zurückgezogen, weil sie deutlich weniger Stimmen als die beiden Frauen erhalten hatten. Hat sie das knappe Ergebnis enttäuscht? „Nein, überhaupt nicht“, sagt Susanne Gaschke. „Ich war sicher, dass ich es schaffen würde.“ Außerdem sei der Entscheidungsprozess „super spannend“ gewesen. Überall, innerhalb und außerhalb der SPD, sei die Kandidatenkür der SPD Thema gewesen. „Das hat uns richtig genützt.“ Von ihrer Arbeit für die „Zeit“ hat sie sich für den Wahlkampf beurlauben lassen. Warum will sie, die erfolgreiche Journalistin, Herausgeberin des Kindermagazins „Zeit LEO“ und Buchautorin, in die Politik gehen? Ihre erste Antwort ist politisch: „Journalisten leben davon,

Fotos: Dirk Bleicker

Von Susanne Dohrn


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dass andere etwas tun. Aber wenn man ein politischer Mensch ist, will man irgendwann selbst etwas tun.“ Es gibt noch eine andere Antwort, und die hat viel mit ihrer Großmutter zu tun. Die hatte, für eine Frau damals ungewöhnlich, in den 30er Jahren Medizin studiert, arbeitete nach der Flucht aus Breslau als Ärztin im Kieler Gesundheitsdienst und baute Mitte der 50er Jahre eine der ersten Eheberatungsstellen auf. „Die hat sich durchgebissen. So wollte ich auch sein, das fand ich toll“, sagt Susanne Gaschke. Ist sie Feministin? „Ja“, antwortet sie. Die Gründe kommen wie aus der Pistole geschossen: Männer, die in Diskussionsrunden fünfmal so viele Worte machen wie eine Frau. Was ihnen bei Susanne Gaschke nicht gelingen dürfte, denn sie denkt schneller als die meisten ihrer Mitmenschen, und schneller reden kann sie auch. Sie nennt Kleinigkeiten, die, weil sie ständig passieren, eben doch keine Kleinigkeiten sind: „Bei Männern wird der Doktortitel immer genannt, bei Frauen oft vergessen.“ Auch bei ihr. Sie ärgert sich über Zuschreibungen wie „die Frau von“. Inzwischen habe man sich mit der Presse auf „verheiratet mit“ geeinigt.

Gemeint ist der SPD-Bundestagsabgeordnete Hans-Peter Bartels.

Zusammenführen statt zuspitzen Sie hat die Seiten gewechselt, von der Beobachterin zur Politikerin. Faszinierend sei das und schwierig. Als Journalistin hat sie zugespitzt, polarisiert. Nun muss sie zusammenführen. Als Journalistin nahm sie kein Blatt vor den Mund, auch nicht in Bezug auf die SPD. Nun gilt für sie: „Es ist nicht an mir, alles umzu-

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Ich war sicher, dass ich es schaffen würde.

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Susanne Gaschke, über ihre Nominierung zur SPD-Kandidatin für die Oberbürgermeisterwahl in Kiel

Susanne Gaschke diskutiert mit Bürgern das Kommunalwahlprogramm der SPD.

krempeln, was auf demokratische Weise zustande kommen ist.“ Sie ist für „vernünftiges, sparsames und bescheidenes Haushalten“, will dafür sorgen, dass das Schicksal von Kindern nicht abhängig ist „von ihrer Herkunft, nicht von den Problemen ihrer Eltern – sondern von ihrem eigenen Fleiß, ihrem Mut, ihren Entscheidungen“. Sie sieht die Gefahr, dass Parteien zu „Echokammern“ werden, „zu geschlossenen Räumen, in denen man sich wieder und wieder bestätigt, was man sowieso schon immer gesagt hat“ und lädt die Kielerinnen und Kieler zu Programmdiskussionen ein. Bedenken und Ärger will sie sich anhören, bevor sie ein Programm beschließt. „Die SPD ist immer super, wenn sie diskutiert“, sagt sie. „Die großen Debatten der Vergangenheit haben auch zu guten Wahlergebnissen geführt.“ Auch Susanne Gaschkes Wahlchancen stehen gut. Die SPD ist die „Kiel-Partei“, hat seit 1946 fast ausschließlich die Oberbürgermeister gestellt. Der letzte, Torsten Albig, wurde im Juni Ministerpräsident, was die Neuwahl notwendig macht. Sechs Kandidaten stehen am 28. Oktober zur Wahl. Susanne Gaschke ist darunter die einzige Frau. n ANZEIGEN

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Pa r t e i L e b e n !

Unsere Jüngsten

»Blut der Bayern«

Die SPD, eine Partei ohne Nachwuchs? Von wegen. Gerade im politisch (noch) schwarzen Bayern sind es immer wieder Sozialdemokraten, die den Titel des jüngsten Bürgermeisters Deutschlands für sich geltend machen können. Nachdem im März der 25-jährige Stefan Rottmann im unterfränkischen Schonungen diesen Titel erhielt, ist nun der ebenfalls

Sozialdemokraten haben es traditionell nicht leicht in Bayern. Doch die Kandidatur von Münchens Oberbürgermeister Christian Ude (SPD) bei der Landtagswahl 2013 macht Hoffnung auf einen Wechsel. So sehr, dass der Augsburger SPD-Abgeordnete Linus Förster eigens das Lied "Griechischer Wein" zum Wahlkampfsong umgedichtet hat: „Fränkischer Wein, Du bist das Blut der Bayern, komm‘ schenk Dir ein / Und wenn wir dann siegen werden – liegt es daran / Dass auch die Franken Ude wählen – ja so muss das sein!“ Wenn das keine Stimmen bringt. n MS

10/2012 vorwärts

Einberufung gemäß § 21, § 22 (1) und § 32 Organisationsstatut

AuSSerordentlicher Bundesparteitag am 9. Dezember 2012 in Hannover Vorläufige Tagesordnung Beginn:

10:30 Uhr

Eröffnung und Konstituierung

Wenn Uhus singen

B

ereits 1921 gründete sich der Republikanische Richterbund, dem hauptsächlich Sozialdemokraten angehörten. Aus ihm ging nach dem Zweiten Weltkrieg die Arbeitsgemeinschaft sozialdemokratischer Juristinnen und Juristen (ASJ) hervor. Sie ist das Bindeglied der SPD zu allen rechtspolitisch interessierten und engagierten Menschen, die der Sozialdemokratie nahe stehen. Dabei steht die Mitarbeit in der ASJ nicht nur SPD-Mitgliedern offen. Unter den Reformen, an denen die Arbeitsgemeinschaft seit ihrer Entstehung mitgewirkt hat, war die Große Strafrechtsreform von 1969. Seither stehen nur noch Taten unter Strafe, bei denen ein Rechtsgut verletzt wird. „Moralische Vergehen“ wie etwa Ehebruch oder Kuppelei werden erst seit dieser Reform nicht mehr geahndet. Zu den namhaften SPD-Politikern, die sich in der ASJ engagierten oder noch engagieren, zählen unter anderem die ehemaligen Bundesjustizminister HansJochen Vogel und Herta Däubler-Gmelin. Vor allem Solidarität gilt der ASJ als Leitlinie. Anke Pörksen, die Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft: „Wir streben eine solidarische Bürgergesellschaft an, in der die Menschen füreinander einstehen und respektvoll miteinander umgehen.“ Ziel der Arbeitsgemeinschaft ist die Verteidigung und Ausweitung der Grund- und Freiheitsrechte aller Bürgerinnen und Bürger, insbesondere gegen-

Rede des Kanzlerkandidaten Wahl des Kanzlerkandidaten Antragsberatung Rede des Parteivorsitzenden Ende:

ca. 16:00 Uhr

arbeitsgemeinschaften in der spd

Folge 7

Das Recht soll klug sein und modern ASJ Das juristische Hirn der Sozialdemokratie über willkürlichen Eingriffen von Staat und Wirtschaft. „Die ASJ steht für eine kluge und besonnene, gleichzeitig aber auch moderne Rechtspolitik“, erklärt Anke Pörksen. Deshalb reichten die Themen der ASJ-Bundeskonferenz im September 2012 auch vom Maßregelvollzug über Arbeitneh-

merdatenschutz bis hin zu Möglichkeiten der Liquid Democracy. Bei der Konferenz im Willy-BrandtHaus Berlin betonte Anke Pörksen, welch wichtige Rolle die ASJ auch in Zukunft für die SPD spielen müsse: „Dieses Land braucht einen Wandel – auch und gerade in der Rechtspolitik!“. n AK

Arbeitsgemeinschaft offiziell seit 1954 Mitglieder zirka 9000 Bundesvorstand Bundesvorsitzende Anke Pörksen (Hamburg) Stellvertreter Harald Baumann-Hasske (Sachsen), Roy Hardin (Nordrhein-Westfalen) Kontakt asj.spd.de

Auf dem Bundeskongress am 15. September 2012 in den Vorstand gewählt (v.l.): Roy Hardin, Karin Schimmels, Anke Pörksen, Harald Baumann-Hasske, Thorsten Jobs und Fabian Hoffmann

Fotos: horst jürgen schunk, xxxxxxxxx, ASJ

25-jährige Tobias Ehrlicher (Foto) aus dem oberfränkischen Bad Rodach neuer Rekordhalter. Unterdessen sammelt ihr Titelvorgänger Michael Adam, der mit nur 23 Jahren zum Bürgermeister des niederbayrischen Bodenmais wurde, weitere Rekorde. Der heute 27-Jährige ist jüngster Landrat und seit Juli jüngster Altbürgermeister der Welt. n MS

Seitdem Reinhold Hemker (SPD) nicht mehr im Bundestag sitzt, praktiziert der 67-Jährige Politik ganz anderer Art: nämlich singend. Unter seiner Leitung touren seit einigen Monaten die „UHUS“, die „Unter 100-Jährige singen“, durch NRW. Zu ihrem Repertoire zählen neben Arbeiterliedern aus dem vorwärts-Liederbuch auch Songs der amerikanischen Bürgerrechtsbewegung. n MS

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Vorwärts/10.2012

Name, Vorname


32 Meinung

vorwärts 10/2012

Zwischenruf

Leserbriefe Ein kleiner Schnitt

Hört auf uns! Bernhard Rapkay Ein Teil der SPD – vorneweg die Parteiführung – scheint zu vergessen: Die einzig legitimierten Akteure der EU-Gesetzgebung sind wir Europaabgeordneten

W

ir reden zurzeit viel über Europa, mehr als jemals zuvor. Wir haben allen Grund dazu. Seit Beginn der Finanzkrise erleben wir turbulente Zeiten. Wir erleben, wie auf die Pleite von Staaten gewettet wird, wir erleben, wie Staaten in größte Not geraten, weil sie sich am Markt kein Geld mehr beschaffen können, wie in Spanien und Griechenland die mittlerweile höchste Arbeitslosenquote der Welt besteht. Und wir erleben politisch Handelnde, die zögern, abwarten. Die Märkte sind der Politik immer einen Schritt voraus. Wir Sozialdemokraten haben erkannt, dass die Politik den Märkten Grenzen setzen muss und nicht umgekehrt. Dass wir die Finanzmärkte nicht wie in der Vergangenheit weitgehend unreguliert sich selbst überlassen können. Da sind wir uns einig. Auch darüber, dass ein großer Teil der derzeitigen Kriseninterventionen undemokratisch von den Staats- und Regierungschefs beschlossen wird, in der Sache oft nicht gut gemacht. Kein Wunder, die Mehrheit der Staats- und Regierungschefs ist zurzeit konservativ-liberal. Da kann man keine sozialdemokratischen Lösungen erwarten. Wo wir uns aber weniger einig zu sein scheinen, ist die Frage, wo eigentlich Maßnahmen zur Errei­ chung dieser Ziele beschlossen werden. Ein Teil unserer Partei, vorneweg die Parteiführung, scheint zuweilen zu vergessen, dass die einzig relevanten demokratisch legitimierten Akteure unserer Partei, die in der diesbezüglichen europäischen Gesetzgebung mitentscheiden, die Abgeordneten des Europäischen Parlaments sind. Dies gilt für die Finanzmarktaufsicht, die Regulierung von Rating-

agenturen, Hedge Fonds und Private Equity, die Eigenkapitalhinterlegung sowie die Einlagensicherung. Das sind nur wenige Beispiele und nur aus der Finanzmarktregulierung! Das wird alles nicht in Kommunen, Landeshauptstädten und nicht in Berlin entschieden. Wer aus den Reihen der SPD aber tatsächlich unmittelbar mitwirkt bei europäischen Gesetzen, die unverzichtbar wichtige Schritte in Richtung eines Europas mit reguliertem Markt und dem Primat der Politik (nicht des Marktes!) sind, das sind wir Europaparlamentarier! Was wir zurzeit erleben, ist nicht mehr nur eine Krise der Finanzen, der Wirtschaft, der Währung oder einzelner Staaten. Wir erleben eine Krise Europas. Da müssen wir gegenhalten! Wir Sozialdemokraten waren nie Anhänger nationaler Egoismen, wie wir sie jetzt gerade erleben. Ein entsolidarisiertes Europa war nie unser Europa. Deshalb, liebe Genossinnen und Genossen: Wir sind da! In Europa, für ein sozialdemokratisches Europa. Und wir Europaabgeordneten handeln dafür. Tragt das bitte weiter! n

Bernhard Rapkay ist stellvertretender Vorsitzender der Fraktion der Europäischen Sozialdemokraten im EU-Parlament

Mitreden & bloggen: vorwärts.de/Politik/Zwischenruf

Ici c‘est Togo Nico Schernbeck Mein Name ist Nico Schern­ beck, Mitglied der Jusos in der SPD seit dem Jahr 2008. Ich schreibe euch – meiner Familie, meinen Freunden und Genossen – um euch von meinem einjährigen Freiwilli­ gendienst als Assistenzlehrer in Togo zu berichten. Ich hoffe mein Blog vermag es, euch einen Einblick in meine Projektarbeit und mein Leben vor Ort zu geben. vorwärts.de/blogs

Blick nach Russland Peter H. Niederelz Auf dem Newski Prospekt, der Petersburger Pracht­ strasse, fahren Porsche und Ferrari auch nachts schnell und laut. Die zahlreiche Polizei hält überwiegend Kleinwagen an. Überall kann man von Korruption hören. Wer am meisten bezahlt, bekommt am meisten Recht. Die Stadt ist sauber. Müllabfuhr und Straßenrei­ nigung funktionieren besser als etwa in Wiesbaden. Die orthodoxe Kirche hat wieder viel Einfluss und prächtige Kirchenbauten. Der Glanz der früheren Zaren wird im Winterpalast an der Newa, in dem die Rubens-Originale in Dreierreihen an den Wänden hängen und noch mehr im Sommerpalast in Peterhof deutlich. So viel Gold sieht man selten. Trotzdem ist nicht erkennbar, dass das russische Volk den Weg zu­ rück in die Feudalzeit gehen will. In Russland galt bis 1861 die Leibeigenschaft. Nein, die Annäherung an die EU und die Stabilisierung demokrati­ scher Grundrechte, die in ihr selbstverständlich sind, ist ein guter Weg für Russland. vorwärts.de/blogs

09/2012

Befolgt man das Grundgesetz, so kann man nur zu dem Ergebnis kommen: Die Religion hat im Genitalbereich eines Kindes nichts zu suchen. ... Selbst Theodor Herzl ließ seinen Sohn nicht beschneiden.

Nikolaus Kollin, München

Seit tausenden von Jahren werden ­jüdische Knaben am 8. Lebenstag ­beschnitten, auch Jesus. ... Beschneidungen zu verbieten würde bedeuten, die jüdische Religion zu verbieten. Das kann doch kein aufgeklärter Mensch ... wollen. ... Als Christ muss ich die jüdische Religion weder verstehen, noch alle Verbote und Gebote gutheißen, aber tolerieren sollte ich sie. Lasst in Deutschland Juden endlich Juden sein. Hans Dötsch, Heinersreuth Dass den Kindern Schmerzen z­ ugefügt werden, was gesetzlich untersagt ist, steht außer Frage. Dass eine ­religiöse Tradition dieses Gesetz außer Kraft setzt, ist unakzeptabel.

Gerd Kallweit, per E-Mail

Jeder körperliche Eingriff ist grundsätzlich eine strafbare „Körperverletzung“. Ist dies etwa neu für Juden und Muslime? ... Wenn etwas schadet , dann die Argumentation, dass es sich um eine antisemitische Aktivität handelt, wenn jetzt ein Gericht die Fakten zur Körperverletzung aufgezeigt hat.

Dieter Ehlermann, Linkenheim-Hochstetten

Demokratie in der Krise 09/2012

Hans-Ulrich Klose behauptet, es gäbe zwischen Europa und den USA ­„gemeinsame Grundhaltungen“, so zum Beispiel in Sachen Menschenrechte. ... Am 6. August ist in Texas ein Mann hingerichtet worden, der ... geistig behindert war. ... Der Fall zeigt einmal mehr, wie es um die ­Menschenrechte und -würde in den USA ... bestellt ist.

Uwe Tünnermann, Lemgo

Dem Tenor der Kritik von Renan ­Demirkan kann ich voll zustimmen. Mir fehlt allerdings ein Hinweis auf die große Mitverantwortung der SPD. Sie war von 1998–2009 Regierungspartei und stellte bis 2005 mit Gerhard Schröder gar den Kanzler.

Ulrich Bald, Hagen

Foto: Europäisches Parlament

Gut ­gebloggt


Meinung 33

10/2012 vorwärts

100 Jahre SPD

Wir sind ganz Ohr

Abgezockt!

09/2012

09/2012

Die SPD-Führung schließt also eine ­d irekte Wahl des Kanzlerkandidaten aus. Angesichts der übrigen Beiträge dieser Ausgabe, die den SPD-Mitgliedern vorgaukeln, dass die SPD sich basis­ demokratisch ausrichten möchte, kommt mir die Absage an die Urwahl sehr unaufrichtig vor.

Das ist doch ein großes Wahlkampf­ thema!!! Es geht uns alle an, als Sparer und normale Bürger. Es würde den ramponierten Ruf, die Partei der Arbeiter und Angestellten ... zu sein, sicher etwas aufpolieren – was dringend nötig ist.

Global gedacht

Dr. Bärbel Roozitalab, Heidelberg

Die Regierung will uns weismachen, daß mit Milliarden-Rettungspaketen den kleinen Leuten ... geholfen wird. Man belügt die Bevölkerung. Die M ­ illiarden bekommen ausschließlich die Banken für ihre nächste Zockerrunde. Veit Obersteller, per E-Mail

I. Jortzik, per E-Mail

w ei t e

09/2012

Leider mangelt es an Unterstützung Israels auch in Deutschland, wo viele Medien ... Kritik an Israel üben, dem einzigen demokratischen Land im ­Nahen Osten, das unter ständiger ­Bedrohung durch seine Nachbarn lebt.

Auf 40 Jahre Mitgliedschaft bei den Sozialdemokraten kann der Paderborner Frak­tionsvorsitzende Bernd ­Schäfer bereits zurückblicken. Doch viel stolzer ist der Ostwestfale auf die Mitgliedsjahre, die er gemeinsam mit seiner Familie aufbringt: 100 Jahre sind die vier SPD-Mitglieder seiner Familie in der Partei und zeigen sich dabei höchst ­engagiert. So ist seine Frau Marlies seit 26 Jahren Genossin und genauso lange im Vorstand des Ortsvereins ihres Wohnorts Hövelhof. Ihr Sohn Mario Schäfer, seit 22 Jahren Mitglied, ist sowohl Vorsitzender des Ortsvereins Hövelhof als auch Fraktionsvorsitzender im selbigen Ort. Und auch Marios Frau Sonja ist bereits seit elf Jahren dabei und die helfende Hand des Ortsvereins. Wir gratulieren zum Jubiläum! n MS

r l e se

r vor wä

ts.de

rnet im Inte

Horst Hagenlocher, Eutingen

vorwärts Galerie Zeitgenössische Kunst Lithografien von Katharina Ulke für vorwärts-Leser Flow, 2011 Farblithografie

Blatt II, aus der Mappe „Flow“, 2012 Farblithografie

Karikatur: Burkhard Mohr

Maße: 60,0 x 40,0 cm (Höhe x Breite) Papier: Magnani Litho 310 Gramm Drucker: Joe Holzner, Gesa Puell signiert und nummeriert Preis: 340,00 Euro (inkl. 7 % MwSt.) verfügbare Nummern: 2-10/10

Maße: 33,5 x 24,5 (Höhe x Breite) Papier: Magnani Litho 310 Gramm Drucker: Joe Holzner, Gesa Puell signiert und nummeriert Preis: 240,00 Euro (inkl. 7 % MwSt.) verfügbare Nummern: 7-18/18

Ja, ich kaufe E xemplare der Farblithografie Flow, 2011 à 340,00 Euro (inkl. Mehrwertsteuer)

E xemplare der Farblithografie Blatt II à 240,00 Euro (inkl. Mehrwertsteuer)

Name

PLZ, Ort

Straße

Datum, Unterschrift

n

planparallel, Bahnhofstraße 20, 83236 Übersee/Chiemsee, Telefon 08642/2447033, E-Mail: info@planparallel.de

Medienzirkus Von Gitta List Wo steht derzeit nichts von, über oder gegen Bettina Wulff? Mal überlegen... in der „Apotheken-Rundschau“ vielleicht? Alle anderen Publikationen scheinen von einem Virus infiziert. Delikat: Als Ansteckungsherd fungierte „Deutschlands größte Qualitätstageszeitung”, die „Süddeutsche“, die auf ihrer prominenten Seite 3 die „Geschichte einer Verleumdung” präsentierte. Das musste den Riva Verlag in hellen Rubeljubel versetzen. Dort nämlich erschien, welch Zufall, just darauf das Buch, in dem Bettina Wulff in Co-Produktion mit der Journalistin ihres Vertrauens davon erzählt, wie schwer sie es als Bundespräsidentengattin hatte. Was wir ihr gern glauben wollen. Während der 19 Monate als First Lady hat sie gewiss eine Menge durchgemacht, auf das sie wohl gar nicht vorbereitet war. Verleumdung ist die klassisch-feige Form der Intrige. Einer Frau ‚zweifelhaftes Vorleben’ zu unterstellen, sagt zudem viel über das frauenfeindliche Spießertum aus, das sich da böswillig betätigte – der „Süddeutschen“ zufolge in Niedersachsens CDU. Und assistiert von lästigen Google-Algorithmen, die der verstockte Konzern nicht korrigieren mag. Na, zur Strafe kriegt Google jetzt eine Partnerschaft mit der Deutschen Bahn. Ohne Frage steht es Frau Wulff zu, gegen üble Nachrede und Google vorzugehen. Allerdings: Das Hinterzimmergeraune war nie ein Schlagzeilen-Thema, noch nicht einmal für „Bild“. Paradoxerweise ist es jetzt eines – mit der bemerkenswerten Konsequenz: Ein belangloses Buch über Ehezwist, Hautirritationen und anderen freiwillig preisgegebenen Intimtratsch, das außer der Autorin und dem Verlag (sowie „Bunte“, „Gala“, „Stern“, „Brigitte“, nur ganz wenigen Medien gewährte sie ja ‚Exclusiv-Interviews’) kein Mensch braucht, gelangt binnen weniger Tage auf die Bestsellerliste. Ach, die Presse ist oft so böse. Sie kann aber auch Nützliches bewirken, wenn sie nur will! Wir sehen uns in der Apotheke, gell. n


34 Wirtschaft

1 Versicherungsnummer Mit Eintritt ins Berufsleben wird die Rentenversicherungsnummer verge­ ben. Sie gilt ein Leben lang. Die erste Ziffer steht für die Region, etwa 11 für Westfalen. Es folgen das Geburts­ datum, der Anfangsbuchstabe des Geburtsnamens, die Seriennummer für das Geschlecht (unter 50 sind Männer) und eine Prüfziffer. 2 Regelaltersrente Benennt die reguläre volle Rente, die Menschen erhalten, wenn sie bis zur Regelaltersgrenze (siehe 3) arbeiten, also weder früher aufhören noch un­ ter Sonderregelungen wie für Schwer­ behinderte oder Bergleute fallen.

vorwärts 10/2012

Zahlenspielerei? Altersvorsorge Wer in die Rentenkasse einzahlt, erhält jährlich eine persönliche »Renteninformation«. Aber was besagt das Papier eigentlich?

1

3 Regelaltersgrenze Bis zu diesem Alter muss man arbei­ ten, um die „volle“ Rente zu erhalten. Bis 1951 musste bis 70 Jahre gearbei­ tet werden, danach bis 65 Jahre. Jetzt wird diese Grenze schrittweise wieder angehoben: auf 67 Jahre. 4 Erwerbsminderung Wer wegen Krankheit oder Behinde­ rung dauerhaft nur eingeschränkt arbeiten kann, gilt als erwerbsgemin­ dert und erhält dafür Geld aus der Rentenkasse. Die volle Rente wegen Erwerbsminderung gibt es nur für Menschen, die weniger als drei Stun­ den täglich arbeiten können.

2 3

5 Rentenanwartschaft

So viel Geld bekäme der Angeschrie­ bene, wenn er sofort aufhören würde zu arbeiten. Realistisch ist diese Zahl nur für Menschen, die etwa wegen eines Lottogewinns noch im erwerbs­ fähigen Alter aus eigenem Antrieb mit dem Geld verdienen aufhören.

4

5 6

6 Renten-Prognose

Diese Zahl dient schon eher als Anhaltspunkt, wie hoch die Rente sein könnte. Sie basiert auf dem durchschnittlichen Verdienst und ist insoweit theoretisch, dass keine Ren­ tenanpassung berücksichtigt wurde. 7 Rentenanpassung Jeden 1. Juli wird die Höhe der Rente angepasst. Der Gesetzgeber möchte damit Veränderungen bei den Löhnen und Gehältern weitergeben. Die Anpassung erfolgt nach komplexen Rechenmodellen. Für die Rentenin­ formation werden beispielhaft zwei durchschnittliche Anpassungssätze genannt, von 1 und 2 Prozent. Die Zahlen dienen also eher als Spanne, innerhalb derer sich vermutlich die Rente bewegen wird. 8 Vorsorge Dieser Aspekt ist einer der Haupt­ gründe, weshalb die Renteninforma­ tion seit 2002 verschickt wird. Damals wurde klar, dass wegen der steigenden Zahl von Rentnern die private Vorsor­ ge in Zukunft die staatliche ergänzen muss. Die Renteninformation soll Beitragszahlern einen Anhaltspunkt dafür liefern, ob sie ihre staatliche mit einer privaten Altersvorsorge auf­ stocken sollten. n YH

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Wirtschaft 35

10/2012 vorwärts

meine Arbeit

Hilfe für Jugendliche »Auf meiner Karte steht:

Streetwork – respektvoll und vertraulich. Das ­versuche ich zu leben.

Foto: Maicke MAckerodt

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«

ir Streetworker helfen, Probleme zu lösen. Bei Konflikten sind wir diejenigen, die auf die Jugendlichen zugehen, mit ihnen Streetworker reden. Dreimal in der Woche fangen meiSebastian Schwalm ne Kollegin und ich erst mittags an, weil 29 Jahre, lebt in Köln die Jugend­lichen frühestens nachmittags Ausbildung Diplom-Sozialpädagoge draußen sind. Wir sind grundsätzlich als Status angestellt Zweier-Team unterwegs, damit wir uns gegenseitig unterstützen können. Zuerst Gehalt 2400 Euro brutto/Tarifvertrag f. d. Öffentlichen Dienst prüfe ich, ob die Bezirksjugendpflege KonArbeitszeit 35,25 Wochenstunden flikte gemeldet hat. Wenn sich beispielsweise Nachbarn wegen alkoholisierter Straßenbahnhaltestellen, Bolzinsgesamt 100 Jugendliche, jeJugendlicher beschwert haben. Daran plätze. weils in unterschiedlich großen orientieren wir die weitere Planung. Die Mein Vorteil: Ich will die Ju­Gruppen, bei denen wir regelanderen beiden Tage schreiben wir im gendlichen nicht von dort vermäßig vorbeischauen. Meist Büro von 8 bis 17 Uhr unsere Protokolle. treiben. Stattdessen biete ich fahren wir mit der Bahn, im Wir betreuen in Köln zu zweit die – unverbindlich und kostenlos Sommer nehmen wir das Klappkomplette rechte Rheinseite, ein re– Hilfe an. So ergibt sich immer rad. Inzwischen kenne ich alle lativ weitläufiges Gebiet. Das sind Gespräch. Und dann wissen Treffpunkte: Kinderspielplätze, CSR_Bildung_dt_225x152_vorwaerts.qxd:225x152 31.08.2011 16:03 Uhr ein Seite 1

die Jugendlichen, sie können sich bei mir melden: Wenn sie Ärger mit der Polizei haben. Stress mit den Eltern. Drogenprobleme. Oder ich spreche das Müllproblem an, wenn jeden Abend leere Flaschen liegen bleiben. Wenn ich gehe, lasse ich meine Kontaktkarte da. Da steht die Handynummer drauf und: „Streetwork: respektvoll und vertraulich“. Genau das versuche ich zu leben. Mein Vater ist Sozialpädagoge, meine Tante auch. Das hat meine Berufswahl beeinflusst. Während des Studiums habe ich in der Bewährungshilfe mit Straftätern gearbeitet. Diese Erfahrung hilft mir, zumindest auf der rechtlichen Schiene. Meine Aufträge geben mir die Jugendlichen selbst. Oft geht es um Hilfe bei Bewerbungen. Oder einen Ort, wo sie sich in Ruhe auch bei Regen treffen können. Meine Kollegin und ich netzwerken mit Vereinen und Institutionen, kümmern uns um Mitternachts-Sportangebote oder Filmabende. Wir übernehmen eine wichtige Vermittlerposition. Ich finde es toll, an der frischen Luft so viele nette Jugendliche zu treffen. n Aufgezeichnet von Maicke Mackerodt vorwärts.de/Wirtschaft/Meine_Arbeit ANZEIGE

Bildung stärken

Talente fördern

Wie funktioniert der genetische Fingerabdruck? Wie wird aus flüssigem Kunststoff eine Sportbrille? Als „Forscher für einen Tag“ können interessierte Kinder und Jugendliche Antworten auf spannende Fragen selbst herausfinden: in den „Baylabs“, den Schülerlaboren von Bayer. Darüber hinaus unterstützt die Bayer Science & Education Foundation innovative Projekte für einen attraktiven naturwissenschaftlichen Unterricht. Dafür stellt die Stiftung Schulen im Einzugsgebiet jedes Jahr rund 500.000 Euro zur Verfügung. Seit Jahrzehnten ist Bayer zudem Partner des Schülerwettbewerbs „Jugend forscht“. So fördern wir die Talente von jungen Menschen. Für eine starke Bildung in Deutschland. www.bayer.de


36 Wirtschaft

vorwärts 10/2012

AWO vs. Lohndumping

Sozialer Beruf = niedriges Gehalt?

Die Kirchen blockieren Damit ein Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt werden kann, müssen die Arbeitgeber von mindestens 50 Prozent der Beschäftigten mitmachen. Hier kommen die Kirchen als größte Anbieter sozialer Leistungen ins Spiel. „Ohne die geht es nicht“, sagt Stadler. Da die Kirchen außerhalb der Tarifvertragsgesetzgebung stehen, will Stadler sie mit einer Änderung im Tarifvertragsgesetz einbeziehen. Das lehnt die Gewerkschaft ver.di ab. Sie fürchtet, eine Veränderung der Tarifvertragsgesetzgebung würde den Sonderweg der Kirchen zementieren. Vor Gericht kämpft ver. di für das Streikrecht von kirchlichen Mitarbeitern. ­Ellen Paschke vom ver.di-­ Bundesvorstand: „Den Sozialtarifvertrag wird es nur geben, wenn wir das Streikrecht bei den Kirchen erkämpft haben.“ Das kann dauern. Am 20. November entscheidet das Bundesarbeitsgericht in Erfurt. Aber egal wie das Urteil ausgeht, beide Seiten haben angekündigt, dass sie in die Revision gehen wollen. n SUS

Grund zur Freude: Eröffnung der Siemens-Betriebs-Kita in Mülheim an der Ruhr.

Mit Anti-Herdprämie Beruf und Familie Um seine weiblichen Fachkräfte nach der Elternzeit nicht zu verlieren, baut Siemens eigene Kitas und zahlt Zuschüsse für Krippenplätze Von Maicke Mackerodt Firmenporträt Siemens AG

Gut Gemacht

Geschäftsfeld Elektronik und Elektrotechnik Firmensitz Doppelstandort in München (Konzernzentrale) und Berlin Gegründet 1847 Beschäftigte 116 000 in Deutschland 360 000 weltweit Produktpalette Große Bandbreite von Antriebstechnik bis Gesundheitswesen; u.a. Fernzüge für die DB, Computertomographen für Kliniken , Turbinen und Generatoren für Kraftwerke Betreuungsplätze für Kinder von SiemensBeschäftigen: derzeit 900 an 19 Standorten Weitere Porträts der Serie: vorwärts.de/Wirtschaft/ Gut_gemacht

Arbeiten unter Kostendruck: Seit Jahren sinken die Löhne im Sozialbereich.

B

eruf und Familie sind unvereinbar, glauben laut aktueller Studien 83 Prozent der Eltern. Außerdem gilt in Branchen mit hohem Männeranteil Familienfreundlichkeit als überflüssig. Das ändert sich allmählich. Einer der Vorreiter ist der Technikkonzern Siemens: Mit seinem Zuschuss für externe Kinderbetreuung und mit eigenen Kindergärten übernimmt das Unternehmen eine Vorreiterrolle. Aktuell hat Siemens 900 Betreuungsplätze an 19 Standorten. Bis 2015 soll bundesweit sogar auf 2000 Kitaplätze aufgestockt werden. Derzeit ist nur ein Fünftel der Siemens-Belegschaft weiblich. „Bei den weiblichen Führungskräften unter dreißig haben wir 30 Prozent Frauenanteil, dann verlieren wir die Frauen“, weiß Brigitte Ederer. Als Personalvorstand setzt sie darauf, nicht nur verstärkt Frauen für den Konzern zu gewinnen, sondern sie auch nach der Familiengründung zu halten. „Wenn wir attraktiv sein wollen, müssen wir Eltern mit Krippenkindern etwas bieten.“ Deshalb bekommen auch Führungskräfte bei Siemens auf Wunsch Teilzeitverträge. Ein richtiger Volltreffer ist die „AntiHerdprämie“. 100 Euro Kinderbetreuungszuschuss zahlt der Technologiekonzern seit 2011 monatlich, wenn Eltern – in der Regel Frauen – schnell an ihren Arbeitsplatz zurückkehren. Allein diese Familienförderung haben schon 6000 Mitarbeiter beantragt. „Wenn die Frauen zu lange wegbleiben, verlieren sie ihre Qualifikation und die Kontakte“, so Ederer. Für Kinder unter 14 Monaten zahlt Siemens bis zur Einschulung noch mal bis zu 500 Euro pro Monat für Betreuungskosten. Als die Betriebsratsvorsitzende Nadine Florian vor zehn Jahren ihrem Per-

sonalleiter empfahl, in Duisburg einen eigenen Werkskindergarten zu bauen, hieß es zunächst: „Brauchen wir nicht“. Das spornte die Bürokauffrau an, Überzeugungsarbeit zu leisten: „Gute Mitarbeiter aus dem bayerischen Raum in den als provinziell geltenden Ruhrpott zu locken war schwierig.“ Hauptargument der „überzeugten Ruhrgebietspflanze“ war somit die Personalgewinnung für Duisburg. Der Betriebskindergarten sollte den Standort attraktiver machen. Im bayerischen Raum unterhielt Siemens damals auch schon eigene Kindergärten. Die quirlige 36-Jährige suchte sich vor Ort Unterstützer: „Denn es war wichtig, die Betriebsleitung zu überzeugen“, so Florian. Immerhin kostet es gut eine Million Euro, einen eigenen Kindergarten inklusive laufender Kosten zu finanzieren. Florian war erfolgreich: „In Duisburg wurde 2009 der erste Kindergarten auf werkseigenem Gelände eröffnet“, erzählt Nadine Florian – und klingt stolz: Sie kehrte 2007, ein halbes Jahr nach der Geburt ihrer Tochter Soraya, ins Büro zurück: Anfangs arbeitete sie zwei bis vier Stunden Teilzeit, nahm an den Baubesprechungen teil, war auf dem Laufenden und konnte bei Soraya sein. Seit 2009 arbeitet Nadine Florian wieder voll und ihre Tochter ist in der Kita. Sie schwärmt: „Es gibt dort ein Kinderlabor mit durchsichtigen Abwasserrohren, häufige Ausflüge in den Wald, einen hohen Personalschlüssel und Notfallbetreuung für Kinder, die nicht in der Kita sind.“ Aktuell kümmern sich im Duisburger Siemens-Kindergarten neun Erzieherinnen um 52 Kinder. Weil die Nachfrage so groß ist, wurden zuletzt in Bocholt und Mülheim neue Kitas eröffnet, in Duisburg kam ein Erweiterungsbau für die dritte Gruppe dazu. n

Fotos: Siemens AG (2), imago/Sven Lambert

Was man fordert, muss man auch selbst praktizieren – keine Niedrigstlöhne, keine Leiharbeit, gute Arbeit eben. Deshalb will die AWO auf ihrer Bundeskonferenz im November Eckpunkte für ein wertegebundenes Unternehmen beschließen. Teil davon ist die Initiative für einen allgemeinverbindlichen Entgelttarifvertrag Soziales. „Es geht um alle Lohngruppen in der gesamten Branche, vom Kindergarten bis zur Altenpflege“, sagt der Vorstandsvorsitzende des AWO-Bundesverbandes Wolfgang Stadler. „Wir können im Kampf um die Arbeitskräfte für diese Branche nur glaubwürdig sein, wenn wir mit guten Arbeitsbedingungen und angemessenen Löhnen operieren.“ Zunehmender Kostendruck hatte seit Mitte der 90er Jahre dazu geführt, dass, wer im Geschäft bleiben wollte, die Löhne senken musste.


Verlags-S onder verö f fentlichung 10/2012

Foto: Rainer Weisflog

Wirtschaftsmotor Gesundheit Schwerpunkt Dentalbranche


Gesundheit

10-2012-Verlags-sonderveröffentlichung

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Wenn Frau Doktor die Zähne kontrolliert Die KZBV spricht vom »Jobmotor« innerhalb der Gesundheitswirtschaft: Tatsächlich beschäftigt die Dentalbranche mehr als 400 000 Menschen. Vor allem Frauen werden immer häufiger Zahnärztin.

Als typische Frauenberufe gelten etwa Friseurin, Erzieherin und Krankenschwester. Aber Zahnärztin? Diese Profession gehört inzwischen auch in die Reihe der „weiblichen“ Berufe, weiß Jürgen Fedderwitz, Vorstandsvorsitzender der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung (KZBV). Zwar sind die Männer noch in der Mehrheit, doch der Trend ist eindeutig. Während die Zahl der Zahnärzte von 40 400 im Jahr 2000 leicht zurückgegangen ist auf 39 900 haben die Zahnärztinnen kräftig zugelegt: 23 000 Frauen übten diesen Beruf 2000 aus, zehn Jahre später waren es schon 28 000. „Diese Entwicklung wird weitergehen“, ist Fedderwitz überzeugt. Denn Frauen beginnen nicht nur beson-

ders häufig ein Zahnmedizin-Studium – sie schließen es auch häufiger ab als Männer. Zum Anstieg weiblicher Medizinerinnen im Dentalsektor trägt auch eine Gesetzesänderung bei: Seit 2007 dürfen Zahnärzte auch als Angestellte in den Praxen von Kollegen arbeiten.

Praxiszwang schreckte Frauen ab

Mit Kopftuch im Behandlungsraum: Zahnarzthelferin Melek aus Berlin.

Zuvor gab es nur zwei Möglichkeiten für die Berufsausübung: in der Forschungsabteilung einer Uniklinik oder der eigenen Praxis. Die Selbstständigkeit bedeutet jedoch nicht nur hohe finanzielle Verpflichtungen sondern auch „hohe zeitliche Belastungen durch Verwaltungsaufwand und Personalführung“, weiß Fedderwitz.

Fotos: dpa/Jürgen Lösel, dpa/Arno Burgi

Frauen am Bohrer – keine Seltenheit, wie hier in einer Zahnarztpraxis im sächsischen Coswig bei Dresden.


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10-2012-Verlags-sonderveröffentlichung

Gesundheit cherten gehen mindestens einmal pro Jahr zur Kontrolle zum Zahnarzt. Und immer mehr gesetzlich Versicherte haben eine private Zusatzversicherung speziell für die Zähne. Alles Faktoren, die Zahnärzten – eben auch auf dem Land – regelmäßige Einnahmen bescheren.

Faktoren, die möglicherweise insbesondere junge Frauen zunächst abgeschreckt haben und bei einer Anstellung wegfallen. Immerhin ein Zehntel aller Zahnärzte arbeitet jetzt als abhängig Beschäftigte.

Foto: imago/Jochen Tack

Lieblingsberuf unter Migrantinnen Ein weiterer interessanter Faktor ist das Praxispersonal. Den früheren Beruf der Zahnarzthelferin gibt es nicht mehr. Heute wird unterschieden zwischen Zahnmedizinischen Fachangestellten, die den Arzt oder die Ärztin im Behandlungsraum unterstützen und Zahmedinzinischen Verwaltungsangestellten, die hauptsächlich am Empfang arbeiten. Beide Berufe werden traditionell fast ausschließlich von Frauen ausgübt. „Erste männliche Kollegen gibt es, sie sind aber noch die Ausnahme“, so der KZBV-Chef. Keine Ausnahme hingegen sind junge Auszubildende mit Migrationshintergrund. „Zahnärztliche Assistenzberufe gelten bei jungen Migrantinnen als Aufsteigerberuf und sind sehr beliebt“, sagt Fedderwitz.

In fast jedem Dorf ein Zahnarzt Immerhin 30 400 Azubis wurden 2010 in Zahnarztpraxen ausgebildet. Und zwar auf dem flachen Land ebenso wie in den

Jobmotor Dentalwirtschaft

Ballungsgebieten. Das ist nämlich ein gravierender Unterschied der Zahnmediziner zu Hausärzten: Versorgungsprobleme in strukturschwachen Gebieten kennt die Branche nicht. Während mancher Landbewohner kilometerweit fahren muss, um eine Grippe behandeln zu lassen, ist der nächste Zahnarzt in der Regel nicht weit. Das liegt vor allem an den Patienten: Die pflegen ihre Zähne sehr viel besser, als noch vor 20 Jahren. 70 Prozent der Versi-

Test im Kieferbewegungs­ simulator: In einem Essener Dentallabor wird Zahnersatz geprüft.

So ist in den vergangenen Jahren ein „engmaschiges Netz an Praxen im ganzen Land“ entstanden, wie Jürgen Fedderwitz betont: „In einer Gemeinde mit 5000 Einwohnern gibt es in der Regel zwei Zahnarztpraxen – das sind rund zehn Angestellte.“ Denn im Schnitt beschäftigt jede der 44 900 Zahnarztpraxen im Bundesgebiet fünf Mitarbeiter. Hinzu kommen Labortechniker, Apotheker und andere „Zulieferer“ von Zahnarztpraxen. „Die Zahmedizin ist ein Jobmotor innerhalb des Gesundheitswesens“, ist Fedderwitz überzeugt. Eine aktuelle Untersuchung des unabhängigen Wirtschaftsforschungsinstituts WiFor aus diesem Jahr prognostiziert weiter steigende Beschäftigungszahlen: Demnach arbeiteten im Jahr 2000 immerhin 363 000 Menschen in der Dentalwirtschaft, 2010 waren es 410 000 und im Jahr 2030 sollen es 486 000 sein. n YH ANZEIGE

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Gesundheit

10-2012-Verlags-sonderveröffentlichung

40

Wenn Kinder heute lachen, blitzt es weiß. Die Zähne sind gerade und gesund – viel häufiger jedenfalls als bei vorigen Generationen. 0,7 schlechte oder fehlende Zähne haben Zwölfjährige heute im Durchschnitt. Anfang der 80er Jahre sah es bei Kindern im gleichen Alter vergleichsweise katastophaler aus: Ganze sieben Zähne waren im Schnitt gefüllt, von Karies befallen oder fehlten ganz. Bleibende Zähne, wohlbemerkt.

Hin und her oder in Kreisen? Wie richtig geputzt wird, erfahren Kinder bei Aktionstagen in Schulen und Kitas.

Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr Immer mehr Kinder haben gesunde Zähne, Vorsorge ist Standard in Schule und Kita. Wichtig bleiben jedoch die Eltern als Vorbilder für gesunde Ernährung und Zahnpflege.

Der Vergleich zeigt, dass sich viel getan hat. „Die Zähne der Deutschen sind immer seltener von Karies befallen“, attestiert denn auch Dirk Kropp, Geschäftsführer der Initiative pro Dente. Denn der sogenannte Zahnstatus von Heranwachsenden gilt Experten als Indikator auch für den Zustand der Erwachsenenzähne. Wer als Kind gelernt hat, gesund zu essen, seine Zähne zu pflegen und regelmäßig zum Arzt zu gehen, behält dies in der Regel im Erwachsenenleben bei. Vorsorge sehen Experten denn auch nach wie vor als das wichtigste Mittel auf dem Weg zu einer flächendeckenden Zahngesundheit an. „Schulen und Kin-

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Kinderzähne als Indikator für Mundgesundheit insgesamt


10-2012-Verlags-sonderveröffentlichung

dergärten leisten auf diesem Gebiet auch sehr viel“, so Kropp.

Foto: picture alliance/Arco Images

Wenn Maskottchen Kroko in die Kita kommt Je nach Bundesland besucht das Zahnpflegekrokodil Kroko oder ein anderes Maskottchen die Schulen. Allerdings: „Schule kann im Höchstfall Korrekturen vornehmen“, meint Kropp. Wenn Kinder zu Hause nicht Grundlegendes über Ernährung und Zahnpflege vorgelebt bekommen, sei der Einfluss staatlicher Einrichtungen begrenzt. Die Erfahrung von Zahnärzten zeigt eine Häufung der Probleme: Wenn Karies und andere Krankheiten auftreten, dann auch gleich zuhauf. Es gibt also erfreulicherweise inzwischen sehr viele Kinder mit fast ausschließlich gesunden Zähnen. Und leider eine kleinere Gruppe mit überdurchschnittlich vielen fehlenden oder kaputten Zähnen. Diese Kinder kommen besonders häufig aus sogenannten bildungsfernen Milieus. Ein Problem für die Zahnexperten. Denn es zeigt sich, dass die Handhabe von Schule und anderen Einrichtungen eben Grenzen hat. Umso wichtiger ist es laut Kropp, da Einfluss zu nehmen, wo es möglich ist, etwa bei den Mittagessen in

Gesundheit

Ganztagsschulen. „Die Politik macht die Vorgaben, etwa, wieviel so ein Essen kosten darf und somit, wie hoch die Qualität ist", so Kropp. Stärke in Lebensmitteln beispielsweise sei ein Problem. Denn Gerichte mit mehr Stärke sind in der Regel billiger, für die Zähne aber schlechter. Für problematisch hält die Initiative pro Dente auch die Zunahme vom Zuckergehalt in Lebensmitteln und insbesondere in Kindergetränken. „Kindliche Zähne sind bei Limonaden, Eistees und Schokogetränken quasi einem Dauerangriff ausgesetzt“, so Kropp. Auch hier könnten Vorgaben des Verbaucherschutzes helfen.

Dirk Kropp. Ebenso wie der regelmäßige Besuch beim Zahnarzt. „Am besten die Kinder immer mitnehmen, wenn man selbst zur Vorsorge geht“, rät Kropp allen Eltern. Damit Ängste und Vorbehalte gar nicht erst entstehen können. n YH

Muss gebohrt werden? Kinderzähne sind heute viel, viel gesünder als vor 20 Jahren.

Kinder mit zum Zahnarzt nehmen Ein Großteil Vorsorge-Arbeit ist aber dennoch in den heimischen vier Wänden zu erledigen: Alle vier bis acht Wochen sollte die Zahnbürste gewechselt werden. Zähne putzen ist mindestens zwei, besser drei Mal täglich Pflicht, so die Mahnung von Zahnärzten. Und was viele nicht wissen: Eltern sollten möglichst lange nachputzen, durchaus bis die Kinder acht oder neun Jahre alt sind. „Zahnpflege sollte für jedes Kind ganz selbstverständlich sein“, fordert ANZEIGE

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Gesundheit

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Von Bio-Eiern bis Demenzbehandlung Als Wirtschaftsmotor statt als Kostenfaktor soll die Gesundheitsbranche gesehen werden, so das Credo des Volkswirtschaftlers Klaus-Dirk Henke von der TU Berlin.

Sitzen alle Kabel? Doreen Weißenborn überprüft, ob die Spritzgussmaschine richtig arbeitet. In der Produktionsstätte von Fresenius Kabi bei Eisenach entstehen Formen zur Herstellung von Medizintechnik.

Prof. Dr. Klaus-Dirk Henke lehrt Volkswirtschaft und Wirtschaftsrecht an der TU Berlin.

Herr Henke, welchen Stellenwert hat die Gesundheitswirtschaft heute? Volkswirtschaftlich gesehen – also was den Export, die Beschäftigung und die Wertschöpfung angeht – hat die Branche einen besonderen Stellenwert. Die Gesundheitswirtschaft trägt rund zehn Prozent zum Sozialprodukt, sieben Prozent zum Export bei, und jeder siebte Beschäftigte arbeitet heute im Gesundheitsbereich. Welche Branchen zählen sie dazu? Wir unterscheiden einen engeren und einen weiter gefassten Bereich: Zum Kernbereich gehören in erster Linie die erstattungsfähigen Leistungen, nämlich alles was Krankenkassen und Versicherungen bezahlen, private ebenso wie gesetzliche. Also von der Operation über die Reha bis zur Kinderbrille? Genau. Und der erweiterte Bereich? Der ist schon etwas schwieriger zu fassen und zu quantifizieren, weil es um die privaten Ausgaben geht, von Zusatzprodukten, die wir im Sanitätsfachhandel kaufen, Extra-Leistungen beim niedergelassenen Arzt, z.B. in der Krebsvorsorge oder bei der Zahnprophylaxe über privat bezahlte Produkte in der Apotheke, für Wellness und Fitness bis hin zu Bio-Lebensmitteln.

Wenn ich im Discounter Bio-Eier kaufe tue ich etwas für die Gesundheits­wirtschaft? Zum Teil ja! In einem Forschungsprojekt für das Bundesgesundheitsministerium hat eine Gruppe von Ökonomen, zu der ich auch gehöre, eine sehr lange Liste mit Leistungen erstellt, die wir dazuzählen, manchmal auch nur teilweise. Da gehören auch die Bio-Eier hin oder Joggingschuhe, die wir mit einem bestimmten Prozentsatz als gesundheitsrelevant eingestuft haben. Wozu dieser ganze Aufwand? Es ging darum, erstmals auszurechnen, welchen Beitrag zur Volkswirtschaft das Gesundheitswesen als Wirtschaftsbranche, auch im Vergleich zu anderen Sektoren, leistet. Den erhobenen Daten kommt im Rahmen einer Industriepolitik zunehmend Bedeutung zu. Wichtig sind sie auch, wenn Institutionen wie OECD, Weltbank oder Bundesbank die Leistungskraft einer Volkswirtschaft dokumentieren. Sie betonen gerne, dass die Gesundheitswirtschaft mehr Menschen beschäftigt als etwa die Automobilindustrie, dass das aber gesellschaftlich nicht wahr­ genommen wird. Fühlt sich die Branche vernachlässigt? Der Wandel zeigt sich an einem neuen Gesundheitsbewusstsein. Seit einiger Zeit wird im Zusammenhang mit dem

Gesundheitssektor von einem leistungsfähigen Wirtschaftszweig gesprochen. Bis Ende der 90er Jahre wurde der gesamte Bereich im Grunde nur als Kostenfaktor wahrgenommen und einzig die Frage diskutiert, wie man etwa die Lohnnebenkosten senken und wo man einsparen kann. Und das war falsch? Es war einseitig, man hat die positiven Wachstums- und Beschäftigungseffekte nicht gesehen. 1996/97 gab es erstmals ein Sondergutachten, das sich überhaupt mit dem Wachstum der Branche beschäftigt hat. Im Vordergrund standen Fallstudien zur forschenden Pharmaindustrie, die Medizintechnik und der Pflegebereich. Heute werden zu diesem Zweck Innovationsplattformen mit dem ForschungsWirtschafts- und Gesundheitsministerium abgehalten und Exportinitiativen ins Leben gerufen, um die Bedeutung der Gesundheitswirtschaft aufzuzeigen. Speziell in der Medizintechnik, also in der Herstellung etwa von Kern­ spintomographen, stehen deutsche Firmen an der Weltspitze. Ja, gemeinsam mit China ist Deutschland mit Abstand ganz vorne. Geräte made in Germany stehen in Krankenhäusern auf der ganzen Welt. Die Branche hat sich als konjunkturstabil und zukunftssicher erwiesen. Die Gesundheitswirtschaft ist einer der wenigen Bereiche, in denen die Beschäftigung während der Finanzkrise nicht gelitten hat. Wie sind die weiteren Aussichten? Die Prognosen für 2020 besagen, dass dann nicht mehr nur jeder siebte, sondern jeder fünfte Beschäftigte in Deutschland in der Gesundheitswirtschaft arbeiten wird. Was mir dabei wichtig ist: Das sind wichtige Arbeitsplätze mit verantwortungsvollen Tätigkeiten, etwa in der Kranken- und Altenpflege. Die müssten dringend stark aufgewertet werden, besser bezahlt, und zum Teil auch akademisiert werden. Im Rahmen der Tarifautonomie sind angesichts des zu erwartenden ­Arbeitskräftemangels im Pflegebereich deutlich höhere Löhne und Gehälter erforderlich. Sie plädieren dafür, Gesundheit als ­gesellschaftlichen Wert zu betrachten. Ich sehe das analog zur Bildung. Seit Pisa wird anerkannt, dass Bildung ein volkswirtschaftlicher Faktor ist. Das ist mit der Gesundheit nicht anders. Ein gesünderes Volk ist auch leistungsfähiger und produktiver. n

Fotos: dpa Picture-Alliance/Martin Schutt, privat

Interview: Yvonne Holl


Wir für Deutschland. Sanofi beschäftigt über 8.400 Mitarbeiter in Deutschland und indirekt weitere 21.000 Menschen. Zusammen erzielen wir 6.828.000.000 Euro an Produktionseffekten für die deutsche Volkswirtschaft. Wir zahlen direkt und indirekt 1.300.000.000 Euro Steuern und Sozialabgaben. Den Patienten in Deutschland stellen wir 282 verschreibungspflichtige Arzneimittel und freiverkäufliche Medizinprodukte zur Verfügung. 14 Prozent der gesamten pharmazeutischen Wertschöpfung in Deutschland werden von uns erbracht. 74 Prozent der Arzneimittel und Medizinprodukte, die wir in Deutschland fertigen, liefern wir in alle Welt. Anders ausgedrückt: Wir exportieren Arzneimittel im Wert von 3,8 Mrd. Euro pro Jahr in über 100 Länder weltweit. Damit das so bleibt, geben wir am Standort Deutschland 613.770.000 Euro für Forschung und Entwicklung aus. Gemeinsam arbeiten wir für bessere Therapien und neue Behandlungsmöglichkeiten.*

* Angaben für das Jahr 2010. Quelle: Studie „Wachstums- und beschäftigungspolitische Bedeutung von Sanofi-Aventis Deutschland GmbH für den deutschen Wirtschaftsstandort“ des Instituts WifOR und der TU Berlin, Oktober 2010.

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Gesundheit

10-2012-Verlags-sonderveröffentlichung

Steigende Ausgaben und mehr Jobs Der Gesundheitssektor gewinnt in Deutschland kontinuierlich an Gewicht und beflügelt den Arbeitsmarkt – belastet aber auch den Geldbeutel. Die Rechnung zahlt der Staat

An der 300 Milliarden Euro marke

Branche mit Gewicht

Private und staatliche Aufwendungen für Gesundheit im Vergleich

Ausgaben im Gesundheitssystem in Deutschland pro Kalenderjahr

Die 15 größten Arbeitgeber der Gesundheitsbranche im Jahr 2010

in Prozent

in Millionen Euro

Anzahl der Vollbeschäftigten

Großbritannien

15,9

1996

195 375

Fresenius

1997

196 360

Rhön-Klinikum

1998

201 730

Asklepios Kliniken

1999

207 258

Sana Kliniken

16 128

2000

212 838

Barmer Ersatzkasse

15 203

2001

220 786

Bayer Health Care

228 661

Charité-Universitätsmedizin Berlin

12 718

2003

234 486

DAK

12 400

2004

234 256

Roche

11 820

2005

240 360

Boehringer ­I ngelheim

10 800

2006

245 997

B. Braun

10 100

2007

254 230

Vivantes

10 078

Fielmann

10 000

84,1 17,7

Japan

82,3 22,1

Frankreich

77,9 23,1

Deutschland

76,9 24,9

Türkei

2002

75,1 26,4

Spanien

73,6 36,6

Russland

63,4 47,5 52,5

China

56,4

Brasilien

43,6

264 391

2008

69,7

Indien

30,3

287 293

2010

n Staatliche Ausgaben n Private Ausgaben Quelle: WHO 2009

Gute Zähne als Arbeitsauftrag

30 650 27 285

13 633

Siemens Medical Solutions Techniker ­K rankenkasse

278 405

2009

32 690

10 000 9 900

Quelle: Statistisches Bundesamt

Quelle: WHO

Gesundheitswesen mit stetigem Zuwachs an Arbeitsplätzen

Beschäftigte in Zahnarztpraxen, zahntechnischen Laboren und im Handel mit Dentalprodukten

Anzahl der Beschäftigten im Gesundheitswesen in Tausend 4 829

4 358

4 390

4 420

4 463

4 738

4 274

4 632

4 115

4 180

4 540

486

2030

2000

2001

2002

2003

2004

2005

2006

2007

2008

2009

2010

in Tausend 410 363

2000

2010

Quelle: IDZ/WifOR

Quelle: Statistisches Bundesamt

jeder Deutsche gibt kontinuierlich mehr für Gesundheit aus Entwicklung der Pro-Kopf-Ausgaben für Gesundheit in Deutschland in Euro 3 510 3 400 3 220 3 090

2 770

2 840

2 840

2003

2004

2 920

2 990

2 680

2 390

2 390

1996

1997

2 460

1998

2 530

1999

2 590

2000

2001

2002

2005

2006

2007

2008

2009

2010

Quelle: Statistisches Bundesamt

44


SPD Exklusiv Silvesterkreuzfahrt

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46 Sommerfest

vorwärts 10/2012

Was für eine Party! Mit 2000 Gästen aus Politik, Wirtschaft und Kultur feierte der »vorwärts« in Berlin sein traditionelles Sommerfest Von Anina Kühner

B

2| Gut gelaunt auf dem Sprung zur Macht: Stephan Weil, SPD-Spitzenkandidat in Niedersachsen. Die aktuellen Umfragen sehen eine klare Mehrheit für RotGrün im Landtag.

3

4

3| Astrid Klug, die frühere SPD-Bundesgeschäftsführerin, mit Sigmar Gabriel 4| Die Journalisten Peter Dausend und Susanne Höll mit Thüringens Wirtschaftsminister Matthias Machnig (r.)

5 5| Wolfgang Thierse (2.v.l.) mit Gesprächspartnern und der Berliner Actionband „Venusbrass“

6 6| Frank-Walter Steinmeier und Autorin Katja Eichinger 7| Michael Jansen, Leiter der Berliner Kon­zernrepräsentanz der Deutschen Post, mit NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft

7

Fotos: Dirk Bleicker (13), Bea Marquardt (3)

2

ei traumhaftem Wetter unterhielten sich am 10. September die Gäste auf dem vorwärts-Sommerfest glänzend. Als Herausgeberin des vorwärts begrüßte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles zahlreiche prominente Gäste, darunter den SPD-Parteivorsitzenden Sigmar Gabriel, den Vorsitzenden der SPD-Bundestagsfraktion Frank-Walter Steinmeier und den ehemaligen SPDBundesfinanzminister Peer Steinbrück. Insgesamt kamen rund zweitausend Besucher in die Berliner Kulturbrauerei. Das Besondere: Beim „vorwärts“-Fest mischen sich Jung und Alt, Politik, Kultur, Wirtschaft und Kreativszene. Andrea Nahles verwies auf das hundertfünfzigjährige Jubiläum, das die SPD im kommenden Jahr begeht und das der „vorwärts“ mit einem Sonderheft würdigen wird: „Tradition und Zukunft widersprechen sich nicht – im Gegenteil!“ Auch Stephan Weil, Spitzenkandidat der SPD für die Landtagswahl in Niedersachsen, stellte klar: „Die Sozialdemokratie ist ein Konzept für die Zukunft.“ „Seinem Namen entsprechend hat sich auch der ‚vorwärts‘ auf den Weg in die Zukunft gemacht“, erklärte vorwärts-Chefredakteur Uwe Knüpfer. Mit der Einführung der vorwärts-App kann die Zeitung von jetzt an auch mobil abgerufen werden. Natürlich sorgten nicht nur die Gäste für gute Unterhaltung, sondern auch das Angebot im Festhof der Berliner Kulturbrauerei. Die ActionBand „Venusbrass“ unterhielt den gesamten Abend über mit tanzbarer Musik. Wer wollte, konnte sich außerdem von Schnellzeichner Gero Hilliger porträtieren lassen oder in der Disco zu bunt gemischter Musik tanzen. n


Sommerfest 47

10/2012 vorwärts

8 8| Schauspieler-Agentin Jutta Schafmeister (l.) und die ­Schauspieler Heinrich Schafmeister und Manon Straché

9 9| Auch Barack Obama setzt auf „vorwärts (forward)“: Chefredakteur Uwe Knüpfer (l.) und Verlagsgeschäftsführer Guido Schmitz

10

11

10| SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles und Rainer Knauber von Vattenfall 11| Klaus Staeck (r.), Präsident der Akademie der Künste, und Schauspieler Günter Lamprecht

15

16

15| Kanu-Olympiasiegerin Katrin Wagner-Augustin 16| Publikumsmagnet: Die neue vorwärts-App wird ausgiebig getestet

SOMMERFEST-RÄTSEL 12

13

14

12| Gefragter Gesprächspartner für Parteifreunde und Presse: Peer Steinbrück 13| Machte Stimmung: die Frauenband „Venussbrass“ 14| Porträt vom Profi: Gero, Weltmeister im Schnellzeichnen, begeisterte die Gäste

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48 Historie

vorwärts 10/2012

vor 50 Jahren Die »Spiegel-Affäre« verändert die Bundesrepublik: Strauß tritt ab, Adenauers Tage sind gezählt und die Pressefreiheit triumphiert Von Klaus Wettig

E

s geschah am 26. Oktober 1961, um 21.30 Uhr, einem Freitagabend: Nach Redaktionsschluss der meisten Tageszeitungen und Nachrichtenschluss der beiden Fernsehsender – mehr gab es noch nicht – besetzte Polizei die Redaktion des „Spiegel“. Sperrte die Redaktion aus, beschlagnahmte Unterlagen und verhaftete Chefredakteur Rudolf Augstein sowie weitere Redakteure. In Spanien wurde mit Hilfe der Franco-Behörden der Redakteur Conrad Ahlers verhaftet. Die Nachrichten über Anlass und Umfang der Aktion blieben zunächst spärlich. Man sah im Fernsehen den damaligen Hamburger Innensenator Helmut Schmidt, dessen Polizisten Amtshilfe leisten mussten, mit skeptischer Miene. Die meisten Tageszeitungen blieben auf der Regierungslinie, dass der „Spiegel“ „Landesverrat“ begangen habe. Was wurde dem „Spiegel“ vorgeworfen? Am 8. Oktober war unter der Überschrift „Bedingt abwehrbereit“ ein

17seitiger Artikel erschienen, der den mangelhaften Zustand der Bundeswehr beschrieb. Das sah die Bundesregierung als „Landesverrat“ und setzte die Bundesanwaltschaft in Marsch.

Augstein auf dem Weg zurück ins Gefängnis: Zwei Polizeibeamte führen den Spiegel-Chefredakteur nach seiner erneuten Vernehmung am 8. Januar 1963 ab.

Im Schatten der Kuba-Krise Der Termin war geschickt gewählt. Man konnte hoffen, im Schatten der Kuba-Krise operieren zu können. Außerdem würde der Bundestag wegen des Feiertags am 1. November nicht tagen, also hatte man Zeit für das Schaffen von Fakten. Während die Medien zurückhaltend berichteten, geriet die Politik langsam in Bewegung, sodass am 8. November im Bundestag die Regierung gestellt wurde. Nach anfänglichem Zögern ging die SPDOpposition zum Angriff über, gefolgt von einigen, aber nur einigen (!) Abgeordneten der FDP. Der Bundestag erlebte turbulente Sitzungen, in denen von Stunde zu Stunde deutlicher wurde, dass die Bundesregierung illegal gehandelt hatte. In

Hier noch im Amt: Verteidigungsminister Franz-Josef Strauß im September 1960.

vorwärts-Impressum Die Zeitung der deutschen Sozialdemokratie gegründet 1876 von W. Hasenclever und W. Liebknecht Herausgeberin: Andrea Nahles Redaktionsadresse: Berliner vorwärts Verlagsgesellschaft mbH, Postfach 610322, 10925 Berlin; Tel. 030/25594-520, Fax 030/25594-390, E-Mail: redaktion@vorwaerts.de Chefredakteur: Uwe Knüpfer (V.i.S.d.P.) Redaktion: Lars Haferkamp (Textchef); Dagmar Günther (CvD); Hendrik Rauch (Bildred.); Kai Doering (Redaktion), Yvonne Holl (App); Vera Rosigkeit (Online); Dr. Susanne Dohrn, Birgit Güll und Werner Loewe (redaktionelle Mitarbeit); Carl-Friedrich Höck und Marisa Strobel (Volontäre) Fotografie: Dirk Bleicker Layout: Jana Schulze Korrespondenten: Jörg Hafkemeyer (Berlin), Renate Faerber-Husemann (Bonn), Lutz Hermann (Paris) Geschäftsführung: Guido Schmitz Anzeigen: Nicole Stelzner (Leitung strategische Unternehmensentwicklung und Verkauf); Nele Herrmann Valente, Manfred Köhn, Simone Roch, Carlo Schöll, Franck Wichmann und Ralph Zachrau (Verkauf) Gültige Anzeigenpreisliste: Nr. 35 vom 1.1.2012 Verlags-Sonderseiten: verantw. Guido Schmitz Vertrieb: Stefanie Martin, Tel. 030/25594-130, Fax 030/25594-199 Herstellung: metagate Berlin GmbH Druck: Frankenpost Verlag GmbH, Poststraße 9/11, 95028 Hof Abonnement: IPS Datenservice GmbH, Postfach 1331, 53335 ­Meckenheim; Tel. 02225/7085-366, Fax -399; bei Bestellung Inland: Jahresabopreis 22,– Euro; für Schüler/Studenten 18,– Euro; alle Preise inkl. Versandkosten und 7 Prozent MwSt.; Ausland: Jahresabopreis 22,– Euro zzgl. Versandkosten. Das Abo verlängert sich um ein Jahr, wenn nicht spätestens drei Monate vor Ablauf schriftlich gekündigt wird. Für SPD-Mitglieder ist der Bezugspreis im Mitgliedsbeitrag enthalten (bei Änderungen bitte an den SPD-UB wenden). Bankverbindung: SEB Berlin, BLZ 100 101 11, Konto-Nummer 174 813 69 00 Bei Nichterscheinen der Zeitung oder Nichtlieferung ohne Verschulden des Verlages im Falle höherer Gewalt besteht kein Anspruch auf Leistung, Schadensersatz oder Minderung des Bezugspreises. Für unverlangt eingesandte Manuskripte, Fotos und Zeichnungen wird keine Haftung übernommen.

Fotos: dpa Picture-Alliance / Harry Flesch, dpa Picture-Alliance / London Express

Wendepunkt der republik

ihrer wachsenden Bedrängnis bereicherte sie die politische Sprache mit seitdem vielverwandten Floskeln: „Ein Abgrund an Landesverrat“, „etwas außerhalb der Legalität“ und „Man kann nicht immer das Grundgesetz unter dem Arm tragen“. Für die SPD stritt besonders ihr stell­ vertretender Fraktionsvorsitzender Fritz Erler. Am Ende der Parlamentsgefechte, denen langsam die Öffentlichkeit folgte, war klar, dass die Regierungsparteien Konsequenzen ziehen mussten. Als erster Minister trat der FDP-Justizminister Stammberger zurück, der zuständig gewesen wäre, den aber der CDU/CSUTeil der Regierung getäuscht hatte. Am 19. November folgten ihm die restlichen FDP-Minister. Schließlich musste am 30. November auch der Veranlasser und Antreiber der Aktion, Verteidigungs­ minister Franz Josef Strauß, gehen. Adenauer musste eine neue Regierung bilden. Kurze Zeit deutete sich sogar eine Große Koalition an, doch zu Weihnachten saß die FDP wieder in der Regierung, freilich unter der Bedingung, dass die Kanzlerschaft Adenauers enden müsse. Strauß erlitt einen Karrierebruch, von dem er sich nicht erholte, die Kanzlerschaft blieb ihm versperrt. Die juristische Aufarbeitung der Aktion vollendete die Niederlage der Regierung. Gegen keinen der beschuldigten Journalisten wurde die Anklage vom Bundesgerichtshof angenommen. Das Bundesverfassungsgericht lehnte die Verfassungsbeschwerde des „Spiegel“ gegen die Bundesregierung ­wegen Verletzung der Pressefreiheit mit 4:4 Richterstimmen zwar ab, doch das ­Votum von vier Richtern war eine Ohrfeige für die Regierung. Trotz der Sperre der Redaktionsräume überlebte der „Spiegel“. Auch die Absicht der wirtschaftlichen Vernichtung scheiterte. Und die Affäre hatte die Zivilgesellschaft gegen die ­Regierung mobilisiert. Die Adenauer-­ Regierung sah sich plötzlich einem breiten Widerstand ausgesetzt. Es war die Furcht vor einem Abgleiten in einen autoritären Staat, die tausende mobili­ sierte. Für viele war die Spiegel-Affäre der Anstoß zu stärkerem politischen Engagement – nicht zuletzt in der SPD. n


Historie 49

10/2012 vorwärts

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Neue Serie

ls am Nachmittag des 9. Mai 1992 Klaus Lindenberg, der Büroleiter des Altkanzlers Willy Brandt, anruft und fragt, ob ich ein Interview „mit dem Chef“ machen wollte, sage sich sofort zu und gehe rüber in das Haus am Bonner Tulpenfeld, wo er sein Büro hatte. Es ist nicht das erste Mal. Seit sich im Herbst 1989 in der DDR etwas tat, hatte ich ein Dutzend mal diese Anrufe erhalten. Brandt hatte neue Energie verspürt, wollte alles tun, damit die SPD im einst „roten“ Sachsen wie in Ostdeutschland insgesamt, wieder zur stärksten Kraft würde. Wir wissen, dass es nicht so kam und die Brandt zujubelnden Massen auf den Plätzen von Eisenach, Gera oder Leipzig Trugbilder waren. Anders als Oskar Lafontaine war es Brandt eine Herzenssache, „dass wieder zusammenwächst, was zusammengehört“. Und anders als Hans-Jochen Vogel und die neu entstehende Sozialdemokratie im Osten wollte er, dass auch SEDMitglieder in die SPD aufgenommen werden sollten, wenn sie keine Schuld auf sich geladen hatten.

Folge 1 Am 18. Dezember 2013 würde Willy Brandt 100 Jahre alt, am 8. Oktober 2012 jährt sich sein Tod zum 20. Mal. Mit dieser Ausgabe startet der „vorwärts“ eine neue Serie. Ab jetzt und durch das Jahr 2013 publizieren wir Beiträge über Willy Brandt, geschrieben von Zeitzeugen.

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Illustration: Hendrik Jonas; Foto: action press

Der Krebs ist plötzlich wieder da Brandt wusste, dass er die Menschen im Osten am besten über die „Bild“Zeitung erreichen konnte. Das Massenblatt erlebte einen Boom, kaum dass die Grenzen offen waren. Ich wusste, dass Brandt, als am 9. Mai 1992 der Anruf kam, seit einem Jahr gegen den Darmkrebs kämpfte. Nach einer Operation in Köln hatte er sich kuriert gefühlt, Ostern 1992 aber spürte er, dass der Krebs wieder da war. Dennoch ahne ich nicht, dass es das letzte Interview sein würde, das Brandt nicht nur mir, sondern überhaupt geben würde. Es geht bei den Fragen nicht um ein „Vermächtnis“, sondern um Tagesfragen. Er warnt vor einem allzu harten Oppositionskurs, wie ihn Gerhard Schröder gefordert hatte. „Ich finde, man sollte gründlich prüfen, ob es die Möglichkeit gibt, einzelne Komplexe aus dem Wechselspiel Regierung-Opposition herauszunehmen und sie gemeinsam zu tragen, auch wenn die einen in der Regierung sind und die anderen nicht. “ Das Interview erscheint am 11. Mai, einen Tag später wird Brandt wieder in die Kölner Klinik gebracht. Er wird am 22. Mai noch einmal operiert. Die Ärzte brechen die Operation nach zehn Minuten ab, er wird nach Hause entlassen und tritt nicht mehr in der Öffentlichkeit auf. Ab Ende Juni empfängt er Freunde wie Helmut Schmidt, Johannes Rau, Egon Bahr, Hans Koschnick, HansJochen Vogel, Hans-Jürgen Wischnewski, Holger Börner, Björn Engholm, Hans Eichel und Rudolf Scharping. Auch

sein letzter Sommer Willy Brandt Der SPD-Ehrenvorsitzende gibt im Mai 1992 unserem Autor ein Interview. Was niemand ahnt: Es wird das letzte vor seinem Tod sein

Besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten will.

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Willy Brandt

Von Ulrich Rosenbaum ­Richard von Weizsäcker und Helmut Kohl kommen nach Unkel. Ein wenig kann Brandt den warmen Sommer am Rheinufer noch genießen, aber die Krankheit schreitet fort. Täglich liefert der Apotheker Schmerzmittel, wie die neugierigen Nachbarn feststellen. Ehefrau Brigitte sieht sich von Paparazzi umlagert. Andererseits zeigt das große öffentliche Interesse, wie populär Brandt ist.

Vogel ist der letzte Besucher Als Brandt am 8. September seine Teilnahme am Kongress der Sozialistischen Internationale (SI) in Berlin absagt, als deren Präsident er nach 16 Jahren ausscheidet, weiß jeder, wie es um ihn steht. HansJochen Vogel verliest am 15. September sein Grußwort mit dem testamentarischen Schlusssatz: „Nichts kommt von selbst. Und nur wenig ist von Dauer. Darum – besinnt Euch auf Eure Kraft und darauf, dass jede Zeit eigene Antworten

will und man auf ihrer Höhe zu sein hat, wenn Gutes bewirkt werden soll.“ Am 17. September besucht ihn Spaniens Ministerpräsident Felipe Gonzalez, am gleichen Tag Frankreichs ExMinisterpräsident Pierre Mauroys, sein Nachfolger im SI-Vorsitz. Sie trinken ein Glas Wein miteinander. Am 20. September fährt Michail Gorbatschow spontan nach Unkel. Er wird nicht mehr vorgelassen. Hans-Jochen Vogel ist am 24. September der letzte Besucher. Am 8. Oktober 1992 um 16.35 Uhr stirbt Willy Brandt im Alter von 78 Jahren in seinem Haus am Rhein. Am 17. Oktober wird er mit einem Staatsakt im Reichstag zu Berlin geehrt und anschließend auf dem Zehlendorfer Waldfriedhof im Kreis von Familienangehörigen und Freunden beigesetzt. n Der Journalist Ulrich Rosenbaum (geboren 1945) war 1992 Korrespondent der „Bild“Zeitung in Bonn.

Trauerstaatsakt im Reichstag für Willy Brandt am 17. Oktober 1992: Es spricht der damalige Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU).


50 Rätsel

vorwärts 10/2012

kreuzworträtsel Die Fragen und das Kreuzworträtsel darunter ergeben die Lösung.

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Wie seine Brüder... ging er andere Wege als sein Vater, der schon zu Lebzeiten einen festen Platz in der Geschichte der Bundesrepublik hatte. In seinem Beruf ist der Gesuchte seit Jahren sehr erfolgreich und wurde für seine Leistungen mehrfach ausgezeichnet. Sein Nachname? 1

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Möglicherweise... ist die Stadt eine der jüngsten Hauptstädte überhaupt. Im Zusammenhang mit dem Metier des Gesuchten wird sie neben Cannes und Venedig in einem Atemzug genannt und nimmt international eine kulturelle Spitzenstellung ein. 2

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Es gibt zwei Wege, das Preisrätsel zu lösen: Ratefüchse beantworten zuerst die beiden Fragen. Der erste und dritte Buchstabe des ersten Lösungswortes sowie der zweite und dritte Buchstabe des zweiten Lösungswortes ergeben in der richtigen Reihenfolge die Lösung. Es geht aber auch einfacher: Die grauen Felder im Kreuzwort­rätsel e ­ rgeben in der ­richtigen Reihenfolge das Lösungswort. Gesucht wird ein Tier, das im Wappen von zwei Hauptstädten zu sehen ist.

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Wer war’s?

1946 wird sie als erste Frau in den Westzonen Ministerin. Immer wieder erobert sie Männerdomänen in der Politik

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1951: Die Gesuchte, damals niedersächsische Landtagsabgeordnete, besucht zusammen mit dem stellv. SPD-Vorsitzenden Erich Ollenhauer Schöningen

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Von Lothar Lollähne

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WAAGERECHT 1 Brühe, Abgekochtes 3 erweitern, vergrößern 8 wüst, leer 9 gefrorenes Wasser 10 Heilverfahren; Heilurlaub 12 noch unverarbeitetes Naturerzeugnis 15 Feldertrag 17 jedoch, hingegen 18 ein Erdteil 20 sehr warm 22 Bindewort: mit der Folge 24 Gemeindevertreter

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26 akustisches Alarmgerät

SENKRECHT

1 japanischer Reiswein 27 trocken; mager 2 spitzer Pflanzenteil 29 Herrscherstuhl 3 veraltet: Absender 4 Prüfung der Augen30 Einfall, Gedanke schärfe 33 bayrisch, österrei5 Verhältniswort chisch: Alm 6 studentische Organisation (Abk.) 36 Plattfisch, Scholle 7 zarte, anmutige 38 griechische Göttin Märchengestalt der Morgenröte 11 Stimmzettelbehälter 39 Fluss in Russland 13 Gebäck, Unterlage 40 Bad an der Lahn für Konfekt 14 Haartracht 41 unsicher, schüchtern 16 Klavierteil; Druck42 englischer Artikel hebel

19 Himmelsrichtung 20 überstürzt, eilig 21 Staat in Nahost 23 Flaumfeder 25 Streckung, Verlängerung 28 Stadt in Nevada (USA) 31 Behälter mit Deckel 32 Sammlung altnordischer Dichtung 34 Brutstätte 35 Zitterpappel 37 Kassenzettel; Gutschein

Die richtige Lösung schicken Sie bitte bis zum 22. Oktober 2012 per Post an vorwärts, Postfach 610322, 10925 Berlin oder per E-Mail an raetsel@vorwaerts.de. Bitte Absender nicht vergessen und ausreichend frankieren! Unter den richtigen Einsendungen verlosen wir zehn Bücher.

ls sie 1959 ihr Amt als Oberbürgermeisterin antritt, bekommt sie eine Erblast aufgebürdet, die bundesweit Schlagzeilen macht. Der Abriss der Ruine des Residenzschlosses trägt ihr jede Menge Schmähungen ein, die sie jedoch mit bemerkenswerter Selbstsicherheit und viel Charme abprallen lässt. Selbsternannte „Heimatfreunde“ bezeichnen sie als „heimatfremde Kraft“, die alles „in Grund und Boden rammelt“. Das ist böswillig, denn sie steht wie keine andere Frau ihrer Epoche für den „Wiederaufbau“, geistig wie materiell. Sozialdemokratie lernt sie von Kindheit an. Geboren 1892 bei Bautzen, muss sie sich nach dem frühen Tod der Mutter um ihre vier kleineren Geschwister kümmern. Das prägt sie. Nach dem plötzlichen Tod ihres Mannes versorgt sie dessen drei Kinder aus erster Ehe. Sie wird Gewerbeaufsichtsbeamtin. Die Nazis entlassen sie im Juni 1933 und drangsalieren sie danach ohne Unterlass. Im August 1944 wird sie im KZ Ravensbrück inhaftiert, aus dem sie im April 1945 fliehen kann. Gleich nach der Rückkehr in die ­Löwenstadt wird sie wieder politisch aktiv. Im Mai 1946 ernennen sie die Briten als erste Frau in den Westzonen zur Ministerin. Nach ihrer Wahl in den Niedersächsischen Landtag überträgt ihr Hinrich Wilhelm Kopf das Amt der Flüchtlingskommissarin. 1949 gelingt ihr ein weiterer Einbruch in eine Männerdomäne: Sie wird zur 1. Vorsitzenden ihres SPD-Bezirks gewählt. Zeitzeugen beschreiben sie als fröhliche, aufgeweckte und stolze Frau, die sich öffentlich zu inszenieren weiß. 1964 tritt sie aus ­Altersgründen zurück. Die Ehrenbürgerin der Löwenstadt stirbt 1966. n Unter allen Einsendern verlosen wir eine vorwärts-Tasche. Bitte schicken Sie das Lösungswort mit dem Stichwort „Wer war’s“ bis 22. Oktober 2012 per Post oder per E-Mail an: redaktion@vorwaerts.de

Historisches Bilder-Rätsel Die Lösung des Bilder-Rätsels aus der vergangenen Ausgabe lautet: erich ollenhauer Die vorwärts-Tasche hat gewonnen: Lore Bredow, 63477 Maintal

Gewinner

Die Lösung des jüngsten Preisrätsels lautete: MAIN Gesucht wurden außerdem: schmidt und hanau Jeweils ein Buch gewannen: Katharina Müller, 35236 Breidenbach Christel Wunderlich, 99444 Blankenhain Frank Fehr, 44532 Lünen Josef Luzeckas, 76571 Gaggenau Annette Heuer, 32756 Detmold Angelika Weiß, 42499 Hückeswagen Cornelius Dietze, 01728 Bannewitz Christian Helmut Wetzel, 68199 Mannheim-Neckarau Christa Dröge, 26725 Emden Peter Schreiber, 99817 Eisenach

Foto: AdSD

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Das Allerletzte 51

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her mit dem schönen leben im Rentnerparadies Missfelder-Bonus Nicht das Renteneinstiegsalter, das Rentenausstiegsalter ist das Problem. Wo bleibt die Rente bis 78? Auch die FDP hat da ganz tolle Ideen Von Martin Kaysh

Illustration: christina Bretschneider

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ntalya. Problem gelöst. Feierabend. Was, noch Fragen? Naja, im Moment ist es doch so: Da man zwar Pflegekräfte importieren, aber aus ethischen oder praktischen Gründen deutsche Pflegefälle noch nicht exportieren kann, gibt es immer mehr Zuwanderung in die Sozialsysteme. Davon haben in der Vergangenheit einige Schwachmaten auch immer geredet, wenn sie mit unterschwelliger Ausländerfeindlichkeit Wahlen gewinnen wollten. Ich meine das anders. Frauen aus Osteuropa übernehmen hier Pflegeberufe. Mal arbeiten sie im Heim, mit modernem Beiwerk wie Lohnabrechnung und Urlaubsanspruch. Oft schuften sie aber in Privathaushalten, mit ein paar Euro bar auf die Hand und

Rund-um-die-Uhr Bereitschaft. Sie sind also eingewandert in soziale Systeme, die ohne sie längst zusammenbrechen würden. Wir wollen nicht schwarzmalen. Die Renten sind sicher, vom Prinzip her, irgendwie. Langsam kommt jetzt ­ die Rente mit 67, da muss man positiv denken. Zwei Jahre später in Rente, das heißt doch zwei Jahre später in die Altersarmut. Dabei ist das Problem gar nicht das Renteneintrittsalter, sondern das Rentenausstiegsalter, sagen Experten. Da ließe sich doch auch noch was reformieren. Wo bleibt als Alternative zur Rente mit 67 das Angebot für besonders Mutige, die Rente bis 78? Zu Bezügen, die dann deutlich über der Armutsgrenze liegen? Eigenverantwortung heißt das.

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Man muss positiv denken. Zwei Jahre später in Rente, das heißt doch zwei Jahre später in die Altersarmut. Martin Kaysh

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Martin Kaysh ist Kabarettist, Alternativkarnevalist („Geierabend“) und ­Blogger. Er lebt im Ruhrgebiet, freiwillig.

seit wärts Fütter die Sparkuh

Auf dem Tisch liegt dein Lohn, Def.

Cool! Danke!

Ein Teil davon geht direkt in meine Sparkuh!

von David Füleki

7 Jahre später ...

Für was sparst'n du?

Einfach nur für's Alter. Man soll da ja früh anfangen.

Bei Verzicht auf ein neues Hüftgelenk gibt es dann jenseits des 75. Geburtstages eine 13. Monatsrente, den so genannten Mißfelder-Bonus. Ich will da nicht weiterdenken, die jetzige Regierung muss einfach mal einen Liberalen wie Dirk Niebel zum Sozialminister machen, die haben da tolle Ideen aller Art. Wer alt und fit, aber nicht wohl­ habend ist, kann sich heute schon über die Runden retten, sozusagen die eigene soziale Frage exportieren. Wie das? All ­inclusive, also alles dabei, drei Mahlzeiten, Bettwäsche, fließend Wasser, kosten 28 Tage Antalya im Winter gerade mal 512 Euro. Da lässt sich was beiseitelegen für die harten Sommermonate, wenn die Hotelbaracken im Süden geräumt werden müssen für zahlungskräftigere Kunden. Wieder daheim, kann Rentner was nebenbei verdienen. Senioren-Hausgemeinschaften können sich reihum gegenseitig pflegen. Bomber und Paganini, der Blinde kümmert sich um den Lahmen und umgekehrt. Selbst bei Pflegestufe I bleiben da ein paar lumpige Euro kleben. n

JUHU! Mein Hiwi-Lohn wurde überwiesen!

Und ab mit den paar Öcken in die Sparkuh!

Machste immer noch den Sparkram? Verbrate doch mal was!

Da bleibt schon noch was über.

Echt jetz'? Biss'l spießig ... aber auch vorbildlich.

Noch mal 20 Jahre später ...

Dann woll'n wir mal die Tradition wahren. Guten Appetit, Sparkuh!

Weitere 30 Jahre später ...

Heute isses so weit, meine liebe Sparkuh ...

Heute genieße ich die Früchte des lebenslangen Sparens!

Einmal volltanken, bitte.

Die Umsätze waren dieses Jahr verdammt gut.

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