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Die Belastungsgrenzen der Erde

Hat etwa die Corona-Pandemie auch etwas mit Artensterben und Klimawandel zu tun? Klar, ich habe es vorhin ja schon angedeutet. Naturzerstörung erhöht grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch einer Pandemie. Weil Krankheitserreger eben auch Teil des Ökosystems Erde sind, reagieren auch sie auf Umweltveränderungen. Corona ist möglicherweise entstanden, weil auf einem Wet Market in China Tiere zusammengepfercht wurden, die da nicht hingehören und Arten in Kontakt miteinander kamen, die sich sonst nie begegnen. Und dann haben Überbevölkerung und Globalisierung die Ausbreitung der Krankheit auf schreckliche Weise begünstigt. Die übermäßige Jagd auf Wildtiere erhöht die Pandemiegefahr ebenso wie die Massentierhaltung. Überall dort, wo Erreger leicht von einem Körper auf den nächsten überspringen können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie früher oder später auch die Artengrenze überwinden. Millionen Menschen haben das bei Aids, Ebola oder eben Corona mit ihrem Leben bezahlt.

Was können und sollten wir gemeinsam tun, was wären die wichtigsten ersten Schritte in die richtige Richtung einer grünen Gesellschaft, um das Artensterben zu bremsen? Jeder und jede kann tun, was persönlich möglich ist. Ob das jetzt Fleischverzicht, Fahrradfahren oder Flugreisen-Diät bedeutet, kann ja jeder Mensch für sich entscheiden. Aber es kann eben jeder Mensch etwas tun. Natürlich hat ein Arbeitsloser weniger Veränderungsmacht als die Bundeskanzlerin, aber ganz machtlos ist eben niemand. Und dann brauchen wir neue Wachstumskriterien: Wachstum nur über das Bruttoinlandsprodukt, also über das Wachstum der Geldmenge, zu messen, ist ungefähr so intelligent, als würde man Gesundheit eines Menschen nur anhand seines Körpergewichts ermitteln wollen. Da ist immer mehr auch nicht immer besser. Es braucht viel mehr Kriterien, um den Zustand eines Organismus oder auch einer Gesellschaft überzeugend abzubilden. Gesundheit, Wohlbefinden, Effizienz, Ressourcenverbrauch und viele andere Kriterien kommen dafür in Frage. Der Staat Bhutan versucht, in einem Bruttonationalglück den Lebensstandard seiner Bürger und Bürgerinnen abzubilden. Da spielt die Frage, wie es ihnen geht, dann vielleicht eine größere Rolle, als die, wie viel sie verdienen. Für uns schwer vorstellbar, so ein Bruttonationalglück, aber die Idee geht in die richtige Richtung, finde ich. Wir müssen umdenken. Die Nachhaltigkeit immer zuerst denken, weil alles anders nachgeordnet ist, im Großen wie im Kleinen.

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Wie sehen Sie unsere Chancen auf Umkehr? Und mit welchen Ideen und Konzepten retten wir unser Zusammen? Dass wir es irgendwann schaffen, steht für mich außer Zweifel, weil wir ja gar keine andere Wahl haben. Die Frage ist nur, wann und wie schmerzhaft die ökologische Transformation sein wird. Jetzt reichen noch ein paar Pillen, in wenigen Jahrzehnten nur noch Totaloperationen. Das würde Flüchtlingswellen, Hungersnöte und Verteilungskriege bedeuten. Das kann niemand wollen. Aber zum Glück wissen wir ja, wie wir die Ökokalypse verhindern können. Wir müssen es nur noch machen.

Herr Steffens, vielen Dank für das Gespräch! D

„Terra X“Moderator Dirk Steffens und ZEIT-Redakteur Fritz Habekuß beschäftigen sich mit der Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden

Zusammen sind wir stark Das Konzert des Lebens

Man kann sich ein Ökosystem wie eine Opernaufführung vorstellen: ein Ensemble von Sängerinnen und Sängern auf einer eigens für solche Aufführungen gebauten Bühne, dazu ein Chor, im Graben mehr als achtzig Musikerinnen und Musiker, davor eine Dirigentin, dahinter ein aufwendiges Bühnenbild, es gibt maßgeschneiderte Kostüme und bergeweise Requisiten zu bestaunen – und das ist nur das, was die Zuschauer sehen. Im Hintergrund arbeiten Hunderte Malerinnen, Maskenbildner, Nicht abgebildet, weil Grenze noch nicht berechnet: Umweltbelastung durch Chemikalien und Radioaktivität, Schuhmacherinnen, Fundusverwalter, Konzentration von Aerosolen in der Atmosphäre Hutmacher, Kostümschneider, Pförtner, Souffleusen. Das Herzstück ist die Musik, geschrieben als komplexe Partitur über viele Seiten. Erst wenn alle zusammenarbeiten und sich alles zusammenfügt, entsteht eine Oper. Was aber passiert, wenn statt 32 Geigen im Orchestergraben nur 31 spielen? Wenn die Pauke ihren Einsatz verbummelt? Wenn nicht nur eine Geige ausfällt, sondern alle Streicher gleichzeitig? Wenn niemand dirigiert? Die Solisten nicht singen? Das Licht erlischt, die Kulissen zusammenfallen, das Orchester nur noch aus zwei Klarinetten besteht? Ab wann wird aus einer Oper Chaos? Schwer zu sagen. Dabei ist eine Opernaufführung im Vergleich zu einem Korallenriff, einem Hochmoor oder einem Mangrovenwald ungefähr so komplex wie ein 100-Teile-Puzzle im Vergleich zum Teilchenbeschleuniger des CERN, wo mehr als 12 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hand in Hand arbeiten müssen, um die Megamaschine mit ihren Millionen Bauteilen am Laufen zu halten. Wir wissen nicht, wie viele Bauteile wir aus der Maschine des irdischen Lebens entfernen können, bevor sie aufhört zu funktionieren. Wir wissen nicht, wo genau die Kipppunkte liegen, wie viele Arten noch aussterben können, bevor es auch für uns Menschen lebensgefährlich wird. D

Das Leben stirbt Das Leben stirbt Wie viele Arten bedroht sind – eine Auswahl Das Leben stirbt Wie viele Arten bedroht sind – eine AuswahlWie viele Arten bedroht sind –eine Auswahl

30 % Haie und Rochen

33 % Korallen

34 % Nadelbäume

19 % Reptilien

25 % Säugetiere

41 % Amphibien 14 % Vögel

Im Laufe der Evolution sterben die meisten Arten wieder aus. Die Aussterbe-Rate hat sich durch menschliches Handeln allerdings dramatisch erhöht: Spezies verschwinden heute 100 bis 1.000 mal schneller als in prähistorischen Zeiten. Diese Grafik zeigt, wie viel Prozent der jeweiligen Tier- und Pflanzengruppe aktuell bedroht sind. Die Belastungsgrenzen des Planeten Die Belastungsgrenzen des Planeten Die Belastungsgrenzen des Planeten Die Zahl der abgebildeten Symbole entspricht jeweils der Artenvielfalt: Von 607 Arten Nadelbäume bis 10.966 Arten Vögel. In welchen Bereichen wir das Erdsystem In welchen Bereichen wir das Erdsystem destabilisieren In welchen Bereichen wir das Erdsystem Nicht abgebildet, weil Grenze noch nicht berechnet: Umweltbelastung durch Chemikalien und Radioaktivität, destabilisierendestabilisieren

143_60131_01_Steffens_BT_cc20.indd 4 Artensterben

Ozonloch

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Ozeanversauerung 15.04.20 10:12 Sticksto Ph os ph or Sto kreisläufe gestö rt von ...

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e n b au ) Landnu tzung s ä n d e (etwa: Abho lzung , S t r a ß

Klima

sichere Zone innerhalb der Belastungsgrenzen: kein Risiko der Destabilisierung unsichere Zone: leichtes Risiko der Destabilisierung Gefahrenzone: sehr hohes Risiko der Destabilisierung Im Laufe der Evolution sterben die meisten Arten wieder aus. Die Aussterberate hat sich durch menschliches Handeln allerdings dramatisch erhöht: Spezies verschwinden heute hundert- bis tausendmal schneller als in prähistorischen Zeiten. Diese Grafik zeigt, wie viel Prozent der jeweiligen Tier- und Pflanzengruppen aktuell bedroht sind. Die Zahl der abgebildeten Symbole entspricht jeweils der Artenvielfalt: von 607 Nadelbaumarten bis 10 966 Arten von Vögeln.

Quelle: IPBES: The global assessment report on biodiversity and ecosystem services. Summary for policy makers, 2019. Bearbeitung: Anne Gerdes

Sind die planetaren Belastungsgrenzen überschritten, gerät das Erdsystem aus seinem Gleichgewichtszustand, der Leben für Menschen so komfortabel macht. Neun Grenzen sind identifiziert, sieben davon berechnet. Schon wenn nur eine Grenze in den Hochrisikobereich gerät, kann das Erdsystem beginnen zu kippen. Biodiversität und Klima sind unter den Grenzen des Gesamtsystems besonders wichtig, weil sie die Summe aller anderen sind.

Lauschen Sie dem Beat der Wissenschaft!

Im Podcast Beats & Bones öffnet das Museum für Naturkunde Berlin die Türen seiner Sammlung und Forschungslabore, die sonst verschlossen sind. Expert*innen sprechen – von der Biene bis zum Dinosaurier – über alles aus dem Reich der Natur.

Wer weiß schon, dass unsere frühesten Vorfahren 480 Millionen Jahre alte kieferlose Fische waren? Was ist die Achillesferse von Tyrannosaurus Rex? Im Podcast Beats & Bones, der im Rahmen einer Kooperation mit der Berliner Sparkasse entsteht, erhalten die Hörer*innen einen exklusiven Blick hinter die Kulissen. Sammlungssäle mit mehr als 30 Millionen Objekten, hochmoderne Forschungslabore: Natur-Expert*innen aus dem Museum beantworten Fragen zur Vielfalt der Natur, der Evolution, der Entstehung der Erde, zum Klimawandel und Insektensterben. Beats & Bones ergänzt dabei die gleichnamige Veranstaltungsserie des Museums, mit der wir im Januar ins Abschiedswochenende von T. Rex Tristan Otto starteten. 25.000 Menschen kamen innerhalb von drei Tagen, die Schlangen länger als am Berghain. Gäste tanzten zu Deep House unter Saurierskeletten, Beats verschmolzen mit Bones. Auf Facebook schrieb eine Besucherin: „Ihr bringt Wissenschaft, Jugend, Kultur und Kunst zusammen. […] Ihr geht neue Wege und habt Social Media und Berlin verstanden. Wir haben heute so viel Diversity, Sind die planetaren Belastungsgrenzen überschritten, gerät das Erdsys- Respekt und Toleranz auf einem Haufen Im Laufe der Evolution sterben die meisten Arten wieder aus. tem aus seinem Gleichgewichtszustand, der der Leben etwa für Menschen so komfortabel macht. Neun Grenzen sind identifiziert, sieben davon berechnet. Schon wenn nur eine Grenze in den Hochrisikobereich gerät, kann das Erdsystem beginnen, zu kippen. Biodiversität und Klima sind unter den Quelle: Steffen, Will et al.: Planetary boundaries: Guiding human development on a changing planet, in: Science, 13. Februar 2015, 347, 6223, S. 736; https://science.sciencemag.org/content/347/6223/1259855. Bearbeitung: Anne Gerdes Texte und Schaubilder sind dem Buch von Dirk Steffens und Fritz Habekuß Über Leben. unter eurem Dach erlebt, das war beispiellos. Es wurde getanzt, gelacht und vor allem gesprochen. Hut ab & bitte viel mehr davon.” Die Aussterbe-Rate hat sich durch menschliches Handeln allerdings dramatisch erhöht: Spezies verschwinden heute 100 bis 1.000 mal schneller als in prähistorischen Zeiten. Diese Grafik zeigt, wie viel Prozent der jeweiligen Tier- und Pflanzengruppe aktuell bedroht sind. Die Zahl der abgebildeten Symbole entspricht jeweils der Artenvielfalt: „ÜBER LEBEN“ ist 2020 im Penguin Verlag erschienen und kostet 20,– Euro. Grenzen besonders wichtig, weil sie die Summe alleranderen sind. Je weiter außerhalb der sichereren Zone, desto größer die WahrscheinlichZukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden, Penguin Verlag, entnommen. ISBN 978–Beats & Bones finden Sie auf Spotify, Von 607 Arten Nadelbäume bis 10.966 Arten Vögel. 3328601319 keit eines Zusammenbruchs. Nicht abgebildet, weil Grenze noch nicht berechnet: Umweltbelastung durch Chemikalien und Radioaktivität, Deezer, iTunes und überall, wo es Pod-Konzentration von Aerosolen in der Atmosphäre casts gibt! Authentische Stories sind die Leidenschaft von Beats & BonesModerator Lukas Klaschinski. „Für mich als Host ist es, wie Privatunterricht von 380 Expertinnen und Experten aus dem Museum zu bekommen. Ich kann meine Fragen loswerden und in mir wächst Wissen und ein größeres Bewusstsein für das, was uns alle umgibt: Die Natur in Bezug zu mir als Mensch.“

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