Passion #8

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Die Grafiken Passion | #08 | 21

Biodiversitätskrise Produktionswissen

Hat etwa die Corona-Pandemie auch etwas mit Artensterben und Klimawandel zu tun? Klar, ich habe es vorhin ja schon angedeutet. Naturzerstörung erhöht grundsätzlich die Wahrscheinlichkeit für den Ausbruch einer Pandemie. Weil Krankheitserreger eben auch Teil des Ökosystems Erde sind, reagieren auch sie auf Umweltveränderungen. Corona ist möglicherweise entstanden, weil auf einem Wet Market in China Tiere zusammengepfercht wurden, die da nicht hingehören und Arten in Kontakt miteinander kamen, die sich sonst nie begegnen. Und dann haben Überbevölkerung und Globalisierung die Ausbreitung der Krankheit auf schreckliche Weise begünstigt. Die übermäßige Jagd auf Wildtiere erhöht die Pandemiegefahr ebenso wie die Massentierhaltung. Überall dort, wo Erreger leicht von einem Körper auf den nächsten überspringen können, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass sie früher oder später auch die Artengrenze überwinden. Millionen Menschen haben das bei Aids, Ebola oder eben Corona mit ihrem Leben bezahlt. Was können und sollten wir gemeinsam tun, was wären die wichtigsten ersten Schritte in die richtige Richtung einer grünen Gesellschaft, um das Artensterben zu bremsen? Jeder und jede kann tun, was persönlich möglich ist. Ob das jetzt Fleischverzicht, Fahrradfahren oder Flugreisen-Diät bedeutet, kann ja jeder Mensch für sich entscheiden. Aber es kann eben jeder Mensch etwas tun. Natürlich hat ein Arbeitsloser weniger Veränderungsmacht als die Bundeskanzlerin, aber ganz machtlos ist eben niemand. Und dann brauchen wir neue Wachstumskriterien: Wachstum nur über das Bruttoinlandsprodukt, also über das Wachstum der Geldmenge, zu messen, ist ungefähr so intelligent,

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als würde man Gesundheit eines Menschen nur anhand seines Körpergewichts ermitteln wollen. Da ist immer mehr auch nicht immer besser. Es braucht viel mehr Kriterien, um den Zustand eines Organismus oder auch einer Gesellschaft überzeugend abzubilden. Gesundheit, Wohlbefinden, Effizienz, Ressourcenverbrauch und viele andere Kriterien kommen dafür in Frage. Der Staat Bhutan versucht, in einem Bruttonationalglück den Lebensstandard seiner Bürger und Bürgerinnen abzubilden. Da spielt die Frage, wie es ihnen geht, dann vielleicht eine größere Rolle, als die, wie viel sie verdienen. Für uns schwer vorstellbar, so ein Bruttonationalglück, aber die Idee geht in die richtige Richtung, finde ich. Wir müssen umdenken. Die Nachhaltigkeit immer zuerst denken, weil alles anders nachgeordnet ist, im Großen wie im Kleinen. Wie sehen Sie unsere Chancen auf Umkehr? Und mit welchen Ideen und Konzepten retten wir unser Zusammen? Dass wir es irgendwann schaffen, steht für mich außer Zweifel, weil wir ja gar keine andere Wahl haben. Die Frage ist nur, wann und wie schmerzhaft die ökologische Transformation sein wird. Jetzt reichen noch ein paar Pillen, in wenigen Jahrzehnten nur noch Totaloperationen. Das würde Flüchtlingswellen, Hungersnöte und Verteilungskriege bedeuten. Das kann niemand wollen. Aber zum Glück wissen wir ja, wie wir die Ökokalypse verhindern können. Wir müssen es nur noch machen. Herr Steffens, vielen Dank für das Gespräch! D

„Terra X“Moderator Dirk Steffens und ZEIT-Redakteur Fritz Habekuß beschäftigen sich mit der Zukunftsfrage Artensterben: Wie wir die Ökokrise überwinden

Zusammen sind wir stark Das Konzert des Lebens

Man kann sich ein Ökosystem wie eine Opernaufführung vorstellen: ein Ensemble von Sängerinnen und Sängern auf einer eigens für solche Aufführungen gebauten Bühne, dazu ein Chor, im Graben mehr als achtzig Musikerinnen und Musiker, davor eine Dirigentin, dahinter ein aufwendiges Bühnenbild, es gibt maßgeschneiderte Kostüme und bergeweise Requisiten zu bestaunen – und das ist nur das, was die Zuschauer sehen. Im Hintergrund arbeiten Hunderte Malerinnen, Maskenbildner, Nicht abgebildet, weil Grenze noch nicht berechnet: Umweltbelastung durch Chemikalien und Radioa von Aerosolen in der Atmosphäre Schuhmacherinnen, Konzentration Fundusverwalter, Hutmacher, Kostümschneider, Pförtner, Souffleusen. Das Herzstück ist die Musik, geschrieben als komplexe Partitur über viele Seiten. Erst wenn alle zusammenarbeiten 1 und sich alles zusammenfügt, entsteht eine Oper. Was aber passiert, wenn statt 32 Geigen im Orchestergraben nur 31 spielen? Wenn die Pauke ihren Einsatz verbummelt? Wenn nicht nur eine Geige ausfällt, sondern alle Streicher gleichzeitig? Wenn niemand dirigiert? Die Solisten nicht singen? Das Licht erlischt, die Kulissen zusammenfallen, das Orchester nur noch aus zwei Klarinetten besteht? Ab wann wird aus einer Oper Chaos? Schwer zu sagen. Dabei ist eine Opernaufführung im Vergleich zu einem Korallenriff, einem Hochmoor oder einem Mangrovenwald ungefähr so komplex wie ein 100-Teile-Puzzle im Vergleich zum Teilchenbeschleuniger des CERN, wo mehr als 12 000 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Hand in Hand arbeiten müssen, um die Megamaschine mit ihren Millionen Bauteilen am Laufen zu halten. Wir wissen nicht, wie viele Bauteile wir aus der Maschine des irdischen Lebens entfernen können, bevor sie aufhört zu funktionieren. Wir wissen nicht, wo genau die Kipppunkte liegen, wie viele Arten noch aussterben können, bevor es auch für uns Menschen lebensgefährlich wird. D

Das Magazin von BerlinDruck

13.04.21 12:36


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