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Von der Reise zur Medienmündigkeit
von Julia Lingl
Möchte man der Philosophin Mona Singer in ihren Skizzen zu einer Philosophie des Reisens folgen, bedeutet Reisen, »sich aus dem Gewohnten hinaus zu katapultieren in eine größere Welt, die das Selbstverständliche in Frage stellt und den Realitätssinn mit dem Möglichkeitssinn paart.« (Singer 2012: 208). Dadurch, dass wir in der Begegnung mit der Andersheit und außerhalb unserer gewohnten Umgebung Erfahrungen sammeln, können wir erkennen, was über unseren Horizont hinaus noch alles möglich ist. Wenn das Reisen als eine Form von Erfahrung betrachtet wird und wir uns durch diese (sinnliche) Erfahrung von dem entfernen, was uns vertraut, bekannt und selbstverständlich erscheint, so sind wir gefordert, einen feinfühligen Umgang mit dem uns Unbekannten zu finden.
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Francis Bacon (1561-1626) betrachtete das Reisen als eine Form der Erkenntnis, die weit über die reine Neugier hinaus geht. Reisen erfordere ein genaues Beobachten mit all unseren Sinnen. Erst dann können wir etwas wahrnehmen, »das anders nicht wahrnehmbar wäre«, wie Mona Singer sehr treffend formuliert (Singer 2012: 208f).
In diesem Sinne lässt sich im Rahmen des Themas »Reisen« auch die Arbeit am Medienkonzept verorten, denn auch Medienmündigkeit erfordert im weitesten Sinne eine Auseinandersetzung mit einer größeren Welt und die kritische Reflexion darüber, was in dieser Welt geschieht, wie (und welche) diese(r) Geschehnisse durch unterschiedlichste Medien (Bilder, Texte) aufgegriffen, vermittelt und verbreitet werden.
In den Überlegungen hin zu einem solchen Konzept stellt sich damit die zentrale Frage, welche Fähigkeiten es sind, die wir entwickeln müssen, um uns in der Komplexität dieser Text- und Bilderwelten zurechtzufinden, innerhalb derer wir uns tagtäglich bewegen. Diese Kompetenzen unterscheiden sich je nach Altersstufe, doch lässt sich vielleicht in aller Kürze ein gemeinsamer Nenner finden. Frei mit Technik umgehen zu können, sie sinnvoll einsetzen können, »nicht aber blind ihrer Faszination [erliegen]«, wie bereits der Bund der freien Waldorfschulen (2015) im Reader zu Medienmündigkeit und Waldorfpädagogik formuliert, kann als ein Ziel einer solchen Medienpädagogik, die sich an Medienmündigkeit ausrichtet, betrachtet werden.
Als weitere Ziele kann auch eine Weltoffenheit und die Möglichkeit, durch (geografische wie auch gedankliche) Reisen zu neuen Erkenntnissen zu gelangen sowie kritisches Denken und faires Debattieren und die Erfahrung von Selbstwirksamkeit, um dem Unbekannten auf eine kreative und lösungsorientierte Art und Weise mit Neugier zu begegnen, betrachtet werden. Denn ein kulturelles, analytisches und kritisches Verständnis der Arbeits- und Wirkungsweisen von Medien und ihren Botschaften ist in einer Welt, die zunehmend an Komplexität gewinnt, immer wichtiger, um sich zu orientieren. Auf der Reise zur Medienmündigkeit sind es diese Fähigkeiten, die als Kompass verstanden werden können. ¶
Julia Lingl ist Oberstufenlehrerin und schrieb diesen Artikel unterwegs mit der 12. Klasse in Norditalien.
Bacon, Francis (1969): Über das Reisen. In: Schücking, Levin (Hg.): Essays.
Singer, Mona (2012): Skizzen zu einer Philosophie des Reisens.
In: Österreichische Zeitschrift für Geschichtswissenschaften, 23(2), 208–221. https://doi.org/10.25365/oezg-2012-23-2-10
Kullak-Ublick, Henning, Arbeitskreis Medienmündigkeit und Waldorfpädagogik im Bund der Freien Waldorfschulen e.V. in Kooperation mit der Aktion mündige Schule e.V. (Hg.) (2015): Struwwelpeter 2.0. Medienmündigkeit und Waldorfpädagogik.