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Verzweifelte auf Durchreise

Von der Dankbarkeit, helfen zu können: Flüchtlingshilfe in der Christengemeinschaft Wien-Süd nach Ausbruch des Ukraine-Krieges

von Jakob Butschle und Roman David-Freihsl

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Reisen ohne Plan und ohne Ziel ins vollkommen Ungewisse. Überstürzter Aufbruch mit meist nur einem Rucksack, wenn überhaupt – ohne Perspektive auf baldige Rückkehr. Das Wichtigste: nur schnell weg!

Am 1. März dieses Jahres erhielt Jakob Butschle, Pfarrer der Christengemeinschaft Wien-Süd, den ersten Anruf: Der Sohn und der Neffe der Christengemeinschafts-Priesterin in Kiew waren unterwegs in Richtung Wien. Kurz nach der Ausreise aus der Ukraine hatten sie eine Familie am Straßenrand aufgegabelt: Ein überfüllter Kombi mit 9 Personen; die Eltern vorne, fünf Kinder auf der Rückbank, zwei Kinder im Kofferraum. Auch sie hatten so gut wie nichts dabei, jeder nur einen kleinen Rucksack.

Eigentlich hatten sie auf dem Weg nach Deutschland in Budapest Station machen wollen, dort aber niemand erreicht – also kontaktierten sie die Wiener Christengemeinschaft: In ein paar Stunden würden sie da sein.

Sofort waren Helferinnen und Helfer in der Gemeinde WienSüd gefunden; Lebensmittel eingekauft, Matratzen organisiert, Bettwäsche vorbeigebracht. Drei Kinderlager-Helferinnen waren schnell zur Stelle: im Gemeindezentrum alles herrichten, Gulasch für alle kochen, Betten beziehen – als die Geflüchteten schließlich ankamen, war schon alles bereit.

Die Verwandten der Kiewer Priesterin und ihr Freund machten sich noch am selben Abend nach dem Essen auf den Weg, weiter nach Deutschland. Die überstürzt geflohene Familie blieb hingegen ein paar Tage, hatte Zeit, sich ein wenig zu erholen und vor allem sich zu orientieren: wo sie eigentlich hinwollten.

„Selbst jene, die eigentlich nichts mithatten, machten uns aus Dankbarkeit ein Geschenk“, berichtet Jakob Butschle. „Das einzige, was sie mitgenommen hatten, wären Säcke mit Seife, die sie selbst hergestellt hatten – von denen schenkten sie uns einen. Im Gegenzug nahmen sie nur eines von unseren Angeboten an: ein Paar Socken.“

Nach der Abreise dieser ersten Gäste kam dann eine Gruppe nach der anderen – insgesamt mehr als 100 Geflüchtete, alle aus dem Christengemeinschafts-, Waldorf- und Anthroposophie-Umfeld. In fast allen Fällen galt es: die Gruppen vom Bahnhof abholen, Betten und Essen bereitstellen, wieder zum Bahnhof bringen. „Im Grunde waren alle auf der Durchreise, erzählt Jakob Butschle weiter. „Im Nachhinein hörten wir dann noch oft, wie wohl sie sich bei uns gefühlt hatten. Manchmal auch, dass es ihnen bei uns in Wien eigentlich besser gefallen habe.“ Doch nur ein Mädchen kam zurück und besucht nun die Rudolf-Steiner-Schule.

Für Jakob Butschle war diese Zeit vor allem auch „ein Erlebnis, wie gut wir vernetzt sind – von der Ukraine über Rumänien bis nach Deutschland. Im Zentrum stand dabei Marius Gabor, ein Anthroposoph aus Rumänien, bei dem die Fäden zusammenliefen, der koordinierte, vermittelte – und das, ohne einen einzigen Flüchtling selbst zu sehen.“

Einmal sei über Marius Gabors Vermittlung bereits eine Gruppe von 12 Flüchtlingen im Gemeindezentrum gewesen – das war eigentlich das Maximum, das die Gemeinde bewältigen konnte. „Doch dann Anruf: Es kommen nochmal 7“, erinnert sich Jakob Butschle. „Meine erste Reaktion war: Das geht nicht. Aber dann rief Marius an und erklärte mir: Ihr müsst jetzt anders denken. Nicht dass es nicht geht – sondern nur: wie geht es!“ Und tatsächlich: Es ging. Die zusätzliche Gruppe konnte schließlich bei Barbara Pazmandi untergebracht werden; einmal weiteres Mal sprang die Schule mit einer Übernachtungsmöglichkeit ein.

Auch zeigte es sich, dass die neuen Medien in so einem Fall ein Segen sind. In manchen Gruppen konnte niemand ein Wort Englisch, geschweige denn Deutsch. Trotzdem konnte Hilfe und Betreuung organisiert werden – und sei es auch nur beim

Umsteigen in Budapest. Da hieß es zum Beispiel: „Mach‘ ein Foto von wo du bist am Bahnhof – und dann finde ich dich.“

Im Zentrum der Hilfe in Wien standen Jakob Butschle und Martha Moosbrugger. Viele mehr wollten ebenfalls helfen. Sie konnten dann z.B. einen großen Sack Wäsche waschen. „Das hätten wir wohl auch selbst geschafft“, erläutert Jakob Butschle. „Aber von Anfang an herrschte das Gefühl vor: Man ist dankbar, etwas tun zu können, nicht nur entsetzt und hilflos zusehen zu müssen, was da nicht weit von uns gerade passiert. Wir erlebten: Helfen zu dürfen ist ein großes Geschenk.“

Inzwischen ist es in der Gemeinde Wien-Süd wieder ruhiger geworden. Nach dieser direkten, schnellen Hilfe geht es jetzt vor allem um finanzielle Unterstützung. Zum Beispiel kann man jenen geflüchteten Familien helfen, die nun in Deutschland mit regelmäßigen Beträgen unterstützt werden. Wer an einer Patenschaft interessiert ist, kann gerne Jakob Butschle kontaktieren: butschle@christengemeinschaft.at ¶

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