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„NEVER AGAIN“
MoRaH-Reise nach Auschwitz, einen Ort gegen das Vergessen
von Klaus Madzak
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Geschichte ist kein abstraktes Konstrukt, das sich auf eine Vergangenheit bezieht, mit der wir heute nichts zu tun haben. Der Umgang mit der Vergangenheit hat einen Einfluss darauf, wie wir in unserer Gegenwart und Zukunft fortfahren.
Diesen Anspruch stellt der Verein MoRaH und versucht, dem gerecht zu werden.
MoRaH ist ein gemeinnütziger Verein, dessen Abkürzung für „March of Remembrance and Hope – Austria“ steht und der für österreichische Schüler und Schülerinnen die Teilnahme am alljährlichen internationalen Gedenkmarsch anbietet.
Der „Marsch der Lebenden“ („March of the Living“) ist ein Gedenkmarsch vom Konzentrationslager Auschwitz I zum Vernichtungslager Auschwitz II / Birkenau. Er gibt Menschen aus aller Welt Gelegenheit, der Opfer des Holocaust zu gedenken und findet seit 1988 traditionell am Yom Hashoa (Holocaust-Gedenktag) statt. Die Bezeichnung bezieht sich auf die Märsche von KZ-Häftlingen zwischen den beiden Lagerkomplexen.
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Der „Marsch der Lebenden“ wird von Holocaust-Überlebenden bzw. deren Nachkommen angeführt. Im Jahre 2005 nahmen auch erstmals im Rahmen von MoRaH nichtjüdische Jugendliche aus Österreich daran teil und 2022 ebenso Jugendliche der 11. Klasse unserer Schule.
MoRaH ermöglicht jedes Jahr rund 800 Jugendlichen aus allen Bundesländern eine dreitägige Gedenkreise nach Polen und bietet abseits des erwähnten Marsches und der inkludierten Gedenkfeier in AuschwitzBirkenau ein umfangreiches Rahmenprogramm mit geführten Touren durch Krakau, in das ehemalige Konzentrationslager Plaszów, in das Stammlager Auschwitz I, ein Zeitzeugengespräch mit einem Überlebenden der Shoa und auch ein Treffen mit gleichaltrigen jüdischen Jugendlichen im Rahmen des Projekts Likrat (hebräisch für „aufeinander zugehen“).
Zielsetzung ist, dass die teilnehmenden Schüler und Schülerinnen durch die Begegnung mit den „BotschafterInnen“ der Vergangenheit zu TrägerInnen des Gedächtnisses werden und die Erinnerung an die vielen, die nicht überlebt haben, im Dienst eines „Never Forget!“ und eines „Nie wieder!“ wachhalten. ¶
Klaus Madzak ist Oberstufenlehrer.
Steine erzählen Geschichten. Ich stehe und gehe auf Steinen. Steine, mit Blut getränkt. Blut, unter Terror und Unrecht vergossen. Vergossenes Blut von Menschen, wie Tiere behandelt, zu Hunderten in Viehwaggons eingepfercht, benutzt für Fabriken, Fabriken für Stoff aus ihren Haaren, Fabriken für Knöpfe aus ihren Knochen. Wenn sie nicht mehr gebraucht wurden, entließ man sie.
Man entließ sie in den Tod.
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Die Steine von Auschwitz haben viel getragen. Schmerz, Leid, Misshandlung. Misshandlung bis in den Tod. Auf diesen Steinen gehe und stehe ich jetzt.
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Florian
Umzäunte Endlosigkeit, endlose Freiheit da draußen. Mit Schienen als einzige Brücke. Die Sonne scheint, fröhliches Vogelgeplapper, und doch die nicht auszuhaltende Stille schreit.
Unvorstellbares ist geschehen. Abertausende gingen hinein, wir spazieren einfach wieder hinaus, lassen die Vergangenheit sein.
Doch dort, wo die Stille nie ihre Ruhe finden wird, können nur wir die Hoffnung nie in Vergessenheit geraten lassen.
Stephanie
Endlose Weiten des Grauens, und trotzdem so ruhig. En Friedhof, der sich bis an den Horizont erstreckt. Es ist unmöglich, die leidenden Schreie zu überhören. Die quälenden Schreie derer, die vor so vielen Jahren hier ihr Unglück erdulden mussten. Unschuldige Menschen, Kinder. Stacheldraht und Trümmer, Schienen, die den Eingang in dieses Elend bedeuten. In das Elend, aus dem es nur einen Ausweg gibt: Schornsteine.
Wie unheilverkündende Säulen ragen sie aus dem Nebel. Und es schaudert dich zu wissen, wozu sie hier sind. Du vergisst nie, was du hier gesehen hast. Alida
Menschen, nicht nur Zahlen, Vierzig Tonnen Haare, zweiunddreißig Kubikmeter Schuhe, alle abgetragen. Ich bin nicht eingesperrt, und trotz der endlos wirkenden Weite bis zum Zaun kann ich’s hier kaum ertragen. Alles gleich, nur an den Wänden Als Erinnerung die Gesichter. Große Narben.
Ein ganzes Buch voller Namen, unzählige Menschen, nicht nur Zahlen.
Mia
Nach Auschwitz
Texte von SchülerInnen der 11. Klasse
Gefangen auf dem riesigen Gelände. Die Drahtzäune hindern dich, auf andere Wege zu kommen.
Wegen der vielen Baracken wirkt der Ort tief verankert im Boden und liegt flach über der Erde. Er ist nur nach oben geöffnet.
Der Himmel ist der einzige Ausgang.
Emilio
Die Wolken hängen tief, das Licht schimmert in einzelnen Fäden durch die Wolkenfront, und die Rufe der Krähen sind kaum zu überhören. Ein langer Weg mit Schienen führt durch das Lager, links und rechts davon eingezäunte Baracken. Ein leichter Wind zieht auf, Gänsehaut macht sich langsam auf meinem Körper breit. Doch nicht vor Kälte, sondern vor Ehrfurcht und in Gedanken an die Millionen von Opfern.
Niki Die verklungenen Schreie, eingezäunt von Stacheldraht, vibrieren in der Luft.
Die Vögel singen unbekannte Lieder, der Wind flüstert in anderen Tönen. Das Licht der Sonne trifft nicht auf die Erde, und die Erde wölbt sich in Unbehagen und Leid.
Melinda
Meine Schuhe auf Pflastersteinen, auf Wegen, auf Schienen, die von Schuhen, die sich in einer Ausstellung befinden, betreten wurden. Schuhe, Haare, ein unfreiwillig geschossenes Foto sind alles, was von diesen Passanten überbleibt.
Viele Menschen schaffen es, ihr gesamtes Leben lang als Passanten zurechtzukommen. Aber manche Passanten wurden von diesen Pflastersteinen und aus diesen Häusern herausgepflückt und trafen, in einer dunklen Kammer zusammengepfercht, ihr Ende.
Die Menschen, die von diesen Schuhen, Kleidern, Wänden und Steinen umgeben wurden, sind nicht mehr. Aber wir sind noch, und unser Leben wird von den Gegenständen, die ihr Leben geformt haben, berührt.
Milena
Feierliche Stimmung, von einem düsteren Schleier umgeben. Tränen fließen, während die Sonne lacht. Saftige Wiesen, gewachsen auf Gräbern. Tausende Gräber, doch man kann sie nicht sehen. Schienen und Steine, von einem Trauerschleier verhangen. Ein Ort, von dem man viel gehört hat, doch man glaubt nicht, dass man jemals dort sein wird.
Jeder Schritt plagt einen und weckt Erinnerungen, die man selber nicht erlebt hat.
Marcel
Wolkenverhangen
Es nieselt in Schleiern
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Wind, der dich zittern lässt.
Ich gehe die Schienen entlang, über Schwellen
Um mich sind nur Bracken
Alle von Stacheldraht umzäunt.
Ich höre die schleppenden Schritte von tausenden Füßen
Ich höre die Schreie
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Ich höre den Tod.
Ich kann nichts
Außer zuhören
Zuhören
Und niemals vergessen.
Uma
Eindrücke, unvorstellbar, zu sehen und doch nicht zu erkennen, zu fühlen, aber nicht zu erleiden. Unverständnis und Trauer. Voller Menschen, und doch leer. Hin- und hergerissen zwischen Schuldgefühlen und Opfern. Nie werden wir solchen Schmerz fühlen, nie wird uns dieser Hass begegnen. Nicht vergessen, nie wiederholen. Theo
Man sieht es nicht, doch man spürt es. Man spürt das Leid. Man spürt die Grausamkeit. Man spürt die Qualen, man spürt die Unterdrückung. In mir wird es kalt. Kälte umhüllt mich, und in mir zieht sich alles zusammen. Zu viele Gefühle, Trauer, Hass und Erschütterung. Und eines ganz deutlich: Wut.
Unbeschreibliche Wut … Fanny
Überrumpelt von Emotionen aller Art, Stehen wir auf dem Boden, wo so viel geschehen ist.
Das Lied, man kann es deutlich spüren. Gänsehaut bildet sich am ganzen Körper. Es ist ein schrecklicher Moment.
Azucena
Wenn man nach rechts blickt, sieht man einen dunklen Haufen von Koffern von Menschen, die vor gar nicht so langer Zeit in ein von anderen Menschen errichtetes Todeslager gebracht worden sind, um zu sterben.
Wenn man nach links blickt, sieht man einen Haufen von Schuhen: Schuhe, die Kinder trugen, Schuhe, die Menschen trugen, die wie wir waren, kurz bevor sie starben.
Wenn man geradeaus blickt, sieht man Haare: Haare, die abgeschnitten worden sind, kurz vor dem Tod.
Hinter einem ist ein Raum voller Bilder: Bilder von Menschen mit einem verstörenden, angsterfüllten Blick, kurz bevor sie vergast worden sind.
Es gibt kein Entrinnen, überall sind grauenvolle Erinnerungen an diese Vergangenheit.
Maria-Elisabeth
Die kräftigen Stimmen schallen weit über den Platz der Verbrechen. Voll Trauer, Wut und Hoffnung. Erdrückende Stille. Tief in Gedanken bei Euch. Jetzt bin ich hier. Jetzt trauere ich. Diese unendliche Leere, gespannt über diesen finsteren Ort. Ich fühle Kälte und Zerbrechlichkeit.
Liebe und Zusammenhalt treffen hier, jetzt, zusammen. Lasst uns nun die freien Seelen feiern!
Matilda
Es hat mich sehr erschüttert, was ich dort gesehen habe. Wie man die Menschlichkeit so verlieren kann.
Wo man Millionen Menschen als Müll behandelte.
Ich kann nicht mehr darüber nachdenken, weil es so grauenvoll war.
Ich hoffe und glaube, dass die Menschen daraus lernen können: So etwas darf wirklich nie wieder passieren.
Simon
Wie frech, gemein und respektlos ein Mensch zu einem anderen sein kann. Es ist egal, ob man eine andere Religion hat oder anders ausschaut, Mensch ist Mensch.
Wir haben so viele Gründe und Möglichkeiten, zu einander netter und respektvoller zu sein, doch wir machen alles anders und nicht so, wie es gehört.
Vahide (über den Film „Schindlers Liste“)