Stephan Winkler & Jörg Wilczek Winkler und dem renommierten Fotografen Jörg Wilczek gehen wir auf eine Entdeckungsreise, in deren Verlauf uns Bauersfrauen, Hausmänner, Bäcker, Metzger und Spitzengastronomen bei der Zubereitung traditioneller Gerichte über ihre Schulter schauen lassen und ihre Lieblingsrezepte verraten : Über 40 authentische Rezepte, reich bebildert, machen Lust zum Kochen, Essen und Reisen. ISBN 978-3-03922-159-2
Apulien
« Apulien. Entdecken und geniessen im Tal der Trulli » ist eine kulinarische Foto reportage aus einer der wildromantischsten Gegenden Italiens. Zusammen mit dem Historiker Stephan
Stephan Winkler & Jörg Wilczek
Apu lien
Entdecken und geniessen im Tal der Trulli
Apulien
Entdecken und geniessen im Tal der Trulli
Meiner Mutter Silvia gewidmet, die mich das Kochen gelehrt und wiederholt ermuntert hat, meine apulischen Rezepte festzuhalten
Stephan Winkler Fotos von Jörg Wilczek
Apu lien
Entdecken und geniessen im Tal der Trulli
Inhalt 6 8
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Vorwort Zur apulischen Küche
Meeresschätze und Strandkönige
Cavatelli cozze e vongole 18 Spaghetti dello scoglio 22
Ein Meer von Olivenbäumen
Melanzane ripiene 30 Melanzane con l’aglio 32 Zucchine gratinate 33
Vorwärts in die Vergangenheit
Monacelle 42
46 Von Pferden, Eselmilch und Jazz Crudaiola d’inverno 52 Agnello al forno 54 Fave con cicoria 56 Brasciole di cavallo 62
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Osterbräuche und Frühlingstraditionen
Cosciotto d’agnello ripieno 70 Lampascioni ripieni 72 Cappelli di funghi farciti 74 Grano saraceno con melograno e buccia d’arancia 75 Puré di cicerchie con cicoria Martinese e corna di bue 76
Im Tal der Trulli
Melanzane al limone 82 Peperoni grigliati 84 Zucchine alla poverella 85 Involtini di melanzane 86
Feuer und Flamme
Melanzane sott’olio 92 Peperonata 94 Carciofini sott’olio 95 Taralli friabili 96
Taralli bolliti 96 Focaccia 98 Mustacciuoli di Ceglie 100 Lunette farcite 102 Friselle 103
108 Öhrchen mit Biss
Orecchiette al sugo 112 Orecchiette cime di rapa 114 Polpette di pane 116 Laganari alla martinese 124 Trippa Curdennees 126 Endreemete de’ vecchie 128 Cartellata 130 Pettole 132
136 Herbstgenüsse im Weingebiet Capocollo 144 Salame 146 Gnummaredde 148 Vacchino 152 Ricotta 153 Ricotta asquante 153
154 Die Krönung : Leben in der Masseria Pizzelle con sugo 160 Cestino di pecorino con erbe selvatiche 162 Sospiro al rosolio di olivo 164
168 171 172
Reisetipps Ortsregister Rezeptregister
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Vorwort
Vor langer Zeit sprach ich als Gymnasiast an einem Familienfest mit meiner entfernten englischen Tante Christine, die mich wegen ihrer Hippievergangenheit faszinierte. Sie erzählte mir von ihrer Reise nach Indien und wie sie auf der Heimfahrt über Italien auf dem Weg nach Griechenland in diesem abgelegenen Tal gelandet sei, in dem eigen- und urtümliche Häuser aus Stein mit ihren Kuppeldächern stünden. Die Trulli. Schon dieses Wort war magisch. Sie hätte sich damals – 1969 – mit einer Freundin eines gekauft. Ich könne ruhig mal hinfahren. Sie gab mir eine Wegbeschreibung und erklärte, wo der Schlüssel zu finden sei. Im nächsten Sommer machte ich mich mit einem Schulfreund auf den langen Weg im Liegewagen, Sechserabteil, speckig-braune, ausziehbare Kunstlederliegen, ein Gemisch aus Schweissfüssen und -hemden, aber mit Wurst und Wein der mitfahrenden Heimkehrer. In Bari stiegen wir auf den Regionalzug um, damals noch diese hölzernen Wagons, bei denen jedes Abteil eine eigene Tür nach aussen besass und die feldgrauen schweren Vorhänge noch an richtigen Vorhangstangen befestigt waren. Die Mitreisenden und die Betonwüste aus Wohnblocks und Industriebauten um Bari wurden weniger, die Luft würziger. Mit wehenden Haaren fuhren mein Kumpel und ich in eine andere Welt. Rote Erde, Trockensteinmauern, mächtige Oliven- und Feigenbäume, glühende Hitze und ein Meer so blau, wie man es sich nur vorstellen kann. Fast am Ende der Welt, so kam es uns vor, schepperte es näselnd aus dem Lautsprecher : « Cisternino, stazione a’ mare ». Das Dorf gut 10 km entfernt hinter dem Hügel, der letzte Bus vor einer Stunde. Autostopp, Fussmarsch und wieder Autostopp. Im Dorf erstanden wir uns beim Schrotthändler ein klappriges Mofa aus den 60ern, und nach vier Stunden mit mehr Schieben als Fahren fanden wir endlich das Haus. So kam ich zum Virus Apulien. Am nächsten Morgen weckte uns der Bauer Lucio, der das umliegende Land bebaute : Wenn wir einmal im Tag mit der
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Giesskanne die Tomaten und Gurken auf dem Feld gössen, könnten wir davon essen, so viel wir wollten. Die Tomaten waren nicht halb so gross wie jene zu Hause, aber mehr als doppelt so gut, die Gurken waren kugelrund und leicht behaart, und der Käse und das Brot der Bauersfrau – unvergleichlich. Ich glaube, auf dieser Reise wurde ich erst richtig abgestillt, weg von Muttermilch und Fischstäbchen hin zu richtigem Geschmack.
Kommen Sie mit uns, wir fangen nochmals in Monopoli an, wo die Betonwelt aufhört und das Ende der Welt einen würzigen Atem hat. Viel später, als ich mein Studium mit einem Lizentiat über die Trulli und das mittelalterliche Wirtschaftssystem im Valle d’Itria abgeschlossen hatte, nachdem ich mit besagtem Kumpel eine Kleinkellerei gegründet und mit einem der ersten einheimischen Freunde, dem Koch Sergio d’Aversa, eine Unzahl apulischer Abende mit authentischer Hausmannskost in der halben Schweiz veranstaltet hatte, wurde ich anscheinend ansteckend. Ein befreundeter Fotograf, Jörg Wilczek, war nach der Durchsicht meiner damaligen Ferienfotos derart neugierig geworden, dass ich mit ihm hinfuhr. Langsam reifte das Projekt eines Buches. Ich wollte mein historisches Wissen weitergeben, er einen Fotoband machen, und Familie und Freunde wollten die Rezepte meiner Apulienabende. So entstand im Laufe eines Jahres ein kulturhistorisches Kochreisefotoreportagebuch mit traditionellen Familienrezepten der Bevölkerung des Trullitals. Kommen Sie mit uns, wir fangen nochmals in Monopoli an, wo die Betonwelt aufhört und das Ende der Welt einen würzigen Atem hat. Stephan Winkler
Foggia
Bari Monopoli Alberobello Locorotondo Martina Franca
Taranto
Apulien
Torre Canne Ostuni Cisternino
Brindisi Lecce
Zur apulischen Küche
Die Region Apulien kann geografisch grob in drei Gebiete eingeteilt werden : Nordapulien mit dem Gargano als Stiefelsporen, seinem bergigen Hinterland gegen Neapel hin, das sich bis über 700 Meter erhebt, Mittelapulien mit der Murgia, einer fast 400 Meter hohen Kalkplatte, zwischen Bari und Brindisi sowie das flache Südapulien, das Salento, das Gebiet südlich von Taranto und Lecce. Kulinarisch ist eine Unterteilung mehr ressourcen- und wirtschaftsabhängig. Apulien besitzt gegen 800 km Küste – naheliegend, dass die Fisch- und Meeresfrüchteküche in den Küstenregionen dominant ist. In den bergigen Zonen ist die Viehhaltung vorherrschend, da sind Fleisch- und Milchprodukte wichtiger. Und dann gibt es das Valle d’Itria, das gar kein Tal im eigentlichen Sinne, sondern eine zerklüftete, karstige Hochebene in der Murgia ist. Früher Hinterland der reichen Küstenstädte, war es Zufluchtsort bei Invasionen vom Meer her, Durchzugsgebiet für Truppen und Händler von einer Küste zur andern, Jagdund Weidegebiet für die machthabenden Herrschaften aus den Wirtschaftszentren am Meer. In dieser Abgeschiedenheit über lebte neben der Trulli-Architektur auch eine vielfältige « Arme leuteküche », eine Ernährungsweise, die auf Selbstversorgung, Wildpflanzen, auf uralten Sorten und Zubereitungsarten basierte. Alles wurde verwertet und mit einfachsten Mitteln haltbar gemacht. Um dieses verwunschene, wildromantische Tal der Trulli geht es auf unserer kulinarischen Entdeckungsreise. Luxusgüter wie Zucker waren Mangelware ; gesüsst wurde mit frischen Früchten, Honig oder eingedicktem Saft aus Trauben und Feigen. Auf den Magerwiesen und in den ausgedehnten Oliven hainen wächst wilder Spargel, und der wilde Fenchel wird bis drei Meter hoch. Nicht zarte Filetstücke standen auf dem Speisezettel wie an den Adelshöfen, nicht grosse Parmesan laibe wie im reichen Norden – hier ging es um kleinere Formen, die auf dem Feld hergestellt und transportiert werden konnten. Hier geht es noch um unverfälschten, ursprüng lichen Geschmack.
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Meeresschätze und
Strandkönige
Monopoli wuchs nach der Zerstörung des antiken Zentrums Egnazia im Mittelalter rasch zu einer regional bedeutenden Handels- und Hafenstadt. Wie in allen apulischen Küstenstädten war auch die Oberschicht von Monopoli seit frühester Zeit je nach den herrschenden Volks stämmen multiethnisch.
Bei den Langobarden um 700 n. Chr. bis ins 12. Jahrhundert war ein ansehnlicher Teil der High Society deutschstämmig. Die damaligen Herren trugen klingende Vornamen wie Ermefrit, Ermipert, Rodelgard, Adelmund oder Lademand. Sie waren Reeder, Landbesitzer, Richter, Notare und andere Beamtete. Bis heute haben einzelne deutsche Bezeichnungen im apulischen Dialekt überlebt. So heisst zum Beispiel der Platz in Martina Franca, auf dem sich die Familienoberhäupter im Kreis zur Gemeindeversammlung trafen, jetzt noch « u ring », und die Frauen hatten nach langobardischem Eherecht nach vollzogener Hochzeitsnacht Anrecht auf die «morgingab », was einem Viertel des Vermögens des Ehemannes entsprach. Bis ins 15. Jahrhundert wurde der Hafen für die Stadt Monopoli immer wichtiger. Vor allem der Olivenölexport entwickelte sich zu einem der umsatzstärksten Geschäfte. Daneben war natürlich Fischfang und -verkauf von Bedeutung. Über zwei Dutzend Fischarten wurden in den damaligen Marktvorschriften namentlich erwähnt. Als wir am Bahnhof Monopoli aus dem Regionalzug steigen, schlägt uns der schwere, süssliche Duft schwitzender Feigenbäume entgegen, gewürzt mit einem herben Kräuterstrauss. Der Wind trägt eine Brise Meer zu uns herauf, und wir beschliessen, zum Hafen zu gehen. Ich kann mich noch gut an
Bild vorherige Seite : Landschaft im April bei Cisternino. 01 Einsame Wächter am Meer.
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02 Saverio beim Fischentlad. 03 Poller im Hafen von Monopoli. 04 Die Tangaloa.
den Fischmarkt auf dem Hafenplatz erinnern und wie der eben ausgeladene Fang lauthals versteigert wurde. Ob der Markt wohl noch existiert ? Wir erkundigen uns bei alten Fischern. Nein, der offene Fischmarkt am Hafen sei geschlossen worden. « Wegen Hygiene-Bedenken der EU », meint einer vieldeutig schmunzelnd. Man suche nun nach einem neuen Platz, aber wir sollten zwischen 18 und 19 Uhr wieder kommen. « Dann kommen die Pescherecci herein und laden den Fang aus, direkt in die Lieferwagen der Händler. » Wir sind pünktlich, schliesslich wollen wir nichts verpassen. Eines der ersten Boote ist die Tangaloa. Sie gehört Saverio, einem bulligen Seebären um die 35. Mit seinem schwarzen Kopftuch und dem Dreitagebart würde er jedem Piratenfilm gut anstehen. Seine Männer entladen die bereits sortierten und in Styroporkisten eingeeisten Fische und Meeresfrüchte. Wir zählen zwar keine zwei Dutzend Arten mehr, aber schliesslich war die Tangaloa auch nur einen Tag mit dem Schleppnetz draussen. Besonders angetan sind wir von den karminroten Pfeilkalmaren, den Totani. Auch zwei stattliche Hummer sind dabei und kistenweise Garnelen, Scampi, Tin tenfische, Oktopoden, Seeteufel, die auf Italienisch « Krötenschwänze » ( coda di rospo ) heissen, Meerbarben und andere. Langsam, aber sicher läuft uns das Wasser im Mund zusammen.
Saverios Wutausbrüche zerschneiden die Mittagshitze auf dem Hafenplatz und verlieren sich in den Gassen. Wir verabreden uns mit Saverio für Samstag. Er will uns zeigen, wie bei ihm zu Hause Fisch zubereitet wird. Als wir zur vereinbarten Zeit zum Hafen kommen, liegt zwar die Tangaloa da, aber vom Seebären keine Spur. « Ooh – Savee ! » Aus dem Maschinenraum ertönt leicht angespannt : « Ich muss den Motor flicken. » Nach einer Weile windet Saverio sich heraus und wirft uns einen Blick zu, der nichts Gutes verheisst. Wortlos stapft er an uns vorbei direkt ins gegenüberliegende Haus der Fischergenossenschaft. Im Aufenthaltsraum entlädt sich ein veritables Gewitter, Saverios Wutausbrüche zerschneiden die Mittagshitze auf dem Hafenplatz und verlieren sich in den Gassen mit dem Heulen einzelner Motorräder. Das kann ja wohl nicht nur am Motorschaden liegen … Wir trauen uns nicht, nachzufragen. Offensichtlich nicht der richtige Tag, um gemütlich Fisch zu kochen.
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Patrizio Di Bello legt Wert auf ehrliche Hausmannskost ohne Firlefanz, dafür mit umso mehr ursprünglichem Geschmack.
Etwas ernüchtert ziehen wir ab und halten stattdessen Ausschau nach einem Hafenrestaurant, in dem nach Hausfrauenart gekocht wird. Uns wird die Osteria Perricci empfohlen. Das Perricci war über Generationen in der Hand der gleichnamigen Familie und als Weinschenke für Fischer und Hafengesindel eher etwas in Verruf. Zum Wein wurden frittierte Fische gereicht, die Hausspezialität sollen aber die Budella di cavallo, Pferdekutteln, gewesen sein. Da diese beim Kochen einen – sagen wir – unangenehm strengen Geruch entwickeln, liess man sie sich im Perricci vorkochen und nahm sie portionenweise nach Hause. Ansonsten sollen sich die Fischer abends zu Trinkspielen wie der Passatella getroffen haben. Bei dieser sitzt man in beliebiger Zahl um den Tisch, in der Mitte stehen zwei Liter Wein. Nun werden Spielkarten verteilt, bis jemand alle vier Farben auf der Hand hat. Wer zudem die höchste Punktezahl vorweist, hat gewonnen und kann bestimmen, wer am Tisch den Wein trinken darf. Sind die Flaschen leer, kommen neue auf den Tisch, und das Spiel beginnt von vorn. Am Schluss zahlt jeder gleich viel, nur konnten die einen mehr trinken als die anderen.
05 Patrizio Di Bello.
Vor ein paar Jahren hat Patrizio Di Bello die ehemalige Schenke vom letzten Perricci übernommen und in ein Ristorante umgewandelt. Er legt Wert auf ehrliche Hausmannskost ohne Firlefanz, dafür mit umso mehr ursprünglichem Geschmack. Eines seiner Highlights, für das er in der ganzen Stadt bekannt ist, sind die Cavatelli cozze e vongole.
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Cavatelli cozze e vongole C AVAT E L L I M I T M I E S - U N D VENUSMUSCHELN Für 4 Personen Je 700 g frische Cozze und Vongole 4 Knoblauchzehen Ca. 6–8 EL Olivenöl extra vergine 3–4 Handvoll glatte Petersilie, gehackt Pfeffer aus der Mühle 8 kl. reife Tomaten, am besten Regina oder Datteltomaten ( keine Cherry-Tomaten, da zu süsslich ), gewürfelt 800 g frische Cavatelli ( gerollte Orecchiette, siehe Rezept S. 112) oder frische Kurzpasta aus Hartweizen mit Garzeit von ca. 5 Min. Peperoncino ( nach Belieben )
Zubereitung Eventuell in zwei Durchgängen je 2 Portionen zubereiten. Zerdrückten Knoblauch, etwas Petersilie und Pfeffer im Öl in hoher Bratpfanne anschwitzen. Cozze und Vongole ganz dazugeben. Während ca. 2 Min. gedeckt erhitzen, bis sich die Muscheln öffnen. Es soll möglichst viel Muschelwasser erhalten bleiben. Die Hälfte der Cavatelli beigeben und während 2–3 Min. mit geschlossenem Deckel garen. Daneben den Rest der Cavatelli in Salzwasser garen. Die gewürfelten Tomaten zu den Muscheln und den Cavatelli geben und wiederum gedeckt 1–2 Min. mitdämpfen. Die separat gegarten Cavatelli abgiessen, beigeben und auf grosser Flamme sautieren, bis die Flüssigkeit eingekocht bzw. aufgesaugt ist.
Anrichten Mit dem Rest der Petersilie bestreuen und anrichten. Nach Belieben mit gehacktem Peperoncino bestreuen.
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Gestärkt machen wir uns im kleinen Mietwagen auf die Suche nach einem lauschigen Plätzchen für die Siesta am Meer. Wir fahren der Küste entlang Richtung Santo Stefano, der mittelalterlichen Klosterburg des Tempelordens der Kreuzritter. An der Cala Colonia gibts zwischen den Felsen einen Lido in einer kleinen Sandbucht mit bewachtem Parkplatz. Der Zugang ist frei, wer will, kann einen Strandplatz mit Sonnenschirm mieten, die andern verteilen sich dazwischen. Die Bucht ist umrahmt von einzelnen Feigenbäumen, und wilder Rucola spriesst allüberall. Kristallklares Wasser lädt zum Baden und Schnorcheln entlang der zerklüfteten Felsen. Das Strandrestaurant wird seit Jahren von Michele Palmitessa geführt. Seine Kundschaft hat ihm den Spitznamen « Il re dello spaghetto » gegeben, König der Spaghetti, was auch stolz über dem Eingang prangt.
Seine Kundschaft hat ihm den Spitznamen «Il re dello spaghetto» gegeben, König der Spaghetti, was auch stolz über dem Eingang prangt.
06 Strandrestaurant « Il re dello spaghetto ». 07 Michele Palmitessa.
Ein sonniges Gemüt, dieser Spaghettikönig, der im Winter Res taurantzubehör verkauft und in der Sommersaison drei Strandrestaurants betreibt. Doch nur in der Cala Colonia kocht er, zusammen mit seiner Frau, selbst, während seine Kinder sich um den Service kümmern. Seit vierzig Jahren kocht er am Lido. Gerade mal zwei Menüs bietet er über Mittag an, aber für die ist er berühmt.
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Spaghetti dello scoglio S PA G H E T T I M I T M E E R E S F R Ü C H T E N Für 4 Personen Ca. 500 g Spaghetti ( Garzeit 9–10 Min. ) Ca. 500–700 g gemischte frische Meeresfrüchte : 8 Scampi, Tintenfische, Krakenarme, ganze Muscheln, Muscheltiere im eigenen Saft 4 Knoblauchzehen 3–4 Handvoll glatte Petersilie, gehackt 8 kl. reife Tomaten ( keine Cherry-Tomaten, da zu süss ), gewürfelt
Vorbereitung Meeresfrüchte putzen und vorbereiten : Tintenfisch in Ringe schneiden. Scampi in der Schale lassen. Krake klopfen und dreimal für ½ Min. in kochendes Wasser tauchen, bis sich die Arme kräuseln, dann in 1 cm grosse Stücke schneiden. ( Gemischte Meeresfrüchte gibt es fixfertig auch tiefgefroren. Darauf achten, dass sie ungewürzt sind. Auch Muscheltiere im Saft sind konfektioniert erhältlich ; siehe abgekürzte Variante unten. )
Zubereitung Spaghetti aufsetzen. Scampi 3–4 Min. in der Bratpfanne in heissem Öl mit gehacktem oder zerdrücktem Knoblauch und etwas Petersilie anbraten. Restliche Meeresfrüchte dazugeben und 2 Min. sautieren. Dann Tomaten beifügen und 1 Min. weitersautieren. Nach 7–8 Min. Garzeit die Spaghetti abseihen und mit einer kleinen Saucenkelle Muschelwasser ( zur Not nehme man Pasta wasser ) zur Sauce geben. Sautieren und köcheln lassen, bis die Flüssigkeit aufgesaugt und die Konsistenz sämig ist ( ca. 2 Min. ).
Anrichten Mit restlicher Petersilie bestreuen und anrichten.
Abgekürzte Variante Die gefrorene Meeresfrüchtemischung in Öl mit zerdrücktem Knoblauch und Petersilie anbraten. Einige ganze Muscheln zugeben ( wegen der Flüssigkeit ). Sautieren, bis die Muscheln offen sind. Falls kein Fond mehr da ist, wenig Pastawasser zugeben und weiterköcheln, bis Flüssigkeit eingekocht ist. Tomatenwürfel beigeben und 1–2 Min. bei gelegentlichem Rütteln an der Pfanne garen. Bei Bedarf leicht nachsalzen. Fast gare Spaghetti mit etwas Pastawasser beigeben, sautieren und köcheln, bis die Sauce sämig ist.
Anrichten Servieren wie oben.
Malerisch führt die Küstenstrasse entlang des felsigen Uferstreifens südwärts, vorbei an der Ausgrabungsstätte Egnazia ( siehe Reisetipps im Anhang, S. 168 ). Je näher wir dem Badeund Kurort Torre Canne kommen, desto häufiger treffen wir auf Hinweisschilder mit der Aufschrift « Ricci ». Sie gehören zu Strandrestaurants oder -buden direkt am Meer und werben für « Igel » – Seeigel natürlich. Eine dieser Strandbuden ist La Rotonda, die von Rosa und ihrer Familie geführt wird. Wir hätten gerade den optimalen Zeitpunkt erwischt, erklärt die resolute Chefin. Ricci-Hauptsaison sei März und April, denn das Essbare am Seeigel seien die Eier, und jetzt sei eben Laichzeit und die Ricci besonders prall und schmackhaft. Die Ricci, die Rosa anbietet, kommen täglich frisch direkt aus dem Meer hinter dem Restaurant und werden sofort serviert. Dazu bricht man die Schale mit einer Art Zange in zwei Hälften. Rosa präpariert mir ein paar besonders schöne Exemplare und reicht mir Weissbrot. Sternförmig und leuchtend orange präsentiert sich der Rogen im Inneren. « Einfach auftunken und essen », ruft sie mir zu, von den Ricci-Eiern werde man schön. « Dann hast du wohl das ganze Leben lang nichts als Ricci gegessen », feixe ich zurück. Die Ricci schmecken frisch nach Meer, viel weniger salzig als Kaviar und sind leicht cremig in der Konsistenz. Göttlich. «Rosa, bringst du mir noch ein paar und einen Viertel weissen Martina ?»
08 Ricci di mare. 09 Umgebung Cala Colonia.
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Ein Meer von
Olivenbäumen
Fährt man von Monopoli der Küste entlang den Stiefelabsatz hinunter Richtung Lecce, so durchquert man den wohl grössten und ältesten Olivenhain Europas. Millionen von jahrhundertealten Olivenbäumen stehen in der Marina, dem flachen, knapp 10 km breiten Küstenstreifen.
Der Olivenbaum war schon vor den Griechen in Apulien heimisch, der gezielte Anbau des Ölbaums geht aber auf die Zeit der Kolonisation durch die alten Griechen um ca. 800 v. Chr. zurück. Damals wurde der Küste entlang noch eine gemischte Gartenwirtschaft betrieben, bei der die Olive nur ein Fruchtbaum unter anderen war. Zu römischer Zeit wurde eine stete Spezialisierung vorangetrieben : Getreide in der Ebene von Foggia im Norden Apuliens, Wein, Hülsenfrüchte und Olivenöl zwischen Bari und Lecce. Daneben gedieh eine breite Palette von landwirtschaftlichen Produkten wie Feigen und Mandeln für den lokalen Markt. Einen ersten eigentlichen Ölboom gab es ab dem 12. bis ins 15./16. Jahrhundert. Von da an wurden die Olive und der Ölhandel zum entscheidenden Wirtschaftsfaktor zwischen Bari und Brindisi. Neben Speise- wurde vor allem sogenanntes Lampantöl für die Beleuchtung hergestellt, weitere Verwendungsbereiche waren Kosmetik- oder Medizinalprodukte. Das ganze Finanzsystem baute auf dem grünen Gold auf. Es wurden Ernten subskribiert, Kredite darauf vergeben und damit spekuliert. Der Leibarzt des Königs in Neapel wurde ums Jahr 1270 mit 560 000 l Olivenöl aus dieser Gegend entlöhnt – in Papierform und als Handelsware.
01 Olivenhain.
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Wir kommen auf der alten Strasse SS16 in Montalbano an und sehen ein Schild mit der Aufschrift « Dolmen ». Ein schmaler, holpriger Feldweg, gesäumt von verwitterten Trockenmauern, geht links weg. Zweimal links-rechts, und wir sind umschlungen vom Meer der Olivenbäume. Tausende von Zikadenmännchen geben in der flimmernden Hitze ihr Bestes. Ihr Sirren, einer Hochspannungsleitung ähnlich, ist ohrenbetäubend und psychedelisch – dagegen ist das müde Krächzen der Hitchcockschen Rabenvögel geradezu ein Pappenstiel. Und da steht er, der Dolmen von Montalbano. Zwei mächtige Steinplatten, hochkant gestellt, gedeckt von einer noch grösseren. Wir kommen ins Grübeln über das Wie, Wann und Warum. Ein Erkundungsspaziergang in der Umgebung lässt uns in eine archaische Welt eintauchen. Mehrere Höhlen und Grotten, von Menschenhand ausgebaut mit Kaminen, ausgemeisselten Nischen und in Stein gehauenen Vorrichtungen, die einmal einen speziellen Zweck erfüllten – unsere Fantasie galoppiert. Zu den Dolmen gibts an der Strasse immerhin eine Infotafel. Nichts von Kraftort und kultischer Begegnungsstätte à la Stonehenge, sondern ein Grab, ungefähr aus der Zeit von Ötzi selig. Die Platten waren ursprünglich mit Steinen zu einem Grab hügel überdeckt ; im Verlauf der Jahrhunderte trugen Bauern die Steine ab und verwendeten sie zum Bauen.
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02 Strasse SS16. 03 Dolmen von Montalbano.
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Unablässig summt und singt sie vor sich hin, um zwischendurch leicht amüsiert fest zustellen : « Oddio, siehst du, jetzt hab ich doch was vergessen ! »
04 Isabella Zaccaria-Laneve.
Und dieselben Olivenbäume stehen heute noch da und tragen Jahr für Jahr ihre Früchte. Die am weitesten verbreiteten Sorten waren damals wie heute die Olearola und die Cellina, die auch als Tafelolive verwendet wird. Nun aber los. Der Magen knurrt und wir sind eingeladen zum sonntäglichen Mittagessen bei Isabella Zaccaria-Laneve in Montalbano. Während der gesamten Kocherei fällt mir auf, mit welcher Ruhe und Gelassenheit Isabella ans Werk geht. Unablässig summt und singt sie vor sich hin, um zwischendurch leicht amüsiert festzustellen : « Oddio, siehst du, jetzt hab ich doch was vergessen ! » Es komme ja noch dieses oder jenes rein. Ihr ist ohnehin ziemlich schleierhaft, wieso der Svizzero nun alles so genau wissen will – sie habe sich doch noch nie überlegt, wie sie die Gerichte zubereite, sie mache sie eben einfach.
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