KOLUMNE
Wie die Wissenschaft während der Corona-Krise Wissen schafft Der Versuch einer Klärung von Verwirrungen
Enea Martinelli Interlaken
Die Wissenschaft vermittelt zurzeit ein widersprüchliches Bild rund um das Corona-Virus. Für den Laien sind die Schlagzeilen aus der Forschung sehr schwer nachvollziehbar und verwirrend. Tempo ist gefragt. Gute Wissenschaft und Tempo schliessen sich gegenseitig fast aus. Der Prozess vom Studiendesign bis zur Veröffentlichung der durch unabhängige Experten geprüften Publikation dauert normalerweise ein bis mehrere Jahre. Viel zu lange in der aktuellen Situation. Im Gegensatz zu reinen Behauptungen und Einzelfallberichten lebt Wissenschaft davon, Thesen statistisch
erhärtet zu beweisen oder zu verwerfen, Resultate von bereits gemachten Studien zu hinterfragen und mit neuen Methoden zu widerlegen oder zu bestätigen. Je jünger die Forschung zu einem Thema ist, desto grösser sind die Widersprüche in den Resultaten von Studien. Dieses Coronavirus wurde erst Ende 2019 entdeckt. Um die Mechanismen der Verbreitung des Sars-Cov2 Virus zu verstehen und daraus fundierte Entscheidungen abzuleiten oder um an CoviD erkrankte Patientinnen und Patienten erfolgreich behandeln zu können, war Wissen sofort gefragt. Dadurch ist ein Wissenschaftswettbewerb entstanden, den wir in dieser Form bisher nicht kannten.
öffentlichung in renommierten Fachzeitschriften zu erhöhen. Das war bis zu Corona eigentlich kein Problem. Da die Zeit drängt und die Öffentlichkeit auf DEN Durchbruch wartet, haben diese Preprint-Server eine neue Bedeutung erhalten: Einige Medien stürzen sich jeweils wie Geier auf neu hochgeladene Studien und verkünden dann in grossen Lettern, dass unveröffentlichte
Die Frage war nun, wie Studienresultate der Fachwelt so rasch wie möglich und trotzdem in qualitativ hochstehender Form zur Verfügung gestellt werden können. Anfang der 90er Jahre wurden die ersten sogenannten Preprint-Server eingeführt. Studien können dort praktisch ohne Hürden hochgeladen werden, um sie der Diskussion in der Fachwelt auszusetzen – auch um die Chancen auf die spätere Ver-
«Je jünger die Forschung zu einem Thema ist, desto grösser sind die Widersprüche in den Resultaten von Studien. Das ist völlig normal»
62
Bödeli- / BrienzInfo | Juli 2020