Merligen VINCENZ OPPLIGER STREIFLICHTER AUS DER GESCHICHTE
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weberverlag.ch Merligen VINCENZ OPPLIGER STREIFLICHTER AUS DER GESCHICHTE
Alle Angaben in diesem Buch wurden vom Autor nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihm und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten. Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe. © 2022 Weber Verlag AG, CH-3645 Thun / Gwatt 1. Auflage Idee und Konzept : Vincenz Oppliger Fotos: Vincenz Oppliger, Sammlung Vincenz Oppliger, Samuel Krähenbühl, Shana Hirschi, Div. Coverbild: Bruno Petroni Weber Verlag AG Gestaltung Satz und Inhalt: Shana Hirschi Bildbearbeitung: Adrian Aellig Lektorat: Samuel Krähenbühl Korrektorat: Heinz Zürcher ISBN 978-3-03922-147-9 Diewww.weberverlag.chWeberVerlagAGwird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt. Drucksacheneutral No. 01-12-409142 – www.myclimate.org © myclimate – The Climate Protection Partnership
Merligen VINCENZ OPPLIGER STREIFLICHTER AUS DER GESCHICHTE
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Inhalt Inhalt 5 Vorwort 6 Zu diesem Buch 9 Die Gegend 11 Die Frühgeschichte 19 Das Mittelalter 27 Die Reformation 45 Nach dem Einmarsch der Franzosen 1798 57 Die Bevölkerung von Merligen und ihre Existenzgrundlagen 63 Entwicklung nach 1842 97 Der 2. Weltkrieg 125 Katastrophen 129 Die Kirche Merligen 143 Persönlichkeiten 151 Merliger Witze 154 Merligen heute 157 Autorenporträt 163 Quellen 164 Sponsoren 168
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Das von Vincenz Oppliger verfasste Buch «Merligen – Streiflichter aus der Geschichte» ist ein harmo nisches Miteinander vornehmlich dreier Glücksfälle, die dieses Werk beseelen, prägen und es zu ei nem bedeutenden, wertvollen Zeugnis der vergangenen sowie der heutigen Zeit werden lassen.
«Merligen – Streiflichter aus der Geschichte» wird auch aufgrund seiner guten Lesbarkeit und der vielen treffend ausgewählten Illustrationen Jung und Alt mit Geschichte und Geschichten erfreu en und einen wichtigen Beitrag dazu leisten, das Interesse am Lokalen nicht zu verlieren.
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Damit werden Merligen und seine Bewohner nebst den vielen «Schlagzeilen» immer wieder «ak tenkundig» und bieten so dem Historiker Vincenz Oppliger einen äusserst reichen Quellen- und Geschichtenschatz. Dieser Schatz liegt einem Forschenden aber nicht einfach zu Füssen, ist er doch sowohl in der Tiefe wie in der Breite weit verstreut. Seine Bruchstücke müssen zuerst ge funden, gehoben, zusammengetragen, geordnet und in ihrem Wert beurteilt werden, ehe sie in einen Text einfliessen können.
Der zweite Glücksfall also, der hier erwähnt sein soll, ist die beeindruckende, unermüdliche Schaffenskraft von Vinzenz Oppliger. Sie gründet, wie er selbst sagt, auf seinem Interesse an Ge schichte im Allgemeinen und an der Geschichte seines Dorfes Merligen im Besonderen, die ihn beide seit seiner Kindheit begeistern. Wir können kaum ermessen, wie viele Stunden, Tage und Wochen er in all den vielen Jahren in Archiven oder zuhause in seinem Studierzimmer verbracht hat, akribisch und gründlich arbeitend, über alte Schriften und Bilder gebeugt, in Geschichte ver tieft, bis dass er uns Lesern dieses spannende und reichhaltige Werk hier präsentieren kann und uns teilhaben lässt.
Der dritte Glücksfall ist der Mensch Vincenz Oppliger. Er, der im Dorf tief verwurzelte «Merliger», gibt dem Buch «Merligen – Streiflichter aus der Geschichte» die besondere Würze. Hineingeboren
Vorwort
Der erste Glücksfall ist das schöne Dorf Merligen, seine Geschichte und seine Bewohner. Merli gen, das im Laufe der Geschichte viele überregionale, auch traurige «Schlagzeilen» geliefert hat, lässt nicht kalt und löst bei allen, die das Dorf kennen, Emotionen aus wie Heimat, Sehnsucht, Bewunderung, Freude am Schönen, Stolz, auch Belustigung und Neid ... Unter den elf «Geschwis terdörfern» der Gemeinde Sigriswil ist Merligen dasjenige Dorf, das im Laufe seiner langen Ge schichte immer wieder – gefördert durch seine abgeschiedene Lage und die damit verbundene notwendige Offenheit gegenüber einer Welt ausserhalb der Gemeinde – selbstbewusst in Er scheinung tritt und die Aufmerksamkeit seiner näheren und weiteren Umgebung auf sich zieht.
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Ueli Häsler
Die drei erwähnten «Glücksfälle» sind in diesem Buch, wie eingangs bereits erwähnt, harmo nisch und untrennbar verbunden, gleichsam wie Vincenz Oppliger, sein Schaffen und sein Dorf Merligen eben auch untrennbar miteinander verbunden sind. Dies ist ein «Glücksfall» für das Dorf und die Gemeinde. Vincenz Oppligers immenses Schaffen im Dienst der Öffentlichkeit umfasst neben dem Verfassen von historischen Texten, Gestalten von Broschüren, Ausstel lungen und Rundgängen viele andere anspruchsvolle und zeitintensive Tätigkeiten, die er in Gemeinde, Kirche und verschiedenen Organisationen innehatte. In den letzten fünfzig Jah ren bis heute findet sich kein einziges Jahr, in dem Vincenz Oppliger seine ehrenamtliche Ar beit für Dorf und Gemeinde je ausgesetzt hätte. Dieses Schaffen und das daraus entstande ne Lebenswerk, von dem das vorliegende Buch «Merligen – Streiflichter aus der Geschichte» ein Teil ist, verdient unser aller Respekt.
7 in eine traditionsreiche und wertefeste Familie, aufgewachsen auf der «Gärbi in Merligen», hat Vin zenz Oppliger den Ort, an dem seine Vorfahren seit vielen Generationen gelebt haben, schon früh ins Herz geschlossen und tiefe Wurzeln der Verbundenheit geschlagen. Hier, umgeben von seiner Familie und seiner lieben Frau Dora, die seine «Leidenschaften» mitlebt und sein stunden langes Eintauchen in vergangene Welten nicht stört, hier, an diesem Ort, wo am Tag des heiligen Vincenz, am 22. Januar, die Sonne zum ersten Mal im Jahr die Niesenspitze überwindet, wächst der gute Boden, der Vincenz Oppliger nährt und ihn zum weitblickenden, breitgebildeten, zufrie denen Menschen hat werden lassen.
Vincenz Oppligers Faszination für Kunst, Architektur, Kulturen, Malerei, ferne Länder und Rei sen ist gross. Er selbst ist Maler, Schriftenmaler, Kunstmaler, auch Lehrer, Handwerker, Kapi tän und Gärtner – eine grosse Persönlichkeit. In «Merligen – Streiflichter aus der Geschichte» legt Vincenz Oppliger seinen Fokus zwar auf sein kleines Dorf, bleibt aber nicht im Engen und Kleinen der Dorfgeschichte haften, sondern schafft immer wieder Bezüge und Verbindungen von Merligen zur weiten Welt und damit zu verschiedensten Themen, die zu lesen in einer «Dorfgeschichte» überraschen. So gelingt es Vincenz Oppliger trefflich, dem Leser sein ver netztes Denken wie sein grosses Wissen nahezubringen, ihn zu begeistern und zum Weiterden ken, gar Weiterforschen anzuregen.
Ich kenne Vincenz Oppliger, solange ich denken kann. Als Kind war er mir als Maler und Künstler Vorbild, in jungen Jahren war er an der Gewerbeschule Thun zeitweise mein geduldiger und ruhi ger Vorgesetzter, später pflegten wir eine überaus gute Zusammenarbeit in Kirchgemeinde und Kulturkommission und heute darf ich ihn, obwohl wir uns nicht häufig sehen, einen lieben Freund nennen, den ich überaus respektiere und schätze und dem ich eine besondere Wertschätzung der Gemeinde Sigriswil von Herzen gönnen möchte.
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Zu diesem Buch
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Diese Berichte aus der Vergangenheit von Merligen (ab 1842) veranlassten mich nun, Ausschnitte davon in einen grösseren Zusammenhang zu stellen und mit dem nun vorliegenden Werk einen Überblick über die Geschichte Merligens zu geben. Ich bin mir bewusst, dass ich damit keine voll ständige Chronik von Merligen vorlegen kann, hoffe aber, dass diese Arbeit zusammen mit den früher erschienenen Fotobänden «Rund um Merligen» von Gertrud und Stefan Zwahlen und «Rund ums Merligbad» von Kurt Wittwer den interessierten Mitbewohnern von Merligen und den Gästen die Geschichte des Dorfs näherbringen kann.
Schon früh betätigte ich mich im damaligen «Verkehrsverein», erstellte die Grafik für die Pros pektwerbung, verfasste die Chroniken zum 75- und 100-Jahr-Jubiläum und Schriften mit Fotos und Texten zu einem Dorfrundgang, zur Ausstellung «Merligen einst und heute» und Infotafeln zur längst verschwundenen Kalkbrennerei und zur Steinverarbeitung. Durch die Politik, als Ge meinderat von Sigriswil war ich auch Dorfpräsident von Merligen, kam ich noch enger in Berüh rung mit der Gemeinde- und Ortsgeschichte. Mein schon recht umfangreiches Archiv wurde noch erweitert, als mir der Alt-Dorfschullehrer und Alt-Grossrat Hugo Hofer noch die bereits an gesengten Dorfgemeindeprotokollbücher, die er beim Abbruch des alten Schulhauses gerade noch aus dem Brandhaufen retten konnte, übergab. Die noch in alter deutscher Kurrentschrift abgefassten Protokolle nahm ich in Verwahrung und machte mich nach meiner Pensionierung daran, sie zu transkribieren.
Mein Interesse für die Geschichte im Allgemeinen und für die Geschichte meines Heimatdorfs im Besonderen wurde schon früh geweckt. Mein Grossvater erzählte mir viel über unsere Vorfahren und die Sage von der verschütteten Stadt Roll. Er übergab mir auch alte Familiendokumente, die er in einer Kiste aufbewahrt hatte. Im Lesezimmer der Pension «Du Lac», die damals von meinen Grosseltern mütterlicherseits geführt wurde, gab es unter anderen auch Geschichtsbücher. Ei nes, das es mir besonders angetan hatte, war ein grosser Band «Bilder aus der Schweizerge schichte» von Karl Jauslin (1842–1904), in dem Jauslin mit 112 detailgetreuen Zeichnungen die wichtigen Ereignisse der Eidgenossenschaft darstellte.
Vincenz Oppliger
Ich danke allen, die mich mit Informationen bedient haben, den Sponsoren für ihre Unterstüt zung und dem Weber Verlag für die sorgfältige Gestaltung. Sie alle haben zum Gelingen dieses Buches beigetragen. Meiner Frau und Familienmitgliedern danke ich für die Durchsicht der Texte und die Geduld, wenn ich nicht vom Computer wegzubringen war.
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Das Dorf liegt auf einer Höhe von 568 Metern am Ufer des Thunersees auf einem Schwemmkegel, direkt am Ausgang des Justistales.
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Die Gegend
Merligen liegt im Berner Oberland, einer Gegend, die schon lange als eine der schönsten in der Schweiz bekannt ist. Das langgezogene Dorf erstreckt sich vom Stampbach bis ins Nastel. Dort bildet der steil in den See abfallende Beatenberggrat hinter der Beatenbucht die Grenze. Da zwischen liegt die anmutige Bucht von Merligen mit dem Dorfkern auf dem Delta des Grön bachs, der hier, aus dem Justistal kommend, in den See mündet. In diesem klimatisch begüns tigten Teil des rechten Seeufers wachsen Pflanzen, die sonst nur auf der Alpensüdseite vor kommen, wie Edelkastanie, Steineiche, Palme, Feigenbaum, Stechpalme und Orchideen. Dank dieser schönen Lage wurde das Dorf schon früh zum Tourismusort. Der See ist in der Regel friedlich und lädt zum Bade, zum Rudern und zum Segeln ein. Durch Fallwinde, besonders durch den gefürchteten «Twärwind», kann er aber auch zum schäumenden Ungetüm werden. So gab es schon früher hinter der «Nase», da wo der Beatenberggrat steil in den See abfällt, eine Notlandestelle, «zum bösen Rat» genannt. Auf einem Stich von 1827 von Gabriel Lory ist eine dramatische Szene festgehalten.
Merligen gegenüber liegt die Spiezer Bucht mit dem «Goldenen Hof». Das Schloss war ursprüng lich im Besitz der Freiherren von Strättligen, ab 1338 gelangte es an die Adligen von Bubenberg und 1516 an die von Erlach, die noch bis 1875 hier residierten. Dahinter ragt die klassisch schöne Pyramide des Niesens auf, eingefasst von den Talausgängen des Kander- und Simmentals. An ziehungspunkte waren früher auch die Wallfahrtsorte Beatushöhle, St. Michael zu Einigen und «Unsre liebe Frau» in Scherzligen. Nach der Kirche Einigen «Im Paradies» führt das legendäre «Beatus-Weglein» über den See.
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Der «Twärwind» kann zum
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Die mächtige pyramiden förmige Gestalt des Niesen dominiert die Ansicht von der Merliger Seite her. Bei bestimmten Wetterund wahrgenommenlein»kannWindbedingungedas«Beatus-WegaufdemSeewerden.
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Kirche Sankt Michael in Einigen.
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Der Freienhof in Thun diente früher als Umladeplatz für die Transporte auf dem See. Bevor gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Dörfer am Thunersee mit Strassen erschlossen wurden, wurden die meisten Güter auf dem See transportiert.
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Der mächtige Donjon des Schlosses Thun musste zur Zeit dessen Erbau ung um das Jahr 1200 den Menschen Eindruck gemacht haben. Denn Thun war damals ein kleiner Fleck.
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Gegend
Die
Der «Freienhof» war die «Sust», der Umladeplatz vom Landweg zum Seeweg und umgekehrt. Güter wurden von dort auch auf der Aare weiter Richtung Bern verschifft. Um 1200 liess Herzog Berchtold V. von Zähringen das mächtige Schloss bauen. Die Stadtbefestigung mit den Tortür men wurde dann von seinen Erben, den Kyburgern, errichtet.
Der heilige Beatus pflegte vom Seeufer unterhalb seiner Höhle auf seinem Mantel den See zu überqueren, um in der Kirche Einigen am Gottesdienst seines Gefährten Justus teilzunehmen. Seither kann man bei bestimmten Wetter- und Windbedingungen das flache «Weglein» zwi schen gekräuselten Seeflächen ausmachen. Die Legende berichtet von Einigen als Mutterkir che von zwölf Kirchen in der Gegend, von denen noch Amsoldingen und die Spiezer Schlosskir che im Zustand der romanischen Pfeilerbasilika erhalten sind. Elogius Kiburger, der die Legende aufschrieb, war Priester in Einigen und stand im Dienst der Herren von Bubenberg. Er verfasste nach 1464 zu ihren Ehren die sogenannte «Strättliger Chro nik». Demnach hatte König Rudolf II. von Burgund (~880–937) einen Traum, in dem ihn ein Engel anwies, zwölf Kirchen um den Thunersee bauen zu lassen. Auch die Kirche Sigriswil gehörte dazu, wurde aber, wie andere auch, mehrmals neu- und umgebaut. Die Kirche in Merligen ge hört nicht dazu, datiert sie doch als Neubau von 1937. Merligen war seit alters her der Kirchge meinde Sigriswil zugehörig. Ein wichtiger Ort für die Merliger war und ist die Stadt Thun mit dem im Mittelalter einzigen Brückenübergang über die Aare (Sinnebrücke). Die Aare bildete auch über weite Strecken die Grenze zwischen Alemannien und Burgund und später den Bistü mern Konstanz und Lausanne.
Die Lage am See und das milde Klima haben dazu beigetragen, dass Merligen bereits früh begangen und wohl auch besiedelt war.
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E so wie mers dr Grossätti verzeut het u wi n ii s üsne Chind u Grosschind witerverzeut ha. Da wo hüt ds Rauighouz isch, isch früecher e grossi Stadt gsi.
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D Lüt wo dert gwohnt hii, si rich aber herthärzig u bös gsi.
Die Frühgeschichte
Ein weiterer Hinweis auf dieses Ereignis findet sich in der sogenannten Fredegar-Chronik, einer fränkischen Chronik, die um 700 zusammengestellt wurde: «Eo anno (id est Anno Christi 598–99, quarto regni Theodorici) aqua caldissima in Lacum Dunensis, quem Arola fluvius influit, sic valide ebullivit, ut multitudindem piscum coxisset.»
Stein- und bronzezeitliche Funde in der Gemeinde, so ein Steinbeil in der Guntenschlucht, gefunden durch einen Christian Oppliger aus Merligen, den Hortfund von Ringoldswil mit Vollgriffdolchen, Lan zenspitzen und Randleistenbeilen, gefunden 1840 von einem Bauer beim Pflügen und ein Bronzean hänger in Form eines Zierdolchs in Merligen, zeugen von Menschen aus vorgeschichtlicher Zeit. Noch weiter zurück weisen die versteinerten Schalentiere und Pflanzen aus den Ablagerungen des urzeit lichen Meeres, die im Auftrag des Forschers Wilhelm Alexander Ooster (1816–1893) durch professio nelle Sammler, unter ihnen auch Gottlieb Tschan von Merligen, aus den Sedimenten herausgelöst werden konnten. Die umfangreiche Sammlung schenkte Ooster schliesslich dem naturhistorischen Museum Bern. Ebenfalls vorgeschichtlich ist der Bergsturz von der Spitzen Fluh, der die sagenhafte Goldgräber-Stadt Roll verschüttet haben soll. Einige Streufunde belegen die Katastrophe.
«In demselben Jahr (das heisst im Jahre des Herrn 598–99, im vierten der Regierung Theoderichs) wallte das siedend heisse Wasser im Thunersee, in den die Aare fliesst, so heftig auf, dass es eine Menge Fische kochte».
Diese Stelle könnte als «Tsunami», ausgelöst durch den Bergsturz, interpretiert werden. Das Ereig nis lebte, da keine weiteren schriftlichen Aufzeichnungen vorhanden sind, in Sagen weiter. Auch davon gibt es verschiedene Varianten. Ich gebe hier die weiter, die mir mein Grossvater erzählte:
D Gschicht vom Undergang vor Stadt Roll (im Dialekt als «Rou» gesprochen)
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Der Untergang der Stadt Roll hat die Menschen bewegt. Hier eine Zeichnung von Vincenz Oppliger.
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«Törft i ächt öppe bi öch uber Nacht blibe?» het ds Zwärgli ganz schüüch gfragt.
Dr gross Heer hets agschnoutzet: «Mach das d furt chunsch du Souzwärg du, du bruchsch üs nüt cho Unglück z bringe.»
Ä liebe aute Grossätti het ufta u het gsiit:
Är het d Tür zuegschlage u ds Zwärgli dusse im schtrube Wätter la schta. Äs het no grad zum nechschte vürneme Huus möge ga u het deecht, äs wärde wou nid aui Lüüt z Roll äso bös si, u chlopfet a d Tür.
A ne re Leine het er zwe grossi schwarzi Hünd gka, wo scho gäge Zwärg biisnet hii.
«Das fäuuti sech no, das mier e Zwärg i ds Huus chäm. Mach das d‘ furt chunsch, oder i hetze dr no grad di grosse Hofhünd a.»
Vor Chlupf isch ds Zwärgli hindertsi i Schnee usi gkeit.
«Ee, lue da, äs chliins Zwärgli! Chum inni a d Weermi, du bisch ja ganz erfrores. Marei, gang mach em Zwärgli es Chacheli warmi Miuch u gib im Chäs u Brot. Nachhär wii mer im de im Gade obe ds Bett mit em ghüslete Dachbett u Chüssi azieh, das es bi üs cha ubernachte. Bi dem Wätter chas emu nimme i d Rauigschöpf uechi."
Dür ds erlüüchtete Fenschter hets inni gluegt u gseh, wi d Chind ume warme Ofe um mit goudige Chrugle gschpiut hi. Äs chlopfet a di schöni Hustür. Da chunt e grosse Heer use u fragt: «Was wosch du da, du Souzwärg du?» «Törft i öppe bi öch uber Nacht blibe? I ma fasch nümme witer.»
Bim erschte vürneme Huus hets zuechi gka.
Derbi häts no bis wiit i d Rauigschöpf uechi söue, wo d Zwärgehöline gsi si.
Iis am ne chaute Winteraabe isch äs chliins Zwärgli vo Thun här düre Schneesturm cho z luufe.
Da chunt e grosse Heer i me ne lenge Mantu use.
De mues i äuä da erfriere, hets scho teecht, wo s no am Endi vor Stadt äs schwachs Liechtli erlickt het.
Die Frühgeschichte
Äs het scho fasch nümme witer möge u isch geng u geng wider im höche Schnee umgkeit.
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Äs isch zu me ne chliine Hüsli cho u het dert no inisch agklopfet.
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Grossi Feusblöck u Tanni si ds dürab cho. Ufem vorderschte Feusblock isch dr Zwärg gritte u het mit ere Tanne griiset.
Viu später, we d Merliger Stiihouer im Rauighouz öppe e Stii vüregschliipft hii, für ne Brunne trog z mache, söue si mengisch no e goudegi Chrugle oder süsch öppis drunder gfunde ha, wo vor Stadt Roll ubrigbliben isch.
Ds Zwärgli het danket u si hi nim gsiit, si wöue nim de o no Zmorge mache, bevor s witer göng.
Aber es het gsiit, si söue sich nid Müehi mache, äs göng i auer Früechi z düruf, we si no schlafe.
Die Frühgeschichte
U du het me scho d Zwärge gkört rüefe: «Stadt Roll, zieh us mit dim Vouk, zieh us, dem Stampbach zue. Schlegal u Wegge si gchaute, di Spitzi Flueh isch gschpaute, d Stadt Roll söu undergaa, aber ds Rauighüsli söu blibe sta!»
Dr ganz Feusschturz isch gäg der Stadt Roll zue u het aui Hüser zueteckt. Uf em Bäreneggler het dr Zwärg die Tanne vor em Feusblock i Bode gschlage, das er isch schtiu gschtande u ke inzige Stii gägem Rauighüsli het chönne achi troole. Äso hii Zwärge die böse Lüt vor Stadt Roll gschtraft u die liebe aute Lütleni z Rauige verschonet.
Am andere Tag, gäge Mittag zue, ischs brandschwarz worde über de Rauigstöck.
Aber si wärde de scho no von im gköhre. Du ischs dür ds Ofeguggi uf i ds Gade gschloffe.
«Eh, was wott ächt das für näs Uwätter ge?» het d Marei zum Grossätti gsiit.
Durch die Entdeckung von Gräbern mit Schmuck- und Waffenbeilagen, zum Beispiel bei der Kirche Einigen und bei der Schlosskirche Spiez, schloss man, dass alemannische Stammes oberhäupter sich bekehrten und Eigenkirchen stifteten, die später zu Dorfkirchen der ganzen Sippe wurden.
Vor der römischen Eroberung um 40 vor Chr. lebten in dem Gebiet der heutigen Schweiz fast aus schliesslich keltische Völker (Helvetier, Rauriker, Seduner, Allobroger). Um 15 vor Chr. war das ganze Territorium bis nach Süddeutschland ins römische Reich integriert. Die Romanisierung erfolgte aber nur langsam. Personen- und Ortsnamen blieben vielfach keltisch (Thun > Dunum, umzäunter, befestigter Ort). Unsere damals noch raue, bewaldete Gegend lag weitab der befes tigten Römerstrassen, die als Verkehrs- und Handelswege durch die Schweiz führten.
Die Frühgeschichte Merligen gehört mit Hilterfingen, Ralligen und auf der anderen Seeseite mit Scherzligen, Strättli gen, Einigen, Leissigen, Därligen in eine Reihe germanischer Siedlungsnamen. Sie zeigen das Vordringen alemannischer Ansiedler etwa zwischen 500 und 800 vom Mittelland in das bisher keltoromanische Oberland. Sie findet ihre Fortsetzung im Hasli mit Brünigen, Isenbolgen (einst Isanboldingen), Meiringen, Willigen, ferner ennet der Grimsel im Oberwallis mit Ulrichen (Ulri chingen), Reckingen, Gluringen, Ritzingen, Selkingen, Blitzingen.
Dabei darf man sich nach neueren Erkenntnissen der Forschung nicht unbedingt ein eroberungs mässiges kriegerisches Eindringen der Alemannen vorstellen. Vielmehr handelte es sich um eine langsame Durchdringung und Vermischung mit der ansässigen keltoromanischen Bevölkerung.
Mit dem wachsenden Platzbedarf wurden dann auch höhergelegene Ansiedlungen (Sigriswil, Ringoldswil, Wiler) nötig und weiteres Kulturland wurde durch «Schwendten» gewonnen. Die Bäume wurden durch Abschälen der Rinde zum Absterben, Schwinden, gebracht und dann nie dergebrannt. Die Dorfnamen Schwanden und Aeschlen zeugen noch von diesem Vorgehen. An der Bucht von Merligen ist vor mehr als 1000 Jahren vielleicht ein Marlof oder Marbot sesshaft geworden. Diese zweigliedrigen Kriegernamen (mâri bedeutet berühmt) wurden in der Um gangssprache verkürzt oder in sog. Koseformen umgewandelt. Als Stammvater der Merliger ist daher ein Marlilo und später umgedeutet, ein «Merlo» anzusehen. Der Ortsname bedeutet: Bei den Leuten des Merlo. Auch Ralligen lässt sich als Siedlung eines «Rallo» annehmen.
Ins Ende des 4. Jahrhunderts fallen auch die Anfänge der Christianisierung unserer Gegend. Ob diese aber eher rhoneaufwärts über Lyon, Genf, Avenches oder durch irische Wandermönche wie Columban und Gallus erfolgte, kann nicht mit Bestimmtheit gesagt werden. Eine weitere Spur führt auch über die damals gut begehbaren Passübergänge (Schniidejoch, Lötschenpass, Gemmi, Sanetsch) vom Wallis her, wo das Christentum mit der Verehrung der Märtyrer der the bäischen Legion schon früh gefestigt wurde. Es kann auch nicht ausgeschlossen werden, dass es schon Christen unter den römischen Besetzern gab.
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Anhänger in Form eines Zierdolchs, Weihegabe aus der Bern.HistorischesBronzezeit.Museum
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Doppelspitze aus Elfenbein, Töpferwerk zeug (?) aus römischer Zeit. MuseumHistorischesBern.
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Das Haus der Freyen von derUmgenutzteSigriswil.RuineSchlosskapelle.
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Die frühesten genannten Merliger-Persönlichkeiten sind: – Burchardo de Merlingen (1280/81) – Johanni dicto de Merlingun (1284), – Heinrico dicto de Merlingen (1316), dem Graf Berchtold von Strassberg, um seiner vielen Dienste wegen, einen Acker in Oberhofen schenkte und der offenbar Ammann des Klosters Interlaken war – Conrad von Merlingen (1321) – Ruof von Merlingen, der in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts lebte, Leutpriester zu Scherzligen war, die Pfarrei St. Batten bediente und sogar Dekan zu Köniz wurde.
Das Mittelalter
Aus diesem Völkergemisch etablierten sich erfolgreichere Familien als Adlige, so etwa die Herren von Sigriswil, die Herren von Merligen und die Freiherren von Oberhofen, die damals noch auf der Burg «Balm» wohnten.Die kolorierten Zeichnungen des Schlosses der Herren von Sigriswi und der Schlosskapelle stammen von Karl Howald. Karl Howald (1796-1869), war Pfarrer in Sig riswil von 1833-1869. Er verfasste eine siebenbändige «Chronick von Sigriswyl» und versah sie mit verschiedenen Illustrationen.
Die urkundlichen Nachweise über Merligen beginnen zu Ende des 13. Jahrhunderts (erste Er wähnung 1280), und betreffen hauptsächlich Liegenschaften und Einkünfte der Klöster Amsol dingen und Interlaken in dieser Ortschaft. Die Urkunden lassen erkennen, dass die Bewohner Ackerbau, Weinbau, Alpwirtschaft betrieben. Dazu kamen die Fischerei und Schifffahrt, sowie die Benützung von Wasserkräften zum Betrieb von Mühlen und Sägen. Im Jahrzeitenbuch von Sigriswil ist eine Eintragung von 1397 ersichtlich, in der von Grundstücken in Merligen als «Win gart», «Matfleck» und «Hofstatt» die Rede ist. Bis ins Jahr 1500 hatte Merligen sogar ein Mühlen monopol. In den Mühlen wurde auch gleich das Brot gebacken.
Diese Geschlechter dürften grosse Teile der Gegend mit den Klosterleuten zusammen be herrscht haben. Auch das Kloster Interlaken wurde um 1130 durch ein Mitglied dieser Familie, Seliger von Oberhofen, begründet. Der Name Seliger, lateinisch Beatus, lässt vermuten, dass er sich vielleicht später als Eremit in die Beatushöhle zurückgezogen haben könnte, wo er dann als Heiliger Beatus (Sankt Batt) verehrt wurde. Die entsprechende Vita des Heiligen Beatus, die der Franziskanermönch Daniel Agricola aus Basel 1511 für die Augustiner-Chorherren von Interlaken verfasste, greift aber viel weiter zurück, auf die nicht belegbare Missionierung des Oberlands durch irische Mönche.
Die gleiche Szene desderDrachenvertreibungderausLebensgeschichteHeiligen.
Der Heilige Beatus vertreibt den Drachen, hier dargestellt als Altarbild.
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Weitere
Das Mittelalter Erwähnungen: – sito in Merligen, sitis in Merlingen (1320), die lütte von Merlingen (1343) – Rudolfus de Merlingen (1377), ebenfalls Leutpriester zu Scherzligen (mit Vidimus von 1382 belegt) – Peter von Merlingen (1389) – die dorfmengi von merlingen (1418) – vff hansen im bach zu merlingen (1501–1526) – Hans Dietrich zu Meerlingen (1524–1580).
Im 12. Jahrhundert regierte das mächtige Geschlecht der Zähringer, die verschiedene Städte, wie Freiburg im Breisgau, Freiburg im Üechtland, Bern, Burgdorf, Thun und andere, gründeten und vom Schloss Thun aus auch unsere Gegend verwalteten. Nach dem Aussterben der Zährin ger um 1218 erbten die Kyburger Teile des Besitzes. So regierte später als Landgraf von Burgund Eberhard II. von Neu-Kyburg bis zu seinem Tode 1357 in Thun. Er war in chronischer Geldnot, was den Sigriswilern bekannt war, und so war er bereit, ihnen das heutige Gemeindegebiet mit den elf Ortschaften, zu denen auch Merligen gehörte zu verkaufen. Der Kaufbrief von 1347 um schreibt die Grenzen der Parrochie (Kirchgemeinde) und des späteren Freigerichts Sigriswil. Merligen lag auch innerhalb der umschriebenen Grenzen.
Die Stelle, die nur vom See her zugänglich ist, wurde immer gerne besucht. Später wurde ein Kreuz in den Felsen gehauen, um die Grenze zu bezeichnen. Es ist heute noch schwach sichtbar. Auch die heutige Grenze zwischen den Ämtern Thun und Interlaken verläuft immer noch hier.
Aus einem Schiedsspruch geht aber hervor, dass Merligen schon vorher Waldparzellen von der Fischbalmen bis zum Rufibach vom Probst von Amsoldingen gekauft hatte und somit schon vor dem Kaufbrief der Gemeinde Eigentümer dieses Gebiets war. Merligen, wie auch alle anderen Ortschaften, ordneten von da an ihre Vertreter in das Gericht (heute Gemeinderat) und nach der Reformation auch in das Chorgericht (heute Kirchgemeinderat) nach Sigriswil ab.
1308 wurde König Albrecht von Habsburg bei Windisch ermordet. Unter den Königsmördern war auch der Oberhofner Freiherr Walter von Eschenbach. Seine Grundherrschaft wurde von den Habsburgern eingezogen und zur Landgrafschaft Burgund geschlagen, die nunmehr rechts der Aare von Solothurn bis zum «Wydeli von Oestrych» reichte, einer Grenzmarkierung nahe der «Nase» hinter der Beatenbucht. Karl Howald fertigte eine aquarellierte Zeichnung für seine Chro nik an. Über dieses «Wydeli» schreibt Johann Rudolf Wyss 1816/17 in seiner «Reise ins Berner oberland»: «Dieses Stäudlin wächst nicht und welkt nicht; die Schiffer zeigen es fleissig, und man lächelt über ein Weidenschoss, das Jahrhunderte lang, seit die Herrschaft Unterseen österrei chisch war, gegrünt.»
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