Dem Klima auf der Spur (Kurzvorschau)

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Luc Hagmann AUFKLIMADEMDERSPUR Wanderungen20 zuSchauplätzen Klimawandelsdes

Luc Hagmann AUFKLIMADEMDERSPUR

Alle Angaben in diesem Buch wurden vom Autor nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihm und dem Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten. Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe. © 2020 Werd Weber Verlag AG, CH-3645 Thun/Gwatt 2. überarbeitete Auflage Idee, Text und Fotos Luc Hagmann Coverbild Morteratschgletscher (GR) Lektorat Linda Malzacher Korrektorat Madeleine Hadorn Satz Milena Portenier Karten Schweizer Wanderwege, Bern ISBN www.weberverlag.chwww.werdverlag.ch978-3-03922-015-1 neutral Drucksache

6Inhalt SchauplätzeÜbersichtskartedes Klimawandels 8 Wissenswertes 11 Das Ötzi-Signal 12 Zu diesem Buch 21 Crashkurs im Hochgebirge Mit dem Klimaguide in Grindelwald Von Pfingstegg nach Bäregg 2,5 h | T2 29 Wassernot Rettungsaktion für die «Flimser Perle» Von Flims nach Valendas-Sagogn 3,5 h | T2 41 Rückeroberung Neuland beim Läntagletscher Von Zervreila zur Läntahütte SAC 5 h | T2 49 Verlängerte Siesta Hitzetage für Murmeltiere im Val Avers Von Juf nach Maloja 5,5 h | T3 59 Verlegter Fluss Hochwasserschutz im Oberengadin Von Murtèl nach Samedan 5,5 h | T2 67 Tauwetter im Dauerfrost Phänomen Permafrost am Schafberg Von Alp Languard nach Bernina Diavolezza 5 h | T3 77 Vom Kraftort zum Kraftwerk Ökostrom am Berninapass Von Ospizio Bernina nach Cavaglia 4 h | T2 OberlandBernerGraubünden

87 Früher Frühling Kirschblütenwandern im Tafeljura Von Salhöhe nach Rümlingen 4,5 h | T1 97 Fisch und Vogel im Stress Im Wasserschloss der Schweiz Von Brugg nach Klingnau 4 h | T1 107 Die Sage vom Gletscherzwerg Expedition am Säntis Von der Ebenalp auf den Säntis 5 h | T3 115 Der Speicher im Moor Versenktes Kohlendioxid in der VonIbergereggOberiberg nach Schwyz 4 h | T2 125 Es grünt so schön Palmen auf dem Vormarsch Von Ascona nach Porto Ronco 5,5 h | T2 135 Klimaarchiv Studien im Parco delle Gole della RundgangBreggia in der Breggiaschlucht 2,5 h | T1 143 Auf dass er wieder wachse Beten für den Aletschgletscher Von Belalp nach Blatten 5 h | T3 153 Wenn der Berg rutscht Leben mit Naturkatastrophen im RundwanderungMattertal oberhalb Randa 3,5 h | T2 OstschweizTessinWallis

161 Wer bekommt wie viel? Wassermangel in Walliser VonTrockengebietenCrans-Montana nach Chermignon 6 h | T2 169 Des einen Leid, des andern Freud Rückkehr der Flaumeichen im Wallis Von Visp nach Visperterminen 3,5 h | T2 177 Tal voller Energie Visionäres Goms Von Gletsch nach Münster 5,5 h | T2 187 Höher und höher Für die Alpenpflanzen wird es eng Von Plan-Francey auf den Moléson 3 h | T2 195 Sonne, Wind und Hightech Solarzellen und Windräder auf dem Mont Crosin Von Mont Soleil nach Tramelan 4 h | T1 202 Ortsregister 204 Quellenregister Westschweiz

Übersichtskarte6 des KlimawandelsSchauplätze Mont Soleil Seite 195 SeiteSalhöheSeiteBrugg9787 SeitePlan-Francey187 SeiteCrans-Montana161 SeiteRanda153BelalpSeite143PfingsteggSeite21VispSeite169

7 SeiteZervreilaSeiteFlims2941JufSeite SeiteMurtèl4959AlpSeiteLanguard67 SeiteEbenalp107 SeiteOberiberg115GletschSeite177 SeiteAscona125 SeiteBreggiaschlucht135 Ospizio Bernina Seite 77

T3 BergwandernAnspruchsvolles

Bei Nebel, Regen oder gar Schneefall neh men die Anforderungen rasch zu. T1 Wandern Weg / Gelände: Weg gut gebahnt. Falls nach SAW-Normen markiert: gelb. Gelände flach oder leicht geneigt, keine Absturzgefahr. Anforderungen: Keine. Orientierung prob lemlos, auch ohne Karte möglich. Wanderungen T1 Salhöhe Rümlingen (S. 87) Brugg Klingnau (S. 97) Breggiaschlucht (S. 135) Mont Soleil Tramelan (S. 195) T2 Bergwandern Weg / Gelände: Weg mit durchgehendem Trassee und ausgeglichenen Steigungen. Falls nach SAW-Normen markiert: weissrot-weiss. Gelände teilweise steil, Absturz gefahr nicht ausgeschlossen. Anforderun gen: Trittsicherheit, Trekkingschuhe sind empfehlenswert. Elementares Orientierungs vermögen.

Ospizio Bernina Cavaglia (S. 77) Oberiberg Schwyz (S. 115) Ascona Porto Ronco (S. 125)

Randa Rundwanderung (S. 153)

Die Schwierigkeitsbewertung in diesem Buch orientiert sich an der SAC-Wander skala, welche von T1 (Wandern) bis T6 (schwieriges Alpinwandern) reicht. Die be schriebenen Touren bewegen sich zwi schen T1 und T3.

Crans-Montana Chermignon (S. 161) Visp Visperterminen (S. 169) Gletsch Münster (S. 177) Plan-Francey Moléson (S. 187)

Weg / Gelände: Am Boden ist meist noch eine Spur vorhanden, ausgesetzte Stellen können mit Seilen oder Ketten gesichert sein, eventuell braucht man die Hände für das Gleichgewicht. Falls nach SAW-Normen markiert: weiss-rot-weiss. Zum Teil expo nierte Stellen mit Absturzgefahr, Geröllflä chen, weglose Schrofen. Anforderungen: Gute Trittsicherheit, gute Trekkingschuhe, durchschnittliches Orientierungsvermö gen, elementare alpine Erfahrung. Wanderungen T3 Juf–Maloja (S. 49) Alp Languard –Bernina Diavolezza (S. 67) Ebenalp–Säntis (S. 107) Belalp–Blatten (S. 143)

Flims Valendas-Sagogn (S. 29) Zervreila Läntahütte (S. 41) Murtèl Samedan (S. 59)

SchwierigkeitsgradeWissenswertes8

Allgemeine Informationen Als Ergänzung zur Tourenplanung nachfol gend einige wichtige Telefonnummern und nützliche Websites.

Die Schwierigkeitsangaben beziehen sich auf günstige Verhältnisse, also auf gutes Wetter, trockenes Gelände und klare Sicht.

Wanderungen T2 Pfingstegg Bäregg (S. 21)

9 Wetter Wetterbericht: 162 ( mehrmals täglich aktualisiert ) Alpenwetterbericht: 0900 162 138 Internet: www.meteoschweiz.ch Notruf Rega: Feuerwehr:Polizei:1414117 118 Zeichenerklärung HöhenunterschiedDistanzWanderzeitSchwierigkeitsgrad Links (Intergovernmentalwww.ipcc.ch Panel on Climate (Versuchsanstaltwww.vaw.ethz.chChange)für Wasserbau, Hydro logie und (Schweizerwww.glasmos.chGlaziologie)Gletschermessnetz Glasmos) (Bundesamtwww.bafu.chfür www.wsl.chAb(Eidg.www.eawag.ch(Bundesamtwww.bfe.admin.chUmwelt)fürEnergie)AnstaltfürWasserversorgung,wasserreinigungundGewässerschutz)(Eidg.ForschungsanstaltfürWald,SchneeundLandschaft)www.sl-fp.ch(StiftungLandschaftsschutzSchweiz)www.nfp61.ch(NationalesForschungsprogrammNFP61)www.scnat.ch(AkademiederNaturwissenschaftenSchweiz)www.cipra.org(InternationaleAlpenschutzkommission)www.permos.ch(SwissPermafrostMonitoringNetwork)www.meteoschweiz.chwww.proclim.chwww.nccs.ch(NationalCentreforClimateServicesNCCS)www.pronatura.chwww.birdlife.chwww.suisse-eole.ch(VereinigungzurFörderungderWindenergieSchweiz)

Rhonegletscher.

Wandernde müssen sich also auf etwas gefasst machen, wenn sie sich auf die Spuren des Klimawandels begeben. Nicht nur, was spektakuläre Entde ckungen anbelangt, sie sind auch selber von der Klimaerwärmung betrof fen – etwa, wenn in den Bergen Permafrostböden auftauen, Schutt und lo ckeres Gestein sich lösen und ganze Hänge instabil werden. Eine sorgfältige Routenplanung, Orientierungshilfen, wetterfeste Kleidung, laufende Beur teilung der Verhältnisse und des Geländes sind wichtiger denn je.

Aber die hohen Temperaturen fördern diesen Prozess enorm. Und es wird in Zukunft mit Sicherheit weitere Überraschungen dieser Art geben.

Seit der ersten Auflage dieses Buches sind sieben Jahre vergangen. Was das Klimabewusstsein betrifft, hat sich in dieser Zeit einiges getan: Millionen von Menschen gingen auf die Strasse und riefen den Klimanotstand aus. So gesehen, ist dieses Buch aktueller denn je. Dabei haben Forscher schon vor über hundert Jahren eine gefährliche globale Erderwärmung wegen des Ausstosses von Kohlendioxid durch die Zivilisation vorausgesagt. Und 1972 beschwor der Club of Rome in einem Bericht die «Grenzen des Wachstums» für die Bewohner dieses Planeten. Doch erst 1991, nachdem Bergwanderer am Rande des Similaungletschers in den Ötztaler Alpen auf dem tauenden Eis einen Toten aus der Steinzeit entdeckt hatten, wurde die Gletscher schmelze und damit die Klimaerwärmung zum beachteten Thema.

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Das Ötzi-Signal

Auch in der Schweiz haben die meisten Gletscher seit Mitte der Siebziger jahre einen Drittel ihrer Fläche und rund die Hälfte ihres Volumens verlo ren. Prompt stiessen 2012 britische Touristen am Aletschgletscher auf die Skelette von drei Walliser Bergsteigern, die seit 1926 verschollen waren. Und auf dem Gauligletscher fanden Kletterer Wrackteile eines 1946 verun glückten amerikanischen Militärflugzeuges. Zum Teil sind die Funde auf die Gletscherdynamik zurückzuführen: Alles, was in den Eisriesen eingeschlos sen ist, strömt langsam talwärts und wird irgendwann wieder freigegeben.

Luc Hagmann, Frühjahr 2020

Tropisches Mittelland Die Gletscher zogen sich allerdings nicht kontinuierlich zurück; es gab im mer wieder kältere Phasen, in denen die Eiszungen erneut an Mächtigkeit zulegten, etwa vor 12 700 Jahren, als der Golfstrom, dem Europa sein mildes Klima verdankt, unterbrochen war. Der Meeresstrom verfrachtet Wasser aus der Karibik nach Norden, dabei trifft das stark salzhaltige und warme Wasser auf das kalte Nordmeer, kühlt ab und sinkt zu Boden. Mit dem Saug effekt kommt eine gigantische Wärmewalze in Gang. Als vor rund 14 000 Jahren die Eisschilde Nordamerikas infolge einer Erwärmung schmolzen, flossen grosse Mengen Süsswasser in den Atlantik und unterbrachen die Zirkulation. Doch auf die aussergewöhnliche Abkühlung – in Europa sank die Durchschnittstemperatur innerhalb 100 Jahren um 5 Grad Celsius –

Zu12 diesem Buch

Die Schweiz unter Eis Ein Blick auf die Karte des Bundesamts für Landestopografie, die die Schweiz während des Maximums der letzten Eiszeit vor rund 24 000 Jahren zeigt, ist eindrücklich: Das ganze Land liegt unter einem gigantischen Eismeer, un terbrochen von nur wenigen aperen Flecken im Jurabogen und im Napfge biet sowie einigen Bergspitzen, die man heute als Rigi, Albis, Hörnli, Irchel und Lägern kennt. Am Thunersee türmt sich die Gletschermasse 900 Meter hoch. Die Durchschnittstemperaturen lagen damals rund 12 Grad Celsius unter den heutigen Werten, und die Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht sowie zwischen Sommer und Winter waren extrem. Dennoch überlebten in der Kältewüste genügend Tiere – Mammuts, Rentiere, Bisons, Wildpferde, Riesenhirsche –, die dem Homo sapiens als einzigem noch le benden Hominiden auf der Nordhalbkugel (die Neandertaler waren ausge storben) als Jagdbeute für Nahrung und warme Kleidung dienen konnten.

Allerdings hat man bis heute aus dieser Zeit nur wenige Fundstellen mit Ar tefakten auf Schweizer Gebiet ausgemacht: In einer Höhle im solothurni schen Kaltbrunnental lagen Steinwerkzeuge und abgenagte Tierknochen. Sie sind der Beweis dafür, dass sich die Jägerhorden aus der offenen Tundra bis an die Gletschergrenze vorwagten. Bis zu ihrem weiteren Vordringen sollten Jahrtausende vergehen. Möglich wurde der Vorstoss erst, nachdem sich das Klima erwärmt und das Eis sich wieder in die Alpen zurückgezogen hatte.

Sonne, Erdachse und andere Faktoren Ist die Klimaschaukel ein Phänomen, mit dem wir leben müssen? Sind die heutigen Warnungen vor einem anthropogenen, von Menschen verursach ten Klimawandel Panikmache? Forscher der Klimageschichte, so genannte Paläoklimatologen, gehen davon aus, dass die über 4,5 Milliarden Jahre alte Erde in der Regel ein weitgehend eisfreier Planet ist. Nur in grösseren Ab ständen führen Kältephasen zu Eisbedeckungen an einem der beiden Pole der Erde. Solange dies andauert, spricht man von einem Eiszeitalter. Die Periode umfasst jeweils mehrere Eiszeiten und die dazwischenliegenden Warmzeiten. Seit etwa 30 Millionen Jahren befindet sich die Erde im Käno zoischen Eiszeitalter. Seit dieser Zeit ist die Antarktis extrem vergletschert; die Arktis ist dies erst seit ca. 2,7 Millionen Jahren und weniger stark.

Und um das Jahr 1000 nach Christi Geburt wuchsen in Schottland Weinre ben und weidete auf Grönland Vieh. Einzig zwischen dem 15. und dem 19. Jahrhundert wurde es wieder spürbar kälter.

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folgte 1000 Jahre später eine rasche Erwärmung, denn die Frostschilde am Nordpol hatten den Golfstrom wieder in Gang gesetzt.

Hinge die durchschnittliche Temperatur an der Erdoberfläche allein vom Abstand Erde Sonne ab, würde sie sich auf einen Wert von –18 Grad Celsius einpendeln. Tatsächlich liegt die global gemittelte Temperatur in Bodennä he aber bei +15 Grad. Wie ist diese, für das Leben auf unserem Planeten entscheidende natürliche Erwärmung um 33 Grad zu erklären? Fest steht: Kommt es zu Temperaturschwankungen, spielen verschiedene Faktoren

Überblickt man mehrere Millionen Jahre, werden die Extreme noch grös ser: In der Kreidezeit – sie dauerte von 135 bis 65 Millionen Jahre vor unse rer Zeitrechnung – war es im heutigen Schweizer Mittelland tropisch heiss und feucht. Dinosaurier stapften durch die Sümpfe. Dann drifteten die Ur kontinente auseinander, die Strömung in den Weltmeeren veränderte sich, das warme Wasser gelangte nicht mehr zur Antarktis und eine kalte Kruste überzog den Südpol. Vor zwei bis drei Millionen Jahren brach auch auf der Nordhalbkugel eine Zeit des «ewigen» Eises an – mit kurzen Erwärmungen zwischendurch und dem oben erwähnten Rückzug der Gletscher in die Al pen vor 10 000 Jahren. In dieser Zwischenwarmzeit befinden wir uns heute noch. Vor rund 6000 Jahren war es bei uns 2 bis 4 Grad wärmer als heute.

14 Alpenflora am Moléson.

Glashaus Erde All diese Faktoren erklären aber noch nicht das lebensfreundliche Klima auf der Erde. Dieses wurde erst durch den natürlichen Treibhauseffekt der At mosphäre möglich. Dazu tragen der Wasserdampf und die so genannten Treibhausgase – vor allem Kohlendioxid (CO²), Methan (CH4), Lachgas (N²O), Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) – in der Lufthülle bei. Sie sind für die von der Sonne kommende Energie weitgehend durchlässig, fangen hingegen die von der Erdoberfläche zurückgeschickte Infrarotstrahlung ab. Damit wird die Wärmestrahlung des Planeten Erde wie in einem Glashaus «unter Dach» gehalten.

Unser Klima ist zudem das Resultat eines vielfältigen Wechselspiels zwi schen Erdrotation, Atmosphäre, Ozean, Biosphäre, vergletscherten Gebie ten und den Eiskappen an den Polen. Das Temperaturgefälle in der Atmo sphäre sowie in den Ozeanen führt zu Strömungen in der Luft und im Wasser und damit zu einem Wärmetransfer vom Äquator zu den Polarzonen – ein Mechanismus, der zum weltweiten Temperaturausgleich beiträgt. Doch ins besondere das ozeanische Strömungssystem ist störungsanfällig. Aktuelle Klimamodelle zeigen, dass der Wasserkreislauf bei wärmerer Atmosphäre intensiviert wird. Das heisst mehr Regen, heisst mehr Süsswasserzufuhr in die Meere. Wie erwähnt, führte dies vor 12 700 Jahren zu einem Unterbruch der Wasserzirkulation im Nordmeer. Der Golfstrom, die natürliche Fernhei zung Europas mit der Leistung einer halben Million grosser Kernkraftwer ke, schaltete sich ab.

Zudem zeigen Analysen von Radioisotopen in Eisbohrkernen, dass es weite re Zyklen der Sonnenaktivität gibt (z. B. alle 350, 500, 1000 und 2200 Jahre). Klimatologen weisen in diesem Zusammenhang gerne auf die Ähnlichkeit der astronomischen Verhältnisse von heute und vor rund 780 000 Jahren hin. Die nächste Kaltzeit würde demnach in 1500 Jahren beginnen. Schliess lich können sich auch das Magnetfeld der Erde und damit die kosmische Strahlung verändern.

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eine Rolle, etwa eine Veränderung der Erdbahn um die Sonne oder des Nei gungswinkels der Erdachse. Die Intensität der Sonneneinstrahlung kann dabei um 20 Prozent variieren. Auch die Sonne selber hat ihre Launen: Im Rhythmus von elf Jahren schwanken die Sonnenflecken, die auf eine Stö rung des inneren Magnetfeldes des Himmelskörpers zurückzuführen sind.

Die mittlere globale CO²-Konzentration in der Luft beträgt zurzeit 0,0415 Volumenprozent (415 ppm; ppm = parts per million, Teile pro Million), wäh rend sie vor der Industrialisierung über 10 000 Jahre lang relativ stabil bei rund ca. 0,0280 Volumenprozent (280 ppm) lag. Nimmt alles seinen bisherigen Lauf, wird die CO²-Konzentration 2050 0,0530 Volumenprozent (530 ppm) betragen, was eine Erhöhung der globalen Durchschnittstemperatur von 3 bis 6 Grad Celsius bedeuten könnte. Methan, das zweitwichtigste Treibhaus gas, ist in diesen Prognosen nicht einmal berücksichtigt. Dabei ist es rund 25-mal so wirksam wie Kohlendioxid, wenn auch mit einer deutlich kürzeren Verweildauer in der Atmosphäre (9 bis 15 Jahre gegenüber Jahrhunderten).

Der globale mittlere Methangehalt in der Luft hat sich seit vorindustriellen Zeiten von rund 800 ppb auf ca. 1900 ppb (ppb = parts per billion, Teile pro Milliarde) erhöht. Wahrscheinlich ist heute mehr Methan in der Atmosphäre als jemals während der letzten 650 000 Jahre. Zwar entsteht das Gas in der Natur ständig durch Gär- und Zersetzungsprozesse, aber der Mensch fördert mit der Haltung von Rindern (ein Rind stösst täglich rund 150 bis 250 Liter

16 Rasante Erwärmung seit der Industrialisierung Inwiefern die Erwärmungstendenz seit Mitte des 18. Jahrhunderts anthro pogen bedingt ist, war lange umstritten. Fakt ist, dass die global gemittelte, bodennahe Lufttemperatur seit Beginn der Industrialisierung (ca. 1750) um 0,8 bis 1,2 Grad Celsius gestiegen ist, wobei die beiden letzten Jahrzehnte die mit Abstand wärmsten je gemessenen auf allen Kontinenten waren. Ein Anstieg, der nach heutigem Forschungsstand nicht mehr allein auf solare Einflüsse oder andere natürliche Faktoren zurückgeführt werden kann. Erst recht nicht, wenn man berücksichtigt, dass in dieser Dekade häufig so ge nannte La-Niña-Jahre auftauchten – ein Wetterphänomen im Ostpazifik vor der südamerikanischen Küste, das im Gesamten gesehen niedrigere Durch schnittstemperaturen bringt (im Gegensatz zum El-Niño-Phänomen). Das Inter governmental Panel on Climate Change (IPCC), das 1988 vom Umwelt programm der Vereinten Nationen (UNEP) und der Weltorganisation für Meteorologie (WMO) gegründet worden war, sowie viele Wissenschafts akademien gehen deshalb heute davon aus, dass die Erwärmung grössten teils durch die Verbrennung fossiler Energieträger, die Entwaldung , die Zementherstellung sowie durch die Land- und Viehwirtschaft entsteht, also durch Aktivitäten des Menschen.

Alle politischen Hoffnungen richten sich nun auf das Pariser Übereinkom men von Ende 2015, zu dem sich fast 200 Länder verpflichtet haben und das ab 2020 in Kraft treten soll. Positive Ansätze sind auszumachen, doch ins gesamt gehen die Interessen der Staaten nach wie vor weit auseinander, wie die Umsetzungskonferenz von 2019 in Madrid gezeigt hat. Die Tagung scheiterte mit ihrem zentralen Vorhaben, den globalen Handel mit Klima schutz-Gutschriften zu regeln. Brasilien, Australien und die USA bremsten die Verhandlungen nach Kräften aus. Zudem soll eine neue, effiziente Tech nik das Klimaproblem lösen. Doch die Geschichte zeigt, dass neue Techni ken selten alte ablösen, sie treten vielmehr zu ihnen hinzu. Nie ist deswegen der Energieverbrauch gesunken. Es scheint, dass unsere Konsumgesell schaft unfähig ist, in anderen Kategorien zu denken als in der des Wachs tums. Ob die jüngste globale Klimabewegung mit ihren Protesten daran etwas ändern kann, wird die Zukunft zeigen. Ein entscheidender Faktor dürfte auch die Geburtenrate der Weltbevölkerung sein. Denn eines ist ge wiss: Der bisher von Menschen verursachte Treibhausgasanteil in der Atmo sphäre wird selbst bei einem sofortigen Emissionsstopp nicht einfach ver schwinden, sondern das Klima über Jahrhunderte hinweg prägen.

Methan aus), dem Anbau von Nassreis und dem Betrieb von Kläranlagen und Deponien die Bildung zusätzlich. Insbesondere, wenn Dauerfrostböden auf tauen, können grosse Mengen dieses Treibhausgases freigesetzt werden. Erfolglose Klimapolitik

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Ziel der Klimapolitik ist es, die Erwärmung um nicht mehr als 2 Grad Cel sius über das vorindustrielle Niveau hinausschiessen zu lassen (geschätzte natürliche Klimavariabilität). Das bedeutet, dass die CO²-Konzentration nicht über 0,0450 Volumenprozent (450 ppm) klettern darf. Ab 2020 ist so gar eine Reduktion nötig. Doch nach zwei Dekaden weitgehend erfolgloser Klimapolitik mag niemand mehr so recht an einen epochalen Durchbruch glauben. «Kyoto ist tot!», hiess es nach dem Klimagipfel im südafrikani schen Durban Ende 2011. (Das Kyoto-Protokoll soll die Ziele des UNO-Rah menprogramms zum Klimawandel aus dem Jahre 1992 umsetzen: Abwen dung einer «gefährlichen anthropogenen Störung des Klimasystems» unter gerechter Verteilung der Lasten. Ende 2012 ist es ausgelaufen und nur von einem Teil der Staaten verlängert worden.)

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Die Schweiz ist doppelt so stark betroffen

Klar ist, dass die Natur sich auf irgendeine Weise dem Klimawandel anpas sen wird. Die Frage ist, ob und wie die menschliche Kultur dies schafft.

Der Klimawandel geht alle an. Aber nicht alle sind gleich betroffen. Auf der Nordhalbkugel, wo sich der Grossteil der Landflächen befindet, steigen die Temperaturen stärker an als auf der Südhalbkugel. Küstengebiete und In seln sind vom Anstieg des Meeresspiegels betroffen (gegenwärtig drei Zen timeter pro Jahrzehnt). In Gebirgsregionen schmelzen die Gletscher und die Permafrostböden, an den Polen die Eisschilde. Wo Flüsse sind, kommt es zu Änderungen im Abflusssystem, in der Verdunstung und im Grundwasser. In der Nordhemisphäre gibt es mehr, im Süden weniger Niederschlag. Klima zonen und Vegetationsgürtel verschieben sich. So könnte der westafrikani sche Monsun bei einer starken Erwärmung des Golfs von Guinea zusam menbrechen und nach Norden in die Sahara ausweichen. Es käme zu einem Ergrünen der Wüste. Im Klimawandel gibt es Verlierer und Gewinner. Mit bisher 2 Grad Celsius gegenüber vorindustrieller Zeit ist die Erwärmung in der Schweiz doppelt so stark wie im globalen Mittel. Erstaunlich ist vor allem das Tempo. Modellrechnungen prophezeien bis Mitte des 21. Jahrhun derts eine weitere rasante Erwärmung um 2 Grad im Winter und 2,5 Grad im Sommer. Extremereignisse wie Hitzewellen, Trockenheit, intensive Nie derschläge, Hochwasser und Kälteeinbrüche dürften zunehmen. Sie sind aber nur die «fassbare» Seite des Klimawandels – so wie der Fund Ötzis, der Eismumie aus den Ötztaler Alpen, ein spektakuläres Signal für das Schmel zen der Gletscher war. Die meisten Veränderungen in der Natur verlaufen jedoch schleichend und sind auf den ersten Blick kaum zu erkennen: Tierund Pflanzenarten wandern in die Höhe, Wärme liebende Exoten siedeln sich in tieferen Lagen an, Moore und Auen trocknen aus, Fische verschwin den aus Flüssen und Seen, Vögel suchen neue Lebensräume.

Flachmoor l’Art du Tsan im Vallon de Réchy.

Grindelwaldgletscher bei Bäregg.

CRASHKURS inMitHOCHGEBIRGEIMdemKlimaguideGrindelwald

0 km 654321 1800 m 120014001600 T2 2,5 h 5 km 800 m Von Pfingstegg nach Bäregg Route Pfingstegg, Bergstation Seilbahn (1391 m) Aussichtspunkt auf Abbruch stelle am Eiger-Ostrand (1581 m) Bär egg, Berghaus (1772 m) Pfingstegg, Bergstation (1391 m) Wanderzeit 2 bis 3 Stunden mit ca. 400 Metern Steigung und ca. 400 Metern Gefälle. Tourencharakter T2. Kurze Hochgebirgs wanderung auf gut ausgebauten Pfaden; an exponierten Stellen mit Drahtseilen ge sichert; spektakuläre Sicht auf die Schlucht des Unteren Grindelwaldgletschers, auf die berühmte Felsabbruchstelle und auf den Gletschersee hinter dem Berghaus Bär egg. Beste Jahreszeit Juni bis Oktober. Anreise / Rückreise Mit der Bahn bis Grindelwald Bahnhof, Bus bis Talstation Seilbahn Pfingstegg, Fahrt mit der Gondel zur Bergstation; zurück gleicher Weg. Verpflegung / Unterkunft Bergrestaurant Pfingstegg, www.pfingstegg.ch; Berghaus Bäregg (28 Schlafplätze), www.baeregg.com. Hinweis Klimapfad B des Jungfrau Klimaguides. Die neuste Version kann als App für iPhone und Andriod heruntergeladen werden.

Karte Landeskarte der Schweiz: 1:50 000, Blatt 264 «Jungfrau». Informationen www.jungfrauregion.swiss (Tourismus Jungfrauregion); www.jungfrau-klimaguide.ch (App für iPhone und Android: Klimaguide); www.oeschger.unibe.ch (Universität Bern, Oeschger-Zentrum).

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Die Universität Bern hat in der Jungfrauregion sieben Klimapfade reali siert, auf denen man mit Hilfe eines Audioguides Crashkurse in Sachen Klimawandel absolvieren kann. Am Unteren Grindelwaldgletscher spielt sich alles auf engstem Raum und wie im Zeitraffer ab. Es war im Juli 2006: Eine 200 Meter hohe und 250 Meter breite Felswand im Quellgebiet der Weissen Lütschine, dort, wo auch der Untere Grindelwald gletscher sein Zehrgebiet hat, war brüchig geworden. Jeden Tag stürzten einige Tonnen Gestein auf den Gletscherfuss. Von der Terrasse des Berg hauses Bäregg auf über 1700 m ü. M. liess sich das Spektakel am Eiger-Ost rand gut beobachten. Infrarot-Messungen ergaben, dass sich die Platte un aufhaltsam abspaltete und absenkte. Und so kam es, dass immer mehr Schaulustige und Medienleute den ultimativen Crash live erleben wollten.

Die warmen Temperaturen hatten den Perma frost im Boden aufgetaut. Das Gemisch aus Schlamm und Geröll wirbelte eine grosse Staubwolke auf, die im mehrere Kilometer entfernten Grindelwald zu sehen war. Ein Weckruf für den bekannten Tourismusort. Bisher hatte man Umweltthemen vermieden; jetzt blieb nur noch die Flucht nach vorne. Die Eröffnung der Klimalehrpfa de des Oeschger-Zentrums der Universität Bern 2009 ist eine Folge davon.

Am Abend des 13. Juli 2006 war es soweit: Die Hälfte des Sporns – eine hal be Million Kubikmeter Gestein – brach ab und krachte auf die Eiszunge. Die andere Hälfte blieb stehen und versinkt seither langsam im Eis – ein welt weit einmaliger Vorgang. Weckruf für den Tourismus Wie alle anderen Eisströme der Alpen verliert auch der Untere Grindelwald gletscher Jahr für Jahr mehr an Masse. Das Eis, das heute fehlt, drückte einst gegen die steilen Wände im Tal der Weissen Lütschine und gab ihnen Halt. Ohne diese Stütze bröckelt der Fels. Im Frühjahr 2005 erwischte es die Stier egghütte, ein stattliches Holzhaus, nicht weit entfernt vom heutigen Berghaus Bäregg. Innerhalb weniger Wochen sackte das Terrain unter dem Gebäude weg – bis die Hütte halb über dem Abgrund hing. Ein Symbolbild der Klimaerwärmung, das um die Welt ging. Im Mai 2000 war in der Gegend bereits eine gewaltige Mure abgegangen.

Klimadrama auf engstem Raum

24 In der Jungfrauregion gibt es sieben Klimapfade.

Ein Naturschauspiel, das nachdenklich stimmt Trotz der Kürze der Strecke ist der Aufstieg von der Pfingstegg zum Berg haus Bäregg kein Spaziergang, führt der Pfad doch durch steiles Gelände und an tiefen Abgründen vorbei. Mal geht es über grasbewachsene Morä nen, mal über glatt geschliffene Felsen; mal rieselt es leise jenseits der Glet Abbruchstelle bei der Bäregg.

Aber damit nicht genug: Ein Bergsturz von 2004 versperrt die enge Glet scherschlucht, so dass sich oberhalb des natürlichen Damms während der Schneeschmelze ein See bildet. Er wächst, bis das Wasser einen Weg unter dem Eis gefunden hat, dann läuft er innert Stunden ab. 2008 rauschten 800 000 Kubikmeter Wasser talabwärts und erreichten den Golfplatz von Grindelwald. Erst ein künstlicher Abfluss konnte die Gefahr entschärfen.

Gefährlicher Gletschersee

Alle diese Schauplätze kann man auf dem Klimaweg von der Pfingstegg zum Berghaus Bäregg erwandern und an insgesamt sieben Stationen mit Hilfe eines als App auf dem Smartphone heruntergeladenen Audioguides Informationen dazu abrufen.

Seit 2009 fliesst das Wasser in einem 700 Meter langen Stollen um den Damm herum und stürzt danach in die Lütschine.

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Unten in der Schlucht liegen die kargen Reste des Grindelwaldgletschers, über und über mit herabgestürztem Geröll bedeckt. Hin und wieder bricht Eis ab und stürzt mit Getöse in den milchigen Gletschersee. So faszinierend dieses Naturschauspiel ist, so wird einem doch endgültig bewusst: Hier spielt sich ein Klimadrama ab. Entsprechend nachdenklich begibt man sich auf den Rückweg zur Pfingstegg. Glitzerndes Finsteraarhorn.

26 scherschlucht, mal grollt es laut, dann herrscht plötzlich wieder gespensti sche Stille. Über allem glitzern die Firnhänge des Eigers, des Fiescher- und des Finsteraarhorns in der Sonne. Bei der berüchtigten Abbruchstelle steigt die Spannung, aber man kann beruhigt sein: Was immer am Gegenhang ge schieht, es kann einem von dort nichts auf den Kopf fallen.

Ganz anders, wenn man vom Berghaus Bäregg weiter Richtung Schreck hornhütte wandert, um sich einen besseren Blick auf den Gletschersee zu verschaffen: Warnschilder des Schweizer Alpenclubs weisen darauf hin, dass man sich auf eine alpine Route begibt und den Risiken des Hochgebir ges aussetzt. Tatsächlich sind an den unstabilen Flanken die Narben von Murgängen gut zu erkennen. Da und dort musste der Wanderweg angepasst werden. Dafür weitet sich das Tal und bietet einen überwältigenden Panora mablick auf die glitzernden Bergriesen.

Steiles Gelände an tiefen Abgründen.

Der Caumasee bei Flims.

«FlimserRettungsaktionWASSERNOTfürdiePerle»

0 km 12108642 1400 m 2006001000 T2 3,5 h 12,5 km 800 m Von Flims Valendas-Sagognnach Route Flims Waldhaus, Bushaltestelle (1110 m) Lag la Cauma / Caum a see, Lift (1077 m) Conn, Aussichtsplattform (1000 m) Versam-Safien, Station (635 m) Valendas-Sagogn, Station (669 m) Wanderzeit 3 bis 4 Stunden mit ca. 150 Metern Steigung und ca. 650 Metern Gefälle. Tourencharakter T2. Bequemer Waldspa ziergang auf dem Flimser Plateau (breites Natursträsschen); steiler Abstieg in die Rheinschlucht (schmaler Pfad); imposante Kulisse mit Kalkwänden, Kies- und Sand bänken sowie Auenwäldern (kurze Aufund Abstiege). Beste Jahreszeit Mai bis Oktober. Anreise / Rückreise Mit dem Bus bis Flims Waldhaus; mit dem Zug ab Valendas-Sagogn, Station. Verpflegung / Unterkunft Restaurant Caumasee, Flims; Restaurant Conn, Flims; Café Zwischenstation & Handwerk, Bahnhof Valendas-Sagogn, Tel 081 921 26 93; Café zur Einkehr, Versam-Safien, www.spirituelleszentrum.ch Hinweise Schräglift zum Caumasee; Aussichtsplattform «Il Spir» bei Conn; in der Rhein schlucht Informationstafeln und Rastplätze mit Brunnen und Feuerstellen. Karte Landeskarte der Schweiz: 1:50 000, Blatt 247 «Sardona».

Informationen www.flims.com (Tourismus Flims); www.rheinschlucht.ch (Tourismus Graubünden); www.caumasee-flims.ch (Strandbad); www.nfp61.ch (Nationales Forschungsprogramm 61 «Nachhaltige Wassernutzung»).

Karstwasser als stille Reserve

Eine Begehung der Rheinschlucht – bekannt als Ruinaulta, was auf Roma nisch «hohe Geröllhalde» bedeutet – gehört zu den faszinierendsten Fluss wanderungen, die man in der Schweiz unternehmen kann. Seit 2009 führt ein Weg von Reichenau das Trassee der Rhätischen Bahn entlang bis zur Station Trin. Dort überspannt seit 2012 eine filigrane, 105 Meter lange Hängebrücke den Vorderrhein, so dass man die Tour Richtung Versam, Bonaduz oder zu rück nach Reichenau fortsetzen kann. Noch ist die Schlucht nicht durchgän gig erwanderbar (Einsprachen von Umweltverbänden verzögern den Bau), aber drei Kilometer flussaufwärts hat man eine weitere Möglichkeit, die bi zarren Felsformationen des «Swiss Grand Canyons», die wilden Stromschnel len sowie die Sand- und Kiesbänke auf einem Streckenabschnitt zu erleben. Alte und neue Klimageschichte

Die Entstehung der Ruinaulta wäre schon Anlass genug für eine Klimawan derung, geht sie doch auf den mächtigsten Bergsturz der Alpen überhaupt zurück, als vor rund 9500 Jahren zwischen Flimserstein und Piz Grisch rund zwölf Kubikkilometer Fels losbrachen, 1000 Meter in die Tiefe stürzten und dabei den Vorderrhein von Castrisch bis Reichenau unter einer mehrere hundert Meter dicken Schuttmasse begruben. Ausgelöst wurde das gewal tige Naturereignis im Wesentlichen durch den Rückzug des Rheinglet schers, was zur Destabilisierung der Hänge führte. Als durch wärmere Tem peraturen auch noch der Permafrost im Boden auftaute, war der gigantische Felsschlipf nur noch eine Frage der Zeit. Bei Ilanz staute sich der Rhein, so dass sich ein riesiger See bildete, der schliesslich in einer gewaltigen Flut welle ausbrach, die die heute 300 Meter tiefe Schlucht vorbahnte.

Jüngeren Datums ist die Klimageschichte um den schmucken Caumasee, der auszutrocknen drohte und erst 2011 gerettet werden konnte. Er gehört, zusammen mit anderen Bergseen, ebenfalls zur Schuttmasse der Ruinaulta, befindet sich aber im oberen Gelände, das heisst im heutigen Waldgebiet

Die Hälfte des Grundwasservorrats der Schweiz befindet sich in Kar stregionen. Unterirdisch wasserreich, sind sie oberirdisch anfällig für Trockenheit, wie das Beispiel des Caumasees im Bergsturzgebiet Rui naulta bei Flims zeigt.

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Imposante Kalkwände der Ruinaultaschlucht.

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unterhalb der Strasse Trin Flims Laax Sagogn. Startet man in Flims eine Wanderung, lassen sich beide Attraktionen – Caumasee und Schlucht – ver binden. Etwas anstrengender ist die Tour in umgekehrter Richtung von der Bahnstation Valendas-Sagogn aus.

Trockene Sommer Den grünblau schimmernden Caumasee erreicht man von der Bushaltestel le Flims Waldhaus in 15 Minuten. Von einer erhöhten Warte aus ist er am schönsten; man braucht also nicht mit dem kleinen Schräglift zu seinen Ufern hinunterzufahren – es sei denn, man möchte im See baden. Weil das Gewässer von einer natürlichen unterirdischen Quelle gespiesen wird (via Versickerungen des Bachs aus dem Pultésee), friert es im Winter nicht zu und wird im Sommer schnell warm. Ein Abfluss fehlt offenbar, der See steht aber in Wechselwirkung mit dem Grundwasserstrom; das heisst, er bildet sozusagen ein «Fenster» aufs Grundwasser. Deshalb schwankt der Pegel saisonal immer etwas, mit den tiefsten Werten zwischen Ende Januar und Mitte Mai und dem Maximum in Juli/August.

Caumasee.

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