Kurzvorschau – Der Berner Fleischmarkt

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DER BERNER FLEISCHMARKT

Von der Fleischschaal im Alten Bern

zum Fleischmärit an der Münstergasse

Hans-Uli Richard Stephan Häsler

DER BERNER FLEISCHMARKT

Von der Fleischschaal im Alten Bern zum Fleischmärit an der Münstergasse

DER BERNER FLEISCHMARKT

Von der Fleischschaal im Alten Bern zum Fleischmärit an der Münstergasse

Impressum

Alle Angaben in diesem Buch wurden von den Autoren nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihnen und vom Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autoren noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten.

Alle Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

© 2023 Weber Verlag AG, 3645 Thun/Gwatt

Idee und Texte: Hans­Uli Richard, Metzgermeister, ehemals Inhaber der Metzgerei Richard am Kornhausplatz in Bern, und Stephan Häsler, Dr. med. vet., ehemals Leiter der Abteilung

Fleischhygiene im Bundesamt für Veterinärwesen

Fotos: H.­U. Richard, Eugen Thierstein, Paul Senn

Fotos Umschlag: Paul Senn, PS_B102.02NEN 051_ret (Titelseite), PS_B101.14NEN 003_ret (Rückseite)

Weber Verlag AG

Gestaltung Cover: Bettina Ogi

Gestaltung und Satz: Cornelia Wyssen

Bildbearbeitung: Dominic Fischer

Lektorat: Alain Diezig

Korrektorat: Heinz Zürcher, 3612 Steffisburg

Der Weber Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit einem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

ISBN 978­3­ 03818­ 490 ­ 4

www.weberverlag.ch

Drucksache

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5 Inhalt Vorwort 7 Der Fleischmärit heute im Bild 9 Der Fleischmärit in unserer Erinnerung und im Pressespiegel 15 Der Fleischmärit in Bildern von Eugen Thierstein aus den Jahren 1942 und 1943 21 Der Fleischmärit in Bildern von Paul Senn aus den Jahren 1930 bis 1941 73 Geschichte der Fleischschaal im Alten Bern 95 Die Freiheit des Marktes muss erkämpft werden 113 Tabellen 127 Literatur 132
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Vorwort

In der Berner Altstadt an der Münstergasse findet jeden Dienstag und Samstag vormittags ein vielfältiger Markt mit Lebensmitteln statt. Die Waren werden offen präsentiert, die Konsumentinnen und Konsumenten können schauen, riechen, fragen und manchmal auch probieren. Dieser Markt wird in Bern «Fleischmärit» genannt, obschon die Fleischstände in der Minderheit sind. Wir stellen den heutigen Markt mit farbigen Bildern vor.

In unserer Jugend war die ganze Münstergasse, damals noch als Kesslergasse bezeichnet, mehrheitlich mit Fleischständen besetzt. Fotosammlungen über den Markt bestätigen unsere Erinnerungen. Mehrere bekannte Fotografen waren von der Szenerie des Fleischmärits fasziniert, so Paul Senn, Walter Nydegger und Eugen Thierstein. Wir fokussieren uns auf die Fotoserie von Eugen Thierstein, der den Markt im März 1942 und 1943 aus vielen Perspektiven fotografiert hat, sowie auf die Fotoserie des Reporters Paul Senn. Die schwarzweissen Fotos zeigen nicht nur die Marktstände und das Verkaufssortiment, sondern auch die Verkäufer und Verkäuferinnen und die Kundschaft, das Ganze eingebettet in die Gasse mit den alten Häusern und den Lauben und dominiert vom Berner Münster.

Der Blick zurück weckte unsere Neugierde. Seit wann besteht dieser Markt? Es heisst etwa, Bern habe 1218 mit der Goldenen Handfeste von Kaiser Friedrich II. das Marktrecht erhalten und seither bestehe ein Fleischmarkt. Unsere Spurensuche in den historischen Quellen weist einen anderen Weg. Zwar bestand im Alten Bern ein Fleischmarkt. Dieser war aber streng reglementiert und war auf die Fleischschaal, eine Verkaufsfläche an der Stelle des heutigen Konservatoriums für Musik, beschränkt. Der Markt in der Gasse für auswärtige Metzger wurde erst 1862, nach einem jahrelangen Seilziehen zwischen der konservativen Stadt Bern und der radikalen Kantonsregierung, zugelassen.

Mit diesem Buch wollen wir zeigen, wie der Markt heute aussieht und wie er sich im Verlaufe der Jahrhunderte entwickelt hat. Dazu dienten uns die Ergebnisse von archäologischen Ausgrabungen, die Rechtsquellensammlung des Kantons Bern, die Recherchen in den Zeitungsarchiven und ganz besonders die Fotosammlungen von Eugen Thierstein und Paul Senn.

Wir danken Dr. Roland Gerber, Stadtarchivar, für die Durchsicht des Kapitels «Geschichte der Fleischschaal im Alten Bern», sowie der Burgerbibliothek, dem Stadtarchiv, dem Historischen Museum, dem Kunstmuseum (Paul­Senn­Projekt) und dem Naturhistorischen Museum für die wertvollen Hinweise zur Geschichte der Fleischschaal und des Fleischmärits.

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Hans-Uli Richard, Stephan Häsler
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Der Fleischmärit heute im Bild

Bern hat zwei Wochenmärkte, den grossen Märit am Bundesplatz und den Fleischmärit an der Münstergasse. Während am Bundesplatz eine farbenfrohe Betriebsamkeit herrscht, ist der Märit an der Münstergasse eher ruhig und beschaulich.

Wir überblicken zuerst das Geschehen in der Münstergasse von der Hotelgasse aus und sehen einen Markt mit Ständen und Verkaufswagen beidseits der Gasse. Die Besucherinnen und Besucher bewegen sich mehrheitlich stadtabwärts, schauen das reiche Angebot an und stellen sich in die Wartereihe, wenn ihnen ein Produkt zusagt. Andere gehen zielstrebig zu «ihrem» Stand, manchmal einen Einkaufszettel in der Hand, und füllen sich ihre Einkaufstasche auf. Das Sortiment an Lebensmitteln ist vielfältig. Wir finden der Tradition entsprechend Fleisch und Fleischwaren sowie Käse, aber auch Fisch, Backwaren sowie Früchte und Gemüse. Etwas Ferienstimmung verbreiten Stände mit Oliven und anderen mediterranen Spezialitäten.

Unser besonderes Interesse gilt den Fleischständen, die wir im Bild vorstellen. Den traditionellen Fleischstand finden wir noch vereinzelt in der kalten Jahreszeit. Mehrheitlich wird das Fleisch aus Verkaufsfahrzeugen angeboten, die – wie es die Lebensmittelgesetzgebung verlangt – sauber und in gutem Zustand sind. Die Auslagen sind gekühlt und beleuchtet. Das Verkaufspersonal hat gute und hygienische Arbeitsbedingungen.

Es hat nur noch wenige Landmetzger, die neben ihrer heimischen Metzgerei auch einen Marktstand in Bern betreiben. Dagegen hat es mehrere Fleischverkäufer, die das Fleisch aus einem Metzgereibetrieb beziehen. Neu wird auch Fleisch von selbstgemästeten Tieren, z. B. Büffel, Galloway­Rinder oder Truten, verkauft.

Als Frischfleisch werden vor allem sogenannte edle Stücke angeboten: Vom Rind sind es Huft, Filet, Entrecote; vom Schwein Koteletten und Braten, vom Schaf Gigot und Nierstück («Filet»). Ferner sind Poulets und seltener Kaninchen erhältlich. Fleisch wird sowohl offen als auch zunehmend vorverpackt verkauft. Stücke vom Vorderviertel und Innereien bilden die Ausnahme.

Beliebt sind Bauernwürste, Landjäger, Kalbs­ und Schweinsbratwürste und in geringerer Zahl Cervelats und Wienerli. Freude bereitet auch geräucherter Schinken, der in Tranchen verkauft wird.

(Bilder: H.-U. Richard)

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Der Fleischmärit an der Münstergasse wird frühmorgens aufgestellt.

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Lehmann, Bowil.
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Schärer und Julmy, Schwarzenburg. Von Gunten, Amsoldingen.
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Jumi, Boll. Jöhr, Boll.
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Burkhard, Goldbach. Stettler, Schüpfen.
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Brönnimann, Sumiswald. Riedo, Ueberstorf.

Der Fleischmärit in unserer Erinnerung und im Pressespiegel

Der erste bleibende Eindruck vom Fleischmärit in Bern stammt aus dem Sommer 1946. Wir hatten Schulferien und es war aufregend, morgens um halb sieben mit Fritz Zurbrügg, unserem Chauffeur, den Märit zu besuchen. Ich durfte den kleinen Veloanhänger schieben und wir begannen oben an der Kesslergasse (jetzt Münstergasse) unsere Tour. Der Auftrag war, Fleischstücke einzukaufen, die auf dem Lande wenig gefragt waren. Rinds­, Kalbsund Schweinsfilets, Kalbsleber, Milken und ab und zu auch Rindsnierstücke, die bis nach Lausanne und Genf weitergeliefert wurden. Sie wurden ungekühlt in geflochtenen Körben per Bahn transportiert! Dieser Fleischhandel führte ab und zu auch zu empfindlichen Verlusten. Beim morgendlichen Rundgang traf man auf den Marktpolizisten, der das Standgeld kassierte, und auf den Fleischschauer, der die Begleitscheine (Gesundheitszeugnisse) einzog.

Wichtig war es, frühzeitig auf dem Märit zu erscheinen, da auch andere Mitbewerber dieselbe Absicht hatten. Alle Einkäufe wurden bar bezahlt und in einem kleinen Büchlein festgehalten. Man vertraute einander und die meisten Geschäfte wurden per Handschlag besiegelt. Das Kleingeld am Marktstand wurde offen bereitgestellt und im besten Fall mit einer Zeitung gedeckt. Es waren nur kleine Tafelwaagen vorhanden und schwere Stücke mussten mit einer Stabwaage gewogen werden. Die Waagen wurden regelmässig durch den Eichmeister kontrolliert.

Wie mein Vater erzählte, war es früher üblich, ganze Vorderviertel gegen Hinterviertel zu tauschen. Der Landmetzger brachte Hinterviertel und nahm die gleiche Menge Vorderviertel nach Hause. Der Preis war derselbe. Fette Vorderviertel waren auf dem Lande begehrt und das magere Hinterviertel war in der Stadt willkommen. Das dauerte bis zum Ersten Weltkrieg (1914–1918).

Auch geschlachtete Kaninchen wurden angeboten – natürlich mit den Hinterpfoten, um zu beweisen, dass es keine Katze war. Heute ist es verboten, die Pfoten zu präsentieren. Es wurde viel mehr Fleisch mit den Knochen verkauft und die Hausfrau war gewohnt, mit

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Erinnerungen von Hans-Uli Richard, Metzgermeister (1936)

einigen Handgriffen die restlichen Knochen zu entfernen. Bis in die 50er­Jahre wurde das Fleisch mit Bein verkauft. Das heisst, 25 % des ausgewogenen Fleisches waren Knochen. Markbein war begehrt und auch die Kalbsfüsse fanden ihren Liebhaber. Für Suppe haben die Knochen gute Dienste geleistet.

In den Kriegsjahren durfte die Fleischsuppe ohne Marken abgegeben werden.

Unser Vater Max war sehr stark mit dem Fleischmarkt verbunden. Während seiner Schulzeit im Progymnasium ging er regelmässig während der grossen Pause auf den Kaninchenmarkt und kaufte lebende Kaninchen. Schnell waren die im Keller des Zibelegässli 14 versorgt, und er kehrte wieder zur Schule zurück. Auf den Samstagmorgen hat er die Kaninchen geschlachtet und zum Marktstand seines Vaters Gottlieb gebracht, wo sie vom Metzgerburschen Jakob Brechtbühl verkauft wurden. Der Handel war Gottlieb nicht genehm, da er den Metzger nicht für fremde Ware beschäftigen wollte. … Max versuchte bei schleppendem Verkauf, die restlichen Tiere bei den Restaurants loszuwerden. Wenn das nicht gelang, wurden die Tiere zu Hause ohne Entschädigung verspeist!

Gehacktes Fleisch durfte nicht verkauft werden und so kamen die Metzger zu uns in den Laden am Zibelegässli, um unsere Hackmaschine zu benutzen.

Zu erwähnen sind auch die wichtigen Impulse, die durch Metzgerburschen auf der Walz ausgelöst wurden. Auch ausländische Gesellen fragten beim Meister um Arbeit nach. Alle Beschäftigten wohnten ja gewöhnlich im Hause der Metzgerei. Falls keine Stelle frei war, bekam jeder eine Gratismahlzeit, konnte hier übernachten und erhielt am nächsten Tag 50 Rappen als Weggeld. Die jungen Leute brachten immer Neuigkeiten und Abwechslung in den Betrieb.

Natürlich haben sich die Öffnungszeiten stark verändert und die Kunden warten nicht mehr um sechs Uhr morgens vor der Ladentür, um nachher zur Arbeit zu gehen. Diese Veränderungen sind in unserem Buch (Richard, 2014) gut beschrieben und wir hoffen, damit einen Beitrag zur Erinnerung an den Fleischmarkt geleistet zu haben.

Ein freundschaftliches Verhältnis zwischen Stadt und Land

Während Jahrzehnten war der Einkauf am Fleischmärit «courant normal». Man ging auf den Markt, um Lebensmittel, Gemüse, Früchte, Milchprodukte und Fleisch zu kaufen, Bewohnerinnen und Bewohner der Innenstadt, Länggässler, Mattenhöfler, Leute vom Kirchenfeld, vom Obstberg oder vom Breitenrain, in der Regel die Hausfrau, manchmal auch eilige Beamte auf dem Heimweg kurz nach 12 Uhr. Viele Kundinnen kamen eher aus Kreisen mit geringerem Einkommen, weil die Preise etwas günstiger waren als in den Metzgereien. Auch konnte man ohne aufzufallen preisgünstige Stücke und kleine Mengen kaufen.

Ob man im Quartier in die Metzgerei ging oder ob man auf dem Markt einkaufte, man fragte nach Suppenfleisch, 1 kg, mit Markbein, und die Metzgersfrau fragte zurück «Weit er’s vom Lämpe? Choschtet 11 Franke.» Der Kauf war getätigt, es folgte vielleicht noch ein Hinweis auf die Zubereitung und ein persönliches Wort. Der Kauf war ein Geschäft zwischen zwei Personen.

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Der Fleischmärit wird in der Neuen Zürcher Zeitung vom 26. Februar 1950 recht naturalistisch dargestellt: «… Dann reiht sich Fleischstand an Fleischstand, bis fast zum Münster hinunter, von dicken, grauen Zeltblachen auf drei Seiten gegen Wind und Regen geschützt. Auf den Tischplatten liegen weisse Tücher mit Fleischstücken, die grausam rot und tot sind: die Entrecôtes mit ihren breiten Fettkappen, die elfenbeinblässlichen Bratwürste, die Hammen, die blutigen Leberchen, das große Kuh- oder Kalbsherz, die schnürfligen Kutteln. Die hinter diesen Fleischlichkeiten stehen, sind ebenfalls rot und appetitlich und heissen Brönnimann, Flückiger, Schläfli oder Läderach und haben vor allem gute, breite Gesichter. Sie wägen sorgsam ab und packen sorgsam ein, man darf nicht ‹schnell› ein Pfund Kalbfleisch fordern. Es gibt hier mancherlei zu betrachten: die vielen mächtigen Metzgermesser, die gehörig und umständlich gewetzt werden, die hellpolierten Messinggewichtssteine und die biedere Kassette, die laut scheppert, wenn der Schlüssel gedreht wird. Die Stadtläden sind komfortabel, aber alle sind ohne den Zeltbudencharme des Fleischmarkts an der Kesslergasse, der von Jahrmarktfreude umwittert ist.» (Lr.)

Hans Gerber von «Der Bund» schreibt am 25. August 1964 über die Marktstimmung: «Aus dem jahrelangen Besuch der Städter auf dem Fleischmärit entwickelten sich vielfach enge Beziehungen und Bekanntschaften; ja sogar Freundschaften wurden angeknüpft. Die Metzgermeister haben heute vielfach ihren festen Kundenkreis. Ein Gang auf den Fleischmärit am Samstagmorgen zeigt deutlich die engen Bindungen und Kontakte zwischen der Stadtund Landbevölkerung. Da wird von den Hausfrauen nicht nur Fleisch für das Sonntagsessen gekauft; da wird auch verhandelt und geplaudert. Es entwickelt sich eine vertrauliche Atmosphäre zwischen Käufer und Verkäufer, die man in einem modernen Selbstbedienungsladen kaum finden wird. Den Metzgermeistern, die ihre Stände zweimal in der Woche an der Kesslergasse aufstellen, ist ihr Weg von Belp, Frienisberg, Wohlen, Meikirch, Münsingen, Stettlen, Worb usw. in die Stadt zum vertrauten Gang geworden.»

Der in der Länggasse aufgewachsene Schriftsteller Paul Nizon erinnert sich («Tagesanzeiger Magazin» vom 12. Oktober 1974): «Wie jede Stadtfrau hatte meine Mutter ‹ihren› Landmetzger (dem sie über Jahre, wenn nicht lebenslang die Treue hielt), und so blieb es nicht bei der praktischnüchternen Transaktion über den Ladentisch hinweg, mindestens ebenso zählten Neuigkeitenaustausch und Familienklatsch. … Städter und Bauern erschienen mir wie entfernte Verwandte, sicherlich aber zusammengehörig.»

In den 50er­Jahren trat in der Tat ein fundamentaler Wechsel im Einkaufsverhalten ein. Im Selbstbedienungsladen, pardon, im Supermarkt konnte nun fast alles vorverpackt und mit allen Kundeninformationen versehen gekauft werden. Die bisherigen, eher protektionistisch denn hygienisch begründeten Restriktionen für Frischfleisch und begrenzt haltbare Fleischwaren in Lebensmittelgeschäften sind sukzessive aufgehoben worden (Häsler 2022). Dies äusserte sich im Rückgang der Zahl der Metzgereien in der Innenstadt (1937 28 Metzgereien, 1973 14 Metzgereien, 2023 eine einzige Metzgerei).

Einigen Kundinnen und Kunden fehlte nun der persönliche Kontakt beim Einkauf. Gerne nahmen sie sich Zeit und gingen auf den Berner Märit. Am Samstagvormittag wurde seit den 70er­Jahren in den Büros nicht mehr gearbeitet, um so mehr aber lokal und in Einkaufszentren eingekauft. So erlebte auch der Märit eine neue Kundschaft, die mit wachem Sinn

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den Ständen entlang ging, die Auslagen anschaute und sich beim Einkauf beraten liess. Die neuen Kunden wurden da und dort zu Stammkunden.

Die einen gingen schon um sieben Uhr auf den Markt, andere erst am späten Vormittag. Und so kam es, dass auch die Kundinnen und Kunden sich kennenlernten. Auch als nur gelegentlichem Marktbesucher vergeht kein Marktgang, bei dem ich nicht Bekannte treffe und mir wenn möglich noch an der «Front» (Restaurants am Bärenplatz) oder im «Falken» an der Münstergasse «eins genehmige».

Die Stimmung auf dem Markt habe ich immer als friedlich empfunden. Dies steht im Gegensatz zu einer Episode im Buch «Mein Name ist Eugen» von Klaus Schädelin (1955). Demnach sollen die Buben am Markt mit Augen von Tieren Unfug getrieben haben. Eine peinliche und aus meiner Erinnerung eher unwirkliche Geschichte.

Vielmehr atmet der Markt etwas Pittoreskes. Das hat auch der Galerist an der Münstergasse so empfunden («Der Bund», 15. Juni 1984, Fred Zaugg): «Die Rollen von Metzger und Maler vertauschen und durcheinander zu wirbeln, ist der Berner Fleischmärit der richtige Ort. Flankiert von Galerien mit Kunst, üben die Metzger seit eh und je die ihre aus. Alfred Hofkunst, der während des ganzen Jahres in der Galerie Krebs Münstergasse 43 das Szepter schwingt und verschiedenste Aktionen organisiert, ist ein Freund des Berner Fleischmärits. Um ‹Fleisch und Blut› geht es denn auch morgen Samstag von 07.00 Uhr bis 13.00 Uhr in und vor der Galerie Krebs. Aus Freiburg kommt der malende Metzger Jean-Pierre Corpataux, der sein Geschäft in eine Galerie verwandelt hat und nun dort gemaltes Fleisch anbietet. An der Münstergasse wird er seine Kunstwerke an einem Fleischmäritstand verkaufen, während Alfred Hofkunst den Rollentausch zu vollenden sich in und vor der Galerie mit echtem Fleisch beschäftigen und als geübter Koch Köstliches zubereiten wird. Der dritte im Bunde ist Jean Tinguely, der zu den Entdeckern des malenden Freiburger Metzgers gehört und am Samstag ebenfalls eine Probe seiner Kunst ‹etwas Grosses› geben wird.»

Marktfahrer ist man sein Leben lang

Wer regelmässig auf den Markt geht, kennt die Gesichter an den Ständen. Im Verlaufe der Jahre wird man auch des Generationenwechsels gewahr. Junge Leute übernehmen das Geschäft, ihre Eltern kommen weiterhin z Märit und bedienen alte und neue Kundschaft.

Eindrücklich sind persönliche Darstellungen, so über Alfred Winz aus Bümpliz («Der Bund» vom 3. Januar 1968, hgb): «53 Jahre lang stellte Metzgermeister Alfred Winz aus Bümpliz jeden Dienstag und Samstag seinen Stand am Fleischmärit in der Münstergasse alias Kesslergasse auf. Auf Jahresende ist nun der 72jährige mit seiner Frau zum letztenmal auf den Fleischmarkt gefahren, um von seiner treuen Kundschaft Abschied zu nehmen. Anfangs 1915 betreute Alfred Winz zum erstenmal seinen Fleischstand in der Laube der Burgerbibliothek. Nur während des letzten Weltkrieges, als er in den Aktivdienst einrücken musste, liess er sich vertreten. Auch als er sein Geschäft an der Stöckackerstrasse in Bümpliz seinem Sohn abge-

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Gemälde des Metzgers und Malers Jean-Pierre Corpataux. (Privatbesitz)

treten hatte, blieb alt Metzgermeister Winz dem Fleischmärit treu, wo er überall bekannt und geschätzt war.»

Oder über Eduard Siegenthaler («Der Bund» vom 8. Januar 1973, hgb): «Der älteste Marktfahrer feiert seinen 90. Geburtstag. Für die regelmässigen Besucher des Fleischmärits an der Münstergasse (vormals Kesslergasse) ist der Metzger Eduard Siegenthaler von Arnisäge oberhalb Biglen ein alter guter Bekannter. Der Fleischmärit ist sowieso eine eigene kleine Welt, in der sich jedermann kennt und in der man, wie es auf dem Lande noch Brauch ist, nicht ohne Gruss aneinander vorübergeht. Wenn Eduard Siegenthaler, der am 12. Januar seinen 90. Geburtstag feiern kann, hinter seinem mit appetitlichen Wurstringen vollbehängten Fleischstand steht und etwa für eine Kundin ein Paar Bratwürste einpackt, so tönt es: ‹Sälü Eduard, bisch zwäg?›

Der Grüsse und Gratulationen von vorübergehenden Passanten kann sich der älteste Marktfahrer, der demnächst sein 90. Lebensjahr vollendet, gegenwärtig kaum erwehren. Der noch emsig seine Kunden bedienende Jubilar in Metzgerbluse und umgebundener weisser Schürze ist immer wieder gezwungen, grüssend seine Dächlikappe zu lüften. Viele seiner Kunden kennen Eduard Siegenthaler schon vierzig und mehr Jahre und für eine grosse Zahl Fleischmäritbesucher ist seine vertraute Gestalt vom Fleischmärit kaum wegzudenken.

Noch vor wenigen Jahren fuhr der älteste Marktfahrer jeden Samstagmorgen mit dem voll mit Fleischwaren beladenen Fahrzeug von Arnisäge gegen die Stadt zu. In noch früheren Jahren war es ein Pferdefuhrwerk, wobei seine besondere Liebe seinen Pferden galt. In besonderer Erinnerung geblieben ist ihm das Pferd ‹Fanny›, das über 20 Jahre lang den Wagen zog und fünf Füllen gebar, worunter einen später ausgezeichneten ‹Eidgenoss›, was den ehemaligen Kavalleristen besonders freute.

Eduard Siegenthaler hat seinen Beruf von seinem Vater übernommen, den er früh verloren hat, so dass er bereits in jungen Jahren den Lebensunterhalt für die Familie bestreiten musste. Der Marktfahrer wäre lieber Landwirt geworden. Vor dem Ersten Weltkrieg hatte er Gelegenheit, als Reisebegleiter nach Nordafrika zu reisen. Die Pläne, in Algerien an der Mittelmeerküste einen Gutsbetrieb zu übernehmen, liessen sich jedoch wegen des Kriegsausbruchs nicht verwirklichen, denn Eduard Siegenthaler musste in den Aktivdienst zum Grenzschutz einrücken. Später betrieb er jedoch in Arnisäge einen kleineren Landwirtschaftsbetrieb neben seiner Metzgerei, den er jedoch vor einigen Jahren aufgeben musste, was ihn noch heute schmerzt.

Auf die gute Gesundheit in seinem hohen Alter angesprochen, pflegt der Jubilar zu sagen: ‹Nid z’viel aber gäng e chly schaffe!› In Arnisäge pflege man sowieso alt zu werden, denn hier sei die Luft noch gut.»

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Der Fleischmärit in Bildern von Eugen Thierstein aus den Jahren 1942 und 1943

Der Berner Eugen Thierstein (1919–2010) hinterlässt eine grosse Zahl von Fotos aus dem Berner Alltag. Dazu gehört auch eine Sammlung von 48 Fotos vom Berner Fleischmärit. Die Fotos sind in der Burgerbibliothek Bern unter der Signatur «Eugen Thierstein 301/..» aufbewahrt. Sie können auch im Online ­Archivkatalog eingesehen werden. Thiersteins fotografisches Lebenswerk ist in einem Bildband (Passepartout, 2023) dargestellt. Hauptberuflich betrieb Thierstein ein Fotogeschäft, das festliche Anlässe wie Hochzeiten dokumentierte. Bekannt sind auch seine Reportagen von Ereignissen für Tageszeitungen und Illustrierte Zeitungen.

Thierstein hat die Bilder vom Fleischmärit am Samstag, 7. März 1942 und am Dienstag, 2. März 1943 aufgenommen. Wie der Schattenwurf anzeigt, ist er an beiden Tagen vom frühen bis am späteren Vormittag auf dem Markt gewesen. Die Mehrzahl der Bilder stammen von Ständen am Münsterplatz in der Nähe des Mosesbrunnens, einige vom oberen Eingang der Bibliothekslaube und weitere von der Sonnseite der Münstergasse. Thierstein hat also dort fotografiert, wo gutes Licht war.

Die Sujets von 1942 und 1943 sind sich ähnlich. Thierstein nimmt Eindrücke auf und teilt sie mit uns. Er gibt uns mit den Bildern Nr. 4, 7 und 10 eine Gesamtübersicht über den Markt, je von einem höher gelegenen Fenster aus am Münsterplatz und an der Hotelgasse. Die meisten Fleischstände sind auf der kühleren Schattseite gelegen, was für die Haltbarkeit des Fleisches günstig ist. In der Bibliothekslaube befinden sich sogar zwei Reihen von Fleischständen. An der Sonnseite der Gasse findet ein kleinerer Markt statt, an dem Waren vorwiegend aus aufgestellten Körben und ab kleinen Abstellflächen verkauft werden. Ins Auge fallen dem heutigen Betrachter die Tafelwaagen mit den Gewichtssteinen. Am Münsterplatz sind einige Kleinlastwagen parkiert, mit denen das Fleisch gebracht worden ist. Daneben hat es auch Handwagen, Wagen für Pferdegespanne und sogar ein Hundegespann (Abb. 20).

Die Fotografien leiten den Blick des Betrachtenden diskret auf die Personen am Markt, zuerst auf die Metzger und Verkäuferinnen, alle mit sauberen weissen Schürzen. Diese wirken an der Arbeit konzentriert, aufmerksam im Gespräch mit der Kundschaft, oft auch

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zu einem Spass bereit (Abb. 46). Das gleiche gilt für die beiden Käseverkäufer (Abb. 26 und 45). Milchprodukte wurden übrigens an der Münstergasse schon seit Jahrhunderten verkauft. So heisst die Bibliothekslaube im Volksmund nach wie vor «Ankelaube».

Das Bild der Marktbesucher zeigt einen Querschnitt durch die Bevölkerung von Stadt und Land. Die Kleidungen weisen einerseits auf Bevölkerungskreise, die im Alltag körperlich arbeiten, und andererseits auf gut bis sehr gut situierte Stadtleute hin. Wo Thierstein mehrere Fotos am gleichen Ort machte, sind auch kurze Szenen erkennbar, so bei den Abbildungen 35–43, wo eine Gruppe gut gekleideter Damen die Auslage aufmerksam betrachtet und bespricht. Eine junge Frau mit besonders elegantem Hut begleitet eine ältere Dame, möglicherweise ihre Mutter, und hilft ihr beim Bezahlen (Abb. 38). Zum Markt gehört auch das zufällige Treffen von Bekannten, verbunden mit einem kurzem «Schwatz» (Abb. 4 und 28). Überhaupt erfreut die Vielfalt von Hüten, die damals getragen worden sind.

Offensichtlich Freude bereitete Thierstein ein Mann, der den Metzgern die Messer und Fleischsägen schärfte (Abb. 14, 15 und 47). Leider fehlt die Equipe, die frühmorgens die Stangen, Bretter, Haustöcke und Blachen für die Stände aus dem Keller der damaligen Stadtbibliothek holte und nach dem Mittag wieder zurückbrachte.

Drei Tage vor dem ersten Fototermin, am 4. März 1942, wurde in der Schweiz die Fleischrationierung eingeführt (Biske und Senti 1948). Pro Monat durfte damals pro Person 2,2 kg Fleisch (einschliesslich Knochenanteil) gekauft werden. Ein Jahr später waren es noch 1,3 kg. Die Fleischwaren fielen, bezogen auf den Fleischanteil, ebenfalls unter diese Gewichtslimite. Brühwürsten musste zeitweilig Sojamehl zum Strecken zugesetzt werden. Von der Rationierung ausgenommen blieben Blut­ und Leberwürste, Geflügel, Kaninchen und Wildbret. Die Bevölkerung erhielt gesamthaft gesehen nur noch ein Drittel der vor dem Krieg konsumierten Fleischmenge. Auf den Abbildungen fallen in diesem Zusammenhang die frei verkäuflichen Blut­ und Leberwürste auf (Abb. 34), ferner Kaninchen und Geflügel. Ebenfalls fallen die verhältnismässig kleinen Kalbsstotzen auf. Dies erklärt sich aus der frühzeitigen Schlachtung der Stierkälber. Die üblicherweise zum Tränken der Kälber bestimmten Milchmengen konnten so für den Konsum verwendet werden. Ein weiteres Zeugnis der Kriegswirtschaft zeigt Abb. 31, wo ein Kleinlastwagen mit Holzvergaser (als Ersatz für Benzin) sichtbar ist.

Das Sortiment der Stände ist reichhaltig. Dem Fotografen hat es besonders der Stand von Metzger Flückiger von Arni angetan, wohl auch wegen des Hintergrunds mit dem Münster einerseits und dem Mosesbrunnen andererseits (Abb. 21 und 23). Es fällt auf, dass auf der Standplakette die alte Schreibweise «Flükiger» steht, während auf dem Fleischkorb die neue Form „Flückiger“ verwendet wird (Abb. 19). Im Hintergrund sind die Transportfahrzeuge, Handwagen, Fleischkörbe und ein einfacher Haustock aus einem Baumstamm sichtbar. Am Fleischstand fallen drei grosse Kalbsstotzen auf (Abb. 1). Bei zwei Stotzen ist bereits das Carré weggehauen. Daneben hängen eine Kalbsbrust und eine Schafhälfte. Bei einer späteren Aufnahme hängt nur noch ein Stotzen am Gestell (Abb. 19). Die Geschäfte liefen also gut. Weiter sind Bauernwürste und nicht abgebundene Bratwürste aufgehängt. Auch das Suppenfleisch und die Koteletten scheinen im Verkauf gut gegangen zu sein.

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In der Bibliotheklaube herrscht Platzmangel; beidseits sind schmale Verkaufsstände aufgestellt. Die Gestelle sind eng bestückt mit Fleisch und Fleischwaren (Abb. 9). Später kommt eine zahlreiche Kundschaft, die Gestelle haben sich schon teilweise geleert (Abb. 13).

Bei einem Stand ist das Verkaufssortiment besonders gut sichtbar (Abb. 27 und 33): Aufgehängt sind Bauernwürste, eine Kalbszunge, Geräuchertes und eine Schweinshuft. Auf dem Tisch liegen Lammkoteletten mit gut sichtbaren Rippen und verschiedene Fleischstücke, so ein Nierstück und ein Federstück für Suppenfleisch. Weiter hat es ein Schinkenbein, einen Kalbsfuss, Blut­ und Leberwürste, eine Schale mit Rindsnieren und eine Schale mit Kutteln. An der Wand hängt sauberes Einpackpapier. Die Kasse ist mit dem «Stadtanzeiger» zugedeckt. Zeitungspapier diente zur zusätzlichen Umhüllung. Auf der Waage liegen 100 ­ Gramm­ Gewichte. Der Haustock und die Fleischsäge sind sichtbar.

Aus heutiger Sicht stellen sich Fragen zur Hygiene der Fleischauslagen. Die Bilder zeigen, wie das Fleisch ungekühlt und offen in Körben antransportiert, an Haken aufgehängt oder in grossen Stücken auf Tischen zum Verkauf feilgehalten wird (z. B. Abb. 34). Es wäre nun verfehlt, dies aus hygienischer Sicht zu kritisieren. Für die Mehrzahl der Metzger waren Kühlschränke und Kühlfahrzeuge noch unerschwinglich. Sie kompensierten die mangelnde Kühlkette, indem sie das Fleisch in grossen Stücken (z. B. in Vierteln) auf den Markt brachten und auch in möglichst grossen Stücken (mit Bein) verkauften. Grosse Stücke sind bedeutend weniger verderbnisanfällig, weil die Fleischoberfläche und damit die bakterielle Angriffsfläche im Vergleich zum küchenfertig geschnittenen Fleisch deutlich kleiner ist. Im Hängen gelagertes Fleisch trocknet zudem leicht an, wodurch das Milieu für die Bakterien ungünstiger wird. Bei verschiedenen Verkaufsständen sieht man auch, dass die Tische mit sauberen weissen Tüchern ausstaffiert sind. Dazu kommt, dass das Fleisch in der Regel beim Endverbraucher innerhalb von 1 bis 2 Tagen konsumiert wurde. Die Fleischanlieferung und der Markt wurden regelmässig vom stadttierärztlichen Dienst überwacht. In Abb. 17 ist übrigens der städtische Fleischschauer (im weissen Mantel) sichtbar.

Die Bilder vom kleinen Markt an der Sonnseite der Gasse, vor allem aus Körben und Kisten, zeigen das im Februar noch verfügbare Gemüse: Kartoffeln, Zwiebeln, Kabis, Rüben, Schwarzwurzeln, Rosenkohl, Lauch, Petersilienwurzeln, Dörrbohnen, Sauerkraut, als Früchte noch Äpfel, zudem vereinzelt Kaninchen, Suppenhühner und Eier. Eine blinde Frau verkauft SEVA­Lose (Abb. 17). Auf Abb. 31 werden auch lebende Kaninchen zum Mästen angeboten.

Die Bilder Thiersteins sind also weit mehr als ein Abbild des Fleischmarktes. Sie zeigen auch einen Querschnitt durch die Bevölkerung und dokumentieren die kriegswirtschaftlichen Massnahmen.

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Abb. 1, Eugen Thierstein 301 (1) D58626
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Abb. 2, Eugen Thierstein 301 (2) D58695
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Abb. 3, Eugen Thierstein 301 (3) D58702
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Abb. 4, Eugen Thierstein 301 (4) D58717
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Abb. 5, Eugen Thierstein 301 (5) D58728
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Abb. 6, Eugen Thierstein 301 (6) D58737

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