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BESUCH IM TIERHEIM

Die Miene des Bediensteten, der die gepanzerte Haustür öffnete, wirkte irgendwie säuerlich. Merkwürdig – auch durch das herrschaftliche Treppenhaus wehte etwas undefinierbar Säuerliches, das sich zu einem penetranten Geruch verdichtete, je höher ich stieg.

In einem Zwischengang, wohin mir der Diener vorausging, stand eine WC-Türe offen. Zweimal musste ich hinschauen: Im Lavabo schlief eine Katze. Sie zuckte bloss mit einem Ohr, als ich nähertrat. Aber aufgepasst, du Trampel: Gleich neben der Tür lag mit untergelegten Pfoten ein zweites Büsi. Wie seine Kollegin im Lavabo-Bettchen schien es an Fremde gewöhnt. Träge wandte es das Köpfchen, als ich bei der nächsten Türe anklopfte.

Neben der Dame war der Platz im Doppelbett besetzt. Auf der Bettdecke schlief zusammengerollt ein graues Pudelchen. Eine weitere Katze schmiegte sich schnurrend an meine Beine, eine andere, vornehm getigerte, spazierte auf einer offensichtlich bewilligten Route ungeniert über Kissen und Decken.

Ich stellte den Koffer ab. Kaum klappten die Deckel zurück, angelte ein Büsi – das wievielte? – nach dem Bügel des Stethoskops. Sah ich denn allmählich doppelt? Wer weiss, vielleicht sogar drei- oder vierfach. Im gleichen Augenblick, da ich mich setzte, fand das Tigerli den Ärzte- oder Spielzeugkoffer nicht mehr interessant und sprang mir auf die Knie. Als wüsste es ganz selbstverständlich, wie gern ich Katzen mag.

(Als ich diese Kolumne im März 2004 schrieb, schlief unser Kater Nero neben dem Schreibtisch im Korb, der im Winter auf dem hohen Papierkorb stand. Vom Bürostuhl aus konnte ich den alten Nero bequem streicheln, wenns ihm oder mir gerade guttat.)

Ob ich bei meinem Hausbesuch das Tigerli auf meinen Knien auch gestreichelt habe, weiss ich nicht mehr. Eigentlich war ich ja auf Krankenbesuch und nicht an einer Kleintierschau.

Jedenfalls waren die teils schlafenden, teils aktiven Vierbeiner indirekt schuld daran, dass mir in der Schweizer Familie für einmal der Platz fehlte, in meiner Kolumne auch darüber zu berichten, was der Dame eigentlich fehlte.

Oder hatte ich es zwischen den Zeilen vielleicht doch getan?

NICHT DER REDE WERT?

Kari Kappeler liess sich erst in der Praxis blicken, als die Atemnot ihn zwang, bei jedem zweiten Zaunpfahl stehen zu bleiben. Das ärgerte ihn unerchannt. Wie konnte er seinem Bruder in diesem Zustand dabei behilflich sein, noch vor dem ersten Schneefall die Weidezäune umzulegen?

Zweimal habe er eine Lungenentzündung durchgemacht, berichtete Kari ziemlich kurzatmig, während ich Herz und Lunge abhörte. Ich stellte den Kopfteil der Untersuchungsliege höher.

Wann das mit den Lungenentzündungen gewesen sei?

Ach, wie sollte er das noch wissen? Er führe doch kein Sackbüchlein über seine Bresten. Mit dem Schnupper, wie er dem Atmen sagte, gehe es gewöhnlich gar nicht so schlecht. Erst in letzter Zeit habe er deutlich mehr Mühe. Neu sei, dass es ihn zeitweise in der linken Seite zwicke. Aber eigentlich sei das doch nicht der Rede wert.

Mit dieser treuherzig, aber ziemlich zusammenhanglos berichteten Vorgeschichte lenkte mich Kari vorerst auf den Verdacht eines Lungen- oder Herzleidens.

Der Puls in Ruhe normal, Blutdruck und Herztöne ebenfalls, auch keine geschwollenen Knöchel. Fürs Erste keine sicheren Zeichen einer Herzschwäche. Oder doch Überbleibsel alter Lungengeschichten, in letzter Zeit aktiviert durch eine belanglose Erkältung? Über der linken Brustseite schien mir das Atemgeräusch verändert. Aber warum nur links? Hochstehendes Zwerchfell? So oder so: möglicherweise halt doch Flüssigkeit zwischen Brustwand und Lunge. Und weshalb zuckte Kari unmerklich zusammen, als ich die linke Seite abklopfte?

Bevor ich ein Röntgenbild anordnete, bohrte ich nach. Ob etwa ein Unfall …?

«Ach was!» Ungeduldig fiel mir Kari ins Wort und wollte aufstehen. Ich hörte heraus, er wäre am liebsten bereits wieder bei seinem Bruder auf der Weide. Sanft drückte ich ihn auf die Liege zurück.

«Und wenn … sind jetzt bald acht Tage seither …», fuhr er fort. «Aber das ist doch nicht mehr der Rede wert!»

Ich liess nicht locker.

Und siehe da: Kari rückte widerwillig heraus. Er habe lange an einem widerspenstigen Zaunpfahl gerissen. Urplötzlich gebe dieser Laushund nach. «Wie ein Kartoffelsack bin ich rücklings den Hang hinunter … akkurat wie ein Sack!»

Sehr vorsichtig, meinen ungeduldigen Patienten genau betrachtend, tastete ich die linke Flanke aus. Er konnte es nicht verbergen. Verzog das Gesicht – es tat ihm weh.

Kari liess sich nur ungern zur sofortigen Untersuchung im Spital überreden.

Die Ultraschalldiagnose «Milzriss» passte dann allerdings nicht zu seiner Lebenseinstellung.

Lassen Sie daher Ihre Ärztin oder Ihren Arzt hie und da mitentscheiden, ob etwas «der Rede wert» sei.

DER MILZRISS – DIE MILZRUPTUR

Wenn der Bauch einem plötzlichen massiven Druck oder Schlag von aussen ausgesetzt ist, spricht man von einer «stumpfen Bauchverletzung»; die Fachleute sagen «stumpfes Bauchtrauma». Am häufigsten wird dabei die Milz geschädigt. Sie liegt im linken Oberbauch unmittelbar unter dem Zwerchfell, ist gut faustgross, zehn bis zwölf Zentimeter lang und vier Zentimeter dick.

Die Milz ist in den Blutkreislauf eingeschaltet und hat die Aufgabe, gealterte rote Blutkörperchen, Blutplättchen und auch Mikroorganismen abzubauen. Andererseits produziert sie kleine, weisse, für die Abwehr wichtige Blutkörperchen, die Lymphozyten.

Die Milz besitzt eine derbe Kapsel. Von blossem Auge betrachtet, besteht dagegen das Innere aus einer weichen, blutigen Masse. Wird durch einen Schlag von aussen dieses weiche Gewebe zerrissen, kommt es zu einer zunehmenden Blutung im Innern der Milz, ohne dass die Kapsel verletzt sein muss. Stunden oder Tage nach dem Schlag oder Stoss reisst die Kapsel unter dem ansteigenden Druck. Dies wird als zweizeitige Milzruptur bezeichnet. Es blutet massiv in die Bauchhöhle. Innert Stunden entsteht Lebensgefahr, wenn die Milz nicht notfallmässig entfernt wird. Ist die Kapsel nur oberflächlich eingerissen und das Innere unverletzt, versucht man, die Milz zu erhalten.

Nach der Milzentfernung verändert sich vorübergehend die Zusammensetzung des Blutes. Gegen verschiedene Bakterien muss geimpft werden, da ja die Produzentin der weissen Abwehrzellen ausgefallen ist. Zudem wird vor kleinen und grösseren Operationen mit Antibiotika gegen Infektionen vorgebeugt.

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