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© 2023 Weber Verlag AG, CH-3645 Thun / Gwatt
1. Auflage
Fotos und Texte: Claudio Rossetti
Weber Verlag AG
Gestaltung Cover und Inhalte: Bettina Ogi
Bildbearbeitung: Adrian Aellig
Lektorat: Alain Diezig
Korrektorat: Esther Loosli
ISBN 978-3-03922-150-9
www.weberverlag.ch
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neutral Drucksache No. 01-12-409142– www.myclimate.org © myclimate– The Climate Protection Partnership
Ein Traum wird wahr .................................................................................................. 5 Eine historische Route zum Entdecken und Erleben............................................... 9 Praktische Ratschläge ............................................................................................. 13 Etappe 1: Locarno – Sesto Calende........................................................................ 18 Etappe 2: Sesto Calende – Milano - Pavia .............................................................. 30 Etappe 3: Pavia – Cremona ..................................................................................... 42 Etappe 4: Cremona – Boretto ................................................................................. 56 Etappe 5: Boretto – Mantova .................................................................................. 68 Etappe 6: Mantova – Ferrara ................................................................................... 80 Etappe 7: Ferrara – Chioggia .................................................................................. 92 Etappe 8: Porto Viro – Delta del Po (Ausflug) ...................................................... 102 Etappe 9: Chioggia – Venedig ............................................................................... 110 Inhalt
Ein Traum wird wahr
Schon von klein auf träumte ich davon, von den Alpen auf dem Wasserweg zum Meer zu gelangen. Ich hatte mir ein ungewöhnliches Boot ausgedacht: ein Floss mit einem Bretterboden, das von sechs Fässern getragen wurde. Damals war ich ungefähr 10 Jahre alt. Von meinem Projekt blieb später nur noch eine Zeichnung auf einem alten Blatt Papier, das weiss ich nicht wo gelandet ist, und mit der Zeit habe ich meinen Traum von der Flussschifffahrt vergessen. Er kam mir erst wieder 2007 auf meiner ersten Reise von Locarno nach Venedig in den Sinn. Gemeinsam mit einem Fotografen legte ich auf einem Fischerboot namens «Utopia» die Reise zur Serenissima zurück, um dort den Bürgermeister und Philosophen Massimo Cacciari zu treffen. Seitdem sind einige Jahre vergangen, aber meine Leidenschaft für den Fluss und seine Strömungen ist mir geblieben. Ein Wassertropfen braucht zirka neuneinhalb Wochen, um von der Quelle des Ticino zur venezianischen Lagune zu gelangen. Einen Tropfen bis ins Meer zu bringen steckt voller Bedeutungen, hat aber nur eine Botschaft: Auf einem Weg voller symbolischer Aspekte gilt es, zahlreiche architektonische und mentale Barrieren zu überwinden.
Dieser Reiseführer wurde möglich dank der grossartigen Unterstützung meiner Frau Silvia, der unermüdlichen Mitarbeit des Guides Fabio Bella, der fachkundigen grafischen Fähigkeiten meines Sohnes Riccardo, der wertvollen Ratschläge meiner Tochter Micaela, der grossen Bereitschaft von Kapitän Franco Bernasconi und des Katamaranbauers Pine Cesura aus Cremona, der Organisation der Schlauchboote durch Hans Ueli Kohler, der Kreativität der Fotografen Massimo Pedrazzini und Paolo Maggi, dem Enthusiasmus von Niccolò Salvioni, Präsident der Vereinigung Locarno-Mailand-Venedig, der Begeisterung von Giancarlo Cotti und der vielen Mitreisenden, die mich seit 2009 auf den Wasserstrassen begleitet haben.
Claudio Rossetti
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Eine historische Route zum Entdecken und Erleben
Wasser ist die wichtigste natürliche Verbindung zwischen Regionen, Territorien und Staaten. Das gilt auch für den Ticino, der im Sankt- Gotthard-Massiv entspringt, in Richtung Locarno und in den Lago Maggiore fliesst, das Tessin mit der Lombardei und dem Piemont verbindet und mit seinem Wasser zur Bereicherung des Ökosystems der beiden Regionen und des Naturparks Parco Ticino beiträgt. Der Lago Maggiore, der Fluss Ticino und seine Kanäle (die Wasserstrasse Locarno-Mailand-Venedig) dienten als Transportwege für Menschen und Waren, etwa für den Transport von Candoglia-Marmor für den Bau des Mailänder Doms, die Bewegung von Soldaten zwischen den Burgen in der Visconti-Ära oder den Transport von Holz aus den Tessiner Tälern nach Mailand für den Häuserbau bis 1800.
Der Bau des Kanalsystems Naviglio Grande geht auf das Jahr 1200 zurück. Ursprünglich wurde er zur Bewässerung der landwirtschaftlichen Felder gebaut – eine Funktion, die er auch heute noch erfüllt. Später wurde er für zum Transportweg von und nach Mailand umgebaut.
Im Jahr 1384 einigte sich der Herzog von Mailand, Gian Galeazzo Visconti, der mit dem Dom ein grossartiges Monument für seine Hauptstadt wollte, mit dem Erzbischof auf einen Bau aus Marmor, ganz im Sinne der grossen europäischen Kathedralen jener Zeit. Zu diesem Zweck stellte er der Fabbrica del Duomo 1388 die Steinbrüche von Candoglia zur Verfügung und gab ihr das Recht, alles, was für den Bau benötigt wurde, frei von Zöllen, Abgaben und Steuern zu transportieren. Um erkannt zu werden, wurden die Kähne mit den Buchstaben AUF (Ad Usum Fabricae) gekennzeichnet und der italienische Ausdruck «a ufo» (gratis, «a sbafo») war geboren. Das waren grosszügige Geschenke, aber nicht ganz uneigennützige, denn von nun an war es die Fabbrica del Duomo, die sich um die Instandhaltung der Schiffe kümmerte.
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Für Waren, die vom Lago Maggiore oder sogar aus der Schweiz kamen, war der Einschiffungs- oder Umschlaghafen Sesto Calende; von dort aus mussten die 23 Kilometer des Ticino-Flusses auf einer schnellen und oft stürmischen Strömung bis nach Tornavento hinuntergefahren werden. Der Fluss fällt 47 Meter ab, im Durchschnitt mehr als zwei Meter pro Kilometer, und es ist nicht ungefährlich, sich den Stromschnellen zu stellen. Die Fahrt dauert etwa zwei Stunden, weniger, wenn der Fluss viel Wasser führt, und die Kähne erreichen Geschwindigkeiten von fast zwanzig Kilometern pro Stunde.
Die Boote hatten einen flachen Boden und waren sehr breit. Die grössten Boote, die «cagnone», waren 23,5 Meter lang und 4,75 Meter breit und hatten eine Ladekapazität von 40 Tonnen; die «mezzane»- oder «ossolane»-Boote waren etwa 20 Meter lang und hatten eine Ladekapazität von 30 Tonnen. Kein Boot durfte bei voller Beladung einen Tiefgang von mehr als 75 cm aufweisen. Es war verboten, nachts zu fahren und es war absolut verboten, fahrende Schiffe zu überholen. Die Besatzungen für «cagnone» und «mezzane» bestanden aus mindestens vier Schiffsleuten: Auf dem Fluss steuerte der erfahrenste Mann, der Führer, das Ruder, entlang der Wasserstrasse war es der «navalestri» und in der Stadt der sogenannte «Meister des Grabens». Der vierte Mann war der Lotse. Der Abstieg von Tornavento zur Anlegestelle dauerte zwischen sieben und neun Stunden.
Die Fahrt flussaufwärts war viel langsamer und komplizierter: Konvois (so genannte Cobbie) von zwölf Booten, die Bug an Heck gebunden und von ebenso vielen Pferden gezogen wurden, kamen aus dem Hafenbecken. Bis nach Castelletto di Abbiategrasso ist die Steigung sanft, fast Null und kann in vierundzwanzig Stunden leicht überwunden werden. Danach wurden um der schnelleren Strömung bis nach Tornavento zu begegnen, zwölf Pferde für sechs Boote eingesetzt. Selbst um 1800 dauerte die gesamte Reise mindestens zwei Wochen. Um Zusammenstösse zwischen Booten, die in entgegengesetzte Richtungen fuhren, zu vermeiden, wurde eine Art alternierende Einbahnstrasse eingerichtet: Bis zum Mittag fuhr man hinunter, dann wieder hinauf. Pferdefahrzeuge blieben praktisch so lange im Einsatz, wie es die kommerzielle Schifffahrt gab; erst nach dem Zweiten Weltkrieg kamen ein paar Traktoren hinzu, die wegen der Enge des Treidelpfads unter Brücken und Viadukten klein waren.
Die Cerchia dei Navigli war der überflutete Verteidigungsgraben der mittelalterlichen Stadtmauern von Mailand, dessen südöstlicher Teil zu einem schiffbaren Kanal ausgebaut wurde. Aus diesem Grund war sie auch als Naviglio Interno bekannt. Sie war 6,5 Kilometer lang und 9 Meter breit. Am 16. März 1929 wurde sie vollständig zugeschüttet.
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Ursprünglich diente die Darsena di Porta Ticinese in Mailand als Be- und Entladestelle für Waren, die von Schiffen durch die Mailänder Navigli transportiert wurden. 1953 lag sie auf Platz 13 der italienischen Häfen für den Wareneingang und auf Platz 3 für die Tonnage. Der letzte Lastkahn mit Waren erreichte die Darsena am 30. März 1979.
Der Naviglio Pavese ist ein schiffbarer Kanal, der von Mailand nach Pavia führt und Teil des Mailänder Kanalsystems ist. Wie alle anderen Kanäle kombinierte er die Funktion der Bewässerung (die er auch heute noch erfüllt) mit der einer Wasserstrasse. Er wurde ab 1807 unter Napoleons Königreich Italien gegraben und am 9. August 1819 unter dem österreichischen Königreich Lombardo-Venetien eingeweiht. Leider ist dieser 35 Kilometer lange Kanalabschnitt heute nicht mehr schiffbar. Die Wiedereröffnung dieses Abschnitts würde umfangreiche Sanierungsarbeiten an den 12 Schleusen und die Beseitigung von Barrieren und Hindernissen erfordern.
Bei Pavia mündet der Ticino in den Po. Dieser Fluss war wie der Nil oder der Rhein seit prähistorischen Zeiten der wichtigste Verkehrsweg in der Poebene. Schon die Römer nutzten ihn für die Schifffahrt und im Mittelalter, nach 900, wurde das Boot dank des milden Klimas und der Landgewinnungsarbeiten zum Haupttransportmittel. Nicht nur Boote, sondern auch Fähren und Pontonbrücken waren im Einsatz. Bis heute ist das Wasserstrassennetz 812 Kilometer lang, wovon 584 Kilometer für kommerzielle Zwecke genutzt werden.
Der Wasserweg, der vom Lago Maggiore zum Meer führt, zeugt von seiner wichtigen historischen Rolle als Verbindungs- und Transportweg, der jetzt dank der Initiativen des Kantons Tessin und der Regionen Lombardei und Piemont aufgewertet und wiederentdeckt wird. Die faszinierende Strecke war Gegenstand zahlreicher grenzüberschreitender Projekte mit dem Ziel, die Schiffbarkeit und touristische Nutzbarkeit entlang der Wasserwege und durch den Parco Ticino wiederherzustellen, zunächst im Rahmen der Weltausstellung Expo 2015 in Mailand.
Dank dieser Projekte und dem Engagement einiger Visionäre und Pioniere des Flusstourismus ist die Wasserstrasse heute über weite Strecken schiffbar. An Bord von kleinen Booten, Flusskatamaranen oder einfachen Kanus wiederholt sich die Geschichte. Eine Reise zwischen Vergangenheit und Gegenwart, von unglaublicher Schönheit und tiefen Gefühlen.
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Mit dem Fischerboot nach Venedig: Claudio Rossetti und Fotograf Massimo Pedrazzini.
Praktische Ratschläge
Das Boot auswählen
Die erste wichtige Entscheidung, die getroffen werden muss, bevor man in See sticht, ist die Wahl des Bootstyps. Diese Entscheidung wird dadurch erschwert, dass die Strecke durch mehrere Abschnitte gekennzeichnet ist, die jeweils einen anderen Typ erfordern. Sie beginnt mit dem Lago Maggiore, der vor allem in einigen besonders windanfälligen Abschnitten einen Welleneffekt haben kann. Zum Beispiel in der Gegend von Pino bis Cannobio und darüber hinaus, wo man viele Liebhaber des Segelsports (Surfen, Kite-Surfen) antrifft, und in der Gegend der Borromäischen Inseln, wo sich der See erweitert. Andere Wellen, in diesem Fall von anderen Booten verursacht, sind in der Lagune auf der Strecke von Chioggia nach Venedig, zu finden. Dies könnte auf ein Boot mit einem Kiel hindeuten, der den Kurs hält und im Inneren die Passagiere vor Spritzwasser schützt.
Eines ist sicher: Segeln ist nicht ratsam. Erstens, weil man auf dem Fluss nicht segeln kann, und zweitens und vor allem, weil der Tiefgang des Bootes ein echtes Hindernis darstellt und man Gefahr läuft, beim Segeln auf Grund zu laufen. Der Katamaran, ein Boot, dessen Gewicht auf zwei Rümpfe verteilt ist, ist zweifellos eine gute Wahl. Es gibt verschiedene Typen, auf dem Po begegnen Sie Booten unterschiedlicher Grösse wie Hausbooten, Fähren oder Flusskreuzfahrtschiffen.
Ich persönlich würde ein Flussboot mit flachem Boden empfehlen, das mit einem Aussenbordmotor von mindestens 15 PS ausgestattet ist. Beachten Sie, dass in der Schweiz ab 8 PS ein Führerschein vorgeschrieben ist, während in Italien bis zu einer Leistung von 40 PS kein Führerschein verlangt wird. Ideal ist es, wenn der Rumpf aus Aluminium oder Harz besteht, da dieser bei Flachwasser oder bei einer Landung auf einem steinigen Ufer mehr Sicherheit bietet.
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Eine gute Alternative ist natürlich ein Schlauchboot, aber immer mit einem nicht zu schweren Aussenbordmotor (auch hier empfehle ich einen 15-PS-Motor). Meine erste Fahrt nach Venedig unternahm ich 2007 an Bord eines Aluminium-Fischerbootes aus einer Werft am Bodensee. Seit 2009 fahre ich aber mit einem 4-Meter-Schlauchboot mit festem Rumpf die fast 700 Kilometer langen Wasserwege ab. Der Rumpf ist nützlich, um sich während der Fahrt bequem an Bord bewegen zu können, um Material zu verstauen und um das Boot mit einer gewissen Ruhe fahren zu können (die verschiedenen Strecken können lang und daher ermüdend sein). Auch das Material, aus dem das Schlauchboot besteht, sollte berücksichtigt werden: Sie sollten sich für ein professionelles Modell aus dickem Gummi entscheiden, da die Gefahr einer Luftkammerpanne sehr gross ist. Der grosse Vorteil des Schlauchboots ist sein geringes Gewicht, das es erleichtert, das Boot von Hand vom Fluss auf den Wagen oder ins flache Wasser zu bringen. Ein Wagen, der von einem Auto gezogen wird, ist für den Transport des Bootes unentbehrlich, denn es gibt Strecken, auf denen die Schifffahrt nicht durchgängig ist: Ich denke an die Passage vom Lago Maggiore zum Naviglio Grande oder den Abschnitt Mailand-Pavia. Darüber hinaus kann die Hilfe von der Strasse aus sehr nützlich, wenn nicht sogar entscheidend sein, wenn es um die Versorgung mit Wasser, das Tanken, Reparaturen und natürlich die Rückkehr zum Ausgangspunkt der Reise geht.
Natürlich kann Venedig auch mit dem Kanu oder Stand-up-Paddel erreicht werden. Auf meinen Reisen bin ich auf dem Wasserweg oft Abenteurern begegnet, die, ausgestattet mit der notwendigen körperlichen Verfassung und dem unabdingbaren Geist, diese Reise auf dem Grossen Fluss angetreten haben. Dies sind sicherlich Beispiele für langsamen und umweltfreundlichen Tourismus, aber sie erfordern eine gute Vorbereitung. Auch in diesem Fall empfehle ich, ein Auto dabei zu haben, das die Navigatoren beim Einkauf von Vorräten und beim Zelten unterstützen kann.
Leider gibt es bisher noch kein Netz von Servicestellen entlang des Flusses. Die Entwicklung des Fremdenverkehrs in diesem besonderen Gebiet könnte jedoch die Entstehung eines solchen in der Zukunft begünstigen. Zweifellos ist es ein einzigartiges Erlebnis, in einem Kanu zu fahren und die Fauna in der Morgen- oder Abenddämmerung zu geniessen. Ich rate den Bootsfahrern auch, sich auf bestimmten Abschnitten des Flusses einfach von der Strömung treiben zu lassen. Das ist es wirklich wert.
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Die Schiffbarkeit
Die Saison auf den Wasserstrassen dauert, sofern das Wetter noch vorhersehbar ist, vom späten Frühjahr bis zum Spätsommer. Leider tragen trockene und schneearme Winter nicht dazu bei, den Fluss mit dem nötigen Rohstoff zu versorgen. Ausserdem wird der Wasserstand nicht nur von den Niederschlägen oder der Schneemenge auf den Bergen bestimmt. Der Wasserhaushalt des Lago Maggiore, der durch den Staudamm von Miorina (bei Sesto Calende) reguliert wird, wirkt sich auf den Durchfluss des Ticino und damit auf den Kanal des Naviglio Grande aus. Das Consorzio Villoresi liefert mit dem Staudamm von Panperduto das Wasser für die Bewässerung der landwirtschaftlichen Ebenen um Mailand.
Ausserdem gibt es auf dem Naviglio Grande regelmässige Entwässerung des Kanals («asciutta», d.h. trocken). Seit dem Bau des Kanals wurden die Kanäle zyklisch trockengelegt, um Reinigungs- und Wartungsarbeiten am Grund, an den Ufern und der funktionalen Infrastruktur durchzuführen. Diese Massnahme wird zweimal im Jahr, im Frühjahr und im Herbst, durchgeführt und erregt den Zorn von Umweltschützern wegen dem durch die totale Trockenheit verursachten Aussterben der Fischfauna, und natürlich auch das Missfallen der Bootsfahrer. Die Schifffahrt auf dem Naviglio Grande ist für Boote bis zu einer Länge von 7 m bewilligungsfrei, aber ich empfehle Ihnen, sich vor Reiseantritt bei der zuständigen Behörde, dem Consorzio Villoresi, zu erkundigen, wie Sie die Schifffahrt während der verschiedenen populären Veranstaltungen entlang der Wasserstrasse vermeiden können.
Die Schifffahrt im Parco Ticino (dem Abschnitt von Sesto Calende bis zum Staudamm von Panperduto) ist zu Recht sehr streng geregelt. Die Geschwindigkeit und die PS-Zahl des Aussenbordmotors (20 PS) sind begrenzt. Ich empfehle Ihnen, sich vorher bei der Parkverwaltung zu erkundigen, da sich die Gesetze ständig ändern. Die Durchfahrt durch Schleusen, z.B. auf dem Ticino (Miorina und Panperduto), auf dem Po (Serafini-Insel), in Richtung Chioggia (Volta Grimana), muss ebenfalls im Voraus vereinbart und reserviert werden (siehe zuständige Stelle AIPO).
Ein besonders tückischer Abschnitt des Ticino ist derjenige von Pavia nach Ponte della Becca, wo er in den Po mündet, da der ausgebaggerte Kanal nicht ausgeschildert ist. An diesem Ort empfehle ich dringend, die örtlichen Fischer um Rat zu fragen.
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Ab Piacenza und bis zur Mündung ist der Fluss normalerweise ausgebaggert und ausgeschildert. Entlang des Flusses sind rot-weisse Schilder angebracht, die anzeigen, an welchem Ufer man entlangfahren oder unter welchem Brückenbogen man durchfahren sollte. Das gilt für jede Art von Boot, auch für Kanus. Wenn man der Strömung folgt, kommt man schneller voran und gewinnt zusätzlich zur Geschwindigkeit des Flusses weitere 5-6 Stundenkilometer hinzu. Ausserdem sind die Hindernisse im Fluss, die oft unter Wasser liegen, mit roten und weissen Bojen markiert, deren Farbe angibt, auf welcher Seite es ratsam ist, sie zu umfahren. Die Beschilderung ist für eine sichere Navigation sehr wichtig, wobei zu berücksichtigen ist, dass jeder Nautiker auf sich allein gestellt ist. Nur selten trifft man auf andere Boote, und einen Interventionsdienst für Notfälle gibt es praktisch nicht. Schon die Suche nach einem Landeplatz, der mit dem Auto erreichbar ist, ist eine Herausforderung.
Ausserdem müssen alle Sportboote mit einem Motor von mehr als 10 PS auf beiden Seiten des Bootes das Kennzeichen «LV» tragen, um in der Lagune von Venedig fahren zu können. Dieses wird im Namen der Region Venetien von der Verwaltungsstelle in Marghera ausgestellt.
Was die Prioritäten in der Schifffahrt, insbesondere in der Lagune von Venedig, betrifft, so möchte ich auf die Vorfahrt hinweisen, die insbesondere dem öffentlichen Verkehr und den Segelschiffen eingeräumt werden muss. Ich rate jedem, vor Reiseantritt ein Handbuch über die Schifffahrt zu lesen, um während der Fahrt nicht in Schwierigkeiten zu geraten, und die Anweisungen der Behörden zu befolgen. Um die nötige Sicherheit zu gewährleisten, möchte ich noch einmal betonen, dass die Schifffahrt auf den Kanälen (insbesondere auf dem Naviglio Grande) nicht einfach und nicht für jeden geeignet ist. Der Strom erfordert die nötige Erfahrung! Und schliesslich: Legen Sie nie in Richtung eines Flusses an, sondern immer gegen die Strömung. Diese Ratschläge werden Ihnen helfen, Unfälle und vor allem Schäden an Ihrem Boot zu vermeiden!
Ausrüstung
Um die Ausrüstung für diese Reise vorzubereiten, muss man die allgemeinen Bedingungen sowie die Wahl der Art der «Flussfahrt» berücksichtigen. Möchte ich allein oder in einer Gruppe reisen? An Bord eines Kanus oder eines Motorboots? Habe ich vor, ein Begleitfahrzeug zu haben? Will ich die Strecke in einem Zug zurücklegen oder plane ich, sie in Etappen über einen Zeitraum von mehreren Jahren zu bewältigen? Schlafe ich in einem Zelt, in einem Hotel oder einer Wohnung?
Je nach gewähltem Bootstyp muss ich die für die Schifffahrt erforderliche Ausrüs-
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tung und das notwendige Werkzeug bereitstellen (z. B. lebenswichtige Ausrüstung, Ersatztanks, Kette mit Schloss, um den Diebstahl des Motors zu verhindern, wasserdichte Taschen für Kleidung, Werkzeug und eventuelle Ersatzteile, Sicherheitsausrüstung für das Boot, Fernrohr usw.). Der Sonnenschutz ist ein weiterer Aspekt, der mit grösster Sorgfalt bedacht werden muss, d. h. mit Sonnenhut, Augenschutz und Sonnencreme. Wenn Sie in einem Zelt übernachten wollen, müssen Sie alle notwendigen Ausrüstungsgegenstände mitbringen, wobei das Gewicht zu berücksichtigen ist.
Kartografisches Material und Führer (von Städten und Regionen) sind ein weiterer Punkt, der sorgfältig zu prüfen ist. Da die Wetterbedingungen immer weniger vorhersehbar sind, ist das Internet mit aktuellen Informationen über Flusspegel, mögliche Sperrungen von Flussabschnitten oder andere Schifffahrtsprobleme ein immer wichtigeres Hilfsmittel.
Technische Hilfe und Lieferungen
Die erste Überlegung gilt dem derzeitigen Fehlen einer logistischen Unterstützung für den Flusstourismus. Der Nautiker muss sich auf seine eigenen Vorbereitungen und Vorkehrungen verlassen. Am Ufer wird er nicht mit vielen Hilfsmitteln und Stützpunkten rechnen können. Da der Fluss in der Regel mindestens 1 bis 2 Kilometer vom Damm und dem Strassennetz entfernt ist, ist die Reaktionszeit für Rettungs- oder Reparaturmassnahmen im Bedarfsfall länger. Einfache Nachschublieferungen (auf dem Fluss gibt es nur wenige ausgestattete Häfen) können zu einer Herausforderung werden. Auf den eigens für diesen Führer erstellten Karten sind die wichtigsten Informationen mit einer Liste der Adressen der wichtigsten Einrichtungen, Häfen, Versorgungsstellen, Bars und Restaurants sowie Hotels angegeben.
Natürlich kann die Technik auch bei der Navigation oder in Notfällen helfen. Spezielle Navigationsanwendungen (mit Karten, Geschwindigkeitsanzeige) können auf das Mobiltelefon oder Tablet geladen werden. Die Weitergabe Ihrer Position an Dritte über soziale Medien oder Navigationsanwendungen kann ebenfalls sehr nützlich sein. Anhand der übermittelten Daten kann der Begleiter der Fahrt dann problemlos die Bootsbesatzung an Land erreichen.
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von Locarno bis Sesto Calende
ETAPPE 1
Vanzone-S. Carlo
Locarno-Mailand-Venedig für Touristen und vor allem für Waren hätte gebaut werden sollen. Ein pharaonisches Projekt, das aufgrund des Aufkommens des Strassenverkehrs nie verwirklicht wurde. Der Hafen hätte als Umschlagplatz von der Eisenbahn zu den Lastkähnen dienen sollen. Tenero wie Basel? Vielleicht ist es ein Glück, dass diese Vision nicht verwirklicht worden ist. Ich bin mir jedoch bewusst, dass meine Reise entlang der Wasserwege zum Meer keine Utopie ist, sondern ein historischer Weg, dem man folgen kann, wobei einige Schwierigkeiten zu überwinden sind, und der mich zur Entdeckung einer von Natur geprägten Welt führen wird, die von Geschichte, Kultur und Gastronomie erfüllt ist. Ich werde ein Pionier dieser historischen Wasserstrasse sein, die es mir ermöglicht, in der Nähe meiner Heimat an Bord zu gehen, und die mich langsam in Richtung Adria begleiten wird.
Lago di Vogorno
Brissago
SCHWEIZ
Lago Maggiore/ Verbano
Lago di Mergozzo
Borromäische Inseln
Balmuccia
Lago d'Orta
Lago di Varese
Lago di Monate
Lago di Comabbio
Lago di Lugano/Ceresio
Lago di Piano
LagodiComo
10Km
Cantù Erba
Locarno
Paradiso
0
Domodossola
Borgosesia
Como Gentilino
Porza Borgomanero Massagno
Luino
Brianza
Mede Sorengo Varese
Comense
Lombardo Giubiasco S Z Arcisate Porlezza
Chiasso
Bellagio Menàggio Canzo
Comologno Gozzano Angera Laveno
Vezia Lugano
Bellinzona Omegna Arona Tradate
Carate
Verbania Malnate
Mariano
Somma
Sta Maria Maggiore
Torricella-Tavernee
Iselle Olgiate Comasco Porto Cerèsio
Ponte Tresa
Sesto Calende Gavirate
Villadossola Mendrisio Ornavasso Campione Bogno
Premosello Chiovenda
Càmedo
Brissago Minusio Ascona Losone Cannòbio
Gravellona Toce
Stresa
Nesso
Varallo Sésia Gondo
ITALIEN Inseln
Cannero
lang einlullen wird. Ein letzter Blick auf die Küste, die sich in Richtung Verzasca und Tenero-Campingplatz zurückzieht, und ich vergesse die geschichtsträchtige Stätte (heute ein nationales Jugendsportzentrum), an der der Hafen der Schifffahrtslinie
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Calende
Die Isola Bella thront auf dem See wie ein Dampfer.
Die Quelle des grossen Flusses Wenn ich ein wenig nach Süden schaue, sehe ich die Ticino-Mündung und die Bolle di Magadino, einen nationalen Vogelpark, den man unbedingt entdecken sollte – allerdings nur zu Fuss, da er unter Naturschutz steht. Die Hauptquelle des Ticino befindet sich im Val Bedretto, im Gebiet des Nufenenpasses, auf einer Höhe von rund 2480 Metern. Eine weitere Quelle liegt in der Nähe des Ospizio del San Gottardo. Bei Airolo vereinigen sich die beiden Flüsse und fliessen durch ein gut erhaltenes Tal (sehenswert sind die Schluchten des Stalvedro und des Monte Piottino) bis zur Mündung beim Piano di Magadino in Bellinzona, wo der Fluss durch Dämme gestaut wird, die ihn zu einem banalen Kanal bis zum Delta machen, wo er in den Lago Maggiore mündet. Auch dieser letzte Abschnitt wird von einem schönen Radweg durchzogen. Das Fahrrad als Alternative zum Kanu. Aber zurück zum Thema Wasser: Es dauert etwa neuneinhalb Tage, bis ein Tropfen Wasser von der Quelle des Ticino in die Lagune von Venedig gelangt. Einen Wassertropfen ins Meer zu bringen hat für mich viele Bedeutungen, steht aber auch für eine starke Botschaft: die Überwindung zahlreicher architektonischer und mentaler Barrieren auf einem Weg mit vielen symbolischen Implikationen. Mit diesem Ziel vor Augen habe ich diese Reise auf der Welle der Utopien und einer Wasserkultur organisiert. Der erste Tag ist dem Lago Maggiore oder Verbano (Lagh Magior auf Piemontesisch, Lach Magiur in der Lombardei) gewidmet, einem voralpinen See fluvioglazialen Ursprungs, dem zweitgrössten in Italien. Sein Name «Lago Maggiore» rührt daher, dass er einst als der grösste der voralpinen Seen galt. Der Lago Maggiore liegt auf einer Höhe von etwa 193 m über dem Meeresspiegel und hat eine Fläche von 212 Quadratkilometern, von denen etwa 80 % auf italienischem und die restlichen 20 % auf Schweizer Gebiet liegen. Er hat einen Umfang von 170 Kilometern und eine Länge von fast 70 Kilometern, über die ich heute berichten werde. Es ist interessant zu wissen, dass das darin enthaltene Wasservolumen fast 40 Milliarden Kubikmetern entspricht, mit einer theoretischen Umlaufzeit von etwa 4 Jahren. Beeindruckend. Die planmässige Schifffahrt auf dem See hat sehr alte Ursprünge: Bereits 1825 wurde die Impresa Lombardo-Sardo-Ticinese für die Schifffahrt auf dem See gegründet, und 1826 verkehrte bereits der erste Dampfer, die Verbano, auf dem See. Heute besteht die Passagierflotte der Navigazione Lago Maggiore aus über dreissig Schiffen, darunter Dampfer, Motorschiffe, Fähren, Katamarane, Tragflächenboote und Motorboote.
Von Ascona zu den Brissago-Inseln
Nachdem ich das Delta des Maggia-Flusses, das mit seinen Stränden, kleinen Inseln mit weissem Sand und kristallklarem Wasser eher an die Malediven erinnert, passiert habe, beginne ich meine Fahrt durch die Bucht von Ascona. Vom Wasser aus blicke ich auf die Uferpromenade mit ihren Platanenreihen und der von zahl-
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reichen Hotels und Restaurants besetzten Fassade. Die Altstadt von Ascona, der borgo, dreht sich um die bedeutende Kirche San Pietro e Paolo, eine Basilika mit Säulengang aus dem 16. Jahrhundert, deren hoher Glockenturm das Wahrzeichen des Ortes ist. Die verzweigten Strassen der Altstadt münden in die verkehrsfreie Seepromenade, die von Strassencafés gesäumt ist. Wie könnte man die regelmässigen Besuche des heiligen Karl Borromäus mit dem Schiff im Kollegium Papio vergessen, einem historischen Ausbildungszentrum für Jugendliche in Ascona, das einige der wichtigsten Persönlichkeiten des Kantons Tessin aufgenommen hat? Wenn ich nach oben schaue, sehe ich auf der Spitze des Hügels hinter Ascona den Monte Verità. Zu Beginn des 20. Jahrhunderts liessen sich dort einige originelle Denker nieder und gründeten eine Kolonie, die Berühmtheiten aus der ganzen Welt anzog. Dieser von Harald Szeemann als «Ort der Utopien» bezeichnete Ort lässt mich an meine Reise auf dem Wasser mit dem Ziel Venedig denken, die zweifelsohne eine verwirklichte Utopie darstellt. Eng mit der Geschichte des Monte Verità verbunden sind zwei Juwelen im Lago Maggiore: die Brissago-Inseln. Hier wachsen über 2000 Pflanzenarten aus den mediterranen und subtropischen Regionen aller fünf Kontinente. Die Idee für den Park stammt von der russischen Baronin Antoinette de Saint Léger, die die Insel 1885 kaufte und sie zu ihrem Wohnsitz machte, der berühmte Schriftsteller, Musiker und Maler anzog. Die Isola Grande wurde zu einem exotischen Garten und die Baronin führte Pflanzenarten ein, die in diesen Breitengraden bis dahin unbekannt waren. Die kleinere Insel, Isola di Sant’Apollinare oder Isola dei Conigli genannt, ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Sie hat eine naturbelassene Vegetation und bewahrt die Ruinen einer kleinen Kirche antiken Ursprungs. Wenn Sie Lust auf einen Kaffee oder einen Snack haben, empfehle ich Ihnen das Restaurant auf der Hauptinsel, das über einen grossen Steg verfügt.
Ich muss zugeben, dass man an Bord eines Schiffes wirklich einen 360-Grad-Blick auf die Küste und die Berge hat. Aus der Ferne beobachte ich mit einer gewissen Genugtuung, wie sich die Autos auf der Küstenstrasse stauen, während ich friedlich weiterfahre. Ich überquere die Grenze (es gibt keine Verpflichtung zum Anhalten) und setze das Steuer in Richtung Cannobio, einem schönen historischen Dorf, wo ich eine Pause machen kann. Am Anfang des Seeufers befindet sich eine Anlegestelle. Die Originalfassaden der Häuser und Gebäude mit Blick auf den See sind wirklich beeindruckend. Ich empfehle einen kurzen Spaziergang durch die Altstadt, wo es noch viele Geschäfte und kleine Bars gibt.
Cannobio und die Schlösser von Cannero Wenn man das schöne Cannobio hinter sich gelassen hat, sieht man schon bald die Schlösser von Cannero: drei Felseninseln gegenüber von Cannero Riviera (ein
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weiterer empfehlenswerter Ort für eine Pause), auf denen sich Ruinen antiker Festungen befinden, die derzeit restauriert werden. Im Laufe der Jahrhunderte wurde sie zu einem Zufluchtsort für Schmuggler, wurde von Fischern genutzt und war sogar die Heimat einer Fälscherbande. Heute sind nur noch die Ruinen der alten Festungsanlagen erhalten. Die Ruinen bieten einen der schönsten Ausblicke auf den See, der von verschiedenen Wasservogelarten wie dem Königsschwan und der Möwe besiedelt wird.
In diesem Teil des Sees liegt sein tiefster Punkt! Am linken Ufer geht es weiter nach Luino, das für seinen Mittwochsmarkt berühmt ist, rechts nach Ghiffa, wo die historische Fabrik der berühmten Panizza-Hüte in ein Resort mit mehreren Wohnhäusern und einem kleinen Jachthafen umgewandelt wurde. Das Museum kann noch heute besichtigt werden.
Von den Wellen des Sees umschmeichelt, bewundere ich die Berge, die langsam in Hügel und dann in Ebenen übergehen. Auf der linken Seite des Sees befindet sich ein letzter Berg, der Sasso del Ferro, der mit einer originellen Seilbahn von Laveno aus erreicht werden kann. In den Zweierkabinen der botticella steigen Sie auf 1100 Meter. Von dort aus können Sie einen grandiosen Panoramablick auf den Lago Maggiore, die Alpen und die Voralpen geniessen.
Der Borromäische Golf
Ein obligatorischer Halt, nachdem man Intra mit seinem Samstagsmarkt passiert hat, sind zweifellos die Borromäischen Inseln, ein Archipel in der Mitte des Sees, das vor Stresa und Pallanza liegt. Ich habe die Wahl zwischen der Isola Bella (benannt nach Isabella Borromeo) mit ihrem monumentalen Barockpalast und der majestätischen Kulisse der Gärten, die die Insel berühmt gemacht haben. Die Borromäische Residenz beherbergt Kunstwerke von unschätzbarem Wert: Wandteppiche, Möbel und Gemälde. Die Gärten, die reich an seltenen Pflanzen und Blumen sind, sind in kunstvollen, sich überschneidenden Terrassen angelegt. Sie sind ein klassisches, unnachahmliches Beispiel für den «italienischen Garten» der damaligen Zeit. Wenn die Borromäus-Flagge gehisst ist, haben Sie die Chance, unterwegs ein Mitglied der berühmten italienischen Familie zu treffen. Ich könnte auf der Fischerinsel Halt machen, die als einzige das ganze Jahr über bewohnt ist, oder auf der Isola Madre, die weltweit für ihre exquisiten botanischen Sammlungen bekannt ist. Sie ist die grösste der Verbano-Inseln und taucht mit einem Profil aus dem Wasser auf, das von der üppigen Vegetation, die den grössten Teil der Oberfläche bedeckt, und der quadratischen Masse des Palastes, der am südlichen Ufer und auf dem höchsten Punkt der Insel gebaut wurde, gezeichnet ist. Der berühmte Schriftsteller Gustave Flaubert sagte über diese Insel: «Mutterinsel.
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Es ist der üppigste Ort, den ich je auf der Welt gesehen habe.» Neben dem Park und der Villa gibt es auf der Insel ein nettes Restaurant, die «Piratera», in dem man Seespezialitäten geniessen kann. Ich empfehle die Vorspeise mit Fisch aus dem See und Risotto mit Toma-Käse aus dem Ossola-Tal. Das Restaurant kann Ihnen eine Boje zum Anlegen zur Verfügung stellen. Bevor man sich der Isola Madre nähert, sieht man, von Verbania kommend, entlang der Küste die kleine Insel San Giovanni, auf der der berühmte Dirigent Arturo Toscanini lebte.
Ich empfehle, die Route zwischen den beiden Borromäischen Inseln, Isola Bella und Isola dei Pescatori, zu nehmen und an der Küste entlangzufahren, die von der Stadt Stresa mit ihren historischen Hotels wie dem Grand Hotel des Iles geprägt ist. Unter den herrschaftlichen Residenzen möchte ich auch die Villa Pallavicino aus dem 19. Jahrhundert mit ihrem berühmten Park erwähnen, der in den 1950er-Jahren in einen zoologischen Park umgewandelt wurde und Erwachsene und Kinder gleichermassen begeistert. Auch die Steinbrüche von Stresa kann man vom Wasser aus beobachten. Für die Geschichte der Mailänder Wasserstrassen sind vor allem die Candoglia-Steinbrüche von Bedeutung, ein weiss-rosa-farbener Marmor, der für den Bau des Mailänder Doms verwendet wurde. Aber ich werde später auf dieses Thema zurückkommen.
Zuerst muss ich mich um diesen Teil des Sees kümmern, der besonders rau ist. In diesem grossen kreisrunden «Kessel» wehen die Winde stürmisch. Am anderen Ufer kann man von Weitem eine in den Felsen eingelassene Konstruktion erkennen. Es ist die Einsiedelei der Heiligen Katharina, ein Kloster, das auf einer steilen Klippe gebaut wurde. Der Legende nach geht der Bau der Einsiedelei der Heiligen Katharina auf das 12. Jahrhundert zurück, als ein gewisser Alberto Bezozzi, ein damaliger Kaufmann und Wucherer, bei der Überquerung des Sees einen Schiffbruch überlebte und der Heiligen Katharina von Alexandrien ein Gelübde ablegte, sich für den Rest seines Lebens zum Gebet und in die Einsamkeit in eine Höhle an diesem Küstenabschnitt zurückzuziehen. Mit einem privaten Boot ist es nicht möglich, den Ort zu besichtigen. Es bleibt nur, ein Bad im kühlen Nass zu nehmen.
Arona und Angera
Nach dieser Pause fahre ich weiter in Richtung des letzten Teils des Lago Maggiore. Kurz vor Arona können Sie (am besten mit einem Teleskop) den Koloss von San Carlo Borromeo im Wald sehen. Es handelt sich um eine hohe Statue in Arona, im Ortsteil San Carlo, auf dem Sacro Monte, die zwischen 1624 und 1698 nach einem Entwurf von Giovanni Battista Crespi errichtet wurde. Im Inneren der 35 Meter hohen Statue kann man über eine Reihe von Treppen bis zum Kopf des Heiligen hinaufsteigen und dabei die innere Struktur der Statue betrachten, die später für
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Die Anlegestelle auf der Isola Madre.
Der Palazzo Borromeo auf der Isola Bella.
Cannero-Riviera mit dem mediterranen Klima.
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Das Ufer bei der Einsiedelei der Heiligen Katharina.
den Bau der Freiheitsstatue in New York als Vorbild verwendet wurde. Dank der «Fenster», die den Augen, Nasenlöchern und Ohren entsprechen, können Sie einen Panoramablick geniessen.
In diesem Ort kann man neben der grossen Statue in erhöhter Position auch die Festung von Arona besichtigen, oder besser gesagt, das, was von ihr übrig geblieben ist. Sie wurde aufgrund ihrer strategischen Lage zu Verteidigungszwecken gebaut und war zusammen mit der Zwillingsfestung Angera einer der wichtigsten Kontrollpunkte am Lago Maggiore. Legen Sie an der öffentlichen Anlegestelle an und nehmen Sie sich etwa 15 Minuten Zeit für den Aufstieg. Die Rocca di Angera hingegen ist eine der wenigen vollständig erhaltenen mittelalterlichen Festungsanlagen in der Region. Die auf einem Kalksteinfelsen über dem Lago Maggiore gelegene Festung war seit dem Mittelalter sowohl in militärischer als auch in wirtschaftlicher Hinsicht von strategischer Bedeutung. Im Jahr 1384 wurde diese Festung von der Familie Visconti und später vom herzoglichen Schatzmeister Vitaliano Borromeo erworben. Heute ist die Rocca noch immer im Besitz der Familie Borromeo.
Sesto Calende: Tor zur Biosphäre
Die erste Etappe meiner Reise auf dem Wasserweg endet in Sesto Calende, einer lebendigen Stadt am Ticino mit einem gemütlichen alten Stadtkern. Das Wasser hat sich von seinen Quellen in der Region des Nufenen- und Gotthardpasses rund 170 Kilometer fortbewegt. Nach einer wohlverdienten Pause setze ich meine Reise in der Biosphäre des Tessiner Parks fort, einem Gebiet, in dem das Wasser einer der Hauptdarsteller ist. Die 2018 anerkannte Biosphäre befindet sich entlang des Flusses am Schnittpunkt der Regionen Piemont und Lombardei und stellt einen wichtigen ökologischen Korridor innerhalb der urbanisierten und industrialisierten Poebene zwischen den Alpen und dem Apennin dar. Er ist einer der grössten Flussparks in Europa. Das Gebiet umfasst verschiedene Ökosysteme und ist durch traditionelle ländliche Landschaften mit Weiden, Maisfeldern und Marcite, d. h. Wiesen, die auch im Winter mit Quellwasser bewässert werden, geprägt. In dem Gebiet, das eine reiche Vielfalt an Tieren und Pflanzen aufweist, leben mehr als 600000 Menschen, die hauptsächlich in der Landwirtschaft tätig sind. Im Gebiet des Lago Maggiore hingegen ist der Tourismus die wichtigste Aktivität. Das Reservat beherbergt auch zahlreiche archäologische und historische Stätten.
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von Sesto Calende über Milano bis Pavia
ETAPPE 2
Borgosesia
Buronzo
Trino