Kurzvorschau – Wohlensee

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Impressum

Alle Angaben in diesem Buch wurden vom Autor nach bestem Wissen und Gewissen erstellt und von ihm und vom Verlag mit Sorgfalt geprüft. Inhaltliche Fehler sind dennoch nicht auszuschliessen. Daher erfolgen alle Angaben ohne Gewähr. Weder Autor noch Verlag übernehmen Verantwortung für etwaige Unstimmigkeiten.

A l le Rechte vorbehalten, einschliesslich derjenigen des auszugsweisen Abdrucks und der elektronischen Wiedergabe.

In Zusammenarbeit mit BKW.

© 2020 Weber Verlag AG, 3645 Thun/Gwatt

2., total überarbeitete Auflage 2023

Texte: Ha ns Markus Tschirren

Fotos: Alexandra Hertig und andere, siehe Bildnachweis S. 360.

Weber Verlag AG

Umschlag- / In haltgestaltung und Satz: Milena Portenier

Bildbearbeitung: Adrian Aellig

Lektorat: Laura Scheidegger

Korrektorat: Julia Sommer

ISBN 978-3-03818-507-9

Der Weber Verlag wird vom Bundesamt für Kultur mit ei nem Strukturbeitrag für die Jahre 2021–2024 unterstützt.

www.weberverlag.ch

neutral Drucksache

Der Wohlensee in Zahlen

12 k m Länge

650 65 0 m g rösste Breite

3,2 km� Fläche (ursprünglich 3,65 k m�)

15 500 000 m� Volumen (ursprünglich 25 M io. m�)

18 m Tiefe (ursprünglich 20 m)

29,3 k m Uferlänge

2969 km� Ei nzugsgebiet

480,94 m ü. M. Stauhöhe 0,1 m Schwankungsbereich

5 Übergänge (Halenbrücke, Stegmattsteg, Kappelenbrücke, Wohleibrücke, Wehrbrücke)

291 m�/s Nutzwassermenge (maximal)

5 angrenzende Gemeinden (Wohlen, Bern, Frauenkappelen, Mühleberg, Kirchlindach)

35 Stunden Dauer der Wassererneuerung (im Mittel)

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Das Wasserkraftwerk Mühleberg in Zahlen 24 m hohe Staumauer 250 2 50 m lange Staumauer 6 + 1 Turbinen 45 M W Leistung 2097
der Konzession
Ende

47 Sommer

97 H erbst

7 Geleitwort 9 Vorwort 10 Einleitung
rühling 17 Amphibien 23 Eisvogel 28 Menschen am See: Der Lebenskünstler 32 Paul Nizons Wohlensee 35 Mauersegler 40 Menschen am See: Die Kämpferin 44 Der Uferweg
13 F
51 Libellen 57 Orchideen 62 Menschen am See: Der Seepolizist 65 Das Bootshaus der Seepolizei 71 Fische 76 Welse? 78 Menschen am See: Der Fischer 82 Endstation 85 Der Fischlift 90 Weihnachtsbäume für Fische 92 Menschen am See: Der Flossfahrer 94 Seekuh
101 Wald 107 Neophyten und invasive Pflanzen 112 Menschen am See: Die Freiwilligen 117 Biber 124 Gold 129 Schwäne 136 Schwans 137 Schwarze Schwäne 138 Menschen am See: Der Wildhüter 141 «… und dann schwamm da eine Wildsau!» 143 Die Maria vom Heugraben 144 Menschen am See: Der Vogelschützer
153 Wo sind die Tiere im Winter? 161 Überwinternde Wasservögel Inhalt 4
149 Winter

169 Damals

171 Wie alles begann

192 Das Fast-Unglück

194 Die versetzte Käserei

196 Menschen am See: Der Erbauer

201 Brücken

245 Heute

247 Das Wasserkraftwerk heute

252 Menschen am See: Der Werkmeister

255 Heizen mit Seewasser

258 Der Stollen

261 Bogen 17

268 Menschen am See: Die Clique

273 Rudern

311 und morgen?

313 Interview mit Andreas Stettler: Und die nächsten hundert Jahre?

317 Orte am See

217 Neues Land

227 Der Schutzverband

233 Seegfrörni

239 Hochwasser

282 Menschen am See: Der Ruderer

287 Fussball

293 Stand Up Paddling

298 Wo beginnt der Wohlensee?

301 Camping Eymatt

306 Menschen am See: Der Kapitän

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319 Dettigen 321 Hasli 323 Hinterkappelen 325 Ziegelei 327 Gäbelbachmündung 329 Wohlei 331 Hofenmühle 333 Frauenkappelen 335 Aebischen 337 Schüür-Fähre 339 Leubachbucht 341 Eiau 343 Buttenried 345 Flüegraberain 349 Die Ufergemeinden 357 Danke 360 Bildnachweis

Geleitwort

Leben bedeutet Veränderung. Der Umgang mit Veränderung fällt uns allen schwer. Denn Veränderung macht uns oft zuerst einfach nur Angst. Wir haben Angst vor dem Neuen, Angst vor dem Verlust des Vertrauten und Angst vor dem Ungewissen.

Als vor 100 Jahren die Aare für das neu gebaute Wasserkraftwerk gestaut wurde und dadurch der Wohlensee entstand, stellte dies eine markante landschaftliche Veränderung dar. Insgesamt 20 Bauernhöfe und ihr gesamtes Ackerland verschwanden im Wasser. Es ist aus der heutigen Perspektive mehr als erstaunlich, dass diese m assive Umgestaltung der Umgebung nicht auf mehr Widerstand seitens der Anwohnerinnen und Anwohner gestossen ist. Insbesondere auch, weil das Wohnen am Wasser damals noch nicht als Privileg galt. Bis in die 1960er-Jahre hinein war das Aare-Wasser nämlich alles andere als sauber und stank regelrecht zum Himmel! Besonders schlimm w ar der Gestank dort, wo die Aare nicht floss: also eben am neuen Wohlensee.

Heute leben wir in dieser Hinsicht in einer besseren Welt. Unsere Gewässer sind sauber, das Schwimmen in der Aare oder im Wohlensee ist unser liebstes Sommervergnügen. Und wir können uns gar nicht mehr vorstellen, wie das Leben mal war, bevor es den Wohlensee gab. Der See ist heute gleichzeitig Naherholungsgebiet für uns Menschen und Lebensort für viele Tiere. Wenn wir am See sind, beobachten wir die vielen Vögel oder fahren mit dem Boot hinaus zum Fischen. Wir rudern über das glatte Wasser und üben uns vielleicht auch mal mit dem Stand Up Paddle. Wir joggen und biken. Wir grillen und chillen.

Gut, das Leben am See mag auch mit Einschränkungen verbunden sein. Einst haben m ir Anwohnerinnen aus Hinterkappelen geklagt, Ausschlafen am Sonntag sei nicht möglich. Man werde geweckt – vom lauten Flügelschlag der Schwäne!

Ich schätze mich glücklich, in einer Stadt zu leben, die eine derart hohe Lebensqualität bietet. Wohin m an sich auch b ewegt, überall fi nden w ir O rte, a n denen w ir durchatmen können. Und überall fi nden w ir auch O rte, a n denen w ir auf a ndere G edanken kommen können – w ann i mmer w ir e s nötig h aben. E in w ichtiger K raftort i st der Wohlensee. Am Wohlensee sind wir Bernerinnen und Berner gleichzeitig entspannt und voller Energie. Am Wohlensee, da ist es uns wohl!

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Alec von Graffenried, Stadtpräsident Bern

Vorwort

«Toll – ein Buch über den Wohlensee!»

Die Idee s chien A nklang z u fi nden u nd jeder, der von meinen Plänen hörte, ermutigte mich, das Projekt an die Hand zu nehmen. Schon bald zeigte sich: Jeder meint dabei selbstverständlich «seinen» Wohlensee. Und der kann schon recht verschieden sein.

Für den einen besteht der Wohlensee primär aus 15 Millionen Kubikmeter Wasser, aus dem sich Energie für 45 000 Haushalte gewinnen lässt.

Für den Fischer ist der Wohlensee ein gigantisches Aquarium, in dem Hechte, Rotfedern und Egli nur darauf warten, endlich herausgeangelt zu werden.

Die Vogelfreunde sehen ein Brutgebiet von nationaler Bedeutung, in dem über 150 verschiedene Vogelarten z u b eobachten sind. Unter i hnen s o s eltene w ie der E isvogel, d ie Knäkente oder der Sumpfrohrsänger.

Ruderer schätzen den Wohlensee als windgeschütztes und landschaftlich reizvolles Ruderbecken, das zudem noch von ein paar Motorbootfahrern und Stand Up Paddlern bevölkert wird.

Wer’s eher romantisch mag, wird den Wohlensee mit einem lauen Sommerabend verbinden. Mit Gedanken an einen gemeinsamen Spaziergang und einen gemütlichen Schlummertrunk beim Bogen 17.

Für wen ist dieses Buch denn jetzt gedacht? Die A ntwort mag banal tönen: In diesem Buch s oll jeder «seinen» Wohlensee w iederfinden. V ielleicht w ird er d abei e ntdecken, dass der See noch ganz andere Facetten hat, als die bereits bekannten. Und dass es sich lohnt, auch den Wohlensee der anderen zu entdecken.

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Einleitung

Heute w äre d as Vorhaben u ndenkbar. E in E nergiekonzern beschliesst, keine zehn Kilometer von der Bundeshauptstadt entfernt ein Kraftwerk zu bauen und dabei fruchtbares Ackerland mit samt zwanzig Bauernhöfen unter Wasser zu setzen. Die politischen Gemeinden werden da nicht einmal gross befragt – Ansprechpartner sind die Bauern, denen man mit ein paar in die Erde geschlagenen Holzpflöcken z eigt, bis wohin d as Wasser auf ihrem Land reichen wird. Häuser, Felder und Wälder werden z war i m Wasser versinken, doch E motionen sind da keine gefragt. 1 m� = 1 Fr. heisst die Gleichung, Widerstand ist zwecklos.

1920 geschah genau dies. Am 23. August, nach rund dreijähriger B auzeit w urde der provisorische A bflussstollen verschlossen, die Aare gestaut. Das Wasser ergriff B esitz von den B auernhöfen l ängs des Ufers – sie lebten fortan nur noch in der Erinnerung.

Es i st erstaunlich u nd b erührend z ugleich, w ie d ie Menschen vor hundert Jahren ihr Schicksal hingenommen haben. Der Berner Dichter Rudolf von Tavel liess einen alten Schulmeister in seiner Novelle «Von grosser Arbeit» sagen:

«Der Bau des Kraftwerkes hat nicht nur die Landschaft verändert; auch in den Köpfen sieht es hierherum anders aus. W ir Alten staunen vor diesen Wundern der Technik; aber wir zerbrechen uns nicht den Kopf darob. Wir nehmen sie hin, wie gut oder schlecht Wetter, und denken: ‹Das kommt jetzt halt so.› Die Gescheiteren unter uns wissen noch einen

Nutzen daraus zu ziehen, die Törichten grämen sich, weil alles so über sie hinweg geht, ohne erst zu fragen, ob’s ihnen recht sei.

Das Erben ist eine schöne Sache, aber es macht gern faul, nicht nur an Händen und Füssen, sondern just im Gehirn am meisten.»

In den ersten Jahrzehnten war es kein Privileg, am Wohlensee zu wohnen. Der See sah zwar bereits damals schön aus – aber er stank! Die Abwässer der Stadt Bern flossen u ngeklärt gen Westen, u nd je mehr sich h inter der Kappelenbrücke die Fliessgeschwindigkeit verlangsamte, desto reichlicher lagerten sich die Fäkalien ab. Im Wohlensee baden: undenkbar!

Mit dem Bau der Abwasserreinigungsanlage Neubrück 1967 änderte sich das. Untiefen wurden ausgebaggert, Uferzonen aufgelandet, gar neue Inseln entstanden. Der See erholte sich zusehends. Nach und nach wurde der Wohlensee zum Geheimtipp für den Sonntagsspaziergang.

Heute ist die Region für die rund 150 000 Bewohner der Stadt Bern ein attraktives Naherholungsgebiet. Die Wanderung von der Länggasse aus durch den Bremgartenwald hinunter an den See ist zum Klassiker geworden. Wer den See rascher erreichen will, steigt am Bahnhof Bern in ein Postauto und erreicht die Kappelenbrücke, wo der Wohlensee beginnt, in rund einer Viertelstunde Fahrt.

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Spaziergänge stehen in der Beliebtheitsskala zweifellos zuoberst. Der durchgehende Uferweg von der Kappelen- zur Wohleibrücke wird zwar auch in den nächsten Jahren nicht realisiert werden. Aber selbst das k urze Stück über die Hofenstrasse bietet einen reizvollen Blick auf den See hinunter. Und kurz vor der Wohleibrücke führt der Weg wieder direkt dem Seeufer entlang. Hier b efindet sich d ie wohl b eliebteste Uferpartie, gewissermassen der Hot Spot für Seebesucher.

Ein durchgehender Weg f ührt von h ier aus dem S ee entlang bis hinunter zur Staumauer: oftmals direkt dem See entlang, dann wieder etwas erhöht, was immer wieder neue und attraktive Blicke auf den See ermöglicht.

Auf der Südseite, dem Gebiet der Gemeinde Frauenk appelen, gibt es keinen durchgehenden Uferweg. Zu steil, bewaldet und unzugänglich ist das Gelände. Aber Wanderer erreichen von der Kantonsstrasse aus mehrere re izvolle G eländekammern. Die E iau, d ie Jaggisbachau und der Weiler Aebischen bieten freien Zugang zum See. Und natürlich die Wohlei, auf der Südseite der Wohleibrücke.

Einheimische werden oft gefragt, z u welcher Jahreszeit der Wohlensee denn a m s chönsten s ei. E ine A ntwort i st schier unmöglich. Ob Frühling, Sommer, Herbst oder Winter - jede Jahreszeit hat ihren eigenen Reiz.

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frühling

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Frühling

Das Weiss der Schneereste, das Grau des Nebels und das Braun der abgestorbenen Seggen haben während Monaten die Uferzonen des Sees b estimmt. Doch mit den ersten Sonnenstrahlen weichen sie dem z arten Grün neuer P flanzen – d ie Natur erwacht aus ihrem Winterschlaf.

Amphibien

Der Frühling ist die Jahreszeit der Amphibien. Während Wochen warteten sie im Schlamm oder irgendwelchen Erdhöhlen: unsichtbar und nahezu leblos. Die Körperfunktionen waren auf ein absolutes Minimum reduziert.

Doch mit den ersten Sonnenstrahlen erwachen die Tümpel zu neuem Leben. Die Lurche, K röten u nd Frösche m achen sich auf z ur P aarung u nd z ur E iablage. Die E rdkröte ist da sehr strikt. Sie nimmt oft kilometerlange Wanderungen auf sich, um zu ihrem alten L aichplatz z urückzukehren. D er L aich, h äufig i n K lumpenform o der aufgereiht i n l angen S chnüren, b esteht nebst dem E i aus e iner Gallerthülle. Aus i hm e ntwickelt sich eine Larve, die noch durch Kiemen atmet. Die bekannteste Form ist wohl die Kaulquappe, die nach und nach Beine entwickelt und schliesslich zum lungenatmenden Frosch wird.

A ber Frösche sind bei Weitem nicht die einzigen Amphibien am Wohlensee. Da tummeln sich K reuz­ u nd E rdkröten, G elbbauchunken u nd Molche. A m Gäbelbach lebt der Feuersalamander, und der eine oder andere Naturliebhaber spricht längst vom «Salamandertal Gäbelbach».

Der Wohlensee mit seiner Unterwasservegetation, seinen Wasserlöchern, Tümpeln und Nebenbächen ist ein Paradies für Amphibien. Ein seltenes Paradies, leider. In der S chweiz fielen i n den letzten Jahren r und 90 % der Flussauen m it i hrem s eichten Flachwasser der Bautätigkeit zum Opfer. Die Leubachbucht gilt gar als Schutzgebiet von nationaler Bedeutung. Aber auch die Inselrainbucht, die Gäbelbachmündung oder die Uferzonen in Unterdettigen und im Hasli bieten den Amphibien Lebensräume.

W Ein Wasserfrosch kann bis zu 14 cm lang werden.

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Ihr Leben ist auch so schon schwer genug, denn sie gehören zum Beuteschema vieler Säugetiere, Reptilien und Vögel. Amphibien verfügen ausser einigen Hautgiften kaum über wirksame Verteidigungsmittel. Kein Wunder, sind sie meist am Abend aktiv, wenn die Sonne nicht mehr vom Himmel brennt und sie so vor dem Austrocknen geschützt sind. So gelten die Amphibien, die für ihr L eben sowohl Wasser als auch Land brauchen, z u den e mpfindlichsten B ewohnern des Ökosystems Wohlensee.

] Die Kreuzkröte kann nicht besonders gut hüpfen. Dafür sind ihre Hinterbeine zu kurz.

W Die Erdkröte ist eine der häufigsten Amphibienarten.

X Diese Kaulquappen befinden sich noch in einem frühen Entwicklungsstadium. In etwa zehn Wochen, wenn sich die Beine entwickelt haben, werden sie als junge Frösche das Wasser verlassen.

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Eisvogel

Von Bildern her kennen i hn a lle, aber gesehen h aben i hn wenige: D er E isvogel gehört z u den bedrohten Vogelarten und in der ganzen Schweiz gibt es kaum mehr als 200 Brutpaare. Das hängt damit zusammen, dass dieser Vogel recht spezielle Lebensr äume b enötigt u nd d iese i mmer s eltener geworden sind. E isvögel brauchen e in flaches, fischreiches G ewässer. Immerhin f risst jeder E isvogel i m T ag gegen 20 k leine Fische. Um sie zu schnappen, setzt er sich am liebsten auf einen Ast, der möglichst übers Wasser hängt und stürzt sich dann mit nach hinten gelegten Flügeln kopfüber ins Wasser. Der erbeutete Fisch wird gegen den Ast geschlagen, bis er nicht mehr zappelt und dann kopfvoran hinuntergeschluckt. Sind keine Fische vorhanden, gibt sich der Eisvogel auch mit Kaulquappen oder Wasserinsekten zufrieden.

Fischreiche Gewässer sind das eine – eine lehmige oder sandige Wand das andere. Hier h inein g räbt der E isvogel e ine bis z u 80 Zentimeter l ange, leicht a nsteigende Bruthöhle. Fehlt nur noch das Weibchen. Sollte eines in der Nähe sein, wirbt das Eisvogelmännchen tagelang um seine Gunst. Das sieht für uns eher wie eine wilde Verfolgungsjagd aus, ist aber durchaus freundlich gemeint. Das zeigt sich spätestens d ann, wenn der E isvogelherr s einer D ame m it e inem Bückling d as Brautgeschenk überreicht: nicht überraschend, einen Fisch! Dabei achtet er darauf, dass er den Fisch kopfvoran übergibt, wie einem Jungtier. Das gehört zum Zeremoniell!

Nach der Paarung legt das Weibchen zuhinterst in der Bruthöhle die kleinen, weissen Eier. Meistens sind e s sieben a n der Zahl. Und nun geht a lles re lativ s chnell. Nach d rei Wochen schlüpfen die Jungen, und sie entwickeln gleich ein Sozialverhalten, über d as w ir Menschen bloss staunen können. B ei der F ütterung b edienen d ie E ltern i mmer das vorderste Junge, das dann Platz macht und sich gleich wieder zuhinterst anstellt. S o werden a lle g leichmässig versorgt. E inen Monat s päter verlassen d ie

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Jungvögel erstmals ihre Bruthöhle und werden bald darauf von i hren E ltern aus dem Revier vertrieben. D a a lles s o s chnell geht, sind f ür e in E is vogelpärchen jedes Jahr zwei bis drei Bruten möglich.

Die verjagten Jungen hingegen haben es nicht leicht, ein neues Revier z u fi nden. E in Flussabschnitt von z wei bis drei Kilometern Länge oder ein paar Teiche sollten es schon sein, dazu die Sandsteinwand, um eine neue Bruthöhle zu bauen.

Dieser Revieranspruch ist auch der Grund, dass nament l ich d ie ä lteren E isvögel i m W inter i hr Revier n icht verlassen. Doch wenn die Gewässer zufrieren, können sie auch keine Fische mehr jagen u nd v iele E isvögel verhungern. Wenn sie ihr Revier verliessen, wäre es aber bei der Rückkehr vielleicht besetzt, und dieses Risiko wollen sie möglichst nicht eingehen.

Wenn sie e s dennoch t äten, könnten d ie E isvögel überall auf der Welt a rtverwandte t reffen. Weltweit g ibt e s r und 90 verschiedene E isvogelarten, meist i n t ropischen G efilden. D ort w äre s ein Name jedoch weniger passend. A llerdings i st auch b ei u nserem E isvogel u mstritten, ob sich sein Name wirklich aus dem Wort «Eis» ableitet. M an n immt v ielmehr a n, d ass er aus dem althochdeutschen «eisan» stammt, was soviel wie «schillern, glänzen» bedeutete.

Die schönste Erklärung f ür sein buntes G efieder l iefert a llerdings eine alte französische Sage: Noah soll seinerzeit den E isvogel von seiner A rche ausgesandt h aben, um nach Festland Ausschau zu halten. Wegen des schlechten Wetters musste er sogar höher fliegen als die Sonne. Darum nahm seine Unterseite die rötliche Farbe an, während die Oberseite vom Himmel gefärbt wurde.

W Mit 16 Zentimetern Länge ist der Eisvogel etwas grösser als ein Spatz.

X Das Männchen bringt als Brautgeschenk einen kleinen Fisch.

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Der Lebenskünstler

Walter Schärer, der Eisvogel mit dem blauen Boot

Jeder kennt i hn, den «Eisvogel» m it dem blauen B oot. A ber kaum einer weiss, wie er mit richtigem Namen heisst. D as G eheimnis s ei h iermit gelüftet: D er «Eisvogel» heisst Walter Schärer und wohnt in Hinterkappelen. Aber auch dies stimmt nur bedingt. Praktisch wohnt der «Eisvogel» auf dem S ee. T agtäglich f ährt er m it seinem Boot hinaus und geniesst die Freiheit in der Natur. Im Sommer tuckert er hinunter bis zum Brätliplatz u nweit des Stauwehrs. D ort t rifft er v ielleicht auf den einen oder anderen Kollegen. Da liegt ein Schwatz drin, manchmal «brätlet» man auch etwas. Aber wenn keiner dort i st, fi ndet e s der «Eisvogel» auch n icht schlimm. Dann liest er Zeitung, löst vielleicht das Kreuzworträtsel oder «pläuderlet» mit sich selber. Radio hat er keines dabei. So hat er seine Ruhe und weiss, dass er auch niemanden stört.

Im Sommer ist er bei Weitem nicht der einzige mit derartigen Plänen. A ber i m W inter f ällt der «Eisvogel» auf, wenn er mit seinem uralten Motorboot über den See tuckert. Immerhin ist dann klar, woher der Name «Eisvogel» kommt. «Den Namen h at m ir d ie S eepolizei verpasst. Wenn der See vom Ufer her langsam zugefroren ist, habe ich jeweils dafür gesorgt, dass das Polizeiboot von seinem Anlegeplatz aus eine eisfreie Rinne h atte. Mein B oot w ar a lso der E isbrecher auf dem Wohlensee!»

Helfen wo’s nötig ist: ohne Auftrag, ohne Anstellung und ohne Entschädigung. Das umschreibt die Tätigkeit des «Eisvogels» z iemlich genau. 23 Jahre l ang h at er a m Armadacup mitgeholfen, ist den BKW-Arbeitern bei der Uferpflege z ur Hand gegangen, h at störendes Schwemmholz entfernt. Heute hält er Brätlistellen sauber und fischt A bfall aus dem S ee o der dem S chilfgürtel. Meist sind es Petflaschen und Getränkedosen. «Am besten ist es natürlich, wenn sie noch voll sind», meint er lachend. Walter Schärer ist einer jener Zeitgenossen, von denen man sagt, dass sie «d Büez gseh». Das hängt auch mit seinem angestammten Beruf zusammen. Der gelernte Zimmermann arbeitete zeit lebens auf Montage. Er montierte Holztäfer, i solierte W ände u nd verlegte Bodenplatten, und zwar buchstäblich überall im L and. Das ä nderte sich erst, a ls er p ensioniert w urde. Er k aufte sich ein Boot und zwei Hunde und lebte fortan auf dem C ampingplatz Eymatt. Das L eben dort h ätte eine Übergangslösung sein können. Doch es wurden 22 Jahre daraus. Dann starben d ie Hunde, u nd der E isvogel zog in eine Wohnung im Kappelenring. Aber der See ist sein L ebensmittelpunkt geblieben. Und d ie Erinnerung a n seine beiden Hunde. Was sie ihm bedeutet haben, spürt man, wenn er ein altes zerknittertes Foto aus seiner Tasche klaubt. «Das sind sie», sagt er, «Jogi und Pady. Wir hatten es gut zusammen.» In diesem Moment spürt man: Sie fehlen ihm.

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Menschen am See

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