Juni 2022 Schweiz CHF 14.– Deutschland € 14.–
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Chandra Kurt’s
WEINSELLER JOURNAL WEINSELLER 2022
Die besten Roséweine – Happy Pink DER REPORT
Familie Delea – die Tessiner Interpretation des Merlots
CHEF’S TABLE
DAS WEINBUCH
Chinas Wein-Renaissance
Mit Nina Ruge auf Villa Santo Stefano
Die Walliser mögen es mir verzeihen, aber das Tessin ist der Sonnenkanton der Schweiz – auch im übertragenen Sinn. Denn kaum lässt man von Norden kommend das Gotthardmassiv hinter sich, befällt einen eine unkontrollierte Leichtigkeit und Lockerheit, die ich mir immer mit der Nähe zu Italien zu erklären versuche. Und beim Gedanken an Italien sind Begriffe wie «Sonne», «Meer», «Dolce far niente», «Spaghetti al pomodoro», «Firenze», «Kultur» und natürlich «Vino» an erster Stelle – vor allem für Reisende aus dem germanischen Norden.
Familie Delea – Tessiner Interpretation des Merlots
K
eine andere Region der Schweiz ist so bekannt für Merlot wie das Tessin. Hier wird daraus nicht nur köstlicher Rotwein vinifiziert, sondern auch Rosé, Weiss- und Schaumwein. Ganz zu schweigen vom Grappa di Merlot.
Doch bevor man die Grenze nach Italien überquert, geht die Reise durch das Tessin, das für den Schweizer Weinbau ein echtes Bijou ist. Dank dem sonnigen mediterranen Klima ist man schnell in Ferienstimmung und der Besuch einer der zahlreichen Weinkellereien unterstützt dies natürlich. Das Tessin ist eine der sechs offiziellen Weinbauregionen und auf rund 1000 Hektaren Reben wird primär die MerlotTraube kultiviert. Was hier in die Flasche kommt, offenbart auf erstaunliche Art und Weise, wie breit der aromatische und stilistische Fächer dieser Sorte sein kann, die die meisten von uns primär als Bordeaux-BlendRebe kennen. Eine Tatsache, die dem Tessin auch gerne einmal den Übernamen «das Bordeaux der Schweiz» verliehen hat, wobei dies, wie gesagt, nur ein Teil der Wahrheit ist.
Im Tessin werden weisse, pinke, hellrote bis dunkelrote, schäumende und auch hochprozentige Merlots vinifiziert beziehungsweise destilliert. Die einen reifen im Stahltank, andere in der Barrique oder im Beton und wieder andere im grossen Holzfass oder in der Terracotta-Amphore. Persönlich bin ich immer wieder fasziniert, wie unterschiedlich dieselbe Traube schmecken kann und wie sie sich den Bodentypen, Jahrgängen und Interpretationen der Winzer anpasst.
Angelo und seine zwei Söhne David und Cesare, die bereits aktiv im Betrieb mitwirken.
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WEINSELLER JOURNAL 27 | 2022
DER REPORT
Das Weingut Delea ist wohl noch jung, hat aber bei der Kreation seiner wichtigsten Weine immer Bordeaux als Vorbild gesehen.
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Die Dynamik, die Roséweine im Moment auslösen, ist nicht mehr zu stoppen und getragen von einer kreativen und multidimensionalen Energie. Jetzt, wo der Rosé de Provence wieder richtig salonfähig ist, tauchen immer mehr pinke Kreationen auf. Alle wollen sie dasselbe – den Gaumen beglücken – ohne zu kompliziert zu sein, was aber nicht bedeutet, dass ihrer Qualität Grenzen gesetzt sind.
WEIN SELLER 2022
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Volg
Spar
Manor
Lidl
Landi
Globus
Denner
Coop
Aldi
LE VERRE EN ROSE
WEINSELLER JOURNAL 27 | 2022
AUS DEM WEINSELLER 2022
Z
wei Weinsektoren beglücken Weingeniesser im Moment mit gleicher Intensität: die der Naturweine und die der Roséweine. Mit jedem Jahrgang nimmt die Fülle an Neukreationen zu und der Geniesser hat immer mehr die Qual der Wahl – wobei Qual wohl nicht ganz richtig ausgedrückt ist. Persönlich schätze ich diese Evolution ungemein, da in ihr eine positive, kreative Kraft steckt, wie sie die Weinwelt schon lange nicht mehr erlebt hat. In diesem Kapitel widmen wir uns den Roséweinen, und zwar im ersten, etwas längeren Teil der Selektion aus dem Weinseller 2022, also den Weinen aus dem Schweizer Detailhandel. Knapp 50 Weine aus der ganzen Welt, die einen guten Überblick über die populärsten und bekanntesten Marken geben. Die Schweiz ist ebenfalls vertreten, unter anderem mit Dôle Blanche und Œil de Perdrix, über den wir auf Seite 100 einen zusätzlichen Bericht publizieren. Verfasst hat ihn der Wildbiologe Peter Lüps, der den Œil-de-Perdrix-Etiketten etwas auf den Grund geht. Wie immer ergänzen wir das Weinseller-Kapitel mit Neuentdeckungen und besonders spannenden Weinen, die nicht im Weinseller-Buch vorkommen. So etwa dem neuen Rosé der Schweizer Brüder Gian und Florian Grundböck, deren Deux Frères Gin bereits in aller Munde
ist, oder Brad Pitts Champagne Fleur de Miraval, der ganz eigene Wege geht – aromatisch und wie man ihn serviert. A propos Brad Pitt – wir haben das Weingut Miraval in der Provence besucht und mit Mathieu Perrin (der Partner-Familie, die für den Star die Weine vinifiziert) ein Interview geführt (Seite 92). Aufgefallen ist uns bei diesen ganzen Recherchen, dass sich die Roséwelt der Provence stark mit der Champagnerwelt vergleicht. Sie ist für den Rosé, was die Champagne für den Schaumwein ist. Das Terroir, das den Ton angibt, Trends setzt und zum Träumen anregt. Beide Getränke werden an Bars gerne glasweise genossen und beide zelebrieren den etwas ungezwungenen «Feel Good»-Lifestyle. Kulinarisch kann man Rosé vielseitig einsetzen: zum Apéro, zu vegetarischen Gerichten, zu
Fisch, zu exotischen Häppchen, zu Tapas, zu Geflügel und gar zu Grilladen vom Fisch. Sehr populär auch «on the rocks» – man verzeihe mir dies, aber auch ich geniesse den Rosé zwischendurch gerne so, besonders wenn es draussen so richtig sommerlich ist. Ein Vorteil: das Glas wird viel schneller leergenossen.
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Happy Pink lautet das Motto der Zeit. Neue Weine erfreuen Gaumen und Auge.
Pink Evolution — 88
Jessica Julmy ist bei Château Galoupe für die Kreation des neuen Rosés verantwortlich und die Brüder Gian und Florian Grundböck haben ebenfalls einen neuen Rosé lanciert.
PINK EVOLUTION
WEINSELLER JOURNAL 27 | 2022
BORDEAUX ROSÉ 2021 MAISON ROSES DE LAFAURIE
Ernte in der Provence am frühen Morgen, wenn es noch kühl ist und die Trauben nicht zu warm werden.
CHAMPAGNE FLEUR DE MIRAVAL ER1 Der jüngste Wein von Miraval kommt nicht aus der Provence, sondern aus der Champagne. 20 000 Flaschen werden pro Jahr vinifiziert, wobei der ER1 neue Wege im Genuss von Champagner vormacht. ER steht für «exclusivement Rosé» und die 1 für den ersten Jahrgang. Genossen wird er dekantiert und aus Weissweingläsern, da es in diesem Champagner neben etwas jungem Pinot Noir eine beträchtliche Menge an gereiftem Chardonnay hat, die ihn sehr vinös in sich ruhend und weniger nervig unruhig wirken lässt. Noten von Champignons, Trüffel, Honig und Seeigel sind zentral. Er offenbart eine mächtige Aromatik, die jedoch mit dynamischer Frische den Hals hinunter fliesst. Im Grund wird dieser Rosé-Champagner wie ein grosser Weisswein genossen. Fleur de Miraval ist das einzige Champagnerhaus, das ausschliesslich Rosé-Champagner gewidmet ist. Die Idee zu diesem Champagner stammt von Brad Pitt und wird von den Familien Peters und Perrin in den Kellern in Mesnil sur Oger hergestellt. Hier ist die erste Ausgabe eines seltenen Weins aus einer gewagten Mischung aus grossartig gereiftem Chardonnay und jungem Pinot Noir. Ein aussergewöhnlicher Rosé-Champagner, der in nur 20 000 Flaschen produziert wird. Fr. 379.–
Der Schweizer Unternehmer und Genussaficionado Silvio Denz hat vor einigen Jahren das Château LafauriePeyraguey in Sauternes übernommen, komplett restauriert, ein Sternerestaurant und Luxushotel darin integriert und neben den bekannten Süssweinen auch trockene Weissweine lanciert. Neu ist jetzt auch ein Rosé dazugekommen, den das Denz-Team zusammen mit der Weinfamilie Dubourdieu kreiert hat. Der Blend aus Cabernet Sauvignon und Merlot duftet nach wilden Waldbeeren und ist von Frische und Leichtigkeit gezeichnet. Es ist ein pinker Vin de soif, der seiner fruchtigen Seele freien Lauf lässt. Easy und für die gute Stimmung. Auf 4500 Flaschen limitiert. Fr. 29.90 DENZWEINE.CH
GLOBUS.CH
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ŒIL DE PERDRIX AUS ORNITHOLOGISCHER SICHT
Perdrix blanche? Zwei Steinhühner; jenes links ist kein Fabeltier, sondern ein Steinhuhn aus Narraus (Kanton Graubünden) vom 21. Oktober 1902 (Sammlung Naturmuseum St. Gallen). Aufnahme Sebastian Köpcke und Volker Weinhold.
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ŒIL DE PERDRIX AUS ORNITHOLOGISCHER SICHT
Text ________ Peter Lüps
Œ
de Perdrix und Perdrix blanche für den Weinkenner definierte Blauburgunder, für Ornithologen ein Verwirrspiel. Diese fächerverbindende Betrachtung fusst auf einem im Dezember 2021 erschienenen Beitrag des Autors in der Zeitschrift «Ornithologischer Beobachter». Er wurde für die Leserschaft des Weinseller Journals adaptiert. Die Weinseller-Redaktion und der Autor danken der dortigen Redaktion für die Erlaubnis der Übernahme.
Wer von Œil de Perdrix spricht, denkt in der Regel an einen aus Pinot-Noir-Trauben gekelterten Rosé. Diese Bezeichnung ist definiert und geschützt. Der Name dieses Weines setzt sich aus zwei Substantiven zusammen. Die beiden französischsprachigen Wörter Œil und Perdrix bezeichnen ein Auge, beziehungsweise ein Huhn. In der Schweiz trifft das Wort Perdrix auf drei wildlebende, bzw. früher zur schweizerischen Vogelwelt gehörende Arten zu: das Rebhuhn, französisch Perdrix grise, das Rothuhn, Perdrix rouge, und das Steinhuhn Perdrix bartavelle. Viele Etiketten solcher Weine bringen den Ornithologen dann in Bedrängnis, wenn es darum geht, den Bezug zwischen dem Rosé Œil de Perdrix und der Vogelwelt herzustellen.
Da stolpert er über erworbenes Wissen, das sich mit den Abbildungen auf den Etiketten nicht in Einklang bringen lässt. Weshalb das so ist, soll nachfolgend dargelegt werden. Dieser Beitrag in einer dem Wein gewidmeten Zeitschrift richtet sich damit logischerweise an die an der Vogelwelt interessierten Weinkundigen unter den Lesern, schliesst aber die einen Rosé oder Blanc de Noir liebenden Ornithologen nicht aus. Vor mehr als 150 Jahren hat der Winzer Louis Bovet aus Areuse NE die Idee einer seit Jahrhunderten im Burgund praktizierten Methode der Vinifizierung aufgenommen: er kelterte aus blauen PinotNoir-Trauben rosafarbenen Wein. Die Flaschen dieses Süssdrucks (préssé doux) hat er mit einer Etikette versehen, die den Ausdruck Œil de Perdrix trug. Der innovative Neuenburger Winzer aus dem Weiler südlich von Colombier war erfolgreich. Fatalerweise hat er es aber versäumt, diesen Namen urheberrechtlich zu schützen. So ist denn das «Huhn über die Alpen geflogen». Die Walliser Winzer begannen nun ebenfalls, eingemaischte BlauburgunderTrauben (Pinot Noir) nach wenigen Stunden zu pressen und den abgezogenen Traubenmost zu Rosé vergären zu lassen. Sie haben sich damit quasi mit fremden Federn geschmückt. Seit 1963 ist der Name Œil de Perdrix gesamtschweizerisch geschützt:
«Rosé-Wein mit kontrollierter Ursprungsbezeichnung, hergestellt aus Trauben der Sorte Blauburgunder. Er darf bis zu 10% Grau- oder Weissburgunder enthalten» (Weinverordnung). Alle anderen Rosés, die dieser Definition nicht entsprechen, müssen den Weg zum Kunden unter einem anderen Namen finden, z. B. Rosé du Valais oder Dôle Blanche. Weniger als die Hälfte der in der Schweiz gekelterten Rosés, und damit wohl auch der Œil de Perdrix, stammt heute von den Gestaden des Neuenburgersees. Hauptproduktionsgebiet ist das Wallis, wo der Œil de Perdrix nach dem Zweiten Weltkrieg stark an Fahrt aufgenommen hat. Auch in anderen Kantonen werden heute Œil de Perdrix gekeltert. Zweitgrösster Produzent ist der Kanton Waadt. 2021 lagerten in der Schweiz 122 445 hl Rosé (Weinjahr). Wie viel davon als Œil de Perdrix deklariert ist, steht in der Wein-Statistik leider nicht. Soweit die Definition des Weines namens Œil de Perdrix. Weniger eindeutig präsentiert sich die Situation bei den auf vielen Etiketten abgebildeten Vögeln. Zumindest die Ornithologen wundern sich.
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Paul Flora, Lustige Witwe, 1972 © Nachlassvertretung für Paul Flora, Salzburg & Diogenes Verlag AG, Zürich.
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ie Flora-Weine zählen zu den besten Weinen der Südtiroler Genossenschaftskellerei Girlan. Die Geschichte der Kellerei geht auf das Jahr 1923 zurück, als sie in einem historischen Bauernhof aus dem 16. Jahrhundert gegründet worden ist. Damals legten 23 Weinbauern den Grundstein für den Betrieb, der inzwischen das Traubengut von rund 200 Winzerfamilien bewirtschaftet, was rund 220 Hektaren Reben entspricht. Der verantwortliche Kellermeister Gerhard Kofler vinifiziert daraus gut 30 verschiedene Weine, die je nach Qualität einer der unterschiedlichen Qualitätsstufen «Classici», «Vigneti», «Flora» oder «Solisti» entsprechen.
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Paul Flora wurde vor 100 Jahren im Südtirol geboren. Das Karikaturmuseum Krems widmet ihm die grosse Ausstellung «100 Jahre Paul Flora. Von bitterbös bis augenzwinkernd», die bis nächstes Jahr dauert.
WEINSELLER JOURNAL 27 | 2022
DIE MARKENSTORY
SERIE «FLORA» Der österreichische Zeichner, Karikaturist und Grafiker Paul Flora wurde vor 100 Jahren im Südtirol geboren. Ein Jahr jünger ist die Geschichte der Kellerei Girlan, die eigens eine FloraWeinlinie abfüllt und auch auf anderen Etiketten das Schaffen des bekannten Künstlers ehrt.
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