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JOURNALISTEN
RÜCKBLICK Q4
2021
WIE MAN SICH NICHT VERHABERT
U-Ausschüsse, Thomas Schmid, Energiethemen, Öbag-Beteiligungen und die Ablöse von Bernd Spalt an der Spitze der Erste Group Bank AG brachten 2022 genug Stoff für Geschichten. Doch die besten Finanzjournalisten des goldenen Rankings beschäftigte zuletzt vor allem eine Frage: Wie nahe ist zu nahe?
TEXT INGRID KRAWARIK
Die Journalistenbranche kämpft nun bereits schon das zweite Jahr in Folge um Glaubwürdigkeit. Es geht um zu wenig Distanz und um fragwürdige Nähe zu einflussreichen politischen und wirtschaftlichen Akteuren und dem damit verbundenen Eindruck der gekauften Berichterstattung, fehlender Unabhängigkeit und Freunderlwirtschaft, auch Verhaberung genannt. Die Chataffäre um Ex-Öbag-Chef Thomas Schmid hatte nun vor kurzem die Rücktritte von Rainer Nowak, Chefredakteur der Tageszeitung „Die Presse“, sowie von ORF-TV-News-Chefredakteur Matthias Schrom zur Folge. „Journalisten müssen mit Politikern und deren Mitarbeitern kooperieren und sie jederzeit gut erreichen, aber ein guter Draht darf nicht in Verhaberung münden. Es ist immer eine kritische Distanz zu wahren, man bekommt auch gute Infos, wenn man nicht verhabert ist“, sagt etwa die langjährige Wirtschafts- und Finanzjournalistin Andrea Hodoschek (Platz 3 / 64,44 Punkte), die immer wieder mit exklusiven Geschichten beim „Kurier“ aufwartet – heuer haben sie vor allem Thomas Schmid und die Öbag-Beteiligungen OMV AG, Casinos Austria AG und Telekom Austria AG gefordert. Schon das Duzen findet Hodoschek „grundsätzlich zu anbiedernd und zu eng, weil zu viel Nähe entsteht“. Auch Claudia Haase (Platz 9 / 51,90 Punkte) von der „Kleinen Zeitung“ ist als gebürtige Deutsche immer wieder irritiert, wenn Journalisten die gebührende Distanz zu politischen Akteuren vermissen lassen. „Es darf nie einen Zweifel geben, dass ich in meiner eigenen Meinungsfindung völlig unabhängig bin und mich niemandem auch nur ansatzweise verpflichte“, bekräftigt Haase. Sie findet es super, „dass Verbund und OMV an der Börse sind und der politische Einfluss deshalb klare Grenzen hat“. Angelika Kramer (Platz 5 / 55,50 Punkte), Finanzjournalistin beim Magazin „Trend“, denkt nicht, dass das Du-Wort mit Managern automatisch bessere Infos springen lässt. „Meine Erfahrung ist, je jünger die Journalisten, desto weniger Verhaberung gibt es mit den Entscheidungsträgern. Ich habe den Akt zur Chataffäre auch gelesen und war überrascht, wie viele bekannte Namen dort auftauchen, von denen man bislang noch nichts wusste“, sagt Kramer. „Profil“-Redakteur Michael Nikbakhsh (Platz 2 / 68,57 Punkte) fühlt sich verpflichtet, den Mächtigen auf die Finger zu schauen, und punktet ebenso wie Ranking-Siegerin Renate Graber (Platz 1 / 74,29 Punkte) mit Geduld, Akribie, Hartnäckigkeit und gut recherchierten Geschichten. „Zu nahe ist, wenn man nicht mehr unbeeinflusst und unbefangen berichten kann“, betont Renate Graber, ein gepflegtes Sie sei einem Du immer vorzuziehen. Die Finanzjournalistin bei der Tageszeitung „Der Standard“ hat 2022 der Untersuchungsausschuss sehr beschäftigt. „Ich mache dort die LiveBerichterstattung. Für wichtig halte ich das unter anderem deswegen, damit niemand sagen kann, er oder sie hätte nicht gewusst, was in dieser Republik und im Parlament vor sich geht.“ n