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Die Kunst der Fuge
Das Leben als Kunst in Bachs »Schwanengesang«
VON ISABEL NEUDECKER
Seit Daniil Trifonov im Jahr 2011 nach mehreren internationalen Wettbewerbserfolgen die internationalen Bühnen betreten hat, gilt er als Garant für originelle, glasklare Interpretationen, mit denen er sich unprätentiös in die Riege der Größten einreiht. Die Kompositionen, die er sich für seine Klavierabende vornimmt, sind unterschiedlichster Provenienz: So hinterließ er bei seinem Einstand im Wiener Konzerthaus 2014 mit Clara Schumanns »Souvenir de Vienne« staunende Gesichter, als er zeigte, wie eng nachschaffende improvisatorische und schaffende kompositorische Kunst beieinander liegen können. Und genauso treffsicher, wie er in der kurzen romantischen Pièce den hohen improvisatorischen Gehalt herausschält, widmet er sich Rachmaninoffs Klavierkonzerten oder anderen Meisterwerken.
Mit der Aussage »Where do they come from, the great supertalents? Some say they come from nature, some say they come from the Gods« beginnt eine Dokumentation über Trifonov und stellt so die Frage nach dem Unbegreiflichen. Trifonov ist – wie Grigory Sokolov – eine Ausnahmeerscheinung in der pianistischen Zunft. Gelernt hat der 1991 in Nischni Nowgorod geborene Trifonov bei Tatjana Selikman und Sergej Babayan, mit dem er heute des Öfteren ein Duo bildet. Sein Interesse gilt nicht nur dem Klavier, sondern auch der Komposition. Wie weit sein Horizont reicht, zeigt insbesondere sein jüngstes Projekt, die »Kunst der Fuge«.
Mit den beiden Bänden des »Wohltemperierten Klaviers« und den »Goldberg-Variationen« bildet die »Kunst der Fuge« ein barockes Dreigestirn der Tastenkunst, wobei die »Kunst der Fuge« mit Sicherheit die rätselhafteste der drei Bach’schen Großtaten ist. Zu einem Großteil in Bachs letzten Lebensjahren entstanden, stellt sie die Musikwissenschaft vor essentielle Fragen: Wie hatte sich Bach die innere Abfolge dieser Sammlung erdacht? Für welches Instrument war der »Schwanengesang« komponiert? Und hatte Bach überhaupt an eine Gesamtaufführung gedacht? Letzteres scheint besonders schwer zu beantworten, denn Bach hatte ja nicht einmal die letzte Hand an sein Werk legen können.
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»Die Kunst der Fuge«
Titelblatt der Erstausgabe von 1751
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Die letzte Seite des Autograph mit der unvollendeten Fuge, nebst einer Anmerkung Carl Philipp Emanuel Bachs
Reise in die Terra incognita: Bachs Spätwerk
Die Idee zu diesem Werk musste schon vor den 1750er-Jahren aufgekeimt sein, einige handschriftliche Überlieferungen datieren in das Jahr 1742 zurück. 1746 war das Autograph verfertigt, sodass sich Bach 1748 an die Stichvorlagen machte, die er allerdings aufgrund seines Augenleidens nicht mehr selber beaufsichtigen konnte; seine Familie hatte das Projekt weitergeführt, es wurde posthum als Torso in Druck geschickt: Die Schlussfuge war unvollständig geblieben, dem Druck wurde noch eine Choralbearbeitung beigegeben. Und schon war der Musikwissenschaft die erste große Aufgabe gestellt: Autograph und Erstdruck unterschieden sich markant voneinander, sogar in der Anzahl der Stücke. Trifonov nähert sich dem Werk als geistesgeschichtliches Konvolut, sieht es als spirituellen »Schwanengesang«, der Bachs Sicht auf das Leben bloßlegt: »In Bachs Zeit, also vor der Aufklärung, begriff man Komponieren nicht als Ausdruck individueller Phantasie, sondern eher als Zeichen für Hingabe, als Offenbarung«. Bachs Musik verbinde »logische Beschreibungen der Mechanismen der Natur mit einer Intensität des Gefühls, die zu seiner Zeit einzigartig war«. Das »wirksamste Mittel, die Natur zu beschreiben«, so der Pianist, »war die Polyphonie«. Dabei ist das Werk trotz seiner mathematisch-logischen Ambitionen in der Makro- und Mikrostruktur keineswegs abstrakt, sondern auch ein aktives Leben von Beziehungen unterschiedlichster Natur: »Die Musik hat eine solche emotionale Kraft und ist von so unbeschreiblicher Schönheit, dass man als Interpret unweigerlich jedes Stück als Antwort auf seinen jeweiligen Vorgänger sieht.« Und schön ist es, dass man in diesen Kosmos als Zuhörende:r miteintreten darf.
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Fr, 01/04/22, 19.30 Uhr · Großer Saal
Klavierabend Daniil Trifonov
Johannes Brahms: Chaconne von Johann Sebastian Bach d-moll für die linke Hand (Fünf Studien für Klavier Nr. 5)
Johann Sebastian Bach: Die Kunst der Fuge BWV 1080
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Karten: konzerthaus.at/konzert/eventid/59224