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Literatur: Arthur Schnitzler »Anatol«
Liebeleien, die Psychoanalyse und Hypnose-Experimente: Gerti Drassl und Michael Maertens lesen aus einem Frühwerk einer Leitfigur der Wiener Moderne
VON ISABELLA SCHWENTNER
Ich bin nicht Anatol. Ich hab wohl auch manches von ihm – gottlob auch manches andre, und von ihm gottlob […] nicht alles.
ARTHUR SCHNITZLER
Als im April 1891 im Rudolfsheimer Theater in Wien »Das Abenteuer seines Lebens« neben anderen Einaktern und Gesangseinlagen zur Vorstellung kam, fand damit die erste öffentliche Aufführung eines Werkes von Arthur Schnitzler statt. Sie war allerdings das Resultat eines Missverständnisses: Der Wiener Schauspiellehrer Leo Friedrich hatte fälschlicherweise Schnitzlers Vater Johann – als Kehlkopfspezialist in Theaterkreisen renommiert – als Urheber des Stückes angenommen und wollte eines seiner »reizenden Lustspiele« inszenieren. Der Erfolg der Aufführung war bescheiden: »Das Publicum bestand aus Schauspielern, Angehörigen, und Vorstadtgesindel. Die feinsten Sachen blieben natürlich wirkungslos; das blödeste gefiel«, notierte Arthur Schnitzler am Abend in sein Tagebuch.
Das um 1886/87 entstandene »Abenteuer seines Lebens« ist das erste »eigentliche« »Anatol«-Stück und stand am Beginn eines jahrelangen Arbeitsprozesses, dessen Ergebnis die heute bekannten sieben Einakter sind. Sie sind verbunden durch die Titelfigur des offenbar berufslosen und wohlhabenden Anatol, der – meist in Doppelconférence mit seinem Freund Max – verstrickt ist in diverse Liebesangelegenheiten mit wechselnden Frauenfiguren, deren Spektrum vom süßen Mädel aus der Vorstadt über die Zirkusreiterin bis zur großbürgerlichen Ehebrecherin und »bösen Mondainen« reicht.
Es ist nur scheinbar eine lose Aneinanderreihung einzelner Szenen, die das vielzitierte Lebensgefühl des »impressionistischen Menschen« des Fin de siècle transportieren. Tatsächlich wählte Schnitzler jene sieben Einakter aus zahlreichen »Anatol«-bezogenen Texten aus und arbeitete sie zu einem Zyklus um, der 1892 mit einer Einleitung von Hugo von Hofmannsthal als Buchausgabe erschien. Das »Abenteuer seines Lebens« nahm Schnitzler nicht auf; andere Ideen, wie ein Libretto für eine »Anatol«-Operette, für die Oscar Straus die Musik komponieren sollte, wurden nie verwirklicht.
Schon zuvor, ab 1889, veröffentlichte Schnitzler Liebesgedichte unter dem Pseudonym »Anatol«, was zu weiteren Verwechslungen führte: nämlich zu jener zwischen Autor und Figur. Zeitlebens sah Schnitzler sich gezwungen, sich zu distanzieren: »Ich bin nicht Anatol. Ich hab wohl auch manches von ihm – gottlob auch manches andre, und von ihm gottlob […] nicht alles«, schrieb er 1894 an seine junge Verehrerin Else Singer.
Überhaupt empfand sich Schnitzler als Autor des »Anatol« oft missverstanden und als »falsch berühmt«, denn die Einakter, die ihm neben »Liebelei« zum Durchbruch als Dramatiker verhalfen, brachten ihm auch den Ruf eines Lustspieldichters ein. Im »Hochzeitsmorgen« ist der Einfluss französischer Unterhaltungskomödien noch spürbar, in andere Einakter fanden relevante zeitgenössische Strömungen Eingang wie etwa Schnitzlers Auseinandersetzung mit der Psychoanalyse und seine Hypnose-Experimente als junger Arzt in »Die Frage an das Schicksal«.
Mit seinen Stücken und Erzählungen, die mit scheinbarer Leichtigkeit und ästhetischer Präzision gesellschaftlich nach wie vor relevante Themen behandeln, sollte Schnitzler in den folgenden Jahren neben Autoren wie Hugo von Hofmannsthal oder Richard Beer-Hofmann zu einer Leitfigur der Wiener Moderne werden.
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Sa, 02/12/23, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Arthur Schnitzler: Anatol
Gerti Drassl, Lesung
Michael Maertens, Lesung
Daniel Keberle, Lesung
klezmer reloaded
Maciej Golebiowski, Klarinetten
Alexander Shevchenko, Bajan
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60700
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