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Im Fokus: Ibrahim Maalouf

Die kleine Philosophie der Bejahung

VON WALTER DOMBROWSKI

Bach geht auch, sogar hervorragend. Aber Barock ist eher ein Thema seines Vaters. Nassim Maalouf hatte bis 1970 in Paris bei Maurice André studiert und sich im Anschluss daran als klassischer Trompeter in seiner libanesischen Heimat bewährt. Allerdings empfand er das Tonspektrum seines Instruments als unbefriedigend. Skalen in Dur und Moll ließen keine Zwischentöne zu, die aber für traditionelle und klassische arabische Musik grundlegend sind. Nassim Maalouf wandte sich an einen erfahrenen Instrumentenbauer der Firma Selmer und entwickelte mit ihm zusammen über zwei Jahre hinweg eine Trompete mit viertem Ventil – übrigens zeitgleich mit, aber unabhängig von seinem Jazzkollegen Don Ellis, der eher freie Improvisation im Sinn hatte – und setzte sie von da an nicht nur als Musiker ein, sondern präsentierte sie auch als Lehrer am Konservatorium von Beirut.

Einer seiner erfolgreichsten Schüler wurde sein Sohn Ibrahim Maalouf. Geboren 1980 in Beirut musste der Junge mit seiner Familie vor dem Bürgerkrieg fliehen und wuchs in Paris auf. Musik war rund um die Uhr präsent. Vom siebten Lebensjahr an lernte Ibrahim Trompete, mit neun spielte er Barockmusik vor Publikum, mit 15 Jahren waren Instrumentalkonzerte von Bach bis Vivaldi für ihn ebenso selbstverständlich wie der Schulunterricht auf dem Gymnasium. Nach einem ersten Studium an einem Regionalkonservatorium setzte er seine Ausbildung am Konservatorium in Paris fort, unter anderem bei Antoine Curé, und sammelte von da an mehr als ein Dutzend Auszeichnungen. Damit hätte er seine klassische Karriere mit Bravour starten können. Doch Ibrahim Maalouf hatte andere Pläne.

Denn so sehr ihn klassische Musik begeisterte, so wichtig waren ihm auch die vielen anderen Soundwelten seiner Gegenwart. Die Trompete seines Vaters übernahm er. Denn sie öffnete Türen zu Klangräumen, die er erforschen wollte. »Mit meiner Trompete habe ich eine besondere Freiheit«, meint Ibrahim Maalouf mit Blick auf seine ungewöhnliche Wahl. »Sie ermöglicht mir, arabische Skalen und Vierteltöne zu spielen. Das ist enorm wichtig, denn die arabische Musik ist quasi meine Muttersprache, die erste Musik, die ich als Kind gelernt habe. Mit dieser speziellen Trompete schaffe ich es, eigentlich alles zu spielen, was mir wichtig ist. Und ohne sie hätte ich ein echtes Problem. Meine Ausbildung war ja außerdem klassisch. Das sind zwei wichtige Einflüsse, die mich geprägt haben. Am Ende gibt es jedoch noch andere Elemente, viel Rap und Hiphop, Jazz, Blues, Hardrock, Country, Arabisches und Afrikanisches, Gnawa. Ich bin ganz allgemein begeistert von Musik, und von den meisten Sachen bleibt etwas bei mir in den Stücken hängen.«

Improvisation nötigt dich dazu, empathisch zu sein, zuzuhören und die Fehler anzunehmen, die du machst. Und damit auch die anderen wahrzunehmen.

Neugier verband sich mit Können und Mut. Ibrahim Maalouf tauchte in die Pariser Jazzszene ein, spielte Sessions und lernte über die Erfahrungen. Nachdem er mit dem Cellisten Vincent Ségal bekannt gemacht worden war, der als versierter Netzwerker viele Kolleg:innen sowohl in der klassischen Welt als auch in jazzenden, poppigen Kreisen kannte, machte die Karriere des Newcomers im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends einen großen Sprung. Man hörte ihn an der Seite von Lhasa und Arthur H, Amadou & Mariam oder auch Marcel Khalifé. Er stellte erste Bands unter seinem Namen vor, veröffentlichte schließlich 2009 sein Debüt »Diachronism« auf eigenem Label und erreichte von da an auch international die Musikwelt.

Neben zunehmend erfolgreichen Alben an der Stilgrenze von Jazz, Weltmusik, Rock und Pop wurde Filmmusik ein weiteres Standbein, außerdem verfasste Ibrahim Maalouf eine »Petite philosophie de l’improvisation« als Denkanstoß, mehr dem Flow des eigenen Musik-Erlebens zu vertrauen: »Wir vergessen manchmal, wie es ist, zu experimentieren und zu akzeptieren, dass nicht immer alles gelingt. Eigentlich müssen wir das wieder lernen und Improvisation in der Musik ist ein Weg dorthin. Sie nötigt dich dazu, empathisch zu sein, zuzuhören und die Fehler anzunehmen, die du machst. Und damit auch die anderen wahrzunehmen. Dazu gehört für mich die Vorstellung, dass alles zyklisch passiert. Alles war schon einmal da, auch jedes erste Mal wurde bereits auf eine Weise gedacht, ist nur eben inzwischen besser beschreibbar.«

Das führt weg vom genialischen Virtuosentum. Ibrahim Maalouf versteht sich als Vermittler zwischen den musikalischen Systemen. Er will verbinden und verknüpfen, eine petite Philosophie der Bejahung. Auf sein aktuelles Album »Capacity to Love« zum Beispiel hat er Rapper und Soulkünstler ebenso geladen wie den Jazzsänger Gregory Porter. Auf Tournee wiederum verlässt er sich auf langjährige Gefährten wie den belgischen Gitarristen François Delporte in der Band, mit dem er bereits 2020 das Duo-Album »40 Melodies« aufgenommen hat. Fundierte, kompetent ausgebildete Neugier als Motivation, ein ungewohnt vielseitiges Instrument als Werkzeug, ein verlässlich kraftvolles Team als Basis – mit diesen Voraussetzungen schließt Ibrahim Maalouf die Musik weit auf.

Ibrahim Maalouf
© Boby

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Do, 07/12/23, 19.30 Uhr · Großer Saal

Ibrahim Maalouf
& Band

»Trumpet of Michel-Ange«

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60714

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