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Vom Himmel hoch

Weihnachtslieder, Noëls, Christmas Carols – Singen gehört zur Weihnachtszeit, und das seit vielen Jahrhunderten und über alle Grenzen hinweg. Dabei haben die Lieder selbst oft lange Reisen und viele Verwandlungen hinter sich.

VON ALEXANDRA ZIANE

»Vom Himmel hoch, o Engel, kommt« ist nur eines unter den vielen heute bekannten Weihnachtsliedern. Text und Melodie stammen aus dem 17. Jahrhundert. »Eia, eia, susani, susani, susani« lautet der zweite Vers in allen Strophen, der offenbart, wie dieses Weihnachtslied ursprünglich eingesetzt wurde: als Wiegenlied. Das Wiegen des Christkindes gehörte zu den volkstümlichen Bräuchen der Weihnachtszeit. Für einen Weihnachtsgottesdienst in den Niederlanden im 16. Jahrhundert ist etwa belegt, dass ein Priester am Altar eine Wiege schaukelte. Auch die Familien führten kleine Wiegen mit Glöckchen mit, die die Kinder gleichzeitig mit dem Priester wiegten. Und so fand eine Art von Liedern, die vermutlich zu den ältesten überhaupt gehört, das Wiegenlied, Eingang in das Repertoire des Heiligen Abends.

Weihnachtslieder sind äußerst verschiedenartig und reichen von Kirchenhymnen und Lutherchorälen über Mariengesänge bis hin zu Kinderliedern und rustikalen Hirtenweisen. Großteils handelt es sich um ursprünglich weltliche Lieder, die man mit einem neuen Text versehen hatte, wie etwa im Falle von »O Tannenbaum«. Aus einer Volksweise des 16. Jahrhunderts, in der die Besonderheit der Tanne, ihre Nadeln nicht zu verlieren, bereits Thema war, wird im 19. Jahrhundert eine Liebesklage, in der die treue Tanne einem wankelmütigen Mädchen gegenübergestellt wird. Der Leipziger Lehrer Ernst Anschütz fügte 1824 drei weitere Strophen hinzu, die nur noch von der Tanne handeln, und schuf so ein Loblied auf den Baum, der nun bereits zum Brauchtum der Weihnachtszeit gehörte.

Melozzo da Forlì (1438–1494), Musizierender Engel, Fresko. Ursprünglich entstanden für die Apsis der Kirche Santi XII Apostoli in Rom. Fragmente des Freskos befinden sich heute in den Vatikanischen Museen. Außergewöhnlich für ein Bildwerk dieser Zeit ist die Darstellung der perspektivischen Verkürzungen.

Seinen Anfang nahm das Weihnachtslied im kirchlichen Raum. Heute gehört das Singen selbst bei unmusikalischen Familien meist fest zur Tradition des Weihnachtsfests. Dieser Brauch etablierte sich erst im späten 18. und vor allem im 19. Jahrhundert, in dem sich auch das Repertoire deutlich vergrößerte. In der Zeit des Bürgertums und des Rückzugs ins Private wurde das Weihnachtsfest im Wohnzimmer ausgiebig zelebriert. Nicht umsonst nimmt es in Thomas Manns 1901 veröffentlichtem Roman »Die Buddenbrocks« gemeinsam mit dem Singen von Liedern ebenfalls einen zentralen Platz ein: Im Landschaftszimmer stimmt die Familie ergriffen »Stille Nacht, heilige Nacht« an, beim »O Tannenbaum« bringt Onkel Christian die Kinder zum Lachen, »indem er beim Marschieren die Beine hob wie ein Hampelmann und albernerweise ›O Tantebaum‹ sang, zog man mit geblendeten Augen und ein Lächeln auf dem Gesicht durch die weitgeöffnete Flügeltür direkt in den Himmel hinein«.

Spezifische Lieder und Traditionen prägen die verschiedenen Länder und Regionen. In Frankreich etwa nennen sich die traditionellen Weihnachtslieder – wie das Fest selbst – »Noëls«. Dabei handelt es sich um strophische Gesänge auf populäre, in der Regel ursprünglich weltliche Melodien. Zehn davon hat Marc-Antoine Charpentier in seine Mitternachtsmesse für Weihnachten, die »Messe de Minuit pour Noël« eingebaut, etwa »Joseph est bien marié«, »Or nous dites, Marie« und »Une jeune pucelle« ins Kyrie oder »Tous les bourgeois de Châtres« ins Laudamus te des Gloria – sämtliche Titel sind akribisch in der originalen Handschrift angeführt. Dass viele davon einen stark tänzerischen Charakter aufweisen, verdeutlicht den weltlichen Ursprung. Dieser reicht oft weit zurück, viele der Noëls lassen sich bereits in der 1554 erschienenen Sammlung »Grande Bible des Noëls« nachweisen.

Es mag eine ziemliche Überraschung für die Pariser Hörerschaft gegen Ende des 17. Jahrhunderts gewesen sein, als sie in der weihnachtlichen Mitternachtsmesse Melodien bekannter Weihnachtslieder in der Messe erkennen konnte. Wie in der französischen Messtradition üblich, wechseln bei Charpentier vokale und rein instrumentale, häufig von der Orgel ausgeführte Abschnitte.

Handwerklich hat Charpentier vieles seinem Lehrer, dem für die Jesuiten tätigen Oratorienkomponisten Giacomo Carissimi in Rom abgeschaut. 1665 war er für drei Jahre in die Ewige Stadt gegangen, der Legende nach, um sich der Malerei zu widmen. Dass er vorwiegend geistliche Werke hinterließ, darunter das berühmte Te Deum, das heute Eurovisionssendungen einleitet, hängt mit seinen Anstellungen zusammen: In Paris lebte er im Palast der sehr religiösen Maria von Lothringen, genannt Mademoiselle de Guise; auf deren Vermittlung hin arbeitete er später als Kapellmeister der Jesuiten, zuerst an der Kirche des Collège Louis-le-Grand, dann an Saint-Louis, ehe er 1698 seine Stelle als Kapellmeister an der SainteChapelle antrat.

Charpentiers »Messe de Minuit pour Noël« sowie zwei Kantaten Johann Sebastian Bachs zur Advents- und Weihnachtszeit können Sie am 9. Dezember im Großen Saal hören. Nach der Beendigung seiner Zusammenarbeit mit dem Monteverdi Choir & Orchestra wird Sir John Eliot Gardiner das Konzert mit dem gleichen Programm und mit seinen neuen Ensembles The Constellation Choir & Orchestra gestalten. In diesen wirken einige der renommiertesten Musiker:innen und Sänger:innen Europas sowie besondere Gastsolist:innen mit.

Eines der besten Vokalensembles, das Huelgas Ensemble unter der Leitung von Paul Van Nevel, ist am 18. Dezember mit weihnachtlichen Liedern, Hymnen und Motetten aus sechs Jahrhunderten zu Gast. Das Programm führt zu den Ursprüngen weihnachtlichen Singens und beinhaltet anonyme gregorianische Gesänge ebenso wie komplexe polyphone Vertonungen aus der franko-flämischen Schule des 16. Jahrhunderts, etwa von Jan Pieterszoon Sweelinck oder Pierre de Manchicourt, aber auch Werke aus dem 19. und frühen 20. Jahrhundert. Wie gewohnt besticht das Ensemble durch ein fein austariertes Programm, in dem es auch selten zu Hörendes aufs Tapet bringt.

Und schließlich können Sie am 21. Dezember selbst Weihnachtslieder mit anstimmen, gemeinsam mit der Wiener Singakademie und Musiker:innen unter der Leitung von Heinz Ferlesch und mit Moderation von Monika Jeschko, wenn unser traditionelles Weihnachts-SingAlong über die Bühne des Mozart-Saals geht.

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KONZERTTIPP

09/12/24 Mo, 19.00 Uhr · Großer Saal

The Constellation Orchestra & Choir · Gardiner

Marie-Luise Werneburg Sopran

Eline Welle Mezzosopran

Peter Davoren Tenor

Alex Ashworth Bass

Sir John Eliot Gardiner Dirigent

Marc-Antoine Charpentier Messe de minuit pour Noël H 9

Johann Sebastian Bach Schwingt freudig euch empor BWV 36Unser Mund sei voll Lachens BWV 110

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61773

18/12/24 Mi, 19.30 Uhr · Mozart-Saal

Huelgas Ensemble · Van Nevel»The Story of Bethlehem«

Paul Van Nevel Dirigent

Christmas Carols, Hymnen und Motetten aus sechs Jahrhunderten

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61800

21/12/24 Sa, 14.30 & 17.00 Uhr · Mozart-Saal

Sing Along »Weihnachten«

Wiener Singakademie

Karin Hopferwieser Violoncello

Katharina Metzner Harfe

Rafael Neira-Wolf Gitarre

Mark Royce Klavier

Simon Schellnegger Viola

Emanuel Toifl Saxophon, Querflöte

Monika Jeschko Moderation, Konzept

Heinz Ferlesch Dirigent

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/62328

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