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Blickpunkt: Johann Strauss

Wie kam der Wiener Walzer an die Niagarafälle? Von der Entstehung der Musikindustrie, des Schlagers und eines Popstars mit effektivem Marketing in der Wiener Leopoldstadt

VON FRANCESCA-MARIA RAFFLER

Immer wieder als »Familienunternehmen« bezeichnet, gelang es der Strauss-Familie in einem geschickten Zusammenspiel von Konzerttourneen, Marketingstrategien und zahlreichen Mitarbeiter:innen, musikalischen Weltruhm zu erlangen. Mit ihrer »Walzerindustrie« legte die Familie den Grundstein für die heutige Musikindustrie; durch sie schaffte die Unterhaltungsmusik den Aufstieg aus den Tanzstätten in die elitären Konzertsäle. War schon Johann Strauss (Vater) durch seine Tourneen europaweiter Ruhm vergönnt, so gelang es seinem Sohn Johann nun, mit Konzerten in der Neuen Welt seinen Ruf als erfolgreichster Komponist wienerischer Musik zu sichern.

Das Attribut »Walzerkönig«, ursprünglich bereits auf den Vater gemünzt, bezeichnet mit einem Wort die Fokussierung auf die Komposition von Tanzmusik bis in die 1870er. Ob Quadrille, Polka, Galopp, Marsch oder Walzer – die Melodien hatten durchschlagenden Erfolg, wurden also zu den ersten »Schlagern«. Mit der Übernahme des Orchesters nach dem Tod des Vaters 1849 führten Johann erste Konzerttourneen durch Russland, in Folge leitete er die Wiener Hofbälle, die später von seinem Bruder Eduard übernommen wurden; der Erfolg blieb in der Familie, und das Bild einer wahren Walzerdynastie verfestigte sich.

Strauss-Kapelle an den Niagara-Fällen (Eduard Strauss: 4. Reihe, Mitte, stehend)
Die 100 000-köpfige Zuhörerschaft brüllte Beifall ... Am nächsten Tag mußte ich vor einer Armee von Impresarios die Flucht ergreifen, die mir für eine Tournee durch Amerika ein ganzes Kalifornien versprachen ...

JOHANN STRAUSS nach dem World Peace Jubilee in Boston

1872 fand in Boston zum World Peace Jubilee ein gigantisches Musikfestival statt. Eine Halle für 100.000 Zuhörer:innen, konzipiert für Konzerte, an denen etwa 2000 Musiker:innen aktiv teilnehmen sollten, und unter ihnen Johann Strauss. Der Lohn? 100.000 Dollar, im Voraus bezahlt, die Kostenübernahme für Überfahrt und Aufenthalt für Strauss und seine gesamte Entourage inklusive. Der »Walzerkönig« wurde mit riesigen Plakaten empfangen, die ihn als einen den Taktstock anstatt eines Zepters über die Welt schwingenden König zeigten. Bei den Auftritten konnte er sich kaum durch die Menschenmenge zwängen, wurde bejubelt, von Frauen umschwärmt – geboren war die Stilisierung von Johann Strauss zum ersten »Pop-Star« und mit ihm die Globalisierung des Wiener Walzers. Immer wieder als »Selbstvermarkter« bezeichnet, ließ Strauss seine Eigenkompositionen durch tausende Musiker erklingen, wozu es hundert zusätzlicher Dirigenten bedurfte, um sein Dirigat weiterzugeben. Als Signal zum Konzertstart diente ein Kanonenschuss. Strauss selbst berichtet, er habe seine ganze Konzentration nur darauf legen müssen, dass alle auch wieder zeitgleich aufhörten. Der musikalische Coup gelang, der Erfolg erwies sich als überwältigend: »Am nächsten Tag mußte ich vor einer Armee von Impresarios die Flucht ergreifen, die mir für eine Tournee durch Amerika ein ganzes Kalifornien versprachen …«, schreibt Strauss. Beeindruckendes Zeugnis gibt sein »Jubilee Waltz«, eigentlich ein Potpourri aus sechs seiner früheren Walzer – Strauss verstand es also, seine Kompositionen gewinnbringend einzusetzen.

Auch in Italien war Strauss populär, und seine Melodien wurden trotz der angespannten politischen Lage zu Gassenhauern. Nach Konzerttourneen durch deutsche Städte und London führte ihn eine seiner triumphalsten Reisen nach Paris, wo man eine frühe Form des Merchandisings registriert, die sich in Strauss-Handschuhen, -Krawatten oder -Hüten bemerkbar machte. Orden, Huldigungen, gewaltige Gagen, wiederum geschickt kompensiert durch Wohltätigkeitskonzerte und Spenden, machten den »Schani« auch als Künstlerpersönlichkeit populär. 1873 wurde in Wien das 50-jährige Jubiläum der Strauss-Kapelle mit großem Pomp gefeiert.

Auch Johanns Bruder Eduard wurde für seine Walzerinterpretationen bejubelt. 1890 führte auch ihn eine Konzertreise mit der Strauss-Kapelle in siebzig Städte der USA und Kanada. Zwar erwies sich die Tournee mit zwei Konzerten täglich, kargem Essen und komplizierten Reiserouten als strapaziös, aber sowohl der Erfolg als auch das eingenommene Vermögen waren überwältigend. Auffällig sind die von Eduard Strauss dazu verbreiteten Fotografien, die ihn und seine Kapelle vor den Niagarafällen zeigen sollen. Allesamt im Fotostudio vor Kulisse entstanden – eine frühe Form des »Deepfake«?

Bedeutend für das Schaffen der Straussfamilie ist die Rolle starker Frauen. War es schon die Mutter der Strauss-Söhne, Anna, gewesen, die ihnen die musikalische Laufbahn ermöglicht hatte, unterstützte nun Johann Strauss’ erste Frau Jetty Treffz ihren Ehemann nach ihrer internationalen Opernkarriere durch das Kopieren von Notenmaterial und das Managen seiner Konzerttourneen. Zudem soll sie es gewesen sein, die Strauss dazu brachte, sich neben dem Walzer auch dem Genre der Operette zu widmen. Auch Johann Strauss’ dritte Ehefrau Adele, geb. Deutsch, trat als seine Managerin und Mitarbeiterin in Erscheinung. Als von einer Schauspielerin geschiedener Mann ließ sich Strauss für die Heirat mir ihr ganz pragmatisch in Coburg einbürgern und konvertierte zum Protestantismus. Als Witwe trug Adele das »Unternehmen Strauss« als Nachlassverwalterin weiter und engagierte sich für die posthume Aufführung seiner Werke. Auf sie geht auch die Lex Johann Strauss zurück, die die Verlängerung des Urheberschutzes seiner Musik regelte, sodass sie erst 1931 frei zur Verfügung stand.

Die Tradition führte Eduard bis ins 20. Jahrhundert weiter. Um die Spielschulden seiner Söhne abzuarbeiten, unternahm er eine zweite lukrative Amerikatournee, die den Höhepunkt seiner musikalischen Karriere darstellen sollte. Erschöpft von den Strapazen löst er am Tag nach dem letzten New Yorker Konzert 1901 die Strauss-Kapelle auf. Geblieben ist der Nachwelt von dieser Walzerindustrie ein Rhythmus im Dreivierteltakt, der zum heimlichen Pulsschlag der Stadt Wien wurde. Im Jahr 2025 feiert diese seinen 200. Geburtstag – den Anpfiff übernimmt der Kunstpfeifer Nikolaus Habjan in der Silvesternacht im Wiener Konzerthaus, schon zuvor lässt das Strauss Festival Orchester Wien Werke der Strauss-Dynastie erklingen.

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KONZERTTIPPS

29/12/24 So, 19.00 Uhr · Großer Saal

01/01/25 Mi, 15.00 Uhr · Großer Saal

Strauss Festival Orchester Wien

»Seid umschlungen, Millionen!«

Vera-Lotte Boecker Sopran

David Kerber Tenor

Vinzenz Praxmarer Dirigent

Eine musikalische Liebeserklärung Wiens an die Welt. Werke der Strauss-Dynastie und weiterer Komponisten

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61806

https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61812

31/12/24 Di, 22.00 Uhr · Großer Saal

Silvestergala

Nikolaus Habjan & Friends · Wiener Symphoniker · Popelka

»Anpfiff mit Strauss«

Nikolaus Habjan Kunstpfeifen, Conférencier, Gesang & Friends

Ankathie Koi Gesang

Def III Rap

Petr Popelka Dirigent

Werke von Johann Strauss (Sohn)

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61811

27/01/25 Mo, 19.00 Uhr · Großer Saal

Klangforum Wien · Schwarz

»tritsch tratsch«

Wolfgang Mitterer

»tritsch tratsch«. johann strauss II –great hits / a remix (UA)

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61848

28/01/25 Di, 19.30 Uhr · Mozart-Saal

The Flying Schnörtzenbrekkers

»500 Jahre Ivica Strauss«

Georg Breinschmid Kontrabass, Stimme

Sebastian Gürtler Violine, Stimme

Tommaso Huber Akkordeon, Stimme

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61852

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