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Zwischen Religion und Nation

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Vom Himmel hoch

Vom Himmel hoch

Verdis »Oper im Kirchengewande« steht bei einem von zwei Konzerten des Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia unter der Leitung von Daniel Harding auf dem Programm

VON MARTINA GREMPLER

Der Konflikt zwischen Katholizismus und Nation gehörte zu den prägenden Erscheinungen im 1861 begründeten Königreich Italien. In dessen Mitte lag mit der Stadt Rom und dem Latium ein vom Papst beherrschtes Territorium, dessen von Frankreich garantierte Existenz eine wirkliche politische Einigung der Halbinsel jahrelang verhinderte. Der ab 1846 amtierende Papst Pius IX. begann als Hoffnungsträger der Nationalbewegung und endete nach den Revolutionsjahren 1848/49 als deren Feindbild. Die bedeutende gesellschaftliche Rolle der katholischen Kirche, namentlich im Bildungswesen, kollidierte verstärkt mit den Ansprüchen des jungen Staates, was sich etwa in Enteignungen kirchlichen Besitzes zeigte, die bis heute zum Beispiel in den in ehemaligen Klöstern angesiedelten Musikkonservatorien sichtbar sind. All dies bewirkte im katholischen Italien bei vielen Menschen erhebliche Spannungen zwischen persönlicher Religiosität und dem Verhältnis zur Institution Kirche.

Diese Hintergründe sind auch bei Giuseppe Verdi spürbar. Obwohl persönlich kein überzeugter Katholik, sondern antiklerikaler Agnostiker, vielleicht sogar Atheist, beschäftigte ihn das Thema ein Leben lang. Insbesondere in seinen späteren Opern setzte er sich intensiv mit dem Verhältnis von Religion und politischer Macht auseinander, kulminierend im Dialog von Großinquisitor und König in »Don Carlos« oder der Gerichtsszene in »Aida«, wo es Priester sind, die Radames zum Tode verurteilen. In »Otello« griff Verdi auf den Text des Credos zurück, um in dessen Pervertierung durch Jago das menschliche Böse darzustellen.

Jedoch existiert auch eine Gegenseite. So sehr Verdi die negativen Auswirkungen von politischer Macht der Kirche auf das menschliche Individuum anprangert – er akzeptiert deren seelsorgerische und hoffnungsspendende Funktion. In früheren Opern wie »Attila« erscheint Glaube als moralische Unterstützung des Freiheitskampfes, Nabucco rettet sich und seine Tochter letztlich durch die Anerkennung der zuvor verleugneten göttlichen Macht. In »La traviata« berichtet die sterbende Violetta vom Trost, den ihr ein Priester spenden konnte.

Verdis »Messa da Requiem« erwuchs ebenfalls aus dem für sein Jahrhundert so charakteristischen Spannungsfeld zwischen Religion und Nation. Am Beginn der Entstehungsgeschichte fand sich das nationale Projekt einer Messe für den 1868 in Paris verstorbenen Rossini, zu dem verschiedene italienische Komponisten beitragen sollten. Verdi schrieb aus diesem Anlass das »Libera me«, das nicht zuletzt durch die dort bereits enthaltenen machtvollen Klänge des »Dies irae« die Keimzelle des späteren Requiems werden sollte. Dieses entstand im Gedenken an eine weitere Ikone des jungen Italiens, den Schriftsteller Alessandro Manzoni, in dessen Werk wiederum Religion eine wesentliche Rolle spielte. In Manzonis Vorstellung bildet ein starker Glaube die Basis für moralische Integrität, wobei der Mensch durch seine Lebensführung aktiv zur Erfüllung von Gottes Willen beitragen sollte. Diese Haltung lässt das in kriegerischen Zeiten bedrohte Liebespaar aus Manzonis großem Roman »I promessi sposi« alle Schwierigkeiten überwinden. Verdi bewunderte Manzoni, auch wenn er dessen Konzepte nicht immer geteilt haben dürfte.

Verdi dirigiert seine »Messa da Requiem«. Abbildung aus einem Artikel im Wiener Extrablatt über die Aufführung des Requiems an der Pariser Oper, 1874

In der düsteren Welt des Requiems überlagert die Darstellung der Schrecken des Todes die Hoffnung, erscheint der Mensch dem Schicksal ausgeliefert. Wie kaum ein anderer Komponist nutzte Verdi das in den liturgischen Texten enthaltene dramatische Potential, und natürlich ist seine Musiksprache die seiner späten Opern, wenngleich die musikalischen Formen nicht aus dieser Gattung übernommen wurden.

Das berühmt gewordene Bonmot Hans von Bülows über Verdis Requiem als »Oper im Kirchengewande«, gleichzeitig ein Rundumschlag gegen Verdi und die oftmals als dekadent empfundene italienische Kultur, führte in Italien zu einer erbitterten Debatte. Sie zeigte einerseits die nationale Bedeutung des Requiems und erscheint andererseits eingebettet in den damaligen generellen Diskurs um das Wesen der Kirchenmusik.

Verdis Requiem steht dabei auch für die Tendenz, Kirchenmusik nicht mehr als liturgische Gebrauchsmusik zu betrachten, sondern für den Konzertsaal zu konzipieren. Zwar fand die Uraufführung am 22. Mai 1874 in der Mailänder Kirche San Marco statt, jedoch hatte Verdi von vornherein die Scala im Blick. Kurz darauf kam es zu einer regelrechten Requiem-Tournee, die nach London in die Royal Albert Hall, an die Pariser Opéra-Comique sowie die Wiener Hofoper führte, wo der Komponist die Aufführungen im Juni 1875 selbst leitete und als herausragender Vertreter seiner Nation auftrat, deren Hauptgegner das Habsburgerreich noch wenige Jahre zuvor gewesen war.

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KONZERTTIPPS

06/12/24 Fr, 19.30 Uhr · Großer Saal

Orchestra dell’Accademia Nazionale di Santa Cecilia · Batiashvili · Harding

Lisa Batiashvili Violine

Daniel Harding Dirigent

Claude Debussy Prélude à l’après-midi d’un faune

Sergej Prokofjew Konzert für Violine und Orchester Nr. 2 g-moll op. 63

Johannes Brahms Symphonie Nr. 2 D-Dur op. 73

Karten unter:

https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61770

07/12/24 Sa, 19.30 Uhr · Großer Saal

Verdi: Messa da Requiem

Orchestra dell’ Accademia Nazionale di Santa Cecilia

Wiener Singakademie

Masabane Cecilia Rangwanasha Sopran

Elizabeth DeShong Mezzosopran

Saimir Pirgu Tenor

Tareq Nazmi Bass

Daniel Harding Dirigent

Giuseppe Verdi Messa da Requiem

Karten unter: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/61770

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