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Mahlers Sechste
Unter der Leitung seines Chefdirigenten Semyon Bychkov interpretiert die Tschechische Philharmonie Mahlers Sechste, das prophetischste Werk des »Zeitgenossen der Zukunft«
VON CHRISTIAN GLANZ
»Meine VI. wird Rätsel aufgeben.« Zumindest für seine Zeit wird sich Gustav Mahler mit dieser Prophezeihung nicht getäuscht haben; die schon aus Anlass der Aufführungen seiner vorangegangenen symphonischen Werke deutliche Frontenbildung zwischen einer überschaubaren Anhängerschaft und nicht nur musikalisch motivierten Gegner:innen ging nach der Uraufführung der Sechsten (27. Mai 1906 in Essen) weiter. Aus späterer Perspektive wurde der Symphonie die »Vorahnung« von Menschheitskatastrophen des 20. Jahrhunderts zugeschrieben, zuweilen wurde sie unter dem Beinamen »Tragische« geführt.
Tatsächlich ist dieses Werk in vielerlei Hinsicht fordernd; von Beginn an herrscht ein martialischer Ton. Das diesbezügliche zweitönige Grundmotiv, das erste Motiv, das zu hören ist, stammt aus Mahlers letztem Wunderhornlied Revelge und erscheint dort im Rahmen einer Anklage des Kriegsirrsinns. Es ist in zahlreichen Themen der Symphonie enthalten, man könnte es als eine Art »Markierung« verstehen: Trotz mannigfachem Aufbegehren und trotz Kampf wird der Triumph ausbleiben, das ist früh klar – nicht zuletzt durch die emblematische Eintrübung von Dur nach Moll, die im ersten und letzten Satz diesbezüglich höchste Aussagekraft hat. Zu den Auffälligkeiten der Sechsten gehört auch die wichtige Rolle der Herdenglocken, außerordentliche Klänge der Erdferne und angedeutete Wendung zu einer »wahren Existenz« im Sinne Schopenhauers. Auch sie können die ersehnte Erlösung nach dem im Verlauf des 19. Jahrhunderts konsequent entwickelten symphonischen Motto »vom Dunkel zum Licht« letztlich nicht erwirken, genauso wenig wie das Adagio, das vor allem in seiner Schlussbildung einen deutlichen Anklang zu einem der Mahler’schen Kindertotenlieder in sich trägt. Zu den auffälligsten musikalischen Grimassen der Symphonie gehören die mit »Altväterisch« überschriebenen Abschnitte im Scherzo, krasse Spiegelungen von grundloser Selbstzufriedenheit. Sichtbarer Höhepunkt des »Grellen« (Mahler verlangt wiederholt diesen Charakter) sind die zwei vernichtenden Hammerschläge, die die marschartig sich formieren- den Kräfte des Aufbegehrens im Finale unter sich begraben. Aber das entscheidende Urteil spricht nicht der Hammer, sondern das Tam-Tam, Mahlers Todessymbol. Das letzte Wort hat schließlich die erwähnte Abblendung nach Moll. Dabei muss es bleiben.
Dass ein tschechisches Orchester Mahler spielt, ist in mehrfacher Hinsicht naheliegend: Mahler wurde bekanntlich in Böhmen geboren und verbrachte Kindheit und frühe Jugend im mährischen Iglau (Jihlava). Böhmisches und mährisches musikalisches Idiom gehört zu seinen grundlegenden stilistischen Ausdrucksweisen; wie Ländler und Walzer steht es bei ihm nicht selten in ironischen bis grotesken Kontexten. Als junger Dirigent erhielt Mahler wichtige Eindrücke während seiner Arbeit in Olmütz und Prag. Die siebente Symphonie wurde später in Prag uraufgeführt. Und tschechische Dirigenten gehörten zu den entschlossensten Anwälten Mahlers, erinnert sei hier beispielsweise an Rafael Kubelik.

Semyon Bychkov, Chefdirigent der Tschechischen Philharmonie seit 2018, ist ein ausgewiesener Mahler-Experte
© Umberto Nicoletti
SEMYON BYCHKOV
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Mi, 29/03/23, 19.30 Uhr · Großer Saal
Tschechische Philharmonie · Semyon Bychkov: Dirigent
Gustav Mahler: Symphonie Nr. 6 a-moll
Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60067