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Schubertiaden
Sir András Schiff will eine neue Gemeinschaft mit dem Publikum schaffen und erleben – dem historischen Format der Schubertiade verhilft er damit zu alter Frische
VON RAINER LEPUSCHITZ
Sir András Schiff hat während der konzertarmen Zeit der Pandemie viel nachgedacht. Vor allem über das klassische Musikleben, wie es so lief und läuft. Und dabei – zunächst einmal für sich – festgestellt, dass eine gehörige Auffrischung not täte. »Seien wir ehrlich, unsere Konzerte bestehen aus vielen Konventionen, Erwartungen, Vorurteilen und Ritualen«, übermittelte der Musiker dem Wiener Konzerthaus seine Überlegungen und Erkenntnisse aus Corona-Zeiten. Vor allem in den intimeren Formaten der Kammerkonzerte und Klavier-Recitals konstatiert der Pianist und Dirigent, dass die gewohnten Abläufe im klassischen Konzert »zur Einförmigkeit« führten.
So stellte sich Sir András Schiff die Frage: »Warum sind wir nicht neugieriger, unternehmungslustiger, phantasievoller? Wo bleiben die Überraschungen?« Seine Antworten will er unter anderem an zwei MärzAbenden bei seinen Schubertiaden mit einer neuen Spontaneität geben, mit welcher er wiederum auf eine der Konventionen des Musiklebens reagiert. So müssten beispielweise »wir Pianisten unsere Programme viele Monate oder Jahre im Voraus angeben, ganz detailliert. Das ist eine enorme Belastung. Woher sollte man wissen, was man in zwei Jahren, sieben Monaten und vier Tagen spielen möchte?« Das hänge von so vielen Faktoren ab, von der Relevanz der Musik an einem bestimmten Tag, auch von den akustischen und instrumentalen Verhältnissen und nicht zuletzt von der täglichen Laune. Wobei Schiff ja nicht der einzige unter den großen Solist:innen unserer Zeit ist, der sich diese Fragen stellt. Denken wir nur an Grigory Sokolov, der seine Programme oft erst kurzfristig bekannt gibt, oder auch an den Geiger Gidon Kremer (bei dessen einstigem Lockenhauser Kammermusikfestival András Schiff ja schon vor mehreren Jahrzehnten eine solche täglich überraschungsfreudige und spontan inspirierte Programmplanung kennenlernte).
Der in Großbritannien zum Sir geschlagene Musiker wird nun jedenfalls bei seinen international gefragten Auftritten als Pianist das Programm oft erst »an Ort und Stelle ankündigen«. Der Mehrwert auch für das Publikum dabei ist: Der Musiker wird die Werke mangels Einführungen im Programmheft, selber erläutern. Dadurch entstünde, so Schiff, auch eine neue, stärkere Verbindung mit dem Publikum. »Wir sind da, um etwas Gemeinsames zu erleben.« Dabei müsse man sich gegenseitig respektieren, das Publikum könne ihm auf alle Fälle vertrauen, dass er immer die an diesem jeweiligen Abend von ihm am besten zu spielenden Werke präsentieren werde und diese auf die bestmögliche Art und Weise vorbereite. Sir András Schiff rechnet umgekehrt auch mit der Feinfühligkeit und Intelligenz seines Publikums.
Interessant ist, dass Sir András Schiff mit der Belebung des Konzertwesens, wie er sie sich vornimmt, gerade ein historisches Format wie die Schubertiade auf seine ursprüngliche Frische zurückführt. Denn auch Franz Schubert hat bei diesen salonmusikalischen Zusammenkünften, die bald seinen Namen trugen, nie vorausgesagt, was er und seine Mitmusiker:innen aufführen werden. So hat er meist Neukomponiertes an Tänzen, Moments musicaux, Impromptus, Sonatensätzen und anderen Klavierstücken zum Besten gegeben, vierhändig mit Musikerfreund:innen Eigenkompositionen gespielt, aber auch Lieder gesungen (was Sir András Schiff nicht tun wird). Bei vielen der Schubertiaden, die in den Salons und Kreisen der höheren Wiener Bildungsbürgerschicht und auch unter reger Teilnahme der jungen intellektuellen und künstlerischen Zirkel mit etwa Franz Grillparzer und Moritz von Schwind stattfanden, musizierten auch renommierte Wiener Sänger:innen wie der Hofopernbariton Johann Michael Vogl und exquisite Instrumentalist:innen wie der Geiger Ignaz Schuppanzigh.
Neben der Kammer-, Tanz- und Klaviermusik und den Liedern wurden auch oft mehrstimmige Gesänge, Psalmen, weltliche Vokalquartette dargeboten, »ein Stück nach dem anderen«, wie sich der Komponist Ferdinand Hiller an einer Schubertiade 1827 in Wien erinnerte, »wir waren unersättlich, die Ausführenden unermüdlich.« So wird es nun auch bei den Wiener Schubertiaden im Mozart-Saal des Wiener Konzerthauses sein, mit Sir András Schub…, pardon, Sir András Schiff an einem Wiener Hammerflügel der SchubertZeit des Klavierbauers André Stein aus dem Jahr 1825 und einigen seiner engsten Musikerfreund:innen wie dem Geiger Erich Höbarth, der Bratschistin Anita Mitterer, dem Cellisten Christophe Coin oder dem Bass Robert Holl, der auch einige Mit-Sängerinnen mitbringen wird. Eine Schubertiade, jetzt wie einst: mit Unternehmungslustigen und voller Überraschungen!
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SCHUBERTIADEN
Sa, 04/03/23, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
So, 05/03/23, 19.30 Uhr · Mozart-Saal
Erich Höbarth Viola · Christophe Coin Violoncello · Sir András Schiff Hammerflügel
Franz Schubert: Die Forelle D 550 · Klavierquintett A-Dur D 667 »Forellenquintett« sowie weitere Lieder · Klaviertrio B-Dur D 898 sowie Klavierwerke von Franz Schubert
Karten
04/03/23: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60014
05/03/23: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60015