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Am Fuße des Olymp

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Schubertiaden 

Schubertiaden 

Pianistische Gipfelerkundungen des 19. Jahrhunderts

VON ISABEL NEUDECKER

Mein Klavier ist für mich, was dem Seemann seine Fregatte, dem Araber sein Pferd – mehr noch, es war bis jetzt mein Ich, meine Sprache, mein Leben – ihm hinterlasse ich alle meine Wünsche, meine Träume, meine Freuden und Leiden. Seine Saiten erbebten unter meinen Leidenschaften, und seine gefügigen Tasten haben jeder Laune gehorcht!

Liszt: Gazette Musicale de Paris

Abenteuer Romantik: Von Vulkanen und Klavieren

Das 19. Jahrhundert hatte eine Vielzahl an Erfindungen und Attraktionen zu bieten: in der alltäglichen Lebenswelt die ersten Bahnfahrten (gut dokumentiert im privaten Schrifttum von Robert Schumann), Versuche mit Magnetismus und Elektrizität (Johann Wilhelm Ritter), atemberaubende Naturerkundungen an Vulkanen (Alexander von Humboldt), die in den deutschen Künstlersalons vieldiskutierte Neuausrichtung des Romans (Friedrich Schlegels pikante »Lucinde«) und das öffentliche Konzertwesen, das endlich etabliert war. In all dies reihte sich auch das Fortepiano ein, das Furore machte.

Kaum ein Instrument erreichte damals so eine technische Perfektion wie das Klavier, das sich zu einem wahren Wunderwerk entwickelt hatte. Große Klavierfirmen machten gute Geschäfte, darunter Érard in Paris und Stein in Wien, und lieferten bis in das russische Zarenreich. Die Komponist:innen reizten die neuen Möglichkeiten aus und so war ein Grundstein für eine weitere Attraktion gelegt: das Virtuosentum des 19. Jahrhunderts, in das sich Chopin, Liszt, Clara Schumann aber auch die weniger bekannten Moscheles und Kalkbrenner mischten. Mit der Blüte des bürgerlichen Konzertwesen erreichte nicht nur der Solo-Abend – der eine recht junge Erfindung ist –, sondern auch das Solokonzert einen erneuten Höhepunkt. Als Gattung, die einen Solisten bzw. eine Solistin präsentierte, kam sie dem Verlangen des Publikums nach orchestraler Opulenz, technischer Brillanz und hoher ideeller Kunst entgegen.

In diese Welt entführen uns Kirill Gerstein, Víkingur Ólafsson, Lukas Sternath und Alexandre Kantorow, die sich Glanzpunkten des klassisch-romantischen Klavierkonzerts verschreiben.

Leipzig, 1808: Beethoven

Historisch gesehen macht Lukas Sternath mit einem Werk Beethovens den Beginn. Erst im September 2022 sorgte der Wiener Jungstar Sternath für Aufsehen beim ARD-Wettbewerb, als ihm nicht nur der Erste Preis, sondern auch sieben Sonderpreise zugesprochen wurden. Im Bunde mit Geigerin María Dueñas und Cellist Kian Soltani gibt er einem seltenen Exemplar die Ehre: dem Tripelkonzert.

Zu einer Zeit, als die Sinfonia concertante ihre Blütezeit bereits hinter sich hat, macht sich Beethoven an die Arbeit zu einem Tripelkonzert: kein Triokonzert, in dem ein Klaviertrio als geschlossene Gruppe agiert, sondern ein echtes Konzert mit drei Solo-Instrumenten. Formal wurde dem Klassiker das manchenorts zum Vorwurf gemacht, aus historischer Sicht bewies der Compositeur allerdings schlichtweg genaue Kenntnis der Fähigkeiten seiner Musiker: Er schrieb die jeweiligen Solo-Parts den Interpreten auf den Leib und gab der Motivik den Klangcharakter des zugeordneten Instruments. Aus der Taufe gehoben wurde die Komposition am 18. Februar 1808 im Leipziger Gewandhaus.

Lukas Sternath

©Aaron Bunker

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Fr, 10/03/23, 19.00 Uhr · Großer Saal

So, 12/03/23, 19.30 Uhr · Großer Saal

Wiener Symphoniker · Maria Dueñas · Kian Soltani · Lukas Sternath · Patrick Hahn

Dmitri Schostakowitsch: Auszüge aus Suite für Varieté-Orchester; Ludwig van Beethoven: Konzert für Klavier, Violine, Violoncello und Orchester C-Dur op. 56 »Tripelkonzert«; Franz Schreker: Zwischenspiel (Der Schatzgräber)

Karten:

10/03/23: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60020

12/03/23: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60028

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Dresden, 1845: Schumann

»Das Klavier möchte ich oft zerdrücken, es wird mir zu eng zu meinen Gedanken«, schreibt Robert Schumann. Aus der eigenen Solistenkarriere ist aufgrund falschen Übeverhaltens nichts geworden; an Ehrgeiz hätte es dem jungen Mann nicht gemangelt. Das Verhältnis zum Klavier blieb dennoch eng; Gemahlin Clara, deren Karriere als Pianistin die seinige als Komponist empfindlich überstrahlte, wurde zur Hauptinterpretin seines Œuvres. Bis Schumann sein Klavierkonzert abschloss, vergingen fast fünf Jahre. Die Großform imponierte ihm; Beethoven und Mozart hatten ihren signifikanten Beitrag zur Gattung geleistet und ähnlich wie bei der Symphonie schien es für Nachgeborene unmöglich, in diese Fußstapfen zu treten. Der erste Versuch im Jahr 1841, einem Verleger ein klavierkonzertähnliches Werk anzutragen, scheiterte. Schumann arbeitete eisern weiter, bis er sein Klavierkonzert endlich fertig hatte. Es sei ein »Mittelding zwischen Symphonie, Konzert und großer Sonate; ich sehe, ich kann kein Konzert schreiben für Virtuosen, ich muss auf etwas anderes sinnen«, schrieb er. Seine Komposition zählt zu den poetischsten der Gattung: Anders als Liszts virtuose Klavierkonzerte galt es als Glanzstück der Poesie mit einer gelungenen formalen Anlage –Mehrsätzigkeit in der Einsätzigkeit, Zurückführung des thematischen Materials auf eine Ursprungsmotivik.

Einem Pianisten wie Kirill Gerstein, der seine Interpretationen in einen historischen Horizont einbettet, ist das Stück wie auf den Leib geschrieben: »Ich finde es wahnsinnig interessant, Klavier zu spielen, ich finde die Musik interessant, auch das Konzerterlebnis, die soziale Architektur des Ganzen«.

Kirill Gerstein

© Marco Borggreve

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Do, 30/03/23, 19.30 Uhr · Großer Saal

City of Birmingham Symphony Orchestra · Kirill Gerstein · Mirga Gražinytė-Tyla

Mieczysław Weinberg: Sinfonietta Nr. 1 op. 41; Robert Schumann: Klavierkonzert a-moll op. 54; Sergej Prokofjew: Suite Nr. 1 aus »Romeo und Julia« op. 64a & Suite Nr. 2 aus »Romeo und Julia« op. 64b

+ Musik im Gespräch: 18.00 Uhr · Schubert-Saal

Thomas Synofzig im Gespräch mit Erwin Barta über die Künstlerpartnerschaft von Robert und Clara Schumann

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Paris, 1868: Saint-Saëns

Die Reise führt weiter. Nächste Station: Frankreich. Eine Generation nach Schumann macht sich SaintSaëns im mondänen Paris an die Arbeit; ein Sonderling, der bei seinen Kolleg:innen für sein scharfes Urteil und sein barsches Benehmen berühmt war. Der Komponist galt als notorischer Verfechter traditioneller Stile und äußerte sich über Wegbereiter neuer Tonsprachen wie Debussy nicht gerade anerkennend.

Seine Bewunderung galt Wagner und Liszt, mit letzterem war er befreundet. Als Saint-Saëns 1868 sein zweites Klavierkonzert selber unter dem Dirigat seines Freundes Anton Rubinstein zur Uraufführung brachte, war ihm kein großer Erfolg beschieden: Daran mochte vermutlich die nur dreiwöchige Vorbereitungszeit (innerhalb derer er das Werk auch verfasst hatte) ihren Anteil gehabt haben. Heute zählt die Komposition mit der prägnanten Introduktion zu seinen populärsten Klavierkonzerten, sie fand Liszts überschwängliches Lob: ein Feuerwerk an Geistesblitzen und mitreißenden Rhythmen, das in einer Tarantella endet. Als Reiseleitung durch das opulente Opus fungiert Alexandre Kantorow, der nicht zuletzt dank seiner preisgekrönten Einspielungen der Klavierkonzerte Saint-Saëns’ ein Experte auf dem Feld des Virtuosentums ist.

Alexandre Kantorow

© Jean-Baptiste Millot

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Sa, 25/03/23, 19.30 Uhr · Großer Saal

So, 26/03/23, 11.00 Uhr · Großer Saal

Wiener Symphoniker · Alexandre Kantorow Klavier · Bertrand de Billy Dirigent Camille Saint-Saëns: Danse macabre. Symphonische Dichtung g-moll op. 40 & Klavierkonzert Nr. 2 g-moll op. 22; Erich Wolfgang Korngold: Symphonie Fis-Dur op. 40

Karten:

25/03/23: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60059

26/03/23: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60061

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Kopenhagen, 1869: Grieg

Ein Nordlicht bringt der für seine ausgeklügelten Programme vielfach ausgezeichnete Isländer Víkingur Ólafsson zum Strahlen: Griegs einziges Klavierkonzert. Es mutet an, als wäre es ein spätes Geschwisterwerk von Schumanns Klavierkonzert. Grieg hatte ebendieses in Deutschland mit Clara als Solistin gehört, es hinterließ einen bleibenden Eindruck. Als Grieg 25 war, reifte in ihm der Entschluss: Auch er musste zu dieser Gattung einen Beitrag leisten. Grieg fiel es, ähnlich wie Schumann, schwer. Mehrmals unterzog er die Komposition, die ihre Tonart mit Schumanns Klavierkonzert teilt, einer Revision. Seinem Mentor Franz Liszt legte er es auf das Klavier. Dessen Faszination, so Griegs Erinnerung, war dem Komponisten Lohn und Freude: »Im Adagio und noch mehr im Finale kulminierte sein Vortrag wie sein Beifall. Zuletzt sagte er mit einer seltsamen, innigen Betonung, indem er mir mein Werk wiedergab: ›Fahren Sie fort, ich sage Ihnen, Sie haben das Zeug dazu, und – lassen Sie sich nicht abschrecken.‹«

Mit unerschrockener Leidenschaft und tiefer Kenntnis führen uns die vier Pianisten durch den März und zeigen, dass die Tour durch die klassischromantischen Klanglandschaften ebenso atemberaubend ist wie die Reiseberichte eines Alexander von Humboldt von den südamerikanischen Gipfeln für den Bürger der Romantik: ein Tanz auf dem Vulkan.

Víkingur Ólafsson

© Ari Magg

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Do, 23/03/23, 19.30 Uhr · Großer Saal

Saint Louis Symphony Orchestra · Víkingur Ólafsson · Stéphane Denève

Sergej Prokofjew: Ljubow k trjom apelsinam »Die Liebe zu den drei Orangen«. Symphonische Suite op. 33 a; Edvard Grieg Klavierkonzert a-moll op. 16; Sergej Rachmaninoff Symphonische Tänze op. 45

Karten: https://konzerthaus.at/konzert/eventid/59716

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