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Blickpunkt Anton Bruckner

2024 jährt sich der Geburtstag des oberösterreichischen Komponisten zum 200. Mal. Im Wiener Konzerthaus bieten sich in dieser Saison mehrere Gelegenheiten, Musik des großen Symphonikers zu erleben

VON WOLFRAM STEINBECK

Anton Bruckner hat sich, ähnlich wie nach ihm Gustav Mahler, in nur zwei Gattungen kompositorisch hervorgetan: in geistlichen Chorwerken und auf dem Gebiet der Symphonie. Die geistliche Musik, darunter zahlreiche A-cappella-Chorwerke sowie die drei großen Messen, komponierte er in seiner ersten Schaffensphase bis 1864, nur das berühmte »Te Deum« verfasste er später. Bekannt ist Bruckner heute freilich vor allem als Komponist monumentaler Symphonien. Sie entstanden in der zweiten Schaffensphase ab 1865 bis zu seinem Tod am 11. Oktober 1896 in Wien. Das Finale der »Neunten« konnte er nicht mehr vollenden.

Bruckner hat, wie viele andere Komponisten des 19. Jahrhunderts auch, die Symphonie als universale und vollkommenste Gattung in der Musik begriffen. Mit ihr glaubte er sein schöpferisches Talent am besten wirken lassen und zugleich die größte Anerkennung in der Musikwelt finden zu können. Mit ihr hoffte der strenggläubige Katholik Bruckner zugleich, seinem Gott, dem er sein Talent doch zu verdanken habe, am würdigsten zu dienen.

Blockhafte Sakralgebäude

Die Eigenart der Bruckner’schen Musik, die nach ein paar Takten erkennbar ist, beruht auf einem Bauprinzip, das man »parataktisch« genannt hat. Die musikalischen Einheiten werden nicht wie bei Beethoven, Brahms oder Wagner auseinander entwickelt. Bruckner schichtet vielmehr feste, scharf begrenzte Bausteine oder Blöcke neben- und übereinander, lässt urplötzlich Lücken, bricht ab, setzt mit starken Kontrasten von Neuem an und schichtet anschließend umso gewaltiger. Man hat das Prinzip mit dem Sakralbau verglichen, ein passendes Bild auch deshalb, weil Bruckners Symphonien sich in die Höhe und Breite ausdehnen und sich häufig durch choralhafte Abschnitte oder durch eine registerartige, dem Orgelklang verwandte Orchestrierung auszeichnen und dadurch ihren oft sakralen Ton bekommen.

Bruckners Musik beruht zudem auf Wiederholung, insbesondere wenn es um große Steigerungen geht, die zur Monumentalität seiner Symphonien beitragen. Die Steigerungen wiederum zielen auf Höhepunkte, die vor allem durch Verkürzung der musikalischen Einheiten und Zergliederung der thematischen Bildungen erreicht werden. Das ist dem sakralen Gewölbebau vergleichbar, bei dem die Steine zum First hin immer kleiner und enger geschichtet werden. Und die ganz großen Höhepunkte, auf die die Musik immer wieder zielt, zeichnet dann etwas Besonderes aus: nämlich der Durchbruch des restituierten Hauptthemas. Damit das hörbar und deutlich wird, hat Bruckner seine Themen meist sehr plastisch und gut wiedererkennbar, aber auch in seine Teile zerlegbar gestaltet.

Die Symphonien sind einander durchaus ähnlich: vier Sätze mit schnellem Kopfsatz, Adagio, Scherzo und mäßig schnellem Finale. Dabei haben die Ecksätze grundsätzlich die gleiche äußere Form, mit drei Themen, mit deren Verarbeitung (Durchführung), einer Reprise und einer krönenden Coda. Die langsamen Sätze sind Bruckners wahres Markenzeichen: meist äußerst gemessen, mit »Adagio molto«, »Feierlich« oder »Sehr feierlich« überschrieben und voller Wärme und Sattheit eines voluminösen Klangs. Die Scherzi dagegen betonen das Rhythmische durch größtenteils rasche Bewegungen mit großen Steigerungen und Abbrüchen, wogegen das Finale eine bewegtere, aktivere und gleichsam auf ein höheres Aktionsniveau gesetzte Variante des Kopfsatzes darstellt. Thematisch ist es ähnlich gebaut und hat die Funktion, das Werk nicht nur zum krönenden Abschluss zu bringen, sondern auch zusammenzufassen und dadurch das Gesamtwerk erst beenden zu können. Und da die Höhepunkte im Finale noch höher, geballter und mächtiger gestaltet sind als im ersten Satz, können sie auch auf besondere Weise ausgezeichnet werden: In den größten Höhepunkten, vor allem aber im letzten des Werkes bricht nicht nur das Hauptthema des Finalsatzes durch, sondern das der ganzen Symphonie – d. h. das des Kopfsatzes. Das ist Krönung und Zielpunkt zugleich. Denn am Schluss wird grandios präsentiert, was den Werkverlauf durchweg geleitet hat: die Hauptidee, das Hauptthema. Hierin vollzieht sich ein konsequenter Prozess, mit dem Bruckner der sprachlosen Musik ihren Sinn verleiht und diesen in Gestalt des Themas abschließend aller Welt großartig verkündet: Das ist meine Symphonie, mein Werk und mein Lob Gottes!

Man hat Bruckners Symphonien »Schematismus« vorgeworfen, da sie alle nach dem gleichen Muster angelegt seien, im Unterschied etwa zu denen Beethovens oder seines Wiener Antipoden Brahms. Das mag oberflächlichen Eindrücken genügen. Dem Blick ins Innere der Werke und ihrer durch die individuelle Thematik gesteuerten Prozesse enthüllt sich dagegen ein jeweils eigenes, besonderes und immer wieder spannendes Konzept.

Jede Fassung ein Werk

Bruckners Werke waren bis in die 1880er-Jahre in Wien regelmäßig einer vernichtenden Kritik ausgesetzt. Man lehnte sie im konservativen Wien zunächst als überdimensioniert und allzu wagnerisch ab. Die meisten wurden entweder sofort wieder vom Programm gestrichen oder gar nicht erst aufgeführt. Bruckner aber, dessen Charakter man als ebenso ängstlich wie ehrgeizig bezeichnen kann, wollte es seinen Kritikern immer wieder recht machen. Und so überarbeitete er seine Werke: Es gibt von den acht vollendeten Symphonien insgesamt 15 Fassungen (von den Änderungen, die andere, etwa befreundete Dirigenten, aus falscher Fürsorge nachträglich anbrachten, abgesehen). Obgleich aber auch den geänderten Versionen meist kein günstiges Urteil zuteil wurde, komponierte Bruckner unaufhörlich weiter, Symphonie für Symphonie, Fassung für Fassung. Die Symphonie sei doch sein »Lebensberuf«, äußerte er in einem Brief von 1891. Bruckner war überzeugt, dass er mit genügend Ausdauer, neuen Ideen und Gottes Hilfe doch noch sein Ziel erreichen würde: als Komponist großer Symphonik endlich anerkannt zu werden. Und das trat, wenngleich erst recht spät, dann ja auch ein.

Bruckner hat übrigens sämtliche Fassungen seiner Symphonien aufbewahrt und der Wiener Universitätsbibliothek testamentarisch vermacht. Warum? Damit sie der interessierten Nachwelt zur Verfügung stehen. Bruckners Fassungen sind somit jede für sich gültige Werke, die heute zum Glück auch vermehrt aufgeführt werden. Die Fassungsfrage bei Bruckner ist einmalig in der Geschichte der Musik. Sie hat später viele Köpfe beschäftigt und so unsinnige Begriffe wie »Urfassung« oder »Originalfassung« hervorgebracht. Da alle Fassungen von Bruckner stammen, gleichgültig welche Gründe zu ihrer Entstehung führten, sind alle »original« zu nennen.

Die Vierte

Die Vierte entstand 1874. Ihr Name »Romantische« stammt von Bruckner. Warum er diesen Titel fand (keine weitere Symphonie hat einen Beinamen), ist nicht genau zu klären. Er selbst hat dazu nichts weiter gesagt. Vermutlich ist es das Hauptthema der Symphonie: Gleich zu Beginn intonieren die Hörner das berühmte, wunderbar warme und schöne Thema, das mit der Naturquinte einsetzt und dann zu einer kleinen Sext erweitert wird – beides als zutiefst »romantisch« empfundene Klänge. Von der Vierten hat Bruckner vier Fassungen hinterlassen. Zu hören ist die letzte Fassung von 1880 mit neuem Finale und einer hervorragenden Steigerungsanlage, deren harmonischer Gang dann im Adagio der Siebenten wieder aufgegriffen wird. Die Einrichtung für Orgel hat der Wiener Organist Thomas Schmögner (*1964) vorgenommen.

Die Fünfte

Von der Fünften gibt es nur eine Fassung von Bruckners Hand. Denn das Werk, das im Wesentlichen 1875 entstand, aber bis 1887 immer wieder überarbeitet wurde, kam erst 1894 in einer Bearbeitung des mit Bruckner befreundeten Dirigenten Franz Schalk zur Uraufführung.

Die Siebente

Die Siebente, Bruckners meistaufgeführte Symphonie, entstand in den Jahren 1881 bis 1883 und wurde 1884 in Leipzig uraufgeführt. Diese Aufführung bedeutete für Bruckner den Durchbruch zum anerkannten Komponisten und Symphoniker, die Leipziger Presse reagierte enthusiastisch. Und auch eine weitere Aufführung in München ein Jahr später wurde ein grandioser Erfolg. In Wien erklang das Werk erst 1886 und wurde, trotz manch hämischer Bemerkungen von Eduard Hanslick und anderen, vom Publikum gefeiert. Bruckner war endlich auch in Wien angekommen. Während der Arbeit am Adagio, dessen grandiose Steigerungswellen im Höhepunkt ins strahlende, gleichsam himmelsöffnende C-Dur durchbrechen, erhielt Bruckner die Nachricht vom Tode Richard Wagners. Der elegische Schlussteil des Satzes sei, so Bruckner, die »Trauer-Musik um den hochseligen Meister«.

Te Deum

Während der Arbeit an der Siebenten begann Bruckner sein berühmtestes kirchenmusikalisches Stück, das Te Deum. Der Bezug zur Siebenten ist unüberhörbar: Das Hauptthema des mit »Sehr feierlich« überschriebenen Adagio-Satzes übernimmt das »Non confundar in aeternum«-Motiv des Te Deum, und beide Werke haben einen deutlichen Steigerungszug. Es geht hier wie dort um ein Bekenntnis. Bruckner habe, so äußert er 1885, das Te Deum Gott gewidmet »zur Danksagung für so viel überstandene Leiden in Wien«.

Die Achte

Bruckners Achte entstand zwischen 1884 und 1887. Nach der Bemerkung des Dirigenten Hermann Levi, die Symphonie halte er für unaufführbar, verfasste Bruckner bis 1890 die zweite Fassung. »Freilich habe ich Ursache, mich zu schämen – wenigstens für dießmal – wegen der 8ten. Ich Esel!«, antwortete er Levi. Vor allem im ersten Satz sind die Änderungen deutlich. Denn erstmals endet ein Kopfsatz Bruckners nicht im extremen Fortissimo, sondern in einem verebbenden Pianissimo. Die Achte ist die letzte vollendete Symphonie Bruckners – und sie ist seine monumentalste. Mit über achtzig Minuten dauert sie bei weitem länger als die bis dahin »größte« aller Symphonien, nämlich Beethovens Neunte. Und wie diese wird sie wegen ihres gigantischen Umfangs in Konzerten meist allein gespielt.

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KONZERTTIPPS

05 & 06/11/23
So & Mo, 11.00 & 19.30 Uhr · Großer Saal

Bruckner: Symphonie Nr. 8

Wiener Symphoniker
Barbara Rett. Präsentation (05/11/23)
Manfred Honeck Dirigent

Anton Bruckner: Symphonie Nr. 8 c-moll (Zweite Fassung von 1890)

Karten:
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60650
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60651

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08/12/23
Fr, 19.30 Uhr · Großer Saal

Bruckner: Symphonie Nr. 7

ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Vincent van Amsterdam Akkordeon
Markus Poschner Dirigent

Mathilde Wantenaar Akkordeon Concerto (UA)
Anton Bruckner Symphonie Nr. 7 E-Dur

Karten:
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60716

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22/01/24
Mo, 19.30 Uhr · Großer Saal

Orgelabend
Hansjörg Albrecht

Olivier Messiaen: Dieu parmi nous (La nativité du Seigneur)
Anton Bruckner Symphonie Nr. 4 Es-Dur »Romantische« (Bearbeitung für Orgel: Thomas Schmögner)

Karten:
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60779

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15 & 16/02/24
Do & Fr, 19.30 Uhr · Großer Saal

Bruckner: Te Deum

Wiener Symphoniker
Wiener Singakademie
Robert Kovács, Orgel
Louise Alder, Sopran
Sophie Harmsen, Alt
Simon Bode, Tenor
Christof Fischesser, Bass
Constantinos Carydis, Dirigent

Anton Bruckner: Te Deum Präludium C-Dur »Perger Präludium«
Hector Berlioz Symphonie fantastique. Episode de la vie d’un artiste op. 14

Karten:
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60802
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60804

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20/03/24
Mi, 19.30 Uhr · Großer Saal

Bruckner: Symphonie Nr. 7

Wiener Philharmoniker
Martha Argerich, Klavier
Zubin Mehta, Dirigent

Maurice Ravel: Klavierkonzert G-Dur
Anton Bruckner: Symphonie Nr. 7 E-Dur

Karten:
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60875

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23 & 24/05/24
Do & Fr, 19.30 & 19.00 Uhr · Großer Saal

Bruckner: Symphonie Nr. 5

Wiener Symphoniker
Lahav Shani, Klavier, Dirigent

Anton Bruckner: Symphonie Nr. 5 B-Dur
Wolfgang Amadeus Mozart: Klavierkonzert B-Dur K 595 (23/05/24)

Im Anschluss an das Konzert Ausklang im Großen Foyer mit Les Lilas (24/05/24)

Karten:
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60977
https://konzerthaus.at/konzert/eventid/60980

Anton Bruckner in seinem Arbeitszimmer

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