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Das Staatsopernorchester Geigerin Olesya Kurylyak

Das Staatsopernorchester

Musik“, so habe ihr Vater immer gesagt, „sei Mathematik, umgesetzt auf einen zeitlichen Ablauf“. Und tatsächlich: Musik hat viel mit Zahlenverhältnissen, mit Bezügen und Maßeinheiten zu tun, mit rechnerischen Systemen, Perioden und Strukturen. Und mit Genauigkeit. „Und darum“, meint Olesya Kurylyak, „muss beim Geigespielen immer auch der Kopf dabei sein. Wenn man einfach so drauflos musiziert, nur rein aus dem Gefühl heraus, dann hat das zwar einen Reiz – auf Dauer wird es aber zu wenig sein. Vor allem in einem Orchesterverband, in dem man nicht als Solistin herausragen soll, sondern in den man sich einzufügen muss.“

Mathematik hat sie auch – zumindest familiär – am Anfang ihres Lebens umgeben. Kurylyak kommt aus einem nicht-musischen Haushalt, der Vater ein Physiker, die Mutter eine Mathematikerin. Beide achten auf eine dementsprechende Förderung, wünschen sich aber zusätzlich ein Instrumentalstudium ihrer Tochter. Sie entscheidet sich für die Violine, anfangs nur mit Hobbyanspruch, sehr bald aber ist ihre erste Lehrerin ihrem Talent auf der Spur. Mit Begeisterung wird also früh musiziert, wenn auch noch ohne Willen zur beruflichen oder professionellen Zukunft. Wobei: das Üben! Das macht ihr zunächst ebenso wenig Spaß wie den meisten ihrer Altersgenossen, anekdotisch erzählt sie heute, dass sie sich mit dem Lippenstift der Mutter den sogenannten „Übfleck“, also jene leicht entzündete Stelle am Hals jedes Geigers, die durch intensives Spielen entsteht, aufgemalt hat, um ihren Eltern ein höheres Übungspensum vorzugaukeln.

Doch die Zeit bringt Klarheit. Wenige Jahre später lässt Kurylyak Lippenstift Lippenstift sein, der „Übfleck“ wird echt und sie klemmt sich, nach ersten Erfolgen bei Wettbewerben und Konzerten, hinters intensive Üben. Das ist ungefähr auch der Zeitpunkt, an dem die Eltern ihr ein Wirtschaftsstudium vorschlagen. Doch dafür ist es bereits zu spät: „Das hättet ihr euch vor acht Jahren überlegen sollen!“, lautet die schnelle Antwort. Nun geht es Schlag auf Schlag: Sie kommt nach Österreich, um hier an der Musikuniversität weiterzustudie

Geigerin Olesya Kurylyak

ren, Christian Altenburger ist einer der Lehrer, und er fördert sie nach Kräften: „Bis hin zu einem geliehenen wertvollen Instrument für meine zweite Diplomprüfung und für Probespiele!“

Spannend war für sie nicht nur der Wechsel von der Heimat Ukraine in die neue Heimat Österreich, sondern auch der Wechsel von einem musikalischen Lehrsystem in ein anderes. Also: Zunächst ein strenges, präzise vorgegebenes, das einem Grundraster folgt und vor allem für junge Studentinnen und Studenten eine klare Leitlinie definiert, dann deutlich mehr Freiheiten, aber auch weniger systematisches Erarbeiten. „Beides hat seine guten Seiten: In der Ukraine war alles sehr gut organisiert, es hat ein klares System gegeben, wann man was wie lernt. Hier in Österreich musste ich vieles selber herausfinden, hatte aber mehr Freiraum.“ Auf einen Aspekt verweist sie besonders: Auf einen Zyklus der Lemberger Philharmoniker, der talentierten Studentinnen und Studenten die Möglichkeit gibt, regelmäßig in regulären Konzerten mit dem Orchester aufzutreten – und sich so Routine zu erwerben. „Das war Praxis pur!“

Nach einer Zwischenstation in Graz tritt sie beim Probespiel fürs Staatsopernorchester an, am 8. März 2008 übrigens, Startnummer 8; sie gewinnt und wird die – achte – Frau im Orchester, „was nur einmal mehr ein Hinweis darauf ist, dass das Leben eine Achterbahn sein kann“, lacht sie. Was folgt, ist das Aufgehen in einem „großen Organismus“, wie sie es nennt, das Erleben einer Gemeinschaft, die das Paradoxon zu lösen versteht: man ist Teil eines Ganzen, aber immer auch ganz man selbst. „Denken Sie nur“, meint die Geigerin, „in meiner Gruppe, der ersten Violine, sind wir 22. Jeder und jede hat eine eigene Handschrift, eine eigene künstlerische Geschichte und Technik, eigene Vorstellungen. Und doch kann es nur funktionieren, wenn all diese Unterschiede eine Einheit ergeben. Und das, ohne dass auch nur einer seine Persönlichkeit verliert. Denn: Wenn man seine Individualität aufgibt, hat man schon verloren und ist falsch in einem solch wunderbaren Orchester!“ Gleichzeitig – und das macht die besondere Herausforderung aus – muss diese Individualität im Dienst einer Gesamtaufführung, muss unter Beibehaltung der eigenen Freiheit das Gemeinsame im Vordergrund stehen. Woher aber, so stellt sich die Frage, weiß man, dass man Teil des Ganzen ist – und wie lange dauert es, bis man sich dieses Gefühl des Miteinanders erwirbt? „Das geht schnell – entweder man hat es bald, oder es stellt sich gar nicht ein“, meint Kurylyak. „Und man spürt, dass man an dieser oder jener Stelle vielleicht eine Nuance zu laut, zu schnell oder zu „anders“ geklungen hat. Interessanterweise gibt wunderbare Musiker, die solistisch großartig sind, aber niemals lernen, im Orchesterverband zu spielen. Das zu beherrschen ist eine Veranlagung.“ Ebenso wie die Eigenschaft, blitzschnell auf andere reagieren zu können. „Im Orchester, vor allem in der Oper, ist das enorm wichtig! Man hat die Ohren bei den Sängern, man hat sie bei den Kollegen, man geht auf alle ein – und man folgt dem, was auf der Bühne passiert. Diese Sensibilität – das ist das A und O des Orchesterspielens!“ Wobei, das mit den Ohren auf der Bühne seine Tücken haben kann, denn manchmal, so verrät sie, vergisst sie fast den einen oder anderen Einsatz, wenn die Schönheit des Gesanges, des Gesamteindrucks sie packt und fast zu Tränen rührt: „Das sind die Momente, die wir alle kennen, die unbeschreiblich sind: man kann es nicht erklären, spürt aber die ganze Seele eines Menschen in einem Augenblick.“

In dieser Serie werden die Mitglieder des Wiener Staatsopernorchesters vorgestellt.

Doch was macht nun eine, die Teil eines so lebendigen Organismus’ ist, alleine in Zeiten der Theatersperre? Sie nützt die Zeit für ein „technisches Durchputzen“, wie sie es nennt. Also Tonleitern-Üben, die Technik kontrollieren, an der Intonation feilen. „Das mache ich mehrmals im Jahr, damit ich immer in Schuss bleibe – denn durch das Spielen im Orchester könnten sich kleine Unsauberkeiten einschleichen, die ich hiermit wieder korrigiere. Das ist wie ein Pickerl-Check fürs Auto!“, lacht sie. Und bereitet sich so für die Aufnahme des Spielbetriebs vor und freut sich auf die kommenden Abende: in der Oper, im Konzertorchester und als Kammermusikerin! Oliver Láng SERIE

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