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Au revoir, Manuel Legris

Manuel Legris

Geboren in Paris, erhielt Manuel Legris an der

Ballettschule der dortigen Oper seine Ausbildung und wurde im Anschluss 1980 an das Ballett der Pariser Oper engagiert. Sechs Jahre später wurde er vom damaligen Ballettdirektor der Pariser Oper, Rudolf Nurejew, zum Danseur Étoile ernannt. Legris tanzte die großen Partien des klassischen und modernen Repertoires und trat in zahlreichen Uraufführungen hervor. Weltweit absolvierte er Gastspiele mit den renommiertesten Ballettkompanien sowie mit seinem eigenen Ensemble „Manuel Legris et ses Étoiles“. Im Mai 2009 gab er seine Abschiedsvorstellung als Danseur Étoile der Pariser Oper, seither ist er als Gastsolist an diesem Haus sowie an anderen Bühnen in Europa, Asien und Amerika aufgetreten. Häufig führte ihn sein Weg nach Wien, wo er am 27. Jänner 1985 in der Rolle des Béranger in Rudolf Nurejews Raymonda debütierte. Ein Vierteljahrhundert später sollte das Haus am Ring komplett zu seinem Lebensmittelpunkt werden: Mit 1. September 2010 übernahm Manuel Legris die Direktion des nunmehr unter dem Namen „Wiener Staatsballett“ firmierenden Ensembles sowie die künstlerischere Leitung der Ballettakademie der Wiener Staatsoper. In seiner ersten Spielzeit als Direktor des Wiener Staatsballetts präsentierte er die ungewöhnlich hohe Anzahl von insgesamt acht Premieren in beiden Häusern – Wiener Staatsoper und Volksoper Wien. Von Beginn an verriet seine Auswahl dabei spezifische Schwerpunkte, die das Jahrzehnt seiner Wiener Amtszeit ebenso durchgehend wie charakteristisch prägen sollten: ein besonderes Interesse an der Neoklassik, das sich v.a. in zahlreichen, den Choreographen George Balanchine, Jerome Robbins und John Neumeier gewidmeten Produktionen manifestierte, die Pflege der Ballettfassungen wie des Erbes von Rudolf Nurejew sowie des abendfüllenden Handlungsballetts im Allgemeinen, eine grundsätzliche Orientierung am Modell „Ballett der Pariser Oper“ und die Vergabe von Auftragschoreographien. Besonders die seinem Mentor gewidmete Nurejew Gala, die jährlich den Saisonschluss in der Wiener Staatsoper bildete und bei der Manuel Legris 2011, 2012, 2013, 2014, 2015, 2016, 2018 und 2019 auch selbst als Tänzer mitwirkte, wurde rasch zu einer „Wiener Tradition“. Aus der choreographischen Feder Nurejews zeigte das Wiener Staatsballett unter der Leitung von Legris Don Quixote (Premiere am 28. Februar 2011), Der Nussknacker (P.: 7. Oktober 2012), Schwanensee (P.: 16. März 2014) und Raymonda (Wiederaufnahme am 22. Dezember 2016) sowie Ausschnitte (zum Teil gesamte Akte) aus sieben weiteren Balletten bzw. Fassungsvarianten der hier bereits genannten Abendfüller. Onegin (Choreographie: John Cranko), Marie Antoinette (2 Fassungen, Ch.: Patrick de Bana), Die Fledermaus (Ch.: Roland Petit), Max und Moritz (Ch.: Ferenc Barbay, Michael Kropf), Le Concours (Ch.: Maurice Béjart), Ballett: Carmen (Ch.: Davide Bombana), Giselle (Ch.: Elena Tschernischova), La Sylphide (Ch.: Pierre Lacotte), Dornröschen (Ch.: Peter Wright), Anna Karenina (Ch.: Boris Eifman), Romeo und Julia (Ch.: Cranko), Blaubarts Geheimnis (Ch.: Stephan Thoss), Manon (Ch.: Kenneth MacMillan), Ein Sommernachtstraum (Ch.: Jorma Elo), Ein Reigen (Ch.: Ashley Page), Mayerling (Ch.: MacMillan), Giselle Rouge (Ch.: Eifman), La Fille mal gardée (Ch.: Frederick Ashton), Die Schneekönigin (Ch.: Michael Corder), Cendrillon (Ch.: Thierry Malandain), Roméo et Juliette (Ch.: Bombana), Peer Gynt (Ch.: Edward Clug), Coppélia (Ch.: Lacotte) und Peter Pan (Ch.: Vesna Orlic) unterstreichen – alle in diesem Artikel vorgenommenen Reihungen erfolgen chronologisch und mit verkürzten Angaben zur Choreographie – die von Manuel Legris geübte Pflege des abendfüllenden Handlungsballetts. Dabei steuerte er in Wien auch eigene choreographische Beiträge zur Gattung bei: Am 20. März 2016 gelangte seine erste abendfüllende Choreographie Le Corsaire in der Wiener Staatsoper zur Uraufführung, am 10. November 2018 folgte ebendort – als Koproduktion mit dem Teatro alla Scala – Sylvia. An kürzeren Choreographien von Manuel Legris waren – ebenfalls als Uraufführungen – Donizetti Pas de deux (P.: 29. Jänner 2011, Volksoper Wien), Ausschnitte aus Die Bajadere (P.: 27. April 2013, Volksoper Wien) sowie die 2018 in Japan uraufgeführte Zusammenstellung Nureyev Celebration zu sehen.

Bereits genannte Werke eingerechnet, kam es während seiner Direktionszeit zu 28 choreographischen Uraufführungen von de Bana, Legris, Boris Nebyla, András Lukács, Orlic, Susanne Kirnbauer, Andrey Kaydanovskiy, Eno Peci, Natalia Horecna, Page, Daniel Proietto, Bombana und Pontus Lidberg in der Wiener Staatsoper und Volksoper Wien bzw. auf Gastspielen – drei weitere konnten wegen der Covid-19 bedingten Schließung nicht mehr realisiert werden. Dazu kommen Uraufführungen bei den Eröffnungen des Wiener Opernballs, der Neujahrskonzerte der Wiener Philharmoniker und den Veranstaltungen der Ballettakademie in der Wiener Staatsoper wie andernorts, deren künstlerische Leitung Manuel Legris schließlich nur bis zum Ende der Spielzeit 2018/2019 innehatte. Von 42 ChoreographInnen kamen erstmals Werke zur Aufführung beim Wiener Staatsballett: Twyla Tharp, de Bana, Jirˇí Bubenícˇek, Paul Lightfoot und Sol León, Marco Goecke, Legris, Lacotte, Arthur Saint-Léon, Jacques Garnier, José Martínez, Nils Christe, Serge Lifar, Orlic, Thoss, David Dawson, Helen Pickett, Jean-Christophe Maillot, Kirnbauer, Kaydanovskiy, Peci, Agrippina Waganowa, Horecna, Page, Malandain, Alexander Ekman, Attila Bakó, Trevor Hayden, Joseph Lazzini, Bigonzetti, Christopher Wheeldon, Corder, Philippe Kratz, Edwaard Liang, Angelin Preljocaj, Proietto, Liam Scarlett, Wayne McGregor, Clug, Pjotr Gussew, Pontus Lidberg und Nacho Duato. An einaktigen Werken gingen unter Legris Thema und Variationen (Ch.: Balanchine), Variationen über ein Thema von Haydn (Ch.: Tharp), The Vertiginous Thrill of Exactitude (Ch.: Forsythe), Le Souffle de l’esprit (Ch.: Bubenícˇek), Glow – Stop (Ch.: Elo), Skew-Whiff (Ch.: Lightfoot, León), Bella Figura (Ch.: Kylián), Glass Pieces, In the Night und The Concert (alle drei Ch.: Robbins), Stravinsky Violin Concerto (Ch.: Balanchine), Suite en Blanc (Ch.: Lifar), Before Nightfall (Ch.: Christe), L’Arlésienne (Ch.: Petit), Nachmittag eines Fauns (Ch.: Nebyla), Bolero (Ch.: Lukács), Carmina Burana (Ch.: Orlic), Bach Suite III (Ch.: Neumeier), A Million Kisses to my Skin (Ch.: Dawson), Eventide (Ch.: Pickett), Windspiele (Ch.: de Bana), Vers un Pays Sage (Ch.: Maillot), Das hässliche Entlein (Ch.: Kaydanovskiy), Tausendundeine Nacht (Ch.: Orlic), The Second Detail (Ch.: Forsythe), Contra Clockwise Witness (Ch.: Horecna), Études (Ch.: Lander), Vaslaw (Ch.: Neumeier), Allegro Brillante (Ch.: Balanchine), Vier letzte Lieder (Ch.: van Dantzig), Mozart à 2 und Don Juan (beide Ch.: Malandain), Verklungene Feste und Josephs Legende (beide Ch.: Neumeier, die Josephs Legende dabei in der Hamburger Neufassung von 2008), Adagio Hammerklavier (Ch.: van Manen), Cacti (Ch.: Ekman), Fool’s Paradise (Ch.: Wheeldon), The Four Seasons (Ch.: Robbins), Symphonie in C (Ch.: Balanchine), Murmuration (Ch.: Liang), Blanc (Ch.: Proietto), Le Pavillon d’Armide und Le Sacre (beide Ch.: Neumeier), Petruschka (Ch.: Peci), Movements to Stravinsky (Ch.: Lukács), Der Feuervogel (Ch.: Kaydanovskiy), Concerto (Ch.: MacMillan), EDEN|EDEN (Ch.: McGregor), Marguerite and Armand (Ch.: Ashton), Artifact Suite (Ch.: Forsythe), Trois Gnossiennes (Ch.: van Manen), Psalmensymphonie (Ch.: Kylián), Between Dogs and Wolves (Ch.: Lidberg) und White Darkness (Ch.: Duato) über die Bühne. Als besondere „Klammer“ seines Wirkens in Wien sei das Ballett Jewels von Balanchine genannt, dessen Teil Rubies am 24. Oktober 2010 bei der ersten Premiere seiner Direktionszeit in der Wiener Staatsoper zu sehen war und das am 2. November 2019 ebendort die letzte abendfüllende Premiere seiner Amtszeit bildete. Gastspiele führten das Wiener Staatsballett unter der Leitung von Manuel Legris nach Versailles und Monte Carlo (2011), Japan (2012 und 2018), Belgrad und Paris (2013), in den Oman (2014), nach Tampere und Granada (2015), St. Petersburg (2015, 2016 und 2019), Madrid (2017) und Brünn (2018). Darüber hinaus entstanden DVD- bzw. Blu-ray-Produktionen von Der Nussknacker, Schwanensee, Don Quixote und Le Corsaire; Peer Gynt und Sylvia wurden für das TV aufgezeichnet. 2018 zum Ehrenmitglied der Wiener Staatsoper ernannt, ist Manuel Legris seit Februar dieses Jahres designierter Ballettdirektor der Mailänder Scala – mit Ende der Spielzeit 2019/2020 endet seine Funktionsperiode im Haus am Ring. Oliver Peter Graber

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