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MIT SPIELERISCHER FREUDE

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Erinnerungen an Meisterregisseur

Jean-Pierre Ponnelle

Mit Sicherheit ging Jean-Pierre Ponnelle während der Probenarbeit mit den Sängerinnen und Sängern nicht immer sanft und behutsam um. Und auch Dirigenten mussten mitunter die eine oder andere harsche Zurechtweisung erdulden. Aber diese scheinbare Unbarmherzigkeit war immer im Dienste der Sache, ein Ergebnis seiner Leidenschaftlichkeit, mit der er zum Kern eines Werkes vorzudringen trachtete. Gerade bei der Erarbeitung seiner vielgerühmten Inszenierung des veristischen Doppelpacks Cavalleria rusticana / Pagliacci war die innere Spannung, die den hochmusikalischen Ponnelle umtrieb, besonders augenfällig. Er war keiner, der sich auch nur eine Sekunde dazu verleiten ließ, irgendeinen Moment aus seinem fertig erstellten Regiebuch »abzuinszenieren«. Im Gegenteil: Sehr frei probierte er unentwegt immer wieder neue Gedanken aus, verwarf bestehende Lösungen, um sie durch bessere zu ersetzen. Selbst dann, wenn es sich um die Einstudierung einer bereits bestehenden Produktion handelte, wie im Falle seiner Cavalleria / Pagliacci-Inszenierung, die die Wiener Staatsoper 1985 von einer anderen Bühne gewissermaßen importierte. Für Ponnelle handelte es sich in diesem Fall um kein fertiges Produkt, das lediglich an einem neuen Ort mit neuen Interpreten aufgewärmt werden sollte. An manchen, scheinbar unbedeutenden Details verbiss er sich geradezu, für die kurze Sequenz, in der Arlecchino in einem parodistisch-gemimten Telefongespräch mit Colombina das »Telefonkabel« passend zu den immer höher werdenden Pizzicati der Streicher Stück für Stück verkürzt, »verbrauchte« er beispielsweise nahezu eine komplette Vormittagsprobe. Aber das Resultat gab seiner auf Präzision bedachten Unnachgiebigkeit letztendlich immer Recht.

Ponnelle sah vor seinem inneren Auge stets eine konkrete Situation, eine Atmosphäre, ein Bild, das er auf der Bühne zum Leben erwecken wollte. Er hat selten etwas vorgezeigt, sondern seine Vorstellungen lieber erklärt. Eindringlich erklärt und die Sänger zugleich eingeladen, am Zustandekommen eines Gedankens Teil zu haben. Meist saß er hochkonzentriert etwas vorgeneigt auf einem Sessel, verfolgte das Geschehen während der Probe, korrigierte, ja provozierte gelegentlich, um noch mehr aus den Beteiligten herauszuholen. Er kannte aber auch seinem eigenen künstlerischen Schaffen gegenüber kein Pardon. Und wenn er sich etwa auf einem inszenatorischen Irrweg verlief, gestand er dies unumwunden zu: So wollte er zum Beispiel gegen Ende der Cavalleria, beim »Bruderkuss« Alfios und Turiddus, den bedrohlichen Mafia-Anstrich des Herrenchores noch augenscheinlicher machen und verpasste den dunkel gewandeten Männern zu den schwarzen Hüten auch noch entsprechende Sonnenbrillen. Die Plattheit dieses Regiegedankens eingestehend, ließ Ponnelle besagte Brillen eine Probe später jedoch wieder verschwinden.

Der Gedanke hingegen, das Bühnenbild des Cavalleria-Dorfes nach der Pause gewissermaßen »umzudrehen« und dadurch Pagliacci in einem anderen Ausschnitt des gleichen Dorfschauplatzes spielen zu lassen, zeigt einmal mehr Ponnelles Genialität. Zum einen kommt er, der gewiefte Theaterpraktiker, durch diesen Kunstgriff der Bühnentechnik des Hauses entgegen, die somit nicht zwei komplett unterschiedliche Dekorationen an einem Abend bereitzustellen hat, zum anderen sind dadurch die beiden traditionell an einem Abend gespielten, doch sehr unterschiedlichen Werke auch optisch miteinander verwoben, sodass ein schöner Bogen über die gesamte Vorstellung gespannt wird.

Als inhaltlich verbindend sah Ponnelle in den beiden Stücken die großen menschlichen Konflikte an, die durch gesellschaftliche oder familiäre Korsette bedingt werden. In Cavalleria rusticana unterstreicht er in seiner Inszenierung die Stärke der einzelnen Frauen, die sich aber unter dem Druck des vorherrschenden stockreaktionären Machotums kaum oder nur innerhalb bestimmter Konventionen zu artikulieren traut. Selbst im Moment der Tötung Turiddus, des Sohnes beziehungsweise Geliebten, dürfen Mamma Lucia und Santuzza nach außen hin keine Regung des Schmerzes zeigen. Innerlich zusammenbrechend stehen sie dem Publikum nahezu erstarrt gegenüber, ganz im Gegensatz zu den Klageweibern im Hintergrund, die den unterdrückten Gefühlen »offiziell« Raum geben. In Pagliacci ist es hingegen das Moment der Sehnsucht, der Wunsch Neddas nach einem anderen, freien Leben, widergespiegelt im Flug der Vögel, der zum letalen Ende führt. Es ist ja nicht so, dass Nedda Canio hasst. Die beiden sind ein eingespieltes Team, sie weiß von seiner großen Liebe, fühlt sich bei ihm geborgen, schätzt ihn wahrscheinlich sogar. Aber Silvio rührt eine Ebene in ihr, die Canio fremd ist, die Nedda in diesem für sie kerkerartigen Kosmos der Schauspielerwelt nicht findet.

Die Inszenierung der beiden (übrigens in die 1930er-Jahre verlegten) Stücke lebt nicht zuletzt von zahlreichen Nuancen, Farben, kleinen Gesten: Santuzzas nur angedeutete Schwangerschaft, die ihre Situation umso auswegloser erscheinen lässt, die Tatsache, dass sie von Anfang an offenbar erkennt, dass Alfio vom Ehebruch seiner Frau ganz genau Bescheid weiß, die Verstärkung der Couleur locale durch die Einbeziehung der in der italienischen Gesellschaft so wichtigen Kinder, die unter Eberhard Waechter leider gestrichene poetische Pantomime im Vorspiel der Pagliacci, das am Horizont erscheinende winzige und immer größer werdende Auto der herannahenden Komödiantentruppe – solche und ähnliche nur scheinbaren Nebensächlichkeiten beweisen, mit welcher spielerischen Freude Jean-Pierre Ponnelle diese Inszenierungen bereichert hat, die daher selbst nach dreieinhalb Dezennien geradeso unverbraucht und gültig erscheinen wie am Premierentag.

Aus der Erstaufführungskritik der Wiener Zeitung, 1893

Der gestrige Erfolg des »Bajazzo« in der Hofoper war ein durchschlagender. Der Komponist und die Mitwirkenden wurden zu unzähligen Malen von dem enthusiasmirten Publicum hervorgejubelt, und es ist zweifellos, dass nunmehr, für lange Zeit, das Leoncavallo’sche Werk das Zugstück des Repertoires bilden wird.

Andreas Láng

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