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A VENTITRÈ ORE!

Über den Vorstellungsbeginn der Commedia

Canios Reklame auf dem Dorfplatz scheint erstaunlich: »A ventitrè ore«, also »um 23 Uhr« für den Mariä-Himmelfahrts-Tag kündigt er eine »große Vorstellung« an. Beginnt das Theaterstück wirklich erst um elf Uhr abends? An einem heißen Augusttag in Kalabrien mag man sich das vorstellen, immerhin wäre es dann vielleicht angenehm kühl. Doch wie lässt sich dann die Aussage Beppes verstehen, die Leute kämen direkt aus der Kirche in die Vorstellung – feiert man etwa auch Gottesdienste um diese späte Zeit? Nein, zuvor sind die Gottesdienstbesucher unter Geläut der Vesperglocken (»Ding, Dong«) in die Kirche eingezogen. Weder verbringen sie dort fünf Stunden noch lässt die Opernhandlung Raum für einen weiteren Feiertagsgottesdienst.

Die Lösung des Rätsels liegt in einer anderen Stundenzählung. Nicht von Mitternacht bis Mitternacht zählen die Figuren von Pagliacci, sondern von Sonnenuntergang bis zum nächsten Sonnenuntergang. Diese Zählung ist unter dem Namen »Italienische Stunden« bekannt und war noch bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts vor allem in Italien gebräuchlich. Da die Sonne in Kalabrien Mitte August um kurz vor acht untergeht, beginnt die Vorstellung also gegen 19 Uhr, die Feiertagsvesper entsprechend früher, vielleicht um 18 Uhr. Die Handlung setzt um 15 Uhr ein, die Regieanweisung macht diese Zeitangabe in gewohnter Stundenzählung: »Es ist drei Stunden nach Mittag, die Augustsonne brennt heiß«. Die Handlung läuft dann ohne Sprünge vor unserem Auge ab, nur vergeht die Zeit durchschnittlich mit vierfacher Geschwindigkeit: Während für Nedda, Canio, Silvio und die anderen gut vier Stunden vergehen, sind es für uns Zuschauer nur eine.

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