8 minute read
CAVALLERIA RUSTICANA
Als Turiddu Macca, der Sohn der Frau Nunzia, von seinem Militärdienst heimgekehrt war, stolzierte er jeden Sonntag auf dem Marktplatz herum, bevor er sich auf die Bank bei dem Kanarienvogelkäfig setzte, in seiner schönen Bersaglieri-Uniform samt der roten Mütze, die einem Würfelbecher ähnelte. Die Mädchen verschlangen ihn mit den Augen, wenn sie mit gesenktem Kopf zur Messe gingen, und die Gassenbuben umschwärmten ihn wie Fliegen. Er hatte auch eine Pfeife mit einem lebensnahen Bildnis des Königs zu Pferde mitgebracht, und zündete die Streichhölzer auf der Rückseite seiner Hose an, dabei das Bein hebend, als wenn er einen Fußtritt austeilen wolle. Aber trotzdem hatte sich Meister Angelos Tochter Lola weder in der Messe noch auf dem Balkon blicken lassen, denn sie war inzwischen die Verlobte eines Mannes aus Licodia geworden, der Fuhrmann war und vier Maultiere aus Sortino im Stall hatte. Als Turiddu davon erfuhr, schwor er zuerst, er wolle – Heiliger Teufel! – sich die Eingeweide herausreißen, er wolle dem aus Licodia das Herz aus dem Leib reißen! Aber er tat nichts davon, sondern reagierte sich ab, indem er unter dem Fenster der Schönen alle wütenden Lieder sang, die er kannte.
»Nunzias Turiddu scheint nichts zu tun zu haben«, sagten die Nachbarn, »wenn er die Nacht damit verbringt, wie ein einsamer Sperling zu singen.«
Endlich begegnete er Lola, die von ihrer Wallfahrt zu der Madonna del Pericolo heimkehrte, und als sie ihn sah, wurde sie weder blass noch rot, beinahe so, als ob er sie nichts anginge.
»Glücklich ist der, der dich sieht!« sagte er ihr.
»Oh, Freund Turiddu, man hat mir erzählt, dass Ihr seit dem Monatsersten zurück wärt.«
»Mir hat man auch noch andere Dinge erzählt«, antwortete er. »Ist es wahr, dass Ihr Freund Alfio, den Fuhrmann, heiraten werdet?«
»Wenn es Gottes Wille ist!« antwortete Lola und zog sich die beiden Zipfel ihres Kopftuches über das Kinn.
»Den Willen Gottes, den macht Ihr Euch zurecht, wie es Euch in Eure Rechnung passt. So war es wohl auch Gottes Wille, dass ich aus der Fremde zurückkehren musste, um diese gute Nachricht zu erhalten, Lola?«
Der Ärmste versuchte noch, tapfer zu bleiben, aber die Stimme war ihm heiser geworden. Und er ging hinter dem Mädchen her und schwang die Quaste seiner Mütze, so dass sie ihm von der linken auf die rechte Schulter schlug. Lola tat es leid, ihn mit so langem Gesicht zu sehen, aber sie hatte nicht das Herz, ihn mit schönen Worten zu schmeicheln.
»Hört mal, Freund Turiddu«, sagte sie schließlich, »lasst mich zu meinen Freundinnen gehen. Was würden sie im Dorf sagen, wenn sie mich mit Euch zusammen sehen?«
»Ihr habt recht«, antwortete Turiddu, »jetzt, wo Ihr Freund Alfio heiratet, der vier Maultiere im Stalle hat, dürft Ihr den Leuten keinen Grund für Gerede liefern. Meine Mutter hingegen, die Arme, hat unser braunes Maultier und das Stück Weinberg an der Straße verkaufen müssen, während ich Soldat war. Die Zeiten sind vorbei, und Ihr denkt nicht mehr an die Zeit, in der wir durch das Hoffenster miteinander sprachen und Ihr mir vor der Abreise dieses Taschentuch schenktet. Gott weiß, wie viel Tränen ich da hineingeweint habe, als ich soweit fortziehen musste, dass dort niemand mehr den Namen unseres Dorfes kannte. Adieu denn, Lola, es hat gewittert und wieder aufgeklart, unsere Freundschaft ist beendet.«
Frau Lola heiratete den Fuhrmann, und sonntags stand sie auf dem Balkon und verschränkte die Hände über dem Bauch, damit man all die dicken goldenen Ringe sehen konnte, die sie von ihrem Mann geschenkt bekommen hatte. Turiddu ging nach wie vor auf der Straße auf und ab, mit der Pfeife im Mund, den Händen in der Tasche und gleichgültiger Miene schaute er die Mädchen an; aber in seinem Inneren litt er darunter, dass Lolas Mann all das Gold hatte und dass sie vorgab, ihn nicht zu sehen, wenn er vorbeikam. »Ich will es unmittelbar vor den Augen dieser Schlampe tun!« murmelte er.
Gerade gegenüber von Alfio wohnte Meister Cola, der Weinbergbesitzer, der schweinereich war, wie man sagte, und eine Tochter im Hause hatte. Turiddu sagte und tat einiges, bis er für Meister Cola arbeiten durfte, in dessen Haus ein- und ausging und süße Worte zu den Mädchen sagen konnte.
»Warum sagt Ihr denn alle diese hübschen Dinge nicht lieber Frau Lola?« sagte Santa.
»Frau Lola ist jetzt eine vornehme Dame! Sie hat einen König geheiratet.«
»Ich bin wohl eines Königs nicht wert?«
»Ihr seid hundertmal mehr wert als alle Lolas, und ich weiß einen, der die Lola nicht mit einem Auge mehr ansehen würde, wenn Ihr dabei wäret, denn Lola ist nicht wert, Eure Schuhe zu tragen, sie ist es nicht wert.«
»Der Fuchs, dem die Trauben zu hoch hingen …«
»… sagte: ›Wie bist du doch so schön, sizilianisches Träubchen!‹
»He! Weg mit den Händen, Freund Turiddu.«
»Habt Ihr Angst, dass ich Euch aufesse?«
»Ich habe weder vor Euch noch vor Eurem Gott Angst.«
»So! Eure Mutter stammte aus Licodia, wie ich weiß! Ihr habt streitsüchtiges Blut! Oh, wie ich Euch mit den Augen verschlingen möchte!«
»Verschlingt mich meinetwegen mit den Augen, wenn Ihr dabei keine Krümel macht, aber helft mir erstmal, dieses Bündel hochzuheben. «
»Für Euch würde ich das ganze Haus hochheben, ja, das würde ich.«
Um nicht rot zu werden, warf sie mit einem Stück Holz nach ihm, das sie unter dem Arm hatte, aber wie durch ein Wunder traf sie ihn nicht.
»Beeilen wie uns, durchs Plaudern werden die Zweige nicht zusammengebunden.«
»Wenn ich reich wäre, würde ich mir eine Frau suchen, wie Ihr es seid, Frau Santa.«
»Ich heirate keinen König wie Gevatterin Lola, aber meine Mitgift habe ich auch, wenn mir der Herr jemanden schickt.«
»Das wissen wir, dass Ihr reich seid, das wissen wir.«
»Wenn Ihr das wisst, dann beeilt Euch, denn der Vati muss gleich kommen und soll mich nicht im Hof finden.«
Vati zog ein Gesicht, aber das Mädchen tat, als ob sie es nicht bemerke, denn die Quaste der Bersaglieri-Mütze hatte ihr Herz gekitzelt und tanzte ihr beständig vor den Augen. Wenn der Vati Turiddu die Tür vor der Nase zuschlug, öffnete die Tochter ihm das Fenster und schwatzte den ganzen Abend mit ihm, sodass die ganze Nachbarschaft von nichts anderem mehr sprach.
»Du machst mich noch verrückt«, sagte Turiddu, »ich verliere den Schlaf und den Appetit.«
»Geschwätz.«
»Ich möchte der Sohn Vittorio Emanueles sein, um dich heiraten zu können.«
»Geschwätz.«
»Ich schwöre bei der Madonna, dass ich dich essen möchte wie Brot.«
»Geschwätz.«
»Ah! Auf meine Ehre!«
»Ah! Mamma mia!«
Lola, die jeden Abend von ihrem Fenster aus hinter ihren Basilikumtöpfen versteckt zuhörte, wurde blass und rot, und eines Tages rief sie Turiddu.
»Und, Freund Turiddu, grüßt Ihr die alten Freunde nicht mehr?«
»Ach«, seufzte der junge Mann, »glücklich der, der Euch begrüßen darf!«
»Wenn Ihr die Absicht habt, mich zu grüßen – Ihr wisst ja, wo ich wohne«, antwortete Lola.
Turiddu kam so oft, um sie zu grüßen, dass Santa es bemerkte und ihm das Fenster vor der Nase zuschlug. Die Nachbarn zeigten mit einem Lächeln oder einer Kopfbewegung auf den Besagliere, wenn er vorbeiging. Lolas Mann war mit seinen Maultieren auf den Märkten unterwegs.
»Sonntag will ich beichten gehen, denn ich habe heute Nacht von schwarzen Trauben geträumt«, sagte Lola.
»Lasst es lieber, lasst es!« flehte Turiddu.
»Nein, jetzt wo Ostern naht, würde mein Mann wissen wollen, warum ich nicht zur Beichte gegangen bin.«
»Ah!« murmelte Meister Colas Tochter Santa, die kniend vorm Beichtstuhl wartete, bis sie an die Reihe kam, während Lola sich von ihren Sünden reinwusch. »Bei meiner Seele, ich möchte dich nicht zur Buße nach Rom schicken.«
Freund Alfio kehrte mit seinen Maultieren zurück und brachte seiner Frau ein neues Kleid für das Fest mit.
»Ihr habt Recht, ihr Geschenke zu geben«, sagte Nachbarin Santa zu ihm, »denn wenn ihr fort seid, schmückt eure Frau das Haus.«
Freund Alfio gehörte zu jenen Fuhrleuten, die die Mütze auf den Ohren tragen, und als er hörte, dass so von seiner Frau gesprochen wurde, wechselte er die Farbe, als wäre er erstochen worden.
»Heiliger Teufel!« rief er aus, »wenn es nicht richtig gesehen habt, werde ich Euch und Eurer ganzen Verwandtschaft keine Augen zum Weinen übrig lassen!«
»Ich bin nicht gewohnt zu weinen!« antwortete Santa. »Ich habe nicht einmal geweint, als ich mit diesen meinen Augen sah, wie Frau Nunzias Turiddu nachts in das Haus zu Eurer Frau ging.«
»Gut«, antwortete Freund Alfio, »vielen Dank.«
Seit der Kater heimgekehrt war, ging Turiddu nicht mehr tagsüber in der kleinen Straße herum, und bekämpfte die Langeweile mit Freunden im Wirtshaus; und am Vorabend von Ostern hatten sie einen Teller Wurst vor sich. Als Freund Alfio eintrat, verstand Turiddu gleich an der Art, wie er ihn ansah, weswegen er gekommen war, und legte die Gabel auf den Teller.
»Habt Ihr Befehle für mich, Freund Alfio?« sagte er.
»Keine Bitte, Freund Turiddu, ich habe Euch eine Weile nicht gesehen und wollte mit Euch über die Sache sprechen, die Euch bekannt ist.«
Turiddu bot ihm erst ein Glas an, aber Freund Alfio schob es beiseite. Dann stand Turiddu auf und sagte:
»Ich bin hier, Freund Alfio.«
Der Fuhrmann warf die Arme um seinen Hals.
»Wenn Ihr morgen früh zu den Kaktusfeigen von Canziria kommen wollt, können wir über die Angelegenheit sprechen, Freund.«
»Erwartet mich bei Sonnenaufgang auf der großen Straße, wir gehen dann gemeinsam hin.«
Bei diesen Worten tauschten sie den Kuss der Herausforderung aus. Turiddu drückte die Zähne ins Ohr des Fuhrmanns und gab dadurch das Versprechen, nicht ausbleiben zu wollen.
Die Freunde ließen ganz still die Wurst stehen und begleiteten Turridu bis nach Hause. Frau Nunzia, die Arme, wartete jeden Abend bis spät in die Nacht auf ihn.
»Mamma«, sagte Turiddu, »wisst Ihr noch, wie ich Soldat wurde und Ihr nicht glaubtet, dass ich zurückkommen würde? Gebt mir einen Kuss wie damals, denn morgen werde ich weit weggehen.«
Vor Tagesanbruch holte er sein Taschenmesser hervor, das er seit seiner Einberufung unter dem Heu versteckt hatte, und machte sich auf den Weg zu den Kaktusfeigen von Canziria.
»O Jesus Maria! Wohin geht Ihr so wütend?« weinte Lola erschreckt, als ihr Mann gehen wollte.
»Ich gehe nicht weit«, antwortete Freund Alfio, »aber für Euch wäre es besser, wenn ich nicht wiederkäme.«
Lola kniete im Nachthemd vor dem Fußende des Bettes, drückte den Rosenkranz an die Lippen, den Bruder Bernhardino ihr aus dem Heiligen Land mitgebracht hatte, und rezitierte so viele Ave-Marias, wie sie konnte.
»Freund Alfio«, begann Turiddu, nachdem er ein Stück des Weges neben seinem Begleiter hergegangen war, der stumm blieb und die Mütze über die Augen gezogen hatte. »So wahr Gott lebt: weiß ich, wie sehr ich im Unrecht bin und mich töten lassen müsste. Aber ehe ich hierher kam, habe ich meine Alte gesehen, die aufgestanden ist, um mich weggehen zu sehen, unter dem Vorwand, die Hühner zu versorgen, als ob das Herz zu ihr gesprochen hätte. So wahr Gott lebt: Ich werde Euch töten wie einen Hund, damit ich meine liebe Alte nicht zum Weinen bringe.«
»So ist es gut«, antwortete Freund Alfio, als er seine Weste auszog, »wir werden beide hart zuschlagen.«
Beide waren gute Kämpfer. Turiddu bekam den ersten Schlag ab und fing ihn noch rechtzeitig mit den Armen ab; als er zurückstieß, traf er gut und zielte auf die Leiste.
»Ah! Freund Turiddu! Ihr wollt mich wirklich umbringen!«
»Ja, ich habe es Euch ja gesagt; seit ich meine Alte im Hühnerstall gesehen habe, habe ich ihr Bild immer vor Augen.«
»Macht die Augen weit auf«, schrie ihm Freund Alfio zu, »jetzt gebe ich Euch das gleiche Maß zurück!«
Als er zusammengekauert in Deckung dastand, die rechte Hand auf der Wunde, die ihn schmerzte, beinahe mit dem Ellenbogen über den Boden schleifend, griff er schnell eine Hand voll Staub und warf sie dem Gegner in die Augen.
»Ah!« heulte Turiddu geblendet. »Ich bin tot …«
Er versuchte, sich mit verzweifelten Sprüngen rückwärts zu retten, aber Freund Alfio traf ihn mit einem weiteren Messerstich in den Bauch und einem dritten in die Kehle.
»Und drei! Der ist für das Haus, dass du mir geschmückt hast. Jetzt wird deine Mutter die Hühner sein lassen.«
Turiddu fuchtelte noch hier und da in den Kaktusfeigen herum und fiel dann um wie ein Felsbrocken. Das Blut sprudelte gurgelnd aus seinem Hals und er konnte nicht einmal mehr sagen: »Oh, Mamma mia!«
Alles, was ich sagen kann, ist, dass die Sänger große Hingabe zeigen, und dass die Musiker vollkommen verrückt sind nach meiner Oper.
Alles lässt mich an einen Sieg glauben, aber ich habe so große Angst …