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Magische Wahlverwandtschaft
Else Lasker-Schüler und Nora Gomringer
Nora Gomringer erhält den Else Lasker-Schüler-Lyrikpreis 2022. Die mit 3 000 Euro vom Literaturbüro NRW finanzierte Auszeichnung wird ihr von der Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft am 20. Mai in Wuppertal in einem
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Nora Gomringer, Foto: Judith Kinitz
Festakt übergeben. Einen Tag später schlüpft die frisch gekürte ELS-Preisträgerin im Solinger Zentrum der verfolgten Künste in die Rolle der Elberfelder Dichterin.
Selten wohl hat eine Preisträgerin eines Literaturpreises so gut zu der Dichterin gepasst, in deren Namen sie geehrt wird: Nora Gomringer verehrt Else Lasker-Schüler und hat schon zahlreiche Gedichte der Elberfelder Dichterin in ihre Textkonzerten eingewoben. Sowohl für Else Lasker-Schüler als auch für Nora Gomringer gilt, dass für sie Leben und Schreiben untrennbar miteinander verbunden sind. Beiden ist gemeinsam, dass es ihnen ein existenzielles Bedürfnis ist, das Gedichtete auch vorzutragen. Wobei vortragen zu kurz greift: Beide versuchen, im Vorlesen eine magische, archaische Nähe zum Gedicht herzustellen. Text und Performance, manchmal auch Musik, verschmelzen zu einer ästhetischen Einheit. So erscheint die Verleihung des Else Lasker-Schülerpreises an Nora Gomringer fast zwingend. Umso spannender wird es zu erleben sein, wie die Preisträgerin in dem Live-Hörspiel Längst lebe ich vergessen im Gedicht am 21. Mai in die Rolle der Elberfelder Dichterin schlüpft.
In der Begründung für die Verleihung des Else-LaskerSchüler-Lyrikpreises heißt es u.a.: „In ihrer Lyrik reflektiert die Autorin ihre eigene Existenzsituation immer wieder neu und überraschend. Nora Gomringers Sprache ist geprägt von verstörenden, sich dem unmittelbaren Verständnis entziehenden chiffrenhaften Sprachbildern, die wie von innen die Verse erleuchten. Mit ihren Gedichten appelliert sie weniger an die Vernunft, dafür mehr an das in den inneren Tiefen ihrer Leserschaft verortete Weltverständnis. Ihre Gedichte evozieren eine verstörend-betörende Magie. Dabei verdichtet Nora Gomringer ihre Gedankenempfindungen häufig in dezidiert kurzen Versen und Sentenzen.“ Mit dem Else Lasker-Schüler-Lyrikpreis wurden bislang Thomas Kling, Friedrike Mayröcker, Safiye Can, afghanische Jugendliche, die ihre Flucht poetisch verarbeitet haben, und die deutsch-amerikanische Dichterin Geertje Suhr ausgezeichnet.
In der Urkunde für die aktuelle Preisträgerin wird darauf hingewiesen, dass die Dichterin Gomringer ähnlich wie die Malerpoetin Else Lasker-Schüler „auch als Performerin erfolgreich“ und als Filmemacherin gefragt sei. Else LaskerSchüler selbst nannte sich „Kinoniterin“ und träumte davon, Filme zu drehen.
Die thematische Spannbreite – so heißt es im Urkundentext – ihrer Gedichte und kurzen Filme umfasse Krankheit, Glaube, Trauerarbeit, Einsamkeit, Ironie und immer eine hintergründige Verspieltheit, die dem Rezipienten in Mary-Poppins-Manier die bittere Medizin versüße. So sei es wohl auch zu verstehen, „dass Nora Gomringer als eine der heitersten Dichterinnen ihrer Zeit gilt.“ Nora Gomringer belebt das Gedächtnis an andere Dichter mit Programmen zu Mascha Kaléko, Wolfgang Borchert und Dorothy Parker - an Else Lasker-Schüler erinnert sie zusammen mit ihren musikalischen Kollegen Philipp Scholz und Günter ‚Baby‘ Sommer.
Heiner Bontrupp
Festakt in der Stadtsparkasse
Freitag, 20. Mai 2022, 19 Uhr, Forum der Stadtsparkasse Wuppertal, Islandufer 15, 42103 Wuppertal Begrüßung: Gunther Wölfges Grußwort: Oberbürgermeister
Professor Dr. Uwe Schneidewind
Gesang: Margaux Kier Vertonungen von Gedichten Else Lasker-Schülers Piano: Jura Wajda und Uli Johannes Hommage an Else Lasker-Schüler Laudatio: Heiner Bontrup Rezitation von Gedichten Nora Gomringers: Luise Kinner Moderation: Hajo Jahn