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„Die Kunst ist der nächste Nachbar der Wildnis“

#wERDschätzung #Krautschau: Die Pflanzenwelt der Pflasterritzen – Michael Felstau, Uta Atzpodien, Mansa Sabaghian Fotos: Ralf Silberkuhl

Gemeinsam dem Genie der Natur mehr Raum geben

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Kunst, Kultur und Natur zusammenzubringen, hat sich in Wuppertal die partizipative Kunst- und Mitweltaktion [plan · e]: planet

erde vorgenommen. Das Kernteam besteht aus dem in Wuppertals Urbane Gärten aktiven Michael Felstau, der Dramaturgin Uta Atzpodien und der bildenden Künstlerin Mansa Sabaghian, die aus dem Iran stammt. Sie berichten im Gespräch mit beste-Zeit-Redakteurin Anne-Kathrin Reif über die Erfahrungen im Laufe des Jahres 2021.

Fridays for future, Foto: Ralf Silberkuhl

Schon immer inspiriert die Natur die Kunst. Kunst vermag, die Natur für Menschen neu und sinnlich erfahrbar zu machen, Fragen zu stellen, Missstände aufzudecken. In unseren hochindustrialisierten Gesellschaften beuten Menschen vielseitig den Planeten Erde aus. Die vielfältigen Auswirkungen der Klimakatastrophe, der zunehmende Verlust der Biodiversität, das Artensterben zeugen davon. Was können Begegnungen von Kunst, Kultur und Natur dem entgegensetzen, bewegen oder anregen? Welche Ideen und Perspektiven können daraus entstehen? Solcher Art Fragen waren der Antrieb für die Aktion [plan e]: planet erde, die sich im vergangenen Jahr mit dem Kernteam und weiteren Akteurinnen und Akteuren auf Erkundungsreise durch Wuppertal begeben hat. Träger des Projekts ist das und.Institut für Kunst, Kultur und Zukunftsfähigkeit e.V. in Berlin, gefördert wurde es u.a. vom Programm „Neustart Kultur“ der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien, dem Fonds Soziokultur und dem Wuppertaler Kulturbüro.

Was genau war und ist die Motivation hinter dem Projekt [plan e]: planet erde? Michael Felstau: Angesichts der Klimakrise ist kein Plan B zu unserem bisherigen Handeln gefragt, sondern ein [plan · e] – das heißt einer, der die Erde als Akteur miteinbezieht. Als kleiner Teil der Natur überlasten wir Menschen die Erde, die uns trägt und ernährt. Als Handelnde prägen wir die Erdgeschichte, ohne das Leben auf unserem Planeten in seiner Gesamtheit zu verstehen. Dabei ist die Erde gemeinsame Heimat aller Lebewesen und gehört ihnen gleichermaßen. [plan · e] beruht auf der Ehrfurcht vor dem mannigfaltigen Leben auf der Erde, diesem umfassenden und grenzenlosen Polylog. Auf die Gesellschaft bezogen heißt das, in einem andauernden und wertschätzenden Dialog miteinander zu sein und neugierig auf das andere, etwa unterschiedliche Kulturen und Lebensweisen, zu werden. Für uns geht es darum zu fragen, was wir mit unseren Mitteln tun können: Vielleicht können wir das Unbewusste erreichen, Vorstellungskraft wecken, Zusammenhänge sichtbar machen oder einfach einen emotionalen Zugang schaffen. Der zerbrechliche Zustand der Welt mag erschlagen, verwirren, lähmen: Doch Kunst und Kultur haben ihre eigenen Strategien, über die Wahrnehmung der Schönheit ein Bewusstsein für die Welt zu schaffen.

Das Projekt [plan · e] war auf ein Jahr hin angelegt. Kann man in so kurzer Zeit überhaupt etwas für ein so großes Thema bewegen? Wie sind Sie dieses Jahr angegangen, und was haben Sie umgesetzt? Uta Atzpodien: Ziel von [plan · e] war zuallererst, einen offenen Austausch anzuregen, damit in Kunst, Kultur und Natur offene Begegnungsräume für alle geschaffen werden. Für das Projekt gab es in Wuppertal eine längere Vorgeschichte. Schon bei den Bergischen Klimagesprächen 2018 und wenig später war die Kulturwissenschaftlerin, Pionierin für „Ästhetik und Nachhaltigkeit“ Hildegard Kurt mit Vortrag samt Lebendigkeitswerkstatt in Wuppertal zu Gast (DbZ 2/2019). Als Gründerin vom und.Institut für Kunst, Kultur und Zukunftsfähigkeit e.V. mit Sitz in Berlin, das die Trägerschaft für das Wuppertaler Projekt übernahm, zitierte sie in einem Vorgespräch den Geografen und Stadtplaner Karl Ganser: „Die Kunst ist der nächste Nachbar der Wildnis.“ So wie Kunst und Natur nach eigenen Regeln wild wuchern, entwickeln sich unsere Gedan-

Erdinstallation wERDschätzung – Künstler Freifrank am „Tag des Guten Lebens“ am 20. Juni 2021, Foto: Ralf Silberkuhl

ken allmählich erst beim Miteinanderreden und bei der Begegnung mit der Welt. Diese Erfahrung durfte [plan · e] bei der Expedition in der Wuppertaler Stadtgesellschaft vielfältig erleben: Als Kernteam haben wir uns zusammen auf den Weg gemacht, verschiedene Orte besucht und Aktionen gemacht, vor allem aber auch Ansätze miteinander verbunden, die es schon gibt, wie den Friedengarten der Alevitischen Gemeinde und den Tag des Guten Lebens. Passend zum 100. Geburtstag von Joseph Beuys 2021 war der Künstler Frank Fischer alias Freifrank mit seiner Erd-Installation „wERDschätzung“ auf unsere Einladung hin Gast in Wuppertal. Er ließ Beuys‘ „Soziale Plastik“ zur „Ökologischen Plastik“ werden – Mensch und Natur verbunden in gestaltender Lebendigkeit. Am „Tag des guten Lebens“ am 20. Juni 2021 richtete er auf dem Platz der Republik am Ostersbaum den Blick nach unten auf den Boden, auf die Erde, voll Demut und Neugier dafür, was sich unter uns alles abspielt. Im Alltag treten wir unsere Erde gedankenlos mit Füßen. Bei der Kunstinstallation war das Betreten des Humus gewünscht und ein besonderes, sinnliches Erlebnis. Unter dem Motto: „Be-Achten, Be-Gegnen, Be-Staunen, Be-Wahren“ haben sich [plan · e]-Teams an jenem Tag auf den Weg gemacht, den Ostersbaum erkundet, Interessierte aufgefordert, mit Freifranks „wERDschätzungsrahmen“ loszuziehen, um Wuppertals besondere Erd-Flecken zu fotografieren. Ganz im Sinne von Beuys, für den „letzten Endes, wenn man utopisch denkt, die ganze Welt zur Akademie wird“, wie er sagte.

Was müssen wir uns denn unter diesem „wERDschätzungsrahmen“ vorstellen – und was waren weitere Erfahrungen, die Sie gemacht haben? Michael Felstau: Der „wERDschätzungsrahmen“ ist ein Stoffrahmen, der dazu einlädt, den eigenen Flecken Erde zu rahmen, ihn zu porträtieren und der Erde damit wieder mehr Aufmerksamkeit und Wertschätzung zu geben. Es ist eine Idee von Frank Fischer, Freifrank, der übrigens in Kombination mit kurzen Texten wERDschätzungen in Form von Fotografien weltweit gesammelt hat. Seine Website zeugt davon. Beeindruckt hat uns auch der von Burcu Eke-Schneider initiierte Friedensgarten. Bei einem Treffen mit der Alevitischen Gemeinde lernte [plan · e] eine humanistische und universalistische Religion ohne Absolutheitsanspruch kennen, für die der Koran, die Bibel, die Thora alle den gleichen Stellenwert haben. Das „wichtigste Buch zum Lesen“ ist für die Aleviten „der Mensch selbst“, wie der Mystiker Hacı Bektal Veli (1209-1295) sagt. Ihr Verhältnis zur Natur beruht auf dem Glauben einer Beseeltheit derselben. Aus diesem Grund ist es die Pflicht jedes Aleviten, die Natur zu schützen und in Frieden zu leben.

Mansa Sabaghian: Darum, Körperbewegungen direkt aus der Begegnung mit der Natur heraus entstehen zu lassen, ging es in einem Tanzworkshop unter dem Titel „Natur bewegt“, zu dem die Künstlerin Julia Ferrer Vilchez mitten in den Wald am Ehrenberg eingeladen hatte. Die Künstlerinnen Gisela Kettner und Andrea Franke erkundeten in der Ausstellung „das wERDEn aus dem nICHts ist leben“ das Zusammenspiel von Erde, Boden, Kunst und Leben. Bei der Vernissage brachte der Musiker André Füsser die Erde

wERDschätzung – Yvonne Grabowski, Foto: Ralf Silberkuhl

in ihrer Materialität zum Klingen. Gisela Kettners Erdbilder machen Bodenreiche sichtbar, entdecken das verborgene Werden und Vergehen und die Farbe vergangener geologischer Zeiten. In meiner Arbeit als Künstlerin, die ich aus dem Iran stamme, manifestieren sich – von der iranischen Architektur inspiriert – filigrane Strukturen und Liniennetzwerke als Ausdruck für komplexe Zusammenhänge auf der Erde sowie deren Schönheit und Verbundenheit. Ich habe dazu das Konzept des Designs von Muqarnas in der iranischen Architektur erforscht. Muqarnas sind ein feingliederiges Gewölbesystem, mit dem in Moscheen und Mausoleen Kuppeln ausgebildet werden. Für [plan · e] habe ich das architektonische Konzept der Muqarnas dynamisiert mit sozialer Interaktion und lebendigem Austausch in Beziehung gesetzt und habe einen Dokumentarfilm über den interkulturellen Dialog zum Start von [plan · e] produziert, der vom Konzept der Einheit im vielgliedrigen Pluralismus der iranischen Architektur inspiriert ist. Um das Zusammenspiel von kulturellem Erbe und lebendiger Erde auch anderen nahezubringen, organisierte ich einen Workshop zum Thema „Pflanzliche Ornamentik, Geometrie und Kunst in iranischer Architektur“. Zusammen mit türkischen, chinesischen und deutschen Kindern und Erwachsenen genossen wir die Welt der Pflanzenornamente der iranischen Kunst im Café ADA. Aktuell sind übrigens bis Ende Mai/Juni Arbeiten von Gisela Kettner und mir wie auch eine Gesamtdokumentation von [plan · e] im Foyer des Wuppertal Instituts zu sehen.

plan e-Wünsche aus der Gruppe um Künstlerin Julia Ferrer Vilchez, Foto: Anonym

Ist – ganz im Sinne der Nachhaltigkeit – in dem zurückliegenden Projektjahr etwas entstanden, das auch in Zukunft weiterhin wirken wird? Wird [plan · e] in irgendeiner Form weiter aktiv sein? Uta Atzpodien: Das Anliegen unserer partizipativen Kunst- und Mitweltaktion besteht weiterhin: Wir brauchen einen [plan · e], um all den aktuellen Herausforderungen zu begegnen. Darauf aufbauend öffnen sich Möglichkeitsräume: etwa ein INSEL-Kulturgarten hinter dem Café ADA gemeinsam mit dem Kulturverein Insel e.V. und konkrete nachhaltige Perspektiven für die anstehende Gestaltung des Pina Bausch Zentrums. Für [plan · e] ist die Unterschiedlich- und Vielschichtigkeit der künstlerischen Erzählungen wichtig. Dabei geht es nicht einfach um nette Geschichten, es geht um Herz, Kopf, Verstand, letztendlich um die Transformation der Gesellschaft. Unsere künstlerischen Aktionen und die Natur können zusammenfinden. Unser Problem ist oftmals, dass wir Menschen unnötig und zu schnell Grenzen ziehen. Das Denken in Disziplinen, Abteilungen und Bereichen ist nicht nur in der Politik und Verwaltung ein Problem, sondern leider auch in der Kultur. Weiterhin wollen wir in Wuppertal im positiven Sinn das Grenzüberschreiten und ein Miteinander wagen und vorantreiben. Nicht trennende Gegensätze und Kämpfe sind zukunftsfähig, sondern das Verbindende, das Dazwischen und das daraus Entstehende. Willkommen sind alle, die sich damit verbinden und sich weiter vernetzen wollen. Glauben Sie eigentlich, dass Wuppertal ein besonders geeigneter Ort für Ihre Initiative ist? Michael Felstau: Die Themen, um die es [plan · e] geht, sind sicherlich für jeden Ort relevant, denn das Problem der Bedrohung unserer Lebensgrundlage Erde ist universal. Aber tatsächlich offenbart sich unsere grüne Großstadt Wuppertal bereits als vielfältige Bühne für die Begegnung von Kunst und Kultur mit der Natur. Weltweit bekannt ist der Skulpturenpark Waldfrieden als Kunstort mit Kunstwerken inmitten der Natur. Hier erklingen Wandelkonzerte als ein lebendiges Format, im Zusammenspiel von Musik, Skulptur und Natur. Und es gibt weitere Orte, die sich diesem Konzept verschrieben haben. Im Klopphauspark an der Wolkenburgtreppe steht das Oktogon, das seit 2003 Universitätsgalerie für junge Kunst ist (vgl. DbZ 1/2019). 2009 hat der Künstler Oswald Gibiec-Oberhoff das Skulpturenprojekt im Botanischen Garten auf der Hardt ins Leben gerufen. „Der Wald und der Sturm“ hieß 2020 eine Ausstellung im Wuppertal Institut mit Werken von Kunstschaffenden aus dem Bergischen Land. Die Reihe „Wechselwirkungen“ wird seit 2014 mit Musik im Park von Annette Robbert für den Förderverein Historische Parkanlagen Wuppertal e.V. organisiert. Und das Orchester des Wandels besuchte 2021 den Permakulturhof Vorm Eichholz und spielte auf der Obstwiese am Clausen für die Initiative talbuddeln, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, für das Klima im gesamten Stadtgebiet Bäume zu pflanzen.

Station 5 der plan e-Erkundungsreise mit dem Workshop „Natur bewegt“ mitten im Wald, Foto: Uta Atzpodien

Mansa Sabaghian: Ja, all dies zeigt, dass es hier in Wuppertal für das Zusammenspiel von Kunst, Kultur und Natur einen fruchtbaren Boden gibt. Wuppertal ist eine Stadt, die für einen hohen Anteil an Migrantinnen und Migranten bekannt ist. Die Schwebebahn ist nicht das einzige Wahrzeichen von Wuppertal. Die Stadt hat viele Jahre lang die Hauptrolle als Heimat für Einwanderer gespielt. Es hat sich viel verändert, und jetzt ist die richtige Zeit, um das bunte, tolerante, hörende Wuppertal zu sehen. Es ist an der Zeit, die andere Seite seines Gesichtes zu zeigen, die vielen Vorbildern als Inspirationsquelle diente. Das Projekt zielt darauf ab, eine Weisheit zu verbreiten, die die Lebensqualität der Menschen in sich wandelnden Gesellschaften verbessert. Darüber hinaus soll eine Zukunft dargestellt werden, in der Tradition und Moderne sowie Technologie die Möglichkeit bieten, sich unterschiedlichen Menschen zu nähern und sie anzuerkennen. Denken Sie daran, dass die Achtung der Artenvielfalt zur Achtung der Mitwelt und zum Schutz der Natur und schließlich der Erde, unserer Heimat, führt.

Auf der Website http://plan-e.earth/ finden sich weitere Informationen, Momentaufnahmen und Filme, auch zu den Kunstwerken, die auf der Erkundungsreise entstanden sind.

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