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Der Else Lasker-Schüler-Almanach zum Feierjahr ist erschienen

Ein Blick ins Buch, Foto: Willi Barczat

Chronik, Schmuckstück, Fundgrube

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Der Else Lasker-Schüler-Almanach zum Feierjahr ist erschienen

Der 13. Else Lasker-Schüler-Almanach trägt den Titel des Festjahrs: „Meinwärts – Das

Herz der Avantgarde“. Auch gewidmet ist er explizit diesem 150. Geburtsjahr der Dichterin, das er mit seinen gut hundert Veranstaltungen gebührend Revue passieren lässt. Doch zugleich ist das schön gestaltete Buch viel mehr als eine Dokumentation für die Annalen. Es gibt auch Einblick in einen Kulturverein, der außerordentlich vital, wach und produktiv ist.

Unmittelbar dem Jubiläumsjahr gewidmet ist vor allem das erste Kapitel, ergänzt ums dritte mit fotografischen Eindrücken. Doch wie hier zeigt sich auch im weiteren Fortgang eine vielfältige Mischung, eine gute Portion Mutwille im besten Sinn: Sachtexte verschiedener Art stehen gleich neben literarischen, eine Überblicksdarstellung folgt Essays zu Einzelaspekten der Dichterpersönlichkeit. Was das Festjahr betrifft, so gilt das Mischprinzip etwa für den Vortrag von Martin Dreyfus über „Elses“ Verhältnis zur Ausdruckstänzerin Charlotte Bara, den er im März beim Gastspiel „Tanz und Mysterium“ hielt. Diesem Sachtext folgt direkt ein Zyklus von Ulrich Land zu ihrem Stück „Ichundich“, während eine ganz andere künstlerische Bearbeitung ihm vorausgeht: ein Rap von Mehmet Kaldik und Eral Topay, Schüler der „Else“-Gesamtschule.

Ganz ungewöhnlich: ein ganzer Stückabdruck. Bei Gerold Theobalt, in der Ära Holk Freytag Dramaturg am Schauspielhaus, hatte die Gesellschaft zum Geburtstagsjahr das Stück „Prinz Jussuf von Theben“ in Auftrag gegeben, das im Juni 2019 am Folkwang-Theater uraufgeführt wurde. Ein Porträt der Dichterin, eingebettet in ein Zeitbild rund um die damalige Künstlerszene und durchsetzt von spannenden Zeitsprüngen – Schauspielerinnen und Schauspieler leisten in diesem Stück körperliche Schwerstarbeit beim rezitierenden Umsetzen des Gedichts „Weltflucht“.

Nicht nur Rekapitulation, vielmehr Reflexion bietet „Elbanaff nach Elberfeld“ von Birte Fritsch, Kuratorin des Festjahres und nebenbei eine vergnügliche Stilistin. Nachzulesen sind hier grundsätzliche Überlegungen im Vorfeld zur Behandlung einer nicht mehr lebenden Jubilarin in der modernen Diskussion um das Autorentum überhaupt: Rund um „Themen“ wie Identität oder Krise soll die Dichterin nicht zuletzt als Exempel vorgestellt werden, um sich ihr über eben diese Vielschichtigkeit zu nähern. Der LiveEffekt erscheint dabei als wichtiger Punkt, für den die Bedingungen sich denn als günstig erwiesen: „So war es ein nicht zu unterschätzender Wert, dass in der Affirmation, der gemeinsamen Einstimmung auf dieses Festjahr, dem hohen Enthusiasmus und der emphatischen Huldigung Else Lasker-Schülers alle Akteur*innen schnell Einigkeit fanden und über das ganze Jahr hinweg erlebten.“

Schön heterogen in den Genres bleibt es auch im Folgenden, den Kapiteln „Weggefährten“, „Den Sternen versprochen“ und schließlich „Epilog“. Vor einer Textmontage zur Begegnung der Dichterin mit der Malerin Gabriele Münter finden sich Darstellungen zur Musikalität in ihrer Lyrik oder – von der Wuppertaler Germanistin Dr. Gabriele Sander – zu ihren lyrischen Künstlerporträts. Erstere stammt von Karl Bellenberg, der 2019 seine frisch zu ihr erschienene Dissertation vorgestellt hatte: Er widmet sich besagtem Thema mit eingehender Gedichtanalyse ebenso wie mit einer Wissenschaftlichkeit atmenden Grafik zu Wortfeldkomplexen.

Noch zuvor drei Essays. Eines behandelt ihr Verhältnis zum Theater: „Denn Zaubern ist des Dichters Handwerk“ von Dramatiker Theobalt würdigt ihr prophetisches „Arthur Aronymus und seine Väter“ und darin Lasker-Schülers persönliches und unvoreingenommenes Schreiben. Heiner Bontrup charakterisiert „Else“ beim Schreiben ihrer Gedichte als „Die Glasbläserin“: „Wie ein Glasgefäß trennen sie die Welt auf in ein Innen und ein Außen. Aber durch ihre plastische und zugleich diaphane Gestalt können die Gedichte uns die Wirklichkeit in neuem Lichte erscheinen lassen.“ Und Ästhetik-Ikone Bazon Brock, wie immer allumgreifend, problematisiert en passant die Form des Essays selbst: „Dieser Ausweg [des Essayismus] war offensichtlich der klugen Zeitgestalt ELS verschlossen.“ Irgendwo dazwischen: Ein bislang unbekannter Brief von Gottfried Benn.

Und dann kann der Leser sich ins Bild setzen lassen über viel, allzu viel, was ihm 2019 entgangen sein mag. Etwa beim Bericht über das Projekt „Transitraum Else“, das nicht im Tal stattfand: Dabei lasen Künstler „Else“-Gedichte an historischen Exilorten wie New York, Stockholm und im Züricher Cabaret Voltaire. Wie Initiatorin und Schauspielerin Claudia Gahrke treffend spielerisch formulierte: „um einen Tibet-Klangteppich daraus zu weben“. Immerhin, einen Eindruck davon gibt künftig im Solinger „Zentrum für verfolgte Künste“ eine Sound-Installation.

Dass das Buch bei allem Mix ein Schmuckstück ist, liegt zum einen an der Aufmachung: In freier Seitenstruktur erscheinen die durchgängig farbigen Bilder mal über dem hübsch gesetzten Text, mal in eigener Spalte – Abbildungen bekannter Mitglieder, ein historisches Titelblatt, eine eigene Else-Briefmarke.

Hinzu kommt: Der Almanach referiert Selbstverständnis und Tatkraft der Lasker-Schüler-Gesellschaft nicht bloß – er ist auch ihr kreativer Beleg, ihr überzeugendes Dokument. So findet ein Aspekt des Dichterinnenlebens wie Exil und Verfolgung seine Spiegelung beim tschechischen Schriftsteller Ji í Gruša, vertreten mit einer Rede unter dem Titel „Glücklich heimatlos“. Klar, dass der mittlerweile verstorbene P.E.N.-Präsident Mitglied der Lasker-SchülerGesellschaft und Akteur beim XII. ELS-Forum in Prag war. Hier etwa mag auch andocken, wer einen Hauptaspekt des Vereins im Almanach sucht (nicht nur hier natürlich wird er fündig): das dezidiert politische Selbstverständnis.

Im Hinblick auf die vielen Freundschaften im Netzwerk der Dichterin äußert sich Hajo Jahn fast entschuldigend über das „Namedropping“ in seinem Beitrag über die vielen Weggefährten im Laufe der 30 Jahre. Die Schar illustrer Mitglieder in dieser Zeit buchstabiert auch aus, was bekannte Schriftsteller, Schauspieler und andere Persönlichkeiten in dieser Literaturgesellschaft so dauerhaft zusammenführt – Eigensinn und Biografie einer ganz außergewöhnlichen Künstlerin.

Martin Hagemeyer

Hajo Jahn,

Meinwärts - das Herz der Avantgarde

Else Lasker-Schüler-Almanach 13

Softcover, Fadenbindung, durchgehend

vierfarbig, mit zahlreichen Abbildungen

384 Seiten, Peter Hammer Verlag, 20,- €

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