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Büchners Revolutionsdrama als nihilis- tischer Grabgesang auf den Menschen

Büchners Revolutionsdrama als nihilistis cher Grabgesang auf den Menschen

Das Schauspiel Wuppertal inszeniert „Dantons Tod“ von Georg Büchner als theatrale Installation. Der opulente Blut- und Bilderrausch zieht den Zuschauer magisch in die ewig währende Geschichte gesellschaftlicher Umbrüche

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Stefan Walz als „Conférencier“ in „Dantons Tod“, Foto: Uwe Schinkel

Im Einlass ist der Anfang: die Menschheit

vor dem Sündenfall. Diese Fiktion evoziert das als raumgreifende Installation angelegte Bühnenbild (Christian Blechschmidt): abstrahierte zerbrechliche Segelboote mit Lateinersegeln, dazu Bilder der rauen, aber nicht feindlichen See, projiziert auf wie zufällig auf dem Bühnengrund hingewürfelte Monitore. Noch weiß niemand, an welche Gestade die Reise durch Räume und Zeiten die Menschheit führen wird. Am Ende sind wir schlauer: Der Herrscher in uns ist der Gott des Gemetzels.

Georg Büchner, der mit nur 23 Jahren starb, war der bedeutendste Exponent seiner literarischen Generation, des Vormärz, aber mehr noch: Er hatte mit seinen Dramen das Tor der Literatur weit in die Moderne aufgestoßen: Mit „Woyzeck“ präludierte er den Naturalismus, mit „Leonce und Lena“ antizipierte er Dada, den literarischen Surrealismus und das absurde Theater. „Dantons Tod“ fühlt sich bei Lektüre an wie eine Vorwegnahme des Doku-Theaters und zugleich wie ein großartiges Vorspiel des epischen Theaters: Auflösung der Einheit von Raum, Zeit und Handlung, eine lose Folge von Szenen. Und dennoch entrollt sich bei Dantons Tod vor dem Auge des Lesers das Zeitpanorama der Französischen Revolution im Breitbandformat. Hingerichtet werden während der Schreckensherrschaft der Jakobiner 1793/94 König Ludwig XVI, Angehörige des ersten Standes, Royalisten. Aber auch Girondisten, die sich wegen ihrer bürgerlich-liberalen und gemäßigten Einstellung der Konterrevolution verdächtig machen. Unter der Guillotine fallen mit ihnen Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit.

Büchner fokussiert in seinem Drama jene Schicksalstage vom 25. April bis zum 5. Mai 1794, in denen das Kippmoment der Geschichte grausame Wirklichkeit wird. Die Revolution stürzt ins Blutbad. Eine Vielzahl an Schauplätzen, losen Szenen und sorgfältig recherchierten Zitaten des historischen Revolutionspersonals geben kaleidoskopartig einen Einblick in die Dynamik der Entscheidungsprozesse, die schließlich in die Hinrichtung Dantons und damit in die Schreckensherrschaft Robespierres münden.

In der Wuppertaler Fassung von Anna-Elisabeth Frick und Peter Wallgram bleibt von diesem Revolutionsdrama wenig übrig. Das Stück wurde – ähnlich wie Else Lasker-Schülers

Büchners Revolutionsdrama als nihilistis cher Grabgesang auf den Menschen

In der Wuppertaler Inszenierung von „Dantons Tod“ ist Robespierre eine Frau

(Julia Meier) ..., Foto: Uwe Schinkel

... ebenso wie Danton selbst (Annou Reiners – hier in der Szene von Dantons Tod),

Foto: Uwe Schinkel

Darth Vader der Revolution: Thomas Braus brilliert in der Rolle des St. Just,

Foto: Uwe Schinkel IchundIch – völlig entkernt und auf den Konflikt zwischen Robespierre und Danton reduziert. Paradoxerweise wird gerade dadurch die zentrale Absicht Büchners gelungen ins Werk gesetzt: nämlich zu zeigen, dass die geschichtliche Logik revolutionäre Prozesse in das Gegenteil ihrer ursprünglichen humanen Absichten verkehrt. In diesem Sinne inszeniert die Wuppertaler Fassung die Französische Revolution als Blaupause aller Revolutionen, bei denen sich am Ende immer die dunkle Seite der Macht durchsetzt: Robespierre gegen Danton, Lenin gegen Trotzki, die skrupellosen Architekten der Macht gegen die moderaten Pragmatiker, die einen gesellschaftlichen Ausgleich suchen.

This is the end Mehr noch: Die Französische Revolution – ausgelöst durch die extreme Ungleichheit der Lebensverhältnisse – wird in die Gegenwart geholt. Den ersten Auftritt hat Stefan Waltz als Conférencier: Im gelben Gewand erzählt er, eine Art Geist des Dramas, die parabelhafte Geschichte vom Frosch, den, wenn man ihn kochen wolle, zunächst in kaltes Wasser setzen müsse, sonst springe er gleich aus dem Kochtopf heraus. Der Sinn der Geschichte ist bekannt, wird aber sogleich durch das Bühnenbild neu konnotiert. Denn auf den Monitoren sehen wir nun nicht mehr das mäßig aufgewühlte Meer, sondern apokalyptische Bilder des Klimawandels, süße Eisbärbabys auf einsamen Schollen im Meer treibend, Bilder der abschmelzenden Polkappen. Dahin hat die Reise die Menschheit also geführt! This is the end. Ob der Frosch, gerade noch rechtzeitig, aus dem Kochtopf der Erderwärmung springt?

Noch während man sich dieser Frage sinnierend nähert, stöckelt auf High Heels Julia Meier auf die Bühne: eine skurrile Erscheinung, Bleistiftrock und 1970er-Bluse in psychedelischen Farben. Biedere Chefsekretärin, angepasst an den Mainstream der 2020er und zugleich Enkelin der 1968er, eine wilde Mischung. Julia Meier ist die Reinkarnation Robespierres; an die Stelle der sozialen Frage von 1789 ist der Frau gewordene ökologische Imperativ getreten. Im Hintergrundmurmeln des inneren Ichs vernimmt der Theatergänger die bange Frage, ob Frick und Wallgramm nun die Grünen als Partei der Ökodiktatur präsentieren und Baerbock als hypermoralisch schnappatmenden Robespierre inszenieren wollen. Julia Meier jedenfalls präsentiert einen modernen Robespierre, der für die totale Entfaltung seines Macht- und Blutrausches die Tugend ins Feld führt. Und tugendsam leben, das heißt heute politisch korrekt sein, ökologisch vernünftig agieren, antikapitalistisch denken. Und weil sonst die Welt untergeht, genauer verbrennt, müssen die politischen Verhältnisse gründlich

und ein für alle Mal auf den Kopf gestellt werden. „Die Tugend muss durch die Herrschaft des Schreckens geschützt werden“, lautet die revolutionäre Staatsräson. Einen toten Fisch reckt sie dem Publikum böse entgegen, um ihn nach der Wut-Rede achtlos in einen leeren Bottich zu werfen. Seht, das habt ihr getan: Artensterben, Klimawandel, Apokalypse: alles eure Schuld! Die Anspielung auf das Klischee der Ökodiktatur ist böse und politisch fatal. Aber: Theater darf das! Zumal Julia Meier die inneren Widersprüche und Abgründe Robespierres großartig auslotet. So oszilliert ihr Spiel zwischen grün gefärbtem Agitprop, exaltierten Ausbrüchen, Momenten machtberauschten Narzissmus und Augenblicken, in denen sie albtraumartig sich selbst in seiner/ihrer verkommenen Monstrosität erkennt. Das ist nicht die bundesdeutsche Wirklichkeit des Wahljahres 2021. Das ist dystopisches Spiel mit den Gefahren, die allen politischen Bewegungen innewohnen.

Blut- und Bilderrausch Auftritt Danton. Annou Reiners spielt Danton ebenso widersprüchlich und innerlich gebrochen wie Julia Meier Robespierres als dessen Spiegelfigur. An die Stelle der ökologischen Revolution tritt bei Danton das Ideal der Diversität; jeder soll nach seiner Fasson glücklich werden. Und das weit über die engen Grenzen der Religionsfreiheit hinaus. Das Leben, ein tumultuöses Fest der Vielfalt. Der Staat als machtgeschützter Schonraum jeglicher Lebensentwürfe und frei auslebbarer Identitäten, eine hedonistische Republik. Statt Schreckensherrschaft das Dogma des Wohlgefühls. Aber Reiners Danton ist zu klug, als dass er/sie daran wirklich glauben könnte. Ihr Danton ahnt schon die Gravitationskräfte in Richtung Schreckensherrschaft. „Ich weiß wohl, – die Revolution ist wie Saturn, sie frisst ihre eigenen Kinder.“ Und so reißt Reiners Danton die Segel von den Schraten, die jetzt wie tödliche Schwerter im Bühnenlicht glänzen. Die Menschheitsreise endet unter einem Himmel von Fallbeilen: Vorabend des Blutgerichts.

Annou Reiners spielt Danton mit tief beeindruckender Urgewalt und zugleich einem feinen Gespür für Zwischentöne: Ihr Danton ist in Melancholie und fatalistischer Agonie gefangen, aus der er sich in hedonistischen Ausbrüchen zu Techno-Beats zu befreien versucht, ein weiblicher Dionysos, eine barocke Erscheinung, die in ihrer Todesahnung sich nimmt, was sie gerade noch kriegen kann vom kurzen Leben. Sie säuft Champagner, frisst rote Kirschen aus einem Glas, schlürft den Saft, der ihr über die Lippen fließt und das weite weiße Kleid blutrot färbt. Sie spritzt Sahne, eine männliche Ejakulation mehr als nur andeutend. Dann wieder zeigt Annou Reiners Danton als klugen, kühnen und kühlen Analytiker, der sich selbst in seinen Widersprüchen ebenso erkennt, wie er Robespierre durchschaut. Am Ende legt ihr Danton sich selbst aufs Schafott, auf seine/ihre Hinrichtung wartend. Seine/ihre letzte Geste enthält so viel Fatalismus wie stumme Anklage: Sie setzt sich eine Corona-Maske auf.

Die Wuppertaler Fassung übersetzt den Blutrausch der Revolution in einen opulenten Bilderrausch, der uns tief in das Geschehen eintauchen lässt. Dabei wechseln sich subtiler und derber Humor mit plötzlichem Schrecken ab. Das Lachen bleibt im Halse stecken. Dass Frick und Wallgram die Rollen Dantons und Robespierres mit Julia Meier und Annou Reiners besetzt haben, ist ein Glücksfall. Gerade durch diese Besetzung wird der bei Büchner erst in letzter Zeit in der Forschung tiefer behandelte Zusammenhang zwischen Macht und Eros mit den Mitteln des Theaters kunstvoll ausgeleuchtet. Zugleich bereiten sie damit dramaturgisch das furiose Finale des Stücks vor:

Darth Vader der Revolution Thomas Braus bril-

liert in der Rolle des St. Just, wie es der Theaterzettel verkündet. Aber dieser St. Just, der als Revolutionär wahrscheinlich brillanter war als Robespierre, ist keine Figur aus Fleisch und Blut. Sie ist die Inkarnation geschichtlicher Gravitationskraft, die die Dinge im Blut- und Todesrausch enden lässt. Braus gibt den ewig währenden Spiderman der Revolution, der sich nicht satt trinken kann am Blut der Menschheit, ein nihilistischer Darth Vader, der uns, ohne es uns zu sagen, mit Goethes Mephisto souffliert: „Ich bin der Geist, der stets verneint. Und das mit Recht; denn alles, was entsteht, ist wert, dass es zugrunde geht. So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element.“ Die Toten aller geschichtlichen Katastrophen - von der Französischen Revolution über die beiden Weltkriege, der Spanischen Grippe, über 9/11 bis hin zur Corona-Pandemie - trägt dieser St. Just des Thomas Braus wie Orden an seiner Brust.

In der atemberaubenden diabolischen Choreografie von Pascal Merighi windet sich Braus aus einem hautengen Kostüm, das den rohen Menschen ohne Haut und mit seinen ungeschützten Eingeweiden zeigt, bis er sich als das entpuppt, was er ist: der nackte Mensch, der reine Mensch: Und siehe: Der Mensch ist böse. Eine anthropologische Elegie aus Tanz und Schauspiel, ein nihilistischer Grabgesang auf den Menschen.

Heiner Bontrup

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