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Menschen prägen Räume und Gebäude
Unternehmerisches Engagement für historische Gebäude trifft in Wuppertal auf kreativen Nährboden. Uta Atzpodien im Gespräch mit dem Investor Christian Baierl.
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Firmenvorstand Christian Baierl
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Blick in die Ausstellung „Fabric of art“ im November 2019 in
der historischen Bandweberfabrik „Kaiser & Dicke“.
Im November 2019 lud die Ausstellung „Fabric of art“ für einen Monat in die historische Bandweberfabrik „Kaiser & Dicke“ in der Gewerbeschulstraße in Heckinghausen ein.
Als weitläufiger Open Space waren Werke von 51 internationalen Künstlerinnen und Künstlern auf vier Ebenen und insgesamt auf einer Fläche von 4000 Quadratmetern vertreten. Auf einer Hausgiebelwand an der FriedrichEngels-Allee sind seit eineinhalb Jahren die Else-LaskerSchüler-Worte „Ich bin verliebt in meine Stadt“ zu lesen, unterzeichnet vom Schauspiel Wuppertal. Beides wurde ermöglicht durch renaissance Immobilien, die ihre Gebäude zur Verfügung stellten. Als aufgrund der Corona-Pandemie der vom StreetArt-Künstler JR inspirierte INSIDE OUT ENGELS-Banner zum 200. Engelsjahr mit Porträts von 200 Wuppertalerinnen nicht gehängt werden konnte, ermöglichte Firmenvorstand Christian Baierl, dass die Plakate kurzfristig einzeln auf die „Kaiser & Dicke“ Wände gekleistert wurden. Erst kürzlich, Anfang Mai wurde bekannt ge-
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Bandweberei „Kaiser & Dicke“ Foto: Süleyman Kayaalp
geben, dass die „Pina Bausch Foundation“ samt Archiv mit moderaten Mietpreisen in ein weiteres Gründerzeit-Gebäude der Firma in der Gewerbeschulstraße gezogen ist, ehemals bekannt als Unternehmen des legendären kunstliebenden Lackfabrikanten Kurt Herberts. Nicht wenige in der Stadt entstandene Kunstproduktionen tragen in jüngster Zeit eine deutliche (Co-)Fördersignatur von renaissance Immobilien und Beteiligungen. Für Kultur, Kunst und Stadt funkelt hier Elan und Eigensinn: Es zeichnet sich nicht nur eine zukunftsträchtige Nutzung bisher noch verfallender historischer Gebäude ab, auch Kunstproduktionen und -kooperationen bekommen neuen Fahrtwind. Christian Baierl ist der Motor dieser Bestrebungen. Die Dramaturgin Dr. Uta Atzpodien hat mit ihm gesprochen.
UA: Seit ein paar Jahren schreibt sich der Name renaissance Immobilien in die Stadtlandschaft ein, nicht vordergründig, aber vielseitig erfahrbar: Kauf und Restaurierung von historischen Gebäuden mit kunstorientierten Entwicklungsideen, Schriftzüge, Liebeserklärungen an Wuppertal auf Häuserwänden, Kunstaktionen und -locations, die renaissance (mit)ermöglicht. Das Wuppertaler Beuys-Performance-Festival „Die Unendlichkeit des Augenblicks“ klingt aus, das digital über stew.one live aus den Räumlichkeiten von „Kaiser & Dicke“ gestreamt wurde, vor Ort coronabedingt ohne Öffentlichkeit. Als Eigentümer, Christian Baierl, hast du doch sicher das Performance-Geschehen begutachtet?
CB: Menschen prägen Räume und Gebäude, gestalten und verwandeln sie. Kunst kann markant dazu beitragen. Abends beim Festival hatte das Ambiente etwas von einer Party in den 80er/90ern. Beuys-Schriftzüge waren an den Wänden zu sehen. Bei der Performance (von Showcase Beat
le Mot) wurde gekocht, so wie Beuys es wohl mochte. Es duftete einladend nach exotischem Essen. Bei tollen Lichtstimmungen wurden dann Personen vom Festival-Team in Kisten durch die Räume geschoben. Da entstehen ganz neue Perspektiven, auch Erfahrungen. Bei den Expertengesprächen am Mittwoch waren meine Frau, die Künstlerin Bianca Baierl, und ich gegen Ende dabei und haben spannende Geschichten von Beuys gehört, für den Kunst zentral mitten ins und zum Leben gehörte.
Das passt gut zu Wuppertal mit seinem lebendigen Kunstschaffen. Ähnlich wie das Performance-Festival über den Künstler Joseph Beuys Vergangenes von der Gegenwart aus und mit Blick in die Zukunft befragt, scheint das genau auch für dich relevant zu sein. Die Bandweberei „Kaiser & Dicke“ und die „Herbertsfabrik“ in der Gewerbeschulstraße, der „Teschemacher Hof“ im Quartier Mirke oder auch „Halbach & Meister“ in der Germanenstraße in Wichlinghausen sind seit wenigen Jahren im Besitz von renaissance Immobilien, alles historische Gebäude, Altbau, Industriekultur. Renaissance Immobilien stammt ursprünglich aus Krefeld. Was hat dich nach Wuppertal geführt?
Wuppertal hat mit all seinen Gründerzeitviertel, aber auch insgesamt als Stadt einen ganz eigenen Charme. 2014 war ich mit meiner Frau hier quer durch viele der Viertel unterwegs, das erste Mal seit meinem Kindheitsausflug zu Zoo und Schwebebahn, wie das viele von auswärts als unvergessliche Kindheitserfahrung in sich tragen. Ich war begeistert, denn ich liebe alte Häuser. Schon als Kind war ich verrückt danach, alte Häuser zu fotografieren, stundenlang stand ich oft davor, bis ich den perfekten Sonnenstand und Moment für die richtige Aufnahme erwischte. Als Bankkaufmann hatte ich mich den Aktien zugewandt, als ich dann in den 90ern diese alte Fotografie-Leidenschaft für mich wiederentdeckte. So wie andere ins Museum gehen, reise ich in Städte wie Leipzig oder Bautzen und schaue mir ausgiebig Gründerzeitviertel an. Wuppertal hat dann vor sieben Jahren etwas in mir ausgelöst. Renaissance Immobilien gibt es zwar schon seit 2004, an jenem Tag jedoch, wurde mir klar, dass ich in Wuppertal arbeiten möchte – und nicht mehr hier weg will. Wuppertal ist wie ein Rohdiamant, eine versteckte Perle. Ich renoviere einfach gerne Häuser. In der Wahrnehmung begleitet mich meine Frau, die selbst Künstlerin ist: Ein Gründerzeithaus ist ein Kunstwerk, ein Gesamtkunstwerk inmitten der Stadt, mit seiner Fassade, Verzierungen, Gestaltungsformen, die teilweise auf das antike Griechenland zurückgehen, Fensterteilungen mit goldenem Schnitt. Mir ist es wichtig, die Geschichte, das Potenzial, ja, die Kultur, die darin steckt, nicht nur zu erhalten, sondern sie für die ganze Stadtentwicklung konstruktiv zu nutzen.
Hier in Wuppertal gibt es viel Leerstand, überall zu beobachtenden Sanierungsbedarf. Von aufwertenden Impulsen können nicht nur die Stadt und Architektur profitieren, sondern vor allem die Menschen. Schönheit, Qualität und Kultur können alle gut gebrauchen. Welche Rolle spielt hierbei die Kunst? Und wie verträgt sich das mit Wirtschaftlichkeit?
Nehmen wir das Beispiel der Unternehmenskomplexe „Kaiser & Dicke“ und „Herbertsfabrik“, die übrigens über einen gemeinsamen Innenhof miteinander verbunden werden sollen. Grenzen werden hier aufgelöst. Wohnen und Arbeiten sollen zusammenkommen und von der Kunst, dem Kreativen beflügelt werden und damit ins Viertel und in die ganze Stadt hineinwirken. Ein Teil der Essener „Hochschule für Bildende Künste“ zieht gerade mit dem Bereich „Malerei“ ein und wird zum Wuppertaler Standort. Das lockt nicht nur Studierende hierher, sondern setzt dann sicherlich auch künstlerisch frische Akzente in der Stadt. Die Pina Bausch Foundation ist hier mit dem gesamten Archiv eingezogen, anliegend wird ein Tanzzentrum entstehen. Subventionierte Mietverträge für die Kunst werden durch Querfinanzierungen aus dem Wohnbereich möglich. In einer großen Halle mitten im Komplex soll als Art Begegnungsort ein Viertelcafé entstehen, das nicht nur für die Bewohner und Nutzer des Gebäudes geöffnet sein wird.
Welche Perspektiven öffnen sich für die Stadt über dieses offene Einbeziehen der Kunst in den Umgang mit Immobilien, so wie du es angehst?
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Treppenhaus Bandweberei „Kaiser & Dicke“ Foto: Süleyman Kayaalp
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Arbeiten in der Bandweberei „Kaiser & Dicke“ Foto: Süleyman Kayaalp
2014 war der Immobilienmarkt der Stadt in einem katastrophalen Zustand mit Spottpreisen, Leerständen, Schrottimmobilien und verfallenen Häusern. Kunst ist etwas, das wohlhabende und kunstinteressierte Menschen nach Wuppertal ziehen wird, die dann wiederum Einkommenssteuer bezahlen. Das mag auch Gefahren mit sich bringen. Nach jahrelangen Nothaushalten jedoch kann eine Stadt mit mehr Steuereinnahmen wieder besser funktionieren und auch ihren sozialen Aufgaben nachkommen. Eine Förderung der Kunst kann so dann wirtschaftlich zu einer Förderung der Stadtentwicklung beitragen, ganz abgesehen von dem, was die Kunst per se mit ihren Inhalten in die Stadt einbringt. Wie sieht das Spektrum an geförderter Kunst aus?
Wir haben beispielsweise das Schauspiel gefördert, wie die große Else-Lasker-Schüler-Produktion „Ich & Ich“, die in den Riedel-Hallen aufgeführt wurde. Wir haben begleitend eine Villa zur Verfügung gestellt, in der die Künstlerinnen und Künstler aus Israel und Berlin gemeinsam gewohnt haben. Dem Schauspiel haben wir Fassaden zur Verfügung gestellt auf der Friedrich-Engels-Allee und an anderen Orten. Das Tanzrauschen-Festival im Rex haben wir gefördert, „Fabric of Art“ mit all den auch internationalen Künstlern, Filmprojekte von Schauspielerinnen wie Philippine Pachl oder Julia Wolff, ein „Out and about“-Katalogprojekt von Frank N. Die Finanzierung für die Beteili-
gung am InsideOut-Projekt von JR haben wir gewährleistet und jüngst zum Entstehen des Beuys-Festivals beigetragen. Wir sind sowohl mit freier Szene, Verwaltung und Stadt im Gespräch zu weiteren Möglichkeitsräumen.
Das ist ein vielseitiges Spektrum, mit dem du in ganz eigener Form gestaltend zu einem kreativen Nährboden für weitere städtische Aushandlungsprozesse beiträgst. Dein Name taucht in einem schillernden Spektrum von Immobiliennutzung, Ermöglichung von Kunst und Beiträgen zur Stadtentwicklung auf. Da könnten wohlmöglich begleitende Dialog- und Kommunikationsforen ganz unterstützend sein. Wie sehen deine Zukunftswünsche, ganz konkret deine nächsten Schritte aus?
Ich habe kein langfristiges Ziel, keine Visionen, die ergeben sich in der alltäglichen Arbeit. Es geht nicht um Gewinne, sondern Leistung. Jedes einzelne Projekt macht mir Spaß. Arbeit wird für mich zum Spielfeld. Aktuell ist in das Gebäude „Halbach & Meister“ in der Germanenstraße in Wichlinghausen das Künstlerduo vom Zentralwerk der Schönen Künste aus Köln Deutz eingezogen, das dort das Otto-Langen-Quartier verlassen musste (vgl. die beste Zeit 4/2020). Es möchte eine kulturelle Brücke zwischen Köln und Wuppertal bauen, hier künstlerisch Fuß fassen. Ende letzten Jahres habe ich Flächen erworben, die direkt an die Utopiastadt angrenzen. Da planen wir für dieses Jahr Konzerte, kleine Festivals, ein Open-Air-Kino. Dann haben wir den Varresbecker Bahnhof erworben. Auch dort ist erst mal ein Open-Air-Kino geplant. In beiden Fällen stellen wir die Flächen zur Verfügung und unterstützen beim Unterhalt. Aktuell widme ich mich zwei weiteren alten Fabrikgeländen in Wohngebieten. Hier klären wir derzeit, ob sich auf den Arealen ein Co-Working-Space, Gemeinschaftswohnformen oder andere innovative Modelle etablieren lassen, um historische Schönheit mit zukunftsweisender Aufstellung verbinden zu können. Auch für mich bleibt spannend, was sich in dieser Stadt weiter bewegen wird.
Herzlichen Dank für das Gespräch.
Bazon Brock und Gäste beim Action-Teaching im Rahmen des Beuys-Performancefestivals © Kulturbüro der Stadt Wuppertal / Süleyman Kayaalp
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