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Zehn Jahre Tonleiter – zeitgenössische Musik im Skulpturenpark Waldfrieden
Die Neugier bewahren 10 Jahre Tonleiter – Zeitgenössische Musik im Skulpturenpark Waldfrieden
In diesem Winter feiert die Konzertreihe Tonleiter im Skulpturenpark Waldfrieden ihr zehnjähriges Jubiläum. Der Komponist Detlev Glanert sagte einmal im Pavillon des Skulpturenparks: „Ein Publikum, das sich die Neugier bewahrt, wird auch die Kunst nicht verlieren.“ Neugier ist eine Folge des Staunens oder des Erstaunens. Für Goethe war das Erstaunen das Höchste, wozu der Mensch gelangen kann. Und Thomas von Aquin definierte das Staunen mit der Sehnsucht nach Wissen. Wäre das ideale Publikum also eines mit einer intuitiven Neugier?
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Das Interesse an der Konzertreihe Tonleiter ist vermutlich zu einem großen Teil mit der Neugier auf unbekannte, noch nie gehörte Musik zu erklären. Wie vielfältig die Musik des 20. und 21. Jahrhunderts ist, wie sehr sie ihre Wurzeln auch in vergangenen Jahrhunderten hat, wie stark sie sich gleichzeitig mit der heutigen Welt, mit der Natur, mit anderen Künsten auseinandersetzt - all dem kann das Publikum in den Konzerten nachspüren. Und sicherlich sind die Besucher des Skulpturenparks Menschen, die sich mit der nötigen Muße immer wieder neugierig auf die Suche nach noch nie gesehenen Formen, noch nie gestellten Fragen oder nach neuen Antworten machen und sich deswegen für die Kunst Tony Craggs und anderer zeitgenössischer Bildhauer begeistern können.
Tony Cragg selbst war es, der mich mit seinem Wunsch nach einer Reihe für zeitgenössische Musik konfrontierte und dafür begeisterte, diese Idee zu verwirklichen. Schon vorher hatte mich sein Engagement mit der Gründung eines Skulpturenparks hier in Wuppertal sehr beeindruckt, in einer Stadt, die ich als gebürtiger Berliner heute nach über 20 Jahren tatsächlich als meine Heimat bezeichnen kann. Als ich 1996 im Sinfonieorchester Wuppertal als Klarinettist engagiert wurde, blieb mir die Stadt noch viele Jahre fremd. Aber ich merkte, dass es überaus bereichernd sein kann, sich über den eigentlichen Beruf des Klarinettisten hinaus für die Kultur dieser Stadt zu engagieren. In meiner Berliner Zeit als Student spielte ich viele Konzerte mit zeitgenössischen Werken und lernte dabei zahlreiche junge, aber auch etablierte Komponisten der damaligen Zeit kennen. Ich fragte mich immer wieder, warum die Menschen scharenweise Ausstellungen zeitgenössischer Maler besuchten, sich bei der sogenannten Neuen Musik aber schwertaten. Der klassische AuÃau eines Sinfoniekonzerts sah im Idealfall folgendermaßen aus: zu Beginn ein zeitgenössisches Werk, danach ein Solokonzert und nach der Pause eine klassische oder romantische Symphonie. Zeitgenössische Musik hatte mit dieser Konzertform sein Publikum gefunden. Aber Konzerte mit ausschließlich Neuer Musik wurden nur von einem kleinen Kreis Interessierter besucht.
Den Zugang zu einer neuen Komposition finde selbst ich als Interpret häufig erst kurz vor der Auührung. Wie schwierig muss das erst für die Zuhörenden sein, die das Werk im Konzert zum ersten Mal hören. Schließlich existiert Musik als Kunstwerk – im Gegensatz zu bildender Kunst – nur zum Zeitpunkt ihrer Auührung.
Mein erstes Anliegen bei der Konzipierung der Reihe Tonleiter war es, die Konzertsituation für das Publikum interessanter und verständlicher zu machen. Ich wollte zwischen Komponistin/Komponist und Zuhörenden vermitteln. Hinzu kam der ganz persönliche Wunsch, Werke aufzuführen, die schon etwas älter waren, aber in den meisten Konzertreihen Neuer Musik „verloren“ gegangen waren. Viele großartige Werke des 20. Jahrhunderts wurden nicht mehr gespielt, weil in erster Linie jungen Zeitgenossen ein Forum geboten werden sollte.
Bei meiner Planung der Konzerte stieß ich immer wieder auf Überschneidungspunkte der Komponierenden, ihrer Werke oder den zugrunde liegenden Ideen. Es war mir deswegen wichtig, verschiedenste Kompositionen unter einen thematischen Bogen zu bringen. Dabei zeigt dann gerade die jeweils unterschiedliche Sichtweise der Komponistinnen und Komponisten des 20. und 21. Jahrhunderts deren Besonderheiten im musikalischen Ausdruck, in der Klangfarbe und in dem, was sie den Zuhörenden mit ihrer Musik erzählen möchten.
Beide Fotos: Karl-Heinz Krauskopf
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Zu den Komponistinnen und Komponisten, deren Werke im Skulpturenpark bisher aufgeführt wurden, zählen u. a. Olivier Messiaen, Toru Takemitsu, Harrison Birtwistle, Oliver Knussen, Elliott Carter, Toshio Hosokawa, Jörg Widmann, John Adams und Detlev Glanert. Die klangliche und stilistische Vielfalt der Musik des 20. und 21. Jahrhunderts hat häufig ihren Ursprung in den Werken von Komponisten wie Debussy, Schönberg oder Strawinsky. Deswegen stehen auch diese Komponisten regelmäßig auf dem Programm. Zu den Interpretinnen und Interpreten zählen - neben den Pianisten Holger Groschopp und Majella Stockhausen aus Berlin - überwiegend Musikerinnen und Musiker des Sinfonieorchesters Wuppertal und Lehrende der Musikhochschule Köln, Abteilung Wuppertal.
Schon bald hatte Tony Cragg die Idee, die Konzerte auf CDs festzuhalten. Auch dafür entwickelte ich Konzepte, mit denen die ersten beiden CDs der Konzertreihe produziert wurden: „Britannia“ (mit Werken zeitgenössischer britischer Komponisten) und „Elysion“ (mit Kammermusik Detlev Glanerts). Die meisten Werke der CD „Elysion“ sind Ersteinspielungen, darunter auch Glanerts Klavierquartett „Elysion“, das als Auftragswerk der Cragg Foundation 2013 im Skulpturenpark uraufgeführt worden war. Da auch die Werke des international gefeierten Komponisten John Adams immer wieder in den Konzerten zu hören waren, bot es sich an, zu seinem 70. Geburtstag 2017 eine dritte CD „American Berserk“ im Rahmen der Tonleiter zu produzieren. John Adams zeigte sich begeistert von dem Verständnis und der Interpretation seiner Werke und bedankte sich persönlich bei den Künstlerinnen und Künstlern für die erstklassige Einspielung.
Das Publikum in Wuppertal wird die Kunst sicherlich nicht verlieren, weil es sich immer wieder seine Neugier bewahrt. Wenn ich als Klarinettist, als Musikvermittler des Sinfonieorchesters und als Künstlerischer Leiter der Reihe Tonleiter in den letzten Jahren einen kleinen Beitrag dazu geleistet habe, hat es sich auf jeden Fall gelohnt, in Wuppertal heimisch zu werden und die eigenen Ideen umzusetzen. Aber ohne die Hilfe Tony Craggs hätte ich zusammen mit den Künstlerinnen und Künstlern nicht so viele Menschen für die Tonleiter begeistern können. Dafür möchte ich mich bei ihm ausdrücklich bedanken. Und den Wuppertaler Zuhörenden wünsche ich noch zahlreiche Konzertmomente, in denen ihre Neugier befriedigt wird und sie die Erfahrung machen, dass die Welt geheimnisvoller ist, als es dem Alltagsverstand erscheint.
Gerald Hacke Klarinettist und Künstlerischer Leiter der Reihe Tonleiter im Skulpturenpark Waldfrieden
Samstag, 1. Februar 2020, 19 Uhr, Pavillon Sonntag, 2. Februar 2020, 18 Uhr, Pavillon Silent music of the body Florence Millet Klavier, Liviu Neagu-Gruber Violine Gerald Hacke Klarinette, Jens Brockmann Bratsche, Michael Hablitzel Violoncello, Axel Heß Violine Uwe Dreysel Schauspiel und Tanz, Eddie Martinez Inszenierung, Mitglied Tanztheater Wuppertal Pina Bausch
Samstag, 29. Februar 2020, 19 Uhr, Pavillon Märchen | Erzählungen Gerald Hacke Klarinette, Liviu Neagu-Gruber Violine, Momchil Terziyski Bratsche, Hyeonwoo Park Violoncello, Holger Groschopp Klavier
Samstag, 25. April 2020, 19 Uhr, Pavillon Roll over Beethoven Majella Stockhausen Klavier, Holger Groschopp Klavier